Friedrich-Ebert-Stiftung, Forum Berlin Projekt Gesellschaftliche Integration 2. Fachgespräch (Des)-Integration. Begriffsbestimmung und Konzepte 16. Oktober 2006 Panelgespräch: „Integration – Desintegration“. Begriffsbestimmung und Konzepte Impulsvortrag Dr. Wolfgang Vortkamp Ein Konzept sozialer und gesellschaftlicher Integration Berlin, Universität Konstanz Integration hat Konjunktur; und nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in der Politik und in der Öffentlichkeit. Das weist darauf hin, dass ein soziales Geschehen problematisch geworden ist. „Ein Konzept sozialer und gesellschaftlicher Integration“ – so ist dieser Vortrag betitelt, weil es das Konzept von Integration nicht gibt. Integration ist ein komplexer Begriff, der einen noch viel komplexeren Gegenstand beschreibt und darum immer in seinen konkreten Anforderungen und Zusammenhängen thematisiert werden muss. Die Komplexität von Begriff und Gegenstand der Integration führt dazu, dass vielfältige Begriffe kursieren. Zum Teil ist die Abgrenzung zur Assimilation unscharf, zum Teil wird der Gegenstandsbereich nicht klar benannt. Bisweilen ist auch von „kontingenter Vereinheitlichung“ (Schimank) die Rede, wenn Integration gemeint ist, die dann – mit Luhmann – als „Reduktion von Freiheitsgraden“ definiert wird. Ich möchte im Folgenden eine Perspektive von sozialer und gesellschaftlicher Integration vorstellen. Dazu werde ich verschiedene Unterscheidungen vornehmen, um so den Begriff auf einen spezifischen Gegenstand und ein bestimmtes Konzept einzugrenzen. Das Konzept, das ich hier vorstellen möchte, ist im Rahmen einer empirischen Untersuchung über die Integrationsleistung von Vereinen in Dessau entstanden. Dazu brauchte es zunächst einen operationalisierbaren Begriff von Integration, der es ermöglicht, verschiedene Integrationsniveaus zu differenzieren und zu messen. Ich habe das Konzept „Partizipative Integration“ genannt und im Fazit lassen sich drei Thesen formulieren. Erstens: Individuen können sich nicht in eine Gesellschaft integrieren, sie können sich nur assimilieren. Zweitens: Kulturelle oder ethnische Gruppen assimilieren sich der sie umgebenden Gesellschaft nicht. Sie müssen mit ihren Normen und Werten in die Gesellschaft integriert werden. Drittens: Integration in die Gesellschaft ist nur über die Teilhabe an ihrer Gestaltung möglich. Seit der Entstehung moderner Gesellschaften wird in der Soziologie Integration thematisiert. Und seither wird auch immer wieder die Frage diskutiert: Fällt die Gesellschaft auseinander? Oder: Was hält die Gesellschaft eigentlich zusammen? Oder, wie es der Soziologe Georg Simmel schon vor etwa hundert Jahren formuliert hat: Wie ist Gesellschaft möglich? Verstehen wir Gesellschaften als menschliche Aggregationen, die die Fähigkeit zur kollektiven Handlung haben, dann ergibt sich daraus die Frage, wie diese kollektive Handlungsfähigkeit oder der innere Zusammenhalt von Gesellschaften hergestellt bzw. aufrechterhalten wird. Gesellschaften bestehen – aus soziologischer, handlungstheoretischer Perspektive – nicht aus Individuen. Die konstituierenden Elemente von Gesellschaften sind Organisationen und Institutionen. Einzelne Individuen, insofern sie nicht als Repräsentanten für eine Vielzahl von Individuen handeln, vermögen nicht gesellschaftliche Einrichtungen zu gestalten oder zu verändern. Individuen werden in die Institutionen der Gesellschaften, wie Durkheim sagte, „hineingeboren und sind ihnen gegenüber nicht gestaltungsmächtig“. Handlungsfähig in Bezug auf das gesellschaftliche Ganze sind darum nur Zusammenschlüsse von Individuen, also z.B. Organisationen, Institutionen, Parteien, Verbände. Nun kann man bei der Integration von Gesellschaften mit Bezug auf Lockwood zwischen Sozialintegration und Systemintegration unterscheiden. Sozialintegration meint die Integration von Individuen in einen sozialen Zusammenhang. Systemintegration beschreibt die Integration von gesellschaftlichen Organisationen und Institutionen in das gesellschaftliche Ganze. Darüber hinaus kann man zwischen zwei Integrationsmustern differenzieren, nämlich zwischen einer strukturellen oder funktionalen Integration