G N TB E 3 RT ZE IFIZIE Punkte R Ulcus cruris – Prophylaxen FO PflegeKolleg RT ILDU Teil 1 Ulcus cruris: Die Krankheit verstehen Selbstpflegekompetenz entwickeln Teil 2 Physikalische Thromboseprohylaxe Wassertreten, Taulaufen und Schwimmen Teil 3 Varizen: Nur eine Frage der Schönheit? Entstehung und Therapie © iStockphoto/Thinkstock Zertifizierte Fortbildung in Zusammenarbeit mit Heilberufe / Das Pflegemagazin 2012; 64 (7-8) 49 PflegeKolleg Ulcus cruris – Prophylaxe Selbstpflegekompetenz entwickeln Ulcus cruris: Die Krankheit verstehen Menschen mit chronischen Wunden leiden nicht nur unter der Wunde. Vielmehr sind es die Einschränkungen im Alltag, mit denen die Betroffenen zu kämpfen haben. Professionelle Klientenedukation ermöglicht Klienten, die Ursachen ihrer Krankheit zu erkennen, die Therapie zu verstehen und möglichst selbstständig zu leben. Kommunikation Selbstpflegekompetenz Wundheilung Adhärenz Rezidiv F ür viele Klienten sind die wund- und therapiebedingten Einschränkungen schwerer zu ertragen als die Wunde selbst. Sie leiden unter den Schmerzen, dem Geruch, der Exsudatbelastung, den Einschränkungen in der Bewegung und Mobilität, unter Juckreiz und Schlafstörungen. Auch die Abhängigkeit von Anderen, die Selbstwahrnehmung und das damit verbundene Schamgefühl schmälern die Lebensqualität. Insbesondere leiden betroffene Menschen mit Ulcus cruris venosum unter der Schwellung ihrer Beine und der notwendigen Kompression, die sie bei der Wahl ihrer Kleider und Schuhe einschränken. Sozialer Rückzug bis hin zur Depressionen können die Folge sein. Klientenedukation ist Aufgabe der Pflege Die Betroffenen kennen die Ursache der Erkrankung häufig nicht. Die Behandlung der Grunderkrankung, wie beispielsweise das Tragen einer Kompression mit der dazugehörigen Bewegung bei der chronisch venösen Insuffizienz (CVI), wird aufgrund mangelnden Wissens und subjektiver Symptome, wie „die Kompression ist unbequem“, oft vernachlässigt. Die Klienten fühlen sich im therapeutischen Team nicht wahrgenommen. Das Erleben von Rückschlägen während der Behandlung oder die Entwicklung eines Rezidivs führen zu Gefühlen wie Machtlosigkeit, Hilflosigkeit und Kontrollverlust. Im Verlauf des Krankheitsgeschehens entwickeln Klienten dann eigene Strategien, mit der Krankheit und den damit verbundenen Einschränkungen umzugehen, sie werden zu Experten ihrer Krankheit, kennen die Reaktion ihres Körpers und sammeln eigene Erfahrungen. Die Bedürfnisse der Klienten sind individuell verschieden. Das bedarf auch einer individuellen Auseinandersetzung mit dem Klienten. 50 Heilberufe / Das Pflegemagazin 2012; 64 (7-8) © DOI: 10.1007/s00058-012-0719-z KEYWORDS Pflegefachkräfte haben in diesem Zusammenhang die Aufgabe, den Klienten im Umgang mit ihrer Erkrankung zu unterstützen, ihm zu ermöglichen, den Alltag selbstbestimmt und selbstständig zu bewältigen. Richtiges Verhalten, das die Wundheilung fördert und Einschränkungen minimiert, setzt spezielle Kenntnisse voraus. Der Betroffene benötigt relevante Informationen und muss bestimmte Fertigkeiten erlernen. Er muss Selbstpflegekompetenz erlangen. Einheitliches Vorgehen schafft Vertrauen Klienten zu beraten, Fragen zu beantworten oder anleitende Tätigkeiten gehören zu den täglichen Aufgaben einer Pflegefachkraft. Kein anderer Beruf eignet sich besser für diese Aufgabe. Jedoch findet Klientenedukatio meist eher unstrukturiert und im Zuge anderer Tätigkeiten statt, z.B. während des Verbandwechsels. Dementsprechend erfolgt sie in den meisten Fällen nicht einheitlich, sondern intuitiv. Geben Pflegefachkräfte unterschiedliche Informationen oder Handlungsanweisungen, führt das häufig zu einer Verunsicherung des Klienten. Damit sich Pflegefachkräfte auf den Klienten einlassen können, ist es wichtig, dass eine vertrauensbildende und beschützte Gesprächssituation geschaffen wird. Die Dokumentation dieses Gespräches ist zwingend notwendig, damit der Klient keine widersprüchlichen Empfehlungen erhält. Kommunikative Kompetenz bei Pflegefachkräften ist von zentraler Bedeutung. Keine pflegerische Handlung, kein Verbandwechsel ist ohne Kommunikation möglich. Pflegefachkräfte sollten die Laiensprache des Klienten entsprechend berücksichtigen. Medizinische oder pflegerische Fachsprache muss in diesem Kontext für den Klienten entsprechend übersetzt werden. Ziel und Inhalte definieren Übergeordnetes Ziel der Klientenedukation ist es, die Adhärenz gegenüber der Therapie zu steigern und den Klienten zu befähigen, Entscheidungen selbstbestimmt zu treffen, um beispielsweise unter Abwägung von Vor- und Nachteilen beurteilen zu können, ob eine Therapie sachgerecht ist. Deshalb benötigt er Informationen (gezielte Mitteilungen), Schulung (Vermittlung von Wissen/Fertigkeiten), Beratung (Thematisierung eines Problems im Gespräch zwischen Klient und Pflegefachkraft) und Anleitung beim Erlangen praktischer Fertigkeiten. Dabei geht es auch immer darum, soziale Kompetenzen und Ressourcen zu stärken. Klienten haben eine individuelle Biografie und ganz unterschiedliche Erfahrungen. Die persönlichen Vorkenntnisse des Einzelnen, seine Beziehungen und Emotionen müssen beachtet werden. Dabei ist die Pflegefachkraft gefordert, die Erfahrungen des Klienten und seine Krankheitsgeschichte zu reflektieren und die Therapie unter diesem Aspekt auf Effektivität zu überprüfen. Dabei wendet sie ihr eigenes Wissen, ihre Qualifikation und Erfahrung an. Im Expertenstandard „Pflege von Menschen mit chronischen Wunden“ wird gefordert, dass Pflegekräfte über Wissen zur Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie verfügen und, wenn notwendig, eine Pflegefachkraft mit