Leseprobe - beck

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2.1 Manuelle Therapie 131
Tab. 2.1 Behandlungsziele manueller Physiotherapie und entsprechende Techniken
1. Fazilitierung von Muskelkontraktion
±
±
±
±
±
Propriozeptive Techniken
Massage
Manuell gegebener Widerstand
Muskeldehnungsreflex
Passive Bewegung
2. Mobilisierung
Im Hinblick auf Knochen/Gelenke:
Sakrokokzygealgelenk
± Passive Bewegung
± Muskelenergie
± Gelenkmobilisierungen
Haut, Muskeln, Faszien
± Massage
± Myofascial Release
± Dehnung
± Muskelenergie
3. Kra
Èftigung
Fazilitierungstechniken (fu
Èr Muskeln, die beim Test
mit niedrigem Grad abgeschnitten haben),
siehe oben
Manuell gegebener Widerstand
± Stra
Ènge des M. pubo-vaginalis, M. pubo-rectalis
und M. pubo-coccygeus
± Posteriore Vaginalwand
± Anorektaler Winkel
± Posteriore Fasern des Beckenbodens
(M. iliococcygeus, M. coccygeus)
4. Normalisierung des Tonus
Hypotonizita
Èt
± Fazilitierungstechniken
± Manuell gegebener Widerstand
Hypertonizita
Èt
± Muskelenergie-Techniken
± Massage
± Propriozeptive Techniken
± Druck auf Triggerpunkte
± Myofascial Release
5. Modifizierung von Schmerz
±
±
±
±
±
Muskelenergie-Techniken
Massage
Propriozeptive Techniken
Druck auf Triggerpunkte
Myofascial Release
Abb. 2.1 Propriozeptive Fazilitierung durch Druck.
Verletzung, abnormalem Tonus oder NervenschaÈdigung Schwierigkeiten haben, diese Muskeln zu
kontrahieren. Fazilitierung ist angezeigt, wenn
eine Patientin diese Muskeln nicht oder nur inadaÈquat kontrahieren kann oder wenn die Kontraktion hinsichtlich ihrer StaÈrke, Dauer oder
Leichtigkeit der Aktivierung nicht immer gleich
ausfaÈllt.
Einfacher gerichteter Druck kann zur propriozeptiven Fazilitierung (Cotelle 1990) benutzt werden. FuÈr ein aÈuûerliches Vorgehen wird die Kuppe
von Daumen oder Zeigefinger uÈber die Schamlippen gelegt und nach innen, zur Vagina hin, gedruÈckt. Wenn dann die Patientin gebeten wird,
den Beckenboden zu kontrahieren, fuÈhlt sie den
Druck und stellt die neuromuskulaÈre Verbindung
her (Abb. 2.1). Es kann auch Tapping eingesetzt
werden, mit schnellem, aufeinander folgendem
leichten Beklopfen der HautoberflaÈche uÈber der
jeweils fraglichen Muskelgruppe. Sowohl direkter
Druck als auch Tapping-Verfahren erweisen sich
als noch wirksamer, wenn sie durch vaginale
oder anale Palpation intern, direkt uÈber dem Muskelbauch, angewendet werden.
Auch mit Massage kann fazilitiert werden. Mit
perinealer, uÈblicherweise interner Massage kann
die Durchblutung und propriozeptive Bewusstheit
verbessert werden. Am besten sind dazu die Finger gekruÈmmt; mit zwei Fingern wird durch vaginale Palpation die superiore OberflaÈche des pubokokzygealen Anteils des M. levator ani massiert
(Abb. 2.2). Mit sanftem, aber festem Druck wird
von anterior nach posterior massiert, vom Schambein zum Steiûbein, dann wird mit dem Druck
nachgelassen und erneut begonnen, wieder von
anterior nach posterior. Um die groÈûtmoÈgliche
Wirkung zu erreichen, wird erst eine, dann die
andere Seite massiert. Besonders nuÈtzlich ist
dies bei Patientinnen mit asymmetrischer Muskelkraft. Auch tiefere Massage kann vaginal
Carriére, Beckenboden (ISBN 3131300019) © 2003 Georg Thieme Verlag
132 2 Behandlungstechniken
laÈre Stimulation zu nutzen. Die Patientin kann
auch gebeten werden, zu kontrahieren, waÈhrend
der Reflex hervorgerufen wird.
Patientinnen, die schon irgendeine Form von
Kontraktion hervorbringen, koÈnnen vom manuellen Widerstand als fazilitierender Technik profitieren. Wenn so viel Druck gegen den Muskelbauch angewendet wird, dass der Muskel seine
Lage nicht veraÈndern kann, muss er isometrisch
arbeiten; es werden mehr Muskelfasern angeregt,
aktiv zu werden, und dies mit groÈûerer IntensitaÈt.
