Die häufigsten Sexualstörungen bei Diabetikern

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Erektile Dysfunktion, Anorgasmie
Die häufigsten Sexualstörungen
bei Diabetikern
L. Schaaf
Sexuelle Funktionsstörungen sind bei Diabetikern relativ häufig und
sollten deshalb bei jeder Anamnese mit angesprochen werden. Allgemeinund Hausärzten, die die Gesamtsituation dieser Patienten oft am besten
kennen, kommt dabei eine besondere Rolle zu. Der nachfolgende Beitrag
zeigt Unterschiede zwischen Männern und Frauen auf und er­läutert, was Sie
bei Diagnostik und Therapie beachten müssen.
Epidemiologie
Prof. Dr. med.
Ludwig Schaaf
Prävalenz und Pathophysiologie bei
Männern
Internist, Endokrinologe, Diabetologe,
Max-Planck-Institut
für Psychiatrie,
München
Zur Prävalenz der erektilen Dysfunktion
finden sich sehr variable Angaben:
Bis zu 50% bei Typ-1- und bis zu 90%
bei Typ-2-Diabetikern [4]. Beim Typ-1Dia­b etiker stehen die Krankheitsdauer und die Blutzuckereinstellung
als Ätiologie der Neuropathie, beim Typ2-Diabetiker vaskuläre Veränderungen,
ein konsekutiver Hypogonadismus und
Die Problematik von sexuellen Funktionsstörungen in ihrer multidimensionalen Entität ist bei Männern meist physiologisch fokussiert: Das häufigste
Symptom, insbesondere beim Diabetiker, ist die erektile Dysfunktion. Daneben bestehen jedoch auch Ejakulationsund Orgasmusstörungen. Ein weiterer
wichtiger Punkt ist ein mögliches Androgendefizit als Folge einer diabetesoder adipositasbedingten Störung der
Hypothalamus-Hypophysen-GonadenAchse. Bei Diabetikerinnen stehen eher
Erregungsdefizite, mangelnde Lubrikation, Orgasmusstörungen oder eine
Dyspar­eunie im Vordergrund (Tab. 1).
Beim Gesamtkomplex dieser Störungen kommt dem Allgemein- bzw.
Hausarzt eine besondere Rolle zu, da er
die Gesamtsituation der Patienten am
besten kennt und es für ihn deshalb
häufig am einfachsten ist, entsprechende
Funktionsstörungen anzusprechen [13].
MMW-Fortschr. Med. Nr. 5 / 2012 (154. Jg.)
Regelmäßiger Sonderteil der
MMW-Fortschritte der Medizin
Herausgeber:
Fachkommission Diabetes in Bayern –
Landesverband der Deutschen Dia­betesGesellschaft,
Dr. med. Andreas Liebl (1. Vorsitzender)
m&i-Fachklinik Bad Heilbrunn
Wörnerweg 30, D-83670 Bad Heilbrunn
Redaktion:
Priv.-Doz. Dr. M. Hummel (Koordination);
Prof. Dr. L. Schaaf (wissenschaftliche
Leitung).
im weiteren Verlauf dann auch eine Polyneuropathie im Vordergrund [2, 5].
Im Sinne von mikrovaskulären Veränderungen sind endotheliale Defekte
eine besonders wichtige Komponente
bei der Pathogenese der erektilen Dysfunktion. Eine verminderte Stickoxydund eine verminderte Prostazyklin-Ausschüttung sind pathognomonisch.
Außerdem spielen mak­rovaskuläre Faktoren eine wichtige Rolle: Dyslipidämie,
arterielle Hypertonie, Nikotingebrauch
etc. Entscheidend ist in diesem Zusam-
© shutterstock
_
MMW-Fortbildungsinitiative:
Diabetologie für den Hausarzt
Bei der Diabetes-Anamnese sollten Sie das Thema „Sexualität“ nicht ausklammern.
Spezielle Fragebögen können Ihnen dabei behilflich sein.
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SEMINAR – FORTBILDUNG
menhang die Tatsache, dass die erektile
Dysfunktion des Man­nes immer ein
Marker für weitere Gefäßerkrankungen
ist, die diagnostisch abgeklärt werden
müssen [9, 13].
Prävalenz und Pathophysiologie
bei Frauen
Etwa 40–50% aller Frauen im Alter von
20–70 Jahren leiden an einem in Tabelle
1 aufgeführten Symptom. Weitere
Hauptfaktoren sind Partnerschaftsprob­
leme und die Wahrnehmung einer
männlichen sexuellen Dysfunktion, die
die Frau auf sich projiziert. Insgesamt
rücken jedoch auch definierbare somatische Ursachen (Neuropathien, Infektionen) im Rahmen des Diabetes mellitus
als pathogenetische Mechanismen in
den Vordergrund [7].
