II, 1–107 (2012) c 2012 Ingenieurmathematik I Dr. Jürgen Bolik Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg y e x T 15 ( x) T 10 ( x) x T 5 ( x) T 3 ( x) T 1( x) Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 2 Inhaltsverzeichnis 1 2 3 Komplexe Zahlen 1.1 Aufbau des Zahlensystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Die Gaußsche Zahlenebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Die Exponentialfunktion und Trigonometrische Funktionen . . . 1.4 Die Moivresche Formel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Die Wurzelfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6 Der Fundamentalsatz der Algebra . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7 Anwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7.1 Komplexe Darstellung harmonischer Schwingungen . . 1.7.2 Addition harmonischer Schwingungen gleicher Frequenz 1.7.3 Wechselstromwiderstände . . . . . . . . . . . . . . . . Differentialrechnung von Funktionen einer reellen Veränderlichen 2.1 Folgen und Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Konvergenz von Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Der Begriff der Cauchy-Folge . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Eine numerische Anwendung . . . . . . . . . . . . . 2.1.4 Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Differentialrechnung von Funktionen einer Variablen . . . . . 2.2.1 Der Differentialquotient . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Ableitungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Lokale Extrema, Mittelwertsatz, Krümmungsverhalten 2.2.4 Approximation durch affin-lineare Funktionen . . . . 2.3 Funktionenfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Potenzreihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Taylor-Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 3 7 13 16 19 21 26 26 28 31 . . . . . . . . . . . . . 41 41 41 48 49 52 64 64 68 72 75 76 78 82 Differentialrechnung im Rn , Teil I 89 3.1 Partielle Ableitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 3.2 Approximation durch affin-lineare Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 3.3 Lineare Regression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 1 3 Komplexe Zahlen 1.1 Aufbau des Zahlensystems Die Menge N der natürlichen und die Menge Z der ganzen Zahlen Die Zahlen 1, 2, 3, ... werden als natürliche Zahlen bezeichnet. Wir schreiben für die Menge der natürlichen Zahlen N, wobei N = {1, 2, 3, 4, 5, 6, ....} . Um auch die Zahl 0 zu berücksichtigen, schreiben wir N0 = {0, 1, 2, 3, 4, 5, 6, ....} . Häufig wird auch folgende Notation verwendet: N = {0, 1, 2, 3, 4, 5, 6, ....} und N∗ = {1, 2, 3, 4, 5, 6, ....} . Die Menge der ganzen Zahlen ist Z = {0, ±1, ±2, ±3, ....} . Anmerkung: Verbunden mit den ganzen Zahlen ist auch ein wichtiges Beweisprinzip, das der vollständigen Induktion: Dabei wird eine Aussage A(n) für alle ganzen Zahlen n ≥ n0 ∈ Z bewiesen, indem gezeigt wird, dass • A(n0 ) wahr ist (Induktionsanfang) • und, falls A(n0 ) wahr ist, auch A(n) für alle n ≥ n0 wahr ist. Beispiel: Mit Hilfe der vollständigen Induktion lässt sich beweisen, dass n X k=1 gilt. k= n(n + 1) für alle n ∈ N 2 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 4 Der Körper Q der rationalen und der Körper R der reellen Zahlen Wir bezeichen Zahlen, die sich als Quotienten darstellen lassen, als rationale Zahlen. p q zweier Zahlen p ∈ Z und q ∈ Z, wobei q 6= 0, Wir schreiben für die Menge der rationalen Zahlen Q, wobei p Q = { | p, q ∈ Z, q 6= 0} . q Eine rationale Zahl besitzt entweder • eine endliche oder • eine reinperiodische oder • eine gemischtperiodische Dezimalbruchentwicklung. Die Menge der √ reellen Zahlen R ist umfassender als Q und enthält auch irrationale Zahlen, wie beispielsweise 2. Wir sprechen von einem Körper K, wenn auf der Menge K die Verknüpfungen Addition und Multiplikationen definiert und folgende Axiome und das Distributivgesetz erfüllt sind: Axiome der Addition • Assoziativgesetz (x + y) + z = x + (y + z) für alle x, y, z ∈ K . • Kommutativgesetz x + y = y + x für alle x, y ∈ K . • Existenz der Null Es gibt eine Zahl 0 ∈ K mit x + 0 = x für alle x ∈ K . • Existenz des Negativen Zu jedem x ∈ K existiert ein − x ∈ K mit x + (−x) = 0 . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg Axiome der Multiplikation • Assoziativgesetz (x · y) · z = x · (y · z) für alle x, y, z ∈ K . • Kommutativgesetz x · y = y · x für alle x, y ∈ K . • Existenz der Eins Es gibt eine Zahl 1 ∈ K, 1 6= 0, so dass x · 1 = x für alle x ∈ K . • Existenz des Inversen Zu jedem von 0 verschiedenen x ∈ K existiert ein x−1 ∈ K mit x · x−1 = 1 . Distributivgesetz x · (y + z) = x · y + x · z für alle x, y, z ∈ K . Beispielsweise sind Q und R Körper. Anordnungsaxiome in R • Für jedes x ∈ R gilt entweder x > 0 oder x = 0 oder x < 0. • Aus x > 0 und y > 0 folgt x + y > 0. • Aus x > 0 und y > 0 folgt xy > 0. Anmerkung: x ≥ y bedeutet x > y oder x = y. 5 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 6 Der Körper C der komplexen Zahlen Die Menge R × R der geordneten Paare reeller Zahlen bildet auch dann einen Körper, wenn wir die Addition mittels (x1 , y1 ) + (x2 , y2 ) := (x1 + x2 , y1 + y2 ) und die Multiplikation mittels (x1 , y1 ) · (x2 , y2 ) := (x1 x2 − y1 y2 , x1 y2 + y1 x2 ) definieren. Auch diese Multiplikation ist assoziativ und kommutativ. Der Körper (R2 , +, ·) wird als der Körper C der komplexen Zahlen bezeichnet. Nach unserer Multiplikationsregel erhalten wir (x, y) · (1, 0) = (x, y) . Daher ist (1, 0) das neutrale Element der Multiplikation. Das multiplikative inverse Element von z = (x, y) 6= (0, 0) erhalten wir aus der Gleichung (x, y) · (u, v) = (1, 0) . Die eindeutige Lösung dieser Gleichung ist x y −1 z = (u, v) = ,− . x2 + y 2 x2 + y 2 Wir können reelle Zahlen x dabei als (x, 0) schreiben. Setzen wir zusätzlich i := (0, 1) , so zeigt sich, dass (x, y) = (x, 0) + (0, y) = (x, 0) + (0, 1)(y, 0) = x + iy für x, y ∈ R . Außerdem erhalten wir i2 = (0, 1)(0, 1) = (−1, 0) = −1 . Anmerkung: In der Mathematik ist die Bezeichnung i für die imaginäre Einheit üblich, während in der Technik oft j verwendet wird. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 1.2 7 Die Gaußsche Zahlenebene Für den Körper der komplexen Zahlen können wir C = {x + iy | x, y ∈ R} schreiben. Veranschaulichen lassen sich die komplexen Zahlen in der Gaußschen Zahlenebene (komplexen Zahlenebene): imaginäre Achse z=x+iy y x reelle Achse Abbildung 1.1 Darstellung einer komplexen Zahl Die Addition zweier komplexer Zahlen entspricht der Vektoraddition in R2 : imaginäre Achse z 1+z 2 z2 z1 reelle Achse Abbildung 1.2 Addition zweier komplexer Zahlen Ist z = x + iy mit x, y ∈ R, so sind Real- und Imaginärteil der komplexen Zahl z definiert durch Re(z) := x, Im(z) := y . Zwei komplexe Zahlen z1 und z2 sind genau dann gleich, wenn Re(z1 ) = Re(z2 ) und Im(z1 ) = Im(z2 ) . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 8 Beispiele zur Lösung quadratischer Gleichungen • Die beiden Lösungen der quadratischen Gleichung x2 = −b2 lauten x1,2 = ±ib . • Die Gleichung x2 − 2x + 5 = 0 ist äquivalent zu (x − 1)2 = −22 . Daher erhalten wir als Lösung x1,2 = 1 ± 2i . Die konjugiert komplexe Zahl Die euklidische Norm k~xk ∈ R+ := {x ∈ R | x ≥ 0} eines Vektors x ~x = ∈ R2 y ist durch p x2 + y 2 definiert. Mit Hilfe der konjugiert komplexen Zahl z := x − iy . lässt sich der Wert x2 + y 2 auch als Produkt von z und z schreiben, da zz = (x + iy)(x − iy) = x2 + y 2 . In der Gaußschen Zahlenebene wird die Konjugation einer komplexen Zahl durch Spiegelung an der reellen Achse dargestellt: imaginäre Achse z=x+iy y x reelle Achse ̄z=x−iy Abbildung 1.3 Die konjugiert komplexe Zahl Ist Im(z) = 0, so gilt z = z. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 9 Rechenregeln für die Konjugation Seien z, z1 , z2 ∈ C. Dann gilt • z = z, • z1 + z2 = z1 + z2 , • z1 z2 = z1 z2 . Der Betrag einer komplexen Zahl Unter dem Betrag einer Zahl z ∈ C versteht man die Größe p √ |z| := zz = x2 + y 2 . Der Betrag einer komplexen Zahl ist daher mit dem euklidischen Abstand des Punktes z vom Nullpunkt in der Gaußschen Zahlenebene identisch. Für alle z ∈ C gilt |z| = |z|. Der Betrag einer komplexen Zahl • Sei z ∈ C. Es gilt stets |z| ≥ 0 und |z| = 0 genau dann, wenn z = 0. • Dreiecksungleichung: |z1 + z2 | ≤ |z1 | + |z2 | für alle z1 , z2 ∈ C. • |z1 z2 | = |z1 ||z2 | für alle z1 , z2 ∈ C. Anmerkung: Es lässt sich auch zeigen, dass |z1 − z2 | ≥ | |z1 | − |z2 | | für alle z1 , z2 ∈ C gilt. Mit Hilfe des Betrages, können wir auch den euklidischen Abstand dist(z1 , z2 ) zweier Punkte z1 , z2 ∈ C der komplexen Zahlenebene definieren: dist(z1 , z2 ) = |z2 − z1 | . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 10 Sei z0 ∈ C ein fester Punkt in der komplexen Zahlenebene und r ∈ R∗+ := {x ∈ R | x > 0}. • Die Punktmenge {z ∈ C | |z − z0 | < r} ist die Kreisscheibe (ohne Rand) mit Radius r um den Punkt z0 . • Die Punktmenge {z ∈ C | |z − z0 | = r} ist die Kreislinie mit Radius r um den Punkt z0 . imaginäre Achse r . z0 y x reelle Achse Abbildung 1.4 Eine Kreisscheibe in der komplexen Ebene Die Polarkoordinaten (r, ϕ) ∈ R∗+ × R sind gegeben durch die kartesischen Koordinaten (x, y) ∈ R2 \{0} mittels (x, y) = (r cos ϕ, r sin ϕ) . Dabei gilt r= p x2 + y 2 . Die Größe ϕ gibt den Winkel zwischen der positiven x-Achse und dem Strahl von 0 durch (x, y) an. Betrachten wir statt der Ebene R2 die komplexe Ebene, so erhalten wir z = |z|(cos ϕ + i sin ϕ) , wobei auch der Ursprung z = 0 zugelassen ist. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 11 Anmerkung zu Winkelmaßen Für Winkel in Bogenmaß gilt: ϕ := b r Ist b = 2πr, so gilt ϕ = 2π. 180◦ . Somit gilt 360◦ = 2π rad und 1 rad = π Für z 6= 0 ist der Winkel ϕ durch die Angabe der kartesischen Koordinaten eindeutig bestimmt. Dieser Winkel wird als Argument von z bezeichnet. Wir schreiben ϕ = arg z . Um den Winkel ϕ eindeutig zu bestimmen, wird üblicherweise vorausgesetzt, dass 0 ≤ ϕ < 2π oder − π < ϕ ≤ π . Darstellung der Multiplikation in der komplexen Zahlenebene Sei z, w ∈ C∗ := {z ∈ C | z 6= 0} und arg z = ϕ, arg w = ψ. Dann erhalten wir, mit Hilfe der Additionstheoreme der trigonometrischen Funktionen, wz = |w| · |z|(cos ψ + i sin ψ)(cos ϕ + i sin ϕ) = |w| · |z|(cos(ψ + ϕ) + i sin(ψ + ϕ)) . Bei der Multiplikation zweier komplexer Zahlen werden • die Beträge multipliziert und • die Argumente addiert. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 12 Ist w ∈ C∗ fest, so ist die Abbildung f : C → C, z 7→ wz eine Drehstreckung und, im Falle von |w| = 1, eine Drehung. imaginäre Achse .w w⋅z . i .z φ+ψ ψ φ . 1 reelle Achse Abbildung 1.5 Multiplikation in C Das hinsichtlich der Multiplikation inverse Element von z 6= 0 ist z −1 = x2 1 1 1 (x − iy) = 2 z = (cos ϕ − i sin ϕ) . 2 +y |z| |z| Daher gilt für die Division von w ∈ C∗ durch z ∈ C∗ w |w| = (cos ψ + i sin ψ)(cos ϕ − i sin ϕ) z |z| = |w| (cos(ψ − ϕ) + i sin(ψ − ϕ)) . |z| Anmerkung: Dabei verwenden wir Symmetrieeigenschaften und Additionstheoreme der trigonometrischen Funktionen sin und cos, die in folgendem Abschnitt vorgestellt werden. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 1.3 13 Die Exponentialfunktion und Trigonometrische Funktionen Die Exponentialfunktion in R, und analog in C, wird mit Hilfe einer (absolut konvergenten) Reihe, der Exponentialreihe exp : R → R , x 7→ exp(x) = ∞ X xn n=0 n! definiert. Damit lässt sich zeigen, dass exp(x + y) = exp(x) exp(y) für x, y ∈ R und mit Hilfe dieser Funktionalgleichung wiederum, dass exp(x) > 0 für x ∈ R , exp(−x) = (exp(x))−1 für x ∈ R und exp(n) = en für n ∈ Z . Die Exponentialfunktion in C ist gegeben durch exp : C → C , z 7→ exp(z) = ∞ X zn n=0 n! . Die Exponentialfunktion exp ist in C stetig. Ferner gilt • die Funktionalgleichung exp(z1 + z2 ) = exp(z1 ) exp(z2 ) für alle z1 , z2 ∈ C , • die Eigenschaft exp(z) 6= 0 für alle z ∈ C • und exp(z) = exp(z) für alle z ∈ C. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 14 Die Definition der Exponentialfunktion zur Basis a lässt sich, wenn wir uns auf reelle Werte von a beschränken, sehr einfach verallgemeinern. Ist der Definitionsbereich der Funktion R, so ist ax folgendermaßen erklärt:. Definition: Sei a ∈ R∗+ . Dann ist die Exponentialfunktion zur Basis a definiert durch ax : R → R , x 7→ ax := exp(x ln a) . Entsprechend ist die Funktion az für a ∈ R∗+ auf dem Definitionsbereich C erklärt: Definition: Sei a ∈ R∗+ . Dann ist die Exponentialfunktion zur Basis a definiert durch az : C → C , z 7→ az := exp(z ln a) . Anmerkung: Auf die Verallgemeinerung von az für a ∈ C∗ wird hier verzichtet. Für alle x ∈ R gilt |eix | = 1 , da |eix |2 = eix eix = eix eix = eix e−ix = e0 = 1 . Wir können daher eix als Punkt des Einheitskreises in der komplexen Ebene darstellen: imaginäre Achse . z=e ix reelle Achse Abbildung 1.6 Die Zahl eix als Punkt am Einheitskreis Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 15 Mit Hilfe der Definition cos x := Re(eix ) und sin x := Im(eix ) folgt unmittelbar die Eulersche Formel eix = cos x + i sin x . Die Variable x lässt sich sich als (orientierte) Bogenlänge verstehen. Betrachten wir neben eix auch e−ix , so können wir auch folgende Gleichungen herleiten: 1 1 cos x = (eix + e−ix ) und sin x = (eix − e−ix ) . 2 2i imaginäre Achse . z 1 =eix sin x cos x reelle Achse . z 2 =e−ix Abbildung 1.7 Die Winkelfunktionen cos und sin Nach der Definition der trigonometrischen Funktion cos und sin und der Definition der Exponentialfunktion zeigt sich, dass cos(−x) = cos x , sin(−x) = −sin(x) und cos2 x + sin2 x = 1 . Mit Hilfe der Eulerschen Formel und der Funktionalgleichung der Exponentialfunktion erhalten wir eine einfache Herleitung folgender Additionstheoreme: cos(x + y) = cos x cos y − sin x sin y für alle x ∈ R , sin(x + y) = sin x cos y + cos x sin y für alle x ∈ R . Begründung: Gemäß der Funktionalgleichung der Exponentialfunktion gilt ei(x+y) = eix eiy , und umgeformt, mittels der Eulerschen Formel, cos(x + y) + i sin(x + y) = (cos x + i sin x)(cos y + i sin y) = (cos x cos y − sin x sin y) + i(sin x cos y + cos x sin y) . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 1.4 16 Die Moivresche Formel Jede Zahl z ∈ C∗ lässt sich eindeutig schreiben als z = |z|eiϕ = |z|(cos ϕ + i sin ϕ) mit ϕ ∈ [0, 2π) . Selbstverständlich können wir auch andere halboffene reelle Intervalle der Länge 2π wählen. Schreiben wir zwei komplexe Zahlen w und z folgendermaßen in Polarkoordinaten: w = |w|eiψ und z = |z|eiϕ , so lässt sich deren Produkt sehr einfach ausdrücken als wz = |w||z|ei(ψ+ϕ) . Demnach und nach der Funktionalgleichung gilt (eiϕ )n = einϕ für alle n ∈ Z . So erhalten wir die Moivresche Formel (cos ϕ + i sin ϕ)n = cos(nϕ) + i sin(nϕ) für alle n ∈ Z . Damit lässt sich z n folgendermaßen schreiben: z n = |z|n einϕ = |z|n (cos(nϕ) + i sin(nϕ)) . Die Formel von Abraham de Moivre gestattet eine einfache Herleitung der Darstellung von cos(nϕ) und sin(nϕ), mit n ≥ 1, als Polynom in cos ϕ und sin ϕ, indem Real- und Imaginärteil getrennt betrachtet werden. Beispielsweise erhalten wir cos(3ϕ) = cos3 ϕ − 3 cos ϕ sin2 ϕ und sin(3ϕ) = 3 cos2 ϕ sin ϕ − sin3 ϕ . Der Term (cos ϕ + i sin ϕ)n mit n ∈ N lässt sich auch allgemein mit Hilfe des Binomischen Lehrsatzes umformen. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg Der Binomische Lehrsatz und Binomialkoeffizienten Für n ∈ N definieren wir n! (n Fakultät) folgendermaßen: n! := n Y i = 1 · 2 · ... · (n − 1) · n . i=1 Zusätzlich sei 0! := 1 . Für n, k ∈ N0 , wobei n ≥ k, ist der Binomialkoeffizient nk (gesprochen n über k) folgendermaßen definiert: n n! n · (n − 1) · ... · (n − k + 1) := = . k k!(n − k)! 1 · 2 · ... · k Ist n < k, so setzen wir nk := 0. Beispiel: Die Anzahl 6-elementiger Teilmengen einer Menge von 49 Elementen beträgt 49 · 48 · 47 · 46 · 45 · 44 49 = 13 983 816 . = 1·2·3·4·5·6 6 Binomischer Lehrsatz: Sei x, y ∈ R und n ∈ N0 . Dann gilt n (x + y) = n X n k=0 k xn−k y k . Demnach gilt beispielsweise (x + y)0 = 1 , (x + y)1 = x + y , (x + y)2 = x2 + 2xy + y 2 , (x + y)3 = x3 + 3x2 y + 3xy 2 + y 3 und (x + y)4 = x4 + 4x3 y + 6x2 y 2 + 4xy 3 + y 4 . 17 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 18 Die jeweiligen Koeffizienten lassen sich in dem sog. Pascalschen Dreieck anordnen: 1 1 1 1 1 1 3 4 5 1 2 1 3 6 10 1 4 10 . 1 5 1 . . . . . Wie aus der Gleichung n n−1 n−1 = + k k−1 k hervorgeht, ist jede Zahl im Inneren des Dreiecks die Summe der beiden unmittelbar über ihr stehenden Zahlen. Nach dem Binomischen Lehrsatz erhalten wir n X n k n (cos ϕ + i sin ϕ) = i cosn−k ϕ · sink ϕ für alle n ∈ N . k k=0 Mit der Formel von Moivre folgt, durch Vergleich der Realteile: n n cos(nϕ) = cos ϕ − cosn−2 ϕ · sin2 ϕ 2 n n n−4 4 + cos ϕ · sin ϕ − cosn−6 ϕ · sin6 ϕ + ... . 4 6 Entsprechend folgt, durch Vergleich der Imaginärteile: n n−1 sin(nϕ) = n cos ϕ · sin ϕ − cosn−3 ϕ · sin3 ϕ 3 n n + cosn−5 ϕ · sin5 ϕ − cosn−7 ϕ · sin7 ϕ + ... . 5 7 Beispiel Nach dieser Regel erhalten wir wieder cos(3ϕ) = cos3 ϕ − 3 cos ϕ sin2 ϕ und sin(3ϕ) = 3 cos2 ϕ sin ϕ − sin3 ϕ . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 1.5 19 Die Wurzelfunktion n-te Einheitswurzeln: Sei n ∈ N mit n ≥ 2. Dann hat die Gleichung zn = 1 genau n Lösungen in C. Diese sind ζnk = ei 2kπ n mit k = 0, 1, ..., n − 1 . imaginäre Achse 2π ζ 1 =e 5 ζ 2 =e 4π i 5 i . . .1 6π ζ 3 =e 5 i reelle Achse . . ζ 4 =e 8π i 5 Abbildung 1.8 Die fünften Eineitswurzeln Sei z ∈ C, a ∈ C∗ und n ∈ N mit n ≥ 2. Unter diesen Voraussetzungen suchen wir Lösungen der Gleichung zn = a . Ist a = 1 und ζn = exp(i 2π ), n so sind die n-ten Wurzeln von a die Zahlen 1, ζn , ..., ζnn−1 . Ist a = |a|eiϕ , so lassen sich n-ten Wurzeln von z in Polarkoordinaten folgendermaßen schreiben: p i n |a| exp( (ϕ + 2kπ)) mit k ∈ Z . n Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 20 Sei z ∈ C, p, q ∈ R und die Diskriminante D = ( p2 )2 − q < 0. Dann sind die Lösungen der quadratische Gleichung z 2 + pz + q = 0 gegeben durch p p z1,2 = − ± |D|i . 