Abb. 2.2 Propriozeptive Fazilitierung durch
Massage.
durchgefuÈhrt werden; dazu wird auf jeder Seite
fester Druck auf den iliokokzygealen Anteil des
M. levator ani ausgeuÈbt. Diese Techniken lassen
sich auch zur Fazilitierung mittels analer Palpation anwenden.
Passive Mobilisierung des Weichteilgewebes
kann ebenfalls eine Kontraktion des Beckenbodens fazilitieren. Wenn die Patientin nicht genug
Kraft aufbringen kann, um den Muskel vollstaÈndig
zu mobilisieren, kann die Therapeutin die Kontraktion unterstuÈtzen, indem sie den Beckenboden nach superior mobilisiert (Chiarelli 1992).
Fester Druck wird auf die OberflaÈche des Perineums ausgeuÈbt; waÈhrend die Patientin gebeten
wird, zu kontrahieren, wird auf beiden Seiten
nach superior gedruÈckt. Mithilfe dieser UnterstuÈtzung kann die Patientin die Bewegung einer vollen Kontraktion spuÈren, selbst wenn sie sie nicht
voÈllig selbst durchfuÈhren kann.
Auch den Muskeldehnungsreflex kann die Physiotherapeutin zur Fazilitierung einer Kontraktion
nutzen (Caufriez 1988, 1989). Mithilfe des Bulbocavernosus-Reflexes wird durch eine schnelle
Dehnung am Eingang der Vagina eine Reflexkontraktion des Beckenbodens hervorgerufen, die
dann zur FoÈrderung der Propriozeption und zur
Fazilitierung genutzt wird. Um den Reflex hervorzurufen, werden zwei Finger in die Vagina gelegt.
Durch Druck auf das Centrum tendineum perinei
werden die Gewebe zuerst sanft in posteriore
Richtung und nach lateral, zum Tuber ischiadiacum hin, gezogen, bis ein gewisses Maû von Spannung erreicht wird. Dann wird eine Dehnung von
kurzer Dauer und groûer IntensitaÈt in postero-lateraler Richtung durchgefuÈhrt, um reflektorisch
eine Kontraktion an Sphincter ani und Beckenboden hervorzurufen. Nachdem der Reflex ausgeloÈst
wurde, wird die Patientin gebeten, aktiv zu kontrahieren und so die gerade erlebte neuromusku-
2.1.2 Mobilisierung
EingeschraÈnkte Beweglichkeit von Strukturen und
Geweben innerhalb des Beckenbodens kann zu
Symptomen wie Schmerz und/oder verminderter
KontraktilitaÈt beitragen (Travell 1983). EinschraÈnkungen koÈnnen auf der Ebene von Knochen/Gelenken vorliegen oder gewebebezogen sein, auf
der Ebene von Haut, Muskeln oder Faszien (Tousignant 1989). Im Rahmen einer differenzierten
Befunderhebung zum Beckenboden sollten auch
die Gewebebeweglichkeit untersucht sowie Ruheposition und passive Bewegungen im Sakrokokzygealgelenk beurteilt werden. In Ruhe ist das
Sakrokokzygealgelenk um etwa 30h gebeugt, und
sein Bewegungsausmaû hinsichtlich FlexionExtension sollte etwa 30h betragen (Thompson
1977).
Massagetechniken koÈnnen eingesetzt werden,
um gewisse EinschraÈnkungen bei Weichteilgewebe zu mobilisieren. Die oben beschriebene
grundlegende Massagetechnik ist, wenn sie mit
geeignetem Druck und adaÈquater Dehnung
durchgefuÈhrt wird, eine sehr nuÈtzliche Mobilisierungstechnik. Quermassage kann hinzukommen,
im rechten Winkel zu den Muskelfasern, um
zum Aufbrechen von AdhaÈsionen und zur Mobilisierung beizutragen. Myofascial Release ist eine
weitere manuelle Technik, bei der sanfter, aber
stetiger Druck ausgeuÈbt wird, um Beweglichkeit
und Funktion der myofaszialen Komponente des
Gewebes zu verbessern (Travell 1983). Mit inwendig ausgeuÈbtem gerichteten Druck auf die
superiore OberflaÈche des Beckenbodens regt die
Therapeutin die LoÈsung von Geweben aus Verspannungen und ihre Mobilisierung an. Bei Myofascial Release arbeitet man sich durch die verschiedenen Schichten des Widerstands durch, da
anhaltender Druck die LoÈsung von einer nach
der anderen faszialen und muskulaÈren Schicht
aus Verspannungen ermoÈglicht. Ist die Beweglichkeit verbessert, kann es sein, dass sich eine Mus-
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2.1 Manuelle Therapie 133
Auch eine Gelenkmobilisierung akzessorischer
Bewegungen, etwa Traktion, Seitneigung und
Vor- und RuÈckgleiten, kann in der sakrokokzygealen Gelenklinie durchgefuÈhrt werden (Abb. 2.3).
