EPI- NEWS AGOGIK UND PFLEGE

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AGOGIK UND PFLEGE
Aktuelles aus dem Schweizerischen Epilepsie-Zentrum
Liebe Leserinnen
und Leser
Nr. 10/Juli 2009
Medikamentöse
Epilepsiebehandlung und deren Überwachung
Von Dr. med. Heinrich Vogt
Im Zentrum einer Behandlung stehen der
Patient und das Wohl
des Patienten. Deshalb
zielen moderne Behandlungskonzepte in der
Epileptologie nicht einfach auf Anfallsfreiheit,
sondern auf eine möglichst hohe Lebensqualität – oder anders ausgedrückt: auf eine möglichst
umfassende Anfallskontrolle bei möglichst wenig
Nebenwirkungen.
Die medikamentöse Epilepsiebehandlung stellt in
erster Linie eine fachliche Herausforderung für
die Mediziner dar. Doch auch die Betroffenen und
ihre Bezugspersonen, Angehörige wie Betreuende, sind gefordert. Sie sind es, die die vereinbarte Medikamenteneinnahme sicherstellen, und sie
spielen eine wichtige Rolle beim Erkennen und
Beschreiben von Wirkungen und Nebenwirkungen
einer bestimmten Medikation oder Medikamentenumstellung. Im vorliegenden Newsletter stellt
Dr. med. Heinrich Vogt, Leitender Arzt im Schweizerischen Epilepsie-Zentrum, den facettenreichen
Spannungsbogen relevanter Fragestellungen, die
es in diesem Zusammenhang zu beachten gilt,
vor.
Jörg Wehr
Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit
Agogik und Pflege
Inhaltsverzeichnis
1. Medikamentöse Epilepsiebehandlung und deren Überwachung
2. Bildungsangebote 2009
Heute stehen uns eine Anzahl verschiedener
Antiepileptika zu Verfügung. Die wichtigsten
Kriterien für die Wahl eines bestimmten Medikamentes sind Wirksamkeit und Verträglichkeit.
Daneben machen aber auch andere Eigenschaften – wie erwünschte Wirkung auf Stimmung und Verhalten, lange Wirkzeiten, keine
Wechselwirkung, zusätzlich positive Wirkung auf
Begleiterkrankungen – häufig eine individuellere
Behandlung möglich. Umstellversuche auf weitere Substanzen sind häufig nötig, haben doch
mindestens ein Drittel der Betroffenen weiterhin
Anfälle, oder ist dies nötig wegen einer schlechten Verträglichkeit.
Epilepsie ist definiert als Zustand einer erhöhten Anfallsneigung, die verschiedene Ursachen
haben kann. Zweck einer medikamentösen Behandlung ist es, das Auftreten der epileptischen
Anfälle präventiv zu verhindern. Wirken können
die Substanzen daher nur, wenn diese regelmässig in der individuell benötigten Dosis eingenommen werden.
Wirkungsperspektiven
Das Ansprechen auf eine medikamentöse Therapie hängt im frühen Therapiestadium weniger
von der Wahl des einzelnen Medikamentes als
vielmehr von der Schwere der vorliegenden Epilepsie ab. Nach einer jüngeren Untersuchung
wurden mit Beginn einer Behandlung fokaler
Epilepsien mit dem ersten gewählten Antiepileptikum 47% anfallsfrei, bei einem notwendigen
Wechsel auf ein zweites Präparat nur noch weitere 13%. Ab der dritten Substanz oder einer
Mehrfachtherapie lag die Rate der Anfallsfreien
noch bei 4%. 36% erlitten trotz adäquater Therapie weiter Anfälle. Die Wahrscheinlichkeit, mit
dem Wechsel auf ein weiteres Antiepileptikum
anfallsfrei zu werden, war höher, wenn Nebenwirkungen, nicht fehlende Wirksamkeit, Ursache
für den durchgeführten Wechsel waren. Falls eine
Anfallsfreiheit nicht erreicht werden kann, sollte
von einer eingesetzten Substanz zumindest eine
nennenswerte Reduktion der Anfallshäufigkeit,
eine kürzere Anfallsdauer oder eine raschere Er-
Dr. med. Heinrich Vogt
holungszeit erwartet
werden.
