16 Lebensmittelindustrie ANWENDUNGSBEISPIELE Lebensmittelindustrie In der Lebensmittelindustrie werden mehr als 40 Enzyme in unzähligen Produktionsprozessen eingesetzt. Enzyme sind biochemische Werkzeuge, die den Aktionsradius der modernen Lebensmitteltechnologie deutlich erweitert haben. Es findet heute kaum noch eine Lebensmitteltechnologie-Tagung statt, auf der nicht neue Einsatzmöglichkeiten für Enzyme vorgestellt werden: Enzyme modifizieren Stärke, optimieren Fette und Eiweiße, sie stabilisieren aufgeschlagene Schäume und Cremes, „verkleben“ unterschiedliche Fleischteile zu Kochschinken oder Brühwurst, Enzyme sorgen für die Bissfestigkeit von Cornflakes, die Gefrier-Tau-Stabilität eines Fertigteiges, die gleichmäßige Qualität von Eiswaffeln oder verhindern das Kleben von Nudeln nach dem Kochen. Enzyme konservieren Mayonnaise und Eiprodukte, steuern die Reifung von fermentierten Lebensmitteln und Getränken, sie ermöglichen intensivere Aromen, spalten aus Butter-, Käse- oder Rahmaromen Fettsäuren ab oder bilden aus Eiweißen Würze oder Bratengeschmack. Immer mehr Enzyme werden mit modernen biotechnologischen Methoden mit Hilfe von Mikroorganismen produziert. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist das Labferment, das bei der Käseherstellung verwendet wird. Labferment wurde ursprünglich aus Kälbermägen isoliert. Heute wird der Hauptwirkstoff des Labferments, das Chymosin (auch: Rennin), biotechnologisch von Mikroorganismen produziert. Chymosin ist für die Herstellung von Käse unverzichtbar. Es spaltet das KaseinEiweiß der Milch und bewirkt dadurch deren Gerinnung („Dicklegung“): Das Kasein verklumpt und trennt sich von der wässrigen Molke. Danach beginnt der Reifeprozess des Käses. Weitere wichtige kommerziell genutzte Enzyme in der Lebensmittelindustrie sind die Pektinasen. Pektinasen erleichtern und verbessern das Auspressen von Obst und Gemüse, indem sie die Pektinmittellamelle der pflanzlichen Zellwand abbauen und dadurch die Saftausbeute erhöhen. Pektinasen und andere Enzyme bauen auch die nach dem Auspressen noch vorhandenen Trübstoffe ab und ermöglichen es, klaren Apfelsaft zu produzieren. Auch in vielen Backmischungen sind Enzyme enthalten, die optimale Teigeigenschaften, Krustenstabilität, Volumen und Färbung bewirken. Das inzwischen weit verbreitete Aufbacken von vorproduzierten, gefrorenen Teig-Rohlingen wäre ohne Enzyme nicht möglich. Stärkeverzuckerung Eine der kommerziell wichtigsten Enzym-Anwendung im Lebensmittelbereich ist die Stärkeverzuckerung. Rüben- oder Rohrzucker sind längst nicht mehr die einzigen Lieferanten für Zucker, jede stärkehaltige Pflanze kann als Ausgangssubstrat für die Zuckerherstellung dienen: Enzyme spalten die Stärke in ihre Grundbestandteile – verschiedene Zucker – und fügen sie zu weiteren Zutaten und Zusatzstoffen zusammen. Musste früher in einem technischen Prozess die Stärke mit Wasser und starken Säuren zu einem Gemisch aus Zuckermolekülen verarbeitet werden, benutzt man heute für die Stärkeverzuckerung fast nur noch Enzyme. Sie bieten eine Reihe von Vorteilen: Da Enzyme die verzweigten Stärkemoleküle an ganz bestimmten Stellen spalten, lässt sich der Verzuckerungsprozess gezielt steuern. So erhält man verschiedene Stärkesirupe, die sich in ihrer Süßkraft, aber