Kapitel 1 Zum Aufwärmen

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Kapitel 1
Zum Aufwärmen
1.1
Aussagen
Eine Aussage im üblichen Sinn ist nicht unbedingt eine Aussage im mathematischen Sinn. Aussagen wie Mathe ist doof sind keine Aussagen im mathematischen Sinn, weil sie nicht einfach nur wahr oder falsch sind. In der
Mathematik geht es aber stets nur um Aussagen, die nur die Wahrheitswerte
wahr oder falsch annehmen können, beispielsweise “6 ist eine natürliche
Zahl” oder “2 > 4”.
Aussagen können miteinander verknüpft werden. Das ist eine binäre Operation. Die Wahrheitswerte der verknüpften Aussagen werden durch sogenannte
Wahrheitstafeln erklärt: Seien A und B zwei Aussagen. Dann ist A und B
wahr, sofern beide Aussagen wahr sind, andernfalls ist die Aussage A und
B falsch:
A
w
w
f
f
B
w
f
w
f
A und B
w
f
f
f
Statt A und B schreiben wir auch A ∧ B. Weitere Verknüpfungen:
1
A
w
w
f
f
B
w
f
w
f
A oder B (A ∨ B)
w
w
w
f
Beachten Sie, dass das mathematische oder kein ausschließendes oder ist!
A
w
w
f
f
B
w
f
w
f
A⇒B
w
f
w
w
Wir sagen hierzu auch “Aus A folgt B” oder “A impliziert B” oder “wenn
A, dann B”. Gewöhnungsbedürftig ist hier zweierlei. Zum Einen ist A ⇒ B
richtig, wenn A falsch ist (aus etwas Falschem kann man alles folgern). Zweitens ist “⇒” formal nur ein Symbol für die Verknüpfung von zwei Aussagen
zu einer neuen Aussage, deren Wahrheitswert abhängig ist von den Wahrheitswerten von A und B. Ein kausaler Zusammenhang zwischen A
und B muss nicht bestehen. So ist beispielsweise die Aussage
Wenn in Magdeburg mehr als drei Menschen wohnen, dann ist am 25.
Dezember Weihnachten
durchaus eine mathematische Aussage, die sogar wahr ist! Trotzdem besteht
zwischen der Einwohnerzahl Magdeburgs und dem Termin für Weihnachten
kein Zusammenhang!
Wenn in der Mathematik etwas bewiesen wird, versucht man, kausale Zusammenhänge herzustellen. Man versucht also zu begründen, warum aus der
Gültigkeit einer Aussage A die Gültigkeit einer anderen Aussage B folgt. Das
lässt sich aber nicht mit dem Symbol “⇒” ausdrücken. Deshalb werden Sie in
mathematischen Büchern und wissenschaftlichen Aufsätzen auch so gut wie
nie das Symbol “⇒” finden, um eine (kausale) Implikation auszudrücken.
Ähnliches gilt für die Äquivalenz zweier Aussagen, die wie folgt erklärt wird:
2
A
w
w
f
f
B
w
f
w
f
A⇔B
w
f
f
w
Man sagt auch, A und B seien äquivalent oder gleichwertig.
Eine Tautologie ist eine Verknüpfung von Aussagen, die stets wahr ist, egal,
welche Wahrheitswerte die einzelnen Aussagen annehmen. Beispielsweise gilt
((A ⇒ B) ∧ (B ⇒ A)) ⇔ (A ⇔ B).
Man kann das leicht anhand einer Wahrheitstafel verifizieren. Wir haben
hier Klammern gesetzt, weil die oben erklärten Verknüpfungen nur binäre
Verknüpfungen sind. Es ist ja zunächst nicht klar, was passiert, wenn man
mehr als eine Aussage durch ∨ oder ∧ verknüpft. Wir notieren gleich einige
wichtige Regeln für die Verknüpfung mehrerer Aussagen. Vorher sei aber
noch die Negation einer Aussage erklärt:
A
w
f
nicht A
f
w
Statt “nicht A” schreibt man auch A.
Wir kommen nun zum ersten Satz dieser Vorlesung:
Satz 1.1.1 Es seien A, B und C Aussagen. Dann sind die folgenden Aussagen Tautologien, also allgemeingültig:
1. (a) (A ∧ B) ⇔ (B ∧ A)
(b) (A ∨ B) ⇔ (B ∨ A)
2. (a) (A ∧ B) ∧ C ⇔ A ∧ (B ∧ C)
(b) (A ∨ B) ∨ C ⇔ A ∨ (B ∨ C)
3. (a) (A ∧ B) ∨ C ⇔ (A ∨ C) ∧ (B ∨ C)
(b) (A ∨ B) ∧ C ⇔ (A ∧ C) ∨ (B ∧ C)
3
4. (a) (A ∨ B) ⇔ (A ∧ B)
(b) (A ∧ B) ⇔ (A ∨ B)
¥
Viele Aussagen hängen von “Variablen” ab, z.B.
Für alle natürlichen Zahlen x gilt x ≥ 5.
Wir schreiben in diesem Fall
∀x : A(x) bedeutet: für alle x gilt A(x)
∃x : A(x) bedeutet: es gibt ein x für das A(x) gilt.
Manchmal beschränkt man sich nur auf gewisse Mengen (Abschnitt 1.2) und
schreibt dann
∀x ∈ M : A(x) für alle x ∈ M gilt A(x)
∃x ∈ M : A(x) es gibt ein x ∈ M für das A(x) gilt.
Wichtig ist, dass Sie verstehen, wie man “für alle” und “es gibt” negiert:
Satz 1.1.2 Es gilt
∀x ∈ M : A(x)
⇔
∃x ∈ M : A(x)
∃x ∈ M : A(x)
⇔
∀x ∈ M : A(x)
Prinzip des indirekten Beweises
Wenn Sie eine mathematische Aussage A beweisen wollen, so können Sie
versuchen, A durch Äquivalenzumformungen in eine Aussage B umzuformen,
von der Sie wissen, ob sie wahr oder falsch ist. Ist B eine wahre Aussage,
so ist auch A wahr, und ist B falsch, so ist auch A falsch. Es würde auch
genügen, aus der Gültigkeit einer wahren Aussage B auf A zu schließen, also
aus B die Aussage A zu folgern. Auch dann ist A wahr, sofern B wahr ist.