Zusatzqualifikation (zertifizierte Wundassistenten oder zertifizierte Wundtherapeuten) hinzu zu ziehen. Tipps für die Schulung Lebensqualität erfassen Mit dem Selbsteinschätzungsinstrument „Würzburger Wundscore“ erfassen Sie Antworten auf diese Fragen: ▶▶Haben Sie Schmerzen im Bereich der Wunde? ▶▶Wie stark stört Sie Wundflüssigkeit und Geruch? ▶▶Ist der Nachtschlaf durch die Wunde eingeschränkt? ▶▶Hat Ihre Wunde den Kontakt zu Freunden und Verwandten eingeschränkt? ▶▶Empfinden Sie sich wegen Ihrer Wunde als krank? ▶▶Fühlen Sie sich im Vergleich zu Gesunden auf© Comstock/Thinkstock grund Ihrer Wunde behindert? ▶▶Wie leiden Sie unter Ihrer Wunde? ▶▶Sind Sie davon überzeugt, dass Ihre Wunde zuheilen wird? Heilberufe / Das Pflegemagazin 2012; 64 (7-8) Einen günstigen Zeitpunkt auswählen. Der richtige Zeitpunkt kann gegeben sein, wenn der Klient eine Frage stellt oder seine Äußerungen einen Gesprächswunsch implizieren (z.B. „das hatte ich gestern auch“). Jede Frage sollte geklärt werden. Begründen Sie, warum eine Maßnahme notwendig ist. Wissen überprüfen. Eruieren Sie vorhandenes Wissen (was weiß der Klient über seine Wunde? Was hat er bisher getan, damit die Wunde heilt?). Dokumentieren Sie das vorhandene Wissen, um dann nach und nach die Wissenslücken zu schließen. Überfordern sie den Klienten nicht mit zu viel Wissen auf einmal. Fordern Sie ihn auf, von seiner Krankheitsverarbeitung und Krankheitserfahrung zu erzählen. Geben Sie ihm Sicherheit, wenn eine beschriebene Handlung gut ist oder begründen Sie ihm gegenüber, warum sich diese Handlung eher ungünstig auswirken könnte. Erfassen Sie immer die individuelle Problemlage im Rahmen der pflegerischen Anamnese. Dafür können Sie verschiedene Instrumente zur Erfassung (Assessmentinstrumente) einsetzen. 51 PflegeKolleg Ulcus cruris – Prophylaxe DAS SOLLTEN PATIENTEN WISSEN Kompression ▶▶Kompressionstherapie, individuell auf den Klienten zugeschnitten, muss konsequent durchgeführt werden. ▶▶Es gibt verschiedene A nziehhilfen, die man ausprobieren sollte. ▶▶Kompressionsware muss korrekt gewaschen und getrocknet werden. ▶▶Kompressionsware wird turnusmäßig gewechselt (alle sechs Monate Rezeptanforderung empfehlenswert und abrechenbar). ▶▶Sitz und Qualität der Kompressionsstrümpfe sollte mindestens alle sechs Monate überprüft werden. Tipp: Bei hohen Temperaturen kann ein wenig Pfefferminzöl mit Wasser gemischt und über die Kompression gesprüht werden. Dafür muss die Haut intakt sein. Wund- und Schmerztherapie ▶▶Medikamente mussen vorschriftsmäßig eingenommen werden. ▶▶Lokale allergische Reaktionen (TOP TEN); erhöhtes Sensibilisierungsrisi- ko gegen extern angewendete Substanzen testen, ggf. Epicutantestung (Allergietest) und Auseinandersetzung mit externen Therapeutika. Gehtraining/Sport ▶▶Intensives kontrolliertes Gehtraining unterstützt die Kompression. ▶▶Krankengymnastische Therapie erhält die Sprunggelenksbeweglichkeit. Kleidung ▶▶Strümpfe mit weiten Bündchen aus Baumwolle (keine Nylonsocken) auswählen. ▶▶Enge Kleidung vermeiden (Verzicht auf enge Miederbündchen). ▶▶Tragen von luftdurchlässigen weiteren Schuhen. ▶▶Verbergen des Verbandes durch weite Hosen, dunkle Strümpfe (wenn der Klient nicht angesprochen werden möchte oder sich schämt). Körperpflege ▶▶Zum Baden besser kühleres Wasser verwenden (gut ist auch kaltes Abbrausen der Beine nach dem Bad) und nicht zu lange baden, um ein Aufweichen der Haut zu vermeiden. Kompressionsstrümpfe anzuziehen ist nicht einfach. Oft ermöglichen erst Anziehhilfen, die Strümpfe selbstständig zu wechseln und autonom zu leben. Lehrmittel, Anschauungsmaterial und Umgebung. Überlegen Sie, welche Materialien Sie bei den einzelnen Klienten zur Wissensvermittlung einsetzten können (kann der Klient lesen, kann er eine Klientenbroschüre selbst durcharbeiten?). Unruhe oder Lärm können stören und lenken ab. Auch besondere Ereignisse können die Konzentration und Aufnahmefähigkeit einschränken. Möglichkeiten und Grenzen der Klientenedukation Im besten Fall bewirkt eine gezielte Edukation eine Steigerung der Selbstpflegekompetenz, die es dem Klienten ermöglicht, eigene Entscheidungen zu treffen und sein Verhalten so anzupassen, dass seine Lebensqualität gesteigert, die Wundheilung gefördert und Rückfällen vorgebeugt werden kann. Doch nicht immer verbinden Klienten damit etwas Positives. So kann es vorkommen, dass aus der Sicht der Betroffenen die negativen Folgen überwiegen. Sie haben Angst, ihren Anspruch auf Pflegeleistungen oder Pflegegeld zu verlieren, wenn sie selbstständiger werden. Oder sie befürchten den Verlust von sozialen Kontakten, weil die Pflegefachkraft seltener zu ihnen nach Hause kommt. Vor dem Hintergrund der Äng- ▶▶Haut gut abtrocknen und Hautkontrolle. ▶▶Tägliche Hautpflege mit einer W/Ö Emulsion, ggf. mit einer Hautfeuchtigkeit (Urea 5%). Sonstige Hinweise Heilberufe KONGRESSE 10. Gesundheitspflege-Kongress ▶▶Langes Stehen oder Sitzen vermeiden. Auf dem 10. Gesundheitspflege-Kongress, der am 26. und 27. Oktober 2012 in Hamburg stattfindet, stehen die Thromboseprophylaxe und Neue Methoden zur Versorgung chronischer Wunden im Mittelpunkt von Workshops. ▶▶ Heben von Lasten vermeiden (Einkaufstaschen, Wäschekörbe, Getränkekisten). ▶▶Bei Juckreiz vorsichtig reiben, nicht kratzen, damit die Haut nicht auf- © Kerstin Protz ▶▶Stöße vermeiden (Blutungsgefahr). reißen kann. www.heilberufe-kongresse.de 52 Heilberufe / Das Pflegemagazin 2012; 64 (7-8) ste und Sorgen der Klienten ist es auch nicht verwunderlich, dass es ihnen mitunter an Adhärenz mangelt. Pflegefachkräfte sollten sich daher für diese Probleme sensibilisieren und sie gemeinsam mit dem Klienten