Psychotherapeutische Beziehung Alles gleich und doch verschieden? Perspektiven der psychotherapeutischen Schulen Prof. Dr.Wolfgang Swenf Department of Psychosomatic Medicine and Psychotherapy University of Duisburg-Essen Virchowstr. 174 D-45147 Essen [email protected] www.seelische-gesundheit-essen.de Psychotherapie „Irgendeinmal wird das Gewissen der Gesellschaft erwachen und sie mahnen, dass der Arme ein ebensolches Anrecht auf seelische Hilfeleistung hat, wie bereits jetzt auf lebensrettende chirurgische. … Diese Behandlungen werden unentgeltlich sein.“ „ das Gold der Analyse …reichlich mit dem Kupfer der Suggestion zu legieren“ 1918 Budapester Kongress Psychotherapie Psychotherapie – Seelenbehandlung durch Worte Psyche ist ein griechisches Wort und lautet in deutscher Übersetzung Seele. Psychische Behandlung heißt demnach Seelenbehandlung. Man könnte also meinen, dass darunter verstanden wird: Behandlung der krankhaften Erscheinungen des Seelenlebens. Dies ist aber nicht die Bedeutung dieses Wortes. Psychische Behandlung will vielmehr besagen: Behandlung von der Seele aus, Behandlung – seelischer oder körperlicher Störungen – mit Mitteln, welche zunächst und unmittelbar auf das Seelische des Menschen einwirken. Ein solches Mittel ist vor allem das Wort, und Worte sind auch das wesentliche Handwerkszeug der Seelenbehandlung. Psychotherapie – Definition Psychotherapie ist (nach Strotzka 1975). • ein bewusster und geplanter interaktioneller Prozess • zur Beeinflussung von Erlebens- und Verhaltensstörungen und Leidenszuständen • die in einem Konsenses zwischen Patient, Therapeut und Bezugsperson für behandlungsbedürftig gehalten werden • mit psychologischen Mitteln, d. h. durch Kommunikation, meist verbal, aber auch averbal • in Richtung auf ein definiertes, nach Möglichkeit gemeinsam erarbeitetes Ziel (Symptomminimalisierung und / oder Strukturänderung der Persönlichkeit ) • mittels lehrbarer Technik auf der Basis einer Theorie des normalen und pathologischen Verhaltens • in der Regel ist dazu eine tragfähige emotionale Beziehung notwendig. Psychotherapie – Therapeutische Beziehung Psychotherapie ist professionelle Kommunikation im Sinne eines bewussten und geplanten interaktionellen Prozesses zwischen zwei oder mehreren Personen (Strotzka 1975). Psychotherapie findet zwangsläufig im Rahmen einer Beziehung statt als ein gemeinsames Wirkprinzip für jede Psychotherapie (Balint 1976) Psychotherapie ist eine hilfreiche Allianz zwischen Patienten und Therapeuten (Orlinsky et al. 2004). Die professionelle psychotherapeutische Beziehung ist ein zentraler Aspekt für die Durchführung einer Psychotherapie Psychotherapie – Therapeutische Beziehung • • • • Therapiemethode Erwartung/Placebo Außertherapeutische und Patientenfaktoren Therapeutische Beziehung Asay und Lambert 2001 15% 15% 40% 30% Psychotherapie – Therapeutische Beziehung Unterschiede zwischen den Therapieperspektiven? Historische Ursachen für die Vielfalt in der Psychotherapie (according to Orlinsky 1994) Problemformen und Störungsbilder Psychoanalyse (Freud) Hysterie und Zwang Interpersonale Therapie (Sullivan, Fromm-Reichmann, Searles) Behaviourale Therapie (Eysenk, Skinner, Wolpe) Cognitive Therapie (Beck) Schizophrenie Phobie Depression Persönlichkeit und Lebensumstände Freud: junge Erwachsene der oberen und oberen Mittelschicht Jung: mittleres Alter, andere Kulturen Adler: Unterschicht M. Klein: Kleinkinder Rogers: hochgebildet, introspektiv, selbstbestimmt, Universität Goldstein: ungebildet, wenig introspektiv Azrin: psychiatrisch hospitalisiert Unterschiede zwischen den Therapieperspektiven? In: Senf/Broda: Praxis der Psychotherapie. Ein integratives Lehrbuch. Thieme Psychoanalyse KrankheitsTheorie Behandlungs theorie, Ziele Setting, BehandlungTechnik Interaktion, Beziehung Kontextuelle Bedingungen Verhaltentherapie Systemische Therapie Humanistische Therapie Psychotherapieschulen-Vergleich: Behandlungstheorie KrankheitsTheorie BehandlungsTheorie, Ziele Setting, BehandlungsTechniken Interaktion, Beziehung Kontextuelle Bedingungen Psychoanalyse Verhaltentherapie