“Aussagenlogisch” ist das Prinzip eines Beweises folgendes:
Satz 1.1.3 Seien A und B Aussagen. Die folgende Aussage ist eine Tautologie:
B ∧ (B ⇒ A) ⇒ A
4
Sie können aber A nicht dadurch beweisen, dass Sie zeigen, dass aus der
Gültigkeit von A eine wahre Aussage folgt und somit folgern, A müsse wahr
sein. Die Aussage B ∧ (A ⇒ B) ⇒ A ist nämlich falsch wenn A falsch und
B wahr sind.
Beispiel 1.1.4 Angenommen, Sie wollen “3 = 0” beweisen. Dann multiplizieren Sie beide Seiten dieser “Gleichung” mit 0 und erhalten so 0 = 0, eine
sicherlich wahre Aussage. Das sagt aber nichts über den Wahrheitsgehalt von
“3 = 0” aus (Multiplikation mit 0 ist keine Äquivalenzumformung, d.h. sie
können aus der Aussage “0 = 0” nicht auf “3 = 0” schließen).
¥
Eine andere Möglichkeit basiert auf dem folgenden Satz:
Satz 1.1.5 (Prinzip des indirekten Beweises) Seien A und B Aussagen. Die folgende Aussage ist eine Tautologie:
B ∧ (B ⇒ A) ⇔ Bwedge(A ⇒ B)
Das bedeutet folgendes: Sie wollen A dadurch beweisen, dass Sie A aus einer
wahren Aussage B ableiten. Das können Sie auch dadurch erreichen, dass Sie
aus A auf B schließen.
Ein sehr bekannter indirekter Beweis ist der Beweis für die Irrationalität von
√
2, sowie der Beweis von Euklid, dass es unendlich viele Primzahlen gibt.
Dazu müssen wir zunächst klären, was eine Primzahl ist. Wir wollen eine
natürliche Zahl p eine Primzahl nennen, wenn p 6= 1 und wenn aus p = m · n
mit m, n ∈ N stets folgt m = 1 oder n = 1. In der Algebra nennt man so
etwas meistens ein irreduzibles Element. Auf diese feinen Unterschiede gehen
wir später noch genauer ein.
Satz 1.1.6 (Euklid) Es gibt unendlich viele Primzahlen.
Beweis Angenommen, es gibt nur endlich viele Primzahlen, nenne diese
Menge P.
Wir betrachten dann das Produkt all dieser Primzahlen und nennen es A.
Nun betrachten wir A + 1. Diese Zahl hat mindestens einen Primteiler:
Entweder ist sie selber eine Primzahl, oder aber wir können sie “zerlegen”
A + 1 = m · n, m, n ∈ N, mit 1 < m, n < A + 1. Jetzt ist m oder n eine
Primzahl, dann haben wir einen Primteiler gefunden, oder aber wir können
5
m weiter zerlegen. Weil die Zahlen immer kleiner werden, muss das Verfahren irgendwann mit einer Primzahl, also einer nicht weiter zerlegbaren Zahl,
enden. Nun gibt es also eine Primzahl p, die A + 1 teilt. Wenn p ∈ P, so wäre
p ein Teiler sowohl von A als auch von A + 1, was nicht geht. Also kann P
nicht die Menge aller Primzahlen sein.
¥
1.2
Mengen
Unter einer Menge verstehen wir eine “Zusammenfassung” von unterschiedlichen Objekten zu einem neuen Ganzen.
Mengen können auf verschiedene Arten dargestellt werden. Wir können die
Elemente aufzählen (z.B. {1, 3, 5}), wobei man manchmal auch “Pünktchen”
schreiben kann, z.B. {1, 2, 3, . . . , 10}, {2, 4, 6, 8, . . .}. Man kann die Mengen
auch beschreiben, z.B. {x : x ist Magdeburger}.
Ist x ein Element der Menge M , so schreibt man x ∈ M , andernfalls x ∈
/ M.
Definition 1.2.1 Seien M und N Mengen. Dann heißt M eine Teilmenge
von N (geschrieben M ⊆ N ) wenn alle Elemente aus M auch in N liegen.
Formaler:
M ⊆ N :⇔ ∀x gilt: (x ∈ M ⇒ x ∈ N ).
Ferner gilt
M =N
:⇔
M ⊆ N und N ⊆ M.
Der Doppelpunkt bedeutet, dass es sich um eine Definition handelt: Die
Aussage links vom Doppelpunkt wird durch die Aussage rechts erklärt.
Der zweite Teil dieser Definition liefert ein wichtiges Beweisprinzip um zu
zeigen, dass zwei Mengen gleich sind: Man zeigt, dass sie sich gegenseitig
enthalten. Wir werden dies gleich an einem Beispiel sehen (Satz 1.2.4)
Die leere Menge wird definiert als
{ } := {x : x 6= x}.
Sie enthält kein Element.
6
In der nächsten Definition erklären wir Vereinigung und Schnitt zweier Mengen:
Definition 1.2.2 Seien M und N Mengen. Die Menge
M ∪ N := {x : x ∈ M oder x ∈ N }
heißt die Vereinigung von M und N . Die Menge
M ∩ N := {x : x ∈ M und x ∈ N }
heißt der Schnitt.
Wenn für zwei Mengen M und N gilt M ∩ N = { }, so nennt man die Mengen disjunkt. Die Vereinigung disjunkter Mengen nennt man disjunkte
˙ .
Vereinigung, Bezeichnung M ∪N
Der Doppelpunkt vor dem Gleichheitszeichen soll hier andeuten, dass vor
dem Doppelpunkt ein Symbol steht, das durch den Ausdruck auf der rechten
Seite erklärt wird.