und einer affektiven Integration. Moderne Gesellschaften sind weitgehend funktional integriert. Durch die existenziell notwendige Teilhabe der Individuen an Märkten, einschließlich des Arbeitsmarktes, aber auch an anderen gesellschaftlichen Teilsystemen, wie z.B. dem Bildungssystem und dem Rechtssystem, sind die Individuen unweigerlich in das gesamte System eingebunden. Als solche erfordert funktionale Integration keine kollektive Identität und keine Identifikation mit dem Ganzen. Der Einzelne ist Teil einer objektiven Struktur – und als solcher muss er nicht per se einen Identitätsfokus ausbilden. Die affektive Integration beruht auf einer inneren Verbundenheit, inneren Haltungen, Überzeugungen, Einstellungen und einer kollektiven Identität. Affektive Bindungen bestehen zumeist in traditionsgebundener Form, das heißt, sie entstehen qua Zugehörigkeit durch Herkunft. In dieser Form sind sie allerdings über ihren eigenen Kreis hinaus nicht integrativ. Sie haben einen exklusiven Charakter, indem sie andere, die nicht die gleiche Herkunft haben, ausschließen. Die funktionale Integration ist jedoch für moderne Gesellschaften nicht hinreichend, um die kollektive Handlungsfähigkeit zu erhalten, weil sie eben keine affektive Integration und keine kollektive Identität erzeugt, sondern in diesem Sinne auf Traditionsbestände setzt. In Zeiten der wirtschaftlichen Prosperität ist das Maß an Zustimmung und das passive Teilsein einer solchen Struktur in der Regel ausreichend, um kollektive Handlungsfähigkeit aufrechtzuerhalten. In Zeiten der Krise und der notwendigen Umgestaltung gesellschaftlicher Institutionen braucht es jedoch ein stärkeres Maß an Integration; es braucht die Bereitschaft der Individuen, eigene Interessen für das Allgemeinwohl zurückzustellen. Die mikroelektronische Revolution, die Prozesse der Deindustrialisierung und Globalisierung, die Wiedervereinigung und die Migrationen haben nachhaltige Folgen für den Arbeitsmarkt, das Bildungssystem und die Familienstrukturen. Die Gesellschaft und ihre funktionalen Teile differenzieren und segmentieren sich und lösen damit bestehende Integrationen auf. In der Bearbeitung dieser Probleme kann man eine pessimistische und eine optimistische Perspektive unterscheiden. Die pessimistische Variante diskutiert unter der Gegenüberstellung Integration – Desintegration vor allem den Verlust und den Zerfall, zum Teil vormals nur unterstellter Zusammenhänge. Die optimistische Position hingegen versteht Integration als Resultat bewussten intendierten Handelns in der Folge von ständig zunehmenden neuen Differenzierungen. In diesem Zusammenhang ist der Begriff der Integration komplementär zur Differenzierung. Betrachten wir die Integrationsdebatte in ihren konkreten Kontexten, dann können drei Bereiche identifiziert werden: Zentral in der gegenwärtigen Integrationsdebatte ist die Integration von Migranten, also die Einbeziehung von Menschen eines anderen Kulturkreises in die eigenen, zumeist homogen gedachten Lebensformen und gesellschaftlichen Ordnungsmuster. Hier wird inhaltlich vor allem die funktionale Integration in den Arbeitsmarkt, in das Bildungs-, Werte-, Normen- und Rechtssystem sowie in die Sprachgemeinschaft gefordert. Wie affektive Bindung über die Migrantengemeinschaften hinaus geleistet werden soll – also Integration in die bundesrepublikanische Gesellschaft – wird dabei kaum thematisiert. Es handelt sich im Bereich der kulturellen Werte und Normen zumeist um Forderungen nach Assimilation der zugewanderten Bevölkerung an das bundesdeutsche Normen- und Wertesystem. Ein zweiter Bereich betrifft die Integration der einheimischen Bevölkerung, die überwiegend in der negativen pessimistischen Perspektive diskutiert wird: als Desintegration, also als Zerfall von sozialem Zusammenhalt und Verlust von identitätsbildenden Gemeinschaften. Die Desintegration gilt als Folge von zunehmender Differenzierung, Ausgrenzung und Segmentierung auf dem Arbeitsmarkt, im Bildungsbereich und bei den Familienstrukturen. Im Bereich affektiver Integration wird auf Traditionsbestände und allenfalls noch auf Vereine rekurriert. Ein dritter Problembereich besteht in der spezifisch