Version Juni 2009 Doxastische Dynamik 2008-9 Theorien des Überzeugungswandels Zweiter Teil: DL-Theorien André Fuhrmann epistemDynamik2 090623.1801 Übersicht Übersicht (Erster Teil) Epistemische Rechtfertigung · Synchronische versus diachronische Rechtfertigung · Das grundlegende Problem diachronischer Rechtfertigung AGM klassisch · Die klassische Theorie der Überzeugungsdynamik: AGM · Postulate für Kontraktionen und Revisionen · Der Ramsey Test für kontrafaktische Konditonalsätze · Meet contractions · Sphärensysteme 2 Übersicht Zweiter Teil AGM als Modallogik · AGM und Elementare Dynamische Aussagenlogik (EPDL) · Dynamische Doxastische Logic (DDL) · Dynamische Epistemischen Logik (DEL) Anhang über Bisimulation 3 AGM und EPDL AGM und EPDL Einen Satz wie A∈K ∗B lesen wir so: Nachdem K seine Überzeugungen nach B revidiert hat, glaubt er A Die LF des Satzes kann auf verschiedene Weise analysiert werden. Eine, recht natürliche, sieht so aus: • Ein Satz A steht • im Skopus eines epistemischen Operators und dieser wiederum • im Skopus eines Handlungsoperators, der mit einem Satz B parametrisiert ist. Das deutet auf folgende Kombination hin: • Epistemische Logik (mit Glaubensoperator B) und • Dynamische Logik (mit Programmoperatoren [a0 ], [a1 ], [a2 ], . . . ) • jedes Programm ai von der Form ∗hF ormeli (d.i. Revision) oder −hF ormeli (d.i. Kontraktion). 4 AGM und EPDL Dynamische Logik (Erinnerung) Multimodale Logik ist eine Verallgemeinerung der Modallogik mit unären Modalitäten [ai ] (i ∈ N), die jede durch eine binäre Relation Ri auf W × W modelliert wird. Elemantare Dynamische Logik (EPDL) ist eine multimodale Logik unter der Standardinterpretation, daß für jeden Operator [a] der Index a für eine Handlung (ein Programm) steht. [a]B soll dann bedeuten, daß B nach jedem Ablauf von a wahr ist. (Und haiB soll bedeuten, daß es Abläufe von a gibt, nach denen B wahr ist.) Dynamische Logik im eigentlichen Sinne erlaubt es, Resultate komplexer Programme zu beschreiben. Die Komplexität wird erzeugt durch · Verkettung: [a; b]C – b gefolgt von a resultiert immer in C. · Auswahl: [a ∪ b]C – a und b resultieren immer in C. · Loop: [∗ a]C – Beliebige (endliche) Wiederholung von a resultiert immer in C. Es stellt sich heraus, daß nur Loop eine echte Erweiterung von EPDL ist. Loop wird im folgenden nicht betrachtet: Wir bleiben also im Bereich elementarer DL. 5 Dynamische Doxastische Logic (DDL) Dynamische Doxastische Logic (DDL) ... the driving idea of DDL is that formulæ such as [∗A]B are used to express doxastic actions on the same linguistic level on which also the arguments and the outcomes of these doxastic actions are expressed. Since DDL is furthermore motivated by the strong analogy of the operators [∗A] with standard modal operators, the intended semantics of DDL will be a possible worlds semantics ... Leitgeb & Segerberg (2007), 169. Erste Versuche: Fuhrmann (1988, 1989), van Eick (199?), van Benthem (1994). Vorteile von DDL gegenüber AGM : • DDL ist in gutem Sinne ausdrucksstärker als AGM. · Zum Beispiel: B[∗A]BB — (B ∈ K ∗ A) ∈ K ?? • DDL ist in gutem Sinne ausdruckschwächer als AGM. · Die Notation A ∈ K ∗ B täuscht vor, daß der Parameter K genauso variiert werden kann wie A und B. Tatsächlich ist das eine “leere” Möglichkeit, da AGM über solche Variationen nichts zu sagen hat. /... 