Es gibt einige einfache Sätze über die Vereinigung und den Schnitt von Mengen:
Satz 1.2.3 Seien M , N1 und N2 Mengen. Dann gilt
(1.) M ∩ (N1 ∪ N2 ) = (M ∩ N1 ) ∪ (M ∩ N2 )
(2.) M ∪ (N1 ∩ N2 ) = (M ∪ N1 ) ∩ (M ∪ N2 )
Beweis (nur (1.))
M ∩ (N1 ∪ N2 ) = {x : x ∈ M und (x ∈ N1 oder x ∈ N2 )}
= {x : (x ∈ M und x ∈ N1 ) oder (x ∈ M und x ∈ N2 )}
= (M ∩ N1 ) ∪ (M ∩ N2 ).
Wir haben hier einfach die Definition von ∪ und ∩ angewendet.
Satz 1.2.4 Seien M und N Mengen. Dann gilt
7
¥
(1.) M ∩ N = M
⇔
M ⊆N
(2.) M ∪ N = M
⇔
N ⊆M
Beweis (nur (2.)) “⇒”:
N ⊆M ∪N
=M
klar
Voraussetzung
“⇐”: Zu zeigen ist M ∪ N ⊆ M und M ⊆ M ∪ N , siehe Definition 1.2.1.
Die Beziehung M ⊆ M ∪ N ist klar. Weiter gilt
M ∪N ⊆M ∪M
=M
weil N ⊆ M , also nach Voraussetzung
klar.
¥
Definition 1.2.5 (Mengendifferenz) Seien M und N Mengen. Dann
heißt M \ N := {x ∈ M : x ∈
/ N } die Differenz von M und N .
Beachte, dass wir hier nicht N ⊆ M vorausssetzen. Wir haben hier zur Beschreibung der Menge auf der rechten Seite eine etwas andere, aber ebenfalls
sehr gebräuchliche Notation benutzt. Wir hätten statt {x ∈ M : x ∈
/ N}
natürlich auch {x : x ∈ M und x ∈
/ N } schreiben können.
Bezeichnung: Wenn M ⊆ Ω, und wenn die “Obermenge” Ω aus dem Zusammenhang hervorgeht, dann schreiben wir auch M̄ statt Ω \ M .
Satz 1.2.6 Es seien M , A und B Mengen. Dann gilt:
1. M \ (A ∪ B) = (M \ A) ∩ (M \ B)
2. M \ (A ∩ B) = (M \ A) ∪ (M \ B)
Wir werden in dieser Vorlesung mit folgenden “Zahlbereichen” umgehen. Wir
werden uns keine Gedanken über deren axiomatische Begründung machen.
Jede(r) von Ihnen sollte durch die Schulzeit ein Gefühl für diese Zahlen bekommen haben:
8
N := {1, 2, 3, . . .}
N0 := {0, 1, 2, 3, . . .}
Z := {. . . , −3, −2, −1, 0, 1, 2, 3, . . .}
Q := { pq : p, q ∈ Z, q 6= 0}
R
Menge der natürlichen Zahlen
Menge der natürlichen Zahlen
einschließlich 0
Menge der ganzen Zahlen
Menge der rationalen Zahlen
Menge der reellen Zahlen
Später werden dazu noch die komplexen Zahlen C kommen. Wenn wir uns
jeweils auf die positiven Zahlen beschränken wollen, schreiben wir ein hochgestelltes + hinter das entsprechende Symbol, z.B. Q+ . Wenn wir uns auf
die Zahlen ≥ 0 einschränken, schreiben wir zusätzlich eine tiefergestellte 0.
Dann gilt z.B. Z+ = N und Z+
0 = N0 .
Hat eine Menge M nur endlich viele Elemente, so heißt die Menge endlich
und wir nennen die Anzahl der Elemente von M die Kardinalität von M ,
Bezeichnung |M |. Hat M unendlich viele Elemente, schreibt man auch |M | =
∞. Im Fall unendlicher Mengen gibt es auch verschieden Mächtigkeiten, es
gibt also nicht nur ein “∞”. Dazu sagen wir in Abschnitt ?? etwas mehr.
Mengensysteme
Die Vereinigung und der Schnitt wurden nur für jeweils zwei Mengen definiert. Man kann die Definition auch problemlos auf endlich viele Mengen
ausdehnen, es gilt dann auch (offensichtlich) das Assoziativgesetz
(A ∪ B) ∪ C = A ∪ (B ∪ C)
sowie
(A ∩ B) ∩ C = A ∩ (B ∩ C)
Wir können die Definition aber nicht so ohne weiteres auf unendliche Vereinigungen und Schnitte ausdehnen. Das ist in der Mathematik ein generelles
Problem/Phänomen: Wenn man die Verknüpfung von Elementen (hier z.B.
die Vereinigung von Mengen) binär definiert, so bedeutet das nicht, dass man
auch unendlich viele Elemente miteinander verknüpfen kann (vgl. unendliche
Reihen in der Analysis).
Definition 1.2.7 (Mengensysteme) Wir nennen S ein Mengensystem, wenn die Elemente von S selber Mengen sind. Sei S ein solches
9
Mengensystem. Dann definieren wir
[
M := {x : ∃M ∈ S mit x ∈ M }
M ∈S
als die Vereinigung der Elemente in S und
\
M := {x : ∀M ∈ S gilt x ∈ M }
M ∈S
als den Schnitt.
Ist S ein Mengensystem, deren “Elemente” Teilmengen von X sind, so
heißt S eine Partition von X, wenn gilt:
[P1]
S
[P2]
M ∩ N = { } für alle M, N in S mit M 6= N .
M ∈S
M =X
In vielen Fällen haben wir Mengen, die irgendwie mit Elementen aus I indiziert sind. Genauer: Jedem i ∈ I wird genau eine Menge Mi zugeordnet.
Wir sprechen dann von einer Mengenfamilie (Mi )i∈I . Das ist Ihnen sicher
vertraut, wenn I = N, aber es besteht kein Grund, sich auf N als potenzielS
le Indexmenge zu beschränken. Wir schreiben in diesem Fall statt M ∈S M
S
S
auch i∈I Mi . Entsprechend kann man für I = {s, s + 1, . . . , t} auch ti=s Mi
schreiben.
