Emotionspsychologie Universität Fribourg, HS2012 Veranstalter: Rainer Reisenzein Neurowissenschaftliche Emotionstheorien II: Die Limbische-System Theorie der Emotionen und das Dreieinige Gehirn (Triune Brain) Rainer Reisenzein, Emotionspsychologie 1 Literatur (für Interessierte): • • LeDoux, J. E. (1998). The emotional brain: the mysterious underpinnings of emotional life. New York: Simon & Schuster. Teil 5 (= §7.5) von Reisenzein, R., & Horstmann, G. (2006). Emotion. In H. Spada (Hrsg.), Lehrbuch Allgemeine Psychologie. Bern: Huber. Rainer Reisenzein, Emotionspsychologie 2 Die Limbische-System-Theorie der Emotionen von Papez und MacLean /1 • James Papez (1937); Paul MacLean, 1952: Verfeinerung der Theorie Cannons (MacLean baut stark auf Papez auf) James Papez (1883-1958); Neurologe Paul MacLean (geb.1913); USPsychiater; 1971-1985 Leiter des Laboratory of Brain Evolution & Behavior in Poolesville, Maryland • Hauptthese MacLeans: Neuroanatomisches Substrat der Emotionen ist das Limbische System (von lat. Limbus = Rand, Saum) • LS (neuroanatomisch) = Gruppe von miteinander verbundenen • subkortikalen Strukturen (u.a. Kerne des Thalamus und Hypothalamus; Amydala) und • kortikalen Strukturen (u.a. Cingulärer Kortex [gyrus cinguli], Hippokampus). Rainer Reisenzein, Emotionspsychologie 3 Die Limbische-System-Theorie der Emotionen /2 Abgrenzung des Limbischen Systems durch MacLean • Neuroanatomisch: LS ist ein neuroanatomisch abgrenzbares Subsystem (Idee: miteinander eng verbundene Strukturen, nur an bestimmten Schnittstellen mit dem Rest des Gehirns verbunden) • Funktional (= nach der Funktion): LS ist das neurale Substrat der Emotionen • Entwicklungsgeschichtlich: LS ist nach MacLean Weiterentwicklung des phylogenetisch alten Riechhirns • Soll Sinnesinformationen nach wie vor nur nichtsymbolisch (d.h., nach Qualität und Intensität) repräsentieren. • Neokortex ist dagegen entwicklungsgeschichtlich jüngere Weiterentwicklung von Arealen, die ursprünglich mit dem Seh-, Hör-, und Tastsinn verbunden sind • Neokortex ermöglicht symbolische Repräsentationen. Rainer Reisenzein, Emotionspsychologie 4 Zentrale Komponenten des Limbisches Systems/1 Mamillarkörper 5 Rainer Reisenzein, Emotionspsychologie Zentrale Komponenten des Limbischen Systems (markiert) /2 = Gyrus cinguli Thalamus = Mammilarkörper Rainer Reisenzein, Emotionspsychologie 6 Die Limbische-System-Theorie der Emotionen /3 MacLeans Schlussfolgerungen • Im menschlichen Gehirn existieren gleichzeitig zwei entwicklungsgeschichtlich unterschiedliche Strukturen • altes "vizerales Gehirn" (= limbisches System) • relativ junges "Wortgehirn" (= Neokortex). • Die zwei "Gehirne im Gehirn" erschaffen im Erleben zwei unterschiedliche, teilweise unvereinbare subjektive Welten. • Æ Erklärt den Unterschied, und manchmal Konflikt, zwischen Kognition und Emotion, zwischen Vernunft und Gefühl 7 Rainer Reisenzein, Emotionspsychologie Die Limbische-System-Theorie /4 MacLeans Theorie des dreieinigen Gehirns • Später (um 1965) unterscheidet MacLean noch ein 3. "Gehirn im Gehirn" → "Theorie des dreeinigen Gehirns" (Triune Brain): • Reptiliengehirn (Hirnstamm) • Altsäugergehirn (Limbisches System) • Neusäugergehirn (Neokortex) • die drei "Gehirne im Gehirn" sind hierarchisch übereinander gelagert Rainer Reisenzein, Emotionspsychologie 8 Probleme der Limbischen System-Theorie • Anders als MacLean