1 Michael Mauer Zur Logik der Rechtsnormen – Normsätze, ihre deskriptiven Komponenten und ihnen korrespondierende deontische Sätze* Abstract In another paper (JRE 2014, 485 ff.), I have held that for the logical analysis of normative reasoning, one only needed to consider the norms' descriptive components. According to this view, the appropriate tool is propositional and predicate logic and no specific logic of norms or deontic logic is required. The purpose of the present paper is to revisit, and qualify, this view. Apparently, some of its features are reminiscent of ideas (in particular W. Dubislav 1937) which were presented at an early stage of the development of the logic of imperatives (and norms and deontic propositions respectively) and seem to be rather obsolete. In order to gain a broader perspective, in chapter II. a certain number of positions are outlined which appear to be representative of the contribution which legal theory has made to this development: those of H. Kelsen, U. Klug, G.H. von Wright, G. Kalinowski, O. Weinberger, R. Schreiber, C. Alchourrón and E. Bulygin, J. Rödig, W. Krawietz. These views are contrasted with those of some logicians: F. von Kutschera, E. Morscher, J. Hansen, C. Dalla Pozza, and basic aspects of input/output logic (D. Makinson and L. van der Torre) and of the theory of joining-systems (L. Lindahl and J. Odelstad). The focus of the discussion in chapter III. is on scrutinizing the reasons why special logical systems have been considered necessary in order to adequately represent formal reasoning with legal norms. As a result of this discussion, a somewhat new deontic framework is proposed. The idea is to build on the descriptive components of the norms (of a given legal normative system), and to formalize them using the truth-functional if-then operator. Normal propositional and predicate logic is supplemented with a 'veil' of an elementary (though somewhat heterodox) deontic logic whose main features are the following: A semantics based on the norms of the given system together with a special consistency principle for norms, an ought-to-be type deontic operator, the well known axioms of standard deontic logic, and a somewhat special form of modus ponens allowing factual detachment. In chapter IV., the question is addressed whether the paradoxical consequences which affected Dubislav's theory of imperatival inference (and to a certain extent deontic logic as well) also have a bearing on our approach. * Berlin, Juni 2015. Herrn Dr. Jörg Hansen, Eisenach, danke ich sehr für den Austausch über eine frühe Version dieses Papiers, die Korrektur darin steckender Fehler und wertvolle Hinweise. Für die Unzulänglichkeiten, die das Papier noch aufweist, bin ich allein verantwortlich. 2 I. Einleitung Das vorliegende Papier versucht, einen Beitrag zur komplexen und chronisch kontroversen Diskussion des Verhältnisses zwischen Rechtsnormen und formaler Logik zu leisten. Um das Problem, das uns dabei beschäftigt, formulieren zu können, unterscheiden wir, wenn von Rechtsnormen die Rede ist, zwischen (i) Normsätzen, (ii) Aussagen, die die deskriptive Komponente eines Normsatzes (als Faktum) behaupten, und (iii) deontischen Sätzen, die Normsätzen (bzw. ihren deskriptiven Komponenten) korrespondieren: (i) (ii) (iii) 1 2 3 Normsätze sind danach Sätze, aus denen Gesetze oder vergleichbare Normensysteme bestehen, wenn man sie so auffasst, dass die gesetzgebende Instanz mit ihnen nichts behauptet, vielmehr den Normadressaten etwas vorschreibt: sie stellen dann Imperative dar, die – dem Standpunkt der meisten Logiker entsprechend – als solche weder wahr noch falsch sind.1 Aussagen, die die deskriptive Komponente eines Normsatzes als ein Faktum behaupten, stellen fest, dass der (generelle) Sachverhalt tatsächlich besteht, der nach dem Normsatz bestehen soll (also z.B. im Fall des § 154 StGB, dass tatsächlich jeder, der vor Gericht falsch schwört, mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft wird).2 Deontische Sätze sind Aussagen der Form „Es soll sich so verhalten, dass A“ oder spezieller „Es ist geboten, dass A“. Es handelt sich in den Worten von Franz von Kutschera um „Behauptungssätze, mit denen man nichts vorschreibt, sondern behauptet, dass Gebote, Obligationen oder Verpflichtungen bestehen bzw. nicht bestehen. Solche Sätze sind also wahr oder falsch je nachdem, ob der behauptete Sachverhalt [sc. dass es sich – nach gewissen als geltend vorausgesetzten Normen – so verhalten soll, dass A] tatsächlich besteht oder nicht“;3 deontische Sätze in diesem Sinn haben also nicht selbst normativen Charakter, sind aber auch zu unterscheiden In diesem Sinn verwenden den Terminus zum Beispiel Ota Weinberger, so in „Kann man das normenlogische Folgerungssystem philosophisch begründen?“, ARSP 1979, 168 f.; im Ausgangspunkt ähnlich Edgar Morscher, Normenlogik Grundlagen – Systeme – Anwendungen, Paderborn: mentis, 2012, S. 9. Morscher unterscheidet allerdings zwischen Normsätzen und Imperativen, ebd. S. 259; instruktiv auch seine ausführliche Diskussion der Frage, ob Normsätze wahr oder falsch sein können, ebd., S. 51 ff., 84. Diese Art von Aussagen hat in der Literatur verschiedene Bezeichnungen gefunden; Hans Kelsen spricht von einem einer Norm entsprechenden „ein tatsächliches Verhalten beschreibenden Seins-Urteil“ (Näheres in Abschnitt II. 1. a)), Walter Dubislav von dem zu einem Forderungssatz gehörenden Behauptungssatz (Näheres unter IV. 3. a)), und für solche Behauptungssätze hat sich (zumindest für den Fall nicht-bedingter Imperative) im Anschluss an die Entwicklung einer 'Logic of Satisfaction' der Terminus „Erfüllungssatz“ eingebürgert (vgl. E. Morscher (Fn. 1), S. 260 f.). Den Ausdruck „deskriptive Komponente von Normsätzen“ habe ich in „Aspekte der Logik rechtlichen Argumentierens“ verwendet, in: Joachim Hruschka/Jan C. Joerden (Hrsg.), Jahrbuch für Recht und Ethik, Berlin: Duncker & Humblot, 2014, S. 495 ff. Er findet sich aber z.B. auch schon in Carlos Alchourrón/Eugenio Bulygin, Pragmatic Foundations for a Logic of Norms, Rechtstheorie 15 (1984), S. 454. Georg Henrik von Wright spricht in ähnlichem Sinn vom „Inhalt einer Norm“, so z.B. in „Gibt es eine Logik der Normen?“, in: Rechtsnorm und Rechtswirklichkeit – Festschrift für Werner Krawietz zum 60. Geburtstag, hg. von Aulis Aarnio/Stanley L. Paulson/Ota Weinberger/Georg Henrik von Wright/Dieter Wyduckel, Berlin: Duncker & Humblot, 1993, S. 104. Franz von Kutschera, Grundlagen der Ethik, 2. Auflage, Berlin/New York: Walter de Gruyter, 1999, S. 4 f.; vgl. auch O. Weinberger (Fn. 1), S. 168 f. Risto Hilpinen und Paul McNamara drücken den Zusammenhang zwischen Normsätzen und deontischen Sätzen so aus: „... the validity conditions of norms are the same as the truth-makers of deontic propositions („Deontic logic: A historical survey and introduction“, in: Dov Gabbay/John Horty/Xavier Parent/Ron van der Meyden/Leendert van der Torre (Hrsg.), Handbook of Deontic Logic and Normative Systems, College Publications, 2013, S. 30).“ E. Morscher nennt Sätze der uns interessierenden Art „Norm-“ oder „Sollensbeschreibungen“, charakterisiert sie aber, anders als das hier geschieht, als „Sätze über rechtliche Normen und Sollsätze“, in: Kann denn Logik Sünde sein? – Die Bedeutung der modernen Logik für Theorie und Praxis des Rechts, Wien/Berlin: LIT Verlag, 2009, S. 288. 3 von – metasprachlichen – Aussagen über Normsätze (wenn sich natürlich auch Zusammenhänge zwischen deontischen Sätzen und Sätzen über Normsätze formulieren lassen). Unser Problem ist das folgende: Normsätze scheinen die logische Analyse vor grundsätzliche Schwierigkeiten zu stellen: Wenn sie Imperative sind und als Imperative weder wahr noch falsch sind, wie genau kann man mit ihnen argumentieren, insbesondere Schlüsse aus ihnen ziehen – oder allgemein: wie vermag man ihnen mit den Mitteln der formalen Logik gerecht zu werden? Die formale Logik ist ja wahrheitsfunktional in dem Sinn, dass von allen möglichen Eigenschaften der betrachteten Sätze für ihr aussagenlogisches Fundament nur die Eigenschaft der Wahrheit oder Falschheit eine Rolle spielt.4 Macht man also, mit Normen formal argumentierend, in Wirklichkeit von einer besonderen Logik der Normsätze Gebrauch? Kann es eine echte Logik der Normen – der Imperative – aber überhaupt geben? Oder kommt im Zusammenhang mit Imperativen nur eine deontische Logik in Betracht, also eine Theorie, die logische Beziehungen zwischen deontischen Aussagen darstellt, die ihrerseits wahr sind, wenn ihnen entsprechende Normen in Gestalt von Geboten, Verboten oder Erlaubnissen gelten? Oder gibt es noch andere Möglichkeiten – insbesondere einen Weg, der den Intuitionen des alltagssprachlichen Umgangs mit Rechtsnormen entspricht und der es trotz des normativen Charakters der Normsätze und der Wahrheitsfunktionalität der 'normalen' Logik erlaubt, Rechtsnormen wie Sätze zu behandeln, mit denen man schon im Rahmen der Aussagen- und Prädikatenlogik adäquat operieren kann? Ich habe an anderer Stelle für die dritten Variante plädiert.5 Deren Kern ist offenbar nicht neu; sie weist einerseits Ähnlichkeiten mit Ideen von Walter Dubislav (1937), Jørgen Jørgensen (1938) und Richard M. Hare (ab 1949) auf, entspricht im Ergebnis andererseits der Konzeption von Ulrich Klug (ab 1951) und ihm folgenden Autoren. Die auf der Grundlage von Dubislavs 'Vereinbarung' (mehr dazu unter IV.2.) entworfenen normenlogischen Systeme spielen in der gegenwärtigen Diskussion nun allerdings keine nennenswerte Rolle mehr, und es wäre auch ein etwas leichtfertiger Euphemismus zu sagen, dass Klugs Konzeption hierzulande zum rechtstheoretischen common ground gehöre. Das fordert natürlich die Frage heraus, ob die in „Aspekte der Logik rechtlichen Argumentierens“ vorgetragene These der Kritik an diesen Entwürfen und allgemein den Argumenten standhält, die zur Frage der logischen Natur der Normen über Jahrzehnte und auf juristischer Seite zuweilen mit großer Leidenschaftlichkeit ausgetauscht worden sind. Wir wollen dazu in Abschnitt II. zunächst eine Reihe ausgewählter, rechtstheoretisch aber wohl repräsentativer Positionen betrachten: diejenigen von Hans Kelsen, Ulrich Klug, Georg Henrik von Wright, Georges Kalinowski, Ota Weinberger, Rupert Schreiber, Carlos Alchourrón/Eugenio Bulygin, Jürgen Rödig und Werner Krawietz, und ihnen sechs neuere deontologische/normenlogische 4 5 Dies zusammen mit der Feststellung, dass man intuitiv durchaus formale Schlüsse aus Normen zu ziehen bereit ist, ist Gegenstand des 'Dilemmas', das Jørgen Jørgensen in „Imperatives and Logic“, Erkenntnis, Band 7, 1937/8, S. 288 – 296 formuliert hat. In „Aspekte der Logik rechtlichen Argumentierens“ (Fn. 3), S. 494 ff., 502. Die Unterschiede zwischen Normsätzen, Aussagen, die die deskriptive Komponente solcher Normsätze (als Faktum) behaupten, und den Normsätzen entsprechenden deontischen Sätzen manifestierten sich vornehmlich in der unterschiedlichen Art und Weise, die deskriptive Komponente von Normsätzen zu verwenden. Davon, ob man Sätze in präskriptiver oder deskriptiver Weise verwende, sei ihre logische Form aber nicht abhängig; im logischen Kontext könne man sich weitgehend auf die deskriptive Komponente der Normsätze beschränken. Daher sei die Aussagen- und Prädikatenlogik für unsere Zwecke geeignet und auch ausreichend (wenn man berücksichtige, dass die deskriptive Komponente von Normsätzen den Zustand der Welt beschreibe, den die Normsätze normativ auszeichnen, wie er also nach den gesetzgeberischen Imperativen bestehen solle). 4 Konzeptionen gegenüberstellen: diejenigen von Franz von Kutschera, Edgar Morscher, Jörg Hansen und Carlo Dalla Pozza und elementare Aspekte der von David Makinson und Leendert van der Torre entwickelten input/output Logik und der 'Theory of Joining-Systems' von Lars Lindahl und Jan Odelstad. Die Diskussion dieser Positionen in Abschnitt III. konzentriert sich auf die Frage, ob und in welchem Maß die Gründe, aus denen es im Reich der aus Geboten, Verboten oder Erlaubnissen bestehenden Normen offenbar einer besonderen Logik bedarf, auch für Rechtsnormen realer Rechtsordnungen gelten. Es wird sich zeigen, dass wir zwar, um solche Rechtsnormen adäquat wiedergeben zu können, nicht von monadischen Geboten, Verboten oder Erlaubnissen ausgehen können; und auch bedingte – oder dyadische – Gebote der deontischen Logik werden dieser Aufgabe nicht gerecht. Ausgangspunkt sollen vielmehr die deskriptiven Komponenten der Normsätze sein, und zu deren Formalisierung genügt, so die hier vertretene These, die 'normale' Logik und insbesondere der wahrheitsfunktionale wenn-dann-Junktor. Es ist aber notwendig, zwischen Sätzen, die von normativ ausgezeichneten Zuständen handeln, und Sätzen, die (faktische) Sachverhalte darstellen, unterscheiden zu können; und dazu bedarf es in formalem Rahmen der Mittel einer deontischen Sprache und Logik. Die Semantik der hier skizzierten Elemente einer deontischen Logik wird von den Normen des gegebenen Normensystems (genauer: von ihren deskriptiven Komponenten) und einem speziellen Konsistenzprinzip für Normen ausgehen, und im Rahmen ihrer Syntax werden wir neben den wohlbekannten Axiomen des Standardsystems der deontischen Logik von einer speziellen Version des Modus ponens in der Form der faktischen Abtrennung Gebrauch machen. In Abschnitt IV. geht es zum einen darum, ob die Einwände, an denen die von Dubislavs 'Vereinbarung' ausgehenden normenlogischen Entwürfe gescheitert sind, auch für die hier entwickelte Konzeption relevant sind. Kurz soll zudem gezeigt werden, was sich auf der Grundlage dieser Konzeption zu Schwierigkeiten sagen lässt, die sich in einigen der diskutierten Systeme der deontischen Logik stellen. 5 II. Eine Auswahl rechtstheoretischer und deontologischer Positionen Wir beschränken uns in den folgenden Skizzen rechtstheoretischer (1) und deontologischer Entwürfe (2) auf die Thematik des vorliegenden Papiers: das Verhältnis zwischen (Rechts-)Normen und Logik. Immer wieder geht es dabei um zwei Typen von spezifisch für Normen konzipierten Logiken: Zum einen um Normenlogiken, deren atomaren (also nicht mit logischen Konstanten zusammengesetzten) Sätze, abgesehen von deskriptiven Aussagen, Normsätze mehr oder weniger im oben angegebenen Sinn sind. Zum anderen um deontische Logiken, deren atomaren Sätze, abgesehen von (sonstigen) deskriptiven Aussagen, deontische Sätze (mehr oder weniger im oben angegebenen Sinn) sind, und zwar durchweg solche, in denen die deontischen Operatoren „geboten“, „verboten“ und „erlaubt“ vorkommen. Die Reihenfolge der Autoren hat lediglich chronologische Gründe; dabei zeigt es sich freilich, dass es klare Entwicklungslinien kaum gegeben hat. Den Anfang soll der Abschnitt über Hans Kelsen machen. Kelsen hat zwar nicht konkret zur Entwicklung einer Logik der Normen oder der deontischen Logik beigetragen, sich aber bis zu seinem Lebensende mit den eingangs skizzierten Fragen intensiv beschäftigt. In ihrer analytischen Schärfe und thematischen Weite sind seine Arbeiten noch immer faszinierend. 1. Rechtstheoretische Positionen a) Hans Kelsen aa) In seiner Reinen Rechtslehre unterscheidet Kelsen (1881 – 1973) bei den Sätzen, in denen „sollen“ wesentlich vorkommt, je nach Kontext zwischen Rechtsnormen, „die von den Rechtsorganen erzeugt, von ihnen anzuwenden und von den Rechtssubjekten zu befolgen sind“,6 und Rechtssätzen, „die aussagen, dass im Sinn einer … Rechtsordnung unter gewissen von dieser Rechtsordnung bestimmten Bedingungen gewisse von dieser Rechtsordnung bestimmte Folgen eintreten sollen.“7 Rechtsnormen (oder Sollnormen) seien keine Aussagen, sondern Gebote, also Imperative oder Erlaubnisse oder Ermächtigungen.8 Als solche seien sie weder wahr noch unwahr, sondern nur gültig oder ungültig, während die von der Rechtswissenschaft formulierten, das Recht beschreibenden, niemanden und zu nichts verpflichtenden und berechtigenden Rechtssätze (oder Sollsätze) wahr oder unwahr sein könnten.9 Diese Konzeption liegt, wie man sieht, auch unserer Unterscheidung zwischen Normsätzen und deontischen Sätzen zugrunde. Auch auf die Sätze, die wir „deskriptive Komponenten von Normsätzen“ genannt haben, kommt Kelsen in diesem Zusammenhang zu sprechen. Er zitiert Christoph Sigwarts Logik (3. Auflage 1904), wonach der Paragraph des Strafgesetzbuchs: Wer das und das tut, wird so und so bestraft, zwar in erster Linie ein Imperativ sei, aber auch eine „wirkliche Aussage“ enthalte, die, wenn es um die Wirksamkeit des Gesetzes gehe, sage, „was innerhalb eines bestimmten Staates regelmäßig geschieht.“ Kelsen zufolge kann man also einer Norm, die weder wahr noch unwahr, sondern nur gültig oder ungültig sein kann, zwei Arten von Aussagen gegenüberstellen, die beide wahr oder unwahr sein könnten: „ein eine Norm beschreibendes Soll-Urteil“ und „ein tatsächliches Verhalten 6 7 8 9 Hans Kelsen, Reine Rechtslehre, Mit einem Anhang: Das Problem der Gerechtigkeit, 2. vollständig neu bearbeitete und erweiterte Auflage, Wien: Franz Deuticke, 1960, S. 73. Die erste Auflage war 1934 in Leipzig und Wien erschienen. Ebd. Ebd. Ebd., S. 75 f. 6 beschreibendes Seins-Urteil.“10 bb) Bemerkenswert ist nun die Entwicklung, die Kelsens Ansichten zum Verhältnis zwischen Normen und Logik durchgemacht haben. In der zweiten Auflage der Reinen Rechtslehre von 1960 ging Kelsen zwar von der „traditionellen Anschauung“ aus, logische Prinzipien seien nur auf Aussagen anwendbar, die wahr oder falsch sein könnten. Indirekt könne man diese Prinzipien auf Normen aber doch anwenden, und zwar „sofern sie auf die diese Rechtsnormen beschreibenden Rechtssätze, die wahr oder falsch sein können, anwendbar sind. Zwei Rechtsnormen widersprechen sich und können daher nicht zugleich als gültig behauptet werden, wenn die beiden sie beschreibenden Rechtssätze sich widersprechen; und eine Rechtsnorm kann aus einer anderen abgeleitet werden, wenn die sie beschreibenden Rechtssätze in einen Syllogismus eingehen können.“11 Doch hat Kelsen diesen Standpunkt später, in seiner posthum herausgegebenen „Allgemeinen Theorie der Normen“ revidiert. Der Standpunkt setze voraus, dass es eine Parallele zwischen der Wahrheit einer Aussage und der Geltung einer Norm (vermöge derer man sich so verhalten solle, wie die Norm vorschreibt) gebe. „Aber diese Parallele besteht nicht. Ihr steht vor allem entgegen, dass das Verhältnis zwischen dem Akt, mit dem die Norm gesetzt wird, und der Geltung der Norm wesentlich verschieden ist von dem Verhältnis zwischen dem Akt, mit dem die Aussage gemacht wird, und der Wahrheit der Aussage … die Wahrheit einer Aussage ist nicht durch den Akt, mit dem sie gemacht ist, bedingt, während die Geltung der Norm durch den Akt bedingt ist, mit dem sie gesetzt wird.“12 Und wenig später bekräftigt Kelsen noch einmal, dass „eine logische Analyse sich nur auf Aussagen beziehen kann, die wahr oder unwahr und die verifizierbar sind, nicht aber auf Normen, die weder wahr noch unwahr sind.“13 cc) Auch dies ist jedoch nicht das letzte Wort. Wenngleich nämlich Normen von Aussagen grundsätzlich verschieden seien, so gelte doch, dass sie sprachlich in Sätzen zum Ausdruck kommen, und in diesen Sätzen könnten „Beziehungen wie die zwischen Bedingung und Folge, und Begriffe, Allgemein- und Individualbegriffe, sowie Beziehungen zwischen den ... Begriffen auftreten. Insoferne als diese Beziehungen, als Gegenstände der Logik, logische Beziehungen sind, ist die Logik – oder doch [gewisse Prinzipien] der Logik – auf Normen des Rechts … anwendbar.“14 Kelsen fasst das Ergebnis der akribischen Analyse so zusammen, dass „zwar der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch und die Regel der Schlussfolgerung in einem normativen Syllogismus auf die Beziehung zwischen Normen nicht anwendbar sind, dass aber andere Prinzipien der Logik auf diese Beziehung insoferne anwendbar sind, als dabei die Subsumtion des Besonderen unter das Allgemeine, die Entsprechung eines Aktes, dessen Sinn eine Norm ist, im Verhältnis zu einer Norm, die diesen Akt ermächtigt, oder die Beziehung zwischen Bedingung und Folge in Frage kommt.“15 Es ist nicht ganz einfach, dies in die Sprache der modernen Logik zu übersetzen. Kelsen möchte anscheinend unterscheiden zwischen Eigenschaften von bzw. Relationen zwischen Normen, von denen man sinnvoll nur sprechen kann, wenn Normen auch wahr sein können (Widerspruch, logische Folgerung), einerseits und solchen Aspekten andererseits, die von dieser Voraussetzung nicht abhängig sind; und dies können nach Kelsens Ansicht offenbar zum einen logisch-analytische Beziehungen zwischen in den Normen verwendeten Ausdrücken sein, zum anderen aber auch die Beziehung zwischen den mit dem wenn-dann-Junktor verknüpften Teilsätzen einer Norm oder auch die Vereinbarkeit einer Norm mit einer anderen). Edgar Morscher resümiert seine sehr genaue Analyse des Kelsenschen 10 11 12 13 14 15 Ebd., S. 78, Fn. Ebd., S. 77. H. Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, hg. von Kurt Ringhofer und Robert Walter, Wien: Manz, 1979, S. 136. Ebd., S. 153. Ebd., S. 154. Ebd., S. 216. 7 Standpunkts so, dass Kelsen eine Logik der Normen möglich zu sein scheine, „wenn ihm diese Logik auch nur in groben Zügen vorschwebte und ihm die Konturen nie ganz klar wurden“.16 b) Ulrich Klug aa) Mit seiner „Juristischen Logik“, deren ursprüngliche Fassung 1939 nicht hatte publiziert werden können17 und die in erster Auflage dann 1951 erschienen ist, hat U. Klug (1913 – 1993) die deutsche Rechtswissenschaft mit der modernen formalen Logik bekannt gemacht. Aus seiner Sicht ist die juristische Logik juristisch nur in dem Sinn, dass sie in der Rechtswissenschaft – im Rahmen der Rechtsfindung – Anwendung findet; durch besondere Regeln zeichne sie sich nicht aus.18 In diesem Sinn könne man von ihr als der „Lehre von den im Bereich der Rechtsfindung zur Anwendung gelangenden Regeln der formalen Logik“ sprechen; sie sei „also der durch seinen auf die Rechtsfindung bezüglichen Anwendungsbereich gekennzeichnete besondere (spezielle) Teil der allgemeinen (generellen) Logiktheorie.“19 Wolle man dies präzisieren, so könne man definieren: „Juristische Logik ist die Lehre von den in den §§ 9 – 14 dieser Untersuchung genannten Schlussformen (argumenta a simile, e contrario, a maiore ad minus, usw.).“20 Dass es sich nun gerade bei diesen Schlussformen nicht um formal korrekte Schlussweisen, sondern um nur inhaltlich (durch zusätzliche Prämissen) zu rechtfertigende Argumentationsmuster handelt, ist eine ein wenig maliziöse Ironie des wissenschaftlichen Schicksals: als erster hat wohl Rupert Schreiber dies im einzelnen gezeigt. 21 bb) Klug ist jedoch auch auf Logiken jenseits der Aussagen- und Prädikatenlogik eingegangen. Ausgangspunkt seines Beitrags zur Festschrift für Wilhelm Britzelmayr 22 ist die Feststellung, häufig finde sich in der modernen Rechtstheorie die Ansicht, Rechtsnormen seien „prinzipiell Sollsätze“.23 Ein solcher Standpunkt lege es nahe, nach besonderen Kalkülen für Rechtsnormen zu suchen. Sowohl der Kalkül, den Oskar Becker vorgelegt habe, als auch derjenige von Georg Henrik von Wright zeigten aber, „dass es nicht erforderlich ist, Rechtsnormen als Sollenssätze [d.h. in Klugs Sprachgebrauch: als Gebotssätze] zu interpretieren. Das Sollen [bzw. der Ausdruck „geboten“] braucht kein Grundbegriff der Rechtstheorie zu sein. Man ist in der Wahl des normativen Grundmodus frei. Es kann für eine Darstellung eines Rechtsnormensystems die Sprache der Sollenssätze ... in vollem Umfang … durch eine Sprache der Dürfenssätze … oder auch durch eine Sprache der Verbotssätze ersetzt werden.“24 16 E. Morscher (Fn. 2), S. 269. Eugenio Bulygin spricht in diesem Zusammenhang von einem Mysterium der Kelsenschen Position; Kelsen habe auch keinen Versuch unternommen, dieses Geheimnis zu enthüllen, s. E. Bulygin „Zum Problem der Anwendbarkeit der Logik auf das Recht“, in: Festschrift für Ulrich Klug zum 70. Geburtstag, hg. von Günter Kohlmann, Band I, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, Köln: Dr. Peter Deubner Verlag, 1983, S. 29. – Vgl. zu alledem auch die eingehende Analyse in O. Weinberger, Normentheorie als Grundlage der Jurisprudenz und Ethik - Eine Auseinandersetzung mit Hans Kelsens Theorie der Normen, Berlin: Duncker & Humblot, 1981, S. 85 ff. – Wie für Weinberger ist auch für J. Hansen Kelsen „the main proponent of normological scepticism“, Jörg Hansen, „Imperative Logic and its Problems“, in: Dov Gabbay, John Horty, Xavier Parent, Ron van der Meyden, Leendert van der Torre (Fn. 3), S. 184, Fn. 52. 