Beachten Sie den Unterschied zu dem Mengensystem {Mi : i ∈ I}. In diesem
Mengensystem taucht jede Menge nur einmal auf, es kann aber sehr wohl
Mi = Mj für i 6= j gelten.
Beispiel 1.2.8 (1.) Sei I = N, Mi := {x · i : x ∈ Z} (Vielfache von i).
Dann gilt
[
\
Mi = Z,
Mi = {0}.
i∈N
i∈N
Aber für jede endliche Teilmenge J ⊆ N gilt
\
Mj 6= { 0}.
j∈J
10
(2.) I = R, Mi := {y ∈ R : −i ≤ y ≤ i}. Dann gilt beispielsweise
[
Mx = [−1, 1]
x∈[0,1]
\
Mx = [−2, 2]
x≥2
\
Mx = [−2, 2]
¥
x>2
Ein wichtiges Mengensystem ist die Potenzmenge einer Menge. Das ist die
Menge aller Teilmengen von M .
Definition 1.2.9 Sei M eine Menge. Dann heißt die Menge
P(M ) := {N : N ⊆ M }
die Potenzmenge von M .
Beachten Sie bitte, dass |P(M )| < ∞ genau für endliche Mengen M gilt.
Wir werden im nächsten Kapitel die Kardinalität von P(M ) bestimmen.
1.3
Vollständige Induktion
Sehr oft wollen wir Aussagen A(n) beweisen, die für alle natürlichen Zahlen
n gelten, oder für alle ganzen Zahlen n ≥ n0 . Man kann dann wie folgt
vorgehen:
(IA)
Induktionsanfang Zeige die Gültigkeit der Aussage A(n0 ).
(IS)
Induktionsschritt Zeige die Gültigkeit der Implikation A(n) ⇒
A(n + 1) für alle n ≥ n0 . Hierbei nennt man A(n) auch manchmal
die Induktionsvoraussetzung.
Wenn (IA) und (IS) richtig sind, dann gilt die Aussage A(n) für alle n ≥ n0 .
Man kann (IS) auch ersetzen durch
11
(IS’)
Induktionsschritt Zeige die Gültigkeit der Implikation A(m) für alle m ≤
n ⇒ A(n + 1) für alle n ≥ n0 . Hierbei nennt man A(n) auch manchmal die Induktionsvoraussetzung.
Beispiel 1.3.1
(1.) Wir wollen die Aussage A(n) zeigen:
n
X
i=
i=1
n(n + 1)
.
2
(IA) Die Aussage ist offenbar richtig für n = 1.
(IS) Wir setzen voraus
n
X
i=
i=1
und wollen zeigen
n+1
X
i=1
i=
n(n + 1)
2
(n + 1)(n + 2)
,
2
d.h. wir wollen die Ausage A(n + 1) zeigen. Das geht durch einfache Umformungen:
n+1
X
i=1
n
X
n(n + 1)
(n + 1)(n + 2)
i=(
i) + (n + 1) =
+ (n + 1) =
.
2
2
i=1
Das zweite Gleichheitszeichen ist gültig wegen (IA).
(2.) Wir wollen nun zeigen, dass die Potenzmenge einer Menge M mit n
Elementen genau 2n Elemente hat. Der Induktionsanfang (IA) für n = 1 ist
klar, da
P({x}) = {{ }, {x}}
gilt.
Nun zum Induktionsschritt: Sei dazu M eine Menge mit |M | = n + 1. Sei
x ∈ M . Dann kann die Potenzmenge P(M ) in zwei Teilmengen P1 und P2
aufgeteilt werden, d.h. P(M ) = P1 ∪˙ P2 :
P1 = {U ⊆ M : x ∈ U } = {U ′ ∪ {x} : U ′ ⊆ M \ {x}}
P2 = {U ⊆ M : x ∈
/ U } = {U ⊆ M \ {x}}.
12
Wegen der Induktionsvoraussetzung (die Aussage für Mengen der Kardinalität n) gilt |P1 | = |P2 | = 2n , also
|P(M )| = |P1 | + |P2 | = 2n + 2n = 2n+1 .
(3.) Es ist wichtig, den Induktionsanfang (IA) zu überprüfen.
Sonst könnte man etwa folgenden Beweis für die Aussage
Für jede natürliche Zahl n gilt n(n + 1) ist ungerade
führen (in Wirklichkeit gilt ja genau das Gegenteil, nämlich all diese Zahlen
sind gerade!):
Der Induktionsschritt würde hier korrekt funktionieren: Wir setzen voraus,
dass n(n + 1) ungerade ist. Daraus wollen wir schließen: (n + 1)(n + 2) ist
ungerade. Das geht wie folgt:
(n + 1)(n + 2) = n(n + 1) + 2(n + 1),
und weil die erste der beiden Zahlen nach Voraussetzung ungerade, die zweite
gerade ist, so ist die Summe ungerade. Der Induktionsschritt ist also richtig!
Der Induktionsanfang funktioniert aber nicht, weil n(n + 1) halt für n = 1
(und auch für alle anderen n) gerade ist.
¥
1.4
Relationen
Definition 1.4.1 Seien X und Y Mengen. Dann bezeichnet
X × Y := {(x, y) : x ∈ X, y ∈ Y }
die Menge der geordneten Paare (kartesisches Produkt). Eine Teilmenge
R ⊆ X ×Y heißt Relation. Gilt X = Y , so spricht man von einer Relation
auf X. Statt (x, y) ∈ R schreibt man manchmal auch x R y.
Beispiel 1.4.2 Sei X = {1, 2, 3} und Y = {2, 4}. Dann sind die folgenden
Mengen Relationen zwischen X und Y :
13
(1.) R1 = {(1, 2), (1, 4), (3, 2)}.
(2.) R2 = {(1, 4}.
(3.) R3 = { }.
(4.) R4 = {(1, 2), (2, 2), (3, 4)}
¥
Relationen sind beliebige Teilmengen des kartesischen Produktes zweier Mengen. Das bedeutet nicht, dass zwischen den Elementen irgendein (mathematisch) sinnhafter Zusammenhang besteht.