2 Das quadratische Polynom p(z) = z 2 + pz + q hat daher keine Nullstellen in R, jedoch zwei Nullstellen in C. In C lässt sich das Polynom p(z) als Produkt von Linearfaktoren darstellen: p(z) = (z − z1 ) · (z − z2 ) . Anmerkung: Ist p = 0, so können wir die Nullstellen des Polynoms unmittelbar, mit obiger Formel für die Wurzelberechnung, angeben. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 1.6 21 Der Fundamentalsatz der Algebra Die Gleichung z n − a = 0 , mit z ∈ C, a ∈ C∗ , lässt sich auch als Aufgabe, die Nullstellen des Polynoms p(z) = z n − a zu finden, verstehen. Um quadratische Polynome in Linearfaktoren zu zerlegen, gibt es einfache Verfahren. Nun stellt sich die Frage, ob sich Polynome auch allgemein in Linearfaktoren zerlegen lassen, wenn der Zahlenkörper R oder aber C vorausgesetzt wird. Allgemein sind Polynome in C folgendermaßen definiert: Definition: Sei am ∈ C, m = 0, 1, ..., n, und an 6= 0. Dann ist p : C → C, z 7→ p(z) = a0 + a1 z + ... + an−1 z n−1 + an z n ein Polynom vom Grade n. Wir schreiben • p(z) ∈ C[z], wenn die Koeffizienten des Polynoms p komplexe Zahlen und • p(z) ∈ R[z], wenn die Koeffizienten des Polynoms p reelle Zahlen sind. Ein Polynom p(z) ∈ C[z] heißt komplexes Polynom und ein Polynom p(z) ∈ R[z] reelles Polynom. Sei pm (z) ∈ C[z] ein Polynom des Grades m ∈ N und z, z1 ∈ C mit z 6= z1 . Dann ist der Rest der Division von pn (z) durch (z − z1 ) gleich pn (z1 ), d.h.: pn (z) = (z − z1 )pn−1 (z) + pn (z1 ) . Ist pn (z) ohne Rest durch (z − z1 )k , jedoch nicht durch (z − z1 )k+1 teilbar, so ist z1 eine k-fache Nullstelle des Polynoms pn (z). Fundamentalsatz der Algebra: Jedes nicht-konstante komplexe Polynom hat mindestens eine Nullstelle in C. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 22 Faktorisierungssatz: Das Polynom p : C → C, z 7→ p(z) = a0 + a1 z + ... + an−1 z n−1 + an z n , mit am ∈ C, m = 0, 1, ..., n und an 6= 0 , lässt sich eindeutig (bis auf die Reihenfolge der Faktoren) als Produkt p(z) = an (z − z1 )m1 · (z − z2 )m2 · ... · (z − zr )mr schreiben. Dabei sind z1 , ..., zr ∈ C paarweise verschiedene Nullstellen, deren jeweilige Vielfachheit m1 , m2 , ..., mr ∈ N und m1 + m2 + ... + mr = n. Das Polynom p(z) ∈ C[z] zerfällt also vollständig in Linearfaktoren. Für Polynome p(z) ∈ R[z] gilt p(z) = p(z). Daher ist mit jeder Nullstelle zi auch zi eine Nullstelle. Ferner ist (z − zi )(z − zi ) ein reelles quadratisches Polynom. Daraus folgt, dass sich jedes Polynom p(z) ∈ R[z] vom Grade n ≥ 1, eindeutig als Produkt reeller Linearfaktoren und reeller quadratischer Polynome darstellen lässt. Das Horner-Schema Ein Polynom der Form p(z) = n X ak z n−k = a0 z n + a1 z n−1 + ... + an k=0 lässt sich auch folgendermaßen schreiben p(z) = ((...((a0 z + a1 )z + a2 )z + ...)z + an−1 )z + an . Mittels y0 := a0 und yi := yi−1 z + ai für i = 1, ..., n Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 23 steht uns ein iteratives Verfahren, mit yn = p(z), zur Berechnung von Polynomwerten zu Verfügung, das weniger Rechenschritte benötigt als die Berechnung nach der ursprünglichen Polynomdarstellung. Legen wir folgende Schreibweise des Polynoms zugrunde p(z) = an z n + an−1 z n−1 + ... + a1 z 1 + a0 , so setzen wir cn := an und ci−1 := ai−1 + bi−1 für i = n, n − 1, ..., 1 , wobei bi−1 := ci · z für i = n, n − 1, ..., 1 . Weiterhin gilt c0 = p(z) . Dieses iterative Verfahren zur Bestimmung von p(z) für einen festen Wert z = z0 lässt sich auch in Form einer Tabelle darstellen: an 0 = bn cn = an an−1 bn−1 cn−1 an−2 bn−2 cn−2 ... a0 ... b0 ... c0 = p(z0 ) Ein Polynom pn (z) lässt sich folgendermaßen schreiben: pn (z) = (z − z0 )pn−1 (z) + pn (z0 ) . Die Werte pn (z0 ) und die Koeffizienten des Polynoms pn−1 stehen in der dritten Zeile des Horner-Schemas zur Berechnung von p(z0 ). Beispiel: Berechnung von p(−2) für p(x) = x4 − 2x3 − 67x2 + 8x + 252 . Horner-Schema 1 0 1 −2 −67 8 −2 8 118 −4 −59 126 252 −252 0 = p(−2) Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 24 Außerdem erhalten wir p(x) = x4 − 2x3 − 67x2 + 8x + 252 = (x + 2) · (x3 − 4x2 − 59x + 126) . Erweitertes Horner-Schema Sei x, x0 ∈ R mit x 6= x0 . Der Grenzwert des Differenzenquotienten pn (x) − pn (x0 ) = pn−1 (x) x − x0 für x → x0 existiert. Daher ist pn im Punkt x0 differenzierbar und es gilt p0n (x0 ) := lim x→x0 pn (x) − pn (x0 ) = pn−1 (x0 ) . x − x0 Berechnung von p(−2) und p0 (−2) für p(x) = x4 − 2x3 − 67x2 + 8x + 252 . Wir erhalten p(x) − p(−2) = x3 − 4x2 − 59x + 126 . x+2 Erweitertes Horner-Schema 1 0 1 0 1 −2 −67 −2 8 −4 −59 −2 12 −6 −47 8 252 118 −252 126 0 94 220 Daher gilt p(−2) = 0 und p0 (−2) = 220 . Polynomdivision mit Hilfe des Horner-Schemas Sind die Nullstellen bekannt, so lassen sich die Koeffizenten der auftretenden Polynome dem Horner-Schema entnehmen. Beispiel: Das Polynom p(x) = x4 − 2x3 − 67x2 + 8x + 252 hat Nullstellen in x1 = −2, x2 = 9, x3 = −7 und x4 = 2 . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 25 Wir erhalten x1 = −2 x2 = 9 x3 = −7 x4 = 2 1 0 1 0 1 0 1 0 1 −2 −67 8 252 −2 8 118 −252 −4 −59 126 0 9 45 −126 5 −14 0 −7 14 2 0 −2 0 Demnach gilt p(x) = x4 − 2x3 − 67x2 + 8x + 252 = (x − 2) · (x3 − 67x − 126) = (x + 2) · (x − 9) · (x2 + 5x − 14) = (x + 2) · (x − 9) · (x + 7) · (x − 2) . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 1.7 1.7.1 Anwendungen Komplexe Darstellung harmonischer Schwingungen Harmonische Schwingungen genügen der Differentialgleichung x00 (t) + ω 2 x(t) = 0 . Die allgemeine Lösung unserer Bewegungsgleichung hat folgende Form: x(t) = c1 · sin(ωt) + c2 · cos(ωt) . Andere Darstellungen der allgemeinen Lösung lauten x(t) = A · sin(ωt + α0 ) und x(t) = A · cos(ωt + ϕ0 ) . In der Ortsfunktion x(t) = A · cos(ωt + ϕ0 ) bezeichnet • A die Amplitude, d.h. die maximale Auslenkung aus der Ruhelage, und • ϕ0 den Nullphasenwinkel. Die Ortsfunktion lässt sich als Realteil von z(t) = Aei(ωt+ϕ0 ) =: z0 eiωt darstellen. Die Amplitude z0 = Aeiϕ0 ist hierbei komplex. 26 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 27 Es ist auch eine praktische Darstellung von cos und sin mit Hilfe des Einheitskreises möglich: g ( x )=cos( x) f ( x )=sin ( x) r=1 f ( x )=sin ( x) x g ( x )=cos( x) x Abbildung 1.9 Die Funktionen sin und cos und der Einheitskreis Entsprechend können wir eiωt+ϕ0 als Punkt des Einheitskreises in der komplexen Ebene darstellen: Im(z) . z (t )=ei( ω t +φ ) 1 0 sin (ω t 1+φ0 ) cos(ω t 1 +φ 0 ) Re(z) Abbildung 1.10 Die Funktion ei(ωt+ϕ0 ) und der Einheitskreis Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 1.7.2 28 Addition harmonischer Schwingungen gleicher Frequenz Gegeben seien zwei harmonische Schwingungen gleicher Richtung und gleicher Frequenz: y1 (t) = A1 sin(ωt + α1 ) und y2 (t) = A2 sin(ωt + α2 ) . Die Resultierende beider Schwingungen ist gegeben durch y(t) = y1 (t) + y2 (t) = (A1 cos α1 + A2 cos α2 ) sin(ωt) + (A1 sin α1 + A2 sin α2 ) cos(ωt) . Wir suchen zwei Konstanten A und α, so dass A1 cos α1 + A2 cos α2 = A cos α und A1 sin α1 + A2 sin α2 = A sin α . Diese sind gegeben durch q A = A21 + A22 + 2A1 A2 cos(α2 − α1 ) und tan α = A1 sin α1 + A2 sin α2 . A1 cos α1 + A2 cos α2 Damit können wir y(t) auch folgendermaßen schreiben: y(t) = A sin(ωt + α) . Andererseits lassen sich die beiden Gleichungen zur Bestimmung von A und α auch zu einer Gleichung in C zusammenfassen: A1 (cos α1 + i sin α1 ) + A2 (cos α2 + i sin α2 ) = A(cos α + i sin α) Mit Hilfe der Eulerschen Formel eiα = cos α + i sin α erhalten wir A1 eiα1 + A2 eiα2 = Aeiα =: z0 . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 29 Setzen wir z0,1 = A1 eiα1 und z0,2 = A2 eiα2 , so nimmt die vorangegangene Gleichung die einfache Form z0,1 + z0,2 = z0 an. Die Addition zweier komplexer Zahlen lässt sich auch in einem Zeigerdiagramm veranschaulichen: Im(z) z 1+z 2 y 1+ y 2 z2 z1 y1 y2 x1 + x 2 x2 x1 Re(z) Abbildung 1.11 Zeigerdiagramm und Addition komplexer Zahlen Die Addition sinusförmiger Schwingungen verschiedener Amplitude und Phase aber gleicher Frequenz lässt sich mit Hilfe von Zeigerdarstellungen sehr einfach durchführen: h (φ)= f (φ)+g (φ) A f (φ)= A1 sin (φ) φ φ=ω t +φ0 g (φ)= A2 cos(φ) Abbildung 1.12 Addition sinusförmiger Schwingungen Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 30 Wie das folgende Diagramm zeigt, ist die Amplitude der resultierenden Schwingung nicht notwendigerweise größer als die der einzelnen Schwingungen. g (φ)= A2 sin (φ+β0 ) h (φ)= f (φ)+g (φ) f (φ)= A1 sin (φ+α 0 ) A φ φ=ω t +φ0 Abbildung 1.13 Addition sinusförmiger Schwingungen Die Funktion z(t) = Aei(ωt+α) = z0 eiωt genügt der Differentialgleichung z 00 (t) + ω 2 z(t) = 0 . Sowohl deren Real- als auch deren Imaginärteil repräsentieren harmonische Schwingungen. Beispielsweise gilt y(t) = Im(z(t)) = Im(z0 eiωt ) = A · Im(eiα eiωt ) = A · Im(ei(ωt+α) ) = A(sin(α) cos(ωt) + cos(α) sin(ωt)) = A sin(ωt + α) . Beispiel: Die Funktion y(t) = sin(ωt) + cos(ωt) lässt sich mit Hilfe des Additionstheorems sin(α + β) = sin α cos β + cos α sin β umformen zu y(t) = A sin(ωt + ϕ0 ) , wobei ϕ0 = π 4 und A = √ 2 sind. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 31 Andererseits können wir A und ϕ0 auch mittels z(t) ∈ C bestimmen. Hierzu betrachten wir die Funktionen π z1 (t) = eiωt , z2 (t) = ei 2 · eiωt und deren Summe z(t) = z1 (t) + z2 (t) = z0 eiωt . Die komplexe Amplitude z0 lässt sich folgendermaßen darstellen: √ π π z0 = 1 + ei 2 = 1 + i = 2 · ei 4 . Hieraus folgt √ π A = 2, ϕ = 4 und y(t) = sin(ωt) + cos(ωt) = 1.7.3 √ π 2 · sin(ωt + ) . 4 Wechselstromwiderstände Gehen wir davon aus, dass eine Spannung U (t) = U0 sin(ωt) an einem Ohmschen Widerstand anliegt, so beträgt die Stromstärke U (t) U0 = sin(ωt) R R und die Leistung I(t) = P (t) = U (t)I(t) = U02 sin2 (ωt) . R Der zeitliche Mittelwert P der Leistung beträgt 1 P = T ZT P (t) dt = 1 U02 . 2 R 0 Würde diese Leistung mittels Gleichspannung erreicht, so müsste eine Spannung U0 Uef f = √ 2 anliegen. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 32 Wird der elektrische Widerstand nur durch einen Ohmschen Verbraucher verursacht, so sind Stromstärke I und die Leistung P reell. In diesem Falle ist P eine reine Wirkleistung. I U P R I 0= U0 R U0 Abbildung 1.14 Stromstärke I, Spannung U und Leistung P für einen Ohmschen Widerstand t Abbildung 1.15 zeitlicher Verlauf der Stromstärke I(t), Spannung U (t) und Leistung P (t) für einen Ohmschen Widerstand Ersetzen wir den Ohmschen Widerstand durch eine Spule, so stellt sich der Strom durch die Spule so ein, dass L dI(t) = U (t) dt gilt. Da wir I(t) als Zeiger in der komplexen Ebene auffassen, schreiben wir I(t) = I0 ei(ωt+ϕ0 ) mit I0 ∈ R . Für die Ableitung von I(t) gilt daher dI(t) = iωI(t) . dt Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 33 Wir erhalten I(t) = U (t) . iωL Bei einer Spule ist P eine reine induktive Blindleistung. I U U0 L P I 0= U0 iωL Abbildung 1.16 Stromstärke I, Spannung U und Leistung P für eine Spule t Abbildung 1.17 zeitlicher Verlauf der Stromstärke I(t), Spannung U (t) und Leistung P (t) für eine Spule Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 34 Für einen Kondensator gilt Q(t) C U (t) = und somit I(t) = dQ(t) dU (t) =C = iωCU (t) . dt dt Bei einem Kondensator ist P eine reine kapazitive Blindleistung. I 0 =i ωCU 0 P I U C U0 Abbildung 1.18 Stromstärke I, Spannung U und Leistung P für einen Kondensator t Abbildung 1.19 zeitlicher Verlauf der Stromstärke I(t), Spannung U (t) und Leistung P (t) für einen Kondensator Mit Z ∈ C bezeichnen wir den elektrischen Widerstand, gegeben durch Z := U I und mit Y ∈ C den Leitwert, gegeben durch den Kehrwert von Z. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 35 Zusammengefasst gilt • für den Ohmschen Widerstand Z = R, • für die Spule Z = iωL • und für den Kondensator Z= 1 . iωC Durch Linearkombination dieser Widerstandswerte entstehen allgemeinere komplexe Widerstandswerte. Als komplexe Zahlen lassen sie sich folgendermaßen darstellen: Z = Re(Z) + i Im(Z) . Die Zahl Z ∈ C wird auch als Impedanz bezeichnet. Der Anteil Re(Z) gibt die Komponente der Spannung an, die mit dem Strom phasengleich ist. Dieser heißt Wirkwiderstand. Der Anteil Im(Z) heißt Blindwiderstand. Bezeichnen Ief f und Uef f die Effektivwerte der Stromstärke bzw. Spannung und ϕ die Phasenverschiebung zwischen Stromstärke und Spannung, so beträgt die (zeitlich gemittelte) Wirkleistung Pw = Uef f Ief f cos ϕ und die (zeitlich gemittelte) Blindleistung Pb = Uef f Ief f sin ϕ . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 36 Sind ein Ohmscher Widerstand und eine Spule in Reihe geschaltet, so addieren sich deren Widerstände. Die Amplitude der Gesamtspannung beträgt p U0 = I0 R2 + (ωL)2 . Der Strom weist gegenüber der Spannung eine Phasenverschiebung ϕ mit tan ϕ = − ωL R auf. U L ,0 =i ω L I 0 I U0 R U I0 L U R ,0= R I 0 Abbildung 1.20 Zeigerdiagramm für eine Reihenschaltung von Ohmschen Widerstand und Spule Sind ein Ohmscher Widerstand und ein Kondensator parallel geschaltet, so addieren sich deren Leitwerte. Die Amplitude des Gesamtstroms beträgt r q 1 2 2 I0 = IR,0 + (ωC)2 . + IC,0 = U0 R2 Der Strom weist gegenüber der Spannung eine Phasenverschiebung ϕ mit tan ϕ = ωCR auf. I0 I C,0 I U I R,0 C R U0 Abbildung 1.21 Zeigerdiagramm für eine Parallelschaltung von Ohmschen Widerstand und Kondensator Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 37 Hat eine Schaltung den komplexen Widerstand Z = Z0 eiδ , so erhalten wir deren Leitwert Y = Y0 e−iδ durch Inversion von |Z| und anschließende Spiegelung an der reellen Achse. 0A0 0T Da die Dreiecke 0T A0 und 0AT ähnlich sind, gilt = . 0T 0A 1 Mit 0T = 1, folgt hieraus, dass 0A0 = . 0A imaginäre Achse T A A' 0 A' ' reelle Achse Abbildung 1.22 Inversion einer komplexen Zahl Geraden und Kreislinien sind genau jene Punktmengen, die sich durch eine Gleichung der Form αz z̄ + cz + c̄z̄ + δ = 0 , mit α, δ ∈ R, c ∈ C und cc̄ > αδ, beschreiben lassen. 1 Setzen wir hier w = , so erhalten wir, nach Multiplikation mit ww̄, z δww̄ + cw̄ + c̄w + α = 0 . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 38 Um den Einfluss eines Schaltelements auf die Schaltung zu untersuchen, bietet sich die graphische Methode der Ortskurven an. Hier betrachten wir einige Ortskurven zu einfachen Reihen- und Parallelschaltungen: R L R L Z Y Z Y Abbildung 1.23 Ortskurven für die Serien- und Parallelschaltung eines Ohmschen Widerstandes und einer Spule R C R C Z Y Y Z Abbildung 1.24 Ortskurven für die Serien- und Parallelschaltung eines Ohmschen Widerstandes und eines Kondensators Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 39 Ausgehend von der abgebildeten Schaltung analysieren wir, ob es möglich ist L1 , L2 und C so zu dimensionieren, dass Strom und Spannung, unabhängig vom Wert R, immer in Phase sind, und somit der Blindstrom verschwindet. L2 L1 C R Abbildung 1.25 Schaltung zu einer Blindstromkompensation L1 L1 R Z Y C R Y Z Abbildung 1.26 Graphische Analyse einer Blindstromkompensation, Teil 1 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 40 Wie in der Abbildung dargestellt, wird • die Z-Ortskurve des ersten Schaltungsabschnitts (Halbgerade im Z-Diagramm) auf einen Halbkreis im Y -Diagramm transformiert, • dieser Halbkreis, durch Hinzufügen des Kondensators, um iωC verschoben und • der Halbkreis im Y -Diagramm rücktransformiert auf eine Halbgerade im Z-Diagramm. L2 L1 C R Z Abbildung 1.27 Graphische Analyse einer Blindstromkompensation, Teil 2 Durch Hinzufügen von L2 wird die Halbgerade schließlich um iωL2 im Z-Diagramm verschoben. Gilt außerdem ωL1 = ωL2 = 1 , ωC so ist Z ∈ R. Das bedeutet, dass I und U in Phase sind. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 2 41 Differentialrechnung von Funktionen einer reellen Veränderlichen 2.1 Folgen und Reihen Unter einer Folge reeller Zahlen versteht man eine Abbildung n 7→ an , wobei n ∈ N0 = {0, 1, 2, 3, ...} oder n ∈ N = {1, 2, 3, ...} und an ∈ R. Die Zahlenfolge ist daher eine Abbildung von N0 → R. Man schreibt dafür (an )n∈N0 oder (a0 , a1 , a2 , ...). 1 1 Beispiel: Die Abbildung n 7→ √ definiert eine Folge ( √ )n∈N . n n Beispiele (1) an = (−1)n , n ∈ N0 : (1, −1, 1, −1, 1, −1, ...) (2) arithmetische Folge: an = a1 + (n − 1) · d, n ∈ N, d ∈ R (3) geometrische Folge: an = a1 q n−1 , n ∈ N, q ∈ R\{0, 1} (4) an = n , n+1 n ∈ N0 : (0, 12 , 23 , 34 , 45 , ...) (5) Sei a0 = 1, a1 = 1 und an = an−1 + an−2 für n ≥ 2. Diese Folge (1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, ...) heißt Folge der ”Fibonacci-Zahlen”. 2.1.1 Konvergenz von Folgen Definition: Sei (an )n∈N0 eine Folge reeller Zahlen. Die Folge heißt konvergent gegen a ∈ R, falls zu jedem > 0 ein N = N () ∈ N0 existiert, so dass |an − a| < für alle n ≥ N . Schreibweise: lim an = a n→∞ Die reelle Zahl a heißt Grenzwert oder Limes der Zahlenfolge (an )n∈N0 . Satz (Eindeutigkeit des Limes): Die Folge (an )n∈N0 besitzt höchstens einen Grenzwert. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 42 Beweis: Angenommen (an )n∈N0 konvergiere gegen a und ã, wobei a 6= ã. Wir setzen := |a − ã| . 