17 Vgl. Ulrich Klug, Juristische Logik, 4. neubearbeitete Auflage, Berlin/Heidelberg/New York: Springer, 1982, Vorwort zur 4. Auflage. 18 Ebd., S. 5. 19 Ebd., S. 6. 20 Ebd., S. 7. 21 In seiner juristischen Dissertation „Logik des Rechts“, Berlin/Göttingen/Heidelberg: Springer, 1962, S. 47 ff.; Schreiber konstatiert in deren Vorwort freilich, dass für sie „Gleichheit der Diskussionsgrundlage … im Bereich der Rechtswissenschaften streng genommen nur bei dem Werk 'Juristische Logik' von Ulrich Klug gegeben“ sei. 22 U. Klug, „Bemerkungen zur logischen Analyse einiger rechtstheoretischer Begriffe und Behauptungen“, in: Logik und Logikkalkül, hg. von Max Käsbauer und Franz von Kutschera, Freiburg/München: Alber, 1962, S. 115 – 125. 23 Ebd., S. 115. Wie sich im folgenden zeigt, identifiziert Klug Sollenssätze dabei mit Gebotssätzen. 24 Ebd., S. 116 f. 8 Dass man „geboten“ in Normsätzen und deontischen Sätzen durch „verboten“ und „erlaubt“ ersetzen kann, ist freilich noch keine hinreichende Antwort auf die Frage nach dem Status dieser Sätze, danach also, ob es sich um Sätze normativen oder deskriptiven Charakters handelt. Für das Verständnis seiner Position ist wichtig, dass Klug Imperative (etwa „Reden Sie die Wahrheit!“) von Normen (etwa „Der Zeuge ist verpflichtet, die Wahrheit zu sagen“) unterscheidet,25 dass er dagegen (anders als Kelsen) bei Sätzen der zuletzt genannten Art anscheinend keinen Unterschied macht zwischen Normsätzen und deontischen Sätzen, von denen man allerdings Sätze über Normen als metasprachliche Aussagen unterscheiden müsse. Im Einklang damit sind Normen seines Erachtens auch wahr oder falsch, und zwar in durchaus verifizierbarer Weise.26 cc) Für die Klugsche Position ist zwar, was die Frage der für die Sprache der Normen adäquaten Logik angeht, eine gewisse Liberalität charakteristisch.27 Dass die Wahrheitsfrage für Normen sinnvoll gestellt werden könne und die Übersetzung der Normen in Ausdrücke des Aussagen-, Prädikaten-, Klassen- und Relationenkalküls auf keine prinzipiellen Schwierigkeiten stoße, legt in seiner Sicht aber die pragmatische These nahe, „dass Kalküle der deontischen Logik für die logische Kontrolle im Bereich des Rechts, der Rechtsanwendung und der Rechtswissenschaft nicht erforderlich“ seien.28 Der problematischste Aspekt dieses Gedankengangs ist wohl in der Tat, im Unterschied zu Kelsens Konzeption Normsätze mit deontischen Sätzen zu identifizieren und insbesondere allgemeine Normen ohne weiteres als Aussagen anzusehen, „die etwas darüber aussagen, ob es wahr ist, dass etwas geboten, verboten oder erlaubt ist.“ Denn dass etwas geboten, verboten oder erlaubt ist, scheint seinerseits nur deshalb der Fall sein zu können, weil Normen dies statuieren: Zwischen einer Norm, die ein bestimmtes Verhalten unter Strafe stellt, und einem (deontischen) Satz, der konstatiert, dieses Verhalten sei – als Verstoß gegen geltendes Recht – strafbar, besteht offenbar ein Unterschied. Die Situation scheint also komplexer zu sein, als Klug sie dargestellt hat.29 Doch ergibt sich daraus noch nicht, dass nur deontische Logiken – die ja in ihrer Standardversion auch auf der Aussagen- und Prädikatenlogik basierende Logiken von (deontischen) Aussagen sind, die wahr oder falsch sein können – für die logische Analyse von Rechtsnormen tauglich seien. Dies sollte in der Tat vor allem davon abhängen, ob „die Übersetzung von Normen [oder ihnen entsprechenden Sätzen] in Ausdrücke des Aussagen-, Prädikaten-, Klassen- oder Relationenkalküls“ auf Schwierigkeiten stößt, also davon, ob die deontischen Operatoren für die Repräsentation dieser Sätze notwendig sind. Aus Klugs Sicht sind sie es nicht. Auf diesen Punkt werden wir in der Diskussion in Abschnitt III. zurückkommen. c) Georg Henrik von Wright aa) Als Rechtstheoretiker oder Rechtsphilosoph kann der finnische Logiker und Philosoph Georg Henrik von Wright (1916 – 2003) zwar nicht eigentlich gelten; er gehörte zu den 25 Juristische Logik (Fn. 17), S. 201 ff. 26 Ebd.: Die Normengeber – der Gesetzgeber im Fall der generellen Normen, der Richter im Fall der individuellen Normen – formulierten Normen „als Aussagen, und zwar als solche, die etwas darüber aussagen, ob es wahr ist, dass etwas geboten, verboten oder erlaubt ist.“ R. Hilpinen und P. McNamara (Fn. 2), S. 59, drücken die Idee für den Fall von Erlaubnissen wie folgt aus: „The idea is that the one in authority not only grants the permission by performing the speech act of uttering the relevant sentence „You may enter freely“, but also thereby makes what it said true (that you may enter freely)“, mit näheren Literaturhinweisen; vgl. auch J. Hansen (Fn. 16), S. 157 ff. 27 Insbesondere in der Arbeit von 1962, (Fn. 22), S. 125, nach der es „mannigfache Möglichkeiten, sei es im Bereich der Modalkalküle [d.h. deontischer Logiken], sei es im Rahmen der üblichen ... zwei- oder mehrwertigen Kalküle“ gibt. 28 Juristische Logik (Fn. 17), S. 204; das ändere freilich nichts daran, „dass die Entwicklung von exakten Systemen der deontischen Logik theoretisch möglich ist und – keineswegs nur didaktisch – nützlich sein kann.“ 29 Auch Klug hat sich freilich an anderer Stelle ein differenzierteres Bild der Dinge gemacht. In seiner direkten – brieflichen – Diskussion mit Hans Kelsen hat er seinen Standpunkt schrittweise modifiziert: Hat er so zunächst einen Unterschied zwischen Normen und deontischen Sätzen eingeräumt, der allerdings nur darin bestehe, dass Aussagen im üblichen Sinn wahr oder falsch seien, Normen dagegen lediglich in einem formalen Sinn (als ableitbare oder nicht ableitbare Sätze), so hat er später konzediert, dass Normen nicht wahr oder falsch sein könnten; jedoch seien sie gültig oder nicht gültig, und zwischen Wahrheit und Geltung bestehe Isomorphie, um schließlich auch die Idee der Analogie zwischen der Wahrheit von Aussagen und der Geltung von Rechtsnormen preiszugeben und sich auf den Standpunkt zurückzuziehen, es handele sich nur um Probleme der Deutung von Kalkülen; vgl. H. Kelsen / U. Klug, Rechtsnormen und Logische Analyse. Ein Briefwechsel 1959 bis 1965: Franz Deuticke, 1981, und dazu die Analyse von E. Bulygin (Fn. 16), S. 19 ff. 9 Repräsentanten der finnischen analytischen Philosophie, war insbesondere mit dem Werk Ludwig Wittgensteins vertraut, dessen Philosophische Untersuchungen er nach Wittgensteins Tod 1952 mitherausgegeben hat. Aber er hat auch der Entwicklung der deontischen Logik(en) seit Beginn der 1950er Jahre seinen Stempel aufgedrückt und dabei mit der Frage nach dem Nutzen der deontischen Logik als eines Instrumentes zur „Beschreibung und Klärung der Strukturen von tatsächlichen normativen Systemen wie, zum Beispiel, von Rechtsordnungen“30 durchaus die Nähe zur Rechtstheorie gesucht. Charakteristisch ist nun, wie häufig und tiefgreifend von Wright seine Konzeption geändert und wie freimütig er zuweilen erklärt hat, frühere Versuche (die inzwischen nicht wenige andere Autoren beeinflusst hatten) seien gescheitert.31 Auch wenn in wissenschaftlichen Karrieren ein Prinzip opus posterius derogat operi priori vielleicht nicht immer gilt, werden wir uns auf seinen späten Standpunkt zur Logik der Normen konzentrieren. bb) Den Anfang hatte freilich ein Aufsatz gemacht, der als „Durchbruch“32 gelten konnte und der die Grundlage für das Standardsystem der deontischen Logik werden sollte: von Wrights 'Deontic Logic' aus dem Jahr 1951.33 In diesem, nach dem Vorbild modaler Logiken konstruierten System sind die deontischen Operatoren („geboten“, „verboten“ und „erlaubt“) Prädikate von Handlungsschemata („act-names“, die ihrerseits Prädikate von individuellen Handlungen sind); und die Handlungsschemata lassen sich mit Konnektoren verknüpfen, die den Junktoren der Aussagenlogik („“ (nicht), „“ (und), „“ (oder), „→“ (wenn ... dann) und „↔“ (genau dann, wenn)) entsprechen. Dieser (nicht ausschließlich technische) Aspekt hat Korrekturvorschläge ausgelöst, insbesondere den Vorschlag, als Argumente der deontischen Operatoren Sätze zu verwenden, die Handlungen, Handlungsschemata oder allgemeiner Sachverhalte darstellen. Von Wright hat dies aufgegriffen, sich von dieser Korrektur allerdings später wieder distanziert,34 um schließlich in seinem Aufsatz „Gibt es eine Logik der Normen?“35 den Vorzug einer 'echten' Normenlogik zu geben, in der die atomaren Sätze Normsätze sind, die keinen Wahrheitswert haben. cc) In einer echten Logik der Normen stellen also von Wright zufolge Sätze der Form Op (p ist geboten) und Pp (p ist erlaubt) Normen dar. Von Wright hat sich zum semantischen Status der Argumente der Operatoren „O“ und „P“ in dieser Gestalt der Logik (d.h. der Ausdrücke „p“, „q“ etc., die das, was hier geboten oder erlaubt ist, wiedergeben) nicht explizit geäußert. Doch spricht er von Sachverhalten, die den Inhalt der Normen bilden, und lässt zu, die Ausdrücke mit Junktoren zu verbinden. Derartige Ausdrücke könne man durch äquivalente Ausdrücke ersetzen; so sei (wegen der Äquivalenz von p und (pq)(pq) ) der Norminhalt von Op der gleiche wie der von O((pq)(pq)).36 Offenbar stehen die Variablen „p“ und „q“ in Ausdrücken „Op“ und „Pp“ wie in dem System, das von Wright das 'klassische System der deontischen Logik' nennt, also für Aussagen (insbesondere Aussagen über Handlungsweisen). Stellt man ihnen die Operatoren „O“ und „P“ voran, so entstehen Normen (oder genauer: Norm-Formulierungen). Konsequenterweise lassen sich die (wahrheitsfunktionalen) Junktoren (oder Satzkonnektoren, wie von Wright sagt) für Norm-Formulierungen nicht ohne weiteres in der aussagenlogisch üblichen Weise verwenden.37 Von Wright unterscheidet dazu die präskriptive und die deskriptive 30 Georg Henrik von Wright, „Gibt es eine Logik der Normen?“ (Fn. 3), S. 102. 31 Z.B. in G. H. von Wright, „Normenlogik“, in: Hans Lenk (Hg.), Normenlogik, Pullach bei München: Verlag Dokumentation, 1974, S. 25. 32 So E. Morscher, (Fn. 1), S. 268. 33 Mind, 60, S. 1 – 15; deutsche Übersetzung in Handlung, Norm und Intention, Berlin: Walter de Gruyter, 1977, S. 1 – 17. 34 Vgl. etwa G. H. von Wright, „Normenlogik“ (Fn. 31), S. 26. 35 S. Fn. 30. 36 G. H. von Wright (Fn. 30), S. 104. 37 Ebd., S. 108 ff. 10 Verwendungsweise: Nur wenn man eine Norm-Formulierung präskriptiv verwende, stelle sie eine Norm dar (eine präskriptiv verwendete Norm-Formulierung entspricht also offenbar dem, was wir „Normsatz“ genannt haben). Deskriptiv könne man eine Norm-Formulierung verwenden, um eine Proposition auszudrücken, nämlich festzustellen, dass eine gewisse Norm existiert (eine deskriptiv verwendete Norm-Formulierung entspricht danach mehr oder weniger dem, was wir „deontischen Satz“ genannt haben).38 Im Fall der deskriptiven Verwendungsweise sei es daher unproblematisch, Satzkonnektoren auf sie anzuwenden; aber für derartige Ausdrücke gebe es keinen Platz in einer echten Logik der Normen. Anders verhalte es sich im Fall der präskriptiven Verwendungsweise. Nur in besonderen Konstellationen – aufgrund eines 'semantischen Zufalls', wie von Wright sagt – sei es möglich, (präskriptiv verwendete) Norm-Formulierungen, aus denen man mit Satzkonnektoren komplexe Norm-Formulierungen gebildet hat, in natürlicher Weise als Normen zu interpretieren und in solchen Formeln diese Konnektoren auch 'nach innen' vor den Inhalt der Normen zu verschieben. Beispiele derartiger Fälle sind nach von Wright die Zusammenhänge, die den folgenden logischwahren Äquivalenzen der klassischen deontischen Logik entsprechen (darauf, wie es sich in dieser Hinsicht mit dem wenn-dann-Junktor verhält, geht von Wrights Arbeit nicht ein): OpOq↔O(pq) Op↔P(p) P(pq)↔PpPq (wenn es sowohl geboten ist, dass p, als auch geboten ist, dass q, dann und nur dann ist es (auch) geboten, dass p und q) (wenn es nicht geboten ist, dass p, dann und nur dann ist es (auch) erlaubt, dass nicht-p) Von Wright nennt P(p) die Negationsnorm von Op und O(p) die Negationsnorm von Pp (wenn es erlaubt ist, dass p oder q, dann und nur dann gilt auch, dass es erlaubt ist, dass p, oder dass es erlaubt ist, dass q. dd) Ob es das gibt, was man eine echte Logik der Normen nennen könne, hängt nach von Wright nun von der Möglichkeit ab, „die Begriffe einer konsistenten Menge von O- und/oder P-Normen und der Negationsnorm einer gegebenen Norm sinnvoll einzusetzen. Auf der Basis dieser Begriffe kann man dann auch die Begriffe des Widerspruchs und der Folgebeziehung zwischen Normen definieren.“39 Die Idee dabei ist, die Konsistenz (Widerspruchsfreiheit) und Inkonsistenz von Normen – im Einklang mit Dubislavs Vereinbarung – von der aussagenlogischen Konsistenz bzw. Inkonsistenz der Aussagen, die den 'Inhalt' dieser Normen bilden, abhängig zu machen: Echte (dh. befolgbare) ONormen sind danach konsistent, wenn die Konjunktion ihrer Inhalte widerspruchsfrei ist, und gleiches gilt im Verhältnis zwischen echten P-Normen und echten O-Normen. So ist die Menge der beiden Normen Op und Op (zwischen denen nicht schon ein aussagenlogischer Widerspruch besteht) normenlogisch inkonsistent, weil p und p sich widersprechen; eine normsetzende Instanz verhielte sich irrational, wenn sie verlangte, man solle p realisieren, aber auch nicht-p. Und die Menge der drei Normen Pp, O(pq) und O(q) ist inkonsistent, weil in p(pq)q ein aussagenlogischer Widerspruch steckt. Auf dieser Grundlage definiert von Wright die normenlogische Folgerungsbeziehung so: „Sei eine konsistente Menge von (echten) Normen und eine echte O- oder P-Norm gegeben. Wir fügen zu der Menge die Negationsnorm der zusätzlichen Norm hinzu. Angenommen, die so erweiterte Menge ist inkonsistent. Wenn das der Fall ist, dann werde ich sagen, dass aus der (ursprünglichen) Menge von Normen diejenige O- oder P-Norm folgt, deren Negationsnorm die Menge inkonsistent gemacht hat.“40 38 Ebd., S. 109. 39 Ebd., S. 122. 40 Ebd., S. 112. 11 Damit lässt sich beispielsweise zeigen, dass Pp normenlogisch aus Op folgt41 und dass Pq aus Pp und O(p q) folgt. Beispiele sind aber auch: Aus Op folgt O(p q) – damit verbindet sich die erste Paradoxie, die der dänische Jurist und Philosoph Alf Ross 1941 für die Logik der Imperative formuliert hat – und: aus O(p q) folgen Op und Oq – auch dies kann, so die zweite Rosssche Paradoxie, zu mindestens auf den ersten Blick merkwürdigen Ergebnissen führen. (Auf diese Paradoxien werden wir in Abschnitt IV. 1. zurückkommen.) Von Wrights Definition der Folgerungsbeziehung zufolge gilt jedoch nicht, dass aus O(pp) irgendeine Norm Oq folgt – es gibt also kein normenlogisches Pendant zum aussagenlogischen ex contradictione quodlibet. Denn die 'ursprüngliche' Menge O(pp) und der Inhalt dieser Norm, also pp, sind ja nicht konsistent, wie die Definition voraussetzt; O(pp) kann demnach gar nicht als Prämisse eines normenlogischen Schlusses auftreten. In diesem Punkt unterscheidet sich von Wrights normenlogische Folgerung von der aussagenlogischen Folgerung. Denn bei der letzteren folgt eine Aussage aus anderen Aussagen, wenn es keine Interpretation (d.h. Belegung der Satzbuchstaben p, q … mit den Wahrheitswerten des Wahren und des Falschen) gibt, die die Prämissen wahr und die Konklusion falsch macht. Diese Voraussetzung ist im Fall des (aussagenlogischen) ex contradictione quodlibet (also: aus (pp) folgt irgendein q) erfüllt, weil es schon keine Interpretation gibt, die (pp) wahr macht. Ota Weinberger hat diesen Aspekt des von Wrightschen normenlogischen Folgerungsbegriffs kritisiert; es sei inadäquat, die Folgerungsrelation nur für konsistente Prämissenmengen zu definieren. 42 Die Frage inkonsistenter Prämissenmengen wird uns in der Diskussion in Abschnitt III. und der Formulierung unseres Vorschlags einer deontischen Logik der Rechtsnormen wieder beschäftigen. Grundsätzlich ist aber jedenfalls der Versuch von großem Interesse, die Logik der Normen auf ein klares semantisches Fundament zu stellen. Die frühen Entwürfe waren oft als Systeme von zunächst nur syntaktisch charakterisierten Axiomen und Schlussregeln entstanden; ohne eine semantische Grundlage bleiben derartige Kalküle, wie Edgar Morscher sagt, „letztlich immer nur ein bloßes Spiel mit Zeichen.“ 43 ee) Als eine fertige Theorie hat von Wright seine hier skizzierte Logik der Normen offenbar auch selbst nicht betrachtet. Zudem reichen, und dieser Aspekt ist für unser Thema von Interesse, seines Erachtens ihre (bisher verfügbaren) Ausdrucksmöglichkeiten bei weitem nicht aus, 'wirkliche' normative Strukturen – also Strukturen realer Rechtsordnungen – adäquat zu repräsentieren.44 Wir werden dies in Abschnitt IV.3. a) noch einmal aufgreifen und dort sehen, wie gut unsere hier entwickelte Konzeption der Logik der Rechtsnormen mit diesen Aufgaben zurechtkommt. d) Georges Kalinowski aa) Der polnisch-französische Logiker und Philosoph Jerzy/Georges Kalinowski45 (1916 – 2000) 41 In seinem Aufsatz „Normenlogik“ (Fn. 31), S. 28 ff. hatte von Wright die Frage, ob Op → Pp ein logisches Gesetz sei, negativ beantwortet und diese Formel daher nicht als Axiom angenommen. 42 Ota Weinberger, „Der handlungstheoretische Zutritt zur Normenlogik“, Philosophia Scientiae, 2005, S. 172; online: http://philosophiascientiae.revues.org/S03. Das Motiv für von Wrights Konsistenzvoraussetzung ist wohl gerade, die Folgen von Normenkonflikten, die in realen Normensystemen eben vorkommen können, zu beherrschen. Doch dürfte es in der Tat der bessere Weg sein, in solchen realen Normensystemen auftretende Normenkonflikte durch Vorrangregeln zu bereinigen. Für eine sehr systematische Übersicht über neuere Versuche, die deontische Logik (oder sogar die zugrunde liegende klassische Logik) so zu modifizieren, dass Normenkonflikte auftreten können, ohne dass dies zu einer 'normenlogischen Explosion' führt, vgl. Lou Goble, „Prima Facie Norms, Normative Conflicts, and Dilemmas“, in Dov Gobbay, John Horty, Xavier Parent, Ron van der Meyden, Leendert van der Torre (Hrsg.), Handbook of Deontic Logic and Normative Systems, College Publications, 2013, S. 241 – 351. 43 E. Morscher (Fn. 1), S. 271. 44 G. H. Von Wright (Fn. 30), S. 104. 45 Studiert hat er freilich zunächst Jura und dies auch mit einem doctorat abgeschlossen, s. „Réponse à l'enquête des Cuadernos de filosofía del derecho“, Doxa, Problemas abiertos en filosofía del derecho, I, Alicante, S. 114; online: http://www.cervantesvirtual.com/obras/autor/70801/Kalinowski,%20Georges. 12 hat, neben Georg Henrik von Wright und dem deutschen Philosophen Oskar Becker und ungefähr zur selben Zeit wie diese, das dritte der Systeme entwickelt, die dann allgemein deontische Logiken genannt worden sind. In seinen philosophischen Interessen vereinigte er zwei dem ersten Anschein nach sehr verschiedene Traditionen: diejenige der Warschauer Schule der modernen formalen Logik und eine andere, die auf Aristoteles und mehr noch Thomas von Aquin zurückgeht.46 In der uns hier beschäftigenden Frage unterschied Kalinowski zwischen Befehlen ('eigentlichen Imperativen') und imperativischen Sätzen einerseits und Normen und normativen oder deontischen Sätzen andererseits (die zusammen mit den Werturteilen oder Bewertungen und den bewertenden Sätzen die drei Arten praktischer Urteile repräsentierten).47 So wie ein deskriptiver Satz ein (theoretisches) Urteil bedeute, sei die Bedeutung eines normativen oder deontischen Satzes eine Norm.48 Für die linguistische Form von Normen/Normsätzen seien Ausdrücke wie „müssen“ oder „können“ charakteristisch. Während Befehle zweifellos nicht in die Kategorie des Wahren und Falschen gehörten, scheine dies bei Normen der Fall zu sein, so dass man eine Norm, wonach K seine Schulden zahlen müsse, als wahr betrachten könne, wenn K seine Schulden zahlen muss.49 An anderer Stelle kommt dies noch prägnanter zum Ausdruck. Danach kann man Sätze unterteilen in solche, die wahr und falsch sein können, und solche, die diese Eigenschaft nicht besitzen. Zur ersten Gruppe gehörten die deskriptiven, aber auch die bewertenden und die normativen Sätze, zur zweiten Gruppe beispielsweise Imperative, Fragen und Ausrufe.50 In Kontexten wie diesen hat G. Kalinowski also offenbar Normsätze im eingangs beschriebenen Sinn und deontische Sätze nicht unterschieden, von ihnen vielmehr einheitlich als normativen oder deontischen Sätzen gesprochen, die man als wahr oder falsch betrachten könne. Doch auch wenn Kalinowski zufolge Normsätze (praktische) Urteile sind, die wahr oder falsch sein können, hat er doch einen Unterschied gemacht zwischen Normen und 'Feststellungen, dass eine Norm gilt', denen man freilich oft die syntaktische Oberflächenstruktur gebe, die eigentlich die für die Normen adäquate sei.51 Das erinnert ein wenig an Kelsensche Aussagen über Sollnormen und Sollsätze. bb) Die Normenlogik oder deontische Logik ist nach Kalinowski vor diesem Hintergrund die Logik der normativen Sätze; ihre Aufgabe sei es, „die logischen Gesetze zu formulieren, auf denen die Regeln für (deduktive) normative Schlüsse beruhen, und diese Gesetze in ein deduktives, axiomatisiertes und formalisiertes System, das seinerseits Gegenstand metalogischer Untersuchungen ist, zu bringen“52. Unterscheide man zwischen einer Logik der Normen und einer deontischen Logik, so könne die Logik der Normen aufbauen auf Sätzen, die Normen ausdrücken (im Sinne der Terminologie der mittelalterlichen Logik als Aussagen de re über Personen und Verhaltensweisen)53, die deontische Logik dagegen auf Sätzen, die deontische Sachverhalte beschreiben, als Aussagen de dicto, d.h. metasprachlichen Aussagen, die feststellen, dass das in der Norm zum Ausdruck Gebrachte tatsächlich verbindliche Kraft besitzt.54 Wenn man, im Sinne des Kognitivismus, derartige Aussagen 46 Vgl. Jean-Louis Gardies, « In memoriam Georges Kalinowski », Philosophia Scientiæ [En ligne], 10-1 | 2006, URL: http://philosophiascientiae.revues.org/485 ; DOI : 10.4000/philosophiascientiae.485 47 Georges Kalinowski, Einführung in die Normenlogik, Frankfurt/Main: Athenäum, 1973 (Logique des normes, 1972), S. 14. 48 Ebd., S. 3, 6. 49 Ebd., S. 10. 50 G. Kalinowski, „Norms and Logic“, American Journal of Jurisprudence: Vol. 18: Iss. 1, Article 10. Online verfügbar unter: http:scholarship.law.nd.edu/ajj/vol18/iss1/10, S. 172 f. 51 G. Kalinowski (Fn. 45), S. 125. 52 G. Kalinowski, (Fn. 47), S. 3. 53 Eine solche Konzeption hat Kalinowski verteidigt insbesondere in „Über die deontischen Funktoren“, in: Normenlogik, hg. von Hans Lenk, Pullach bei München: Verlag Dokumentation, 1974, S. 49 ff. und 63. 54 G. Kalinowski, „Norms and Logic“, (Fn. 50), S. 187 ff. 13 akzeptiere, dann lasse sich eine Semantik der Rechtssprache entwickeln, für die man auf mögliche Welten nicht zurückzugreifen brauche.55 e) Ota Weinberger aa) Die Arbeiten des tschechisch-österreichischen Rechtsphilosophen Ota Weinberger (1919 – 2009) zu unserer Frage reichen von der weit ausholenden Untersuchung „Die Sollsatzproblematik in der modernen Logik“ von 1956 bis zum Aufsatz des 84-Jährigen über den handlungstheoretischen Zugang zur Normenlogik. Weinberger hat – wie Kelsen und im scharfen Kontrast zu Kalinowski – kategorisch unterschieden zwischen Aussagesätzen/Aussagen, die wahr oder falsch sein können, und Normsätzen/Normen, für die es keinen Sinn habe, von ihrer Wahrheit oder Falschheit zu sprechen, die jedoch gültig oder ungültig seien.56 Allgemeiner handele es sich um den Unterschied zwischen deskriptiven Sätzen und praktischen Sätzen; beide trenne eine semantische Zäsur, die in zwei metatheoretischen Prinzipien zum Ausdruck komme: (i) Es sei grundsätzlich nicht möglich, praktische Sätze durch rein deskriptive Sätze zu übersetzen und umgekehrt (das sei das Prinzip der Unübersetzbarkeit); und (ii) ebenso wenig sei es möglich, aus rein deskriptiven Prämissen normative Schlussfolgerungen zu gewinnen und umgekehrt (das sei das Prinzip der Unableitbarkeit).57 bb) Dies ist für Weinberger allerdings, anders als für Kelsen, kein Grund zu 'normenlogischem Skeptizismus'. Zum einen hätte ein solcher Skeptizismus aus seiner Sicht desaströse Folgen, unter anderem die, dass man aus generellen Normen keine logischen Konsequenzen für Einzelfälle herzuleiten imstande sei, und dass – wenn Folgerungen vom Typus modus ponens nicht in Betracht kämen – man hypothetische Normen nicht verstehen könne.58 Zum anderen sei es möglich, die zunächst nur für Aussagen entwickelten logisch-methodologischen Begriffe zu verallgemeinern, so dass sie auch auf Normen passen, und zwar in einer Weise, dass „diese Begriffe für den Bereich der rein deskriptiven Sprache den traditionellen wahrheitsfunktionalen Begriffen entsprechen.