auch in ihren technologischen Eigenschaften unterscheiden. Diese Sirupe werden nicht nur als maßgeschneiderte Süßungsmittel in unzähligen Lebensmitteln und Getränken verwendet, sondern können weiterverarbeitet werden zu Traubenzucker, Zuckeraustauschstoffen oder Fettersatzstoffen. Die Stärkeverzuckerung wurde erst wirtschaftlich interessant, als die zur Stärkespaltung benötigten Enzyme mit Hilfe der modernen Biotechnologie kostengünstig, in unbegrenzten Mengen und in ausreichender Qualität hergestellt werden konnten. Fast alle in der Stärkeverzuckerung eingesetzten Enzyme werden heutzutage aus gentechnisch veränderten Mikroorganismen gewonnen. Die Stärkeverzuckerung erfolgt in drei Stufen: In einem ersten Schritt erfolgt die Stärkeverflüssigung: In der ersten Stufe wird die Stärke in verschiedene Zuckereinheiten gespalten. Es entsteht ein Gemisch aus Maltosen (Malzzucker) und Dextrinen (Zwischenform zwischen Stärke und Dextrose). Die eingesetzten Stärke-spaltenden Enzyme (verschiedene Amylasen) sind überwiegend unter Einsatz moderner Methoden der Biotechnologie hergestellt. Der zweite Schritt ist die Stärkeverzuckerung: Die entstandenen Abbauprodukte werden nun weiter zu Einfachzuckern (Monosaccharide) abgebaut. Hierfür wird die Stärke-abbauende Wirkung bestimmter Enzyme (Glucoamylase und Pullulanase) genutzt. Der gebildete Glukosesirup ist ein Gemisch aus Glukose (Traubenzucker) und Fruktose (Fruchtzucker), er wird von der Süß- und Backwarenindustrie genutzt, da der Sirup nicht so leicht kristallisiert. Der dritte Schritt, die Isomerierung, wird von einem gentechnisch hergestellten Enzym, der Glucose-Isomerase, durchgeführt: Ein Teil der Glukose wird in Fruktose umgewandelt. Nach mehrmaligem Prozessdurchlauf steigen Fruktosegehalt und Süßkraft immer weiter an, bis der gewonnene Fruktosesirup fast die Süßkraft des traditionellen Haushaltszuckers erreicht. In den USA hat dieser High Fructose Corn Sirup, das wichtigste Produkt der Maisstärkeindustrie, den Zucker bereits weitgehend verdrängt. Cola und Limonaden werden fast ausschließlich mit diesem Sirup gesüßt. ANWENDUNGSBEISPIELE Nutraceuticals, Prä- und Probiotika Aminosäuren als Nahrungsergänzung Eine weitere Gruppe wichtiger biotechnologisch hergestellter Produkte in der Nahrungsmittelindustrie sind Aminosäuren, die Klasse organischer Moleküle, aus denen die Eiweiße aufgebaut sind. Es gibt rund 20 verschiedene Aminosäuren, die für den Aufbau der Eiweiße verwendet werden. Sie enthalten jeweils eine Aminogruppe (–NH2) und eine Carboxylgruppe (COOH). Ihre Molekülstruktur ist dergestalt, dass sie in verschiedenen zueinander spiegelbildlichen Formen vorliegen können, den sogenannten Enantiomeren. Diese Moleküle unterscheiden sich nicht in der chemischen Zusammensetzung oder in der Formel, sie verhalten sich aber wie Spiegelbilder zueinander. Zur Veranschaulichung wird oft das Bild der rechten und linken Hand gebraucht, die nicht gleich, sondern wie Spiegelbilder zueinander aussehen. Die Moleküle unterscheiden sich in ihren physikalischen Eigenschaften, der optischen Aktivität,voneinander. Das bedeutet, dass sie die Polarisationsebene von linear polarisiertem Licht nach links oder rechts drehen. Man bezeichnet sie dann als linksdrehend oder rechtsdrehend. Oft