6 Dynamische Doxastische Logic (DDL) .../ • DDL gibt weiterreichende beweistheoretische Kontrolle über Aussagen betreffend Überzeugungsänderungen. · Zum Beispiel regieren die logischen Gesetze für B auch Formeln wie B[∗A]BB. • DDL erlaubt die Anwendung semantischer Theorien aus der Modallogik. Vorsicht: • Der Ramsey-Test A>B ∈K ⇔B ∈K ∗A trivialisiert die AGM Theorie. • Kein Schema der Form BC(A, B) ↔ [∗A]BB (für alle A und B) darf also Theorem von DDL sein, wenn DDL Übersetzungen der AGM-Postulate Preservation und Consistency enthalten soll. (C(A, B): eine Formel C mit Teilformeln A und B.) 7 Dynamische Doxastische Logic (DDL) Einfachste DDL (Leitgeb & Segerberg 2007.) • Nur “faktische” Überzeugungen • Überzeugungsänderungen nur im Hinblick auf faktische Aussagen. Syntax ATM seien die atomaren Aussagen einer Sprache, FKT seien die faktischen Aussagen, FML die Formeln, so definiert: 1. ATM ⊆ FKT. 2. Wenn A, B ∈ FKT dann ist jede Boolesche Verknüpfung von A und B in FKT. 3. FKT ⊆ FML. 4. Wenn A ∈ FKT, dann BA, KA ∈ FML. 5. Wenn A ∈ FKT und B ∈ FML, dann [A]B ∈ FML. 6. [−A]B := B ∧ [∗¬A]B (“Harper”). Anmerkung: Der Wissensoperator K soll nicht revidierbare Überzeugungen wiedergeben. (Also das, was zum “Urkorpus” (Levi) gehört; bei AGM ist Cn(∅) das Urkorpus.) 8 Dynamische Doxastische Logic (DDL) Axiome Kleinste Erweiterung der klassischen Aussagenlogik so, daß für 2 ∈ {B, K, {[∗A] : A ∈ FKT}}, h∗Ai := ¬[∗A]¬ : 2(A ∧ B) ↔ (2A ∧ 2B) 2> A↔B 2A ↔ 2B Ferner: Closure Success (r2) Inclusion (r3) Preservation (r4) Consistency (r5) Congruence (r6) Supp.1 (r7) Supp.2 (r8) 9 K(A → B) → ([∗C]BA → [∗C]BB) (redundant) [∗A]BA [∗>]BA → BA ¬B⊥ → (BA → [∗>]BA [∗>]B⊥ → K¬A K[A ↔ B] → [∗A]BC ↔ [∗B]BC [∗(A ∧ B)]BC → [∗A]B(B → C) ¬[∗A]B¬B → ([∗A]B(B → C) → [∗(A ∧ B)BC]) Dynamische Doxastische Logic (DDL) Sowie: (Funktion) (KB) (K*K) h∗AiB ↔ [∗A]B KA → BA KA ↔ [∗B]KA Wir nennen das so definierte System BDD (“Basis Doxastic Dynamics”). 10 Dynamische Doxastische Logic (DDL) Semantik Die Idee ist recht einfach: Wir fassen BDD als eine multimodale Logik auf. Dann erwarten wir für jeden Operator 2i eine Interpretation der Art: x |= 2i A gdw ∀y : Ri xy ⇒ y |= A Im uns interessierenden Fall hat 2 Struktur: [∗B]. • Die Theoreme von BDD werden aufgrund dieser Struktur bestimmt; • also muß in der Semantik die zu 2 passende Relation R diese Struktur wiedergeben, irgendwie so: x |= [∗B]A gdw ∀y : R[B] xy ⇒ y |= A, wobei [B] eine die Formel B repräsentierende Proposition ist. • Lösung: Wir adaptieren die Sphärenmodelle für AGM. 11 Dynamische Doxastische Logic (DDL) (Im folgenden nehmen wir an, daß die Grundmengen W unter Vereinigung und endlichem Schnitt abgeschlossen sind.) Ein Sphärensystem S in W ist eine Mengenfamilie in W [6= ∅] so, daß T 1. wenn S eine nichtleere Menge in S ist, dann S ∈ S; 2. S ist vollständig geordnet unter ⊆ (d.h. ∀S1 , S2 ∈ σ : entweder S1 ⊆ S2 oder S2 ⊆ S1 ). 