“59 Dagegen führe es in die Irre, die Problematik der normenlogischen Beziehungen mithilfe von Indikativsätzen zu lösen, die man den Normen in irgendeiner Weise zuordne. Das gelte insbesondere für Aussagen über Normen, etwa Aussagen der Form „In dem Normensystem SN gilt, dass p sein soll“. Denn grundlegend sei die Logik der Normen, und die logischen Beziehungen zwischen Sätzen über Normen könnten die eigentlichen logischen Beziehungen der Normsätze in gewisser Weise nur spiegeln.60 Was im Bereich der Metasätze über Normen gelte, lasse sich andererseits nicht auf die Logik der Normen übertragen.61 Auch die nach dem Vorbild der alethischen Modallogik konzipierten deontischen Logiken, in denen man zusammengesetzte Sätze und das Folgern wahrheitsfunktional konzipiere (und für die man die gegenseitige Definierbarkeit der deontischen Operatoren „geboten“, „verboten“ und „erlaubt“ voraussetze), seien in diesem Rahmen keine geeignete Grundlage. „Heute wissen wir: will man zu einer echten Normenlogik kommen, muss man dies alles anders machen.“62 55 G. Kalinowski, „Zur Semantik der Rechtssprache“, Rechtstheorie, Beiheft 1 (1979), S. 248 ff., 252. Zur Semantik möglicher Welten mehr unter II.2.a) und c). 56 Etwa in Ota Weinberger, „Die Sollsatzproblematik in der modernen Logik“, Rozpravy Československé Akademie Věd, Ročnik 68, 1958, Sešit 9, S. 3. 57 O. Weinberger, „Der handlungstheoretische Zutritt zur Normenlogik“ (Fn. 42), S. 167 f. 58 Ebd., S. 162. 59 Ebd., S. 163 f. 60 O. Weinberger, Normentheorie als Grundlage der Jurisprudenz und Ethik (Fn. 16), S. 125. 61 Ebd., S. 126. 62 (Fn. 42), S. 168 f. 14 cc) Eine echte Normenlogik sei primär eine Logik der Sollsätze, die Gebote und Verbote statuieren. „Dürfen“ lasse sich sekundär einführen, als Einschränkung oder Aufhebung des Sollens. Die Normlogik habe nur dann Sinn, wenn man voraussetze, dass mit den ausdrücklich gesetzten Normen (wenn sie als Prämissen von Schlüssen fungieren) auch deren – unter Umständen nicht gesetzte – logische Folge gelte. Dabei sei es aber nicht möglich, die (wahrheitsfunktionalen) Funktoren (oder Junktoren) „“,63 „“, „“, „→“ in der aussagenlogisch üblichen Weise für den Aufbau molekularer Normsätze zu verwenden. Dafür bedürfe es besonderer Regeln.64 Das gelte zum einen für die Negation. Während die Negation einer Aussage wieder eine Aussage sei, sei Entsprechendes bei einer Negation – oder der Streichung oder Aufhebung – eines Normsatzes nicht der Fall: die Streichung eines Normsatzes der Gestalt „Du sollst p“ sei kein Sollsatz.65 Der wichtigste molekulare Normsatz sei aber der hypothetische oder Bedingungsnormsatz – Weinberger verwendet (als Gegenstück zum aussagenlogischen wenn-dann-Junktor „→“) das Symbol „>“ und schreibt „p>n“. Der Funktor des Bedingungsnormsatzes sei folgendermaßen zu definieren (mit 'Op' als Sollsatz 'p soll sein'): (i) (ii) (iii) Es handele sich um einen normsatzbildenden Funktor. Er habe zwei Satzargumente, das erste drücke (meist in der Form eines aussagenden Teilsatzes) die Bedingung aus, das zweite (immer in Form eines normativen Teilsatzes) das Bedingte. Für den (aussagend bedingten) Bedingungssatz gebe es die folgenden beiden Folgerungsregeln: p>Oq, p Oq (aus 'wenn p, dann soll q sein' und 'p' folgt: 'q soll sein') – die normenlogische Abtrennungsregel; Oq, p p>Oq ( aus 'q soll sein' und 'p' folgt: 'wenn p, dann soll q sein') – die normenlogische Konditionalisierungsregel.66 Beide Schlussregeln kann man als Gegenstücke aussagenlogischer Schlussregeln ansehen: (3.1) entspricht dem modus ponens und (3.2) der zulässigen Schlussregel p, q p→q (aussagenlogisch gilt sogar schon q p→q).67 Ganz klar ist aber nicht, ob Weinberger damit den Konsequenzen entgeht, auf die der amerikanische Philosoph Roderick Milton Chisholm für die monadische deontische Logik aufmerksam gemacht hat und die G. H. von Wright (und andere) dazu veranlasst haben, im Rahmen der deontischen Logik bedingte Gebote mit dem dyadischen Gebotsoperator wiederzugeben. Veranschaulichen kann man diese Schwierigkeiten mit folgendem Beispiel: 68 „p“ sei die Abkürzung des Satzes „A verstößt gegen geltende Strafgesetze“, „q“ sei die Abkürzung des Satzes „A wird bestraft“. Dann wird man den Satz „wenn A gegen geltende Strafgesetze verstößt, dann soll er bestraft werden“ mit p>Oq wiedergeben. Darüber hinaus kann man feststellen, dass A nicht gegen Strafgesetze verstoßen soll, also: Op. Nun sei es aber der Fall, dass A gegen Strafgesetze verstößt; also p. Dann kann man mit p und p>Oq gemäß (3.1) zu Oq (A soll bestraft werden) übergehen; zugleich gilt aber Op, also nach allgemeinen logischen Prinzipien auch OqOp (A soll nicht gegen Strafgesetze verstoßen und A soll bestraft werden). Wenn aus OqOp auch O(qp) folgt,69 implizieren die anscheinend unproblematischen Prämissen p, p >Oq und Op, dass es der Fall sein soll, dass A nicht 63 Weinberger schreibt „ – “. 64 Ebd., S. 173. 65 Ebd.; zur Problematik der Negation der Sollsätze bei Weinberger vgl. im übrigen E. Morscher, „Die Normenlogik in Ota Weinbergers 'Rechtslogik'“, Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht, 21 (1971), S. 271. 66 (Fn. 61), S. 173 f. 67 Vgl. dazu E. Morscher (Fn. 66), S. 286. 68 Vgl. F. von Kutschera, Einführung in die intensionale Semantik, Berlin/New York, Walter de Gruyter, 1976, S. 121 f. und die ausführliche Diskussion in R. Hilpinen und P. McNamara, Deontic logic: A historical survey and introduction“ (Fn. 3), S. 83 ff. 69 Eine solche Schlussform gehört zu denen, die E. Morscher als in Weinbergers Konzeption vermutlich gültig betrachtet hat, s. „Die Normenlogik in Ota Weinbergers 'Rechtslogik'“ (Fn. 66), S. 277; auch G. H. von Wright sieht 15 gegen Strafgesetze verstößt und (trotzdem) bestraft wird. dd) Insgesamt kann man auch im Fall der Weinbergerschen Normenlogik nicht von einer geschlossenen logischen Theorie sprechen. Weinberger hat Prinzipien und Postulate formuliert, auch Schlussregeln angegeben und einige weitere (mutmaßlich) zulässige Schlussschemata. Ein präziser syntaktischer und semantischer Rahmen einer Logik der Normen liegt jedoch nicht vor. f) Rupert Schreiber aa) In dem Sinn, in dem man von verschiedenen Verwendungsweisen von Rechtsnormen sprechen kann,70 spricht R. Schreiber (*1929), der sich 1966 bei U. Klug habilitiert hat, von ihrer Deutung. Bei der Deutung von Rechtsnormen gehe es vor allem um die Art ihrer Geltung; „den unterschiedlichen Geltungsbegriffen liegen unterschiedliche Zuordnungen von Rechtsnormen und Wirklichkeit zugrunde. … Die wichtigste Unterscheidung der Möglichkeiten einer Deutung von Rechtsnormen liegt in der Unterscheidung von Deskription und Präskription. Deskription ist jene Deutung, bei der Rechtsnormen die Tätigkeit des Sanktionsapparats beschreiben. Präskription ist jene Deutung, bei der Rechtsnormen die Anweisung für eine Tätigkeit des Sanktionsapparats enthalten.“71 Auf dieser Unterscheidung basiert offenbar auch diejenige, die man zwischen (präskriptiven) Normsätzen und deskriptiven Komponenten von Normsätzen vornehmen kann.72 Auch in Schreibers Konzeption berührt die Deutung – oder Art der Geltung – der Rechtsnormen ihre interne logische Struktur nicht. Formal komme der Unterschied zwischen Aussagen und (präskriptiven) Rechtsnormen nur dadurch zum Ausdruck, dass man im logischen Kontext Aussagen mit „wahr“ oder „falsch“ bewerte, Rechtsnormen dagegen mit „rechtens“ oder „nicht rechtens“. Dabei nimmt die Bewertung mit „rechtens“ oder „nicht rechtens“ offenbar auf ein bestimmtes normatives System Bezug (z.B. die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland; es kann sich aber auch um einen Ausschnitt eines sonstigen realen oder idealen Normensystems handeln). Wegen der Heterogenität möglicher normativer Systeme gibt Schreiber der Schlussregel, in der sowohl deskriptive als auch präskriptive/normative Sätze vorkommen, eine allgemeinere Fassung; seine Schlussregel für normative Systeme lautet damit: „Ist der Satz p wahr und gehört die Rechtsnorm p→q zu einem bestimmten System von Rechtsnormen, so gehört auch q zu diesem System.“73 bb) Von „Sollenssätzen“ spricht Schreiber vor allem im Sinn von Befehlssätzen oder Imperativen. Beispiele sind Sätze wie: „Du sollst nicht töten.“ oder „Es ist verboten, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen zu verletzen.“74 Allgemein lasse sich die Kategorie der Sollenssätze untergliedern in Gebots-, Verbots- und Erlaubnissätze.75 Wesentlich für derartige Vorschriften ist in Schreibers Konzeption, dass sie – ohne weitere Angaben – nicht regeln, was zu geschehen hat, wenn ein Normadressat gegen sie verstößt; in diesem Sinn seien sie nicht vollständig. Aus diesem Grund sind sie seines Erachtens aber auch nicht imstande, eine Rechtsordnung zu beschreiben.76 In Schreibers rechtstheoretischer Konzeption spielt die deontische Logik daher keine Rolle. 70 71 72 73 74 75 76 ja in dem Zusammenhang OpOq↔O(pq) eine Tatsache seiner Logik der Normen (s. oben II. 1. c) cc)). Oben I. und meine „Aspekte der Logik rechtlichen Argumentierens“ (Fn. 2), S. 501. R. Schreiber, Allgemeine Rechtslehre, Berlin/Heidelberg/New York: Springer, 1969, S. 22. Vgl. meine „Aspekte der Logik rechtlichen Argumentierens“ (Fn. 2), S. 495 ff. Allgemeine Rechtslehre (Fn. 71), S. 37. R. Schreiber, Die Geltung von Rechtsnormen, Berlin/Heidelberg/New York: Springer, 1966, S. 36 f. Ebd., S. 38. R. Schreiber (Fn. 72), S. 26. 16 g) Carlos Alchourrón und Eugenio Bulygin aa) Die argentinischen Rechtsphilosophen Carlos Alchourrón (1931 – 1996) und Eugenio Bulygin (*1931) haben über Jahrzehnte eng zusammengearbeitet und gemeinsam publiziert.77 C. Alchourrón, neben seiner rechtsphilosophischen Professur auch Professor für Logik und Wissenschaftstheorie, begann in den späten siebziger Jahren zugleich eine intensive Kooperation mit dem australischen Logiker David Makinson und dem schwedischen Philosophen Peter Gärdenfors über Fragen der logischen Struktur der Derogation in Normensystemen und allgemeiner zur Logik des Theorienwandels.78 E. Bulygin, aus dem Gebiet der heutigen Ukraine stammend, war als junger Mann nach Buenos Aires gekommen; in den sechziger Jahren hatte er bei U. Klug studiert, dann bei H. L. A. Hart in Oxford. Der Einfluss, den beide Autoren auf die internationale Diskussion ausgeübt haben, aber auch ihre Nähe zur deutschsprachigen Rechtstheorie kommen in der Festschrift 'Normative Systems in Legal and Moral Theory' zum Ausdruck, die ihnen 1996 gewidmet worden ist.79 Aus den gemeinsamen Arbeiten sind für unser Problem vor allem die Ideen von Interesse, die die beiden Autoren in „The Expressive Conception of Norms“ dargelegt haben.80 Alchourrón und Bulygin haben sie nach intensiven Diskussionen mit O. Weinberger in dem Aufsatz „Pragmatic Foundation for a Logic of Norms“81 präzisiert und ergänzt. Für die folgende Skizze wollen wir von diesem Aufsatz und der Analyse ausgehen, die Andrej Kristan der Expressiven Normenkonzeption jüngst gewidmet hat.82 bb) Alchourrón und Bulygin unterscheiden zunächst allgemein zwischen normativen Sätzen und deskriptiven Sätzen und konzentrieren sich innerhalb dieser Kategorien auf Normsätze (die Normen ausdrückten und nicht wahr oder falsch sein könnten) einerseits und deontische Sätze (die Normpropositionen ausdrückten und wahr oder falsch seien) andererseits.83 Die Normsätze bestünden aus der deskriptiven Komponente, die eine Handlung oder deren Ergebnis beschreibe, und der präskriptiven Komponente, dem normativen Operator. Dazu, wie dieser normative Operator zu interpretieren sei, gebe es zwei unterschiedliche Konzeptionen: die expressive (oder pragmatische) und die hyletische (oder semantische) Konzeption von Normen. Nach der hyletischen Konzeption hat der Operator semantische Qualität; er trägt also zur Bedeutung des eine Norm darstellenden Satzes bei. Nach der expressiven Konzeption ist der normative Operator rein pragmatischer Natur: Er kennzeichnet eine bestimmte Art und Weise, die Sprache zu verwenden – nämlich zu dem Zweck, Verhaltensweise vorzuschreiben. Damit gehörten Normen zu den Sprechakten, die man nicht mit Junktoren der Aussagenlogik zu komplexeren Ausdrücken verknüpfen könne. Ein Zusammenhang mit deontischen Aussagen und mit sonstigen deskriptiven Aussagen ergebe sich aber auf folgende Weise: Eine Norm gelte, wenn die (deontische) Aussage, dass ihr Inhalt geboten ist, wahr ist, und dies sei der Fall, wenn ihre deskriptive 77 Erwähnenswert sind insbesondere Normative Systems (1971, deutsch Normative Systeme, Freiburg/München: Karl Alber, 1994), und die Aufsatzsammlung Análisis Lógico y Derecho, Madrid: Centro de estudios politicos y constitucionales, 1991). 78 S. David Makinson, In Memoriam Carlos Eduardo Alchourron, Nordic Journal of Philosophical Logic, Vol. 1, No. 1, S. 3 – 10; online: http://www-2.dc.uba.ar/profesores/becher/alchourron_makinson.pdf. 79 Herausgegeben von Ernesto Garzón Valdés, Werner Krawietz, Georg H. von Wright und Ruth Zimmerling, Berlin: Duncker & Humblot, 1996. 80 In: Risto Hilpinen (Hrsg.), New Studies in Deontic Logic, Dordrecht: Reidel, 1981, S. 95 – 124. 81 In Rechtstheorie 15 (1984), S. 453 – 464. 82 „In Defence of the Expressive Conception of Norms“, Revus [Online], 22 / 2014, URL: http://revus.org/2883 ; DOI : 10.4000/revus.2883, S. 151 – 172. 83 „Pragmatic Foundation for a Logic of Norms“ (Fn. 81), S. 453 f. 17 Komponente Element einer Menge ist, die Alchourrón und Bulygin „Normatives System“ nennen und die sich wie folgt zusammensetzt: Sie besteht zum einen aus den Sätzen, die die explizit gebotenen Norminhalte oder 'Handlungspropositionen' ausdrücken (deren Menge sei A) und aus den logischen Konsequenzen dieser Handlungspropositionen (deren Menge sei Cn(A)).84 In den Worten von Alchourrón und Bulygin (dabei ist „p“ die deskriptive Komponente der betrachteten Norm): „'It is obligatory that p in A' is true if and only if p is a member of the [normative] system Cn(A) – that is, if and only if p belongs to the consequences of the [axiomatic basis of the system, also called the commanded set] A. This means that p is obligatory in A if and only if p has been [explicitly] commanded or p is a consequence of the propositions that have been commanded. In this last case we say that [ … ] p is a derived obligation.“85 Auf dieser Basis lassen sich also explizite und abgeleitete Gebote definieren, aber auch (explizite und abgeleitete) Verbote und Erlaubnisse.86 Erwähnenswert ist vielleicht, dass es sich bei der Basis des normativen Systems, d.h. den 'explizit gebotenen Norminhalten', um die Sätze geschriebenen Rechts handeln kann, aber nicht muss; ebenso gut kommen richterliche Entscheidungen, als Normen einer gewissen Allgemeinheit formuliert, in Betracht oder Sätze des Naturrechts.87 cc) Dieser Konzeption entspricht unsere eingangs skizzierte These offenbar sehr weitgehend. Charakteristisch ist ja insbesondere die Unterscheidung zwischen (i) nur mithilfe pragmatischer Kategorien darstellbaren Normen, (ii) Normpropositionen oder deontischen Sätzen88 und (iii) deren deskriptiven Komponenten, den Norminhalten oder Handlungspropositionen (act propositions). Was die in diesem Rahmen anwendbare Logik angeht, so geht es Alchourrón und Bulygin, abgesehen von den aussagenlogischen Zusammenhängen zwischen den Handlungspropositionen, allerdings primär um logische Zusammenhänge zwischen deontischen Sätzen, in denen deontische Operatoren wesentlich vorkommen. Fassen wir dazu das oben Skizzierte noch einmal ein wenig technischer zusammen: Normpropositionen haben die Form Oxp, wobei „x“ für eine normgebende Stelle steht, „p“ eine Handlungsproposition ausdrückt, die x geboten hat, und „O“ die Relation des Gebietens wiedergibt. Kern ist das folgende 'Principle of Obligatoriness': „It is obligatory, according to x' commands, to perform all actions that are logically necessary in order to satisfy all obligations established by x' commands (= that are logical consequences of the set of act propositions commanded by x).“89 Deontische Sätze der Form Oxp sind damit genau dann wahr, wenn p zu dem betrachteten normativen System (also der Menge Cn(A)) gehört. Daraus ergibt sich dann z.B., dass, wenn pq geboten ist, auch p (allein) und q (allein) geboten ist (denn aus pq folgen ja sowohl p als auch q). Insgesamt entsprechen die auf diese Weise begründbaren Axiome denen des Standardsystems der deontischen Logik bis auf zwei – aus Sicht von Alchourrón und Bulygin allerdings wesentliche – Unterschiede: (i) (ii) Deontische Sätze ihrer Logic of norm propositions LNP nehmen stets auf die Gebote einer bestimmten normgebenden Stelle (x) Bezug. In LNP gibt es kein direktes Gegenstück zu dem „Prinzip vom ausgeschlossenen deontischen Widerspruch“, also zu (OpOp). Denn normative Systemen, also z.B. auch Normensysteme des geschriebenen Rechts, können Alchourrón und Bulygin zufolge (deontische) Widersprüche enthalten. Die normative Widerspruchsfreiheit könne man daher nur – als Desiderat – definieren. Diese Definition entspricht in ihrer Form dann freilich dem Prinzip vom ausgeschlossenen deontischen Widerspruch.90 84 „In Defence of the Expressive Conception of Norms“ (Fn. 82), 152 ff. 85 Ebd., S. 153 (= C. Alchourron/E. Bulygin, „The Expressive Conception of Norms“ (Fn. 80), S. 91; die Zusätze in eckigen Klammern stammen von A. Kristan). 86 Ebd., S. 153 ff. 87 C. Alchourron/E. Bulygin, Normative Systeme (Fn. 77), S. 113. 88 Nach der Definition in Normative Systeme (Fn. 77), S. 78 also Ausdrücke, die entweder aus einem deontischen Operator und einem deontischen Inhalt oder aus wahrheitsfunktionalen Zusammensetzungen solcher Ausdrücke bestehen. 89 „Pragmatic Foundation for a Logic of Norms“ (Fn. 81), S. 456. 90 Ebd., S. 459. 18 Wir werden diese Elemente im Vorschlag einer neuen Lösung wieder aufgreifen, wenn auch von einem anderen Ausgangspunkt aus, was die Form der Rechtsnormen angeht.. dd) Eine gewisse Unklarheit scheint sich allerdings mit der Frage nach der methodischen 'Hierarchie' von Geboten, deontischen Sätzen und gebotenen Norminhalten/Handlungspropositionen zu verbinden. In der Sicht von Alchourrón und Bulygin ist es die Logik der Normpropositionen (d.h. ihre Konzeption der deontischen Logik), die erst die Grundlagen der Logik der Normen schafft.91 Dementsprechend könne man sagen, eine Norm gelte, wenn man festgestellt hat, dass die (deontische) Aussage, nach der der Norminhalt Inhalt geboten ist, wahr ist. Andererseits sind deontische Aussagen genau dann wahr, wenn der Norminhalt zu dem betrachteten normativen System (also der Menge Cn(A)) gehört; A ist aber die Menge der Norminhalte, die die normgebende Instanz explizit geboten hat. Die Frage ist also, ob es nicht zirkulär ist, die Gültigkeit von Normen von der Wahrheit der entsprechenden deontischen Aussagen und die Wahrheit der deontischen Aussagen von der Zugehörigkeit ihres Inhalts zur Menge Cn(A) der explizit gebotenen Norminhalte und deren logischen Konsequenzen abhängig zu machen. Formell lässt sich die Zirkularität wohl in der Tat nur vermeiden, wenn es verschiedene Kriterien sind, nach denen sich zum einen feststellen lässt, ob ein Norminhalt (explizit) geboten ist, zum anderen, ob der deontische Satz mit diesem Inhalt wahr und die entsprechende Norm gültig ist. Allzu plausibel ist eine solche Annahme nicht; mehr scheint dafür zu sprechen, dass die Frage, welche Norminhalte explizit geboten sind und damit zur Menge A (und zur Menge Cn(A)) gehören, und die Frage, welche Normen gelten, tatsächlich identisch sind. Methodisch vorrangig ist dann aber die Frage, welche Normen gelten; und nur wenn man sagen kann, welche Normen gelten, vermag man auch zu entscheiden, welche deontischen Aussagen wahr sind. h) Jürgen Rödig aa) J. Rödig (1942 – 1975) hat sich 1972 bei Ulrich Klug habilitiert; in seinen Arbeiten hat er wie kaum ein anderer in der deutschsprachigen juristischen und rechtstheoretischen Literatur von formaler Logik Gebrauch gemacht, sich dabei aber – wie Klug und Schreiber – auf die Mittel der (klassischen) Aussagen- und Prädikatenlogik beschränkt. Gegen die Idee einer besonderen Logik der Normen – sei es im Weinbergerschen Sinn, sei es als deontische Logik – hat er sich sogar mit großem Nachdruck gewandt.92 Der Grund für diese Position liegt zum einen darin, dass Rödig auch Imperative und (Rechts-)Normen als Sätze betrachtete, die wahr oder falsch sind; dies gelte jedenfalls in einem formalen, für die Anwendbarkeit der Logik ausreichenden, Sinn.93 Zum anderen seien die Beziehungen zwischen den deontischen Operatoren und insbesondere auch das sog. deontische Widerspruchsprinzip (nach dem, was geboten ist, nicht verboten ist) nicht logischer Natur: Was die Logik angehe, „so verträgt sich die Gebotenheit mit der Verbotenheit so gut wie weiß mit schwarz. Ein Widerspruch kommt erst aufgrund bestimmter sachlicher Voraussetzungen … zustande“,94 und derartige – den Beziehungen zwischen den Termini „geboten“, „verboten“ und „erlaubt“ zugrunde liegende – Voraussetzungen hat Rödig tatsächlich in einem kleinen Axiomensystem „einer (als Logik) 'klassischen' Logik der Normen“ formuliert. Dieses Axiomensystem erlaubt beispielsweise, einen Satz zu beweisen, der dem deontischen Axiom (Op˄O(p)) entspricht.95 bb) In Rödigs Aussagen zur Wahrheit der Normen scheint allerdings eine gewisse Ambiguität zu liegen. Es könnte sein, dass er bei mindestens einigen seiner Argumente, denen zufolge sich auch normativen Sätzen Wahrheitswerte zuordnen lassen, tatsächlich eher deontische Sätze im Sinn gehabt hat – die als eigene Kategorie in seinen Arbeiten nicht vorkommen. Für diese Hypothese spricht sein Hinweis auf die einer normativen Aussage (die wahr oder falsch 91 Ebd., S. 463. 92 Vgl. etwa „Über die Notwendigkeit einer besonderen Logik der Normen“, in: J. Rödig, Schriften zur juristischen Logik, hg. von Elmar Bund/Burkhard Schmiedel/Gerda Thieler-Mevissen, Berlin/Heidelberg/New York: Springer, 1980, S. 185 ff. 93 Ebd., S. 192 ff. 94 Ebd., S. 204. 95 Ebd., S. 202 ff.; zum Verhältnis dieses Axiomensystems zum Standardsystem der deontischen Logik vgl. M. Mauer (Fn. 2), S. 500 und 514 ff. 19 sei) zugrunde liegende allgemeine Norm, die gelte oder nicht gelte.96 i) Werner Krawietz aa) Auch bei W. Krawietz (*1933)97 soll sich diese Übersicht auf eine späte, resümierende Arbeit konzentrieren, den Aufsatz „Haupt- und Gegenströmungen in der juristischen Methodik“ aus dem Jahr 2011.98 Krawietz stellt fest, wie wenig Einigkeit es darüber gebe, welche Aufgabe die formale Logik im Recht erfüllen und welche Gestalt sie dazu haben müsse. Das gelte schon für die Frage, ob es sich um eine Logik der Normsätze handeln soll, um eine Logik (rechtswissenschaftlicher) Sätze über das Recht – die deontischen Sätzen im eingangs erklärten Sinn ähneln – oder um eine Logik von Sätzen, mit denen ein externer Beobachter das Rechtssystem beschreibt – diese entsprechen offenbar den Aussagen, die eine deskriptive Komponente eines Normsatzes als Faktum behaupten.99 Im Einklang mit Weinbergers und von Wrights spätem Standpunkt muss es der Normenlogik aus Krawietz' Sicht um die präskriptiven Normsätze selbst gehen; sie dürfe sich nicht auf die „bloß metasprachliche Ebene deskriptiver Aussagen über derartige Normsätze“ beschränken.100 Denn Normsätze gehörten zu einer Satzkategorie eigener Art, durch Aussagesätze seien sie nicht hinreichend darstellbar; wie O. Weinberger spricht er von wechselseitiger Unübersetzbarkeit. Jedenfalls sei es notwendig, „sehr viel sorgfältiger als bisher zwischen (i) … praktischen, d.h. stellungnehmenden und vorschreibenden Sätzen und (ii) theoretischen, d.h. bloß beschreibenden Sätzen zu unterscheiden.“101 bb) Auf dieser Grundlage formuliert Krawietz Desiderate für den Aufbau einer eigenständigen Normenlogik. Ihre Aufgabe sei es „vor allem …, nicht bloß die Struktur der Normsätze und die logischen Beziehungen zwischen den Normsätzen zu analysieren, sondern vor allem auch die Beziehungen zwischen Normsätzen und Aussagesätzen zu untersuchen“. Weinberger folgend hält er es für erforderlich, dass die Normenlogik sich aus zwei Theorien zusammensetzt: einer 'Theorie der Normsatzstrukturen und der normenlogischen Deduktion' als Kern der Normenlogik und einer 'Theorie der Normsatzbegründung'.102 In der Theorie der Normsatzstrukturen und der normenlogischen Deduktion gehe es um Normenfolgerungen, mit denen man Normsätze aus Normsatzprämissen und gegebenenfalls aus Aussagesatzprämissen ableite; freilich könnten hergeleitete Normsätze nur relativ zu den Prämissen als bewiesen oder begründet gelten – aber dies trifft natürlich für jede Folgerung zu. „Jedoch erschöpft sich (wie Krawietz hinzufügt) die moderne Normenlogik nicht in einer logischen Analyse derjenigen Entscheidungsprobleme, die der juristische Syllogismus aufwirft. Rechtliche Entscheidungen bedürfen, wenn sie hinreichend rational erfolgen sollen, der Aufklärung durch eine Argumentationstheorie, welche die – höchst unterschiedlichen! – normativen sozialen Systemreferenzen auf Seiten der Normerzeuger wie auf Seiten der Normadressaten in sich 96 Ebd. (Fn. 93), S. 194. 