thematisieren. Auch hier kommt es auf die richtige Information und Beratung an, um dem Klienten die positive Seite der Therapiebeteiligung näher zu bringen. Gegebenenfalls kann die Vermittlung an eine Selbsthilfegruppe notwendig sein. FA ZIT FÜR DIE PFLEGE ▶▶Eine möglichst hohe Selbstständigkeit, Entschei- dungsfähigkeit und Autonomie des Klienten muss übergeordnetes Ziel der Pflege sein. Bei Menschen mit chronischen Wunden bedeutet das, mit den zahlreichen Einschränkungen, die die Krankheit mit sich bringt, umgehen zu lernen, die Lebensqualität zu steigern sowie durch adäquates Verhalten die Wundheilung zu fördern und Rezidiven vorzubeugen. ▶▶Die Betroffenen benötigen die richtigen Informa- tionen, Beratung oder Anleitung bei praktischen Handlungen. Dieses zu vermitteln ist die Aufgabe der Pflegefachkraft. Im Rahmen einer gezielten und individuellen Patientenedukation informiert und berät sie den Klienten oder vermittelt ihm spezielle Fertigkeiten. ▶▶Damit die Klientenedukation wirksam werden kann, muss sie als eigenständige Aufgabe ge­ plant, durchgeführt und dokumentiert werden. Entsprechende Instrumente können bei der Umsetzung helfen. Gonda Bauernfeind Pflegedienstleiterin, RbP; Mitglied der DNQP Expertenarbeitsgruppe „Pflege von Menschen mit chronischen Wunden“, Leitung AG-Pflegeentwicklung DGfW Mühlenstr. 1, 57577 Hamm/Sieg WTcert®DGfW (Pflege) [email protected] Steve Strupeit Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der HAW Hamburg, Diplom-Pflegewirt (FH), BA, WTcert®DGfW (Pflege) Alexanderstr. 1, 20099 Hamburg [email protected] Arne Buss Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der HAW Hamburg, BA Pflegewissenschaft (FH), WAcert®DGfW (Pflege) Alexanderstr. 1, 20099 Hamburg [email protected] Heilberufe / Das Pflegemagazin 2012; 64 (7-8) MEIN 1. MAL Tropf, tropf, tropf ... In meinem zweiten Lehrjahr stand der Einsatz in der ambulanten Pflege an. Es klang interessant, Menschen endlich einmal in ihrer gewohnten Umgebung zu pflegen. In einer Umgebung, die ihnen vertraut ist und in der sie sich wohlfühlen. Diese Gedanken bestätigten sich in den ersten Tagen meines Einsatzes auch: Die Klienten schienen sich in ihrer häuslichen Atmosphäre wohl zu fühlen und freuten sich über die Besuche und die Hilfe des Pflegedienstes. Das war mal etwas ganz anderes als im Krankenhaus! Wie in der Theorie bereits gelernt, bedeutet ambulante Pflege auch, dass die Klienten selbst bestimmen, wo und wann die nötigen Pflegemaßnahmen durchgeführt werden. Was das bedeuten kann, hat mir ein Erlebnis – leider negativ – verdeutlicht. Eine Klientin, die von uns betreut wurde, litt schon seit einigen Monaten an einem Ulcus cruris des linken Unterschenkels. Trotz aller pflegerischen und ärztlichen Behandlungsmaßnahmen umfasste das Ulcus den gesamten Unterschenkel. Aufgrund massiver Exsudatmengen musste der Verbandswechsel täglich durchgeführt werden. Den ersten Verbandswechsel bei der Klientin werde ich wohl nie vergessen: Wir hatten uns mit ihr abgesprochen und wollten nach dem Mittagessen den Verband erneuern. Sie saß im Wohnzimmer und schaute fern. Als wir die Wohnung betraten, begrüßte sie uns und verkündete, dass sie gern weiterhin in ihrem Sessel sitzen bleiben wolle, während wir den Verband wechseln. Das Wohnzimmer war zugleich auch Esszimmer und es gab eine kleine Küche, die sich in einer Ecke des Zimmers befand. Der Raum war groß und komplett mit Teppich ausgelegt, der jedoch schon ziemlich fleckig und abgelaufen aussah. Verbandswechsel auf dem Hocker Da ich die Wunde der Klientin noch nie gesehen hatte, ging ich davon aus, dass für diesen Verbandswechsel eine keimarme Einmalunterlage reichen würde. Allerdings sind ja auch die pflegerischen Materialien in der häuslichen Pflege knapp bemessen. Die Klientin legte also ihr betroffenes Bein ohne Unterlage auf einen Sofahocker. Meine Anleiterin entfernte sorgsam und schmerzarm den alten Verband. Ein unangenehmer Geruch stieg von den alten Verbandsmaterialien auf, die Geruchslast wurde mit jeder abgewickelten Runde extremer. Der Verband war in den unteren Schichten komplett mit Exsudat durchfeuchtet. Einiges davon lief direkt auf den Polsterhocker, der Rest tröpfelte langsam auf den Wohnzimmerteppich. Ich schaute durch das Zimmer, um mich abzulenken, denn das hatte in der Vergangenheit immer ganz gut funktioniert. Mein Blick schweifte durch den Raum, über den fleckigen Teppich, und plötzlich überkam mich eine Welle des Ekels. Alle Flecken waren in meiner Vorstellung nur noch altes eingetrocknetes Exsudat, und ich wünschte mir sehnlichst, einen ausreichenden Abstand zwischen meinen Schuhen und diesem abstoßenden Bodenbelag bringen zu können. Ich hatte Gänsehaut am ganzen Körper und ein kloßartiges Gefühl im Hals. Natürlich wollte ich der Klientin nicht zeigen, wie sehr mich diese Situation ekelte. Ich wollte ja respektvoll wirken. Standhaft habe ich also den Verbandswechsel durchgehalten und war überaus froh, als wir die Wohnung wieder verlassen konnten. Mehr Details möchte ich den Lesern lieber nicht zumuten, und auch ich erinnere mich nicht gern daran. In meinem Kopf stellte sich permanent die gleiche Frage: „Wie kann sie denn an diesem Tisch noch Abendbrot essen?