unterscheiden sich die enantiomeren Moleküle vor allem in ihrer Wirkung deutlich voneinande Viele Enzymreaktionen sind auf ein Enantiomer, entweder das linksdrehende oder das rechtsdrehende, spezialisiert. Sowohl in der Lebensmittelindustrie als auch in der Futtermittelindustrie werden Aminosäuren, die wichtigsten Proteinbausteine, als Nahrungsergänzung zugesetzt. Alle natürlich vorkommenden Aminosäuren können inzwischen mit Fermentationstechniken mit Hilfe von Enzymen hergestellt werden. Fast alle Aminosäuren in Lebewesen sind linksdrehend (L-Form). Ein Beispiel für die Nahrungsergänzung ist die biotechnologische Produktion von L-Glutaminsäure, die als Geschmacksverstärker in Form von Mono-Sodium-Glutamat verwendet wird. Die weltweite biotechnologische Produktion von L-Glutaminsäure liegt bei mehr als einer Million Tonnen pro Jahr. Ein weiteres Beispiel ist L-Lysin, das vor allem als Futtermitteladditiv in großem Maßstab biotechnologisch produziert wird (350.000 t/a). 17 der beiden spiegelbildlich zueinander symmetrischen Moleküle herzustellen (siehe auch Kapitel Biokatalyse und Fermentation: Enzyme). Nur die L-Form wird benötigt, da nur diese für die Aspartam-Synthese geeignet ist. Die beiden Hauptbestandteile des Aspartams, die Aminosäuren L-Asparaginsäure und L-Phenylalanin, können fermentativ produziert werden. Durch das Enzym Thermolysin können die beiden Aminosäuren zu einem Dipeptid verbunden werden, das über weitere chemische Reaktionsschritte zu dem Methylester des Dipeptids, dem Aspartam, modifiziert wird. Low-fat Eis Der Nutzen für den Verbraucher wird auch bei der Herstellung von Speiseeis mit Typ-III-Eis-strukturierendem Protein deutlich. Das Eis-strukturierende Protein kommt in der Natur im Blut des Polardorsches (Macrozoarces americanus) und anderen Tieren und Pflanzen vor, die in extremer Kälte leben. Die Eisstrukturierenden Proteine schützen vor Gewebeschäden durch Eiskristalle, indem sie die Temperaturgrenze herabsetzen, bei der sich die Eiskristalle bilden. Die Verwendung dieser Proteine bei der Herstellung von Speiseeis ermöglicht die Reduzierung von Sahne und Fetten. Die Proteine werden biotechnologisch in Hefe produziert und seit drei Jahren in den USA beispielsweise zur Produktion von low-fat Eis verwendet. Aspartam Bei der Aspartam-Produktion werden ebenfalls fermentativ hergestellte Aminosäuren verwendet. Aspartam ist ein künstlicher Süßstoff, der 200mal süßer schmeckt als Zucker, er hat einen Energiegehalt von 410 kcal auf 100 g, etwa soviel wie Zucker. Aufgrund seiner höheren Süßkraft, wird der Stoff jedoch in viel geringeren Mengen eingesetzt, so dass mit Aspartam gesüßte Lebensmittel in der Regel einen erheblich niedrigeren Energiegehalt haben als zuckerhaltige. Aspartam wird vor allem für diätische Lebensmittel verwendet (z. B. Light-Getränke) und derzeit weltweit in einer Menge von etwa 15.000 t/a hergestellt. Der Jahresumsatz beträgt schätzungsweise 850 Mio. Euro. Die chemische Synthese von Aspartam wird zunehmend auf biotechnologische Verfahrensschritte umgestellt. Im Gegensatz zur chemischen Synthese der Aminosäurebausteine ist es mit biotechnologischen Verfahren möglich, durch die Enantiomerenselektivität der eingesetzten Biokatalysatoren nur eines Polardorsch (Macrozoarces americanus)