Nach aktueller Datenlage sind die neuen
Medikamente,
die seit Anfang der
90er Jahre zugelassen sind, den älteren
in der Wirkung nicht
überlegen. Vorteile
einiger der neuen
Antiepileptika bestehen in deren besserer Verträglichkeit.
Der Vorteil einer Monotherapie
Grundsätzlich sollte immer mit einem Medikament (Monotherapie) begonnen werden und
dieses je nach Wirkung ausdosiert werden. Nötige Dosissteigerungen erfolgen bis zum Erreichen
des Therapiezieles Anfallsfreiheit oder bis zum
Auftreten unerwünschter Wirkungen. Die benötigte und nebenwirkungsfrei vertragene Dosis ist
sehr individuell.
Die Art des Aufdosierens, langsam über Tage
bei Carbamazepin oder Valproinsäure, langsam
über Wochen bei Lamotrigin oder Topiramat,
richtet sich nach der initialen Verträglichkeit. In
der Praxis wird häufig beobachtet, dass allein
mit einer Reduktion einer Mehrfachtherapie und
Ausdosieren eines der eingesetzten Medikamente die Anfallssituation wesentlich verbessert
werden kann.
Therapiekontrolle
Auf was soll während einer Ein- oder Umstellung
geachtet werden? Zur Beurteilung der Wirksamkeit ist das Führen eines Anfallskalenders unerlässlich. Die Häufigkeit der Anfälle oder eine
Veränderung in der Zeit des Auftretens können
damit rasch erfasst werden. Auch sollte vermerkt
werden, ob sich der Anfallsablauf, die Anfallsdauer oder -schwere geändert haben.
Zur Überwachung der Verträglichkeit dienen in
erster Linie die Angaben des Betroffenen selbst
oder seiner Bezugspersonen. Die Angaben sind
immer ernst zu nehmen, da unerwünschte Wirkungen häufig zu einer Verweigerung oder unregelmässigen Einnahme führen, mit entsprechend
schlechter Anfallskontrolle.
Nebenwirkungen können vereinfacht in dosisabhängige, idiosynkratische bzw. allergische sowie
im Langzeitgebrauch der Medikamente auftretende, eingeteilt werden. Daneben gibt es sub-
stanzspezifische Nebenwirkungen wie auch gewünschte Wirkungen.
Dosisabhängige Nebenwirkungen wie z. B.
Schwindel, Doppelbilder, Gleichgewichtsstörungen, Sedation bilden sich mit einer Dosisreduktion rasch wieder zurück und entstehen durch
eine zu hohe individuelle Dosis oder eine zu rasche Aufdosierung.
Idiosynkratische wie auch allergische Nebenwirkungen sind gefürchteter, treten aber bei den
meisten Substanzen sehr bis eher selten auf. Sie
manifestieren sich in der Regel innerhalb der ersten 6 Monate nach Behandlungsbeginn und betreffen Haut(-ausschlag), Leber und Blutbildung.
Letztere sind der Grund für vermehrte Kontrollen
der Blutwerte zu Beginn einer Einstellung.
Langzeitnebenwirkungen sind für die alten Antiepileptika bekannt, (noch) nicht für die neuen.
Spezifische Nebenwirkungen
Das Auftreten kosmetischer Störungen wie Hirsutismus (vermehrter Haarwuchs) und Zahnfleischwucherungen sind u.a. Gründe, Phenytoin zu
meiden; dasselbe gilt für Phenobarbital wegen
möglicher Kontrakturen, Sedation oder Verlangsamung. Benzodiazepine sind schnell und gut
wirksame Medikamente in Notfallsituationen,
sie sollten wegen der Sedation jedoch nicht als
Basismedikamente eingesetzt werden. Gewichtszunahme ist ein häufiges Problem einer Behandlung mit Valproinsäure, Gabapentin oder Prägabalin. Eine gewünschte Gewichtsabnahme kann
eine Indikation für den Einsatz von Topiramat
sein.
Die alten Antiepileptika begünstigen eine Osteoporose. Kognitive Nebenwirkungen mit Verlangsamung und Konzentrationsstörungen sind vor
allem von Phenobarbital- und Benzodiazenpinpräparaten bekannt. Topiramat kann bei einem
Teil der Behandelten bereits in tiefen Dosen zu
Verlangsamung und Wortfindungsstörungen
führen, die ein Absetzen erforderlich machen.