3. ∀P ⊆ W : wenn P 6= ∅, dann gibt es eine kleinste Sphäre S ∈ S mit P ∩ S 6= ∅ (Notation min(S • P ), s.u.). Eine Revisionsstruktur (W, Σ, RP :P ⊆W ) besteht aus • einer nichtleeren Menge W , • einer Menge Σ von Sphärensystemen in W , • für jede Menge P ⊆ W (“Proposition”) eine Relation RP ⊆ Σ × Σ. 12 Dynamische Doxastische Logic (DDL) • Bedingungen: Sei S • P = {S ∈ S : S ∩ P 6= ∅} (Menge aller P -Sphären; falls S • P =, dann ist P in S“nicht vorstellbar”, d.h. P̄ ist im Urkorpus). T 0 P ∩ min(S • P ), falls (S • P ) 6= ∅ 0 1. Wenn RP SS , dann S = (Revision) {∅} anderenfalls. S S 2. W \ S = W \ S0 (∀S, S0 ∈ Σ). (Sphärensysteme groß genug.) 3. ∀S∃S0 : RSS0 . (Revisionen immer möglich.) 4. Wenn RSS0 und RSS00 , dann S0 = S00 . (Revisionen eindeutig bestimmt.) 13 Dynamische Doxastische Logic (DDL) Ein Modell ist eine Revisionsstruktur mit einer Bewertung V der atomaren Formeln. • Wahrheit in einem Modell (relativ zu einem Sphärensystems an einem Punkt): S, w |= P gdw w ∈ V (P ), usw. für ¬, ∧, etc. \ S, w |= BA gdw S ⊆ [A], [ S, w |= KA gdw S ⊆ [A], S, w |= [∗A]B gdw S0 , w |= B, wenn R[A] SS0 . • Gültig in einem Modell: Wahr relativ zu allen Paaren (S, w). Theorem (Segerberg 2005). allen Modellen gültig ist. 14 Eine Formel A ist gd beweisbar in BDD, wenn A in Dynamische Epistemische Logik (DEL) Dynamische Epistemische Logik (DEL) Wie DDL sitzt DEL auf einer epistemischen Logik auf. Im Gegensatz zu DDL ist der wichtige epistemische Operator in DEL nicht ein Glaubens-, sondern ein Wissensoperator, K. Für diese Wahl gibt es einen Grund, den wir gleich kennenlernen werden. Auf eine Kurzformel gebracht, ist DDL = DL + DL, d.h. Dynamische Logik (mit Revisionsprogrammen) auf einer doxastischen (Glaubens-) Logik. Ähnlich ist DEL = DL + EL: Dynamische Logik (mit Expansionsprogrammen) auf einer epistemischen (Wissens-) Logik. Die Kurzformel zeigt an, daß DEL deutlich weniger ambitioniert ist als DDL: Sie behandelt den einfachsten Fall von epistemischer Dynamik, nämlich Expansionen, und beginnt gleich mit starken Annahmen über epistemische Zustände, nämlich daß sie veridisch sind. Genauer gesagt, kombiniert DEL eine multimodale Wissenslogik mit der Logik öffentlicher Verlautbarungen (Public Announcement Logic, PAL). Letzteres ist die dynamische Komponente von DEL. 15 Dynamische Epistemische Logik (DEL) Literaturhinweise [1] Alexandru Baltag and Lawrence S. Moss. Logics for Epistemic Programs. Synthese, 139:165–224, 2004. [2] Alexandru Baltag, Lawrence S. Moss, and Slawomir Solecki. The logic of public announcements, common knowledge, and private suspicions. In TARK ’98: Proceedings of the 7th conference on Theoretical aspects of rationality and knowledge, pages 43–56, San Francisco, CA, USA, 1998. Morgan Kaufmann Publishers Inc. [3] Johan van Benthem. Dynamic logic for belief revision. Journal of Applied NonClassical Logics, 14:1–26, 2004. [4] Hans van Ditmarsch, W. van der Hoek, and B. P. Kooi. Playing Cards with Hintikka: An introduction to dynamic epistemic logic. The Australasian Journal of Logic, 3:108–134, 2005. [5] Hans van Ditmarsch, Wiebe van der Hoek, and Barteld Kooi. Dynamic Epistemic Logic. Springer, Dordrecht, 2008. 