“ Sarah Gründemann 53 PflegeKolleg Ulcus cruris – Prophylaxe Wassertreten, Taulaufen und Schwimmen Physikalische Thromboseprophylaxe Venengymnastik, entstauende Lagerung oder eine Hydrotherapie gehören zu den aktiven Möglichkeiten, um venösen Venen­ beschwerden vorzubeugen oder bestehende Beschwerden zu lindern. Barbara Sporer erklärt, welche Maßnahmen durchzuführen sind. D Kneippsche Anwendungen lassen sich ohne großen Aufwand auch im häuslichen Umfeld durchführen. Aktivierung der Muskelpumpe Die Aktivierung der Muskelpumpe in der Beinmuskulatur stimuliert den venösen und lymphatischen Rückfluss. Ist die Beweglichkeit am Sprunggelenk reduziert oder fällt die Wadenmuskulatur aus, kann die Muskelpumpe nur eingeschränkt funktionieren. Dann kann auch eine Kompressionstherapie ineffektiv werden. Deshalb ist es sinnvoll, täglich mindestens 30 Minuten Fußgymnastik zur Förderung und Aktivierung der Muskelpumpe bzw. der Sprunggelenksbeweglichkeit durchzuführen. Ein einfaches Auf- und Abbewegen der Füße und das Rotieren des Fußgelenkes können auch sehr betagte, in ihrer Mobilität eingeschränkte Menschen noch gut durchführen. Übungen zur Aktivierung der Muskelpumpe können im Liegen, Stehen oder Sitzen durchgeführt werden. Auch ein regelmäßiges Gehtraining unter eine Kompressionstherapie bewirkt eine Aktivierung der Muskelpumpe und hilft, eine Versteifung der Sprunggelenke zu vermeiden. Temporär wirksam: Entstauende Lagerung Diese effektive aber nur temporär wirkende Maßnahme lässt sich leicht durchführen. Die Beine werden mehrmals am Tag für wenige Minuten in einem Winkel von 20–30 Grad hochgelagert, um den Rückfluss des Blutstroms zu verbessern. Achtung: Die Beine dürfen nicht zu hoch gelagert werden, da die Leistengefäße sonst abgeknickt und der Abfluss behindert werden würde. Bei ausgeprägter Herzinsuffizienz sollte keine Hochlagerung erfolgen. 54 Hydrotherapie beugt vor Verschiedene Hydroanwendungen fördern den venösen Abfluss. Wechselbäder und tägliches Abduschen der Beine mit kaltem Wasser, Kneippsche Güsse oder Wassertreten können ohne großen Aufwand durchgeführt werden. Der kalte Wasserguss nach Kneipp ist die wirksamste Maßnahme. Dabei wird das kühle, aber nicht eiskalte Wasser von unten nach oben bis etwa zur Mitte der Oberschenkel gegossen. Die Dauer kann von anfangs einer halben Minute auf bis zu drei Minuten gesteigert werden. Der Guss wirkt durchblutungsfördernd, entstauend, tonisierend und kräftigend auf die Venen. Zum Wassertreten füllt man die Badewanne oder eine Plastikwanne mit rutschfester Einlage bis eine Handbreit unter die Kniekehle mit leitungskaltem Wasser. Der Patient tritt nun auf der Stelle und hebt bei jedem Schritt das Bein völlig aus dem Wasser. Diese Anwendung aktiviert die Muskelpumpe. Das wiederum fördert die Durchblutung und kräftigt die Venen. Bei beiden Anwendungen sollten die Füße im Anschluss mit warmen Socken und Gymnastik oder Gehen solange bewegt werden, bis wieder ein angenehmes Wärmegefühl erreicht wird. Auch das Laufen durch taunasses Gras fördert die Durchblutung und wirkt sich positiv auf die Venentätigkeit aus. Achtung: Leidet der Patient an Diabetes mellitus, ist Barfußlaufen kontrainduziert. Eine Absprache mit dem behandelten Arzt ist unbedingt notwendig. Heilberufe / Das Pflegemagazin 2012; 64 (7-8) © Ellen Valentin/fotolia.com; creAtive/fotolia.com DOI: 10.1007/s00058-012-0720-6 ie Fließgeschwindigkeit des Blutes in den Venen der Beine und des Beckens kann durch geeignete pflegerische und physikalische Maßnahmen gefördert werden. Besonders hilfreich ist die gezielte Kräftigung der Beinmuskulatur, um die Muskelpumpe zu stärken und den aktiven Blutrücktransport aus Venen zu fördern. KEYWORDS Venengymnastik Hydrotherapie Entstauende Lagerung Hautpflege Wittener Aktivitätenkatalog Schwimmen ist ebenso zu empfehlen. Bei Wasser- temperaturen bis 25°C besitzt es eine ähnlich positive Wirkung wie kalte Güsse. Durch den Wasserdruck erfolgt zusätzlich noch eine ideal angepasste Kompression. Diese Form der Hydrotherapie ist bei offenem Ulcus cruris nicht anwendbar. Auch andere medizinische Gründe können dagegen sprechen. Die Vorteile einer Bewegungstherapie bei höheren Wassertemperaturen sind noch strittig. Bis 29°C Wassertemperatur gilt sie als weitgehend positiv, da die Haut noch Wärme ans Wasser abgibt. Die Verträglichkeit des warmen Wassers hängt jedoch auch vom Stadium der chronisch venösen Insuffizienz ab und sollte mit dem Arzt abgeklärt werden. Heiße Bäder, direkte Sonneneinstrahlung und Wärmflaschenbenutzung sollten dagegen gänzlich vermieden werden. derlichen Kompressionsklasse. Die Strümpfe müssen sehr genau angepasst werden, um einen hohen Nutzen zu erreichen. Erfahrungsgemäß akzeptieren viele Patienten ihre Strumpfversorgung nicht, da sie unzureichend über die Notwendigkeit der Kompressionstherapie informiert sind. Fragt man nach, warum die Strümpfe nicht getragen werden, wird oft über Drücken und Schmerzen beim Laufen oder über Schwierigkeiten beim Anziehen geklagt. Bei bestehenden Wunden ist es jedoch leichter, individuelle Kompressionsverbände anzulegen. Für immobile Patienten ist eine Apparative Intermittierende Kompression (AIK) geeignet. Um den des Abflusses aus dem Lymphsystem zu sichern, sollte eine manuelle Lymphdrainage durch einen Lymphtherapeuten erfolgen. Kompression ist die Basis Eine gute Kompressionstherapie entscheidet maßgeblich über den Heilungsverlauf bei einem Ulcus cruris, ganz gleich in welchem Stadium einer chronisch venösen Insuffizienz sich der Patient befindet. Gute Beherrschung der Anlagetechnik und Kenntnisse über die benötigten Materialen sind allerdings die Voraussetzung, um eine effektive Kompressionstherapie durchführen zu können. Außerdem müssen die Betroffenen von Anfang an über die Wichtigkeit der Kompressionstherapie aufgeklärt und in die Therapie einbezogen werden. Die einfachste Möglichkeit eine Kompression der Beinvenen zu erreichen, ist das individuelle Anpassen eines medizinischen Strumpfes der jeweiligen erfor- Schuhe müssen passen Ungeeignetes Schuhwerk ist ein großes Hindernis für die Therapie. Deshalb benötigen Patienten angepasstes Schuhwerk mit möglichst flacher Sohle. Auch die Schuhgröße muss ausreichend sein, um Druckstellen am Fuß zu vermeiden. Vor allem bei Mehrlagenkompression ist die normale Schuhgröße meist nicht mehr ausreichend. Pflegende dürfen sich nicht darauf verlassen, dass der Patient Druck spürt, da bei neuropatisch veränderten Füßen kein Schmerzempfinden vorhanden ist. Über diese aus Wahrnehmungsstörungen resultierenden Gefahren müssen die Patienten unterrichtet werden. Egal zu welcher Jahreszeit, festes Schuhwerk ist unverzichtbar für den Therapieerfolg. Heilberufe / Das Pflegemagazin 2012; 64 (7-8) Gut passendes, festes Schuhwerk ist unverzichtbar für den Therapieerfolg. 