97 Dieser Abschnitt folgt auf den zu J. Rödigs Position, weil das Gros von W. Krawietz' Publikationen und insbesondere die hier wiedergegebene Arbeit weit nach Rödigs frühem Tod entstanden sind. 98 Rechtstheorie 2011, S. 457 – 494. 99 Ebd., S. 483. 100 Ebd., S. 485. 101 Ebd., S. 486. So wichtig, wie dieser Unterschied ist, nicht weniger wichtig scheint es zu sein, im Sinne unserer eingangs vorgeschlagenen Terminologie zwischen (objektsprachlichen) deontischen Aussagen und metasprachlichen Aussagen über Normsätze zu unterscheiden. Auf die Frage der Übersetzbarkeit bin ich in „Aspekte der Logik rechtlichen Argumentierens“ (Fn. 2), S. 502, Fn. 55 eingegangen. 102 Ebd., S. 486 f. 20 aufnimmt und in ihr Theoriedesign einbezieht.“103 cc) Wie man sieht, geht dies über die Aufgaben einer Normenlogik als formaler logischer Theorie weit hinaus; jedenfalls überschreitet die hier skizzierte Argumentationstheorie unsere Thematik des Verhältnisses zwischen Rechtsnormen und formaler Logik. Das gilt auch für die Gesichtspunkte, auf die Krawietz im Kontext der Normenbegründung eingeht. Von unserem Standpunkt aus kann man dazu aber folgendes sagen: Rechtsnormen lassen sich in der Tat auf unterschiedliche Weise begründen. Man kann sie aus allgemeineren und aus höherrangigen Normen rechtlicher oder moralischer Natur in (mehr oder weniger) formaler Weise herleiten. Und man kann sie inhaltlich begründen, indem man zeigt, dass sie je gegebenen oder zu begründenden Zwecken (darum handelt es sich wohl bei den 'normativen sozialen Systemreferenzen') besser als konkurrierende Normen gerecht werden. Weder für das eine, noch für das andere bedarf es einer spezifischen Rechtsrhetorik. Jedenfalls gibt es Grund zur Skepsis gegenüber der These, mit der Krawietz seinen Aufsatz abschließt: „In der rechtspraktischen juristischen Methodik wie in der Methodologie und Theorie der Rechtswissenschaft schließen ... Rechtslogik und Rechtsrhetorik einander nicht aus, sondern ein. Das gilt jedenfalls dann, wenn es auf den diversen Levels einer praktischen und theoretischen Reflexion des Rechts um eine weitere Verwissenschaftlichung der juridischen Argumentation geht.“104 2. Deontologische Konzeptionen Wir beschränken uns hier auf Skizzen einiger ausgewählter Positionen und Theorieentwürfe. Die ersten drei stehen dem 'Standardsystem der deontischen Logik' mehr oder minder nahe, das trotz der angedeuteten grundsätzlichen Kontroversen so etwas wie der Kern der Bemühungen um eine für Normen relevante Logik geworden sind; sie unterscheiden sich freilich in der ihnen zugrunde liegenden semantischen Konzeption. Bei der vierten Position geht es um einen Versuch, eine genuin pragmatische Logik der Normen zu entwerfen mit dem Ziel, die Logik im Sinne der Entwürfe von Weinberger und von Wright über den Bereich von Wahrheit und Falschheit hinaus zu erweitern. Bei den zum Schluss vorgestellten Positionen, der Familie der Input/output-Logiken und der „Theory of Joining-Systems“, haben die bedingten Normen, die in ihrem Mittelpunkt stehen, einen eigenartigen, schwerer greifbaren Status: Als Ausdrücke, die weder wahr noch falsch sind, gehören sie selbst nicht zu den Formeln der Input/output-Logik; in der Theory of Joining-Systems haben sie die Gestalt abstrakter algebraischer Ausdrücke. Die folgenden Skizzen vermögen nicht wirklich einen Eindruck von dem Reichtum und der Komplexität der gegenwärtigen (internationalen) Diskussion über Fragen der deontischen Logik und normativer Systeme allgemein zu geben.105 Es wäre gut, wenn es gelänge, wenigstens die eine oder andere schmale Brücke über den Graben zu schlagen, der die deutschsprachige Rechtstheorie von dieser Diskussion trennt. a) Franz von Kutschera aa) Der Logiker und Philosoph F. von Kutschera (*1932) ist auf die hier interessierenden Fragen in seiner „Einführung in die Logik der Normen, Werte und Entscheidungen“106, der „Einführung in 103 Ebd., S. 487. 104 Ebd., S. 494. Ob es zur Verwissenschaftlichung der juridischen Argumentation beiträgt, den Nutzen der Subsumtion darin zu sehen, dass sie „zur rhetorischen Darstellung und notfalls auch zur Camouflage der wirklichen Entscheidungsgründe …, enthymemtheoretisch gedeutet, immer noch ganz nützliche Dienste“ leiste (ebd. S. 492), steht auf einem anderen Blatt; auch, wie sich eine rechtswissenschaftliche Attitüde, die die Vorzüge der Camouflage der wirklichen Entscheidungsgründe hervorzuheben weiß, zur Frage der Bindung der Rechtsprechung an Gesetz und Recht nach Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes verhält. 105 Eine aktuelle, profunde und sehr systematische Übersicht bietet das oben schon gelegentlich erwähnte Handbook of Deontic Logic and Normative Systems von 2013 (Fn. 3). 106 Freiburg/München: Karl Alber, 1973. 21 die intensionale Semantik“107 und knapp resümierend noch einmal in den „Grundlagen der Ethik“108 eingegangen. Normen sind für von Kutschera Gebote, Verbote und Erlaubnisse (pars pro toto und wegen der wechselseitigen Definierbarkeit sprechen wir im folgenden gelegentlich nur von Geboten). Dabei müsse man, auch wenn ihre sprachliche Form oft übereinstimme, zwischen Imperativen einerseits und Gebotssätzen andererseits unterscheiden: Imperative seien weder wahr noch falsch; mit ihnen behaupte der Sprecher nichts, vielmehr gebiete bzw. verbiete oder erlaube er etwas. Deontische Sätze, d.h. Sätze der Form „Es ist geboten, dass A“ oder „Es ist nicht geboten, dass A“ seien dagegen „Behauptungssätze, mit denen man behauptet, dass Gebote, Obligationen oder Verpflichtungen bestehen bzw. nicht bestehen“.109 Diese Sicht der Dinge ist, wie man sieht, der Ausgangspunkt des vorliegenden Papiers. bb) Nach dieser Konzeption handelt die deontische Logik von deontischen Sätzen, also von Behauptungssätzen. Als solche bedarf sie keines spezifisch normenlogischen Fundaments (dessen Junktoren sich von denen der Aussagenlogik unterscheiden müssten). Vielmehr umfasst sie die (klassische) formale Logik, „enthält darüber hinaus aber Prinzipien, die es ermöglichen, auch Schlüsse von Geboten auf andere zu rechtfertigen. Diese Prinzipien lassen sich als Bedeutungspostulate für den Ausdruck „Es ist geboten, dass ...“ auffassen.“110 Als wichtigste Prinzipien, die der deontischen Logik (für nicht-bedingte Gebote) zugrunde liegen, gibt von Kutschera die folgenden an – dabei repräsentieren die Prinzipien O1, O2, O4 und O5 die auf von Wrights Arbeit von 1951 zurückgehenden Standardprinzipien der deontischen Logik; O3 ist die sog. Barcan-Formel, die auf die amerikanische Philosophin und Logikerin Ruth Barcan Marcus zurückgeht): O1: O(A)→O(A) (wenn A geboten ist, ist es nicht der Fall, dass nicht-A geboten ist – oder einfacher: was geboten ist, ist nicht verboten) O2: O(A)˄O(B)→O(A˄B) (wenn sowohl A geboten ist als auch B, so ist A und B geboten) O3: xO(F(x)→ O(x F(x)) (wenn es jedermann geboten ist, F zu tun, so ist es auch geboten, dass alle F tun) O4: O(T) (tautologische – d.h. logischen Wahrheiten entsprechende – Sachverhalte T sind geboten) O5: Wenn B aus A logisch folgt, so gilt: O(A)→O(B) (logische Folgen gebotener Handlungen sind ebenfalls geboten). Wichtig für unseren Zusammenhang ist, dass man bedingte Gebote – also Gebote der Form „unter der Bedingung, dass A gilt, ist es geboten, dass B“ – wegen der Schwierigkeiten, auf die R. M. Chisholm aufmerksam gemacht hat (s. oben II.1. e) cc)) „nicht generell durch A→O(B) oder O(A→B) darstellen kann, dass also der bedingte Gebotsbegriff als deontischer Grundbegriff anzusehen ist“;111 symbolisch schreibt man O(B,A) oder O(B|A). Für bedingte Gebote dieser (dyadischen) Form gilt keine Abtrennungsregel; „man kann also nicht von O(A,B) und B auf O(A) schließen. … Man kann nur aus O(B) und O(A,B) auf O(A) schließen.“112 107 Berlin/New York: Walter de Gruyter, 1976. 108 2., völlig neu bearbeitete Auflage, Berlin/New York: Walter de Gruyter, 1999. 109 Ebd., S. 4. 110 Ebd., S. 6. 111 F. von Kutschera (Fn. 109), S. 8. Für eine eher „konservative“ Reaktion auf Chisholms Paradoxon plädiert E. Morscher (Fn. 1), S. 179; s. auch ebd. S. 235 f. und 237. 112 F. von Kutschera (Fn. 109), S. 10. 22 cc) Was das semantische Gerüst dieser deontischen Logik angeht, scheint es in von Kutscheras Konzeption einen gewissen Zwiespalt zu geben. Denn wenn im Tarskischen Sinn deontische Sätze wahr oder falsch sind je nachdem, ob der behauptete Sachverhalt tatsächlich besteht oder nicht,113 liegt es nahe, das Wahrheitskriterium allein darin zu sehen, dass (in der wirklichen Welt) Normen entsprechenden Inhalts in einem näher zu charakterisierenden Sinn gelten oder nicht. Tatsächlich stützt sich von Kutschera wie die Mehrheit der Logiker auf die Semantik möglicher Welten, die seit dem Ende der 1950er Jahre zur Interpretation modallogischer Sprachen entwickelt worden war und rasch auch auf deontische Systeme übertragen worden ist. Die Einzelheiten überschreiten unseren Rahmen; vielleicht genügt hier der Hinweis, wie sich danach die Wahrheit einer Aussage O(A) – also Es ist geboten, dass A – intuitiv charakterisieren lässt: „O(A)“ ist wahr – es ist also tatsächlich geboten, dass A – genau dann, wenn der Satz A in allen Welten wahr ist, die dieselben Objekte wie die wirkliche Welt haben, aber in einem präzisen Sinn besser sind als die wirkliche Welt.114 b) Edgar Morscher aa) Der österreichische Logiker und Philosoph E. Morscher (*1941) hat sich über Jahrzehnte mit der „Bedeutung der modernen Logik für Theorie und Praxis des Rechts“115 beschäftigt. Die Ergebnisse hat er in seiner „Normenlogik“ von 2012 noch einmal systematisch dargestellt. Dem hier praktizierten Sprachgebrauch nach handelt es sich allerdings um eine „Deontische Logik“; Morscher verwendet wie G. Kalinowski die Ausdrücke „Normenlogik“ oder „Logik der Normsätze“ und „deontische Logik“ als Synonyme, ebenso die Ausdrücke „deontischer Satz“ und „normativer Satz“, und unter den Begriff der Norm subsumiert er beliebige Gebote, Verbote und Erlaubnisse.116 Die Normenlogik ist danach die Theorie der allgemeingültigen Sätze, in denen mindestens ein normativer/deontischer Ausdruck (insbesondere also „geboten“, „verboten“ und „erlaubt“) wesentlich vorkommt und im übrigen nur (aussagen- und ggf. prädikaten-)logische Ausdrücke wesentlich vorkommen.117 Damit handelt es sich zwar um Sätze, die teils als Aussagen wahr oder falsch sind, teils dagegen nach Morschers Konzeption als Normsätze nicht (jedenfalls nicht im üblichen Sinn) wahr oder falsch sein können. Doch reiche es für die Semantik der möglichen Welten aus, allen vorkommenden Sätzen einen von zwei binären Werten, etwa 1 und 0, zuordnen zu können, die „gewisse strukturelle Gemeinsamkeiten mit den üblichen Wahrheitswerten aufweisen, ohne dass diese Sätze deswegen (im üblichen Sinn) wahr oder falsch zu sein brauchen.“118 Die Semantik der möglichen Welten sei die erste, die als Semantik für Normsätze den von Alfred Tarski etablierten Ansprüchen gerecht werde; an ihr müsse man jedenfalls jeden neuen Ansatz einer derartigen Semantik messen.119 bb) In Morschers Sicht ist es für den Umgang mit Normkonflikten im übrigen vorteilhaft, wenn nicht unerlässlich, eine noch ausdrucksreichere Sprache zu verwenden. So lasse sich das Standard113 Ebd., S. 4 f. 114 F. von Kutschera (Fn. 107), S. 53. 115 So der Untertitel des Bandes „Kann denn Logik Sünde sein?“ (Fn. 2), in dem Morscher 2009 eine Auswahl seiner rechtslogischen Arbeiten zusammengefasst hat. 116 Normenlogik (Fn. 1), S. 9. Dies weicht freilich von der Standardinterpretation ab; nach ihr sind wie in dem eingangs vorgeschlagenen Sprachgebrauch deontische Sätze ja Aussagen, die wahr oder falsch sind, im Gegensatz zu normativen Sätzen, die dies auch in Morschers Konzeption nicht (im üblichen Sinn) sind. Wie Kalinowski unterscheidet Morscher im übrigen, anders als dies hier eingangs geschehen ist, zwischen Normsätzen und Imperativen, ebd., S. 259. 117 Ebd., S. 16. 118 Kann denn … (Fn. 3), S. 139; vgl. auch Normenlogik (Fn. 1), S. 67 und 83 f. 119 (Fn. 2), S. 176, (Fn. 1), S. 83. 23 system der Normenlogik (das auf der klassischen Aussagen- und Prädikatenlogik basiert) mit einer Handlungslogik, mit der (alethischen) Modallogik, der epistemischen Logik und auch einer temporalen Logik verbinden.120 Auf der anderen Seite sei aber kein einziges Gesetz der Normenlogik – isoliert betrachtet – unumstößlich. Selbst auf so grundlegende Prinzipien wie die Distributionsgesetze für Konjunktion und Subjunktion, die in fast allen normenlogischen Systemen gültig seien (und aus denen etwa O(p˄q)→(O(p)˄O(q)) und O(p→q)→(O(p)→O(q)) folgten), und auf das Gesetz vom ausgeschlossenen deontischen Widerspruch könne man verzichten, nach dem eine Handlung nicht zugleich geboten und verboten sein könne (also (O(p)˄O( p))). Wenn demnach auch jedes einzelne dieser Gesetze unter bestimmten Umständen entbehrlich sei, müsse freilich das Gesamtsystem gewisse Minimalbedingungen erfüllen, um den Namen „Logik“ noch zu verdienen.121 c) Jörg Hansen aa) Der Jurist, Logiker und Philosoph Jörg Hansen (*1967) hat seine Konzeption einer neuen semantischen Grundlage der deontischen Logik in seiner Leipziger philosophischen Dissertation von 2008 zusammengefasst.122 Sie scheint sich an der Mögliche-Welten-Semantik tatsächlich messen lassen zu können und ihr wegen ihres Zusammenhangs mit realen Normensystemen auch überlegen zu sein. bb) Aus Hansens Sicht wäre eine deontische Logik allerdings unnötig und trivial, wenn es eine adäquate Logik der Imperative gäbe.123 Dass dies nicht der Fall sei, zeigten für auf Dubislavs 'Vereinbarung' beruhende Systeme die beiden Paradoxien von Alf Ross (1941). Denn diese Paradoxien erlaubten, von vernünftigen Imperativen auf in dem folgenden Sinn unsinnige Imperative zu schließen: Wenn man diese – erschlossenen – Imperative erfülle, erfülle man keinesfalls die Imperative, aus denen man sie erschlossen habe, und dies sei der wesentliche Grund, weswegen die Rossschen Beispiele paradox wirkten.124 Wir werden auf Dubislavs Vereinbarung und die Paradoxien in Abschnitt IV. 1. zurückkommen. In einer eingehenden, von 'ordinary-language-Argumenten' Gebrauch machenden Diskussion legt Hansen zudem dar, dass man schon von der „Existenz unmittelbarer logischer Beziehungen zwischen Imperativen“ nicht sprechen könne.125 Wenn es aber in der natürlichen Sprache keine logischen Schlüsse zwischen Imperativen gebe, dann gebe es auch keine Grundlage für eine Logik der Imperative.126 Die deontische Logik müsse vielmehr eine Logik von – wahren oder falschen – Sätzen sein. Wenn Sätze der Form OA deshalb keine Normen sein könnten, sondern beschreibende Sätze seien, „so gelten die normalen Regeln: OA, also 'A ist geboten', ist genau dann wahr, wenn A geboten ist, wenn es also eine Norm gibt, die A gebietet.“127 Und weiter: „Wenn sich … die 120 (Fn. 1), S. 185 ff. 121 (Fn. 2), S. 292 f. 122 Imperatives and Deontic Logic - On the Semantic Foundations of Deontic Logic, Diss. Leipzig, 2008, online zugänglich unter: http://www.hh.shuttle.de/win/Joerg.Hansen/Diss/Hansen_Joerg_Dissertation _Uni_Leipzig_25112008.pdf (deutsche Zusammenfassung der Ergebnisse auf S. 274 ff.). „Imperative Logic and its Problems“ (Fn. 16) ist eine überarbeitete Fassung des 1. Kapitels dieser Dissertation. 123 „Gäbe es sie, würde eine Rekonstruktion der deontischen Logik als Logik von Sätzen darüber, was gemäß einer Menge von angenommenen Imperativen geboten und erlaubt ist, denkbar einfach sein: Wir könnten eine solche Menge von Imperativen nach deren eigenen logischen Gesetzmäßigkeiten abschließen, und die Sätze der deontischen Logik würden dann nur noch spiegelbildlich beschreiben, welche Imperative in einem derart abgeschlossenen "System“ existieren oder nicht existieren“, ebd., S. 279. 124 Ebd., S. 34 („Imperative Logic and its Problems“ (Fn. 16), S. 172). 125 Ebd., S. 46 ff. („Imperative Logic and its Problems“ (Fn. 16), S. 182 ff.), S. 279. 126 Ebd., S. 47: „ … there are no 'imperative inferences' in ordinary language, and so a logic of imperatives has no point“ („Imperative Logic and its Problems“ (Fn. 16), S. 183). 127 Ebd., S. 275. 24 Wahrheit der Sätze der deontischen Logik nach dem richtet, was gemäß tatsächlich bestehenden Normen als geboten, verboten oder erlaubt anzusehen ist, muss sie die Eigenheiten bestehender Normensysteme abbilden können.“ Dabei gerate aber die traditionelle deontische Logik in Schwierigkeiten. Phänomene wie die der Sekundärnormen ('contrary-to-duty imperatives', die Pflichten für solche Fälle statuieren, in denen die Primärnormen verletzt worden sind) und Normenkonflikte könne sie nicht befriedigend darstellen; vor allem sei es in ihr nicht möglich, auf bestimmte Normen Bezug zu nehmen.128 cc) Es bedürfe daher eines neuen, von wirklichen Normen ausgehenden Anfangs: dazu sei es notwendig, die Mögliche-Welten-Semantik(en) durch eine imperativische Semantik zu ersetzen und auf ihrer Grundlage die deontischen Operatoren neu zu definieren:129 „Das Grundkonzept ist denkbar einfach: Sei I eine Menge (von Imperativen) und sei f eine Funktion, die jedem Objekt dieser Menge (jedem Imperativ) einen Satz aus einer formalisierten Sprache (etwa der Aussagenlogik) zuordnet. Die Vorstellung ist, dass dieser Satz beschreibt, was der Fall ist, wenn der Imperativ erfüllt ist, und was nicht der Fall ist, wenn der Imperativ verletzt ist. Dass es für jeden Imperativ einen solchen Satz geben muss, ist erkennbar unstreitig, denn anderenfalls könnte der Adressat des Imperativs nicht verstehen, was von ihm verlangt wird. Wir können nun z.B. Operatoren des Typs OA definieren, die wahr sind, wenn A genau einen Imperativ erfüllt, wenn A mehrere Imperative erfüllt, wenn A notwendig zur Erfüllung eines Imperativs, mehrerer Imperative oder aller Imperative ist. Wir können in einer bestimmten Situation dasjenige als geboten beschreiben, was zur Erfüllung aller Imperative erforderlich ist, die in dieser Situation noch erfüllt werden können; wir können Konflikte zwischen den Imperativen zulassen und fragen, was notwendig ist, um eine oder alle maximalen Mengen von nicht miteinander in Konflikt stehenden Imperative zu erfüllen; wir können Prioritätsbeziehungen zwischen den Imperativen darstellen und untersuchen, auf welche Weise diese zur Lösung mancher oder aller Konflikte beitragen können. Schließlich können wir bedingte Imperative abbilden, indem wir etwa eine zweite Funktion g jedem Imperativ einen 'Auslöser' zuordnen lassen, einen Satz, der beschreibt, unter welcher Bedingung der Imperativ zu erfüllen ist (und verletzt werden kann). O(A|B)130 mag dann etwa in einer bestimmten Situation B dasjenige als geboten beschreiben, was zur Erfüllung aller in dieser Situation "ausgelöster“ Imperative erforderlich ist.“131 dd) Mit bestimmten – naheliegenden – Definitionen der deontischen Operatoren erhalte man so die gebräuchlichsten Systeme der deontischen Logik: (i) Das – oben skizzierte – Standardsystem der (monadischen) deontischen Logik entspreche einer Definition, die dasjenige als geboten beschreibt, was zur Erfüllung eines oder mehrerer Imperative erforderlich ist, wenn man zugleich unterstellt, dass die Menge der Imperative nicht leer ist und die Imperative nicht miteinander in Konflikt stehen. (ii) Die beiden Hauptsysteme der dyadischen deontischen Logik132 entsprächen solchen Definitionen, die dasjenige in einer bestimmten Situation als geboten beschreiben, was zur Erfüllung aller verbliebenen, in dieser Situation noch nicht verletzten Imperative erforderlich ist, wenn man unterstellt, dass eine totale Prioritätsrelation alle für diese Situation entstehenden Normenkonflikte auflöst.133 Diese Rekonstruktion der traditionellen deontischen Systeme beruhe auf zwei wichtigen Grundvoraussetzungen: derjenigen der Unabhängigkeit der in der imperativistischen Semantik modellierten Imperative und ihrer Untrennbarkeit (nach der zwei im Zusammenhang geäußerte 128 Ebd., S. 276 f. 129 Ebd., S. 277. 130 Der symbolische Ausdruck für bedingte Gebote, nach denen unter der Voraussetzung, dass B zutrifft, A geboten ist. 131 Ebd., S. 278. 132 D.h. der deontischen Logik der bedingten Gebote von der Form O(A|B). 133 Ebd., S. 278 25 Imperative, die ohne den jeweils anderen sinnlos oder unsinnig wären, nicht voneinander getrennt werden dürfen). In dieser Gestalt komme die neue Konzeption auch mit den Paradoxien der deontischen Logik zurecht.134 ee) Gewisse Schwierigkeiten bestünden freilich fort; unter anderem stelle „die Repräsentation genereller Normen und von Normen, die die Erzeugung von Normen regeln, ... weitere Herausforderungen für die Entwicklung einer imperativ- bzw. normbezogenen Semantik für die deontische Logik dar.“135 Auf die in ee) erwähnten Aspekte werden wir unter IV.3.b) kurz zurückkommen. Die Idee, von wirklichen Normen – und zwar in unserem Fall von Normen existierender Rechtsordnungen – auszugehen, wird auch unseren Vorschlag in Abschnitt III. dieses Papiers prägen; dieser Vorschlag wird freilich von einem vergleichsweise kleinen Teil der deontischen Logik Gebrauch machen. d) Carlo Dalla Pozza aa) Gegenstand dieses Abschnitts ist die Diskussion eines Entwurfs, der die deontische Logik als Logik deontischer Sätze akzeptiert, aber zugleich eine die Grenzen der üblichen Logik überschreitende präzise pragmatische Logik der Normsätze aufzubauen versucht. Es handelt sich um die Theorie des italienischen Logikers und Philosophen Carlo Dalla Pozza (1942 – 2014).136 Die Wiedergabe ist etwas detaillierter, weil Dalla Pozza auch der eigenen Intention nach auszuführen versucht, was H. von Wright und O. Weinberger vor Augen gehabt haben. bb) Dalla Pozza geht von der expressiven Interpretation von Normen aus,137 nach der Normen (Normsätze im Sinne unseres eingangs beschriebenen Sprachgebrauchs) rein präskriptive Funktion haben; das Spezifische der Normen komme also in ihrer pragmatischen Dimension zum Ausdruck. Normen setzten sich zusammen aus einem 'Zeichen des pragmatischen Modus' (konkret: dem Zeichen für den präskriptiven Modus) und dem 'Satzradikal' (einer Aussage, die wahr oder falsch ist). Es handele sich also genauer um deskriptive Aussagen, die man im pragmatischen Modus der Präskription verwende und die so verwendet nicht wahr oder falsch, sondern nur gültig oder ungültig sein könnten.138 Diese Sicht der Dinge liegt offensichtlich auch unserer These zugrunde. Nach dem Frege-Reichenbach-Modell139 gelte zum einen, dass Argumente von Zeichen des pragmatischen Modus nur Satzradikale sein können, nicht dagegen Sätze, die ihrerseits im pragmatischen Modus stehen (man dürfe diese Zeichen also nicht iterieren), und zum anderen, dass es auch nicht zulässig sei, Sätze im pragmatischen Modus mit aussagenlogischen Junktoren zu verbinden. Die logische Analyse solcher Sätze müsse sich auf die Satzradikale beschränken. Eine Logik im üblichen Sinn könne es daher für präskriptiv interpretierten Normen nicht geben. Trotzdem, so Dalla Pozza, gebe es einen Weg, der mit der expressiven Interpretation von Normen und den beiden Forderungen des Frege-Reichenbach-Modells vereinbar sei: So lasse sich eine pragmatische Sprache konstruieren, in der die Definition der Satzkonnektoren für präskriptiv 134 Ebd., S. 279. 135 Ebd., S. 280. 136 Carlo Dalla Pozza, „A pragmatic logic for the expressive conception of norms and values and the Frege-Geach problem“, Editoria Scientifica Elettronica, 2008, http://unisalento.academia.edu/CarloDallaPozza. 137 Vgl. oben Fn. 80. 138 Carlo Dalla Pozza (Fn. 136), S. 1. 139 Benannt nach dem Mathematiker und Logiker Gottlob Frege, dem Begründer der modernen formalen Logik, und dem Philosophen und Wissenschaftstheoretiker Hans Reichenbach. 