Zur UnterstuÈtzung haben sich dabei Muskelenergietechniken in Verbindung mit Gelenkmobilisierung als sehr hilfreich erwiesen.
2.1.3 Kra
Èftigung
Abb. 2.3 Gelenkmobilisierung akzessorischer
Bewegungen in der sakrokokzygealen Gelenklinie.
kelkontraktion leichter durchfuÈhren laÈsst und der
Schmerz abnimmt.
Auch Dehnungstechniken werden zur Mobilisierung eingesetzt. Angesichts der trichterfoÈrmigen Konfiguration der Muskulatur kann VerlaÈngerung durch eine sanfte, aber feste Dehnung in
Richtung der Muskelfasern angeregt werden, die
mindestens 20 Sekunden lang beibehalten wird.
Dehnungstechniken koÈnnen auch am Eingang
der Vagina zur Mobilisierung von Haut und Bindegewebe eingesetzt werden, beispielsweise bei
Patientinnen mit entsprechender Dyspareunie.
Muskelenergietechniken gehoÈren zu den nuÈtzlichsten Mobilisierungstechniken fuÈr den Beckenboden, denn sie sind uÈblicherweise sehr wirksam
und ganz schmerzlos. Da es zur Muskulatur des
Beckenbodens keine wirklich antagonistische
Muskelgruppe gibt, wird eine Kontraktion des
Agonisten zur nachfolgenden Entspannung eingesetzt. Kann die Patientin schmerzfrei gegen Widerstand kontrahieren, fuÈhrt sie eine maximale
Kontraktion gegen den Widerstand der Finger
der Therapeutin durch. Daraufhin kommt es zu
einer vollstaÈndigeren Entspannung als erwuÈnschtem Ergebnis, und anschlieûend kann eine manuelle Dehnungstechnik zur optimalen Mobilisierung eingesetzt werden. Dies ist eine interne
Technik.
Wenn die Beweglichkeit auf der Ebene von
Knochen/Gelenken eingeschraÈnkt ist, koÈnnen vielleicht spezifische Mobilisierungen des Sakrokokzygealgelenks eingesetzt werden (Tousignant et
al. 1995). Dieses Gelenk wird am besten beidhaÈndig palpiert, mit einem inwendig palpierenden
Finger auf dem anterioren Aspekt des Steiûbeins
und einem posterior von auûen palpierenden Finger. Auf diese Weise kann das Gelenk passiv uÈber
seinen ganzen Bereich bewegt werden, von Flexion zu Neutralstellung und wieder in Flexion.
Ein geschwaÈchter Beckenboden kann zu Problemen fuÈhren, die von Inkontinenz bis zu Prolaps
und sexueller Dysfunktion reichen (Bourcier
1991). Wie andere Muskeln des menschlichen
KoÈrpers kann auch die Beckenbodenmuskulatur
nach der Oxfordskala bezuÈglich ihrer StaÈrke eingestuft werden:
x 0 ˆ keine Kontraktion
x 1 ˆ Andeutung von Kontraktion
x 2 ˆ wahrnehmbare Kontraktion
x 3 ˆ gute Kontraktion, wenn kein Widerstand
vorliegt
x 4 ˆ Kontraktion kann ma
È ûigem Widerstand
standhalten
x 5 ˆ Kontraktion kann maximalem Widerstand standhalten.
Zur KraÈftigung von Muskulatur, die niedrig eingestuft wurde, koÈnnen Fazilitierungstechniken eingesetzt werden, wie sie an vorangehender Stelle
beschrieben wurden. Bei Muskeln, die im Test
niedrig eingestuft werden, findet oft nur eine unvollstaÈndige Rekrutierung statt, und eine StaÈrkung der Rekrutierung wird auch die Kontraktion
kraÈftigen (Gardiner 1976). Ist der Beckenboden
erst einmal kraÈftig genug, um eine adaÈquate Kontraktion (also vom Grad 3) hervorzubringen, sollten Widerstandstechniken folgen. Der Widerstand
wird immer mehr gesteigert, um den Muskel zu
seiner KraÈftigung schlieûlich maximal zu belasten.
Manueller Widerstand kann global gegeben
werden, indem Druck in posteriorer Richtung
gegen das Centrum tendineum perinei ausgeuÈbt
wird. Dies ist eine interne Technik. WaÈhrend die
Patientin gebeten wird, den Beckenboden zu kontrahieren, gibt die Therapeutin mit einem oder
zwei inwendig gegen den inferioren Anteil der
posterioren Vaginalwand und den vestibulaÈren
Bereich gelegten Fingern Druck (Abb. 2.4). Der
Druck kann abgestuft werden, um eine Verlagerung der Gewebe zuzulassen ± Widerstand wird
uÈber den ganzen Bereich gegeben ± oder er kann
maximal sein, um Verlagerung zu verhindern.
Carriére, Beckenboden (ISBN 3131300019) © 2003 Georg Thieme Verlag
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