Mathematisch interessantere Relationen sind z.B. die Gleichheitsrelation, die
Relation ≤ (z.B. auf R, aber auch auf Z). Eine wichtige Relation auf Z wollen
wir hier noch einführen:
Definition 1.4.3 Seien a, b ∈ Z. Wir sagen a teilt b, falls es ein x ∈ Z gibt
mit ax = b. Bezeichnung: a | b. Dadurch wird eine Relation auf Z definiert
(Teilbarkeitsrelation).
Definition 1.4.4 Sei R eine Relation auf X. Dann nennen wir R
reflexiv
symmetrisch
antisymmetrisch
transitiv
:⇔
:⇔
:⇔
:⇔
(x, x) ∈ R ∀x ∈ X
(x, y) ∈ R ⇒ (y, x) ∈ R ∀x, y ∈ X
(x, y) ∈ R und (y, x) ∈ R ⇒ x = y ∀x, y ∈ X
(x, y) ∈ R und (y, z) ∈ R
⇒ (x, z) ∈ R ∀x, y, z ∈ X
Eine Relation die reflexiv, symmetrisch und transitiv ist heißt Äquivalenzrelation. Eine Relation die reflexiv, transitiv und antisymmetrisch ist heißt
Ordnungsrelation
Beispiel 1.4.5 Die Relation ≤ auf R ist eine Ordnungsrelation. Die Relation
= ist eine Ordnungs- und Äquivalenzrelation. Die Relation teilt auf Z ist
keine Ordnungsrelation, wohl aber ist sie reflexiv und transitiv (2 | (−2) und
−2 | 2, aber 2 6= −2). Die Relation 6= ist symmetrisch, aber weder reflexiv
noch transitiv.
¥
14
Definition 1.4.6 Sei n ∈ Z, n 6= 0. Auf der Menge Z definieren wir eine
Relation ≡ mod n wie folgt:
x ≡ y mod n
:⇔
n | (x − y).
Sprechweise: x kongruent y modulo n. Die Relation bezeichnen wir auch
als ≡n .
Satz 1.4.7 Die Relation ≡n ist eine Äquivalenzrelation.
Beweis Die Reflexivität und Symmetrie sind klar; zu zeigen ist nur die
Transitivität:
n | (x − y) ⇔ na = x − y
n | (y − z) ⇔ nb = y − z
für ein a ∈ Z
für ein b ∈ Z.
Das bedeutet aber n(a + b) = x − z, also n | (x − z), d.h. x ≡ z mod n.
¥
Wir können Äquivalenzklassen benutzen, um Partitionen einer Menge zu
finden. Dazu definieren wir zunächst Äquivalenzklassen:
Definition 1.4.8 Sei ∼ eine Äquivalenzrelation auf X. Dann heißen die
Mengen
[x]∼ := {y ∈ X : x ∼ y}
Äquivalenzklassen.
Lemma 1.4.9 Für jede Äquivalenzrelation ∼ gilt:
x∼y
⇔
[x]∼ = [y]∼ .
Beweis “⇐:” klar
“⇒:” Wegen der Symmetrie von ∼ genügt es [x]∼ ⊆ [y]∼ zu zeigen. Sei also
z ∈ [x]∼ . Dann x ∼ z und x ∼ y, also z ∼ y, d.h. z ∈ [y]∼ .
¥
15
Wenn wir also ein Element y aus der Äquivalenzklasse [x]∼ betrachten, dann
ist die zu y gehörende Äquivalenzklasse [y]∼ gleich [x]∼ . Wir nennen x einen
Repräsentanten der Äquivalenzklasse. Es sind aber alle Repräsentanten
“gleichbedeutend”, man kann irgendeinen wählen.
Beispiel 1.4.10 Wir betrachten die Relation ≡3 . Wir erhalten die Äquivalenzklassen
[0]≡3 = {0, ±2, ±6, . . .} = [3]≡3 = [6]≡3 = . . .
[1]≡3 = {. . . , −5, −2, 1, 4, 7, . . .} = [−2]≡3 = . . .
[2]≡3 = {. . . , −4, −1, 2, 5, 8, . . .} = [5]≡3 = . . .
¥
Es gilt Z = [0]≡3 ∪˙ [1]≡3 ∪˙ [2]≡3 . Dass dies kein Zufall ist, zeigt der nächste
Satz:
Satz 1.4.11 Sei X eine Menge und S eine Partition von X. Dann ist die
Relation ∼S , die durch
x ∼S y
:⇔
es gibt S ∈ S mit x, y ∈ S
erklärt ist, eine Äquivalenzrelation auf X. Die Äquivalenzklassen dieser Relation sind gerade die Mengen aus S.
Umgekehrt bilden die Äquivalenzklassen einer Äquivalenzrelation ∼ eine Partition T von X. Es gilt ∼T = ∼.
Mit anderen Worten kann man sagen, dass Partitionen und Äquivalenzrelationen “eigentlich” dieselben Objekte sind.
Beweis
(i) Zu zeigen ist, dass ∼S eine Äquivalenzrelation ist.
reflexiv:
symmetrisch:
transitiv:
klar
klar
Sei x ∼S y und y ∼S z. Es gibt dann Mengen
S1 und S2 in S mit x, y ∈ S1 und y, z ∈ S2 ,
also y ∈ S1 ∩ S2 . Weil S eine Partition ist, muss
S1 = S2 gelten, also x ∼S z.
(ii)
[x]∼S = {y : x ∼S y} = {y : es gibt S ∈ S mit x, y ∈ S} = Sx ,
16
wobei Sx die Menge aus S ist mit x ∈ Sx . Es gibt nur eine solche Menge,
weil S eine Partition ist.
(iii) Die Äquivalenzklassen bilden eine Partition von X. Klar ist
[
[x]∼ = X.
x∈X
Angenommen, [x]∼ ∩ [y]∼ 6= { }, z.B. z ∈ [x]∼ ∩ [y]∼ , dann x ∼ z und z ∼ y,
also x ∼ y und damit [x]∼ = [y]∼ (wegen Lemma 1.4.9).