55 PflegeKolleg Ulcus cruris – Prophylaxe WIT TENER AK TIVITÄTENK ATALO G Nach der Selbstpflegedefizit-Theorie von Dorothea Orem wird die geforderte Mitarbeit des Patienten als Selbstpflege bezeichnet. Dort, wo die Selbstpflegefähigkeit eingeschränkt ist, wird professionelle Pflege notwendig. Erfahrungsgemäß ist es nicht einfach, genau herauszufinden, welche Fähigkeiten, Ressourcen und Defizite Patienten aufweisen. Oft läuft die Behandlung nach dem Muster der Akutversorgung ab und orientiert sich nicht an den Bedürfnissen des Patienten. Die individuelle Planung von Maßnahmen erfordert zunächst eine umfangreiche Pflege­ anamnese: ▶▶Welche Vorstellungen hat der Patient von der Wunde? ▶▶Was denkt er über deren Ursache? ▶▶Welche Heilungsmöglichkeiten kennt er? ▶▶Wie spricht der Patient über seine Wunde? ▶▶Woher kommt die Wunde? ▶▶Wie geht der Patient mit den Einschränkungen durch die Wunde um? ▶▶Wie integriert der Patient pflegerische Maßnahmen in seinen Alltag? ▶▶Gibt es Möglichkeiten zur Erhaltung der gewohnten Aktivitäten? ▶▶Welche Beschwerden belasten besonders im Alltag? ▶▶Welche Einschränkungen durch die Wunde werden akzeptiert? Hautpflege nicht vergessen Der Patient sollte unbedingt von der Notwendigkeit der gesunden Hautflora und der Erhaltung der Elastizität überzeugt werden. Erfahrungsgemäß kümmern sich Patienten nur unzureichend um gefährdete Hautstellen und fördern so die Entstehung von Ulzera. Oft folgen sie veralteten Verhaltensregeln, wonach beispielweise Wasser auf Wunden verboten ist. Doch: Eine regelmäßige, schonende Hautreinigung sowie die Pflege der Wundumgebung mit verschiedenen Pflegecremes ist unerlässlich. Es gilt, den natürlichen Säureschutzmantel der Haut zu erhalten, am besten mit klarem Wasser, pH-neutralen WaschSyndets und schonenden Emulsionen. Zudem sind verschiedene hypoallergene Waschzusätze und Hautcremes auf dem Markt. Bewährt haben sich auch Cremes mit unterschiedlich hohen Urea-Anteilen, die die Stabilität der Haut fördern. Patienten sollten ihre Haut täglich kontrollieren und bei kleinsten Anzeichen einer Irritation eine geschulte Pflegefachkraft aufsuchen. Chronisch venöse Ulzera weisen eine sehr große Rezidivneigung auf. Deshalb muss bei der kleinsten Hautveränderungen sofort reagiert werden. Oft ist es für die Patienten schwer verständlich, dass sie auch nach der Akutbehandlung noch sehr viel Pflegeaufwand betreiben müssen, um eine dauerhafte Abheilung sicher zu stellen. Vielen ist nicht klar, wie schnell sich bei unzureichender Pflege eine erneute Wunde auftut. Ernährung unterstützt Heilung Eine ausgewogene Ernährung, die Zusammensetzung der Nahrung hinsichtlich Eiweißen, Vitaminen und Mineralstoffen dient in jedem Fall der Vorbeugung von Hautschäden und der Heilung. Nahrungsmittel, die Omega-3-Fettsäuren, Vitamin B6 und Folsäuren enthalten (Seefisch, Nüsse, Vollkornprodukte und Gemüse aller Art), sind besonders wertvoll. Da ein hohes Gewicht die Entstehung eines „offenen“ Beines fördern kann, muss das Erreichen des Normalgewichts ein Ziel für übergewichtige Patienten sein. Nicht vergessen werden darf aber, dass es Menschen gibt, die aus unterschiedlichen Gründen mangelernährt sind. Bedingt durch eine körperliche Behinderung können die Betroffene nicht einkaufen oder sich Essen zubereiten. Auch seelische und soziale Faktoren können den Appetit mindern. Schlechte Zähne oder eine mangelhafte Prothesenversorgung sind weitere Gründe für eine Mangelernährung. Doch auch ein normalgewichtiger Mensch kann einen Mangel an lebenswichtigen Nährstoffen aufweisen. Dadurch wird die Abwehr geschwächt und Wunden heilen langsamer oder gar nicht. Bei Hinweisen auf eine Mangel- oder Fehlernährung sollte unbedingt nach den Ursachen geforscht und diese wenn möglich behoben werden. Eine Nährstoffsubstitution (z.B. Trinknahrung) kann in Erwägung gezogen werden. Der Körper eines Erwachsenen besteht bis zu 70% aus Wasser. Er reagiert sehr empfindlich auf kleinste Veränderungen im Wasserhaushalt. Da das Durstgefühl im Alter abnimmt, muss unbedingt auf eine ausreichende Flüssigkeitsaufnahme geachtet werden. Bewährt hat sich ein Trinkplan, der für ältere Menschen individuell zusammengestellt werden sollte. FA ZIT FÜR DIE PFLEGE ▶▶Eine physikalische Thromboseprohylaxe beugt Venenbeschwerden vor oder lindert bestehende Beschwerden. ▶▶Kompression, gesunde Ernährung, entsprechende Kleidung und pas- sendes Schuhwerk, Hautpflege und temporäre Hochlagerung der Beine unterstützen die Heilung der Wunde. ▶▶Ohne die Mithilfe des Patienten ist es nicht möglich, einen Ulcus cruris erfolgreich zu behandeln. 