deutschen Situation einer sozial, kulturell und ökonomisch differenzierten ostdeutschen Bevölkerung, die durchaus als Minderheit klassifiziert werden kann. Hier wird im Rahmen der Transformation gesellschaftlicher und politischer Strukturen vor allem die funktionale Integration gefordert. Ähnlich wie bei den Migranten ist vorrangig Assimilation im Bereich der kulturellen Werte und Normen gefordert. Gensicke hat diesen Prozess als „Transformation ohne Integration“ bezeichnet. In allen drei Bereichen wird im Wesentlichen auf die funktionale Integration gesetzt, also auf Teilhabe am Arbeitsmarkt, im Bildungsbereich und in der Sprachgemeinschaft. Darüber hinaus wird häufig, insbesondere in der politischen Debatte, zwar von Integration gesprochen, aber zumeist Assimilation gefordert – zum Teil in der Annahme, die Anpassung an die Normen und Werte würde als natürliche Folge der Teilhabe am Arbeitsmarkt und im Bildungssystem entstehen. Wenn wir die genannten Bereiche näher betrachten, dann stellt sich die Frage nach dem konkreten Gegenstand der Integration, und zwar in doppelter Hinsicht. Zum einen geht es um die Frage: Was soll integriert werden? Zum anderen ist der Gegenstand oder das Ganze zu bestimmen, auf den sich die Frage bezieht: In was soll etwas integriert werden? Jede Integration hat ein Subjekt und ein Objekt. Das Subjekt der Integration, das, was also integriert werden soll, kann sowohl ein einzelnes Individuum sein als auch eine soziale Gruppe, eine Kultur oder eine Institution. Das Objekt der Integration kann in zwei Bereiche zerlegt werden: in einen konkreten Bereich – Familie, Gruppe, Kultur, Institution, Arbeitsmarkt – und in einen abstrakteren Bereich – Gesellschaft, Nation, Wertegemeinschaft. Die Identifizierung eines Subjekts und eines Objekts der Integration ist aus zwei Gründen von Bedeutung. Erstens ist festzustellen, dass kaum ein Individuum als völlig desintegriert gelten kann, sondern immer in einen konkreten sozialen Zusammenhang integriert ist. Zweitens ist eine Integration von Individuen in eine Kultur oder eine Gesellschaft im eigentlichen Sinne des Begriffes „Integration“ aufgrund von strukturellen Disparitäten gar nicht möglich. Im sozialpolitischen Verständnis meint Integration den Prozess, durch den bisher außenstehende Personen oder Gruppen zu Gliedern oder gleichwertigen Teilen einer größeren sozialen Gruppe oder einer Gesellschaft werden. Es handelt sich in diesem Zusammenhang nicht um die vollständige Anpassung an ein bereits bestehendes Ganzes, was Assimilation bedeuten würde, sondern immer um die kombinatorische Neukonstruktion eines veränderten Ganzen unter Einbindung der Werte und Kulturen der zu Integrierenden in die neue Gesellschaft. Einzelne Individuen können sich und ihre Lebensweise einer Gesellschaft oder Kultur nicht integrieren, weil sie einer Kultur oder gesellschaftlichen Institutionen gegenüber nicht gestaltungsmächtig sind. Sie müssen sich ihrer Umgebung assimilieren. Umgekehrt gilt aber, dass größere kulturelle oder ethnische Gruppen, die als sozialräumliche Einheit in segregierten Gebieten leben, ihre eigene Sprache sprechen und in ihren eigenen Lebenskulturen integriert bleiben, sich in ihrer Kultur zusammenschließen und sich darum nicht der sie umgebenden Gesellschaft assimilieren. Sie müssen als Kultur in ein gemeinsames Ganzes integriert werden, indem Teile ihrer Normen, Werte und Lebenskultur in die Gesellschaft aufgenommen werden. Integration von Kulturen und ethnischen Gruppen ist daher immer ein kollektiver Prozess, wie das auch schon am Anfang des letzten Jahrhunderts in der amerikanischen Integrations- und Einwanderungsdebatte thematisiert worden ist. Der Integrations- oder Assimilationsdruck auf die Individuen von außen wirkt dann zum Teil kontraproduktiv, weil er Rückzug und Abschluss der Kulturen nach innen bewirkt und damit das Gegenteil von dem erreicht, was er herstellen will. Ausgehend von den Ergebnissen einer Untersuchung in Dessau habe ich Integration als einen hierarchisch gegliederten Prozess definiert, der über vertikal angeordnete Ebenen verläuft. Integration wird so auf zwei Achsen differenziert. Zum einen wird