(iv) Es bleibt ∼=∼T zu zeigen.
x ∼T y ⇔
⇔
⇔
⇔
∃T ∈ T mit x, y ∈ T
∃z ∈ X mit x, y ∈ [z]∼
∃z ∈ X mit x ∼ z und y ∼ z
x∼y
Um im letzten Schritt “⇐” zu zeigen, wähle z = x.
¥
Die zu einer Äquivalenzrelation ∼ auf X gehörende Partition wird oft auch
mit X/ ∼ bezeichnet.
1.5
Abbildungen
Ganz besondere Relationen sind Abbildungen:
Definition 1.5.1 Seien X und Y Menge. Eine Relation f ⊆ X × Y heißt
eine Abbildung wenn sie folgende Eigenschaft hat: Zu jedem x ∈ X gibt
es genau ein y ∈ Y mit (x, y) ∈ f . Das Element y wird üblicherweise mit
f (x) bezeichnet.
Wir nennen X den Definitionsbereich und Y den Wertebereich. Häufig
kann man f formelmäßig angeben. Man spricht dann auch häufig von Funktionen, obwohl die Begriffe Funktion und Abbildungen eigentlich dasselbe
bedeuten.
17
Beispiel 1.5.2 (1.) X = R, Y = R, f = {(x, x2 ) : x ∈ R}.
(2.) X = {1, 2, 3}, Y = {7, 8}, f = {(1, 7), (2, 7), (3, 8)}.
(3.) R4 aus Beispiel 1.4.2 ist eine Abbildung.
(4.) Die Relationen R1 , R2 und R3 aus Beispiel 1.4.2 sind keine Abbildungen.
¥
Ist U ⊆ X eine Teilmenge des Definitionsbereiches, so heißt
f [U ] := {f (x) : x ∈ U }
das Bild von U . Ist V ⊆ Y , so heißt
f −1 [V ] := {x ∈ X : f (x) ∈ V }
das Urbild von V . Beachten Sie, dass zur Definition einer Abbildung nicht
nur die Angabe einer Abbildungsvorschrift f gehört, sondern auch die Angabe
von X und Y . Man schreibt auch
f: X →
Y
x 7→ f (x).
Somit sind z.B. formal die beiden Abbildungen
f: R → R
x 7→ x2
und
verschieden.
f : R → R+
0
x 7→ x2
Definition 1.5.3 (Besondere Abbildungen) Sei f : X → Y eine Abbildung, U ⊆ X. Die Abbildung f ′ : U → Y , u 7→ f (u) heißt Einschränkung von f auf U , Bezeichnung f|U .
Ist X ⊆ Y , so heißt die Abbildung f : X → Y , x 7→ x die Einbettung
von X in Y .
Die Identität auf X ist die Abbildung idX : X → X, x 7→ x.
18
Definition 1.5.4 Sei f : X → Y eine Abbildung. Dann heißt f
injektiv
:⇔
surjektiv : ⇔
bijektiv
:⇔
f (x) = f (y) ⇒ x = y ∀x, y ∈ X.
f [X] = Y
f injektiv und surjektiv
Beispiel 1.5.5 Die Abbildung f : R → R, x 7→→ x2 ist weder injektiv
2
noch surjektiv. Die Abbildung f : R → R+
0 , x 7→ x ist surjektiv, aber nicht
injektiv. Die Abbildung f : R+
0 → R ist injektiv, aber nicht surjektiv. Die
+
Abbildung f : R+
→
R
ist
bijektiv.
¥
0
0
Lemma 1.5.6 Sei f : X → Y eine Abbildung. Dann ist f : X → f [X],
x 7→ f (x) surjektiv.
¥
Wir können eine Abbildung f also einfach surjektiv machen, indem wir den
Bildbereich einschränken. Man könnte sie auch injektiv machen, indem man
den Definitionsbereich einschränkt. Das ist aber in der Regel keine sinnvolle
Operation. Wichtiger ist der Abbildungssatz 1.5.15.
Wir wollen unsere Untersuchungen hier mit der Hintereinanderausführung
von Abbildungen fortsetzen.
Definition 1.5.7 Seien f : X → Y und g : Y → Z Abbildungen. Dann
definieren wir g ◦ f : X → Z durch (g ◦ f )(x) := g(f (x)). Durch diese
Definition wird wirklich eine Abbildung X → Z erklärt.
Machen Sie sich klar, dass in dieser Definition auch ein “Satz” versteckt ist.
Wir behaupten nämlich, dass g ◦ f eine Abbildung X → Z ist. Wir weisen
darauf hin, dass erst f und dann g ausgeführt wird. Diese Verknüpfung ist
nicht kommutativ, alleine schon deshalb, weil f ◦ g gar nicht erklärt sein
muss, wenn g ◦ f erklärt ist. Aber selbst wenn beide Kompositionen definiert
sind, muss f ◦ g nicht gleich g ◦ f sein:
Beispiel 1.5.8 Sei f : R → R, x 7→ x3 sowie g : R → R, x 7→ 2x . Dann ist
3
(g ◦ f )(x) = 2x , aber (f ◦ g)(x) = (2x )3 .
¥
19
Man kann jedoch zeigen, dass die Verknüpfung assoziativ ist:
Satz 1.5.9 Seien f : X → Y , g : Y → Z und h : Z → W Abbildungen.
dann gilt
h ◦ (g ◦ f ) = (h ◦ g) ◦ f.
Beweis Wir müssen einfach nachrechnen, was bei den Einsetzungen von x
in beiden Fällen herauskommt. Auf der linken Seite erhalten wir
h ◦ (g ◦ f )(x) = h((g ◦ f )(x)) = h((g(f (x)))).
Das kommt aber auch heraus, wenn wir anders klammern, also x auf der
rechten Seite einsetzen.
¥
Es gelten folgende Aussagen für die Injektivität und Surjektivität von zusammengesetzten Abbildungen:
Satz 1.5.10 Seien f : X → Y und g : Y → Z Abbildungen. Dann gilt:
1. f ◦ g injektiv ⇒
2. f ◦ g surjektiv ⇒
3. f, g surjektiv
4. f, g injektiv
g injektiv.
f surjektiv.