16 Dynamische Epistemische Logik (DEL) Sprache und Modelle ATM seien die atomaren Aussagen (p, q, r, ...) einer Sprache. Es sei I eine (nichtleere und abzählbare) Indexmenge (= “Wissenssubjekte”). Die Menge FML der Formeln definieren wir so: 1. ATM ⊆ FML. 2. Jede Boolesche Verknüpfung von Formeln ist eine Formel. 3. Für alle A ∈ FML und i ∈ I ist Ki A ∈ FML. 4. Für alle A, B ∈ FML ist [A]B ∈ FML. 5. Das ist alles. Die Idee ist folgende: ◦ Ki A soll ausdrücken, daß Subjekt i weiß, daß A. ◦ Eine Formel [A]B soll ausdrücken, daß B der Fall ist, nachdem A wahrheitsgemäß verkündet wurde. Also soll zB eine Formel wie [A]KA in unseren Modellen gültig werden. (Wir schreiben schematisch KA wo immer ein beliebiger Index ergänzt werden kann.) 17 Dynamische Epistemische Logik (DEL) Ein epistemisches Modell sieht so aus: M = (S, ∼i∈I , V ). S ist eine nichtleere Menge von Punkten (Welten, “states”); jedes ∼i ist eine Äquivalenzrelation (transitiv, symmetrisch und reflexiv) zwischen Punkten; V verteilt Atome über Punkte. Dann ... M, s |= p gdw s ∈ V (p) ... M, s |= KA gdw ∀t ∈ S : wenn s ∼ t, dann M, t |= A M, s |= [A]B gdw wenn M, s |= A, dann MA , s |= B. 18 Dynamische Epistemische Logik (DEL) Das Modell MA in der letzten Bedingung ist die Einschränkung von M auf A-Punkte. D.h. wenn M = (S, ∼, V ), dann MA = (SA , ∼A , VA ) mit SA = {s ∈ M : s |= A}, ∼A = ∼ ∩ (SA × SA ), VA = V ∩ (ATM × SA ). 19 Dynamische Epistemische Logik (DEL) Frage: Warum ist ∼ eine Äquivalenzrelation? 20 Dynamische Epistemische Logik (DEL) Frage: Warum ist ∼ eine Äquivalenzrelation? Antwort: Dadurch wird K zu einer S5-Modalität. Das gilt als guter und besonders einfacher Kandidat für die Repräsentation von Wissen. Insbesondere gilt dann aufgrund der Reflexivität von ∼, daß KA → A — was für Glauben natürlich nicht gilt! (Wir schreiben gelegentlich se für die Äquivalenzklasse eines Punktes s unter der Relation ∼.) 21 Dynamische Epistemische Logik (DEL) Frage: Warum statt M, s |= [A]B gdw wenn M, s |= A, dann MA , s |= B nicht die einfachere Bedingung M, s |= [A]B gdw wenn M, s |= A, dann M, s |= B ? Denn MA ist doch gerade die Beschränkung auf A-Punkte, die im Antezedent der rechten Seite schon ausgedrückt ist. 22 Dynamische Epistemische Logik (DEL) Frage: Warum statt M, s |= [A]B gdw wenn M, s |= A, dann MA , s |= B nicht die einfachere Bedingung M, s |= [A]B gdw wenn M, s |= A, dann M, s |= B ? Denn MA ist doch gerade die Beschränkung auf A-Punkte, die im Antezedent der rechten Seite schon ausgedrückt ist. Antwort: Wenn B in dieser Klausel eine nichtepistemische Formel ist, zB ein Atom p, dann ist die rechte Seite äquivalent zu wenn M, s |= A, dann M, s |= p. Denn s ist ja genau dann in MA , wenn s |= A in M . Bei der Betrachtung epistemischer Formeln kommen die ∼-Partitionen ins Spiel. Genau die können sich aber beim Übergang von M zu MA —also beim Wegschneiden der APunkte—ändern (siehe die Illustration oben). Hier ist ein Beispiel: Sei B die Formel KA; A kann wahr und KA falsch sein in (M, s). In (MA , s) hat KA jedoch keine Chance falsch zu sein: Denn in MA enthält die Partion, die in M ¬A-Punkte zuließ, nur noch A-Punkte! 