zwischen primärer und sekundärer Integration unterschieden. Primäre Integration findet in konkreten sozialen Beziehungen und Face-to-FaceKontakten statt und bindet Menschen in lokale Zusammenhänge und spezifische soziale Milieus oder Subkulturen ein. Sekundäre Integration bezieht sich auf abstraktere Prozesse gesellschaftlicher Integration und wird über mediale und institutionelle Kommunikation erreicht. Die Anbindung an gesellschaftliche Normen, Werte und Verhaltenstechniken wird durch die Einbindung der Individuen in Organisationen geleistet, die wiederum die Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen ermöglichen. Zum anderen wird zwischen aktiven und passiven Mustern sozialer Teilhabe differenziert. Damit wird ein Rahmen eröffnet, um schwach integrative Positionen der bloßen Zustimmung von aktiven und offensiven Gestaltungsansprüchen unterscheiden zu können. Auch Konfliktbeziehungen können hier als integrative Prozesse identifiziert werden. Die hier dargestellte Kategorisierung in einem Vier-Felder-Schema beschreibt idealtypische Integrationsmuster. Idealtypisch meint in diesem Zusammenhang, dass eine hohe Integration im Bereich der primären Integration nicht zugleich eine geringe Integration im Bereich der sekundären Integration bedeutet. Vielmehr stehen alle vier Bereiche als idealtypische Muster sozialer und gesellschaftlicher Integration nebeneinander. Integrationsschema passiv aktiv Zustimmung Engagement I III sozial sozial eingebunden engagiert sekundäre Integration II IV symbolisch und über gesellschaftliche Organisationen vermittelt politisch-gesellschaftliche zivilgesellschaftliche Zustimmung Integration primäre Integration face-to-face Im Feld I ist das schwächste Maß der Integration zu verorten: als Anpassung an die vorgegebenen (sub)kulturell bedingten Verhaltensweisen sowie als Einbindung im direkten Umfeld persönlicher Kontakte. Hier findet man den Typus des unauffälligen, unpolitischen Bürgers mit einer hohen sozialen Einbindung und Tendenzen zum Rückzug ins Private. Dieses Integrationsmuster zeigt sich vermutlich auch bei unpolitischen jugendlichen Subkulturen, bei Migrantenfamilien, bei Mitläufern von Sekten und politischen Randgruppen. Feld II ist der Ort des klassischen sozialstaatlichen Normalbürgers. Er weist ein relativ hohes Maß an allgemeiner Zustimmung zu den gesellschaftlichen Normen, Werten und Institutionen auf, unternimmt allerdings kaum irgendwelche Aktivitäten für den Erhalt oder die Gestaltung seines Gemeinwesens. Dies ist eine schwache Form der Integration, die wenig belastbar ist und in Zeiten der Krise leicht zu Politikverdrossenheit führt. Denn die Zustimmung ist oft durch ökonomischen Wohlstand induziert und bricht entsprechend schnell weg, wenn dieser nicht mehr gesichert ist. Im Feld III lassen sich die sozial engagierten Bürger im lokalen Bereich identifizieren, darunter auch die typischen „Vereinsmeier“ oder „Platzhirsche“. Häufig findet sich dieser Modus bei Vor-Ort-Aktivisten segregierter Migrantenpopulationen, von Stadtteilinitiativen oder anderen lokal organisierten Gruppen. Im Feld IV findet man den engagierten, kompetenten Bürger, wie er in der zivilgesellschaftlichen Debatte vielfach gefordert wird. Er ist konfliktbereit und konfliktfähig, politisch hoch engagiert, insbesondere auch in Politikfeldern, die über den unmittelbaren eigenen Erfahrungshorizont hinausgehen. Er engagiert sich z.B. für Frieden, Menschenrechte, Demokratieentwicklung, und vertritt politische Positionen, die aufgrund allgemeiner Normen und Werte in Stellvertreterpolitik für andere gefordert werden. Dieser Bürgertypus weist allerdings nicht bloß Zustimmung zu den bestehenden Normen und Werten auf, sondern er übt auch Kritik an gegebenen Einrichtungen und Institutionen. Dies darf nicht als mangelnde Integration verstanden werden. Vielmehr handelt es sich um einen politischen Partizipationsanspruch der Bürger an einer aktiven Gestaltung und Entwicklung gesellschaftlicher Lebens- und Organisationsweisen. In diesem Feld ist daher auch eine hohe Konfliktfähigkeit erforderlich. Einzelne Individuen sind also zum einen mehr oder weniger primär in ein soziales Umfeld integriert