Tiergesundheit Schwere Vergiftungen durch Darmbakterien Fotos: Klindworth Eine neue, rätselhafte Erkrankung bei Rindern, die zu starken Darmblutungen führt, breitet sich derzeit in Norddeutschland aus. Über 70 % der erkrankten Rinder verenden.* Tiere, die am so genannten „HBS-Syndrom“ leiden, magern ab, geben deutlich weniger Milch und ihr Fell ist struppig. B lutiger✔ Kot,✔ Apathie,✔ Milchabfall✔ und✔plötzlicher✔Tod✔–✔das✔sind✔die✔ deutlichsten✔ Symptome✔ für✔ eine✔ neue✔ Rinderkrankheit,✔ die✔ in✔ Norddeutschland✔ in✔ letzter✔ Zeit✔ deutlich✔ zunimmt.✔Erste✔Fälle✔traten✔bereits✔1991✔in✔ den✔USA✔auf.✔Weitere✔Fälle✔sind✔mittlerweile✔ auch✔ aus✔ Kanada,✔ Israel✔ und✔ den✔ Niederlanden✔ bekannt.✔ Aufgrund✔ der✔ starken✔Blutungen✔–✔vor✔allem✔im✔Dünndarm✔–✔wird✔sie✔mittlerweile✔als✔„Hemorrhagic✔ Bowel✔ Syndrom“,✔ kurz✔ HBS,✔ bezeichnet.✔ *) Unser Autor: Dr. Hans-Peter Klindworth vom Rindergesundheitsdienst der Landwirtschaftskammer Niedersachsen. R 30 top agrar 2/2012 Die Symptome: Die✔ starken✔ Darmblu- tungen,✔die✔äußerlich✔durch✔blutigen✔Kot✔ zu✔ erkennen✔ sind,✔ führen✔ zu✔ Verklumpungen✔im✔Darm.✔Geronnenes✔Blut✔verstopft✔teilweise✔oder✔ganz✔das✔Darmrohr.✔ Der✔Nahrungsbrei✔wird✔angestaut,✔die✔ Fresslust✔lässt✔plötzlich✔und✔rapide✔nach.✔ Die✔ Anstauung✔ löst✔ einen✔ kolikartigen✔ Schmerz✔aus:✔Stark✔vergrößerter✔Körperumfang,✔Lethargie,✔harter✔und✔fester✔Pansen,✔unterkühlte✔Körperoberfl✔ächen✔(Ext✔remitäten)✔und✔Zähneknirschen✔sind✔zu✔ beobachten.✔ Ohne✔große✔Vorzeichen✔verschlechtert✔ sich✔das✔Allgemeinbefi✔nden✔des✔Tieres✔innerhalb✔ von✔ etwa✔ zwölf✔ Stunden.✔ Die✔ Milchleistung✔lässt✔extrem✔stark✔und✔abrupt✔ nach.✔ Diese✔ Symptome✔ führen✔ oft✔ zur✔ Fehldiagnose✔ „Fremdkörper“✔ oder✔ „Labmagenverlagerung.“ Als✔ Sekundärerscheinungen✔ können✔ stinkig-jauchige✔ Gebärmutterentzündungen✔ und✔ Mastitis✔ folgen.✔ Durch✔ die✔ Toxine✔(Gifte)✔wird✔die✔Leber✔erheblich✔ und✔ nachhaltig✔ geschädigt,✔ so✔ dass✔ die✔ Kühe,✔ wenn✔ sie✔ denn✔ die✔ Erkrankung✔ überstehen,✔ nicht✔ wieder✔ ihr✔ altes✔ Leistungsniveau✔erreichen.✔Die✔Todesrate✔der✔ erkran✔kten✔ Tiere✔ wird✔ mit✔ 70✔ bis✔ 80✔%✔ angegeben;✔ innerhalb✔ von✔ 48✔ Stunden✔ verende✔n✔ die✔ Tiere✔ akut.✔ Gelegentlich✔ tritt✔bei✔verendeten✔Tieren✔blutiger✔Ausfl✔uss✔aus✔Mund,✔Nase✔und✔After✔auf. Eine✔US-Studie✔aus✔dem✔Jahr✔2006✔ergab✔eine✔Befallshäufi✔gkeit✔von✔9,1✔%✔aller✔ Betriebe.✔ Mittlerweile✔ werden✔ 2✔%✔ aller✔ Todesfälle bei Kühen dort dem HBS zugeschrieben. Für Deutschland gibt es bisher keine Zahlen. Mögliche Ursachen: Die Krankheitsur- sache ist bislang ungeklärt. Es wird aber vermutet, dass das Bakterium Clostridium perfringens Typ A in Verbindung mit Schimmelpilzen eine wichtige Rolle spielt. Dieses Bakterium ist verwandt zu Clostridium botulinum, das als eine mögliche Ursache für den chronischen Botulismus diskutiert wird. Bei Clostridium perfringens (kurz Cl. perf.) handelt es sich um den in der Natur am weitesten verbreiteten Krankheitserreger überhaupt. Er ist besonders am Boden und im Darm von Mensch und Tier zu finden. Beim Menschen gilt Cl. perf. als der schlechthin häufigste Verursacher von Lebensmittelvergiftungen. Der Erreger wird in fünf verschiedene Typen (A-E) eingeteilt. Diese Einteilung erfolgt nach den Giften, die er bildet. Bei Säugetieren gilt er als üblicher Darmbewohner, der nur unter bestimmten Umständen verschiedene Erkrankungen verursacht. Das erschwert die Diag­nostik, da der Nachweis von Cl. perf. nicht gleich der Beweis einer Erkrankung ist. Vielmehr erfordert es eine gute Einzeltierund Bestandsuntersuchung, um eine Erkrankung mit Clostridien (Clostridiose) sicher festzustellen. Typischerweise kommen Clostridiosen eher bei Jungtieren vor. Vermutlich gelingt es den Bakterien bei geschwächtem