Eine häufige Ursache der Dyspar­
eunie ist die bekannte Anfälligkeit für
Harnwegsinfekte bei Diabetikerinnen.
Nicht unerwähnt bleiben sollte auch
– Tabelle 1
Sexuelle Dysfunktionen bei Mann und Frau
_
Frau
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Mann
Verminderung der Libido als wiederholtes oder dauerhaftes Defizit der
sexuellen Appetenz
S törung der Erregbarkeit bzw. der
vaginalen Lubrikation (Fehlen einer
Antwort auf sexuelle Stimulation)
ysorgasmie (Fehlen des sexuellen
D
Höhepunktes trotz normaler sexueller Erregung)
Schmerzen in der Genitalregion beim
Geschlechtsverkehr (Dyspareunie)
_
Erektile Dysfunktion (Unvermögen,
eine Erektion zu bekommen und/oder
aufrecht zu erhalten)
Ejakulationsstörungen (z. B. Ejaculatio
praecox, Ejaculatio tarda, retrograde
Ejakulation)
_
_
_
Verminderte Libido (Defizit der
sexuellen Appetenz)
Störungen der Intensität des sexuellen
Erlebens
Dysorgasmie
– Tabelle 2
Medikamente, die mit einer erektilen Dysfunktion
assoziiert sein können
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Antihypertensiva
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Thiazide
Betablocker
alziumkanalK
blocker
ACE-Hemmer
Clonidin
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Andidepressiva
Trizyklika
onoamin­
M
oxidasehemmer
(beachten:
selektive Serotoninwiederaufnahmehemmer
können eine
Ejakulation verzögern)
_
Neuroleptika
henoP
thiazine
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Verschiedene
5-Alpha-Reduktasehemmer (Finasterid)
Statine
Fibrate
Cimetidin
Metoclopramid
Allopurinol
nicht steroidale
Antirheumatika
Noxen
Alkohol
Nikotin
Marihuana
Amphetamine
Anabole Steroide
Barbiturate
Opiate
die Depression bei Diabetes mellitus [8,
12.]
Diagnostik
Prozedere beim Mann
Bei Patienten mit Diabetes mellitus ist es
entscheidend, die Sexualität nicht aus
der Anamnese auszuklammern. Häufig
erwarten die Patienten einen Hinweis
vom Arzt, z. B. dass er Erektionsprob­
leme anspricht. Zur ersten Orientierung
ist der Fragebogen „International Index
of Erectile Function“ [11] sehr hilfreich
und sollte sinnvollerweise jedem Diabetiker als Selbstausfüllbogen vorgelegt
werden.
Nach dem Ausschluss möglicher medikamentöser Einflüsse (Tab. 2) sollte
als nächster einfacher Schritt in Ergänzung zum Routinelabor (Lipidstatus,
HbA1c, Elektrolyte etc.) eine endokrinologische Basisdiagnostik veranlasst und
folgende Hormone bestimmt werden:
■ Testosteron,
■ Prolaktin,
■ LH,
■ Estradiol,
■ SHBG,
■ TSH.
Je nach Ergebnis sollten dann evtl.
eine erweiterte vaskuläre Diagnostik
(Urologie: z. B. intrakavernöser Provokationstest), eine Duplexdarstellung der
kavernösen Arterien etc. bzw. neurologische Zusatzuntersuchungen folgen.
Prozedere bei der Frau
Wie beim Mann kann auch bei der Frau
zur Orien­tierung ein Fragebogen zum
Selbstausfüllen dienen (Female Sexual
Function Index) [10]. Entsprechend ist
nach den o. g. Ursachen zu fahnden. Eine weitere spezifische Diagnostik kann
in Zusammenarbeit mit einem Sexualtherapeuten geschehen.
Therapie
Ansätze bei Männern
Im Zentrum der Therapie der erektilen
Dysfunktion steht die Gabe von oralen
Phosphodiesterase-5-(PDE-5-)Inhibitoren. Tabelle 3 gibt einen Überblick
über Dosierung, Wirkeintritt, Wirkdau-
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Fazit für die Praxis
– Tabelle 3
Präparate zur Behandlung der erektilen Dysfunktion
Substanz
Dosierung
Wirkeintritt
Wirkdauer
Sildenafil
25, 50, 100 mg
30–60 min.
bis 12 Std.
Vardenafil
5, 10, 20 mg
30 min.
bis 14 Std.
Tadalafil
5, 10, 20 mg
30–
120 min.
bis 36 Std.