26 interpretierte Normen nicht mehr auf Wahrheitswerte der verknüpften Sätze Bezug nimmt. Eine solche Logik erweitere die Logik also im Sinne von Wrights über den Bereich der Wahrheit hinaus.140 cc) Die Syntax dieser pragmatischen Sprache lässt sich wie folgt charakterisieren: (i) Sie fügt den üblichen Zeichen der Aussagenlogik logisch-pragmatische Zeichen hinzu (zum einen Zeichen für den pragmatischen Modus, uns interessiert hier nur „Õ“, das Zeichen für die im präskriptiven Sinn verstandene Verpflichtung; zum anderen die pragmatischen Konnektoren „~“, ,,“, „“, „“, „“, die den aussagenlogischen Junktoren „“, ,,“, „“, „→“, „↔“ korrespondieren). (ii) Sie fügt den üblichen Ausdrücken der Aussagenlogik Ausdrücke im pragmatischen Modus hinzu, und zwar zum einen elementare pragmatische Sätze der Form Õp (das präskriptiv geäußerte „es soll sein, dass p“), zum anderen komplexe pragmatische Sätze, die entstehen, wenn man elementare pragmatische Sätze mit pragmatischen Konnektoren verknüpft.141 Auf dieser Grundlage lassen sich weitere Zeichen des pragmatischen Modus definieren, insbesondere „Ƥ“ (erlaubt) durch Ƥp =df ~ Õp und „Ƒ“ (verboten) durch Ƒp =df Õp . Die Semantik der pragmatischen Sprache beschränkt sich auf die Interpretation des aussagenlogischen Teils der Sprache, bei der man den Satzradikalen in der üblichen Weise die Wahrheitswerte des Wahren oder des Falschen zuordnet. In der Pragmatik der Sprache geht es dann darum, den pragmatischen Sätzen der Sprache Geltungswerte zuzuordnen. Dass ein elementarer pragmatischer Satz Õp relativ zu einem normativen System N gültig ist, definiert Dalla Pozza wie folgt: Dem Ausdruck Õp kommt der Geltungswert des Gültigen dann und nur dann zu, wenn ein Beweis vorliegt, dass (i) die Verpflichtung das Kriterium der Zugehörigkeit zu N erfüllt (ExistenzBedingung), (ii) p eine Handlung(sweise) beschreibt (Inhaltsbedingung), (iii) die durch p beschriebene Handlung(sweise) faktisch ausführbar ist (Erfüllbarkeitsbedingung) und (iv) p logisch mit jedem Satzradikal q vereinbar ist, der in einem pragmatischen Satz in N vorkommt (Vereinbarkeitsbedingung).142 Die Geltungsbedingungen für komplexe pragmatische Sätze ähneln dann wieder den Wahrheitsbedingungen für mit Junktoren zusammengesetzte Aussagen. Bedingung (i), die Existenzbedingung, wirft die Frage auf, was es heißen soll, dass die in Õp zum Ausdruck kommende Verpflichtung zum betrachteten Normensystem gehört. Hier kommt die modale Erweiterung der pragmatischen Sprache ins Spiel. Dalla Pozza betrachtet – neben anderen modalen Operatoren – den Operator „O“; Op drücke aus, dass p im deskriptiven Sinn obligatorisch ist. Op beschreibe danach (offenbar als deontischer Satz im eingangs festgelegten Sinn) den Inhalt der Norm, die der pragmatische Satz Õp in präskriptiver Weise ausdrücke. Wahr bzw. falsch sei Op gemäß den Kriterien der Semantik der möglichen Welten. Ganz scheint dies allerdings das Verhältnis zwischen pragmatischen Sätzen, modalen/deontischen Sätzen und darin vorkommenden Satzradikalen nicht klären zu können. Wir werden diesen Aspekt in der anschließenden Diskussion wieder aufgreifen (unten III.1.). 140 (Fn. 136), S. 3. 141 Ebd., S. 4 142 Ebd., S. 6 27 dd) Auf dieser Grundlage könne man die folgenden Korrespondenzen zwischen der Gültigkeit normativer Formeln und der Wahrheit modaler Satzradikal-Formeln aufstellen (mit „Pr“ als Zeichen dafür, dass ein Beweis vorliegt): Õp ~Õp Õp1Õp2 Õp1Õp2 Õp1Õp2 Õp1Õp2 Pr(Op) PrPr(Op) Pr(Op1)Pr(Op2) Pr(Op1)Pr(Op2) Pr(Pr(Op1)→Pr(Op2)) Pr(Pr(Op1)↔Pr(Op2)) Dies erlaube es, Sätze etwa folgenden Inhalts als pragmatisch-gültige Sätze zu beweisen: (Õp)(~Õp) Õp1Õp2 Õ(p1 p2) Õp1Õp2 Õ(p1p2) ; während die dem tertium non datur entsprechenden Formeln ÕpÕp und Õp~Õp nicht pragmatisch-gültig seien (wohl dagegen die Sätze vom ausgeschlossenen Widerspruch: ~(ÕpÕp) und ~(Õp~Õp) ; die Logik der pragmatischen Sätze sei demnach eine intuitionistische Logik). Beweisbar seien auch folgende Sätze, die wichtigen Schlussregeln entsprechen (wobei „αi“ für eine beliebige einfache oder komplexe pragmatische Formel steht): (α1 α2) (α1) α1 (α1α2) und (α1 (α1 α2) α2 (modus ponens) , folgende Sätze zum Zusammenhang zwischen den pragmatischen Modi Õ und Ƥ: ÕpƤp Õp~Ƥp ~ÕpƤp ~~Õp~Ƥp (der freilich wegen des offenbar gültigen Õp~~Õp im Verhältnis zu ÕpƤp problematisch ist), und schließlich ╞pÕp, wonach auch für jeden logisch-wahren Satz p gilt, dass sein Inhalt im Sinn einer präskriptiv verwendeten Norm obligatorisch ist. Damit entspricht die inhaltliche Reichweite dieser pragmatischen Logik der des Standardsystems der deontischen Logik. 28 e) David Makinsons und Leendert van der Torres Input/output Logik und die Theory of Joining-Systems von Lars Lindahl und Jan Odelstad Den Abschluss dieser Übersicht soll die Skizze zweier Theorien normativer Systeme bilden, die in gewisser Weise von den Arbeiten Carlos Alchourróns und Eugenio Bulygins ausgehen. Für beide ist ein beachtlicher logisch-mathematischer Aufwand charakteristisch. Wir werden uns aber auf die rechtstheoretisch wesentlichen Aspekte beschränken, insbesondere die Form, die Rechtsnormen in ihnen annehmen. In beiden Fällen handelt es sich um bedingte Normen, jedoch in unterschiedlicher logisch-mathematischer Gestalt. aa) Die Arbeiten zur Input/output Logik, genauer: der Familie der Input/output-Logiken, des australischen Logikers David Makinson (*1941) und des niederländischen Computerwissenschaftlers Leendert van der Torre sind zwischen 2000 und 2003 erschienen.143 Die Autoren betrachten bedingte Normen als geordnete Paare (a, x) von Aussagen: Die erste Aussage solcher Paare, also in unserem Fall eine Aussage der Art a, repräsentiert danach eine Situation (oder, wie wir auch sagen können, den Tatbestand einer Rechtsnorm); sie bildet den Input der gleich näher zu beschreibenden Input/output-Operation. Die zweite Aussage solcher Paare, also eine Aussage der Art x, gibt in der Form einer deontischen Aussage wieder, was nach der betrachteten Rechtsnorm geboten ist (also die Rechtsfolge); sie bildet den Output.144 Auch nach der Konzeption von Makinson und van der Torre sind Nomen von normativen oder deontischen Aussagen zu unterscheiden: Deontische Aussagen seien wahr oder falsch; für Normen gelte dies nicht. Während also a und x Aussagen seien, stelle das eine bedingte Norm wiedergebende geordnete Paar (a, x) keine Aussage dar, die wahr oder falsch sein könne; (a,x) gehört damit anders als die Aussagen a und x auch nicht zu den Formeln der Input/output-Logik.145 Trotzdem spielen diese Paare – Makinson und van der Torre nennen sie auch „generators“ – natürlich eine entscheidende Rolle: Sie bilden die Grundlage für die Möglichkeit, von deskriptiven Aussagen zu unbedingten deontischen Aussagen übergehen zu können. Dieses 'Abtrennungsproblem', d.h. die Frage, in welchen Fällen die vorliegenden 'generators' zulassen, angesichts gegebener Sachverhalte/Tatbestände die deontische Aussage über die je dazu gehörende Rechtsfolge abzutrennen und damit vom Input zum Output überzugehen, steht nun im Mittelpunkt der Input/output-Logiken. Parent und van der Torre stellen dies wie folgt dar (dabei bezeichnet „A“ die Menge der gegebenen Aussagen a über Situationen und „N“ die Menge der zu den a gehörenden deontischen Aussagen x): „In its full generality the detachment problem as studied in input/output logic can be stated as follows. Suppose that we are given a set A of formulae. How may we reasonably define the set of propositions x making up the output of A under N, or as one might also say, of N given A, which we write out (N,A)?“146 Wir verfolgen die Einzelheiten hier nicht weiter. Auffällig sind aber wohl die Ähnlichkeiten unserer Konzeption mit dem Ausgangspunkt der Input/output-Logik, was den Status von deskriptiven Aussagen, Normen/ Normsätzen und deontischen Aussagen im allgemeinen angeht, aber auch die Unterschiede: Während es nach unserem Vorschlag in Abschnitt III.3. genügen wird, (bedingte) Rechtsnormen in der Form einer Subjunktion 143 Näheres bei Xavier Parent/Leendert van der Torre, „Input/output Logic“, in: Dov Gabbay/John Horty/Xavier Parent/Ron van der Meyden/Leendert van der Torre (Hrsg.), Handbook of Deontic Logic and Normative Systems (Fn. 3), S. 500 ff., von deren Darstellung wir auch im folgenden ausgehen. 144 Ebd., S. 506: „For each such pair, the body a is thought of as an input, representing some condition or situation, and the head x is thought of as an output, representing what the norm tells us to be obligatory.“ 145 Ebd., S. 505, 507. 146 Ebd., S. 507. 29 aus Tatbestand und Rechtsfolge wiederzugeben, dienen dazu in der Input/output-Logik die komplexeren 'generators'. Diese entsprechen als Sätze, die weder wahr noch falsch sind, unseren Normsätzen; ihre jeweils erste Aussage hat jedoch den Status von deskriptiven Aussagen, die jeweils zweite Aussage dagegen den Status einer deontischen Aussage. Derartige generators lassen in den Varianten der Input/output-Logik unterschiedlich weitgehende Abtrennungsmöglichkeiten zu, abhängig davon insbesondere, in welchem Umfang auch der Output selbst wieder als Input dienen kann. Interessant ist vor diesem Hintergrund aber, dass man die Input/output-Logik in einem präzisen Sinn als Verallgemeinerung der klassischen Logik auffassen kann: Unter bestimmten – man kann vielleicht sagen: den liberalsten – Voraussetzungen stimmen die Ergebnisse der Input/output-Logik mit denen der klassischen Logik überein, wenn man die geordneten Paare oder 'generators' (a,x) durch die Subjunktion a→x ersetzt.147 bb) In ihrer „Theory of Joining-Systems“ geben der schwedische Rechtstheoretiker Lars Lindahl und der schwedische Philosoph und Computerwissenschaftler Jan Odelstad Normensysteme als abstrakte algebraische Strukturen wieder. In dem dazu gehörenden „Konditionen-ImplikationsModell“ lassen bedingte Normen sich als 'Korrespondenzen' zwischen Sätzen („conditions“) verschiedener Schichten darstellen. Bei der Korrespondenz handelt es sich um eine 'implikative Beziehung' zwischen diesen Sätzen. Den einfachsten Fall bildet die Korrespondenz zwischen einem – deskriptiven – Satz aus der Schicht der 'Gründe' einerseits und einem – normativen – Satz aus der Schicht der (Rechts-)Folgen. In Fällen komplexerer Normensysteme hat man es mit einer größeren Anzahl von Schichten („strata“) zu tun, in denen die unterste allein faktische Gründe enthält und die oberste ausschließlich deontische Rechtsfolgen.148 Die „conditions“, die die Elemente der Schichten bilden, können wir als Aussageformen (Aussagen mit freien Variablen für Personennamen) auffassen, die sich mit den aussagenlogischen Junktoren, insbesondere (und), (oder) und (nicht), zu neuen komplexeren Aussageformen zusammensetzen lassen. Nach der Theorie bestehen zwischen den so geformten conditions „implikative Beziehungen“, die denen zwischen Grund und Folge entsprechen; diese implikative Beziehung erlaube es, die conditions einer Schicht zu ordnen. Lindahl und Odelstad charakterisieren diese implikative Beziehung zwischen den Elementen einer Schicht nicht näher; wir können sie uns für unseren Zusammenhang aber als die (aussagen-)logische Implikation vorstellen: ein Element a1 der Schicht 1 impliziert ein Element b1 derselben Schicht genau dann, wenn die Subjunktion a1→b1 (wenn a1, dann b1) logisch wahr ist. Die beiden implikativen Beziehungen lassen nun formale Schlüsse zu, die Lindahl und Odelstad für den einfachsten Fall wie folgt wiedergeben (dabei steht „Ri“ für die implikative Beziehung zwischen Sätzen ein und derselben Schicht – und zwar der Schicht mit dem Index i –, und „J“ steht für die (normbildende) implikative Beziehung zwischen Sätzen verschiedener Schichten; der waagerechte Strich markiert den Übergang von den Prämissen zur Konklusion): (1) a1R1b1 (2) (b1,a2)J (3) a2R2b2 ___________ (4) (a1,b2)J (a1 steht in der 'schichteninternen' Implikationsbeziehung zu b1) (b1 steht in der 'schichtenverknüpfenden' Implikationsbeziehung zu a2) (a2 steht in der 'schichteninternen' Implikationsbeziehung zu b2) (a1 steht in der 'schichtenverknüpfenden' Implikationsbeziehung zu b2).149 147 Das ist bei X. Parent/L. van der Torre das Theorem 2.8, ebd., S. 512. 148 Lars Lindahl/Jan Odelstad, „The Theory of Joining-Systems“, in: Dov Gabbay/John Horty/Xavier Parent/Ron van der Meyden/Leendert van der Torre (Hrsg.), Handbook of Deontic Logic and Normative Systems (Fn. 3), S. 549 ff., 562 ff., 596 ff., 612 ff. 149 Ebd., S. 597. 30 Die Struktur dieser Schlussweise wird vielleicht noch klarer, wenn wir die schichteninterne Implikationsbeziehung durch das Subjunktionszeichen mit dem Zusatz R und die schichtenverknüpfende Implikationsbeziehung durch das Subjunktionszeichen mit dem Zusatz J wiedergeben; „“ markiere den Übergang von den Prämissen zur Konklusion: a1 →R b1, b1 →J a2, a2 →R b2 a1 →J b2 Dies entspricht natürlich im aussagenlogischen Rahmen der Transitivität der Subjunktion. Wir werden in der Diskussion unter III.2. c) bb) auf diesen Zusammenhang zurückkommen. Eine wichtige Rolle spielen in Lindahls und Oderstads Theorie die sogenannten 'Intervenienten'. Bei ihnen handelt es sich um Sätze/conditions aus Schichten zwischen anderen Schichten, sofern diese Sätze mit Sätzen der je äußeren Schichten in (schichtenverknüpfender) Implikationsbeziehung stehen. Die Autoren illustrieren dies mit zwei Beispielen kleiner Normensysteme. Im strafrechtlichen Fall besteht das Beispiel aus drei Schichten: 1. Schicht 2. Schicht 3. Schicht (Faktische) Tatbestände des Mords und des Hochverrats Gesetzliche Folgen (oder besser: Kategorisierung) dieser Tatbestände: Mord und Hochverrat Lebenslange Freiheitsstrafe (als strafrechtliche Sanktion) Das zivilrechtliche Normensystem setzt sich aus fünf Schichten zusammen: 1. Schicht 2. Schicht 3. Schicht 4. Schicht 5. Schicht Faktische Gründe, die den verschiedenen Eigentumserwerbsvorgängen zugrunde liegen (Erklärungen/Verträge, Todesfall etc.) Rechtliche Folgen der in der 1. Schicht beschriebenen Vorgänge (Auflassung, Gesamtrechtsnachfolge etc. als rechtlich charakterisierte Gründe für Eigentumserwerb)) Faktische Gründe für Treuhänderschaft Eigentümer- und Treuhänderposition Rechtliche Folgen der Eigentümer- oder Treuhänderposition (Ansprüche und Verpflichtungen).150 In derartigen Normensystemen bestehen nicht nur (schichtenverknüpfende) implikative Beziehungen von Elementen einer Schicht zu denen einer höheren Schicht. Die Sätze der Schichten zwischen der untersten und der obersten Schicht, also die Intervenienten, treten in diesen Beziehungen zudem zweifach auf, sowohl als 'Gründe' für Folgen einer höheren Schicht als auch als 'Folgen' von Gründen einer tieferen Schicht. Auch diesen Aspekt werden wir in der Diskussion noch einmal aufgreifen. 150 Ebd. S. 552 ff., 620 f. 31 III. Kritische Diskussion Wie man sieht, hat es in den zurückliegenden Jahrzehnten einen verwirrenden Reichtum an Vorschlägen zum Status und zur logischen Form von Normen/Normsätzen, deontischen Sätzen und Aussagen, die auf sonstige Weise Normen entsprechen, gegeben, mit unterschiedlichen Konsequenzen für die Logik, die für derartige Satzklassen gelten soll. Ein wenig schematisch lassen sich die beschriebenen Positionen folgendermaßen charakterisieren: Kognitivismus Pragmatische Konzeption Logik der Normen Semantische Konzeption Dalla Pozza Kalinowski Spezielle Semantiken bedingter Normen Deontische Logik ** von Wright Weinberger Makinson/van der Torre Lindahl/Odelstad Imperativische Semantik Kalinowski Alchourrón/Bulygin* Hansen Semantik möglicher Welten von Kutschera Morscher Klug ** Rödig Schreiber bloße Aussagen- und Prädikatenlogik * Non-Kognitivismus Was das Verständnis von Normen angeht, vertreten Alchourrón und Bulygin zwar eine pragmatische Konzeption; ihre Logic of norm propositions ist aber eine Variante der deontischen Logik, auf der Basis der Menge der explizit gebotenen Norminhalte. Nicht alle Aussagen Klugs zur Wahrheit von Normen lassen sich freilich in kognitivistischem Sinn interpretieren. Versuchen wir, uns von den Vorzügen und Defiziten dieser Positionen ein etwas genaueres Bild zu machen und die Gründe noch einmal im Zusammenhang zu untersuchen, denen zufolge es auch in rechtstheoretischem Kontext spezifischer Normenlogiken, deontischer Logiken oder spezieller Theorien der formalen Struktur normativer Systeme bedarf. 1. Normenlogiken a) Kern der (oben skizzierten) Positionen von G. H. von Wright und O. Weinberger ist wohl die Ansicht, grundlegend sei die Logik der Normen, und die logischen Beziehungen zwischen Normen irgendwie entsprechenden Indikativsätzen, insbesondere Sätzen über Normen, könnten die eigentlichen logischen Beziehungen der Normsätze untereinander nur spiegelbildlich wiedergeben. Nun sind allerdings, wie wir gesagt haben, deontische Sätze keine (metasprachlichen) Sätze über Normen oder Normsätze. Vielmehr behaupten sie, dass das der Fall sein soll, was der ihnen entsprechende Normsatz vorschreibt. Damit lassen sich Normsätze und deontische Sätze einander eindeutig zuordnen; die deontischen Sätze sind wahr genau dann, wenn die Normsätze gelten. Und dieser Zusammenhang sollte für unsere Zwecke ausreichen: Wenn wir eine deontische Logik solcher deontischer Sätze konstruieren können, spricht nichts dafür, dass sie den Ansprüchen an Systeme formalen Argumentierens mit Normen etwas schuldig bleibt. Die (nicht nur) formalen Komplikationen von Logiken, die sowohl für wahrheitswertfähige Aussagen als auch für nicht wahrheitswertfähige Normsätze gelten sollen, scheinen deshalb nicht erforderlich zu sein. b) Im Zusammenhang mit der Position von C. Alchourrón und E. Bulygin haben wir allerdings 32 auch von dem methodischen 'Vorrang' der Normsätze vor den deontischen Sätzen gesprochen, und die Normsätze haben wir pragmatisch charakterisiert. In dem Versuch, diese pragmatische Konzeption zu formalisieren, liegt ja der Reiz von C. Dalla Pozzas Theorie. b) Gerade unter dem Aspekt der methodischen Hierarchie ist nun aber Dalla Pozzas 'Existenzbedingung' im Fall von Normen staatlicher Rechtsordnungen problematisch: Dem Ausdruck Õp kommt der Geltungswert des Gültigen dann und nur dann zu, wenn ein Beweis vorliegt, dass (i) die Verpflichtung das Kriterium der Zugehörigkeit zu N erfüllt …. aa) Ob der pragmatische Satz Õp gültig ist oder nicht, soll mit anderen Worten davon abhängen, ob man beweisen kann, dass der deontische Satz Op zum normativen System N gehört. Dies scheint unsere methodische Hierarchie auf den Kopf zu stellen. Denn ihr zufolge kann man ja nur dann sagen, ein deontischer Satz sei wahr, wenn man festzustellen vermag, dass der ihm entsprechende Normsatz gültig ist. bb) Fragen wir also konkreter, welchen Status deontische Sätze in Normensystemen haben, und zwar in realen Gesetzen, z.B. geschriebenem deutschen Recht. Der Text ihrer Vorschriften besteht aus Sätzen, die mit dem übereinstimmen, was wir eingangs die deskriptive Komponente der Normsätze genannt haben, oder lässt sich in Sätze dieser Art übersetzen151. Geht man von ihnen aus, so haben die den Vorschriften entsprechenden deontischen Sätze die Form: Es soll sich so verhalten (deskriptiv verwendet), wie es der Text der Vorschriften beschreibt. Die deskriptiven Komponenten der Normsätze sind aber nun die Satzradikale in Dalla Pozzas pragmatischer Sprache (während das Zeichen des präskriptiven Modus nirgendwo explizit zu finden ist; es steckt im Fall realer Rechtsordnungen gewissermaßen im Verfahren der Verkündung von Gesetzen und in der Form ihrer Bekanntmachung). Betrachtet man als normatives System N also etwa eine amtliche Sammlung staatlicher Gesetze, so scheint es daher nahezuliegen, der Bedingung (i) die folgende sehr einfache Form zu geben (dabei können wir die – in Dalla Pozzas Konzeption freilich wesentliche – Frage der Beweisbarkeit in unserem Kontext außer Betracht lassen): Dem Ausdruck Õp kommt (relativ zu N) der Geltungswert des Gültigen dann und nur dann zu, wenn (i') p die deskriptive Komponente eines Satzes des Systems N ist … cc) Auf deontische Sätze nimmt diese Definition des Gültigen formal nun nicht mehr Bezug; unserem methodischen Einwand würde sie also genügen. Doch wäre die Definition offenbar inhaltlich unzureichend: Denn man wird sich bei der Frage, welche Normen in N gültig sind, nicht auf die Sätze beschränken können, die in N selbst explizit vorkommen. Abgesehen von der Frage möglicher Widersprüche zwischen Sätzen von N (dazu unten III. 3. c)) müsste man mindestens solche Sätze hinzufügen, die aus den Sätzen p1, p2, p3, … des Systems, ggf. zusammen mit analytischen Sätzen, die die Wortgebrauchsregeln der verwendeten Sprache korrekt wiedergeben, und wahren deskriptiven Prämissen logisch folgen. Dann nähme unsere Bedingung folgende Form an: 151 Näheres zu dieser Übersetzbarkeit unten in Fn. 158. 33 Dem Ausdruck Õp kommt (relativ zu N) der Geltungswert des Gültigen dann und nur dann zu, wenn (i'') p ein Satz des Systems N ist oder aus Sätzen p1, p2, p3, … von N gegebenenfalls zusammen mit wahren analytischen Sätzen q1, q2, q3, … und wahren deskriptiven Prämissen r1, r2, r3, … logisch folgt … In dieser Bedingung kommen demnach nur Aussagen vor: Satzradikale und analytische oder faktische (deskriptive) Aussagen. Trotzdem lässt sie Schlussfolgerungen zu, in deren Prämissen Normsätze eingehen – eben in Gestalt ihrer deskriptiven Komponenten.152 Damit scheint sie auch dem intuitiven Umgang mit Rechtsnormen und insbesondere der Argumentationsform des 'richterlichen Syllogismus' gerecht zu werden. dd) In methodischer Hinsicht gilt freilich: Auch wenn die Sätze des Systems N Satzradikale und damit Aussagen sind – identifizieren kann man sie nur, wenn man sich zuvor klargemacht hat, welche Normen gelten. Methodisch steht diese Frage am Anfang. Folgender Aspekt kommt hinzu: Dalla Pozzas pragmatische Logik erlaubt, im Einklang mit dem Frege-Reichenbach-Modell, nicht, Sätze im präskriptiven Modus mit Aussagen zu verknüpfen. Sie lässt damit auch keine Schlüsse zu, in deren Prämissen beide Satzklassen vorkommen. In dieser Form reicht die pragmatische Logik der Normen daher für unsere Zwecke nicht aus. c) Zusammenfassend kann man konstatieren, dass Dalla Pozzas Logik zwar einen formalen Rahmen für den Versuch bietet, das spezifisch Präskriptive eines Normsatzes zum Ausdruck zu bringen. Doch scheint, wie wir gesehen haben, die dafür zentrale Bedingung (i) nicht adäquat zu sein, und die modifizierte Bedingung (i'') entspricht zwar unserem intuitiven Ausgangspunkt besser, führt aber den Geltungswert einer Norm in der Sache auch nur wieder auf die Geltung des betrachteten Normensystems N zurück. Mehr zu erwarten, wäre im Fall einer Logik, die von einem (wie auch immer) gegebenen Normensystem ausgehen will, auch illusionär. Aber wenn dies so ist, vermag eine spezifisch pragmatische Logik der Normen zum argumentierenden Umgang mit Rechtsnormen auch nichts Wesentliches beizutragen. 2. Deontische Logiken Stellen wir die Frage, ob zur rechtswissenschaftlichen Argumentation eine über die normale Logik hinausgehende Logik erforderlich ist, auch für die unter II. 2. beschriebenen deontischen Logiken und Theorien normativer Systeme. Hier wird man drei Positionen unterscheiden können: (i) Die Position derjenigen, die die Sätze der deontischen Logik als normative Sätze betrachten, die alleine erlaubten, Rechtsnormen in adäquater Weise darzustellen. Als Repräsentant möge E. Morscher gelten, der sich zu unserer Frage auch ausführlich geäußert hat. (ii) Die Position der (Majorität der) Logiker, die deontische Sätze als – wahre oder falsche – Aussagen betrachten und für die der Wert der deontischen Logik(en) sich offenbar vor allem aus ihrer mit Hilfe deontischer Operatoren erreichbaren Ausdrucksfähigkeit und aus dem Nutzen (oder gar der Unentbehrlichkeit) der spezifisch für deontische Operatoren geltenden Axiome und Theoreme dieser Logik(en) ergibt. 152 Das entspricht der Art und Weise, wie R. Schreiber seine 'Schlussregel für normative Systeme' formuliert hat, s. oben Fn. 73. 34 (iii) Die in der Input/output-Logik und der Theory of Joining-Systems zum Ausdruck kommende Position, nach der bedingte Rechtsnormen und die für sie geltende Logik sich adäquat nur mit den spezifischen Mitteln dieser Theorien darstellen lassen. a) Deontische Logik als Logik normativer Sätze E. Morschers Standpunkt ist charakteristisch, weil er zwar, wie eingangs erwähnt, zwischen Normund Sollsätzen einerseits und Norm- und Sollensbeschreibungen andererseits unterscheidet, die mit deontischen Operatoren gebildeten Sätze der deontischen Logik jedoch als normative Sätze betrachtet. Die Rechtswissenschaft enthalte selbst allerdings keine Normsätze, sondern nur Normbeschreibungen, und auf diese – als 'normale' Aussagesätze – sei die 'normale' Logik anwendbar. Normsätze gehörten aber zum Gegenstandsbereich der Rechtswissenschaft. Um ihnen gerecht zu werden, insbesondere um „Beziehungen zwischen den Inhalten einzelner Rechtsnormen bzw. Sollsätze sowie um Beziehungen zwischen diesen Inhalten und Sachverhaltsfeststellungen“, die auch logischer Art sein könnten, darstellen zu können, „benötigen wir … eine eigene Normenbzw. Sollenslogik oder zumindest eine Logik, welche auch auf Norm- und Sollenssätze anwendbar ist und für deren logische Analyse ausreicht.