23 Dynamische Epistemische Logik (DEL) Frage: Warum statt M, s |= [A]B gdw wenn M, s |= A, dann MA , s |= B nicht die einfachere Bedingung M, s |= [A]B gdw MA , s |= B ? (Also B ist gd wahr in s nach Ansage A, wenn B in s wahr ist, nachdem die nichtA-Punkte weggeschnitten wurden? Das Wegfallen der nicht-A-Punkte ist ja der Effekt der Ansage.) 24 Dynamische Epistemische Logik (DEL) Frage: Warum statt M, s |= [A]B gdw wenn M, s |= A, dann MA , s |= B nicht die einfachere Bedingung M, s |= [A]B gdw MA , s |= B ? (Also B ist gd wahr in s nach Ansage A, wenn B in s wahr ist, nachdem die nichtA-Punkte weggeschnitten wurden? Das Wegfallen der nicht-A-Punkte ist ja der Effekt der Ansage.) Antwort: s könnte ein ¬A-Punkt sein. In dem Fall wäre s ∈ / SA und also |= für (MA , s) nicht definiert. Deshalb erst der Test: M, s |= A? Falls nein, dann gilt M, s |= [A]B trivialerweise; anderenfalls gehen wir weiter zu MA . 25 Dynamische Epistemische Logik (DEL) Die letzte Frage macht zwei Beschränkungen von DEL deutlich. 1. Falsche Ansagen trivialisieren. 2. Ansagen lösen nur Expansionen, keine Revisionen aus. Ad 1 ) Nach Ansage von etwas Falschem, ist beliebiges der Fall: ¬A → [A]B. Die Theorie hat über falsche Ansagen (Lügen oder Irrtümer) nichts interessantes zu sagen. Aufgrund von KA → A T. gilt somit übrigens auch, daß “knowledge-contravening announcements” trivialisieren: K¬A → [A]B. (∗) Wenn wir davon ausgehen, daß alle Ansagen wahrheitsgemäß sind—die Ansagerin ein Orakel ist—, dann ist das harmlos: Der Fall K¬A und eine Ansage von A kann nicht vorkommen. Also kann das trivialisierende Konsequens von (*) nie abgelöst werden. 26 Dynamische Epistemische Logik (DEL) Ad 2 ) Alle Updates in DEL sind Expansionen, nicht Revisionen. Das kommt deutlich in der Gültigkeit des Schemas KA → [B]KA zum Audruck. (Für nichtepistemische (“faktive”) Formeln F gilt sogar F → [B]F .) 27 Dynamische Epistemische Logik (DEL) Unter der Annahme eines Orakels und für zumindest einige Wissensbegriffe muß KA → [B]KA richtig sein. Denn wenn jemand weiß, daß A, dann können weitere Orakelansagen dieses Wissen nicht untergraben. NB : Diese Aspekte sind harmlos oder sogar geboten unter der selbstauferlegten Beschränkung das (monotone) Wachsen von Wissen unter dem Einfluß eines Orakels zu modellieren. Die AGM-Theorie modelliert jedoch die (nichtmonotone) Dynamik fallibler Überzeugungen unter dem Einfluß beliebiger, auch unzuverlässiger Stimuli. Die Annahmen sind also sehr verschieden. 28 Dynamische Epistemische Logik (DEL) Reduktion Spätestens an diesem Punkt ergeben sich zwei Verdachtsmomente zur selben Konklusion. ◦ Wir wissen aus der AGM-Theorie, daß Expansionen mit elementaren logischen Mitteln darstellbar sind. Erinnerung: K + A = Cn(K ∪ {A}), d.h. B ∈ K + A gdw K, A ` B gdw K ` A → B. ◦ Die beiden Schemata ¬A → [A]B und KA → [B]KA bzw. F → [B]F erinnern an Schlüsseleigenschaften der materialen Implikation: ¬A → (A → B) und A → (B → A). • Könnte es sein, daß sich Aussagen der Form [A]B immer auf solche der Form A → B reduzieren