⇒ f ◦ g surjektiv.
⇒
f ◦ g injektiv.
Satz 1.5.11 Sei f : X → Y eine Abbildung, X, Y 6= { }. Dann gilt:
(1.) f ist genau dann injektiv, wenn es g : Y → X gibt mit g ◦ f = idX .
(2.) f ist genau dann surjektiv, wenn es g : Y → X gibt mit f ◦ g = idY .
Beweis (nur (1.)) “⇒”: Ist x ∈ X, so definieren wir g(f (x)) = x.
Das ist wohldefiniert, weil es keine zwei verschiedenen x und x′ gibt mit
f (x) = f (x′ ). Ist y ∈
/ f [X], so definieren wir g(y) = x0 für ein beliebiges
x0 ∈ X (hier brauchen wir X 6= { }). Dann ist g in der Tat eine Abbildung
Y → X mit der gewünschten Eigenschaft.
“⇐”: Ist f (x) = f (x′ ), so ist (g ◦ f )(x) = (g ◦ f )(x′ ). Weil aber g ◦ f = idX ,
so ist x = x′ , die Abbildung f also injektiv.
¥
20
Bijektive Abbildungen haben die schöne Eigenschaft, dass es eine Umkehrabbildung gibt. Wir wollen dies im folgenden Satz zusammenfassen.
Satz 1.5.12 Sei f : X → Y eine bijektive Abbildung. Dann gibt es genau
eine Abbildung g : Y → X mit f ◦g = idY . Es gibt auch genau eine Abbildung
g ′ : Y → X mit g ′ ◦ f = idX . Es gilt g ′ = g.
Die gemäß Satz 1.5.12 eindeutig bestimmte Abbildung nennt man auch die
Inverse von f , Bezeichnung f −1 .
Wenn X und Y endliche Mengen sind mit |X| = |Y |, so fallen die Begriffe
injektiv, surjektiv und bijektiv zusammen:
Satz 1.5.13 Sei f : X → Y , wobei X und Y endliche Mengen sind mit
|X| = |Y | = n. Dann ist f genau dann injektiv, wenn f surjektiv ist.
Beweis Weil f injektiv ist, gilt |f [X]| = n. Andernfalls müsste es mindestens zwei verschiedene Elemente x, x′ ∈ X geben mit f (x) = f (x′ ). Also
ist f surjektiv. Ist umgekehrt f surjektiv, so gilt |f [X]| = n. Das ist aber
unmöglich, wenn f nicht injektiv ist, denn dann gäbe es x, x′ mit x 6= x′ und
f (x) = f (x′ ).
Lemma 1.5.14 Sei f : X → Y eine Abbildung. Dann ist die Relation ∼,
die durch x ∼ x′ :⇔ f (x) = f (x′ ) erklärt ist, eine Äquivalenzrelation
auf X. Die Äquivalenzklassen sind die Urbilder f −1 [y], y ∈ f [X].
Der nächste Satz klingt schwieriger, als er ist:
Satz 1.5.15 (Abbildungssatz) Sei f : X → Y eine Abbildung, und sei
X/ ∼ die Mengenfamilie der durch ∼ definierten Äquivalenzklassen. Ferner
sei τ : X → X/ ∼, τ (x) = [x]∼ . Dann gibt es genau eine Abbildung f ′ :
X/ ∼ → Y mit f ′ ◦ τ = f . Die Abbildung f ′ ist injektiv. Sie ist genau dann
surjektiv wenn f surjektiv ist.
Wir wollen diesen Abschnitt mit einer Definition abschließen:
Definition 1.5.16 Sei (Yi )i∈I eine Mengenfamilie nicht leerer Mengen.
Dann ist
[
Yi : f (i) ∈ Yi }
i∈I Yi := {f : I →
i∈I
das kartesische Produkt der Yi .
21
Ist I = {1, . . . , n} eine endliche Menge, so ist das kartesische Produkt die
Menge der n-Tupel, wobei der i-te Eintrag in einem Tupel ein Element aus
Yi sein muss. Gilt Y = Y1 = · · · = Yn , so schreiben wir auch Y n .
Es ist die Aussage des Auswahlaxioms, das i∈I Yi 6= { } gilt. Das ist intuitiv
so einleuchtend, das man darüber eigentlich kein Wort verlieren möchte. Das
Problem ist aber, dass wir hier die Existenz einer Abbildung postulieren, ohne
sie angeben zu können. Dieses Problem tritt erst für sehr “große” Mengen I
und sehr komplizierte Mengen Yi auf. Ist I endlich, so gibt es keine Probleme,
ist Yi ⊆ N, so gibt es ebenfalls keine Probleme, wir können für jedes i das
kleinste Element in Yi wählen. Wenn aber z.B. I = P(R) die Potenzmenge
von R ist und YM := M , so können wir keine Auswahlfunktion f angeben.
1.6
Der Euklidische Algorithmus: Zum Rechnen mit ganzen Zahlen
Wir haben in Satz 1.1.6 gezeigt, dass es unendlich viele Primzahlen gibt. In
der Mathematik wird der Begriff “prim” üblicherweise etwas anders definiert
als wir es dort gemacht haben. Für Z stimmen beide Begriffe überein, was
wir in diesem Abschnitt zeigen wollen.
Definition 1.6.1 Eine Zahl p ∈ Z, p 6= 0, 1 heißt prim, falls gilt:
p | ab
⇒
p | a oder p | b
für alle a, b ∈ Z. Wir nennen p irreduzibel, wenn für alle a, b ∈ Z gilt
p = ab
⇒
a = ±1 oder b = ±1.
Anders gesagt: p ist irreduzibel wenn ±1, ±p die einzigen Teiler von p sind.
Lemma 1.6.2 p prim
⇒
p irreduzibel.
Beweis Angenommen a | p, d.h. ab = p für ein b ∈ Z. Also p | ab, also p | a
oder p | b, weil p prim. Im ersten Fall folgt a = ±p, im zweiten Fall würde
px = b für ein x ∈ Z gelten, also apx = ab = p und deshalb a = ±1.