“153 Für die rechtswissenschaftliche Analyse relevant seien dabei nur die (metalogischen) Begriffe einer solchen Normen- und Sollenslogik, wie die Begriffe der normenlogischen Vereinbarkeit und der normenlogischen Folge. Derartige metalogischen Begriffe gebe es aber nur dann, wenn Normen und Sollsätze überhaupt 'logikfähig' seien, also logische Eigenschaften haben könnten.154 Aus diesen Überlegungen scheint sich allerdings nicht zu ergeben, warum die Normbeschreibungen nicht ausreichen, Aussagen über die Vereinbarkeit oder über Folgebeziehungen zwischen Normsätzen zu formulieren. Es liegt ja (wenn man wie Morscher Normen als logikfähig betrachtet) nahe, von solchen Beziehungen zwischen Normsätzen zu sprechen, wenn sie – im Sinne der 'normalen' Logik – zwischen den korrespondierenden Normbeschreibungen bestehen. Und auch die Majorität der Logiker, die die mit deontischen Operatoren gebildeten Sätze als (wahre oder falsche) Aussagen betrachtet, steht ja auf dem Standpunkt, dass diese Sätze Normen, auch Rechtsnormen, adäquat zu beschreiben vermögen. b) Deontische Logik als Logik deontischer (wahrer oder falscher) Aussagen Einer deontischen Logik dieses Typus bedarf es dann aber offenbar, wenn - Normsätzen korrespondierende Aussagen sich nur mit deontischen Operatoren adäquat formulieren lassen (aa)), - nur in der deontischen Logik rechtstheoretisch relevante Zusammenhänge formulierbar sind, die sich aus der 'normalen' Logik allein nicht ergeben (bb)), und - diese Logik nicht neue Schwierigkeiten mit sich bringt – womöglich größere als die, derer sie Herr zu werden vermag (cc). aa) Unter dem Aspekt der Ausdrucksfähigkeit – also der Frage, ob nicht schon die 'normale' Logik über geeignete formale Mittel verfügt, Rechtsnormen wiederzugeben – geht es in erster Linie um die Rolle der deontischen Operatoren, die ja nicht zu den logischen Konstanten der Aussagen153 E. Morscher (Fn. 2), S. 288 f. 154 Ebd., S. 291. 35 und Prädikatenlogik gehören.155 α) So scheint es zunächst fast selbstverständlich zu sein, dass man zur Wiedergabe des Inhalts von – auch allgemeinen – Rechtsnormen von den Operatoren „geboten“, „verboten“ oder „erlaubt“ Gebrauch machen müsse. Nahe liegt dies ja vor allem im Fall einfacher Imperative. Und dass man diese – und weitere – Operatoren auch verwenden kann, um hochkomplexe rechtliche Strukturen zu formulieren, hat insbesondere der schwedische Logiker und Philosoph Stig Kanger mit seiner Analyse der Menschenrechte gezeigt.156 Dazu steht nun aber in merkwürdigem Kontrast, dass die normativen Ausdrücke „geboten“, „verboten“ und „erlaubt“, aber auch „müssen“ und „sollen“ in den Texten realer Gesetze keine wirklich entscheidende Rolle spielen. Sie sind dort zwar durchaus zu finden;157 aber gerade in den zentralen strafrechtlichen Vorschriften (die oft als Paradigmen staatlicher Vorschriften gelten) kommen sie nicht vor. Dementsprechend lautet beispielsweise § 154 Abs. 1 StGB nicht: „Es ist verboten, vor Gericht ... falsch zu schwören.“ Ein solches Verbot gäbe, wie R. Schreiber konstatierte, die Rechtsnorm nicht adäquat wieder. § 154 Abs. 1 StGB lautet aber auch nicht: „Es ist geboten, jeden, der vor Gericht ... falsch schwört, mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr zu bestrafen“ oder „Wer vor Gericht ... falsch schwört, soll mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft werden.“ Dass die Strafverfolgungs- und -vollstreckungsbehörden eine derartige Sanktion verhängen sollen, bringt die deutsche Rechtsordnung (abgesehen von § 154 StGB selbst) durch die Straftatbestände der Begünstigung und Strafvereitelung, zudem durch disziplinarrechtliche Vorschriften zum Ausdruck. Auch in Bußgeldtatbeständen, aber auch sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften – sind die erwähnten normativen Ausdrücke leicht durch ausführlichere Versionen ersetzbar. In allen diesen Versionen treten an die Stelle der Ausdrücke „verboten“ oder „müssen“ Angaben zu den je in Frage kommenden Sanktionen für den Fall, dass Normadressaten sich nicht in der vorgeschriebenen Weise verhalten.158 Und in typischen zivilrechtlichen Vorschriften liegen die Dinge im Grunde genauso. Zwar kommen in Vorschriften wie § 433 BGB zahlreiche normativen Ausdrücke vor: „(1) Durch den Kaufvertrag wird der Verkäufer einer Sache verpflichtet, dem Käufer die Sache zu übergeben und das Eigentum an der Sache zu verschaffen. Der Verkäufer hat dem Käufer die Sache frei von Sach- und Rechtsmängeln zu verschaffen. (2) Der Käufer ist verpflichtet, dem Verkäufer den vereinbarten Kaufpreis zu zahlen und die gekaufte Sache abzunehmen.“ All dies dient aber nur dazu, die Voraussetzungen von Ansprüchen zu formulieren. Ansprüche, die eine Person gegen eine andere hat (und die sie dann nach ihrem Gutdünken geltend machen und 155 J. Rödig hat freilich im Rahmen der Aussagen- und Prädikatenlogik ein Axiomensystem formuliert, das diese Ausdrücke als Prädikate von Handlungen zu definieren erlaubt, vgl. Fn. 95. 156 Dazu eingehend E. Morscher (Fn. 2), S. 201 ff. Für eine systematische Übersicht vgl. auch Marek Sergot, „Normative Positions“, in: Dov Gabbay/John Horty/Xavier Parent/Ron van der Meyden/Leendert van der Torre (Hrsg.), Handbook of Deontic Logic and Normative Systems (Fn. 3), S. 353 – 406. 157 Vgl. die Nachweise auf der gemeinsam vom Bundesministerium der Justiz und von Juris betriebenen Website http://www.gesetze-im-internet.de/volltextsuche.html . 158 Etwa im Fall des § 2 Abs.1 StVO: „Fahrzeuge müssen die Fahrbahnen benutzen, von zwei Fahrbahnen die rechte.“ „Müssen“ ist natürlich ein normativer Ausdruck. Zur Form der abstrakten Rechtsnorm und ihrer deskriptiven Komponente kommt man aber, wenn man den Normkontext betrachtet. Die uns interessierende 'eigentliche' Norm erhält man, wenn man die Sanktionen für den Fall von Zuwiderhandlungen einbezieht. Wir beschränken uns auf § 49 Abs. 1 Nr. 2 StVO und § 24 Abs. 2 StVG; mit ihnen nimmt die Norm etwa folgende Gestalt an: „Benutzt ein Fahrzeug von zwei Fahrbahnen nicht die rechte, so wird dies mit einer Geldbuße bis zu zweitausend Euro geahndet.“ Darin kommt kein normativer Ausdruck mehr vor. Gleiches lässt sich für zentrale Vorschriften des öffentlichen Rechts zeigen, in denen von Erlaubnissen (oder Genehmigungen etc.) die Rede ist. 36 notfalls auch mit Hilfe des zivilprozessualen Sanktionsapparats realisieren kann), sind ja der Kern zivilrechtlicher Vorschriften.159 Zur (materiell-rechtlich) 'vollständigen' Version solcher Vorschriften kommt man also, indem man die positiven und negativen Voraussetzungen von Ansprüchen zu Tatbeständen zusammenfügt und als Rechtsfolge die Existenz eines Anspruchs betrachtet, den der Anspruchsberechtigte unter diesen generellen Voraussetzungen gegen den Anspruchsverpflichteten geltend macht, wenn er dies will. β) Offenbar benötigt man demnach die zentralen Begriffe deontischer Logiken, also „geboten“, „verboten“ und „erlaubt“, nicht, um den Inhalt von Rechtsnormen adäquat auszudrücken. Andererseits gilt aber auch, dass sich diese Begriffe und allgemein „alle normativen Begriffe auf „sollen“ zurückführen (bzw. sogar damit definieren) lassen“.160 Und tatsächlich findet sich ja auch in unserer Definition des Terminus „Normsatz“ der Ausdruck „vorschreiben“, der sich gleichfalls auf „sollen“ zurückführen lässt; auch von der deskriptiven Komponente von Normsätzen haben wir festgestellt, sie beschreibe den Zustand der Welt, den die Rechtsnormen normativ auszeichnen, wie er also nach den gesetzgeberischen Imperativen bestehen solle.161 Um diesem Aspekt gerecht zu werden, werden wir Ausdrucksmöglichkeiten verwenden müssen, die über diejenigen der Aussagenund Prädikatenlogik hinausgehen (mehr dazu unter III. 3.). bb) Was im übrigen die nur in (den Standardprinzipien) der deontischen Logik – nicht schon in der 'normalen' Logik – gültigen Sätze angeht, so handelt es sich, wie F. von Kutschera konstatierte,162 um die logischen Konsequenzen der Bedeutungspostulate für die deontischen Operatoren, die in den Axiomen zum Ausdruck kommen, insbesondere in dem „Prinzip vom ausgeschlossenen deontischen Widerspruch“: O1: O(A)→O(A) (wenn A geboten ist, ist es nicht der Fall, dass nicht-A geboten ist – oder einfacher: was geboten ist, ist nicht verboten) Übersetzt man solche monadischen Gebote und Verbote in die Ausdrucksweise, wie sie sich in realen Gesetzen findet, könnte dies etwa bedeuten: Wenn es sich so verhält, dass, wenn man nicht A tut, eine Sanktion eintritt, dann verhält es sich nicht so, dass, wenn man A tut, eine Sanktion eintritt – mit anderen Worten: für jede Situation gibt es einen legalen Ausweg. Man kann sich aber tatsächlich die Frage stellen, ob dies als ein logisches Prinzip gelten sollte oder ob sich die beiden Sätze nicht eher, wie J. Rödig es ausgedrückt hat, wie Schwarz und Weiß zueinander verhalten. Fatale Situationen, in denen alles, was man auch tun oder unterlassen kann, gegen Vorschriften verstößt (d.h. gesetzliche Sanktionen auslöst), brauchen nicht schon aus (deonto)logischen Gründen ausgeschlossen zu sein. In dieser Hinsicht unterscheidet sich der deontische Widerspruch zwischen monadischen Gebotssätzen offenbar von dem schon aussagenlogischen Widerspruch zwischen O(A) und O(A) (in der gerade verwendeten Ausdrucksweise also zwischen der Aussage, es treffe zu, dass, wenn man A tut, eine Sanktion eintritt, und der Aussage, dies treffe nicht zu) und von dem Verhältnis zwischen T→R und T→R 159 Ludwig Enneccerus/Hans Carl Nipperdey, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 15. Auflage, Tübingen: Mohr Siebeck, 1959, S. 197. S. auch R. Schreiber, Allgemeine Rechtslehre (Fn. 72), S. 37. 160 E. Morscher (Fn. 2), S. 247. 161 Dass normative Sätze sich auf indikative (oder deskriptive) Sätze zurückführen lassen, ist der Inhalt der Deskriptionsthese in R. Schreiber, Logik des Rechts (Fn. 21), S. 77 f. Vgl. dazu aber z.B. auch F. von Kutschera (Fn. 106), S. 132. 162 Vgl. Fn. 110. 37 (aus denen unter der Voraussetzung, dass T, der Widerspruch RR folgt). cc ) Von einigem Gewicht sind zudem die Schwierigkeiten, die sich aus den Regeln des von monadischen deontischen Sätzen ausgehenden Standardsystems der deontischen Logik selbst ergeben. Es scheint in ihm ja keinen anderen Weg zu geben, als Rechtsnormen (etwa der Art des § 154 Abs. 1 StGB), wenn man sie in der Sprache der deontischen Logik formalisieren will, in bedingte Gebote zu übersetzen, also Gebote der Form O(B,A). Wie oben (II. 2. a)) erwähnt, gilt für solche bedingten Gebote aber keine Abtrennungsregel; man kann also nicht von O(B,A) und A auf O(B) schließen, d.h. nicht von den beiden Prämissen Es ist geboten, dass, wenn die Person P vor Gericht falsch schwört, sie mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft wird (oder: wenn die Person P vor Gericht falsch schwört, soll sie mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft werden) und Die Person P schwört vor Gericht falsch auf die Konklusion Es ist geboten, dass die Person P mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft wird (oder: die Person P soll mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft werden). Derartige Schlussweisen bilden nun aber offenbar ein wesentliches Element jeder intuitiven Argumentation mit generellen Normen in der Gestalt deontischer Sätze. In der deontischen Logik der dyadischen Gebotssätze ist demgegenüber zulässig nur der Schluss von O(A) und O(B,A) auf O(B). O(A) wäre in unserem Beispiel jedoch der Satz: Es ist geboten, dass die Person P vor Gericht falsch schwört (oder: die Person P soll vor Gericht falsch schwören). Derartige Prämissen wird man in realen Rechtsordnungen weder begründen können noch begründen wollen. Auch bedingte Gebote der Form O(B,A) vermögen also Rechtsnormen offenbar nicht adäquat wiederzugeben. c) Deontische Logik in der Gestalt von Input/output-Logiken und der Theory of JoiningSystems Zu den Gründen, die zur Input/output-Logik und zur Theory of Joining-Systems geführt haben, gehören nun gerade die Schwierigkeiten, auf die die deontische Logik bei der Behandlung bedingter Normen gestoßen ist. So erklärt sich ja offenbar die besondere Art und Weise, in der beide Theorien bedingte Normsätze darstellen – als (selbst nicht wahrheitswertfähige) geordnete Paare aus deskriptiven und deontischen Sätzen einerseits und als (eine implikative Beziehung zum Ausdruck bringende) Korrespondenzen zwischen Gründen und Folgen in der Form geordneter Paare von Sätzen verschiedener Schichten andererseits.163 aa) Dabei steht im Fall der Input/output-Logik die Abtrennung – des deontischen Satzes von dem deskriptiven Satz, mit dem zusammen er die bedingte Norm bildet – im Mittelpunkt: Ziel ist es, zu ermitteln, zu welchen (unbedingten) deontischen Sätzen man, ausgehend von einem 163 Vgl. L. Lindahl/J. Odelstad (Fn. 148), S. 629: „Important similarities between input-output logic and our approach are that we study normative systems as deductive mechanisms yielding outputs for inputs and that norms are represented as ordered pairs. Other similarities worth mentioning are that neither the principal output operation in input-output logic, nor the relation J in a Bjs [d.h. in einem Booleschen joining system], requires reflexivity or contraposition.“ – Auf den für beide Theorien offenbar problematischen Aspekt der Kontraposition von Normen werden wir unter IV. 2. kurz eingehen. 38 gegebenen Normensystem und angesichts bestimmter Situationen, übergehen kann. Das entspricht, wie man sieht, der Aufgabe eines Gerichts, die konkreten rechtlichen Folgen eines ihm vorliegenden Sachverhalts festzustellen. Nun erlauben, wie erwähnt, einige Varianten der Input/output-Logik, auch den Output einer elementaren Input/output-Operation, also eine unbedingte deontische Aussage, wieder als Input zu verwenden und im Zusammenhang damit auch bedingte Normen zu betrachten, die sich aus zwei deontischen Aussagen zusammensetzen. Formal lässt sich die Theorie auf diese Weise zwar in bemerkenswerter Geschlossenheit formulieren. Zugleich löst sie sich damit aber von der intuitiven Ausgangskonstellation, in der bedingte Normen als geordnete Paare aus einer deskriptiven und einer deontischen Aussage auftreten. Für die formale Theorie scheint demnach nicht entscheidend zu sein, zu welcher Kategorie die Sätze der betrachteten geordneten Paare gehören; wie aus zwei deontischen Aussagen könnten sie auch aus zwei deskriptiven Aussagen bestehen. Dies zusammen mit dem Theorem der Input/output-Logik, nach dem die Reichweite der 'liberalsten' Variante der Input/output-Logik mit derjenigen der klassischen Logik übereinstimmt, wenn man die geordneten Paare (a,x) durch Subjunktionen a→x ersetzt, legt folgendes Resümee nahe: Da die klassische Logik einem Grenzfall der Varianten der Input/output-Logik entspricht, ist diese Variante im Vergleich mit der klassischen Logik offenbar nicht 'erforderlich'. In den übrigen Varianten gibt es weniger Abtrennungsmöglichkeiten als in der klassischen Logik; im Vergleich mit der klassischen Logik können diese Varianten der Input/output-Logik als erforderlich also nur dann gelten, wenn die Regeln der klassischen Logik, zusammen mit Rechtsnormen in der Form ihrer deskriptiven Komponenten, zu viele Sätze abzutrennen erlaubt, insbesondere also, wenn in ihr intuitiv inakzeptable Schlussfolgerungen möglich sind. Dies scheint nun aber nicht der Fall zu sein; wir werden auf diese Frage unter IV. 1. und 2. näher eingehen. bb) In der Theory of Joining-Systems entspricht der Möglichkeit, den Output einer Input/outputOperation wieder als Input zu benutzen, die Möglichkeit, mithilfe der Intervenienten mehr als zwei Schichten miteinander zu verknüpfen. Dass dabei Intervenienten sowohl als 'Folgen' von Gründen einer tieferen Schicht als auch als 'Gründe' für Folgen einer höheren Schicht auftreten, scheint ebenfalls nicht ohne weiteres mit dem intuitiven Ausgangspunkt der Theorie vereinbar zu sein. Für den ist ja charakteristisch, dass „in a legal system, when Ought-objects are said to be „attached to“ or to be „consequences of“ Is-objects, there is sense of direction. In a legal system, inferences and arguments go from Is-objects to Ought-objects, not vice versa.“164 Auch hier gilt also, dass es für die abstrakte Theorie nicht wesentlich sein kann, zu welcher der beiden betrachteten Kategorien von Sätzen die 'conditions', d.h. die Elemente der Schichten, gehören. Dann gibt es offenbar aber auch keinen Grund, zwischen den beiden Implikationsbeziehungen – der Implikationsbeziehung R zwischen den Elementen ein und derselben Schicht und der Implikationsbeziehung J zwischen Elementen verschiedener Schichten – so zu unterscheiden, wie dies in der Theory of Joining-Systems geschieht. Tatsächlich können wir beide durch den Subjunktor ersetzen. Zwar besteht die Implikationsbeziehung R1 zwischen Sätzen a1 und b1 derselben Schicht nur, wenn a1→b1 schon rein logisch (oder wohl auch vermöge analytischer Sätze über die Bedeutung der verwendeten Termini) gilt. Demgegenüber besteht die Implikationsbeziehung J zwischen Sätzen a1 und a2 aus verschiedenen Schichten nur dann, wenn eine Rechtsnorm den Grund a1 mit der Folge a2 verknüpft; in unserer Konzeption können wir dies aber ebenfalls mit dem Subjunktor, also in der Form a1→a2, darstellen. 164 Ebd., S. 552. 39 Damit erhält man alle Schlussmöglichkeiten, die die Theory of Joining-Systems bietet, auch dann, wenn man von den deskriptiven Komponenten der Normsätze des betrachteten Normensystems ausgeht und von Aussagen- und Prädikatenlogik Gebrauch macht. 3. Eine andere Konzeption Die wesentlichsten Ergebnisse der vorangehenden Diskussion sind wohl die folgenden: Rechtsnormen (im Unterschied zu einfachen moralischen Normen) lassen sich adäquat nur durch Sätze wiedergeben, die Tatbestände mit Rechtsfolgen verknüpfen. Insbesondere reichen monadische Gebotssätze der deontischen Logik für diese Aufgabe nicht aus. Die dyadischen Gebotssätze der deontischen Logik genügen unseren Zwecken ebenfalls nicht. Insbesondere lässt sich der sogenannte Justizsyllogismus mit ihnen nicht darstellen. Die Logik, die wir suchen, muss aber imstande sein, dem, was Juristen intuitiv mit größter Selbstverständlichkeit tun, einen geeigneten formalen Rahmen zu geben. Kern einer Formalisierung von Rechtsnormen müssen danach offenbar die deskriptiven Komponenten der Normsätze sein; wir können sie in der Form einer – im allgemeinen allquantifizierten – Subjunktion darstellen.165 Die aus den deskriptiven Komponenten der Normsätze eines gegebenen Normensystems mithilfe der 'normalen' Logik herleitbaren Folgerungen entsprechen auch den Folgerungsmengen, zu denen die liberalste Form der Familie der Input/output-Logiken und die Theory of Joining-Systems führen. Um Rechtsnormen in allen Kontexten adäquat wiedergeben zu können, bedürfen wir aber einer Möglichkeit, auch in der Objektsprache die deskriptiven Komponenten der Normsätze (als Aussagen) von deontischen Sätzen unterscheiden zu können, die aussagen, dass der in der deskriptiven Komponente beschriebene Zustand bestehen soll; dass ein Zustand nach dem als maßgeblich vorausgesetzten Normensystem bestehen soll, werden wir von nun an so ausdrücken, dass dieser Zustand rechtens sei. Im folgenden erläutern wir dies etwas näher (a) und zeigen dann, in welcher Weise sich die beiden Satzklassen unterscheiden lassen (b) und welche Prinzipien sich daraus ergeben (c). a) Normwidrige Zustände Auch objektsprachlich müssen wir in einem formalen Rahmen zwischen Sätzen, die aussagen, was nach den gesetzgeberischen Imperativen rechtens ist, und rein deskriptiven (faktische Zustände beschreibenden) Aussagen einfach deshalb unterscheiden, weil die Wirklichkeit den Rechtsnormen nicht immer entspricht: Es kann der Fall sein, dass ein Normsatz des Inhalts T→R (wenn der Tatbestand T gegeben ist, dann tritt die Rechtsfolge R ein) gilt, damit auch die Aussage wahr ist, dass T→R rechtens ist, zugleich aber die Aussage TR (T und die Negation von R sind beide der Fall) wahr ist. Gäben wir Rechtsnormen formal nur durch die deskriptive Komponente der Normsätze – als Aussage – wieder, entstünde im Fall einer solchen Diskrepanz ein logischer Widerspruch. Der zerstörte die Grundlage unseres Formalismus, und es ist ja auch inhaltlich klar, dass zwischen Aussagen darüber, was rechtens ist, und Aussagen darüber, was (faktisch) der Fall ist, ein logischer Widerspruch nicht bestehen kann. 165 Dazu näher Mauer (Fn. 2), S. 491 ff. und „Zur logischen Form rechtlicher Regeln und Prinzipien“ (2015). 40 b) Der deontische Operator N Wie in der üblichen deontischen Logik bedienen wir uns, um darzustellen, was der Fall sein soll, eines deontischen Operators. Inhaltlich ist unser Operator zusammen mit der auf ihn folgenden Aussage so zu deuten, dass der Zustand, den die Aussage beschreibt, im oben angegebenen Sinn rechtens ist. Um diesen Operator von den üblichen Operatoren der deontischen Logik zu unterscheiden (und den normativen Kontext anzudeuten), geben wir ihn mit „N“ wieder. Wenn A also die deskriptive Komponente eines Normsatzes ist, ist auch N(A) eine Aussage. Wahr ist sie dann, wenn es (nach dem vorausgesetzten Normensystem) tatsächlich rechtens ist, dass A. c) Grundlagen einer elementaren Logik der Rechtsnormen Wesentlich ist, dass wir für die Rekonstruktion einer solchen Logik von der Existenz eines – sei es in Gesetzblättern geschriebenen, sei es auf andere Weise gegebenen – Normensystems ausgehen.166 Wir verlangen zweierlei: (i) dass das Normensystem aus Normsätzen besteht, deren deskriptive Komponenten sich in Form einer Subjunktion T→R – regelmäßig in Form einer allquantifizierten Subjunktion x(T(x)→R(x)) – wiedergeben lassen; (ii) dass es grundsätzlich möglich ist, die so dargestellten Sätze in die Form der deskriptiven Komponenten vollständiger Rechtsnormen zu bringen. Solche vollständigen Rechtsnormen lassen sich dadurch charakterisieren, dass „weder Tatbestand noch Rechtsfolge einer weiteren Ergänzung durch andere Rechtsnormen bedürfen“.167 Insbesondere kommen unter den vollständigen Rechtsnormen eines Normensystems keine mit Ausnahmen versehenen Regeln und Regeln durchbrechenden Ausnahmen mehr vor (denn die Ausnahmen sind – im Einklang mit den Konventionen der Redaktion von Gesetzen und den etablierten Kollisionsregeln – vermittels negativer Tatbestandsmerkmale in die Regeln integriert worden). In der Menge der vollständigen Rechtsnormen gibt es also keine (formalen) Widersprüche mehr. In diesem Sinn kann man von unserem Postulat auch als dem 'Konsistenzprinzip des Normensystems' sprechen. Wie man sieht, impliziert hiernach schon der Aufbau der Ausdrücke unserer Logik einen nicht geringen Teil inhaltlicher Jurisprudenz. Als eine streng formale Theorie wird sie sich also offenbar nicht formulieren lassen. Im übrigen handelt es sich bei den vollständigen Rechtsnormen um eine ideale Konstruktion. In keiner wirklichen rechtlichen Argumentation wird man solche Rechtsnormen herstellen; man wird sie auch nicht benötigen. Tatsächlich genügt es für praktische Zwecke, Ausschnitte vollständiger Rechtsnormen zu betrachten. Ergänzende Normen oder Ausnahmevorschriften, auf 166 Die hier dargelegte Position hat also mit Rechts- oder Gesetzespositivismus nichts zu tun. Michael Anderheiden meint zwar: „Die rechtsphilosophische Beschäftigung mit Begründungen und formalen Argumentationszusammenhängen ist vielmehr selbst Kind (oder Begleiter) eines sonst immer wieder als überkommen angesehenen Gesetzespositivismus, der auch angeblich nichts anderes wollte, als auf die gesetzte Norm zu schauen und daraus die Entscheidung abzuleiten“, so in „Rechtsphilosophie jenseits des Ordinarylanguage-Ansatzes“ in: Winfried Brugger/Ulfrid Neumann/Stephan Kirste (Hrsg.), Rechtsphilosophie im 21. Jahrhundert, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2008, S. 43. Aber diese – gewiss verbreitete – Ansicht beruht nur auf der Verwechslung zwischen dem Deduktionszusammenhang zwischen Norm und Entscheidung einerseits und der Auswahl der für die Entscheidung maßgeblichen normativen Prämissen andererseits. 