und darüber hinaus mehr oder weniger sekundär in gesellschaftliche Organisationen (Sozialintegration). Der Grad der Integration von Individuen in die Gesellschaft ist daher nicht nur davon abhängig, wie stark sie in gesellschaftliche Organisationen integriert sind, sondern ganz entscheidend auch davon, wie stark die Organisationen in die Gesellschaft integriert sind (Systemintegration). Eine hohe Integration in eine rechtsradikale Organisation, in eine kriminelle oder terroristische Vereinigung, in eine Ghettokultur, in einen türkischen Verein, in einen Sportverein oder auch in den Arbeitsmarkt bedeutet nicht zugleich eine hohe Integration in die sozialen Normen und Werte einer Gesellschaft. Das steht im Gegensatz zu einigen Theorien, die Vereine und freiwillige Assoziationen per se als Integrationsagenturen der Gesellschaft auffassen. Ein gewisses Maß an Konflikten zwischen verschiedenen Organisationen in modernen heterogenen Gesellschaften ist dabei nicht nur kein Problem, sondern im Gegenteil sogar notwendig. Zum einen, weil Konflikte, insofern sie nicht auf die vollständige Vernichtung des Gegenübers zielen und in rechtsstaatlichen Formen ablaufen, durchaus integrierend wirken können. Zum anderen, weil politisch widerständige Organisationen in Zeiten der Krise für Reformen von innen bei prinzipieller Wahrung des Charakters dieser Organisation oder dieser Gesellschaft erforderlich sind. Münkler z.B. behauptet, dass das Fehlen solcher Organisationen in der DDR zum Zusammenbruch des Systems entscheidend beigetragen hat. Die Ergebnisse der Untersuchung über die integrativen Potenziale von Vereinen in Ostdeutschland haben gezeigt: Die Integration von Individuen ist einerseits abhängig von der sozialen und politischen Positionierung der Vereine – also deren Systemintegration –, mehr noch ist der Grad der individuellen Integration aber andererseits von dem Ausmaß der aktiven Partizipation am gesellschaftlichen Geschehen bestimmt. Es ist die unmittelbare und aktive Teilhabe an sozialen und politischen Entscheidungsprozessen, die integriert, und dies gilt selbst in systemverweigernden Nischen. Mehr noch als Kultur, Milieu oder Ideologie ist daher die Partizipation entscheidend. In modernen Zivilgesellschaften brauchen die Bürger deshalb vielfältige Möglichkeiten, aktiv und nachhaltig an der Gestaltung der Probleme und deren Lösungen mitzuwirken. Sozialstaatliche Politik kann sich daher nicht mehr darauf beschränken, knappe materielle Ressourcen umzuverteilen und die Zugänge zum Arbeitsmarkt und zum Bildungssystem zu regulieren. Vielmehr müssen darüber hinaus politische Teilhabechancen geschaffen und umverteilt werden. Dafür braucht es aber auch neue Institutionen, die die Teilhabe an der Gestaltung der Gesellschaft gewährleisten und die – wie Heitmeyer das kürzlich genannt hat – „Selbstwirksamkeitserfahrungen“ ermöglichen. Die bloße Repräsentation der Bürger erzeugt in Zeiten der Prosperität bloße Zustimmung, keine Teilhabe. Dies führt in wirtschaftlichen Krisenzeiten zu Politikverdrossenheit und zu „rationaler Ignoranz“. Mit diesem Begriff hat Weede schon vor einigen Jahren den bewussten Verzicht der Bürger auf umfassende Information bezeichnet, weil die aufzuwendende Zeit für die Informationsgewinnung in keinem Verhältnis zu den Entscheidungskompetenzen und Teilhabemöglichkeiten steht. In der Folge gilt der Bürger dann als inkompetent und selbstinteressiert, dem politische Entscheidungen nicht überantwortet werden können. Integration in modernen, dauerhaft heterogenen Gesellschaften erfordert aktive Partizipation an sozialen, gesellschaftlichen und politischen Prozessen, die aus passiven Individuen aktive Bürger macht. Dafür ist es unerlässlich, dass Entscheidungskompetenzen und -befugnisse aus der Hand staatlicher Akteure in die Hände der Bürger (zurück)gegeben werden. Notwendig ist eine partizipative Integration und nicht nur Teilhabe am Arbeitsmarkt oder am Bildungssystem. Die neuen sozialen und gesellschaftlichen Differenzierungen globaler Ordnung brauchen in Zivilgesellschaften neue Formen partizipativer Integration – die alten Mittel und Traditionsbestände reichen dazu nicht mehr aus.