behauptet, ist das LS nicht eindeutig vom Rest des Gehirns abgrenzbar: • Neuroanatomisch: Strukturen des LS sind nicht nur untereinander verbunden, sondern auch mit vielen anderen Hirnregionen • Æ es ist schwierig zu sagen, was zum LS gehört und was nicht • Funktional: Einige der zum LS gerechneten Hirnstrukturen haben keine primär emotionale Funktion • Bsp: Hippocampus (nach MacLean der Ursprung der Signale, die als Gefühlse erlebt werden) ist tatsächlich hpts. für die Konsolidierung von Erinnerungsspuren zuständig • Entwicklungsgeschichtlich: Neuere Untersuchungen stellen die Unterscheidung zwischen "alten" und "neuen" Hirnstrukturen in Frage • alle Teile des Gehirns inkl. des Neokortex scheinen bereits im Wirbeltiergehirn vorhanden zu sein, wenn auch in unterschiedlicher Form und unterschiedlichem Umfang Rainer Reisenzein, Emotionspsychologie 9 MacLeans Belege für die Rolle der Amygdala bei Emotionen • Klüver und Bucy (1939): Operative Entfernung des Temporallappens inklusive Amygdala bei Rhesusaffen Æ weitgehende Eliminierung von motorischen und vokalen Angst- und Wutreaktionen • Spätere Nachuntersuchungen zeigen: Verantwortlich dafür war Entfernung der Amygdalah (z. B. Weiskrantz, 1956; vgl. Davis & Whalen, 2001). • Elektrische Stimulation der Amygdala bei Katzen und Affen Æ Auslösung von stereotypisierten Verhaltensweisen und physiologische Reaktionen, die mit Emotionen (insbesondere Furcht) in Verbindung stehen (s. auch Davis & Whalen, 2001). • Patienten mit Epilepsie im Amygdalabereich: berichteten, dass kurz vor epileptischem Anfall emotionale Erlebnisse ohne erkennbaren äußeren Anlass auftreten (meistens Angst; aber auch Traurigkeit, Sehnsucht, Ärger; MacLean, 1993; Gloor, 1992). Rainer Reisenzein, Emotionspsychologie 10 Die Theorie von LeDoux • Joseph LeDoux (geb. 1949) • Prof. für Neuroscience und Psychologie an der New York University • Direktor des Zentrums für Neuroscience of Fear and Anxiety • Eigentlich eine neurowissenschaftliche Theorie der Furcht • In mehreren Hinsichten der Theorie Cannons ähnlich • Fokus auf Furcht (bei Cannon war es: Furcht und Wut) • Postuliert wie Cannon zwei neurale Pfade der Furchtauslösung, einen subkortikalen und einen kortikalen Pfad • Jedoch: Schlüsselstruktur der Entstehung von Furcht ist die Amydala Rainer Reisenzein, Emotionspsychologie Primärer sensorischer Kortex Theorie von LeDoux 5 Assoziationskortizes 6 2b Amygdala 2a Sensorische Kerne des Thalamus 1 Emotionaler Reiz • • • 11 3 Efferente Kerne im Hypothalamus und Hirnstamm 4 • Subkortikaler Pfad: (spricht nur auf einfache Reize an): Sinnesorgan Æ sensorische Kernen im Thalamus (1) Æ lateraler Kern der Amygdala (2a) Æ zentraler Kern der Amygdala Æ Kerngebiete im Hypothalamus und Hirnstamm (3; Reaktionsprogramme) Æ primitive Defensivreaktionen (4; z. B. reflexartige Flucht, Erstarren, physiologische Aktivierung). Körperliche Reaktion Kortikaler Pfad: Sinnesorgan ÆThalamus (1) Æ primärer sensorischer Kortex (2b) Æ weitere Rindenareale (5) Æ über verschiedene Pfade zurück in die Amygdala (6) Æ Hypothalamus (3) Æ Reaktionen (4). Ermöglicht Furchtreaktionen auf komplexere Objekte; erlaubt Berücksichtigung des Kontexts. Kortikale Prozesse sind außerdem von entscheidener Bedeutung für alle Reaktionen, die über primitive Defensivreaktionen hinausgehen (Handlungen; LeDoux, 1998) Rainer Reisenzein, Emotionspsychologie 12 