167 R. Schreiber (Fn. 10), S. 23. ähnlich H. Fiedler, „Juristische Logik in mathematischer Sicht“ (Fn. 21), S. 110 f. Vgl. zur Terminologie auch schon Ludwig Enneccerus/Hans Carl Nipperdey, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 15. Auflage, Tübingen: Mohr Siebeck, 1959, S. 197. Näher bin ich auf derartige vollständige Rechtsnormen in „Zur logischen Form rechtlicher Regeln und Prinzipien“ (Fn. 165) eingegangen. 41 die es angesichts jeweils gegebener Sachverhalte nicht ankommen kann, kann man in praxi selbstverständlich außer Acht lassen. Aufgabe unserer Logik soll es nun sein, die Prinzipien anzugeben, mit denen man aus Normen dieses Normensystems formale Schlüsse ziehen kann, insbesondere solche, in denen neben Normen wiedergebenden Prämissen faktische Prämissen über konkrete Sachverhalte vorkommen. So lässt sich ja die Struktur des sogenannten Justizsyllogismus charakterisieren. aa) Die Sprache der Logik α) Syntax Wir haben gesagt, dass wir von einem gegebenen Normensystem ausgehen. Dies müssen wir nun noch ein wenig ergänzen: Vorausgesetzt sei nicht nur, dass wir die deskriptiven Komponenten der Normsätze des Systems in Form einer (allquantifizierten) Subjunktion wiedergeben können, sondern allgemeiner, dass wir imstande sind, die logische Form der deskriptiven Komponenten anzugeben. Wie das geschehen kann, habe ich an anderer Stelle168 systematischer zu zeigen versucht. Die Sprache unserer Logik umfasst damit also die Sprache der Aussagen- und Prädikatenlogik. Dazu kommt nun als einziges spezifisch deontisches Element der Operator „N“. Es handelt sich um einen satzfordernden und satzbildenden Funktor169: Wenn A (irgend)eine Aussage ist, ist auch N(A) eine – deontische – Aussage. Insbesondere sind mit T→R bzw. x(T(x)→R(x)) als deskriptiven Komponenten eines zum Normensystem gehörenden Normsatzes auch N(T→R) bzw. N(x(T(x)→R(x))) Aussagen unserer Sprache; so geformte Aussagen mögen originäre NAusdrücke heißen. Wir haben es daneben auch mit abgeleiteten N-Ausdrücken zu tun, insbesondere mit deontischen Aussagen über konkrete Sachverhalte, auf die man mithilfe allgemeiner Rechtsnormen (also originären N-Ausdrücken) und sonstigen rein deskriptiven Aussagen nach einer gleich wiederzugebenden Regel schließen kann. β) Semantik Wir brauchen hier nur deontische Ausdrücke zu betrachten, und gehen näher auch auf die Negation solcher Ausdrücke, also N(A), ein. αα) Beginnen wir, um zu erklären, unter welchen Voraussetzungen deontische Ausdrücke wahr sind, mit originären N-Ausdrücken. Solche Ausdrücke der Form N(T→R) betrachten wir als wahr, weil ihre Argumente, d.h. Aussagen der Form T→R, deskriptive Elemente von als geltend vorausgesetzten Normsätzen sind. Auf diesen Fall können wir uns aber aus den in der Diskussion der Konzeption von C. Dalla Pozza genannten Gründen (oben III.1. b) cc)) nicht beschränken. Allgemein soll demnach gelten, dass eine Aussage N(A), wahr ist, wenn A die deskriptive Komponente eines zum (als maßgeblich vorausgesetzten) Normensystem gehörenden vollständigen Normsatzes ist, oder A aus den deskriptiven Elementen solcher Normsätze zusammen mit weiteren Prämissen, 168 Vgl. „Zur logischen Form rechtlicher Regeln und Prinzipien“ (Fn. 165). 169 Näher dazu E. Morscher (Fn. 1), S. 19 ff. 42 nämlich wahren analytischen Sätzen über den Sprachgebrauch des Normensystems oder wahren deskriptiven Aussagen über einen zu beurteilenden Sachverhalt (die Menge aller dieser Prämissen sei das Satzsystem S) logisch folgt. (Offenbar enthält diese Bedingung die vorangehende als einen Spezialfall.) Andernfalls ist die Aussage N(A) falsch. Insbesondere gilt diese Bedingung natürlich auch für die (logisch) einfachsten N-Ausdrücke, also monadische Aussagen, in denen A selbst keine logischen Konstanten mehr enthält und alle Variablen durch Namen von individuellen Personen oder Gegenständen ersetzt worden sind. Auch diese semantische Bestimmung ist eigenartig, weil sich die Wahrheit elementarer N-Ausdrücke danach nur vermittels aussagen- und prädikatenlogischer Schlüsse feststellen lässt. Doch scheint dies charakteristisch für Normensysteme zu sein, die im Kern nur aus generellen und allgemeinen Rechtsnormen bestehen, also kein unmittelbar verwendbares Kriterium dafür enthalten, ob ein deontischer Satz der Form „es ist (gemäß dem maßgeblichen Normensystem) rechtens, dass die Person a mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bestraft wird“ oder „es ist rechtens, dass die Person a der Person b Schadensersatz in Höhe von 1000 € leistet“ wahr ist. Offenbar hängt damit ein prinzipieller Unterschied zwischen rein deskriptiven und deontischen generellen Aussagen zusammen: Während im Fall der ersteren die Wahrheit der generellen Aussagen von der Wahrheit der konjugierten individuellen indikativen Aussagen abhängt, hängt im Fall der deontischen Aussagen die Wahrheit der individuellen Aussagen von der Wahrheit der generellen Aussagen ab, dh. von der Geltung entsprechender genereller Normsätze (oder normativer Prinzipien). 170 ββ) Ein Ausdruck N(A) ist nach den allgemeinen Kriterien nun wahr, wenn N(A) falsch ist, nach dem Vorangehenden also dann, wenn weder gilt, dass A die deskriptive Komponente eines zum Normensystem gehörenden vollständigen Normsatzes ist, noch, dass A aus dem Satzsystem S aussagen- oder prädikatenlogisch folgt. Daraus ergibt sich zusammen mit dem Konsistenzprinzip, dass immer dann, wenn N(A) wahr ist, auch N(A) wahr ist; N(A) impliziert also N(A). Die Umkehrung gilt, wenn man das Normensystem um ein – naheliegendes – Prinzip ergänzt, nach dem Ansprüche (zivil-, straf- oder öffentlichrechtlicher Art) dann, aber auch nur dann bestehen, wenn sie sich aus Normsätzen des Normensystems ergeben.171 Ist dann eine Aussage T→R aus dem Satzsystem S, zu dem auch T gehört, nicht herleitbar, gilt also N(T→R), so kann man mit dem genannten Prinzip zu der abgeleiteten Rechtsnorm mit der deskriptiven Komponente T→R übergehen, aus der (zusammen mit T, das ja ebenfalls zum Satzsystem S gehört) (T→R) folgt; und damit gilt unter diesen Voraussetzungen auch N((T→R)). bb) Die Prinzipien Unsere Logik soll nun erlauben, von Ausdrücken der skizzierten Sprache zu anderen Ausdrücken in der Weise überzugehen, dass, wenn die Prämissen wahr sind, auch die Konklusion stets wahr ist. Sie enthält zum einen die (klassische) formale Logik; dazu kommen zum anderen die folgenden Prinzipien, die (im Sinne von Bedeutungspostulaten) auch elementare Schlüsse von N-Ausdrücken auf andere N-Ausdrücke erlauben. α) Diese Prinzipien können wir wie folgt wiedergeben: P 1: N(A)N(B)→N(AB) (Wenn A rechtens ist und B rechtens ist, dann ist auch A und B rechtens) P 2: N(A)→ N(A) (Wenn A rechtens ist, dann ist es nicht der Fall, dass Nicht-A rechtens ist) 170 Vgl. dazu Mauer (Fn. 2), S. 506. 171 Näheres ebd., S. 508. 43 P 3: Wenn B aus A logisch folgt, so gilt: N(A)→N(B) P 4: Wenn A→B die deskriptive Komponente eines Normsatzes des Normensystems oder ein Spezialfall einer derartigen Aussage ist, so gilt (N(A→B)A)→N(B) (Wenn A rechtens ist, dann ist auch B rechtens, sofern B aus A (aussagen- oder prädikaten-)logisch folgt) (Wenn es (i) rechtens ist, dass B der Fall ist, sofern A der Fall ist, und (ii) A der Fall ist, dann ist B rechtens). β) P 1 erlaubt, die Argumente konjunktiv verknüpfter deontischer Aussagen 'zusammenzuziehen', P 2 ist das syntaktische Äquivalent zu der oben erwähnten Folgerungsbeziehung, P 3 bietet die Möglichkeit, in deontischen Aussagen deren Argumente durch solche zu ersetzen, die logisch aus ihnen folgen. Alle drei haben Pendants im Standardsystem der deontischen Logik. γ) Das Prinzips P 4 entspricht dem Modus ponens in der Form der faktischen Abtrennung und erlaubt insbesondere, von originären N-Sätzen und Aussagen über den relevanten Sachverhalt zu (abgeleiteten) monadischen N-Sätzen überzugehen. In der intuitiven rechtlichen Argumentation spielt das Prinzip offenbar eine zentrale Rolle. Zu P 4 gibt es jedoch kein Gegenstück in der deontischen Logik dyadischer Gebote, in der, wie oben erwähnt, nur (O(A,B)O(B))→O(A) gilt. F. von Kutschera fasst die Gründe dafür, dass man nicht von O(A,B) und B auf O(A) schließen kann, wie folgt zusammen: „O(A) besagt ja, dass A prima facie geboten ist, und das folgt nicht daraus, dass A unter der Bedingung B geboten ist und dass B gilt. Man kann aus O(A,B) und B auch nicht folgern, dass A unter den gegebenen Umständen geboten ist. Denn neben B kann auch eine andere Bedingung C bestehen, so dass gilt: O(A,BC).“172 In unserer Konzeption ist es die Funktion des Konsistenzprinzips, derartige Möglichkeiten auszuschließen. Gilt für gegebene Normsätze und einen gegebenen Sachverhalt das Konsistenzprinzip, so kann der Fall, dass sowohl N(T→R) als auch N((TT')→R) wahr sind, nicht mehr eintreten. In diesem Rahmen stellen die abgeleiteten monadischen NSätze unbedingte Sollsätze dar: Sie gelten unter allen Umständen des gegebenen Sachverhalts. Trotzdem bedarf das Prinzip P 4 einer einschränkenden Bedingung, nach der es nur anwendbar ist, wenn es sich bei der Subjunktion im Antezedens um einen originären N-Ausdruck oder einen Spezialfall eines solchen originären NAusdrucks handelt. (Was ein Spezialfall ist, müssten wir in einer formalen Theorie natürlich präzisieren. Intuitiv kann man als Spezialfälle die konkreteren Versionen von deskriptiven Komponenten der Normsätze des Normensystems auffassen, die sich rein logisch oder vermöge analytischer Sätze unter diese subsumieren lassen. Ein ganz elementares Beispiel ist das folgende: der Satz: „wenn ein Zeuge vor Gericht ... falsch schwört, wird er mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft“ ist in diesem Sinn ein Spezialfall der allgemeineren Aussage „wer vor Gericht ... falsch schwört, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.“ 173 Ohne die einschränkende Bedingung könnte das Prinzip zu ungültigen Konsequenzen führen, wie das folgende Beispiel zeigt: Nach P 3 gilt mit N(A) auch N(B), wenn B aus A aussagen- oder prädikatenlogisch folgt. Da eine Tautologie ⊤, etwa die Aussage BB, aus einer beliebigen Aussage logisch folgt (und wir natürlich die Existenz irgendwelcher Normen voraussetzen), gilt in unserem Rahmen auch N(⊤). Mit der deskriptiven Komponente eines beliebig gewählten Normsatzes T→R gilt also z.B. N((T→R)(T→R)) schon aus rein logischen Gründen. Dies lässt sich (jeweils nach P 3) wie folgt umformen: N((T→R)(TR)) N((T→R)T) 172 F. von Kutschera (Fn. 108), S. 10. 173 Insbesondere auch für komplexere zivilrechtliche Vorschriften hat J. Rödig diesen Vorgang, den er „Substantiierung“ nennt, genauer beschrieben in Die Theorie des gerichtlichen Erkenntnisverfahrens, Berlin/Heidelberg/New York: Springer, 1973, S. 173 ff. 44 N((T→R)→T) N((TR)→T), woraus zusammen mit der Aussage TR nach P 4 der monadische N-Ausdruck N(T) herleitbar ist. Mit einer (wahren, aber im übrigen) beliebig gewählten Aussage TR ergäbe sich also, dass der Sachverhalt T schon aus logischen Gründen rechtens ist. Derartige Konsequenzen machen es offenbar erforderlich, den Anwendungsbereich unseres Prinzips in der ein wenig ad hoc-artigen Weise einzuschränken. cc) Wie man mit unseren Prinzipien umgehen kann, mögen die folgenden Beispiele illustrieren: α) Der 'Justizsyllogismus' in seiner einfachsten Form lässt sich damit wie folgt wiedergeben: Prämissen seien: (1) N(x(T(x)→R(x))) und (2) T(a) (Es ist rechtens, dass für alle (Personen) x gilt: wenn x den Tatbestand T verwirklicht, tritt für x die Rechtsfolge R ein) (Die Person a verwirklicht den Tatbestand T). Aus der Prämisse (1) ergibt sich mit dem Prinzip P 3 auch (3) N(T(a)→R(a)) (Es ist rechtens, dass, wenn die Person a den Tatbestand T verwirklicht, für a die Rechtsfolge R eintritt), und daraus ergibt sich mit dem Prinzip P 4 zusammen mit Prämisse (2): (4) N(R(a)) (Es ist rechtens, dass für die Person a die Rechtsfolge eintritt). β) Unser Prinzip P 2 lässt sich wie folgt exemplifizieren: Setzt man für „A“ die Aussage „T→R“ ein, so ergibt sich daraus: N(T→R)→N((T→R)); dies ist nach P 3 mit N(T→R)→N(TR) äquivalent; wenn es also rechtens ist, dass die Rechtsfolge R eintritt, sofern der Tatbestand T gegeben ist, so ist es nicht rechtens, dass T gegeben ist, ohne dass R eintritt: der Sachverhalt TR verletzt die Rechtsnorm mit der deskriptiven Komponente T→R. γ) Zu den misslichen Folgen des Chisholmschen Paradoxons bedingter Normen kann es in diesem Rahmen nicht kommen: Es tritt ja auf, wenn (i) ein monadisches Gebot, (ii) ein dazu passendes, mithilfe des Subjunktors ausgedrücktes dyadisches Gebot und (iii) die faktische Prämisse, wonach eine Person das monadische Gebot verletzt (hat), zusammentreffen (vgl. oben II.1. e) cc)). Aus N(x(T(x)→R(x))) und T(a) können wir zwar, wie zuvor gezeigt, einen monadischen N-Satz N(R(a)) herleiten (nach dem es rechtens ist, dass die Rechtsfolge eintritt), nicht aber einen monadischen Satz der Form N((T(a)) (nach dem es rechtens ist, dass a den Tatbestand nicht verwirklicht); die paradoxe Aussage N((T(a))N(R(a)) ist daher in unserem Rahmen nicht herleitbar. Und auch wenn N(R(a)) – als abgeleiteter monadischer N-Satz – gilt (es also rechtens ist, dass die Rechtsfolge eintritt, weil a den Tatbestand verwirklicht hat), die Rechtsfolge aber tatsächlich nicht eintritt (z.B. weil eine Person b die Rechtsfolge vereitelt hat), so wird sich aus der entsprechenden Rechtsnorm ein Satz N(R'(b)) herleiten lassen (nach dem es rechtens ist, dass die Rechtsfolge R' für b eintritt). Darin, dass in einer solchen Konstellation sowohl N(R(a)) als auch N(R'(b)) gelten, liegt aber nichts Paradoxes. Auf die im Zusammenhang mit P 4 schon berührte Frage, ob aus der Aussagen- und Prädikatenlogik zusammen mit unserem Prinzip P 3 allgemein nicht zu viel folgt, gehen wir in den Abschnitten IV.1. und IV.2. noch einmal im Zusammenhang ein. d) Verhältnis zu den in Abschnitt II. dargestellten Entwürfen und Positionen Zusammenfassend lässt sich dazu, wie sich unsere Konzeption zu den oben dargestellten Positionen verhält, folgendes feststellen: Unser Ausgangspunkt entspricht der grundlegenden Kelsenschen Unterscheidung zwischen Rechtsnormen (unseren Normsätzen), Rechtssätzen als Normen beschreibenden Soll-Urteilen (unseren deontischen Sätzen) und tatsächliches Verhalten beschreibenden Seins-Urteilen (unseren deskriptiven Komponenten von Normsätzen). Für die Normsätze unserer Normensysteme trifft auch zu, dass „der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch und die Regel der Schlussfolgerung in einem 45 normativen Syllogismus ... nicht anwendbar sind“174 Wir ziehen Schlüsse nur aus deskriptiven Komponenten von Normsätzen (als Abstrakta der Normsätze) und aus deontischen N-Sätzen, die wir aus deskriptiven Komponenten von Normsätzen gebildet haben. Damit scheint es aber auch möglich zu sein, den Kelsenschen intuitiven Ideen einer Logik der Normen175 klareren Ausdruck zu geben. Von U. Klugs Position unterscheidet sich unsere Konzeption im wesentlichen nur durch die differenziertere Auffassung von Rechtsnormen. In unserer Terminologie beschränkt sich Klugs Logik der Rechtsnormen auf die (normale) Logik der deskriptiven Komponenten der Normsätze, freilich mit der façon de parler, solche Aussagen als wahr zu betrachten, wenn es sich so, wie sie es aussagen, nach dem Normsatz verhalten soll. Die danach möglichen logischen Schlussfolgerungen sind auch in unserer Konzeption zulässig, und unsere Prinzipien gestatten nur, sie auf deontische NSätze zu übertragen. Wie G. H. von Wright betrachten wir Normsätze als Sätze, die nicht wahr oder falsch sind. Wir setzen dagegen voraus, dass die Normensysteme, von denen wir ausgehen, sich in eine konsistente Form bringen lassen. Aus unserer Sicht gibt es keinen Grund, der dazu nötigte, eine spezifische Logik der Normsätze zu konstruieren, die zwangsläufig komplexer als die 'normale' Logik und die Standardprinzipien der deontischen Logik ist. Von den nach G. Kalinowski möglichen zwei Standpunkten: einer Logik der Normen (genauer: der – wahren oder falschen – Sätze, die Normen ausdrücken) und einer deontischen Logik (d.h. von – wahren oder falschen – Sätzen, die deontische Sachverhalte darstellen) ist nach unserer (nicht kognitivistischen) Konzeption nur der zweite realisierbar. In dem Ausgangspunkt, dass Normsätze nicht wahr oder falsch sind, stimmt unsere Konzeption dagegen mit O. Weinbergers Position überein. In unserer Konzeption sind deontische N-Sätze aber nicht lediglich Aussagen über Normen; sie 'spiegeln' Normsätze nur in dem Sinn wider, dass deren deskriptive Komponente in ihnen als Argument des deontischen Operators vorkommt und dass sie genau dann wahr sind, wenn die Normsätze zu dem maßgeblichen Normensystem gehören, in ihm gelten. Gerade dieser Zusammenhang erlaubt es uns aber, uns für die logische Analyse auf die deskriptiven Komponenten der Normsätze und die entsprechenden deontischen Sätze zu beschränken. Und damit lässt sich vergleichsweise einfach auch die Aufgabe lösen, die Weinberger als die Hauptaufgabe ansieht, nämlich aus generellen Normen logische Konsequenzen für Einzelfälle herzuleiten.176 Anders als R. Schreiber unterscheiden wir nicht zwischen der Bewertung von Rechtsnormen (mit „rechtens“ und „nicht rechtens“) und derjenigen von Aussagen (mit „wahr“ und „falsch“); in unserer Konzeption gibt es neben den Normsätzen, die weder wahr noch falsch sind, aber zwei Kategorien von Aussagen: die faktisch-deskriptiven und die deontischen, und dieser Unterschied kommt in dem zur Syntax unserer Logik gehörenden deontische Operator N zum Ausdruck. Schreibers Schlussregel für normative Systeme „Ist der Satz p wahr und gehört die Rechtsnorm p→q zu einem bestimmten System von Rechtsnormen, so gehört auch q zu diesem System“ entspricht aber unser Prinzip P 4, das die Eigenschaft, ein wahrer deontischer Satz zu sein, von N(p→q) unter der Bedingung, dass p wahr ist, auf N(q) überträgt. Mit der Position von C. Alchourrón und E. Bulygin stimmen die Grundlagen unserer hier 174 Vgl. Fn. 15. 175 Vgl. Fn. 16. 176 Vgl. Fn. 58. 46 skizzierten Konzeption ganz weitgehend überein. Die Unterschiede ergeben sich daraus, dass wir uns bei den Normen (den 'commands' der gesetzgebenden Instanz) ganz auf Normsätze beschränken, deren deskriptive Komponente sich in der Form (allquantifizierter) Subjunktionen darstellen lässt, und folglich statt der deontischen Operatoren des Standardsystems unseren Operator N verwenden. Zu J. Rödigs Position gilt im wesentlichen gleiches wie zu derjenigen von U. Klug. Was die Desiderate von W. Krawietz angeht, so unterscheidet unsere Konzeption offenbar hinreichend zwischen „(i) praktischen, d.h. stellungnehmenden und vorschreibenden Sätzen und (ii) theoretischen, d.h. bloß beschreibenden Sätzen“177, darüber hinaus aber unter den beschreibenden Sätzen auch zwischen den faktisch-deskriptiven und den deontischen Sätzen. Sie erlaubt damit insbesondere auch, Beziehungen zwischen Normsätzen, ihren deskriptiven Elementen und den ihnen korrespondierenden deontischen Sätzen zu formulieren. Zwar enthält sie keine Argumentationstheorie im Krawietzschen Sinn; aber diese scheint auch jenseits der Grenzen einer formalen Logik der Rechtsnormen zu liegen. Die Unterschiede unserer Konzeption zu den oben skizzierten deontologischen Positionen schließlich beruhen offenbar vor allem darauf, dass wir (so wie J. Hansen in seiner Semantik von gegebenen Imperativen ausgeht) von Normsätzen gegebener Normensysteme ausgehen und voraussetzen, dass ihre deskriptiven Komponenten die logische Form von (allquantifizierten) Subjunktionen haben. Anstelle deontischer Sätze, in denen die deontischen Operatoren „geboten“, „verboten“ oder „erlaubt“ wesentlich vorkommen, stehen im Mittelpunkt unserer Konzeption daher die deskriptiven Komponenten derartiger Normsätze, für deren Formalisierung die Aussagen- und Prädikatenlogik ausreicht; die ihnen entsprechenden (originären) deontischen Sätze nehmen die Form N(x(T(x)→R(x))) an, worin „N“ soviel wie „es soll der Fall sein“ im Sinn von „es ist rechtens, dass“ bedeutet. Auf der Grundlage des Konsistenzprinzips reichen uns mit den Prinzipien P 1 bis P 3 die (ein wenig uminterpretierten) Axiome des Standardsystems der deontischen Logik und mit P 4 eine spezielle Form des Modus ponens aus. Die Reichweite dieser Prinzipien zusammen mit der 'normalen' Logik scheint dabei derjenigen der Input/output-Logiken und der Theory of Joining-Systems zu entsprechen. Vor dem Hintergrund des Standardsystems der deontischen Logik und der Logik dyadischer Gebotssätze muss diese Konzeption, in der der deontologische Teil nur wie ein Schleier über der Aussagen- und Prädikatenlogik liegt, zwar einigermaßen heterodox wirken. Offenbar fehlt ihr die Eleganz einer mit einer präzisen Semantik ausgestatteten modalen Logik, sei es der Semantik möglicher Welten, sei es derjenigen der Hansenschen deontischen Logik. Demgegenüber vermag sie aber anscheinend, wesentlichen Zügen intuitiver rechtlicher Argumentation eine formale Gestalt zu geben. 177 Vgl. Fn. 101. 47 IV. Mögliche Einwände und Herausforderungen In unserer Konzeption der Logik der Rechtsnormen haben wir der (klassischen) Aussagen- und Prädikatenlogik keine Einschränkungen auferlegt, und nach dem Prinzip P 3 können wir in einem N-Ausdruck N(A) das Argument A durch jede andere Aussage ersetzen, die aussagen- oder prädikatenlogisch aus A folgt Die Diskussion der Input/output-Logik hat uns aber mit der Frage konfrontiert, ob aus der normalen Logik im normativen Kontext nicht zu viel folgt. Dies ist der Hintergrund der Einwände, die wir in den folgenden beiden Abschnitten behandeln wollen. Abschnitt IV.1. geht zunächst auf Walter Dubislavs Versuch, die 'Logik' der Imperative auf die (normale) Logik von den Imperativen entsprechenden Aussagen zu reduzieren, ein und auf die Gründe, deretwegen dieser Versuch als gescheitert gilt. In Abschnitt IV.2. werden wir weitere Folgerungen des Prinzips P 3 behandeln, die merkwürdig wirken oder angreifbar zu sein scheinen. Abschnitt IV.3. greift schließlich noch einmal Fragen der Ausdrucksfähigkeit der Logik der Rechtsnormen auf, die G. H. von Wright und J. Hansen gestellt haben: Ist ihre Sprache nicht zu einfach, um komplexe Normen einer realen Rechtsordnung darstellen zu können? 1. Dubislavs Vereinbarung und die Rossschen Paradoxien In unserer Konzeption kommt es entscheidend auf die deskriptiven Komponenten der Normsätze an und das, was aus ihnen aussagen- und prädikatenlogisch folgt. Nun entsprechen, wie wir konstatiert haben, die deskriptiven Komponenten von Normsätzen den Erfüllungssätzen im Dubislavschen Sinn.178 Auf die Gründe, aus denen Dubislavs Vorschlag eine Logik der Imperative nicht zu rechtfertigen vermag, ist J. Hansen in seiner oben erwähnten Arbeit ausführlich eingegangen.179 Sehen wir uns daher seine Argumente genauer an, durchaus im Sinn des Rates von E. Morscher, frühere Irrtümer und Abwege als Warnung vor eigenen Irrwegen zu akzeptieren.180 a) Ausgangspunkt der Überlegungen des Logikers und Wissenschaftstheoretikers Walter Dubislav (er war in den 1920er Jahren Mitbegründer der Berliner Gruppe um den Philosophen und Wissenschaftstheoretiker Hans Reichenbach) war es zwar, dass Imperative nicht wahr oder falsch seien und logisches Schließen zwischen ihnen daher auf direkte Weise ebenso wenig möglich sei wie ein Schluss von Imperativen auf Aussagen oder umgekehrt von Aussagen auf Imperative. Zugleich konstatierte er aber einen engen Zusammenhang zwischen den beiden Satzarten: Zu jedem Imperativ (oder 'Forderungssatz') gehöre eine Aussage (oder ein 'Behauptungssatz'), die den Zustand beschreibe, der sich ergebe, wenn der Adressat das tue, was der Autor des Imperativs von ihm verlange, wenn er also den Imperativ 'erfülle'. Sein 'Kunstgriff' bestand darin, die Schlussregeln für Aussagen vermittels dieses Zusammenhangs auf Imperative zu übertragen: „Ein Schließen aus Forderungssätzen wird nun formal durch nachstehende Vereinbarung ermöglicht: Ein Forderungssatz F heißt ableitbar aus einem Forderungssatz E, wenn der zu F gehörende Behauptungssatz im üblichen Sinne aus dem zu E gehörenden Behauptungssatz ableitbar ist.“181 E. Morscher gibt die Dubislavsche 'Vereinbarung' als Dubislavs Postulat für Erfüllungssätze φ und ψ wie folgt wieder (mit╞ als dem Symbol des 'normalen' Folgerungsbegriffs, ╞ E als Symbol des erfüllungslogischen Folgerungsbegriffs und als dem Symbol der metasprachlichen Folgerung): φ ╞ ψ O(φ) ╞ E O(ψ).182 (Wenn der Erfüllungssatz ψ aus dem Erfüllungssatz φ logisch folgt, folgt 178 Der Ausdruck „Erfüllungssatz“ stammt nicht von W. Dubislav selbst, zum Sprachgebrauch vgl. E. Morscher (Fn. 1), S. 172. 