Integration von Minderheiten: Warum darüber reden Radko Hokovský, Jiří Kopal Praktische Empfehlungen für die Kommunikation politischer Parteien Was hat unsere Studie des politischen Diskurses zum Thema Integration von Immigranten und Minderheiten gezeigt? Die politischen Parteien des Mainstreams sind im Vergleich zu Protestparteien weitaus weniger bereit oder in der Lage, den Wählern ihre politischen Haltungen bezüglich Immigranten und Minderheiten zu begründen und zu erläutern. Wir setzen voraus, dass dieser Mangel an politischer Kommunikation der Hauptgrund der Dominanz von Populisten und Extremisten in der öffentlichen Debatte zu diesem Thema ist. Aus demselben Grund werden Parteien von den politischen Rändern von den Wählern für die Lösung von Problemen im gegebenen Bereich als kompetenter wahrgenommen. Was sollten traditionelle MainstreamParteien tun, um die Kontrolle über die politische Agenda wiederzuerlangen, zögernde Wähler zurückzugewinnen und das Wirkungsfeld von Extremisten zu verkleinern? Wir bieten Empfehlungen für Mitte-Links- und Mitte-Rechts-Parteien an. Die Empfehlungen können in Ländern umgesetzt werden, wo starke Protestparteien Bestandteil des Parlaments sind, ebenso wie in Staaten, wo sie erst an dessen Tür klopfen. Wenn die Führung traditioneller Parteien bei den kommenden Wahlen zum Europäischen Parlament im Mai 2014 den Populisten nicht eine erhebliche Zahl von Sitzen überlassen will, sollte sie die Implementierung dieser Empfehlungen bereits bei den Vorbereitungen auf diese Wahlen erwägen. a) Politisieren Sie das Thema Die Führung politischer Parteien des Mainstreams muss die Art und Weise ändern, wie sie über die Integrationspolitik nachdenkt. Sie sollte nicht nur eine technische Frage bleiben, der die politischen Parteien in öffentlichen Debatten auszuweichen versuchen. Im Gegenteil, Politiker sollten diese Problematik zu einem politischen Thema machen, das zu einem standardmäßigen Punkt der politischen Agenda wird. In Österreich, Dänemark, den Niederlanden und weiteren Ländern, in denen starke populistische Protestparteien bereits seit längerer Zeit Bestandteil der nationalen Parlamente sind, wurde die Immigration längst zu einem politischen Thema. Aber dazu kam es lediglich dank der Initiative der extremen Rechten, die die öffentliche Debatte beherrschte und Veränderungen in der Immigrationspolitik erfolgreich durchsetzte. Des Themas sollten sich allerdings die Mitte-Rechts- und Mitte-Links-Mainstream-Parteien annehmen und es als legitimen Gegenstand eines würdigen und konstruktiven politischen Wettbewerbs präsentieren. b) Priorisieren Sie auf politische Agenden Es genügt nicht, lediglich den politischen Charakter des Themas anzuerkennen, das Thema ist weit oben auf der Liste der Prioritäten des Programms anzusiedeln. Die Frage der Immigration und der Minderheiten hat wahrscheinlich nicht das Potential, Wahlen zu gewinnen. Wenn ihr jedoch die traditionellen politischen Parteien nicht genügend Aufmerksamkeit widmen werden, kann sie dies den Wahlsieg kosten. Die Integration von Migranten und Minderheiten sollte als zweite oder dritte Priorität eines politischen Programms eine Rolle spielen: nach der Belebung des wirtschaftlichen Wachstums im Fall der Rechten und nach der Senkung der Beschäftigungslosigkeit im Fall der Linken. Die Parteien sollten die eigene politische Position klar beschreiben und sie mit verständlichen und attraktiven Argumenten unterstützen, die auf den Werten der gegebenen politischen Strömung basieren werden. Wenn sich die Parteien auf ein klares Programm stützen können, werden sie nicht in der Position eines passiven Beobachters verharren müssen, der nur gelegentlich auf Forderungen der extremen Rechten reagiert. Sie werden die Rolle eines entscheidenden Akteurs einnehmen können, der bestimmt, worüber diskutiert wird, der die öffentliche Debatte führt und realistische Lösungen bestehender Probleme anbietet. c) Ernennen Sie einen Sprecher und wählen Sie Fachleute aus Die Mainstream-Parteien brauchen nicht nur gründlich ausgearbeitete und detaillierte Programme der Integrationspolitik, sie brauchen auch Gesichter, die diese in den öffentlichen und fachlichen Debatten repräsentieren werden. Die Parteiführung sollte