56 Barbara Sporer Krankenschwester, Diabetesberaterin DDG, Wundexpertin ICW, Schwesternschaft Wallmenich-Haus vom BRK e.V. Klinikum St. Marien Mariahilfbergweg 7, 92224 Amberg [email protected] Heilberufe / Das Pflegemagazin 2012; 64 (7-8) Interview Über Venenleiden aufklären Petra Hager-Häusler, Geschäftsführerin der Deutschen Venen-Liga e.V., hat zahlreiche Tipps für die Betreuung Betroffener. Die Deutsche Venen-Liga e. V. wurde 1988 von Gustav Saam gegründet, dem aufgrund eines falsch behandelten Venenleidens eine Beinamputation drohte. Mittlerweile ist sie die größte Patientenorganisation im Bereich Venenerkrankungen Deutschlands, denn noch immer brauchen Betroffene Unterstützung. HEILBERUFE: Frau Hager-Häusler, was macht und wofür steht die Deutsche Venen-Liga? Hager-Häusler: Unsere Aufgabe ist, die Bevölkerung und Betroffene über die Risiken von Venenleiden, aber auch über Vorsorgemöglichkeiten, moderne und schonende Venen-Therapien zu informieren und aufzuklären. Es ist viel zu wenig bekannt, dass es bundesweit Phlebologen und spezialisierte Venenkliniken gibt. Das Highlight unserer Aktionen ist der Deutsche Venentag, die inzwischen bundesweit größte Aufklärungskampagne gegen die Volkskrankheit Krampfadern. Welche Fragen beschäftigen die Betroffenen? Hager-Häusler: Es erreichen uns jedes Jahr etwa 5.000 Anfragen per E-Mail oder Telefon. Eine wichtige Botschaft für alle ist, dass heute auch die schwersten Krampfaderbe­ funde minimalinvasiv operiert werden können. Für ältere Patienten oder Patienten mit Begleiterkrankungen ist das außerordentlich wichtig. Viele möchten aber einfach auch nur wissen, ob die Krankenkasse die Kosten übernimmt. Da Krampfadern nicht nur ein Makel, sondern eine ernstzunehmende Erkrankung sind, übernehmen die Kassen selbstverständlich die Kosten, ambulant und stationär. Auch Ärzte und Pflegekräfte, die nicht auf die Gefäßtherapie spezialisiert sind, haben Wissenslücken. Wo sehen Sie die größten Defizite in der Aufklärung über Venenerkrankungen? © Deutsche Venenliga Hager-Häusler: Durch die zunehmende medizinische Spezialisierung in fast allen Indikationsgebieten ist es Ärzten und Pflegekräften kaum möglich, sich in allen Bereichen auf dem Laufenden zu halten. Betroffene klagen oft darüber, dass ihr Arzt Krampfadern als harmloses kosmetisches Problem abtut. Das ist nicht unkritisch, denn die Therapie ist eine medizinisch notwendige Indikation. Die Betroffenen haben ein enorm hohes Thromboserisiko und aus jeder Thrombose kann eine tödliche Lungen­ embolie entstehen. Unbehandelt können Krampfadern zum Ulcus cruris führen. Aber auch dafür gibt es moderHeilberufe / Das Pflegemagazin 2012; 64 (7-8) ne und schonende medizinische Therapieangebote. Speziell Pflegekräfte werden oft mit chronischen Wunden an den Beinen ihrer Patienten konfrontiert. Sie sollten besonders darauf achten, dass rechtzeitig ein Gefäßspezialist hinzugezogen wird. Und welche neuen Ansätze in der Therapie gibt es? Hager-Häusler: Jede Menge. Bei der Krampfader-Operation ist der goldene Standard definitiv das Stripping. Dabei werden die erkrankten Venenabschnitte minimalinvasiv entfernt. Diese klassische Therapiemethode wurde in den letzten Jahren immer weiter verfeinert und perfektioniert. Die Ergebnisse sind – auch im internationalen Vergleich – absolut Spitze. Spezialisierte Venenzentren, die es in fast allen Bundesländern gibt, erreichen extrem gute Ergebnisse; das heißt: geringste Risiken für die Patienten und niedrigste Rezidivquoten. Viele Venenspezialisten bieten auch endoluminale Verfahren, wie Laser- oder Radiowellentherapie, an. Dabei wird die erkrankte Vene verschlossen und verbleibt im Körper. Über diese Behandlungsergebnisse gibt es noch keine ausreichenden wissenschaftlichen Langzeitstudien, deshalb übernehmen nicht alle Krankenkassen die Kosten. Was können Pflegekräfte den Patienten weitergeben, um deren Situation zu verbessern? Hager-Häusler: Mein Aufruf an alle Pflegekräfte: Unterstützen Sie Ihre Patienten bei der Suche nach einem Phlebologen, denn Krampfadern gehören in die Hand des Spezialisten. Ältere, bettlägerige Patienten mit einer chronischen Wunde leiden häufig an einem Ulcus cruris venosum. Sorgen Sie zur Abklärung für eine phlebologische (Sonographie-)Diagnostik. Wird die Ursache, also die Krampfadern, behandelt, verschwindet die offene Wunde meist von selbst. Aber denken Sie auch bei Ihren jungen Patienten an die Venen, denn schon 30% der 14-Jährigen sollen eine Venenschwäche haben. Die Deutsche VenenLiga ist ein gemeinnütziger Verein. Ihre Hauptaufgabe ist es, Patienten, behandelnden Ärzten und Krankenkassen neueste Informationen über moderne Behandlungsmöglichkeiten in Diagnostik und Therapie, Möglichkeiten der Vorsorge und Risikominimierung von Krampfadern, Besenreisern und weiteren Gefäßerkrankungen – auch im Rahmen Betrieblichen Gesundheitsmanagements – zu geben. www.venenliga.de Das Interview führte Josefine Baldauf 57 PflegeKolleg Ulcus cruris – Prophylaxe Entstehung und Therapie Varizen: Nur eine Frage der Schönheit? KEYWORDS Vena saphena magna/parva Thrombosegefahr Crossektomie Stripping Mobilisation Gesunde Venen Varizen 58 B ilden sich Krampfadern, weiten sich Venen des oberflächlichen Systems. Zu den Ursachen zählen eine angeborene Bindegewebsschwäche oder vorherige Erkrankungen der Venen. An vorderster Stelle ist aber die tiefe Venenthrombose zu nennen. Ist der Abfluss über das tiefe Venensystem gestört oder sogar unmöglich, sucht sich das Blut andere Wege. Das hat zur Folge, dass oberflächlich gelegene Venen geweitet werden, um mehr venöses Blut transportieren zu können. Die Bildung solcher Kollateralen ist zunächst natürlich sinnvoll, um den Rücktransport des venösen Blutes sicherzustellen. Weiten sich die Venen aber zu sehr, treffen sich die Klappensegel nicht mehr und das Blut pendelt zurück in die Peripherie beziehungsweise versackt. Das gleiche passiert, wenn die Venenklappen beginnend an den Mündungsklappen im