lassen? In diesem Fall wäre DEL eine bloß definitorische Erweiterung einer epistemischen Logik für K. 29 Dynamische Epistemische Logik (DEL) Beobachtung. (Plaza 1989, Gerbrandy 1999.) DEL, wie bisher beschrieben kann axiomatisiert werden durch die Postulate einer epistemischen Logik (EL) (für K) zusammen mit den folgenen induktiven Reduktionsaxiomen: [A]p ↔ (A → p), ∀p ∈ ATM [A]¬B ↔ (A → ¬[A]B) [A]B ∧ C ↔ ([A]B ∧ [A]C) [A]KB ↔ (A → K[A]B) Durch Anwendung der Reduktionsaxiome läßt sich also jede DEL-Formel in eine logische äquivalente EL-Formel umformen. 30 Dynamische Epistemische Logik (DEL) Gemeinwissen Jeder Operator Ki zeigt das Wissen eines Subjektes i an. Betrachten wir zwei Subjekte, a und b. Wenn eine Karte ♥ aufgedeckt wird, dann weiß a das und b weiß es auch; also Ka ♥ ∧ Kb ♥. (∗) Wir können auch sagen: Die Gruppe {a, b} weiß, daß ♥. Allgemein können wir eine Modalität für Gruppenwissen (group oder general knowledge) so einführen: Für jede endliche Teilmenge G der Indexmenge I sei EG A := ^ i∈G 31 Ki A. Dynamische Epistemische Logik (DEL) In unserem Beispiel ist nicht nur (*) der Fall. Vielmehr weiß a, daß b weiß, daß ♥. Und das wiederum wissen beide ebenfalls usw.: · · · Kb Ka Kb ♥. Unsere Sprache erlaubt es, die verschieden indizierten Operatoren beliebig (endlich) zu verketten. Eine Formel, die im Skopus einer beliebigen solchen Verkettung steht, nennen wir Gemeinwissen (common knowledge). Wenn unsere Sprache unendliche Konjunktionen erlauben würde, könnten wir Gemeinwissen zB so definieren: C{a,b} ♥ := Ka ♥ ∧ Kb ♥ ∧ Ka Ka ♥ ∧ Ka Kb ♥ ∧ Kb Kb ♥ ∧ Kb Ka ♥ ∧ Ka Ka Ka ♥ ∧ · · · Einfacher ist es, Gemeinwissen als einen primitiven Operator hinzuzunehmen und den Aspekt der unendlichen Verschachtelung in die Interpretation zu verlagern. Das geht wie folgt. 32 Dynamische Epistemische Logik (DEL) Betrachten wir zunächst: s |= Ka Kb A. (1) ∀t : wenn s ∼a t, dann t |= Kb A. (2) (1) ist gd wahr, wenn (2) wiederum ist gd wahr, wenn ∀t∀u : wenn s ∼a t und t ∼b u, dann u |= A. (3) Wenn wir jetzt die Frage stellen, ob A im Skopus beliebiger (endlicher) K-Verkettungen am Punkt s wahr ist, dann fragen wir danach, ob A an jedem Punkt, der mit Verkettungen von ∼a oder ∼b von s aus (endlich) erreichbar ist, wahr ist. Um das kurz und allgemein auszudrücken, sei ∼G der transitive Abschluß der Relation {(u, v) : ∃i ∈ G mit u ∼i v}. Dann M, s |= CG A gdw ∀t : wenn s ∼G t, dann M, t |= A. 33 Dynamische Epistemische Logik (DEL) Beobachtung. (Baltag, Moss und Solecki 1998.) In DEL mit Gemeinwissen funktioniert die Reduktion von DEL- auf EL-Formeln nicht mehr. (Siehe “Playing cards ...”, Ende von Abschn. 5 für ein Gegenbeispiel zum Reduktionsschema [A]CB ↔ (A → C[A]B).) 34 Dynamische Epistemische Logik (DEL) Erfolglose Ansagen In DEL kommen die Ansagen von einem Orakel. Das Subjekt weiß das. Also würde man erwarten, daß nach Ansage A das Subjekt weiß, daß A der Fall ist, d.h. daß das folgende Schema gültig ist: [A]KA. (?) (Ebenso würden wir erwarten, daß [A]A gültig ist.) Sei A nun die sogenannte FitchFormel p ∧ ¬Kp f Dann ... 1 (1) [f ]K(p ∧ ¬Kp) (?) 