festlegen, wer die Partei derart vertreten wird. Auswählen sollte man jüngere, beliebte Persönlichkeiten mit hervorragenden Kommunikationsfähigkeiten. Sie sollten in der Lage sein, ihre Fachkenntnisse zu verbreiten und ihre Meinung in der öffentlichen Debatte durchzusetzen. Dennoch reicht die Festlegung eines politischen Sprechers nicht aus. Dieser Politiker bräuchte ein Team von Mitarbeitern mit einer Expertise im Bereich Immigration und Integration, die die Vorschläge ihrer politischen Maßnahmen kontinuierlich mit der staatlichen Verwaltung, Think Tanks, Akademikern und Nichtregierungsorganisationen konsultieren werden. d) Tragen Sie den Wettbewerb in den politischen Mainstream Der letzte Schritt ist die Übertragung des politischen Kampfes in Fragen der Immigration und der Minderheiten in den Mainstream der politischen Diskussion. Extremisten von den Rändern des politischen Spektrums greifen die traditionellen Parteien wegen der Zukunft der Integrationspolitik an. Dieser Wettkampf ist zu zivilisieren und auf den politischen Mainstream zwischen der rechten und der linken Mitte zu übertragen. Sobald die Mainstream-Parteien die Kontrolle über die Agenda gewinnen, werden sie in der Lage sein, eine würdige, sachliche, wenn auch vielleicht scharfe Diskussion über Immigranten und Minderheiten zu führen, die für die Wähler verständlich sein wird. Diese werden dann die Möglichkeit haben, zwischen wetteifernden politischen Alternativen zu wählen. In der Folge büßen Extremisten und Populisten einen Vorteil ein (der auf der Passivität der wichtigsten politischen Parteien beruht) und werden Stimmen verlieren. Zweitens regt ein intensiverer und in die Mitte des politischen Spektrums verlagerter Wettbewerb die Kreativität bei der Suche und dem Formulieren einer möglichst effektiven Immigrations- und Integrationspolitik an. Im Idealfall wird diese Politik das Ergebnis einer transparenten öffentlichen Debatte sein und wird von der Mehrheit der Gesellschaft unterstützt. …und nach der erfolgreichen Kommunikation… vergessen Sie nicht, messbare langfristige Politik in der Praxis durchzusetzen, zu praktizieren und auszuwerten Eine proaktive und entschiedene politische Kommunikation im sensiblen Bereich der Integration ist für alle politischen Parteien absolut unerlässlich. Dennoch kann kein langfristiges Vertrauen der Gesellschaft und keine erfolgreiche Integration von Zuwanderern erwartet werden, wenn wir keine Daten über konkrete Verbesserungen und Ergebnisse der tagtäglichen politischen Schritte haben. Wir konzentrieren uns erneut auf effektive Maßstäbe, die im Idealfall von Politikern beider politischer Hauptströmungen angewendet werden könnten. a) Treffen Sie transparente Entscheidungen, die die Auswirkungen politischer Maßnahmen im Laufe der Jahre zu messen sind Linke wie rechte Politiker müssen sich bei der Einführung und der Finanzierung von Integrationsprojekten auf das Prinzip der öffentlichen Verantwortung und der ordnungsgemäßen Verwaltung orientieren. Die erste Frage ist, wie man messbare Daten über Minderheiten gewinnt, die die europäischen Mehrheitsgesellschaften integrieren wollen. Hinter uns liegen viele Jahre verantwortungsloser Vorgehensweisen, fehlender Prioritäten und Zweifel darüber, ob ein Erfolg überhaupt möglich ist. Nun müssen wir endlich eine positive Entwicklung sehen. Die Medien erwarten, dass der Erfolg der Integration mit quantitativen Daten messbar sein wird. Leider ist es im Fall der Muslime und der Roma äußerst schwierig, diese Daten zu gewinnen. Die Daten, die uns zur Verfügung stehen, umfassen keine Angaben zur Ethnizität und reichen deshalb zur detaillierten Erkundung der Situation in ihrer gesamten Komplexität nicht aus. Ferner ist es nicht günstig, den Erfolg von Integration nur mit einer Analyse gebilligter Gesetze und Maßnahmen, sozusagen de iure zu bewerten. Dies tut die Mehrzahl der internationalen Agenturen, denen es an Erfahrung mit der Realität in den einzelnen Staaten fehlt. Die Bewertung muss vor allem auf in der Praxis gesammelten Daten, also auf einer Analyse des faktischen Stands der Integration beruhen. Auch trotz des zuverlässigen Schutzes der Privatsphäre und der langfristigen Unterstützung gegen Diskriminierung kämpfender