Crossen-Bereich nicht mehr richtig schließen. Ist die erste Klappe defekt, steht die Blutsäule auf der nächsten – weiter distal gelegenen – Klappe. Kann diese der Belastung auf Dauer nicht standhalten, wird sie in der Folge ebenfalls insuffizient. Im Extremfall geht der Prozess so weit, dass die Stammvene des jeweiligen Systems – die Vena saphena magna oder die Vena saphena parva – bis zum Knöchel klappeninsuffizient und über die gesamte Strecke aufgeweitet sichtbar wird. Bei einem ausgedehnten Befund einer Varicosis erscheint das Bein, als würde es wie von einer Kletterrose umrankt – daher stammt ihr Name: Vena saphena magna/parva bedeutet große/kleine Rosenvene. Gefürchtete Spätfolgen Bei einem Krampfaderleiden besteht durch den Blutrückstau eine deutlich erhöhte Thrombosegefahr. Thrombosen des oberflächlichen Venensystems können auch – meist über die Crosse – in das tiefe Venensystem hineinwachsen und so eine lebensgefähr- liche Lungenembolie verursachen. Die Patienten berichten oft von einem Spannungs- oder Schweregefühl in den Beinen. Häufig kann man eine Schwellung, besonders des Knöchels nach längerem Stehen, feststellen. Im Laufe der Erkrankung kommt es nicht selten zu rezidivierenden schmerzhaften Entzündungen der betroffenen Venen - einer Thrombophlebitis. Die gefürchtete Spätfolge aller chronischen Venenerkrankungen – und somit auch der Varicosis – ist das Ulcus cruris. Therapeutische Methoden Die Therapie des Krampfaderleidens hat eine lange Tradition. So gab es bereits im 17. und 18. Jahrhundert Versuche, die betroffenen Venen zu unterbinden. Crossektomie. Seit etwa 100 Jahren ist die Crossek- tomie bekannt, die heute zumeist kombiniert mit einem Stripping der Stammvene erfolgt. Hierbei werden über einen circa 3 cm langen Hautschnitt in der Leistenbeuge alle einmündenden Venen des so genannten Venensterns abgesetzt. Anschließend wird auch die Vena saphena magna auf Höhe der Mündungsklappe in die tiefe Vene abgesetzt und die tiefe Vene so vernäht, dass möglichst weder ein Stumpf bestehen bleibt noch eine Einziehung der tiefen Vene resultiert. Anschließend wird in der Regel die betroffene Stammvene – also die Vena saphena – entfernt. Hierzu gibt es verschiedene Techniken. Stripping mit der Babcock- oder Nabatow-Sonde. Schon länger bekannt ist das Stripping mit der Babcock- oder Nabatow-Sonde, wobei die Vene über einen kleinen Hautschnitt am Knöchel aufgesucht, von distal aus sondiert und dann in Richtung Leiste gestrippt wird. Stripping mit dem PIN-Stripper. Neuer und scho- nender ist das invertierende Stripping mit dem PINStripper. Bei dieser Methode wird die Vene von der Leiste aus (also über den Crossektomieschnitt) aufgesucht und von proximal nach distal nur bis auf Höhe des Knies sondiert. Hier wird die Sonde über einen Hautschnitt von etwa 3 mm ausgeleitet und die Vene von proximal nach distal gestrippt. Die Vene wurde vorher in der Leiste an das Sondenende genäht, so dass beim Stripping die Vene „auf links“ gedreht wird. Dadurch rollt sich die Intima der abgerissenen Seitenäste ein und es kommt zu einer deutlich geringeren Hämatombildung. Die einzelnen Seitenäste, Heilberufe / Das Pflegemagazin 2012; 64 (7-8) DOI: 10.1007/s00058-012-0721-5 © bilderzwerg/fotolia.com Krampfadern haben nichts mit „Krampf“ zu tun. Der Begriff leitet sich von „Krummader“ ab. Bei manchen Patienten ziehen sich die „krummen Adern“ als Knötchen und Stränge über die Beine. Das, was Betroffene erst nur aus kosmetischer Sicht stört, kann jedoch handfeste, nicht zu unterschätzende Folgen haben und im schlimmsten Fall zu einem Ulcus cruris oder einer Lungenembolie führen. die die Patienten häufig als kosmetisch störender empfinden als die Varicosis der Stammvene, werden über kleine Stichinzisionen herausgerissen. Andere Verfahren. Wirksam – wenngleich hierzu entsprechende Langzeitergebnisse fehlen – sind die Verfahren, bei denen die Vene jeweils von distal aus aufgesucht, eine Sonde eingeführt und bis zur Crosse – also bis zur Einmündung in die tiefe Vene – vorgeschoben wird. Je nach Methode wird die Innenwand der Vene über die eingebrachte Sonde so gereizt, dass eine lokale Entzündung entsteht. In der Folge verklebt die Venenwand und das Lumen wird nicht mehr durchflossen. Dies ist möglich mittels Laser, Radiofrequenztherapie oder mit Verödungsmitteln. Pflegen nach Varizen-OP Pflegende sind oft erste Ansprechpartner, nicht nur für die Patienten, sondern auch für andere Berufsgruppen. Der Dialog mit dem Patienten ist deshalb ebenso wichtig wie der Dialog zwischen Pflegenden und Ärzten. Nur so können Probleme frühzeitig erkannt werden. Aus Sicht der Pflege betrachtet lassen sich Varikosispatienten in zwei Gruppen einteilen: Patienten, die aufgrund des Krampfaderleidens oder zusätzlicher Erkrankungen deutlich hilfebedürftig sind. Und Patienten, die, auch wenn sie an einer schweren Varikosis leiden, nicht als schwerkrank im pflegerischen Sinne anzusehen sind. Hilfebedürftige Patienten Hilfebedürftige Patienten dürfen nicht mit der Begründung, es handle sich nur um Krampfaderpatienten, als nicht pflegebedürftig eingestuft werden. Benötigt ein Mensch pflegerische Unterstützung, braucht er diese unabhängig davon, ob er eine große oder kleine Operation über sich ergehen lassen musste. Jeder Patient muss individuell auf seine pflegerische Bedürftigkeit überprüft werden. Oft wird eine nicht ausreichende häusliche Versorgung während eines Krankenhausaufenthaltes aufgedeckt. VARICOSIS: EINTEILUNG Vena saphena magna ▶▶Varicosis Grad I: Klappeninsuffizienz nur an der Mündungs­ klappe im Crossen-Bereich ▶▶Varicosis Grad II: Klappeninsuffizienz bis zum Bereich