Systemische Therapie Humanistische Therapie Dynamik der Entwicklung der Persönlichkeit und Konfliktbewältigung auf den Ebenen • Trieb • Objekt • Selbst in einer Phasentheorie der psychischen Entwicklung mit dazugehörigen Entwicklungsaufgaben. Dysfunktionales Verhalten, erworben aus der Lerngeschichte in PersonUmwelt-Situationen und aufrechterhalten durch die Konsequenzen des Verhaltens Auswirkung der Kommunikation zwischen den Mitgliedselementen sozialer Systeme (Partnerschaft, Familie, Nachbarschaft, Team, Institution, etc.) auf die psychischen und biologischen Systeme (Gedanken, Gefühle, Hormonausstöße) oder Erkrankungen Phänomenologischexistenzphilosophisches Menschenbild, danach resultiert Störung und Krankheit aus der Entfremdung gegenüber individueller subjektiver Erfahrung, was zu einem Missverhältnis von Erfahrung und Selbstkonzept führt. Psychotherapieschulen-Vergleich Krankheitstheorie Psychoanalyse Verhaltentherapie Systemische Therapie Humanistische Therapie Bearbeitung der „Reste verbliebener Kindlichkeit“ durch Auflösung unbewusster Konfliktdynamik, emotionale Nachreifung und Entwicklung der Persönlichkeit im Rahmen der therapeutischen Beziehung; Unbewusstes bewusst machen; Förderung von Einsicht Wiederherstellung von Erlebens- und Verhaltenskompetenz durch Veränderung der Selbstsicht und Selbstkontrolle, Bewältigung von Stresssituationen Aufbau konstruktiver Kommunikationsstrukturen durch Auffinden, Analyse und Veränderung dysfunktionaler Strukturen Förderung der Selbstaktualisierung (Selbstverwirklichung) KrankheitsTheorie BehandlungsTheorie, Wirkfaktoren, Ziele Setting, BehandlungsTechniken Interaktion, Beziehung Kontextuelle Bedingungen Psychotherapieschulen-Vergleich: Behandlungstechniken Psychoanalyse Verhaltentherapie Systemische Therapie Humanistische Therapie Intensive Therapeutische Beziehung; Analyse von Regression und Übertragungsmustern; Regressionsfördernde Interventionen; Aktualisierung biografisch (insbesondere früher) relevanter Konflikte und Erfahrungen in der therapeutischen Beziehung, Kognitive Umstrukturierung; Modelllernen; Üben, Habituation, Verstärkungslernen; Training sozialer Kompetenz (handlungsorientiert); Aufbau realitätsorientierter Werte und Sinnstrukturen (kognitionsorientiert); Emotionsregulierung, Habituationstraining (affektorientiert); Persönlichkeitsentwicklung (Ressourcenorientiert) Evozieren, Deuten, Instruktion Begegnung, Empathie, Kongruenz und Wertschätzung; positive Konnotation von Handlungsmotiven, Motivation zur Veränderung; Annahme, Dialog, Focussing, „Experimente“, Rollenspiele; KrankheitsTheorie BehandlungsTheorie, Wirkfaktoren, Ziele Setting, BehandlungsTechniken Interaktion, Beziehung Kontextuelle Bedingungen Psychotherapieschulen-Vergleich: Beziehung Psychoanalyse Verhaltentherapie Systemische Therapie Humanistische Therapie Spiegeln, deuten, wohlwollende Neutralität; Abstinenzprinzip; Manchmal frustrierend oder unterstützend, aber wesentlich nicht-direktiv Erfahrener Mitarbeiter beim Problemlösen, beratend und unterstützend; psychoedukativ; Aufbau und Behalt einer kooperativen Arbeitsbeziehung Beobachtend; dysfunktionale Kommunikationsstruktur evozierend; eventuell Rat und Beistand gebend einsichtsorientiert; klare, zieltransparente und hoffnungsvermittelnde Grundhaltung; akzeptierender Dialogpartner; gegenseitig permissiv KrankheitsTheorie BehandlungsTheorie, Wirkfaktoren, Ziele Setting, BehandlungsTechniken Interaktion, Beziehung Kontextuelle Bedingungen Psychotherapie – Therapeutische Beziehung Unterschiede zwischen den Therapieperspektiven? Alle Therapieperspektiven betonen die Wichtigkeit des Einbezugs der Therapiebeziehung als ein zentrales Bestimmungsstück ihrer therapeutischen Arbeit. Ist die Unterscheidung zwischen Therapieperspektiven, ob die Beziehung stärker gewichtet wird oder nicht, also zwischen den psychodynamischen Ansätzen und den humanistischen Verfahren einerseits und den eher technikbezogenen Perspektiven, also der Verhaltenstherapie und der systemischen Therapie andererseits, heute noch aktuell? Psychotherapie – Therapeutische