1 (2) [f ](Kp ∧ K¬Kp) (1), Verteilung vorwärts 1 (3) [f ](KKp ∧ K¬Kp) (2), K → KK 1 (4) [f ]K(Kp ∧ ¬Kp) (3), Verteilung rückwärts 1 (5) [f ]K⊥ (4), Def. ⊥ 1 (6) [f ]⊥ (5), T-Schema 35 Dynamische Epistemische Logik (DEL) Diagnose: Eine Fitch-Formel kann durchaus wahr sein. Aber Ihre Ansage führt zu keinem konsistenten Wissen. Schlimmer noch, die Fitch-Formel ist ein Beispiel einer (wahren) Formel, die durch Ihre Ansage falsch wird, d.h. ein Gegenbeispiel zum Schema [A]A! Denn angenommen es gilt [f ]f . Dann gilt auch K[f ]f . Gültig ist jedoch das Schema K[A]B → [A]KB. Also hätten wir [f ]Kf woraus (s.o.) [f ]⊥ und also ¬[f ]f (¬f ?) folgen würde. (Den letzten Schritt aufräumen!) Van Ditmarsch: f ist ein Beispiel einer erfolglosen Formel. 36 Dynamische Epistemische Logik (DEL) Definitionen (van Ditmarsch): • A ist erfolgreich (successful formula): [A]A ist gültig; anderenfalls ist A erfolglos. • Die Ansage A ist in (M, s) erfolgreich (successful update): M, s |= hAiA; ... erfolglos: M, s |= hAi¬A. M, s |= hAiB gdw M, s |= A und MA , s |= B. (Für die Def. erfolgreicher Ansagen brauchen wir die h−i-Version. Denn angenommen A ist falsch in (M, s), d.h. M, s 6|= A. Dann wäre sowohl [A]¬A als auch [A]A wahr in (M, s) und also müßten wir sagen, daß falsche Ansagen zugleich erfolglos und erfolgreich sein können.) · Erfolgreiche Formeln werden an jedem Punkt (M, s) erfolgreich angesagt. · Eine in (M, s) erfolgreich angesagte Formel kann jedoch erfolglos sein. Aufgabe: Axiomatisiere die Menge der erfolgreichen Formeln! 37 Anhang: Bisimulation Anhang: Bisimulation In PAL/DEL wird manchmal die Relation der Bisimulation zwischen zwei Modellen benutzt. Die Definition ist wie folgt. Seien M1 = (W1 , R1 , V1 ) und M2 = (W1 , R2 , V2 ) (Kripke-) Modelle. Eine (nichtleere) Relation ' ⊆ W1 × W2 ist eine Bisimulation zwischen M1 und M2 , wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind. Für alle x1 ∈ W1 und x2 ∈ W2 : 1. wenn x1 ' x2 , dann x1 ∈ V1 (p) gdw x2 ∈ V2 (p) (∀p ∈ ATM); 2. wenn x1 ' x2 und R1 x1 y1 , dann ∃y2 ∈ W2 mit y1 ' y2 und R2 x2 y2 ; 3. wenn x1 ' x2 und R2 x2 y2 , dann ∃y1 ∈ W1 mit y1 ' y2 und R1 x1 y1 ; 38 Anhang: Bisimulation Bisimulation ist in erster Linie eine Beziehung zwischen Punkten von Modellen. Dabei muß weder der Bereich des einen noch des anderen Modells ganz ausgeschöpft werden. Auch müssen die beiden Modelle nicht voneinander verschieden sein. Bisimilare Punkte bewerten Atome gleich (erste Bedingung) und sie stehen in einem strukturell gleichen Beziehungsnetz zu Punkten, die ebenfalls bisimilar sind (zweite und dritte Bedingung). Daher beweist eine einfache Induktion über den Formelaufbau das folgende zentrale Lemma. Wenn ' eine Bisimulation zwischen M1 und M2 ist und x1 ' x2 dann gilt für jede Formel A, M1 , x1 |= A gdw M2 , x2 |= A. Das Lemma zeigt an, weshalb Bisimulation nützlich sein kann: Wenn der Status einer Formel in einem Modell geprüft werden soll, dann können bisimilare Punkte identifiziert werden. Das macht die Sache (manchmal) einfacher. (Im Vortrag von Hans van Ditmarsch über Awareness Logic werden wir eine weitere Anwendung von Bisimulation kennenlernen.) 39