¥
22
Es erfordert etwas Arbeit, die Umkehrung dieses Lemmas zu zeigen. Dazu
definieren wir zunächst, was ein größter gemeinsamer Teiler ist:
Definition 1.6.3 Seien a, b ∈ Z. dann heißt m ein größter gemeinsamer
Teiler (ggT) von a und b, wenn m | a, b gilt und wenn aus n | a, b stets
folgt n | m. Bezeichnung: ggT(a, b) (nicht ganz korrekt, weil der ggT nur
bis auf das Vorzeichen eindeutig bestimmt ist).
Lemma 1.6.4 (Division mit Rest) Seien a, b ∈ Z, b 6= 0. Dann gibt es
eindeutig bestimmte Zahlen q, r ∈ Z mit 0 ≤ r ≤ b − 1 mit a = bq + r.
Beweis Zur Existenz: Betrachte die Menge {a−bq : q ∈ Z, a−bq ≥ 0}. Diese
Menge hat ein kleinstes Element r, das offenbar die Bedingung 0 ≤ r ≤ b − 1
erfüllt.
Zur Eindeutigkeit: Wenn a = bq ′ + r′ = bq + r mit 0 ≤ r, r′ ≤ b − 1 gilt, so
folgt b(q − q ′ ) = r′ − r, also b | (r′ − r). Das geht aber nur für r = r′ , weil
|r − r′ | ≤ b gilt.
¥
Satz 1.6.5 In Z haben je zwei Elemente 6= 0 einen ggT.
Beweis Der Beweis ist algorithmisch, d.h. wir geben sogar ein Verfahren an,
wie man den ggT bestimmen kann:
Euklidischer Algorithmus
a = bq1 + r1
b = r1 q 2 + r2
r1 = r2 q 3 + r3
...
0 ≤ r1 < b
0 ≤ r2 < r1
0 ≤ r3 < r2
Weil die ri immer kleiner werden, muss das Verfahren terminieren:
rs = rs+1 qs+2 + rs+2
rs+1 = rs+2 qs+3
0 ≤rs+2 < rs+1
23
Beachten Sie, dass der Rest ri , der im i-ten Schritt auftritt, stets in der Form
ri = asi + bti geschrieben werden kann. Das ist sicherlich wahr im ersten
Schritt, im zweiten Schritt gilt r2 = b − r1 q1 . Weil aber r1 sich in der Form
r1 = as1 +bt1 schreiben läßt, kann man auch r2 entsprechend darstellen, usw.
Insbesondere gibt es s, t ∈ Z mit d := rs+2 = as + bt. Ferner ist d ein Teiler
von rs+1 , also auch von rs usw, also auch von a und b. Wir haben also einen
Teiler von a und b gefunden, der in der Form d = as + bt dargestellt werden
kann (Vielfachsummendarstellung).
Sei nun m ein beliebiger Teiler von a und b, also mx = a und my = b. Dann
d = mxs + myt, also m | d. Also ist d = ggT(a, b).
¥
Wir weisen darauf hin, dass die hier vorgestellte Bestimmung des ggT viel,
viel einfacher ist als das manchmal in der Schule angewandte Verfahren, erst
die Primfaktorzerlegungen von a und b zu bestimmen und dann zu schauen,
welche Primteiler in beiden Zerlegungen gemeinsam vorkommen.
Um zu zeigen, dass in Z alle irreduziblen Elemente prim sind, benötigen wir
noch einen Hilfssatz:
Lemma 1.6.6 Ist p irreduzibel und ist p kein Teiler von a, dann gcd(p, a) =
1.
Beweis Angenommen, d = gcd(a, p), also dx = p. Weil p irreduzibel ist, gilt
somit d = ±1 oder x = ±1. Im ersten Fall sind wir fertig, im zweiten Fall
wäre d = ±p und somit p doch ein Teiler von a.
¥
Satz 1.6.7 p irreduzibel
⇔
p prim.
Beweis “⇐:” siehe Lemma 1.6.2.
“⇒:” Angenommen p | ab, aber p teilt weder a noch b. Wegen Lemma 1.6.6
gilt dann 1 = gcd(p, a) = gcd(p, b). Satz 1.6.5 liefert die Existenz von s, s′ , t, t′
mit
1 = ps + at = ps′ + bt′ .
Multiplikation liefert
1 = (ps + at)(ps′ + bt′ ) = px + abtt′
für ein geeignetes x ∈ Z. Wegen p | ab wäre dann p ein Teiler von 1, was
nicht geht.
¥
Man kann jetzt den Satz von der eindeutigen Primfaktorzerlegung formulieren und beweisen (siehe Vorlesung).
24
1.7
Zusammenfassung
• Sie haben in diesem Kapitel die grundlegenden Begriffe aus der Mengenlehre und der Aussagenlogik gelernt.
• Sie sollten in der Lage sein, einfache Aussagen aus der Mengenlehre
und der Aussagenlogik selbstständig zu beweisen (Wahrheitstafeln).
• Sie sollten das Prinzip des indirekten Beweises vesrtehen
• Sie sollten das Prinzip der vollständigen Induktion verstanden haben
und einfach Induktionsbeweise führen können.
• Sie sollen den Euklidischen Algorithmus beherrschen und in der Lage
sein, damit den ggT zweier ganzer Zahlen sowie seine Vielfachsummendarstellung zu bestimmen.
• Sie sollen den Begriff der Relation und der Abbildung verstanden haben und mit den Begriffen reflexiv, transitiv, symmetrisch, injektiv,
surjektiv, bijektiv umgehen können.
• Der Zusammenhang zwischen Äquivalenzrelationen und Partitionen
muss Ihnen klar sein.
• Die “modulo” Relation sollte Ihnen geläufig sein.
• Sie haben in diesem Kapitel u.a. im Zusammenhang mit dem Abbildungssatz erstmals das Problem der “Wohldefiniertheit” kennengelernt.
Machen Sie sich damit vertraut! Ein solches Problem tritt noch häufiger
auf.
25
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