oberhalb des Knies ▶▶Varicosis Grad III: Klappeninsuffizienz unterhalb des Knies ▶▶Varicosis Grad IV: Die gesamte Vene bis zum Innenknöchel ist varicös verändert Vena saphena parva ▶▶Varicosis Grad I: Klappeninsuffizienz nur an der Mündungsklappe ▶▶Varicosis Grad II: Klappeninsuffizienz bis Mitte der Wade ▶▶Varicosis Grad III: Klappeninsuffizienz bis zum Außenknöchel Heilberufe / Das Pflegemagazin 2012; 64 (7-8) 59 PflegeKolleg Ulcus cruris – Prophylaxe Nichthilfebedürftige Patienten Pflegende sind oft erste Ansprech­ partner, nicht nur für die Patienten, sondern auch für andere Berufs­ gruppen. Patienten, die pflegerisch als „gesund“ eingestuft werden können, benötigen keine Unterstützung bei der Körperpflege. Patienten sehen das allerdings oft anders. Jeder, der im Krankenhaus arbeitet, kennt folgendes Phänomen: Ein aufrecht gehender, völlig selbstständiger Patient betritt am Aufnahmetag sein Krankenzimmer, zieht sich einen Schlafanzug an und legt sich ins Bett. Ein Patient, der vor der Krampfadern-OP keine Hilfe bei der Körperpflege benötigt hat, braucht sie in aller Regel auch nicht nach der Operation. Der Patient muss aufgeklärt werden, dass es von großer Bedeutung für den Genesungsprozess ist, alle ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen zu nutzen. Regelmäßig mobilisieren Die Mobilisation ist eine der wichtigsten postoperativen Maßnahmen – nicht nur bei der Pflege von Varikosispatienten. Patienten sollen sich möglichst schon wenige Stunden nach der Operation auf der Stationsebene frei bewegen, also nicht nur den Weg bis zur Toilette gehen. Dies fällt einigen Patienten nicht leicht. Sie haben Angst vor der Bewegung, fürchten sich vor Schmerzen und hegen Bedenken wegen der frischen Wunde. Auch hier sind die Pflegenden gefragt. Natürlich ist der Arzt derjenige, der Schmerzmittel verordnet, aber die Pflegenden haben durch die Nähe zum Patienten viel eher die Möglichkeit, auf den Patienten einzuwirken und ihn von der Notwendigkeit einer kurzzeitigen Analgesie und von der Unbedenklichkeit der Bewegung zu überzeugen. Die frühe Mobilisation ist der wichtigste antithrombotische Faktor. FA ZIT FÜR DIE PFLEGE ▶▶Zur Behandlung von Varizen gibt es eine Reihe von operativen Methoden, die permanent weiterentwickelt werden. Eine medikamentöse Therapie kann zwar nur als unterstützend betrachtet werden, für einige Wirkstoffe gibt es mittlerweile aber auch Wirksamkeitsnachweise. ▶▶Eine der Hauptsäulen in der Behandlung aller Venenerkrankungen ist und bleibt die Kompressionstherapie. Bei einer Insuffizienz der tiefen Venen ist sie die Langzeittherapie der Wahl. Bei der Varicosis ist es das Ziel der Operation oder der anderen ablativen Verfahren, dem Patienten den Kompressionsstrumpf auf Dauer zu ersparen. ▶▶Nach einer Varikosis-OP entscheidet eine kontinuierliche Mobilisation und gründliche Schulung der Patienten maßgeblich über den Erfolg der Therapie. Dabei ist professionelle Pflege auf Grund ihrer Nähe zu den Patienten besonders wichtig. Der Patient muss sich sicher sein, dass er mit all seinen Problemen (z.B. Angst, Schmerzen) in einem Netz aus pflegerischer und medizinischer Kompetenz aufgefangen wird. 60 Patienten gründlich schulen Patienten haben oft keine Ahnung, wie sie sich nach einer Operation zu verhalten haben. Der langfristige Umgang mit der Erkrankung überfordert viele Patienten. Daher muss der postoperative Verlauf mit ihnen besprochen werden. Die wichtigen Verhaltensregeln, die einem Wundinfekt vorbeugen und den Operationserfolg sichern, mehr sollte mehr als einmal durchgegangen werden. Am wichtigsten ist es zu erklären, welche Bedeutung trockene Wundverhältnisse im Leistenbereich haben und das das konsequente Tragen der Kompressionsstrümpfe für durchschnittlich sechs Wochen maßgeblich über den Therapieerfolg entscheidet. Jeder Patient muss wissen, dass die Leistenfalte nach der Varizen-Operation für vier bis sechs Wochen möglichst trocken gehalten werden muss. Das bedeutet, dass die Patienten während dieser Zeitspanne nicht baden oder schwimmen gehen dürfen. Auch ein Saunabesuch ist tabu. Nach dem Duschen – das Duschen ist ab dem dritten Tag nach der OP erlaubt – muss die Leistengegend gut getrocknet werden. Es empfiehlt sich sehr, dies mehr als einmal zu wiederholen. Sonderfall adipöser Patient Eine pflegerische Sonderstellung nehmen adipöse Patienten ein. Die Leistenfalte dieser Patienten ist aufgrund natürlicher Gegebenheiten ein prädisponierter Ort für Wundinfektionen. Die Keimbesiedlung der Haut ist hier deutlich höher, und auch die Temperatur begünstigt das Keimwachstum. In der Leistenfalte adipöser Patienten ist oft auch Feuchtigkeit ein Problem. Bei den Patienten, die Hilfe bei der Körperpflege benötigen, kann dieser Bereich leicht kontrolliert werden. Der adipöse Patient, der sich selbst versorgt, muss mit dem nötigen Feingefühl auf diese Problematik hingewiesen werden. Gegebenenfalls sollten Pflegende den Leistenbereich bei diesen Patienten nach der Körperpflege kontrollieren und entscheiden, ob zum Beispiel ein Leinentuch oder eine Mullkompresse eingelegt werden sollte, um die frische Naht zu schützen. Achtung! Bei adipösen Patienten muss die Umgebung des Operationsfeldes präoperativ betrachtet werden. Bei einer Mykose der Bauchfalte oder der Leistenregion wird die Operation evtl. zugunsten einer vorgeschalteten Lokaltherapie verschoben wird. Dr. med. Björn Burkert Dr. Dr. Dominic Mühlberger Michael Völker Klinik für Gefäßchirurgie St. Josef-Hospital Klinikum der Ruhr-Universität Bochum Gudrunstr. 56, 44791 Bochum [email protected] Literatur bei den Verfassern Heilberufe / Das Pflegemagazin 2012; 64 (7-8)