Beziehung Unterschiede zwischen den Therapieperspektiven? Ist die Unterscheidung zwischen Therapieperspektiven, ob die Beziehung stärker gewichtet wird oder nicht, also zwischen den psychodynamischen Ansätzen und den humanistischen Verfahren einerseits und den eher technikbezogenen Perspektiven, also der Verhaltenstherapie und der systemischen Therapie andererseits, heute noch aktuell? „Unsere zugegebenermaßen lauwarmen und oberflächlichen Formulierungen brachten eine herzliche Zusammenarbeit zwischen Leuten zustande, die bis anhin meilenweit voneinander entfernt zu sein glaubten” (CG Jung 1938 zur Integrationskommission der Schweizer Gesellschaft für Psychiatrie) Psychotherapieschulen-Vergleich: Beziehung Jede therapeutische Perspektiven stellt spezifische psychotherapeutische Kompetenzen zur Gestaltung und Handhabung der therapeutische Beziehung Verfügung. Beziehung als gestalterischer Prozess. Die therapeutische Beziehung ist ein prozesshaftes, sich allen Möglichkeiten des Therapieverlaufes anpassendes und diesen veränderndens Geschehen. Therapeutische Beziehung Ist Beziehung alles und ohne Beziehung alles nichts? Therapeutische Beziehung Ist Beziehung alles und ohne Beziehung alles nichts? Die Beziehung Hintergrund, auf dem sich therapeutische Arbeit vollzieht, eine Einbettung der Technik erlaubt und eine angstfreiere Begegnung mit emotionalen, kognitiven und realen Zuständen und Situationen erlaubt. Die grundlegenden therapeutischen Ansätze finden jeweils in der Beschreibung der therapeutischen Beziehung ihren Niederschlag Beziehung wird unter Dimensionen gesehen, die für die jeweilige Therapieperspektive zentral sind. Die jeweilige Perspektive instrumentalisiert somit auch die Auffassung von Therapiebeziehung als Beleg für die eigene Theoriebildung. Therapeutische Beziehung Therapeutische Beziehung Beziehungsdimension • Alltägliche zwischenmenschliche Beziehung • Arbeitsbeziehung • Problembestimmte Beziehung • Kollusion Therapeutische Beziehung Beziehungsdimension • Alltägliche zwischenmenschliche Beziehung • Arbeitsbeziehung • Problembestimmte Beziehung • Kollusion bewusst unbewusst Therapeutische Beziehung Beziehungsdimension • Alltägliche zwischenmenschliche Beziehung Gleichgestellte, symmetrische, rollenfreie Interaktion bewusst unbewusst Therapeutische Beziehung Beziehungsdimension • Alltägliche zwischenmenschliche Beziehung • Arbeitsbeziehung (Greenson) Therapeutischer Vertrag, geprägt durch die jeweiligen Rollen; vorwiegend rational, nicht überwiegend emotional; Verhalten des Patienten: nach den expliziten und impliziten Bedingungen des therapeutischen Vertrages Verhalten des Therapeuten: berufsständische und persönlich Normen, berufliche Identifikation; bewusst unbewusst Therapeutische Beziehung bewusst • Alltägliche zwischenmenschliche Beziehung • Arbeitsbeziehung • Problembestimmte Beziehung Konflikthafte und problematische Inhalte; in der Beziehung kommen bedeutsame Personen und Erfahrungen aus der Vergangenheit zum Tragen; Ebene der Übertragung und Gegenübertragung unbewusst Therapeutische Beziehung bewusst • Alltägliche zwischenmenschliche Beziehung • Arbeitsbeziehung • Problembestimmte Beziehung • Kollusion Therapeut interagiert seine problematischen Anteile mit dem Patienten; die Erfahrungen aus der Vergangenheit des Therapeuten kommen in störendem Sinne zum Tragen; Hineinziehen in eine unbewusste Inszenierung. unbewusst Psychotherapie - Psychische Behandlung - Seelenbehandlung Psyche ist ein griechisches Wort und lautet in deutscher Übersetzung Seele. Psychische Behandlung heißt demnach Seelenbehandlung. Man könnte also meinen, dass darunter verstanden wird: Behandlung der krankhaften Erscheinungen des Seelenlebens. Dies ist aber nicht die Bedeutung dieses Wortes. Psychische Behandlung will vielmehr besagen: Behandlung von der Seele aus, Behandlung – seelischer oder körperlicher Störungen – mit Mitteln, welche zunächst und unmittelbar auf das Seelische des Menschen einwirken. Ein solches Mittel ist vor allem das Wort, und Worte sind auch das wesentliche Handwerkszeug der Seelenbehandlung.