Gefühlserleben in der Theorie von LeDoux • LeDoux misst Gefühlserleben keine bevorzugte Bedeutung zu • trotzdem einige Spekulationen zur Entstehung von Gefühlen (LeDoux, 1998; LeDoux & Armony, 1999). • Grundannahme (Æ lokalisationistisches Grundprinzip): auch bewusstes Erleben beruht auf Aktivität in einem bestimmten Hirngebiet, dem dorso-lateralen präfrontalen Kortex. • DLPFK ist von zentraler Bedeutung für das Arbeitsgedächtnis • Im DKPFK entstehen nach LeDoux auch die Gefühle. • Speziell Gefühl der Furcht: entsteht durch Integration einer Reihe unterschiedlicher Informationen: • (kortikale) Wahrnehmung von Reizen • kortikale Erregung, die von der Amygdala ausgelöst wird • Rückmeldungen peripher-physiologischer Reaktionen • → Gefühlstheorie von LeDoux ist der Theorie von Schachter ähnlich • Wie die Integration der Komponenten in ein bewusstes Gesamterleben vor sich geht, wird von LeDoux (im Unterschied zu Schachter) aber nicht spezifiziert. Rainer Reisenzein, Emotionspsychologie 13 Belege für einen subkortikalen Pfad der Furchtentstehung • LeDoux u. Mitarbeiter: Untersuchungen zum Furchterwerb durch klassisches Konditionieren bei Ratten • In beiden Hemisphären Zerstörung von entweder auditivem Kortex oder auditivem Thalamuskern • Anschließend klassische Furchtkonditionierung (CS = Ton, UCS = elektrischer Schlag) • Ratten mit Läsion im auditiven Kortex: konnten weiterhin furchtkonditioniert werden • Anzeichen von Furcht im Verhalten (Erstarren, Hemmung des Trinkens) und physiologischen Reaktionen (beschleunigter Herzschlag, Blutdruckanstieg) • Ratten mit Läsion im auditiven Thalamuskern: konditionierte Furchtreaktion konnte nicht mehr etabliert werden. • Schlussfolgerung: Auditiver Kortex ist für Furchtkonditionierung verzichtbar, nicht aber Thalamus Rainer Reisenzein, Emotionspsychologie 14 Belege für die Bedeutung der Amygdala für die Furchtkonditionierung • Injektion von Tracern ("Spurenverfolgern") zeigte: mehrere kortikale Regionen bekommen Zuleitungen vom Thalamus, u. a. Amygdala • Anschließende Läsionsuntersuchungen zeigten: entscheidend für Furchtkonditionierung ist die Zuleitung zur Amygdala • nur die Unterbrechung dieser Verbindung verhinderte die Furchtkonditionierung • Untersuchungen beim Menschen mit Läsionen im Amygdalabereich: fanden, dass diese ebenfalls nicht mehr bzw. nur mehr eingeschränkt furchtkonditioniert werden konnten • Neuro-Imaging-Untersuchungen (PET, fMRI) beim Menschen Æ Amygdala ist bei Furcht aktiviert Rainer Reisenzein, Emotionspsychologie 15 Ist Amygdala das neurale Substrat von Furcht? • Einige Theoretiker der diskreten Basisemotionen haben diesen Schluss gezogen • Andere Autoren betrachten Amygdala dagegen als Grundlage eines allgemeineren "Unlust-Vermeidungs"Systems (z. B. Lang, 1995) • Neuere Untersuchungen zeigen Amygdala-Aktivierung auch bei anderen negativen Emotionen • Einige Studien fanden sogar Amygdala-Aktivierung durch bestimmte positive Reize Rainer Reisenzein, Emotionspsychologie 16 Ist die Amygdala für das Erleben von Emotionen notwendig? • Frage noch nicht endgültig geklärt; bisherige Evidenz spricht jedoch eher dagegen • Sorgfältigste Untersuchung bislang: • Anderson & Phelps (2002): fanden bei 30 Patienten mit einseitigen und in einem Fall 2-seitiger Läsion der Amygdala keine Hinweise auf reduziertes Gefühlserleben (inkl. Furcht) Rainer Reisenzein, Emotionspsychologie 17