179 J. Hansen (Fn. 16), S. 15, 23 f. und 46. 180 E. Morscher (Fn. 3), S. 169. 181 Walter Dubislav, „Zur Unbegründbarkeit der Forderungssätze“, Theoria 3 (1937), S. 341; zu allem näher E. Morscher (Fn. 2), S. 171 ff. 182 E. Morscher (Fn. 2), S. 173. 48 auch die dem Erfüllungssatz ψ entsprechende Norm O(ψ) 'erfüllungslogisch' aus der dem Erfüllungssatz φ entsprechenden Norm O(φ)). Die zwei Jahrzehnte nach der Publikation von Dubislavs Arbeit entwickelte Mögliche-Welten-Semantik habe es möglich gemacht, Dubislavs Vereinbarung zu begründen und damit zu zeigen, dass in der von ihr ausgehenden Erfüllungslogik ein richtiger Kern stecke.183 Dabei muss man sich freilich klarmachen, dass Ausdrücke der Form O(φ) in der üblichen Interpretation der deontischen Logik nicht Normsätze (d.h. nach unserem Sprachgebrauch Imperative, wie sie auch Dubislav im Sinn hatte) repräsentieren, sondern deontische Aussagen; in dieser Interpretation kommen Imperative tatsächlich nicht vor. Wie dem auch sei: der Kern von Dubislavs Idee – der eindeutige Zusammenhang zwischen Imperativen und ihnen entsprechenden deskriptiven Aussagen – ist auf allgemeinen Konsens gestoßen; J. Hansen hat ihn als Weinbergers Prinzip wie folgt formuliert: Jedem Imperativ entspricht eine deskriptive Aussage, die wahr ist, wenn der Imperativ erfüllt ist, und die falsch ist, wenn er nicht erfüllt (verletzt) ist.184 b) Die Einwände konzentrieren sich daher auf die Idee, man könne ausgehend von Weinbergers Prinzip eine Logik der Imperative konzipieren, indem man Imperative und ihre Logik auf Aussagen und die für Aussagen geltende Logik reduziert. Hier spielen nun die beiden – in logischer Hinsicht freilich demselben Muster folgenden – Paradoxien von Alf Ross eine entscheidende Rolle. aa) Die erste Paradoxie macht sich die Tatsache zunutze, dass aus einem Satz A aussagenlogisch AB (A oder B) folgt. Überträgt man dies Dubislavs Vereinbarung gemäß auf Imperative (und gibt man Imperative, nach denen A geschehen soll, symbolisch mit „!A“ wieder), so gilt also auch (mit „“ als dem Symbol der logischen Folge; alle aussagenlogischen Symbole seien nun auch für Imperative erklärt): !A !(AB). In Ross' berühmtem Beispiel folgt demnach aus dem Imperativ „Wirf diesen Brief in den Briefkasten!“ logisch auch der Imperativ „Wirf diesen Brief in den Briefkasten oder verbrenne ihn!“ Absurd ist das in der Tat, wenn man diese Imperative so interpretieren kann, dass man den zweiten auch erfülle, indem man den Brief verbrennt,185 und dass man, indem man den zweiten Imperativ erfüllt, (implizit) auch den ersten erfülle, weil der zweite eine logische Folge des ersten sei.186 Wie steht es vor diesem Hintergrund mit unserer These? Ihr zufolge ist es ja nicht einmal erforderlich, Imperative auf Aussagen zu reduzieren: Zur Wiedergabe der logischen Form von Normsätzen bedienen wir uns ihrer deskriptiven Komponenten; die für diese passende Logik ist die Aussagen- und Prädikatenlogik, und das Prinzip P 3 erlaubt, die aussagen- und prädikatenlogischen Folgerungen im Bereich der deontische Aussagen nachzuvollziehen. Wie wirkt sich dann aber der – offenbar fatale – logische Zusammenhang zwischen A und AB aus – vorausgesetzt, die allgemeine Form der deskriptiven Komponente von Normsätzen ist „T→R“? Wir unterscheiden zwei Fälle, indem wir zunächst T, dann R adjunktiv erweitern: 183 Ebd., S. 176. 184 J. Hansen (Fn. 16), S. 146. 185 Selbstverständlich ist dies nicht. Es setzt voraus, dass der Adressat die Wahl zwischen den beiden Verhaltensweisen hat. Macht man diese Voraussetzung nicht, dann ist ein Imperativ der Form !(AB) so offen wie ein Spruch des Orakels von Delphi: aus (AB) folgt ja weder A noch B, nach Dubislavs Vereinbarung also auch aus !(AB) weder ! A noch !B. Vgl. E. Morscher (Fn. 1), S. 264 f. und zur 'deontischen Form' des Paradoxons Morscher ebd. S. 168 f. und Risto Hilpinen, „Deontic Logic“, in: Lou Goble (Hrsg.), The Blackwell Guide to Philosophical Logic, Malden MA/ Oxford/ Carlton Victoria/ Berlin: Blackwell, 2001, 2002, S.167. S. auch Jan C. Joerden, Logik im Recht, Heidelberg/Dordrecht/London/New York: Springer, 2. Auflage, 2010, S. 388 ff. 186 Vgl. J. Hansen (Fn. 16), S. 172. 49 (α) Betrachten wir also als erstes Sätze der Form (TU)→R. Inhaltlich kommt diese Form wohl dem Rossschen Beispiel am nächsten, wenn man den erweiterten Imperativ durch einen rechtsnormartigen Satz ersetzt, also etwa: Wenn du diesen Brief nicht in den Briefkasten wirfst oder ihn nicht verbrennst, erhältst du kein Taschengeld. Ein solcher Satz wäre sicher genauso seltsam wie der, auf den man nach Dubislavs Vereinbarung aus dem Ausgangsimperativ schließen kann. (TU)→R ist jedoch keine logische Folge von T→R. In unserem Zusammenhang kann die Paradoxie in dieser Form also nicht auftreten. (β) Dagegen ist T→RS eine logische Folge von T→R. Könnte eine so erweiterte Rechtsnorm also ähnliches Unheil anrichten wie der erweiterte Rosssche Imperativ? Das scheint nicht der Fall zu sein. Tatsächlich lässt eine Rechtsnorm der logischen Form T→(RS) ohne nähere (sei es auch nur implizite) Information (dazu, wer zwischen R und S wählen kann) keine Aussage darüber zu, welche Rechtsfolge der Normadressat realisieren soll; insbesondere folgt aus T→(RS) logisch weder T→R noch T→S. Rechtsnormen realer Rechtsordnungen werden deshalb ihre Rechtsfolgen nicht lediglich adjunktiv verknüpfen, sondern zugleich – explizit oder implizit – zum Ausdruck bringen, wer zwischen diesen Rechtsfolgen wählen kann oder soll. In diesem Sinn interpretiert G. H. von Wright insbesondere disjunktive Erlaubnisse so, dass sie zu verstehen gäben (intimate), jedes der Disjunktionsglieder sei erlaubt, dass also „das Norm-Subjekt frei wählen kann, welches von ihnen, wenn überhaupt eines, es wahr macht (herbeiführt).“187 Klarer wäre dies nach von Wright natürlich, wenn man einem gegebenen Kodex eine Metanorm hinzufügte, nach der die Glieder disjunktiver Erlaubnisse oder Gebote einzeln erlaubt seien, falls nicht der Kodex andere Normen enthalte, die gewisse der Disjunktionsglieder verbieten. Jedenfalls hängt aber – so von Wright – „die Existenz einer solchen Metanorm ... von der Entscheidung des Gesetzgebers ab und folgt nicht aus Feststellungen über die normative Sprache.“188 Wenn man also, rein logisch schließend, einen Satz T→R1 adjunktiv erweitert etwa zu T→(R1R2R3), so sagt diese Konklusion weniger aus als die Prämisse T→R1: Aus T→(R1R2R3) ergibt sich ja nicht, welche der Rechtsfolgen R1, R2 oder R3 die maßgeblichen sind. Diesem Ergebnis entginge man selbst dann nicht, wenn man die adjunktiv hinzugefügten Rechtsfolgen so formulierte, dass der Normadressat zwischen der in der ursprünglichen Rechtsnorm stehenden Rechtsfolge (R1) und den adjunktiv hinzugefügten Rechtsfolgen (R2 und R3) wählen könne. Denn dieser Zusatz bliebe ein Element von adjunktiv neben der ursprünglichen Rechtsfolge stehenden weiteren Rechtsfolgen, und logisch bliebe offen, welche dieser Rechtsfolgen die richtigen sind. Paradoxen Effekt kann eine – logisch zulässige – adjunktive Erweiterung von Rechtsnormen also in unserem Rahmen offenbar nicht haben. Vielmehr verhält es sich mit ihr wie mit Sätzen einer wissenschaftlichen Theorie. Dass mit einer aus einer solchen Theorie folgenden wahren Aussage A→B auch eine Aussage A→(BC) (mit willkürlich gewähltem C) wahr sei, wird man dort nicht weiter seltsam finden; nur wird man an einer solchen Aussage kein Interesse haben: A→(BC) ist eben weniger informativ oder prägnant als A→B. In gleichem Sinn kann man auch für Rechtsnormen die pragmatische Regel formulieren, dass unter Rechtsnormen, von denen einige aus anderen logisch folgen, jeweils nur die prägnanteste von Interesse sei.189 bb) Die zweite Paradoxie macht sich die Tatsache zunutze, dass aus einem Satz AB 187 G. H. von Wright (Fn. 2), S. 120. 188 Ebd. 189 Das scheint der Erwartung zu entsprechen, die J. Hansen (Fn. 16), S. 168 in diesem Zusammenhang mit dem Hinweis auf J. Rödig diskutiert, die Erwartung nämlich, „to make use of the logically strongest information that is available“. Doch handelt es sich in unserem Kontext tatsächlich nur um eine pragmatische Regel (wie sie etwa auch für wissenschaftliche Theorien gilt), im Fall, den Hansen diskutiert, dagegen um ein Prinzip, das der Folgerungsbeziehung zwischen Normen eine nichtklassische Bedeutung gibt. 50 aussagenlogisch sowohl A als auch B folgen. Auch sie stammt von A. Ross; J. Hansen betrachtet sie in der Gestalt der 'Weinbergerschen Paradoxie':190 „Schließe das Fenster und spiele Klavier!“ Folgt daraus der Imperativ „Schließe das Fenster!“ (den man erfüllen kann, ohne Klavier zu spielen) und der Imperativ „Spiele Klavier!“ (den man auch bei offenem Fenster erfüllen kann)? Auch dies scheint absurd zu sein. Unsere Frage ist aber natürlich wieder, ob vergleichbare absurde Konsequenzen auch in unserem Rahmen möglich sind. Auch hier unterscheiden wir zwei Fälle; im ersten steht die Konjunktion im Tatbestand der Ausgangsnorm, im zweiten Fall in der Rechtsfolge der Ausgangsnorm. (α) Die Form der Ausgangsnorm sei also (TU)→R. Versucht man, ihr einen der Weinbergerschen Paradoxie ähnlichen Inhalt zu geben, so könnte man an die Übersetzung denken: Wenn du das Fenster nicht schließt (F) und nicht Klavier spielst (K), erhältst du kein Taschengeld (T), also (FK)→T). Folgt daraus, dass die Sanktion auch schon eintritt (oder eintreten müsste), wenn das Kind, um das es hier geht, zwar das Fenster schließt, aber nicht Klavier spielt, oder bei offenem Fenster Klavier spielt? Aus logischen Gründen allein wäre dies nicht der Fall: Aus (FK)→T) folgen ja weder F→T noch K→T. Dass dies im vorliegenden Beispiel merkwürdig wirkt, hängt jedoch damit zusammen, dass die Übersetzung den Sinn des Imperativs nur unzureichend wiedergibt. Besser würde ihm die folgende Formalisierung gerecht: (FK)→T. Dies ist äquivalent mit (FK)→T, und danach tritt die Sanktion in der Tat auch schon dann ein, wenn das Kind nur eins der beiden ihm aufgetragenen Dinge tut. Paradoxe Folgen ergeben sich – bei adäquaten Formalisierungen in Frage kommender Rechtsnormen – also nicht. Der Imperativ des prominenten Beispiels könnte allerdings auch so zu verstehen sein, dass man ihn – in zwar nicht vorbildlicher, aber doch ausreichender Weise – auch erfüllt, wenn man das Fenster nicht schließt (und so frische Luft hereinlässt), aber in dieser Situation auch nicht Klavier spielt.191 Wir müssten die ihm entsprechende Norm dann in folgender Weise formulieren: (FK)(FK)→T. Und wenn man schwerer wiegende von weniger gravierenden Verstößen unterscheiden möchte, kann man dies tun, indem man zwischen 'Rechtsfolgen' Ti differenziert (indem man also etwa das Taschengeld nicht nur ganz streicht, sondern es auch in unterschiedlichem Maß kürzt); eine plausible Rangfolge wäre: (FK)→T1 (FK)→T2 (FK)→T3 (schließt das Fenster nicht, spielt jedoch Klavier) (schließt das Fenster, spielt aber nicht Klavier) (schließt das Fenster nicht und spielt auch nicht Klavier) in der mit ansteigendem Index das Gewicht der Sanktion abnimmt. Das Beispiel mag zugleich demonstrieren, wie viel ausdrucksfähiger ein System von Rechtsnormen (mit differenzierten Sanktionen) als ein System von Imperativen ist.192 β) Betrachten wir nun als deskriptive Komponente der Ausgangsnorm die Formel T→(RS). Aus ihr folgen logisch auch T→R und T→S. Ist dies nicht problematisch? Folgt aus einer strafrechtlichen Norm, nach der, wer bestimmte Verbrechen begeht, mit Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt wird und für die Dauer von fünf Jahren die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, verliert, logisch auch die Norm, nach der, wer bestimmte Verbrechen begeht, mit Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt wird? Die Konstellation entspricht dem oben unter aa) β) diskutierten Fall. T→R folgt zwar aus T→(RS), sagt aber weniger aus als diese 190 J. Hansen (Fn. 16), S. 169 ff. 191 Vgl. J. Hansens interessante Diskussion solcher Aspekte (Fn. 16), S. 170. 192 Auch das Standardsystem der deontischen Logik erlaubt keine Abstufungen des Grads von Geboten oder Verboten. Zu Möglichkeiten, solche Abstufungen für den deontischen Operator O mit Hilfe einer Präferenzrelation zu konstruieren, vgl, Sven Ove Hansson, „Alternative semantics for Deontic Logic“, in: Dov Gabbay/John Horty/ Xavier Parent/Ron van der Meyden/Leendert van der Torre (Hrsg.), Handbook of Deontic Logic and Normative Systems (Fn. 3), S. 480 ff. 51 Ausgangsnorm, ist also weniger informativ. Auch hier gilt die pragmatische Regel, dass Normadressaten sich an die prägnanteste Gestalt der in ihrem Fall relevanten Rechtsnorm halten müssen. Diese Regel hat wieder ihr Gegenstück beim Umgang mit faktischen Informationen: Wenn absehbar ist, dass morgen wegen der Wetterverhältnisse Züge von A nach B sich um ein bis zwei Stunden verspäten werden, aber auch, dass Flugzeuge in B nicht werden landen können, dann ist auch absehbar, dass morgen Züge nach B sich um ein bis zwei Stunden verspäten werden. Wer nur diese zweite Information demjenigen weitergibt, der plant, morgen nach B zu reisen und notfalls das Flugzeug zu nehmen, sagt ihm nichts Falsches, erweist ihm aber vielleicht einen schlechten Dienst. Also kann auch in diesem Fall von paradoxen Folgen des logischen Prinzips (AB)→A bzw. (AB)→B in unserem Rahmen nicht die Rede sein. 2. Weitere paradox wirkende Folgerungen Schwierigkeiten scheinen sich im übrigen aus den logischen Eigenschaften der Subjunktion zu ergeben, von der wir ja schon Gebrauch machen, um die deskriptiven Komponenten von Normsätzen zu formalisieren, und mit der sich spezifische Schlussmöglichkeiten verbinden. Wir gehen hier nur auf zwei von ihnen ein. a) Kontraposition Wenn man die deskriptive Komponente von Rechtsnormen in ihrer einfachsten Form als Subjunktion aus Tatbestand und Rechtsfolge darstellt, also T→R, und die ihnen entsprechenden deontischen Sätze mit N(T→R) wiedergibt, so folgt daraus aussagenlogisch auch R→T bzw. nach unserem Prinzip P 3 N(R→T) (also: es ist rechtens , dass, wenn die Rechtsfolge nicht eintritt, der Tatbestand nicht gegeben ist). Wäre aber diese sogenannte Kontraposition nicht sinnlos oder absurd? Soll in ihr etwa die Aussage, eine Sachverhalt bestehe nicht, als 'Rechtsfolge' fungieren? Und kann man den Umstand, dass eine Rechtsfolge eintritt, als hinreichende Bedingung dafür betrachten, dass ein Sachverhalt tatsächlich besteht oder nicht? Eine derartige Schlussfolgerung wäre jedoch mit der hier vorgeschlagenen Interpretation des Operators „N“ nicht vereinbar. Dieser Interpretation zufolge gibt wie N(T→R) ja auch die Aussage N(R→T) einen Zustand der Welt wieder, wie er nach dem gesetzgeberischen Imperativ beschaffen sein soll, wie er danach rechtens ist. Dass in einer solchen Welt, sofern eine bestimmte Rechtsfolge nicht eintritt, es auch den dieser Rechtsfolge korrespondierenden Tatbestand nicht gibt, scheint nicht absurd zu sein. b) Monadische N-Ausdrücke Einer näheren Analyse scheinen auch die abgeleiteten monadischen N-Ausdrücke der Form N(R) zu bedürfen, die sich nach P 3 aus den Prämissen N(T→R) und T herleiten lassen: Da aussagenlogisch aus R z.B. auch A→R (mit einem beliebigen A) folgt, kann man von N(R) nach P 3 zu N(A→R) übergehen. Dies ist zwar im allgemeinen kein originärer N-Ausdruck; nach unseren Regeln ist er aber wahr, wenn N(R) wahr ist. Allerdings wirkt er merkwürdig: Soll man tatsächlich sagen können, es sei rechtens, dass die Rechtsfolge R eintritt, wenn die (beliebig ausgewählte) Voraussetzung A erfüllt ist, sofern man zu der Aussage berechtigt ist, es sei rechtens, dass die Rechtsfolge R eintritt? Aber absurd ist dies wohl nur, wenn man die Tatsache, dass man N(A→R) – aus den Prämissen N(T→R) und T – herleiten kann, so interpretiert, dass das zugrundeliegende Normensystem (unter der Voraussetzung T) auch einen Normsatz mit der deskriptiven Komponente N(A→R) enthalte. 52 Man muss hier tatsächlich unterscheiden: Den Inhalt des zugrundeliegenden Normensystems repräsentieren unmittelbar nur die originären N-Ausdrücke. Zum anderen, und dies ist hier der wichtigere Aspekt, darf man die aussagenlogische Subjunktion nicht mit nur intensional wiedergebbaren Satzverknüpfungen verwechseln, z.B. der inhaltlichen Folge. Sicher braucht es keinen inhaltlichen Zusammenhang zwischen einem willkürlich ausgewählten Sachverhaltselement A und der Rechtsfolge R zu geben. Trifft es aber zu, dass N(R), so darf man auch behaupten, dass es der Fall sein soll, dass die Rechtsfolge R eintritt, wenn der Sachverhalt A gegeben ist.193 Dieser Zusammenhang verdeutlicht auch noch einmal, dass es sich bei den abgeleiteten monadischen N-Sätzen, wie wir gesagt haben, um unbedingte Sollsätze handelt: Sie sind unter allen (im gegebenen Sachverhalt berücksichtigten) Umständen wahr. 3. Zur Ausdrucksfähigkeit der Logik der Rechtsnormen a) Für G. H. von Wright ist es, wie wir gesehen haben, das Ziel jeder sich mit Normen beschäftigenden Logik, die 'wirklichen' normativen Strukturen adäquat zu repräsentieren; die Ausdrucksfähigkeit des Symbolismus der vorliegenden Logik der Normen reiche dazu aber bei weitem nicht aus. Das gelte zum Beispiel für die vielen Formen, in denen eine normsetzende Instanz vorschreiben kann, dass ein Zustand Z bestehen solle: sie könne verlangen, (i) Z herbeizuführen, oder (ii) Z, wenn er besteht, nicht zu verändern, oder (iii) zu verhindern, dass Z vergeht, oder schließlich (iv), nicht zu verhindern, dass Z entsteht, und sie könne diese Möglichkeiten auf verschiedene Weise miteinander verknüpfen. Der Symbolismus der Logik der Normen erlaube es nicht, zwischen den 15 sich so ergebenden Möglichkeiten zu unterscheiden. Er lasse es auch nicht zu auszudrücken, wer eine gegebene Norm erlassen hat, noch, an wen sie sich richtet.194 aa) Was das erste dieser beiden Defizite angeht, so scheint es nun allerdings in einer Theorie, die für die Wiedergabe der Rechtsnormen ohne weiteres von den Mitteln der 'normalen' Logik Gebrauch machen kann, vollständig zu verschwinden. Dazu, wie atomare Sätze zu bilden sind, gibt es in der Aussagen- und Prädikatenlogik ja praktisch keine Restriktionen. Dieselbe Sprache, die es von Wright erlaubt hat, sein Desiderat zu formulieren, kann auch als Sprache der Normen dienen; die deskriptive Komponente des Normsatzes, den von Wrights ideale Logik der Normen zu repräsentieren imstande sein müsste, hat demnach in dieser Sprache folgende (hier ganz umgangssprachlich wiedergegebene) Form: Wenn jemand einen Zustand der Art Z nicht herbeiführt oder einen solchen Zustand, wenn er besteht, verändert, oder nicht verhindert, dass ein solcher Zustand vergeht, oder verhindert, dass er entsteht, erlegt ihm die zuständige Instanz die Sanktion S auf. Die logische Form einer derartigen Norm kommt schon in dieser Gestalt zum Vorschein, und natürlich bereitet es auch keine Schwierigkeiten, die anderen 14 möglichen Kombinationen der mit „oder“ verknüpften Tatbestandselemente zu formulieren (die sich ergeben, wenn man eins, dann zwei und schließlich drei der Tatbestandselemente fortlässt). Was sich also in der Alltagssprache oder in Wissenschaftssprachen überhaupt ausdrücken lässt, ist trivialerweise auch in der Sprache formulierbar, mit der wir Normen wiedergeben können, und zwar in einer Weise, durch die ihre logische Form oder Struktur sichtbar wird. bb) Wie steht es mit der Möglichkeit, im Rahmen der normalen Logik auszudrücken, wer eine gegebene Norm erlassen hat, und, an wen sie sich richtet? Auch hier können wir uns darauf beschränken zuzusehen, wie reale Gesetze dies bewerkstelligen. Wer Adressat einer gesetzlichen Vorschrift ist, ergibt sich in aller Regel aus der Vorschrift selbst: es handelt sich ja um 193 Vgl. zu dem Problem der Übersetzung der „wenn-dann“-Verknüpfung in einem ähnlichen Fall, F. von Kutschera, (Fn. 106), S. 28. 194 G. H. Von Wright (Fn. 30), S. 104. In J. Hansens imperativischer Semantik lässt sich dies allerdings einfach bewerkstelligen, (Fn. 16), S. 90. 53 die Personen, die die im Tatbestand formulierten Voraussetzungen erfüllen können (oder um dies technischer auszudrücken: die Personen, deren Namen man sinnvollerweise an die Stelle bestimmter Variablen der deskriptiven Komponente des Normsatzes setzen kann). Doch mögen hier auch ergänzende (Meta-)Vorschriften relevant sein, die den Geltungsbereich des Gesetzes genauer festlegen, indem sie zum Beispiel die Menge aller Personen auf die der strafmündigen Menschen einschränken oder auf bestimmte Berufsgruppen oder auf juristische Personen oder unter ihnen auf Gesellschaften einer bestimmten Rechtsform etc. Hinweise darauf, wer eine gesetzliche Vorschrift erlässt oder erlassen hat, stehen dagegen im allgemeinen nicht in dieser Vorschrift selbst, sondern in der Eingangsformel des Gesetzes. Dass die normgebende Instanz anders als die Normadressaten in der Norm selbst nicht vorkommt, ist nun allerdings auch nicht verwunderlich: Den Inhalt von Rechtsnormen macht ja der Zustand aus, den die Normadressaten herstellen sollen. Zwar kommt es für die Frage, ob eine Norm gilt, darauf an, wer sie erlassen hat und ob dies im Rahmen der aus höherrangigem Recht sich ergebenden gesetzgeberischen Befugnisse geschehen ist. Hat man sich aber vergewissert, dass eine Norm (in einem zu definierenden Sinn) gilt, und geht es um den konkreten Inhalt dieser Norm, so kommt es darauf, von wem sie stammt, nicht weiter an. Der Wert der Magna Charta bestand gerade darin festzustellen, dass auch die normgebenden Instanzen selbst Normadressaten sind, und die Konstitution der französischen Revolution von 1791 hat dies mit der Formel „Il n'y a pas en France d'autorité supérieure à la loi“ zum Ausdruck gebracht. b) Nach J. Hansen stellt „die Repräsentation genereller Normen und von Normen, die die Erzeugung von Normen regeln, ... weitere Herausforderungen für die Entwicklung einer imperativbzw. normbezogenen Semantik für die deontische Logik dar.“195 So müsste man, wie Hansen feststellt, für das generelle Gebot, nicht zu lügen, zur Menge der betrachteten Imperative für jeden Normadressaten und jede Gelegenheit zu lügen, einen (von den übrigen Imperativen unabhängigen) individuellen Imperativ hinzufügen, der die Normadressaten verpflichtet, bei diesen Gelegenheiten nicht zu lügen. 196 Das ist, wie man sieht, eine praktisch gar nicht realisierbare Aufgabe. In unserer Konzeption entsprechen den Imperativen der Hansenschen deontischen Logik dagegen die Normsätze des betrachteten Normensystems, und deren (mit den Mitteln der 'normalen' Logik ausdrückbaren) deskriptiven Komponenten repräsentieren generelle Rechtsnormen unmittelbar. In ihrem Tatbestand gibt man sowohl die 'Gelegenheiten', bei denen bestimmte Verhaltensweisen zu Rechtsfolgen führen, als auch diese Verhaltensweisen selbst durch allgemeine Termini wieder; und dabei verwendet man für die Normadressaten Variablen, an deren Stelle sich Namen individueller Normadressaten einsetzen lassen.197 Auch die logische Form von Vorschriften, die in einer Rechtsordnung speziellen Funktionen dienen – Hansen nennt Legaldefinitionen, Verfahrensvorschriften, ermächtigende Normen, Normen, die die Erzeugung von Normen regeln, und Prinzipien198 – ist in unserem Rahmen ohne zusätzliche formalen Mittel darstellbar. 199 Resümee Unsere Ausgangshypothese, dass man sich in der formalen Argumentation, in der Rechtsnormen als Prämissen vorkommen, auf die Aussagen- und Prädikatenlogik beschränken könne, bedarf nach alledem einer gewissen Korrektur. Doch scheint man, wenn man von Normsätzen gegebener Normensysteme und unserem „Konsistenzprinzip“ ausgeht, neben der normalen Logik mit einem elementaren Teil der deontischen Logik zusammen mit einer speziellen Form des Modus ponens auszukommen. Wenn dies so ist, so besteht der Vorzug unserer Konzeption natürlich gerade darin, einfacher als fast alle in Frage kommenden Alternativen zu sein. Weder ist es dann insbesondere nötig, eine Logik der Rechtsnormen ganz neu aufzubauen, wie W. Krawietz meint. Noch braucht 195 Ebd., S. 280. 196 Ebd., S. 93. 197 Eine andere Frage ist es, ob es möglich ist, das für die Gesetzesartigkeit anscheinend wesentliche Allgemeinheitskriterium (oder die 'unbestimmte Vielheit' – sei es von Personen, sei es von Sachverhalten) auf rein logische Weise zu charakterisieren – das ist nicht der Fall; vgl. dazu J. Rödig, „Zum Begriff des Gesetzes in der Rechtswissenschaft“, in: Theorie der Gesetzgebung, hg. von J. 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