Immunsystem leichter in den Körper einzudringen. Es folgen oft schwere Darmerkrankungen, die mit blutigen Durchfällen und hohen Todesraten einhergehen. Oben: Entzündetes Gelenk an der vorderen Fessel nach überstandener Krankheit. Mitte: Offener Abszess am Sprunggelenk mit übelriechendem, bräunlichen Eiter. Unten: Dickes Ödem an einem entzündeten Sprunggelenk. Schimmelpilze bereiten Weg: Bei der Aufklärung der Ursachen geht man bisher von folgender Theorie aus: Schimmelpilzen gelingt vermutlich die Ansiedelung im Magen-Darmtrakt. Mit ihren Checkliste für das HBS-Syndrom ✔✔Plötzliches Auftreten von blutigem Kot. ✔✔Teilweise Darmverschluss. ✔✔Plötzliche Todesfälle ohne vorherige Anzeichen. ✔✔Todesrate schwer erkrankter Tiere 70 – 80 %. ✔✔Vergebliche medikamentöse und chirurgische Therapieversuche. ✔✔Blutklumpen und blutiger Darm bei Sektion/Schlachtung. ✔✔Häufung von schwersten Gebär- mutter- und Euterentzündungen. ✔✔Schleichender Milchleistungsabfall der Gesamtherde mit gleichzeitig ansteigenden Zellzahlen. ✔✔Plötzlicher Milchrückgang bei mehreren Einzeltieren. ✔✔Multiple Gelenksentzündungen und Abszesse. ✔✔Schwere Durchfallerkrankungen bei den Kälbern mit Todesfällen. ✔✔Frische Zukaufstiere bleiben fit und gesund. top agrar 2/2012 R 31 Tiergesundheit Schleichender Verlauf: Bislang tritt HBS nur als Einzeltiererkrankung auf. Zwar können mehrere Tiere davon be­ troffen sein, doch über Erkrankungen auf Bestandsebene war bislang nichts bekannt. Berichte aus Schleswig-Holstein, Meck­lenburg-Vorpommern und eigene Untersuchungen auf mehreren niedersächsischen Betrieben lassen mittlerweile R 32 top agrar 2/2012 Schnell gelesen • In Norddeutschland grassiert in Rinderherden ein neues Bakterium. • Das auffälligste Symptom sind starke Darmblutungen und blutiger Kot. • HBS führt zu massiven Leistungsverlusten im Gesamtbestand. Foto: Schwagerick Hyphen durchdringen sie die Darmwand und schädigen diese stark. Für die Beteiligung von Schimmelpilzen spricht das gehäufte Auftreten bei Fütterung verschimmelten Futters und signifikant weniger Erkrankungen bei Fütterung von frischem Gras. Bei erkrankten Tieren konnte ein deutlich höherer Besatz an Schimmelpilzen im Magen-Darmtrakt festgestellt werden als bei nicht erkrankten. Voraussetzung für die Besiedelung dürfte ein geschwächtes Immunsystem sein, wie es um die Kalbung herum, besonders in Verbindung mit Stoffwechselerkrankungen, auftritt. Eine rohfaserarme, kohlenhydratreiche Fütterung (Pansenazidose!) erhöht das Risiko für HBS, ebenso wie lange Trockenstehzeiten (Verfettung, Ketosegefahr!) und höhere Milchleistungen. Durch die vorgeschädigte Darmwand können nun die Clostridien eindringen, die üblicherweise den Darm besiedeln, und über die Blutbahn im Körper streuen. Was die Bakterien nun genau zur Giftproduktion anregt, ist nicht bekannt. Vorstellbar wäre eine Störung in der Eiweißversorgung. Die Gifte schädigen u. a. die Blutgefäße des Darms, es kommt zu Blutungen und zur Darmverstopfung. Durch die Anstauung des Nahrungsbreis blähen sich die Tiere stark auf. allerdings andere Schlüsse zu. Hiernach ist HBS nur die Spitze des berühmten Eisberges. In einem Fall konnte beispielsweise ein finanzieller Schaden von über 100 000 € ermittelt werden. Betroffene Betriebe weisen im Vorfeld durchwegs überdurchschnittliche Milchleistungen auf, die sich auf Herdenniveau um die 10 000 kg bewegen. Über einen längeren Zeitraum hinweg nehmen diese Leistungen schleichend um etwa 100 bis 200 kg je Monat ab. Zeitgleich ist ein Anstieg der Zellzahlen festzustellen. Nach einem halben bis einem Jahr treten dann die ersten HBS-Fälle auf. Hinzu kommen Tiere, deren Milchleistung kurze Zeit nach dem Kalben rapide absinkt und deren Allgemeinbefinden erheblich • Die Entstehung der Krankheit wird durch Pansenacidosen, verschimmeltes Futter und ein geschwächtes Immunsystem begünstigt. • Die einzige sinnvolle Therapie ist der Einsatz einer stallspezifischen Vakzine. und nachhaltig gestört ist. Der Kot ist normal bis leicht dünnflüssig, oft übelriechend. Schwere Gebärmutter- und Euterentzündungen kommen hinzu. Anders als bei HBS beschrieben, sind bei diesen Kühen nur wenige Todesfälle zu verzeichnen. Trotzdem sind die Tiere nur schwer zu therapieren und weisen nach dem Überstehen der akuten Phase einen desolaten Gesamtzustand auf. Sie magern mehr oder weniger stark ab, zeigen ein stumpfes, staubig wirkendes Haarkleid. Ebenfalls auffällig sind vermehrt auftretende Gelenksentzündungen, besonders an den Sprunggelenken, und Eiterabszesse mit oft übelriechendem, bräunlichem Eiter. Gleichzeitig leiden die Kälber oft verstärkt an Durchfall. Bereits wenige PRAXISFALL „Oft sind gut geführte Betriebe betroffen!“ Foto: Haunroth Foto: Dylka In unserer Praxis wurerst nach 72 Stunden den die ersten Erkranzum Festliegen. Das kungen mit HBS-Sympklinische Bild enttomen im Sommer 2008 spricht oft einer beobachtet. Seit dem Dünndarmdrehung, Frühjahr 2009 trat die z. T. mit KoliksymptoErkrankung vermehrt auf. men und rötlich-brauBetroffen sind meist gut nem Durchfall. Die geführte MilchkuhbetrieKühe fressen nicht be mit guten Leistungen mehr und der Pansen und gutem Management. steht still. Häufiger als Es erkranken Kühe Fieber haben sie innerhalb der ersten Untertemperatur. hundert Laktationstage, Dr. Johann Haunroth, Der Dünndarm ist Bad Bederkesa häufig im geburtsnahen dunkelrot bis blau mit Zeitraum. Sie verenden rötlich-flüssigem trotz intensiver Therapie (mehrtägige Inhalt, ohne dass eine Darmdrehung Dauertropfinfusion) innerhalb von vorliegt. Die mikrobiologische Unterdrei Tagen oder müssen euthanasiert suchung von Dünndarmteilen ergibt werden. Häufig kommen die Tiere immer den Befund: mittel- bis hochgradig Clostridium perfringens Typ A mit dem Gen für Toxinbildung. Für eine aussagekräftige Beprobung dürfen die Tiere nicht länger als einige Stunden tot sein, da der Bauchhöhleninhalt sehr schnell fault. Wir haben in betroffenen Betrieben Futter auf Pilze und deren Gifte untersucht. Eine Reihe von Proben war positiv, so dass ein Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden kann. Allerdings fehlt bisher der wissenschaftliche Beweis. Tage nach der Geburt erkranken sie schwer und akut, viele Kälber verenden innerhalb weniger Stunden. In der Sektion und bei der Untersuchung von Kotproben werden neben E.coli auch Cl. perf. Typ A gefunden. Der Darm weist ähnliche Blutungen wie bei den erwachsenen Tieren auf, was den plötzlichen und raschen Krankheitsverlauf erklärt. Behandlung und Prophylaxen. Hoch- dosierte Antibiotikagaben, Infusionen und Entzündungshemmer sind, neben der chirurgischen Therapie, mögliche Behandlungen, die die Tiere am Leben erhalten. Mehr aber auch nicht. Angesichts des desolaten Zustands der Tiere im An- Erkrankte Tiere zeigen einen dunkelrot bis blau verfärbten Dünndarm. schluss der Erkrankung ist eine rechtzeitige Tötung der Tiere eher sinnvoll. Zur Prophylaxe gibt es leider ebenso wenig zu sagen. Vage Empfehlungen gehen in Richtung Überprüfung der Ration auf Energiedichte und Schimmelbildung. Das sollte aber ohnehin generell geschehen. Erfolgversprechender ist eine Impfung aller Tiere mit stallspezifischen Vakzinen. Eigene Erfahrungen zeigen nach der Impfung wieder deutlich ansteigende Milchleistungen und nachlassende Symptome. Die Immunisierung sollte mindestens halbjährlich wiederholt werden, teilweise sogar früher. Besonders ist auf einen ausreichenden Schutz zur Kalbung hin zu achten. top agrar 2/2012 R 33