Nichtregierungsorganisationen ist die Sammlung ethnischer Daten bislang ein allzu sensibles Thema. Wenn es ein solches bleibt, empfehlen wir, in die Methodologie zu investieren. Eine mögliche Lösung wäre eine standardisierte, qualitative Untersuchung in ausgewählten Gemeinschaften. Dank dieser könnten die Ergebnisse der Integrationspolitik im Laufe der Zeit verfolgt und deren Wirkungen in den einzelnen Gemeinschaften verglichen werden. Der Vorteil einer qualitativen Untersuchung ist zudem ihre Fähigkeit, auf neue Probleme hinzuweisen, eine regelmäßige, mit der Zeit wiederholte Untersuchung kann auf gefährliche Trends verweisen. Diese Bewertungsmethoden können im Laufe der Jahre auch dank der Teilung der Ergebnisse mit anderen Staaten auf europäischer Ebene verbessert werden. b) Priorisieren Sie die Bildung Eine vorrangige politische Maßnahme sollte die inklusive Bildung sein. Das Augenmerk sollte vor allem auf Vorschulinstitutionen und Grundschulen gerichtet werden, gerade dort haben Politiker die Chance, eine negative Auswirkung der Immigration auf den Staatshaushalt und die Sozialpolitik zu verhindern. Das Bildungssystem ist so aufzustellen, dass die Kinder von Ausländern und Angehörige nationaler Minderheiten eine gute Bildung in herkömmlichen, staatlichen Schulen in allen Teilen des Landes erhalten und dass der Besuch dieser staatlichen Schulen obligatorisch ist. Zu beginnen ist auf der lokalen Ebene. Inklusive Bildung ist als präventive Maßnahme gegen Segregation und „Ghettoisierung“ von Muslimen und Roma und gegen die Entstehung von Parallelgesellschaften zu verstehen. Der Mehrwert inklusiver Bildung sind soziale Kompetenzen der Schüler. Angehörige der Mehrheit wie der Minderheit lernen in Alltagssituationen zu kommunizieren und Differenzen auf konfliktfreie Weise zu bewältigen. c) Führen Sie die Debatte über den Kampf gegen Diskriminierung weiter und gehen Sie in der Praxis entsprechen ihren Vor- und Nachteilen vor Antidiskriminierungsmaßnahmen trennten die Linke und die Rechte bislang stärker als die oben erwähnte Politik. Durch viele Mitte-Links-Politiker, Liberale wie Konservative, werden sie immer noch als ein Produkt des „sozialistischen Europas“ wahrgenommen. Zudem führte sie Brüssel jüngst in allen EU-Ländern mittels rechtsverbindlicher Richtlinien erfolgreich ein. Durch lokale Politiker und Autoritäten wurden sie oftmals zögernd getroffen oder sie stießen sogar auf Proteste. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung versteht, zumindest was Mitteleuropa betrifft, bis heute nicht deren Nutzen, manchmal auch nicht ihre Bedeutung, und gegenüber ihren Vorteilen bleibt sie misstrauisch. Diese Maßnahmen sollten in den kommenden Jahren sorgfältig eingehalten werden, und zwar einschließlich der Judikative verschiedener gerichtlicher Instanzen. Erst nach einigen Jahren sollte es zur Bewertung der Vorteile und Risiken kommen, die dieses Vorgehen nach Meinung der Linken wie der Rechten gebracht hat, und zur Beurteilung dessen, wie es das Leben und die Unternehmenstätigkeit der Bürger beeinflusst hat. Das Gleichgewicht zwischen Freiheit und Gleichheit sollte auf solche Art und Weise gewahrt werden, die eine erfolgreiche Integration ermöglicht, ebenso wie die Wahrung der Freiheiten in der Privatsphäre. Erst danach sollten jegliche neuen Maßnahmen vorgeschlagen, erörtert und umgesetzt werden, und zwar mit dem Ziel, die erforderliche Legitimität auf nationaler wie lokaler Ebene zu erlangen. Die genannten Empfehlungen basieren auf einer Untersuchung, die der Think Tank Europäische Werte und die Liga für Menschenrechte mit Unterstützung des Think Tanks Fund Open Society Foundations realisiert haben. Die kompletten Schlussfolgerungen der Untersuchung sind in der Publikation Hokovský, R. & Kopal, J. (2013) POLITICS AND POLICIES OF INTEGRATION IN AUSTRIA, HUNGARY, CZECHIA, DENMARK AND AT THE EU LEVEL. Brno & Praha: League of Human Rights & European Values Think-Tank. ISBN 978-80-87414-12-5 enthalten. Die Publikation befasst sich mit zwei Bereichen: ihre erste Hälfte konzentriert sich auf die Ebene des politischen Diskurses bezüglich der Integration von Minderheiten und Immigranten, die zweite Hälfte widmet sich der Evaluierung der eigentlichen Integrationspolitik.