}
Nebenwirkungen
für alle Substanzen
gilt: Kopfschmerzen
(10%), Gesichts­
rötung (≤ 10%), verstopfte Nase (1–10
%), Schwindelgefühl
(< 1% bis ca. 3%)
Kontraindikation: gleichzeitige Gabe von NO-Donatoren (z. B. Nitrate)
– Tabelle 4
Therapie der erektilen Dysfunktion bei Diabetikern
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Grundvoraussetzungen
Veränderung der Lebensgewohnheiten und Modifikation der Risikofaktoren
Psychosexuelle Beratung nach individuellem Bedarf
Endokrinologische Diagnostik und evtl. Ausgleich von hormonellen Defiziten
Therapieoptionen
First-Line-Therapie: _
Phosphodiesterase-5-Inhibitoren
Second-Line-Therapie:
Einsatz der Schwellkörperautoinjektionstherapie (SKAT)
Intraurethrale Applikation von Alprostadil
Vakuumpumpentherapie
Third-Line-Therapie:
Penisschwellkörperimplantate
er und Nebenwirkungen. Die Präparateauswahl richtet sich v. a. nach dem erwünschten Wirkeintritt bzw. der geeigneten Wirkdauer. Die generelle Wirksamkeit liegt bei den jeweils höchsten
Dosen bei ca. 80% [6]. Die maximale Effektivität tritt erst nach ca. acht Anwendungen auf. Grundvoraussetzung ist eine adäquate sexuelle Stimulation.
Aus Compliancegründen sollte zunächst mit einer höheren Dosierung begonnen werden. Bei Erfolg kann später
eine niedrige Dosis versucht werden.
Daraus leitet sich ab: Von einem
Nichtansprechen auf PDE-5-Hemmer
kann nur gesprochen werden, wenn ein
Patient trotz entsprechender sexueller
Stimulation und Mitwirkung der Partnerin nach insgesamt acht Versuchen
nicht in der Lage war, mit der Höchst­
dosierung den Geschlechtsverkehr
mindes­tens ein- bis zweimal erfolgreich
durchzuführen.
Die Therapie der erektilen Dysfunktion bei Diabetikern fasst Tabelle 4 zusammen.
MMW-Fortschr. Med. Nr. 5 / 2012 (154. Jg.)
Ansätze bei Frauen
Im Gegensatz zur Situation bei Männern ist die Datenlage zum Einsatz von
PDE-5-Hemmern bei Frauen nicht eindeutig [1, 3]. Bei den positiven Effekten
stehen sowohl die verbesserte sexuelle
Erregbarkeit als auch die vermehrte Klitorisdurchblutung im Vordergrund. Ansonsten kommen die üblichen Maßnahmen bei Scheidentrockenheit zum Einsatz (topische Östrogene, befeuchtende
Gele). Im Vordergrund der Therapie
steht, das psychosoziale Umfeld zu beeinflussen und partnerschaftliche
Schwierigkeiten zu lösen.
Literatur unter mmw.de
Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. med. Ludwig Schaaf
Max-Planck-Institut für Psychiatrie
Innere Medizin/Endokrinologie und Klinische
Chemie, Kraepelinstr. 10, D-80804 München
und Städtisches Klinikum München GmbH,
Klinikum Schwabing, Klinik für Endokrinologie, Diabetologie, Suchtmedizin, Nuklearmedizin, Kölner Platz 1, D-80804 München
E-Mail: [email protected]
Bei der Anamnese sowohl von Patienten mit Typ-1- als auch insbesondere
von Patienten mit Typ-2-Diabetes
mellitus muss immer an eine mögliche
sexuelle Funktionsstörung gedacht
werden. In jedem Fall muss dies vom
behandelnden Arzt angesprochen
werden.
_
Bei der Stufendiagnostik ist der
Ausschluss von medikamentösen Einflüssen und hormonellen Defiziten entscheidend. Vor allem beim Mann muss
bei einer erektilen Dysfunktion immer
an das Vorliegen relevanter kardiovaskulärer Gefäßveränderungen gedacht
werden („der Penis als Antenne des
Herzens“).
_
Therapeutisch können in der Regel
Phospodiesterase-5-(PDE-5-)-Inhibitoren erfolgreich eingesetzt werden.
Diese dürfen allerdings nur verordnet
werden, wenn gleichzeitig keine
Nitrate bei kardiovaskulären Erkrankungen gegeben werden.
_
Sowohl bei Männern als auch insbesondere bei Frauen müssen bei der
Abklärung von sexuellen Funktionsstörungen psychosoziale Faktoren und
Partnerschaftsfragen berücksichtigt
werden.
Keywords
Diabetes mellitus and Sexuality
(Sexual Dysfunctions in Diabetes
mellitus)
Type 1 diabetes mellitus – Type 2 diabetes mellitus – Erectile dysfunction
– Hormonal deficits – PDE-5-inhibitors
– Psychosocial aspects
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