Von Lamotrigin ist ein positiver psychotroper Ef-
fekt bekannt: Eine begleitende Depression kann
mit dem gleichen Medikament behandelt werden. Mit Levetiracetam können Impulskontrollstörungen auftreten, vermehrt kann es zu Verhaltensstörungen speziell bei behinderten Menschen
mit einer Epilepsie kommen.
Bestimmungen der Serumkonzentrationen sind
sinnvoll zur Kontrolle der Medikamenteneinnahme. In Kombinationstherapien oder beim Wechsel der Substanzen sind sie nötig zur Vermeidung
und Aufdeckung von Intoxikationen sowie Vermeidung von Unterdosierung. Die im Labor bestimmten Werte der Wirksubstanz geben Richtlinien für die nötige Dosis. Der jeweilige optimale
Serumkonzentrationswert ist, wie bereits erwähnt,
individuell sehr verschieden, sowohl was die Wirkung wie auch Nebenwirkungen betrifft.
Besonderheiten bei Menschen mit einer
geistigen Behinderung
Menschen mit einer Epilepsie und einer geistigen
Behinderung können sehr empfindlich auf neurotoxische Effekte der Antiepileptika reagieren. Da
sie häufig nicht oder nur erschwert verbal kommunizieren können, drücken sie unerwünschte
Wirkungen als Verhaltensstörungen aus. Eine
Vereinfachung der Behandlung, bei der sedierende Substanzen entfernt und eher aktivierende
Substanzen eingesetzt werden, führt häufig zu einer deutlichen Besserung auch der Epilepsie. Die
zusätzliche Beeinträchtigung durch ungeeignete
Medikamente mit sedierenden Eigenschaften
wie Barbiturate, Benzodiazepine oder Phenytoin
in der Langzeitbehandlung wegen Kleinhirnstörungen, sollte vermieden werden.
Dr. med. Heinrich Vogt ist Leitender Arzt im Schweizerischen Epilepsie-Zentrum.
Kontakt
Schweizerisches Epilepsie-Zentrum
Bleulerstrasse 60, 8008 Zürich, www.swissepi.ch
Redaktion
Jörg Wehr, Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit
Telefon 044 387 64 80
[email protected]
Sekretariat Agogik und Pflege
Telefon 044 387 64 01, Telefax 044 387 62 49
[email protected]
Der Epilepsie-Newsletter Agogik und Pflege ist
auf der Website des Schweizerischen EpilepsieZentrums als .pdf-Dokument abrufbar. Registrieren Sie sich unter www.swissepi.ch Rubrik Epilepsie-Zentrum/Fachpersonen und zuweisende
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unserer EPI-News, sobald sie erscheinen.
Bildungsangebote 2009
25. Sept. 2009
09.30 - 16.00 Uhr
«Was sind psychogene nichtepileptische Anfälle (PNEA) bei Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung, und wie gehen wir
damit um?»
Seminar mit Dr. phil. Luzia Güttinger, lic. phil. Heinz Keller, Carina Kouraichi,
Ian William Mothersill MSc und lic. phil. Matthias Schmutz
23. Okt. 2009
10.00 - 16.00 Uhr
«Unterstützen statt Überbehüten»
Workshop mit Dr. phil. Luzia Güttinger, Sabina Jaggi MSN und lic. phil. Judith Ruben
02. - 04. Nov. 2009 Grundkurs Epilepsie
3-Tages-Seminar für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesundheitswesen
und in Behinderteninstitutionen mit Dr. med. Thomas Dorn, Prof. Dr. Dr. med.
Thomas Grunwald, Sabina Jaggi MSN, Ian Mothersill MSc, Dr. phil. Katarina
Other u.a.
«Epilepsie im Alltag»
Eine Ihren Themen und Ihrer Organisation angepasste Weiterbildung mit Jörg
Wehr für kleinere oder grössere Gruppen. Diese wird je nach Ihren Bedürfnissen
entweder im Schweizerischen Epilepsie-Zentrum oder vor Ort in Ihrer Einrichtung
durchgeführt, Ort und Zeit nach Absprache.
Weitere Informationen und Anmeldung unter www.swissepi.ch
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