2 Da lim an = a gilt, existiert ein N ∈ N, so dass n→∞ |an − a| < für alle n ≥ N . Da lim an = ã gilt, existiert ein Ñ ∈ N, so dass n→∞ |an − ã| < für alle n ≥ Ñ . Für n > max(N, Ñ ) erhalten wir nun |a − ã| = |(a − an ) + (an − ã)| ≤ |an − a| + |an − ã| < 2 = |a − ã| . Da das ein Widerspruch ist, muss die Annahme falsch sein. Beispiele für konvergente Folgen Die Folge ( n12 )n∈N konvergiert: 1,2 an 1 0,8 0,6 0,4 0,2 0 1 2 3 4 5 6 7 n Abbildung 2.1 Die Folge (n−2 )n∈N Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 43 1 Die Folge ((−1)n )n∈N konvergiert: n 0,6 an 0,4 0,2 0 -0,2 -0,4 -0,6 -0,8 -1 -1,2 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 n 11 Abbildung 2.2 Die Folge ((−1)n n−1 )n∈N 1 Die Folge ( √ )n∈N konvergiert: n an 2 1,8 1,6 1,4 1,2 1 0,8 0,6 0,4 0,2 0 1 2 3 4 5 6 7 n 8 √ Abbildung 2.3 Die Folge (( n)−1 )n∈N Beispiele zum Grenzwert (1) Sei an = n1 , n ∈ N. Die Folge lautet also 1 1 1 (an )n∈N = (1, , , , ...) . 2 3 4 Es gilt 1 = 0, n→∞ n lim Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg da zu > 0 ein N () ∈ N existiert, so dass |an − a| = | 1 1 − 0| = < für alle n ≥ N () . n n Hierzu muss lediglich N () > 1 gewählt werden. (2) Sei an = 1 − n1 , n ∈ N. Die Folge 1 2 3 (an )n∈N = (0, , , , ...) . 2 3 4 konvergiert gegen 1, da |an − a| = |1 − 1 1 − 1| = n n und wir wie in (1) argumentieren können. (3) Sei an = 1 + (−1)n , n n ∈ N. Die Folge 3 2 3 (an )n∈N = (0, , , , ...) . 2 3 4 konvergiert gegen 1, da |an − a| = |1 + (−1)n 1 − 1| = n n und wir wieder wie in (1) verfahren können. (4) Sei an = √1 , n n ∈ N. Die Folge 1 1 1 (an )n∈N = (1, √ , √ , √ , ...) . 2 3 4 konvergiert gegen 0, da zu > 0 ein N () ∈ N existiert, so dass 1 1 |an − a| = | √ − 0| = √ < für alle n ≥ N () . n n Hierzu muss lediglich N () > 1 gewählt werden. 2 44 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 45 Wenn die reelle Zahlenfolge gegen keine reelle Zahl konvergiert, dann wird sie divergent genannt. Beispiele für divergente Folgen Die Folge (n)n∈N divergiert, wie die nächste Abbildung zeigt: 8 an 7 6 5 4 3 2 1 1 2 3 4 5 6 7 n 8 Abbildung 2.4 Die Folge (n)n∈N Die Folge (n2 )n∈N divergiert: 120 an 100 80 60 40 20 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 n Abbildung 2.5 Die Folge (n2 )n∈N Definition: Eine Folge (an )n∈N0 reeller Zahlen heißt bestimmt divergent gegen +∞ (bzw. −∞), wenn es zu jedem K ∈ R ein N ∈ N0 gibt, so dass an > K (bzw. an < K) für alle n ≥ N . Schreibweise: lim an = ∞ n→∞ Statt bestimmt divergent sagt man auch uneigentlich konvergent. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 46 Die Folge ((−1)n )n∈N divergiert: 1,5 an 1 0,5 0 -0,5 -1 -1,5 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 n 14 Abbildung 2.6 Die Folge ((−1)n )n∈N Eine Zahl a heißt Häufungspunkt einer Folge (an )n∈N0 , wenn es eine Teilfolge von (an ) gibt, die gegen a konvergiert. Beispielsweise besitzt die Folge ((−1)n )n∈N0 die Häufungspunkte +1 und -1. Definition: Sei (an )n∈N0 eine Folge und n1 < n2 < n3 < .... eine aufsteigende Folge natürlicher Zahlen. Dann heißt die Folge (ank )k∈N0 = (an1 , an2 , an3 , ....) Teilfolge der Folge (an )n∈N0 . Summe, Differenz, Produkt und Quotient konvergenter Folgen Seien (an )n∈N0 und (bn )n∈N0 konvergente Folgen mit lim an =: a und lim bn =: b , n→∞ n→∞ so konvergiert auch die Folge (cn )n∈N0 mit cn := an · bn und es gilt lim cn = lim an · lim bn = a · b . n→∞ n→∞ n→∞ Entsprechende Regeln gelten für die Addition und Subtraktion. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 47 Seien (an )n∈N0 und (bn )n∈N0 konvergente Folgen mit lim an =: a und lim bn =: b 6= 0 , n→∞ n→∞ so existiert ein N ∈ N0 , so dass bn 6= 0 für alle n ≥ N . Sei cn := an für alle n ≥ N . bn Dann konvergiert die Folge (cn )n≥N und lim an lim cn = n→∞ n→∞ lim bn = n→∞ a . b Beispiele • Für die Folge (an )n∈N mit 4 + n7 − n32 4n2 + 7n − 3 = an = 7n2 + 2 7 + n22 verwenden wir 1 = 0 für alle k ∈ N . n→∞ nk lim Da (an )n∈N Summe, Differenz und Quotient (mit Nenner 6= 0) konvergenter Folgen ist, konvergiert (an )n∈N . Der Grenzwert ist lim an = n→∞ 4 . 7 • Gegeben sei eine Folge (an )n≥2 mit n Y (1 − k=2 1 ) für n ≥ 2 . k2 Es gilt a2 = 3 4 und für n ≥ 3: an = an−1 (1 − 1 (n + 1)(n − 1) ) = an−1 . 2 n n2 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg Demnach gilt an n n−1 2 32 1 = an−1 = ... = a2 = = für alle n ≥ 3 . n+1 n 3 43 2 Somit erhalten wir an = 1 1 1n+1 = (1 + ) für alle n ≥ 3 . 2 n 2 n Die Folge (an )n≥2 ist demnach konvergent und es gilt lim an = n→∞ 2.1.2 1 . 2 Der Begriff der Cauchy-Folge Eine Folge (an )n∈N0 heißt Cauchy-Folge, falls zu jedem > 0 ein N = N () ∈ N0 existiert, so dass |an − am | < für alle n, m ≥ N . Folglich ist jede konvergente Folge auch eine Cauchy-Folge. Umgekehrt konvergiert, nach dem Vollständigkeitsaxiom, in R jede Cauchy-Folge. Beispiel zur Konvergenz einer Cauchy-Folge Für eine Folge (an )n∈N gelte für n > 2 |an+1 − an | ≤ q|an − an−1 | mit 0 < q < 1 . Es lässt sich zeigen, dass |an+1 − an | ≤ q n−1 |a2 − a1 | , und mit Hilfe der Dreiecksungleichung, dass |an+r − an | ≤ |an+r − an+r−1 | + .... + |an+2 − an+1 | + |an+1 − an | , mit r ∈ N . Daher gilt |an+r − an | ≤ (q n+r−2 + ... + q n + q n−1 ) |a2 − a1 | und somit |an+r − an | ≤ q n−1 |a2 − a1 | . 1−q 48 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 49 Nun kann zu jedem > 0 ein N ∈ N so gewählt werden, dass q n−1 |a2 − a1 | < für alle n ≥ N . 1−q Demnach ist (an )n∈N eine Cauchy-Folge in R und damit eine konvergente Folge. Beschränkte Folgen Bekanntlich ist jede konvergente Folge beschränkt, d.h. es existiert eine obere und untere Schranke. Zwar gilt die Umkehrung der Aussage nicht, doch finden wir folgende Aussagen: • Jede beschränkte monotone Folge (an )n∈N0 reeller Zahlen konvergiert. – Ist (an )n∈N0 monoton wachsend und nach oben beschränkt, so konvergiert die Folge. – Ist (an )n∈N0 monoton fallend und nach unten beschränkt, so konvergiert die Folge. • Satz von Bolzano-Weierstraß: Jede beschränkte Folge (an )n∈N0 reeller Zahlen besitzt eine konvergente Teilfolge. Beispiel zur Konvergenz einer monotonen beschränkten Folge Die Folge ((1 + 9 64 1 n ) )n∈N = (2, , , ...) n 4 27 ist monoton wachsend und nach oben beschränkt. Demnach konvergiert die Folge. Ihr Grenzwert ist die Eulersche Zahl e = 2, 71828... . 2.1.3 Eine numerische Anwendung Um die Quadratwurzel positiver reeller Zahlen numerisch zu berechnen, stellen wir hier ein Verfahren vor, dass besonders schnell gegen die Lösung der Gleichung a2 = b konvergiert. Dabei seien b und a positive reelle Zahlen. Mittels an+1 = b 1 (an + ) mit n ∈ N 2 an ist eine Folge (an )n∈N rekursiv definiert. Es lässt sich zeigen, dass die Folge (an )n∈N gegen die Quadratwurzel konvergiert und √ b ≤ b ≤ an für alle n ≥ 2 an Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg gilt. Beweis Es gilt an > 0 für alle n ∈ N. Ferner erhalten wir für alle n ≥ 2: a2n − b = 1 b 2 1 b 2 (an−1 + ) − b = (an−1 − ) ≥ 0. 4 an−1 4 an−1 Daher gilt an − an+1 = an − 1 b 1 (an + ) = (a2n − b) ≥ 0 . 2 an 2an −1 Aus a−2 folgt für cn := n ≤ b b an die Ungleichung c2n ≤ b für alle n ≥ 2 . Weiterhin erhalten wir cn ≤ cn+1 für alle n ≥ 2 . Zusätzlich gilt cn ≤ an für alle n ≥ 2 , da andernfalls c2n > a2n wäre. Bisher wissen wir, dass (an )n≥2 eine monoton fallende und beschränkte Folge mit c 2 ≤ an ≤ a2 ist. Demnach konvergiert die Folge, und für den Grenzwert der Folge gilt a ≥ c2 ≥ 0 . Außerdem erhalten wir 1 b 1 b (an + ) = (a + ) n→∞ 2 an 2 a a = lim an+1 = lim n→∞ und daher a2 = b . 50 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 51 Beispiel Der Wert von √ 3 zum Startwert a1 = 1 n an 1 2 3 4 5 1, 0 2, 0 1, 75 1, 732 142 857 1, 732 050 810 b an 3, 0 1, 5 1, 714 285 714 1, 731 958 763 1, 732 050 805 Es gilt außerdem √ b ≤ b ≤ an für alle n ≥ 2 . an √ Zum Vergleich: 3 ≈ 1, 732 050 808. Wie sich gezeigt hat, gilt √ b ≤ b ≤ an für alle n ≥ 2 an für die Folge (an )n∈N mit an+1 = 1 b (an + ) mit n ∈ N 2 an Überdies konvergieren die beiden Folgen ( b )n∈N und (an )n∈N . an 3,5 b an 3 2,5 2 1,5 an 1 0,5 0 0,5 1 1,5 2 2,5 3 3,5 4 4,5 5 n 5,5 Abbildung 2.7 Zur Konvergenz von ( abn )n∈N und (an )n∈N Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 2.1.4 52 Reihen Sei (an )n∈N0 eine Folge reeller Zahlen. Die Folge der Partialsummen sn := n X ak , mit n ∈ N0 , k=0 heißt (unendliche) Reihe und wird mit ∞ P ak bezeichnet. k=0 Konvergiert die Folge (sn )n∈N0 , so wird ihr Grenzwert ebenfalls mit ∞ P ak bezeichnet. k=0 Beispiele für Summenformeln (1) Für alle Zahlen n ∈ N gilt die Summenformel n X k=1 k= n(n + 1) 2 (2) Für eine arithmetische Folge (an )n∈N erhalten wir die Summenformel n X k=1 ak = n (a1 + an ) 2 (3) Für die geometrische Folge (an )n∈N erhalten wir die Summenformel n X k=1 ak = a1 · 1 − qn 1−q Diese Beispiele geben Summenformeln für n P an wieder. Dabei sind (an )n∈N arithmetische k=1 bzw. geometrischen Folgen. Die Folge der Partialsummen sn := n X ak , 1 ≤ n ≤ N , k=1 mit festem N ∈ N0 , lässt sich auch als endliche Reihe bezeichnen. (1) Ist (an )n∈N eine arithmetische Folge, so heißt (sn )1≤n≤N (endliche) arithmetische Reihe. (2) Ist (an )n∈N eine geometrische Folge, so heißt (sn )1≤n≤N (endliche) geometrische Reihe. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 53 Heben wir die Beschränkung auf, dass, bei arithmetischer und geometrischer Reihe, n ein fester endlicher Wert ist, so können wir auch unendliche arithmetische und geometrische Reihen untersuchen. Während die arithmetische Reihe für n → ∞ divergiert, gibt es bei der geometrischen Reihe auch konvergente Folgen von Partialsummen, d.h. eine konvergente unendliche geometrische Reihe. Sei |q| < 1. Dann gilt ∞ X ak = a1 k=1 1 1−q Um die Konvergenz von Reihen allgemeiner behandeln zu können, befassen wir und im nächsten Abschnitt mit einigen Konvergenzkriterien. Konvergenzkriterien für Reihen Allgemeines Cauchysches Konvergenzkriterium Sei (an )n∈N0 eine Folge reeller Zahlen. Dann konvergiert die Reihe ∞ X an n=0 genau dann, wenn sie einen Cauchy-Folge ist, d.h., wenn gilt: Zu jedem > 0 existiert ein N ∈ N0 , so dass n X ak < für alle n ≥ m ≥ N . k=m Eine notwendige, aber nicht hinreichende, Bedingung für die Konvergenz einer Reihe ∞ X an n=0 ist, dass lim an = 0 . n→∞ Beweis: Da eine konvergente Folge auch Cauchy-Folgen ist, existiert ein N ∈ N0 , so dass n X ak < für alle n ≥ m ≥ N . k=m Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 54 Hieraus folgt insbesondere, dass |an | < für alle n ≥ N . Besteht eine Reihe ∞ P an nur aus nicht-negativen Reihengliedern an , so ist die Reihe genau n=0 dann konvergent, wenn sie beschränkt ist. Dieses Ergebnis lässt sich leicht zeigen, da die Folge der Partialsummen monoton wachsend ist. ∞ P Eine Reihe an heißt absolut konvergent, wenn n=0 ∞ X |an | n=0 konvergiert. Konvergiert eine Reihe absolut, so konvergiert sie auch im gewöhnlichen Sinne. Umgekehrt ist eine konvergente Reihe jedoch nicht notwendigerweise absolut konvergent, wie sich beispielsweise bei der alternierenden harmonischen Reihe zeigt. Anders als für endliche Summen ist es nicht selbstverständlich, dass eine konvergente Reihe nach Umordnung noch konvergent ist und der Grenzwert durch die Umordnung nicht verändert wird. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass die Reihe absolut konvergiert. Definition: Sei ∞ X an eine Reihe. Ist τ : N → N eine bijektive Abbildung, so heißt die Reihe n=0 ∞ X aτ (n) n=0 eine Umordnung der gegebenen Reihe. Ist ∞ X an eine absolut konvergente Reihe mit dem Grenzwert g, so konvergiert jede Umordnung n=0 der Reihe ebenfalls gegen g. Auch für den folgenden Satz genügt die bloße Konvergenz der Reihen nicht. Vielmehr wird absolute Konvergenz gefordert. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 55 Das Cauchy-Produkt von Reihen Seien ∞ X an und n=0 ∞ X bn absolut konvergente Reihen. Wir setzen n=0 cn := n X an−k bk für n ∈ N . k=0 Dann ist die Reihe ∞ X cn absolut konvergent und es gilt n=0 ∞ X cn = n=0 ∞ X ! an n=0 ∞ X ! bn . n=0 Quotientenkriterium (A) Sei ∞ P an eine Reihe mit an 6= 0 für alle n ≥ N . n=0 • Existiert eine Zahl θ ∈ R mit 0 < θ < 1, so dass an+1 an ≤ θ , für alle n ≥ N , gilt, dann konvergiert die Reihe Daher konvergiert auch ∞ P ∞ P n=0 an . n=0 • Gilt hingegen an+1 an ≥ 1 , für alle n ≥ N , so divergiert die Reihe. an absolut. Das bedeutet, dass ∞ P n=0 |an | konvergiert. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg (B) Es sei ∞ P 56 an eine Reihe mit an > 0. Ferner existiere der Grenzwert n=0 an+1 . n→∞ an q := lim • Ist q < 1, so konvergiert die Reihe ∞ P an . n=0 • Ist q > 1, so divergiert die Reihe ∞ P an . n=0 • Für q = 1 ist eine entsprechende Aussage nicht möglich. Anmerkung: Die Aussage zur Divergenz lässt sich einfach zeigen, da die Folgeglieder einer konvergenten Reihe gegen Null konvergieren. Beispiele • Die Reihe ∞ X n 2n n=1 konvergiert, da n+1 n 2n+1 an+1 = lim (n + 1) · 2 = lim q = lim n→∞ an n→∞ 2nn n→∞ n · 2n+1 n+1 1 = < 1. n→∞ n · 2 2 • Die harmonische Reihe ∞ X 1 = lim n=1 n divergiert, wie wir noch zeigen werden. Zwar gilt an+1 n = < 1 , für alle n ≥ 1 , an n+1 aber es gibt kein θ < 1 mit an+1 an ≤ θ , für alle n ≥ N . Das Quotientenkriterium ist für Reihen der Form ∞ X 1 , mitk ∈ N , nk n=1 nicht anwendbar. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 57 Majorantenkriterium Sei ∞ X cn eine konvergente Reihe mit n=0 cn ≥ 0 , für alle n ∈ N0 und (an )n∈N eine Folge mit |an | ≤ cn für alle n ∈ N0 . Dann konvergiert die Reihe Beweis: Da die Reihe ∞ X ∞ P |an | und daher n=0 ∞ P an . n=0 cn konvergiert, ist diese Folge der Partialsummen auch eine Cauchy- n=0 Folge. Daher existiert zu jedem > 0 ein N ∈ N0 , so dass n X ck < für alle n ≥ m ≥ N . k=m Demnach gilt n X |ak | ≤ k=m n X ck < für alle n ≥ m ≥ N . k=m Mit dem allgemeinen Cauchyschen Konvergenzkriterium ist die Behauptung bewiesen. Anmerkungen • Die Reihe ∞ P cn heißt Majorante von n=0 • Bildet stattdessen ∞ P an . n=0 ∞ P cn eine divergente Reihe mit n=0 cn ≥ 0 für alle n ∈ N0 und an ≥ cn für alle n ∈ N0 , ∞ P dann divergiert die Reihe an . n=0 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 58 Beispiele • Zwar konvergieren die Reihenglieder der harmonischen Reihe ∞ X 1 n n=1 gegen Null, jedoch divergiert die harmonische Reihe. Anmerkung: Das Quotientenkriterium kann hier nicht angewendet werden. Beweis: Um die Folge der Partialsummen m X 1 )m∈N ( n n=1 nach unten abzuschätzen, betrachten wir die Partialsummen ! k+1 p+1 2X k 2X 1 1 X 1 s2k+1 = =1+ + n 2 p=1 n=2p +1 n n=1 =1+ 1 + 2 1 1 + 3 4 + 1 1 1 1 + + + 5 6 7 8 + ... + k+1 2X n=2k +1 1 n Die Summe jeder dieser Terme in Klammern ist größer oder gleich 12 . Somit folgt s2k+1 ≥ 1 + k . 2 Das bedeutet aber, dass die Folge der Partialsummen unbeschränkt ist. • Die Reihe ∞ X 1 √ n n=1 divergiert, da 1 1 √ ≥ , für alle n ≥ 1 , n n gilt und die harmonische Reihe divergiert. ∞ 1 P , mit k ∈ N : k ≥ 2, konvergiert. k n=1 n m P m 1 Begründung: = und Anwendung des Majorantenkriteriums. m+1 n=1 n(n + 1) • Die Reihe Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 59 • Die Reihe ∞ X 1 nn n=1 konvergiert, da m m n X X 1 1 , für alle m ≥ 2 , ≤1+ n n 2 n=1 n=2 gilt, die geometrische Reihe mit |q| < 1 konvergiert und daher eine Majorante existiert. Grenzwertkriterium Seien an > 0 und bn > 0, für n ∈ N0 . Existiert der Grenzwert lim n→∞ an = q, bn wobei 0 < q < ∞, so sind die Reihen ∞ X an und ∞ X bn n=0 n=0 entweder beide konvergent oder beide divergent. Beispiele • Die Reihe ∞ X n=1 lim an n→∞ 1 n n divergiert, da n2 + 2 n n2 +2 1 n→∞ n = lim n2 1 = lim =1 n→∞ n2 + 2 n→∞ 1 + 22 n = lim gilt und die harmonische Reihe divergiert. • Die Reihe ∞ X n=1 an lim n→∞ 12 n n konvergiert, da, mit | cos n| ≤ 1, + cos n n3 = n n3 +cos n lim 1 n→∞ n2 gilt und die Reihe n3 1 = lim 3 = lim =1 n→∞ n + cos n n→∞ 1 + cos3n n ∞ X 1 konvergiert. 2 n n=1 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 60 Wurzelkriterium (A) Sei ∞ P an eine Reihe mit an ≥ 0. n=0 • Existiert eine Zahl θ ∈ R mit 0 < θ < 1 und ein N ∈ N0 , so dass √ n an ≤ θ < 1 für alle n ≥ N gilt, dann konvergiert die Reihe ∞ P an . n=0 • Gilt hingegen √ n an ≥ 1 für alle n ≥ N , so divergiert die Reihe ∞ P an . n=0 Anmerkungen • Die Aussage zur Divergenz lässt sich einfach zeigen, da die Folgeglieder einer konvergenten Reihe gegen Null konvergieren. • Sind die Folgeglieder der Reihe nicht alle positiv, so lässt sich stattdessen die Konvergenz ∞ P von |an | behandeln. n=0 (B) Sei ∞ P an eine Reihe mit an ≥ 0. Hat die Folge n=0 √ ( n an )n∈N0 einen Grenzwert g, so ist die Reihe ∞ P n=0 • für g < 1 konvergent • für g > 1 divergent. an Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg Anmerkungen • Für g = 1 ist eine entsprechende Schlußfolgerung nicht möglich. • Beispielsweise gilt √ lim n n = 1 , n→∞ lim n→∞ √ n a = 1 , für a > 0 . Beispiel Die Reihe ∞ X (5n)n+1 n2n n=1 konvergiert, da g = lim √ n r an = lim n n→∞ n→∞ √ (5n)n+1 5n √ n n = lim ( · 5 · n) 2n 2 n→∞ n n √ √ 5 n · lim 5 · lim n n = 0 · 1 · 1 = 0 < 1 . n→∞ n→∞ n n→∞ = lim Leibnizsches Konvergenzkriterium für alternierende Reihen Sei (an )n∈N0 eine monoton fallende Folge mit an ≥ 0 und lim an = 0. ∞ P Dann konvergiert die Reihe (−1)n an . n=0 Beweis: Für die Partialsumme sk := k X an n=0 gilt s2k+2 − s2k = −a2k+1 + a2k+2 ≤ 0 und daher s0 ≥ s2 ≥ s4 ≥ ... ≥ s2k ≥ s2k+2 ≥ ... . Entsprechend gilt s2k+3 − s2k+1 = a2k+2 − a2k+3 ≥ 0 61 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 62 und daher s1 ≤ s3 ≤ s5 ≤ ... ≤ s2k+1 ≤ s2k+3 ≤ ... . Überdies gilt s2k+1 − s2k = −a2k+1 ≤ 0 und somit s2k+1 ≤ s2k für alle k ∈ N0 . Die Folge (s2k )k∈N0 ist monoton fallend und, wegen s2k ≥ s1 für alle k ∈ N0 , nach unten beschränkt. Daher konvergiert die Folge und der Grenzwert S := lim s2k k→∞ existiert. Die Folge (s2k+1 )k∈N0 ist monoton wachsend und, wegen s2k+1 ≤ s0 für alle k ∈ N0 , nach oben beschränkt. Daher konvergiert die Folge und der Grenzwert S̃ := lim s2k+1 k→∞ existiert. Die beiden Grenzwerte S und S̃ sind identisch, da S − S̃ = lim (s2k − s2k+1 ) = lim a2k+1 = 0 . k→∞ k→∞ Demnach gibt es für alle > 0 Zahlen N1 , N2 ∈ N0 , so dass |s2k − S| < für alle k ≥ N1 und |s2k+1 − S| < für alle k ≥ N2 . Setzen wir N := max(2N1 , 2N2 + 1), so gilt |sn − S| < für alle n ≥ N . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 63 Beispiele • Die harmonische Reihe • Die Reihe ∞ 1 P divergiert. n=1 n ∞ 1 P , mit k ∈ N : k ≥ 2, konvergiert. k n=1 n ∞ P • Die alternierende harmonische Reihe (−1)n n=1 1 konvergiert. n Begründung: nach Leibniz-Kriterium. • Die unendliche geometrische Reihe ∞ P xn , für |x| < 1, konvergiert. n=0 1 − xm+1 für x ∈ R : x 6= 1 Begründung: Es gilt xn = 1−x n=0 ∞ P 1 für |x| < 1 . und daher xn = 1−x n=0 m P ∞ 1 P |x|n , mit |x| < 1 konvergiert. n=1 n n+1 |x| ≤ θ < 1. Begründung: Quotientenkriterium, da n • Die Reihe Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 2.2 2.2.1 64 Differentialrechnung von Funktionen einer Variablen Der Differentialquotient Definition: Sei D ⊂ R und f : D −→ R eine Funktion. Es existiere eine Folge (ξn ) ⊂ D\{x} mit lim ξn = x. n→∞ f heißt in einem Punkt x ∈ D differenzierbar, falls der Grenzwert f 0 (x) := lim ξ→x ξ∈D\{x} f (ξ) − f (x) ξ−x in R existiert. Dieser Grenzwert f 0 (x) heißt Differentialquotient oder Ableitung von f im Punkte x. Anmerkung: Der Definition liegt der Begriff des Grenzwertes bei Funktionen zu Grunde. Der Grenzwert von g(ξ) := f (ξ) − f (x) ξ−x existiert nicht, wenn die Folge g(ξn ) divergiert, d. h., wenn ihr Wert von der Wahl der Folge (ξn )n ∈ N abhängt oder bestimmt divergiert. Der Differenzenquotient f (ξ) − f (x) ξ−x ist die Steigung der Sekante durch die Punkte (x, f (x)) und (ξ, f (ξ)) des Graphen der Funktion f. Existiert der Grenzwert des Differenzenquotienten für ξ → x, so geht bei diesem Grenzübergang die Sekante in die Tangente an den Graphen von f im Punkt (x, f (x)) über. Statt f 0 (x) ist auch die Schreibweise df (x) üblich. dx Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 65 f ( ξ) f ( ξ)− f ( x ) f (x) x ξ−x ξ Abbildung 2.8 Die Steigung der Sekante Beispiele zur Berechnung der Ableitung • Sei f : R → R, f (x) = x2 . Dann gilt f (x + h) − f (x) (x + h)2 − x2 = lim h→0 h→0 h h f 0 (x) = lim 2xh + h2 = lim (2x + h) = 2x . h→0 h→0 h = lim • Sei f : R∗ := R\{0} und f : R∗ → R, f (x) = 1 . Dann gilt x 1 1 1 f (x + h) − f (x) = lim ( − ) h→0 h x + h h→0 h x f 0 (x) = lim x − (x + h) −1 1 = lim =− 2. h→0 h(x + h)x h→0 (x + h)x x = lim • Sei f : R → R, f (x) = exp x. Dann gilt exp(x + h) − exp(x) exp(h) − 1 = exp(x) lim . h→0 h→0 h h f 0 (x) = lim Da ex − 1 = 1, x→0 x x6=0 lim erhalten wir f 0 (x) = exp(x) . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 66 • Sei f : R → R, f (x) = sin x. Dann gilt 2 cos(x + h2 ) sin h2 sin(x + h) − sin(x) f (x) = lim = lim h→0 h→0 h h ! sin h h = lim cos(x + ) · lim h 2 . h→0 h→0 2 2 0 Da die Funktion cos stetig ist, erhalten wir h lim cos(x + ) = cos x . h→0 2 Weiterhin gilt sin x = 1. x→0 x x6=0 lim Das ergibt schließlich f 0 (x) = cos x . Die Betragsfunktion abs : R → R , x 7→ |x| ist stetig, jedoch nicht differenzierbar. y f ( x )=∣x∣ x Abbildung 2.9 Die Betragsfunktion Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 67 Beweis: Die Folge (hn )n∈N mit hn := (−1)n 1 mit n ∈ N n konvergiert gegen Null. Für qn := abs(0 + hn ) − abs(0) hn gilt qn = 1 n −0 n 1 = (−1) . n (−1) n Da lim qn nicht existiert, ist die Funktion abs im Nullpunkt nicht differenzierbar. n→∞ Wie bei der rechtsseitigen und linksseitigen Stetigkeit, lassen sich auch entsprechende Differentialquotienten einführen. Definition: Sei D ⊂ R und f : D −→ R eine Funktion. Dann heißt f im Punkt x von rechts differenzierbar, falls der Grenzwert f+0 (x) := lim ξ&x f (ξ) − f (x) ξ−x existiert. Die Funktion f heißt im Punkt x von links differenzierbar, falls der Grenzwert f−0 (x) := lim ξ%x f (ξ) − f (x) ξ−x existiert. Beispiel: Die Funktion abs ist im Nullpunkt zwar nicht differenzierbar, jedoch sowohl von rechts als auch von links differenzierbar, wobei abs0+ (0) = +1 und abs0− (0) = −1 . Während aus der Stetigkeit einer Funktion nicht deren Differenzierbarkeit folgt, impliziert jedoch umgekehrt die Differenzierbarkeit einer Funktion deren Stetigkeit. Satz: Ist die Funktion f : D −→ R in x ∈ D differenzierbar, so ist sie in x auch stetig. Eine Funktion f : D −→ R heißt in x ∈ D stetig differenzierbar, wenn sie in x differenzierbar und der Differentialquotient f 0 in x stetig ist. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 2.2.2 Ableitungsregeln Produktregel Seien f, g : D −→ R in x ∈ D differenzierbare Funktionen. Dann ist auch die Funktion f · g : D −→ R in x ∈ D differenzierbar, und es gilt (f · g)0 (x) = f 0 (x)g(x) + f (x)g 0 (x) . Quotientenregel Ist g(ξ) 6= 0 für alle ξ ∈ D, so ist auch die Funktion f : D −→ R g in x ∈ D differenzierbar und es gilt f 0 (x)g(x) − f (x)g 0 (x) f . ( )0 (x) = g g(x)2 Beispiel Für die Funktion tan : R\{ π + kπ|k ∈ Z} → R , x 7→ tan x 2 erhalten wir tan0 (x) = cos2 x + sin2 x 1 sin0 (x) cos(x) − sin(x) cos0 (x) = = . 2 2 cos x cos x cos2 x 68 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 69 Ableitung der Umkehrfunktion Sei D ⊂ R ein abgeschlossenes Intervall. Ferner sei f :D→R eine stetige und streng monotone Funktion und ϕ = f −1 : D∗ → R , mit D∗ = f (D) , deren Umkehrfunktion. Ist f im Punkt x ∈ D differenzierbar mit f 0 (x) 6= 0, so ist ϕ im Punkt y := f (x) differenzierbar und es gilt ϕ0 (y) = 1 f 0 (x) = 1 f 0 (ϕ(y)) . Beispiel Die Funktion ln : R∗+ → R ist die Umkehrfunktion von exp : R → R. Daher gilt ln0 (x) = 1 exp0 (ln x) = 1 1 = . exp(ln x) x Kettenregel Seien f : D −→ R und g : E −→ R Funktionen mit f (D) ⊂ E. Die Funktion f sei im Punkt x ∈ D und g im Punkt f (x) ∈ E differenzierbar. Dann ist die zusammengesetzte Funktion g ◦ f : D −→ R im Punkt x ∈ D differenzierbar, und es gilt (g ◦ f )0 (x) = g 0 (f (x))f 0 (x) . Beispiel Sei a ∈ R und f : R∗+ → R, x 7→ xa . Mit xa = exp(a ln x) und der Anwendung der Kettenregel erhalten wir dxa d a = exp0 (a ln x) (a ln x) = exp(a ln x) = a xa−1 . dx dx x Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 70 Ableitungen höherer Ordnung Sei f : D → R in D ∩ (x − , x + ) und f 0 : D → R in x ∈ D differenzierbar. Demnach existiert der Grenzwert (f 0 )0 (x). Die Ableitung (f 0 )0 (x) wird als zweite Ableitung von f in x bezeichnet. Gebräuchlich ist die Schreibweise 2 d2 f (x) d d df (x) 00 0 0 = = f (x) . f (x) := (f ) (x) = 2 dx dx dx dx Allgemein lassen sich so k-te Ableitungen einführen. Definition: Eine Funktion f : D → R heißt k-mal differenzierbar im Punkt x ∈ D, falls ein > 0 existiert, so dass f in D ∩ (x − , x + ) (k − 1)-mal differenzierbar und die (k − 1)-te Ableitung von f in x differenzierbar ist. Gebräuchlich ist die Schreibweise f (k) (x) := (f d ) (x) = dx (k−1) 0 dk−1 f (x) dk−1 x Ableitungen einiger Funktionen Die Ableitung der konstanten Funktion f : R → R , x 7→ f (x) = c ist f 0 (x) = 0 . Die Ableitung der Potenzfunktion f : R∗+ → R , x 7→ f (x) = xa , mit a ∈ R , ist f 0 (x) = a xa−1 . Trigonometrische Funktionen Die Ableitung der sin-Funktion f : R → R , x 7→ f (x) = sin x ist f 0 (x) = cos x . dk f (x) = = dxk d dx k f (x) . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg Die Ableitung der cos-Funktion f : R → R , x 7→ f (x) = cos x ist f 0 (x) = − sin x . Die Ableitung der tan-Funktion f : R\{ π + kπ|k ∈ Z} → R , x 7→ f (x) = tan x 2 ist f 0 (x) = 1 . cos2 x Die Ableitung der cot-Funktion f : R\{kπ|k ∈ Z} → R , x 7→ f (x) = cot x ist f 0 (x) = − 1 . sin2 x Exponentialfunktionen Die Ableitung der exp-Funktion f : R → R , x 7→ f (x) = ex ist f 0 (x) = ex . Sei a ∈ R∗+ . Die Ableitung der Exponentialfunktion zur Basis a f : R → R , x 7→ f (x) = ax ist f 0 (x) = ax · (ln a) . 71 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 2.2.3 72 Lokale Extrema, Mittelwertsatz, Krümmungsverhalten Definition: Sei D ⊂ R eine offene Menge und f : D → R. Die Funktion f besitzt in D ein lokales Maximum (Minimum), wenn ein > 0 existiert, so dass f (x) ≥ f (ξ) (bzw. f (x) ≤ f (ξ)) für alle ξ mit |x − ξ| < . Dieser Extremwert wird als isoliertes lokales Maximum (Minimium) bezeichnet, wenn f (x) 6= f (ξ) in einer beliebig kleinen Umgebung von ξ ist. Sei D ⊂ R eine offene Menge und f : D → R. Die Funktion f besitze in D ein lokales Extremum und sei in x differenzierbar. Dann gilt f 0 (x) = 0. Der Satz von Rolle besagt, dass zwischen zwei Nullstellen einer Funktion eine Nullstelle der Ableitung liegt. Satz von Rolle: Sei a < b. Ferner sei f : [a, b] → R eine stetige und in (a, b) differenzierbare Funktion mit f (a) = f (b). Dann existiert ein ξ ∈ (a, b) mit f 0 (ξ) = 0. Eine Folgerung des Satzes von Rolle ist der folgende Mittelwertsatz. Mittelwertsatz der Differentialrechnung: Sei a < b und f : [a, b] → R eine stetige und in (a, b) differenzierbare Funktion. Dann existiert ein ξ ∈ (a, b), so dass f (b) − f (a) = f 0 (ξ) . b−a Das bedeutet, dass die Steigung der Sekante durch die Punkte (a, f (a)) und (b, f (b)) gleich der Steigung der Tangente an den Graphen von f an einer Stelle (ξ, f (ξ)) mit ξ ∈ (a, b) ist. y f (x) f (b)− f (a) b−a a ξ b x Abbildung 2.10 Die Sekantensteigung und f 0 (ξ) Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 73 Mit Hilfe der Ableitung lassen sich die Monotoniebereiche und damit die Extrema bestimmen. Sei f : [a, b] → R eine stetige und in (a, b) differenzierbare Funktion. Gilt • f 0 (x) ≥ 0 (f 0 (x) > 0) für alle x ∈ (a, b), so ist f in [a, b] (streng) monoton wachsend, • f 0 (x) ≤ 0 (f 0 (x) < 0) für alle x ∈ (a, b), so ist f in [a, b] (streng) monoton fallend. Beispiel: Monotoniebereiche und Extremwerte y f (x) f ( x 1) f ' ( x)>0 f ' ( x)<0 f ' ( x)>0 f ( x 2) x1 x2 x Abbildung 2.11 Monotoniebereiche und Extremwerte Eine hinreichende Bedingung für ein isoliertes lokales Extremum bietet der folgende Satz: Sei f : (a, b) → R eine differenzierbare Funktion, die im Punkt x ∈ (a, b) zweimal differenzierbar ist. Gilt f 0 (x) = 0 und f 00 (x) > 0 (bzw. f 00 (x) < 0) , so besitzt f in x ein isoliertes lokales Minimum (bzw. Maximum). Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 74 Krümmungsverhalten Sei D ⊂ R ein (endliches oder uneigentliches) Intervall. Eine Funktion f : D → R heißt konvex, wenn für alle x1 , x2 ∈ D und alle λ mit 0 < λ < 1 gilt f (λx1 + (1 − λ)x2 ) ≤ λf (x1 ) + (1 − λ)f (x2 ) . Eine Funktion f heißt konkav, wenn −f konvex ist. Sei f : D → R zweimal differenzierbar. Die Funktion f ist genau dann konvex (bzw. konkav), wenn für alle x ∈ (a, b) gilt f 00 (x) ≥ 0 (bzw. f 00 (x) ≤ 0) . Beispiel: Krümmungsverhalten y f (x) f ' ' ( x)<0 f ( x 0) f ' ' ( x)>0 x0 x Abbildung 2.12 Konvexe und konkave Bereiche einer Funktion Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 2.2.4 75 Approximation durch affin-lineare Funktionen Die Differenzierbarkeit einer Funktionen kann auch durch die Approximierbarkeit mittels affinlineare Funktionen ausgedrückt werden. Sei D ⊂ R und a ∈ D ein Punkt, der Grenzwert mindestens einer Punktfolge (xn )n∈N ⊂ D\{a} ist. Eine Funktion f : D → R ist genau dann im Punkt a differenzierbar, wenn eine Konstante c ∈ R existiert, so dass f (x) = f (a) + c(x − a) + ϕ(x) für x ∈ D , wobei ϕ eine Funktion ϕ : D → R mit der Eigenschaft ϕ(x) =0 x−a x∈D\{a} lim x→a ist. In diesem Fall gilt c = f 0 (x). Der Graph unserer affin-linearen Funktion L(x) = f (a) + c(x − a) ist die Tangente an den Graphen von f im Punkt (a, f (a)). Beispiel Approximation der Funktion f : R → R , x 7→ f (x) = sin x in Umgebung des Punktes a = 0. Wir erhalten x 0,1 0,2 sin x 0,09983 0,19867 0,3 0,4 0,29552 0,38942 Approximation einiger Funktionen in der Umgebung von a = 0 Es gilt (1 + x)α ≈ 1 + α x , mit α ∈ R, ex ≈ 1 + x, sin x ≈ x, ln(1 + x) ≈ x. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 2.3 76 Funktionenfolgen Gegeben sei K eine Menge und Funktionen fn : K → C, mit n ∈ N0 . K kann beispielsweise R oder C oder ein Intervall in R sein. Dann können wir (fn (x))n∈N0 punktweise als Zahlenfolgen auffassen. Die Folge (fn (x))n∈N0 heißt Funktionenfolge. Punktweise und gleichmäßige Konvergenz von Funktionenfolgen Die Folge (fn (x))n∈N0 konvergiert punktweise gegen einen Funktion f : K → C, falls für alle x ∈ K und für alle > 0 ein N = N (x, ) exsitiert, so dass |fn (x) − f (x)| < für alle n ≥ N . Bei gleichmäßiger Konvergenz einer Funktionenfolge muss die für die punktweise Konvergenz geforderte Eigenschaft hinsichtlich N = N () gelten, d.h. N darf nicht von x abhängen. Die Folge (fn (x))n∈N0 konvergiert gleichmäßig gegen einen Funktion f : K → C, falls für alle > 0 ein N = N () exsitiert, so dass |fn (x) − f (x)| < für alle x ∈ K und alle n ≥ N . Konvergiert eine Funktionenfolge gleichmäßig, so konvergiert sie auch punktweise. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 77 Beispiel zur punktweisen Konvergenz von Funktionenfolgen Sei n ∈ N0 und fn : [0, 1] → R , x 7→ fn (x) = xn . Obwohl die Funktionen fn stetig sind, ist f (x) = lim fn (x) n→∞ unstetig, wobei 0 für f (x) = 1 für 0≤x<1 x = 1. y x2 x4 x12 x100 lim n → ∞ f n ( x) x Abbildung 2.13 Punktweise Konvergenz von Funktionenfolgen Allerdings bietet die gleichmäßige Konvergenz ein Kriterium, das die Stetigkeit des Limes f (x) gewährleistet. Sei fn : K → C, n ∈ N0 und (fn )n∈N0 eine Folge stetiger Funktionen, die gleichmäßig gegen die Funktion f : K → C konvergiere. Dann ist auch f stetig. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 2.4 78 Potenzreihen Sei (cn )n∈N0 eine Folge komplexer Zahlen, z0 ∈ C und fn : C → C. Besitzen die Folgeglieder fn der Funktionenfolge (fn (z))n die Form fn (z) = cn (z − z0 )n für n ∈ N0 , so bezeichnen wir die zugehörige Reihe ∞ X fn (z) n=0 als Potenzreihe. Definition: Ist ∞ X cn (z − z0 )n n=0 eine Potenzreihe, so heißt r := sup{|z − z0 | | ∞ X cn (z − z0 )n konvergiert } n=0 Konvergenzradius der Potenzreihe. Anmerkung: Es gilt r ∈ R+ ∪ {∞}. Beispiel Sei n ∈ N0 und fn : (−1, 1) → R , x 7→ xn . Dann konvergiert die geometrische Reihe ∞ X n=0 ∞ X n=0 fn (x) = ∞ X n=0 xn = 1 . 1−x fn (x) und Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 79 Sei ρ ∈ R und B(z0 , ρ) := {z ∈ C | |z − z0 | ≤ ρ} . Falls die Potenzreihe ∞ X cn (z − z0 )n n=0 für ein z1 ∈ C mit z1 6= z0 konvergiert, so konvergieren diese Potenzreihe und die Potenzreihe ∞ X ncn (z − z0 )n−1 n=1 absolut und gleichmäßig auf B(z0 , ρ) mit 0 < ρ < |z1 − z0 |. Entweder konvergiert die Potenzreihe absolut auf ganz C oder es gibt eine reelle Zahl r ∈ [0, ∞), so dass die Potenzreihe • auf {z ∈ C | |z − z0 | < r} absolut konvergiert und • auf {z ∈ C | |z − z0 | > r} divergiert. Anmerkung: Entsprechende Aussagen gelten für Potenzreihen in R. Berechnung des Konvergenzradius Gegeben sei eine Reihe ∞ X an xn , mit x ∈ R . n=0 Existiert lim n→∞ p n |an | = g , so gilt für den Konvergenzradius 1 r= . g Existiert an+1 = q, lim n→∞ an so gilt für den Konvergenzradius 1 r= . q Anmerkung: Die Aussagen lassen sich mit Hilfe des Wurzel- bzw. Quotientenkriteriums beweisen. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 80 Beispiele • Die Exponential-Reihe ∞ X xn n=0 n! xn ist für jedes x ∈ R absolut konvergent, da mit fn (x) := , für alle n ≥ 2|x|: n! fn+1 (x) 1 |x| fn (x) = n + 1 ≤ 2 . Nach dem Quotientenkriterium ist demnach die Behauptung bewiesen. Für den Konvergenzradius erhalten wir daher r = ∞. Anmerkung: Es gilt fn+1 (x) = 0. lim n→∞ fn (x) Wir können den Konvergenzradius aber auch, wie oben, mittels der Folgen (an )n∈N0 bestimmen: 1 So erhalten wir, mit an := , n! an+1 = lim 1 = 0 , lim n→∞ an n→∞ n + 1 woraus r = ∞ folgt. • Für den Konvergenzradius der Reihe ∞ X nxn n=0 erhalten wir r = 1, da für fn (x) := nxn p √ lim n |fn (x)| = lim ( n n |x|) = |x| n→∞ n→∞ ist. Das Ergebnis für den Konvergenzradius lässt sich aber auch als Folgerung des Konvergenzverhaltens von (an )n∈N0 mit an := n zeigen. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 81 Im folgenden Satz formulieren wir, dass sich konvergente reelle Potenzreihen gliedweise differenzieren lassen. Sei an , x, x0 ∈ R und f (x) = ∞ X an (x − x0 )n n=0 eine Potenzreihe mit dem Konvergenzradius r > 0. Dann gilt für alle x ∈ (x0 − r, x0 + r) 0 f (x) = ∞ X n=1 nan (x − x0 )n−1 . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 2.5 82 Taylor-Reihen Wie wir gesehen haben, kann der Funktionswert einer differenzierbaren Funktion f in der Umgebung einer Stelle a durch f (a) + (x − a)f 0 (a) näherungsweise bestimmt werden. Da die Berücksichtigung höherer Ableitungen zu einer verbesserten Approximation von ganzrationalen Funktionen führen kann, stellt sich allgemein die Frage, wann sich Funktionen, zumindest lokal, durch Polynome approximieren lassen. Eine ganzrationale Funktion f (x) = n X ak x k , k=0 lässt sich auch folgendermaßen schreiben f (x) = n X f (k) (0) k! k=0 xk . Ersetzen wir hierbei den Punkt 0 durch den Punkt a, so erhalten wir entsprechend f (x) = n X f (k) (a) k! k=0 (x − a)k . Taylorsche Formel: Sei I ⊂ R ein Intervall und a, x ∈ I. Ferner sei f : I → R eine (n + 1)-mal stetig differenzierbare Funktion. Dann gilt f (x) = f (a) + = n X f (k) (a) k=0 k! f 0 (a) f 00 (a) f (n) (a) (x − a) + (x − a)2 + ... + (x − a)n + Rn+1 (x) 1! 2! n! (x − a)k + Rn+1 (x) , wobei 1 Rn+1 (x) = n! Zx a (x − t)n f (n+1) (t) dt . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 83 Die Lagrangesche Form dieses Restgliedes Rn+1 (x) lautet: Es existiert ein ξ ∈ [a, x] bzw. ξ ∈ [x, a], so dass Rn+1 (x) = f (n+1) (ξ) (x − a)n+1 . (n + 1)! Mit Hilfe der Taylor-Entwicklung lässt sich folgender Satz beweisen: Sei I ⊂ R ein Intervall und x ∈ I. Ferner sei f : I → R eine n-mal stetig differenzierbare Funktion. Dann gilt f (x) = n X f (k) (a) k! k=0 (x − a)k + η(x)(x − a)n , wobei η : I → R eine Funktion mit der Eigenschaft lim η(x) = 0 x→a ist. Definition • Sei f : I → R eine n-mal differenzierbare Funktion und a ∈ I. Dann heißt n X f (k) (a) k=0 k! (x − a)k Taylor-Polynom n-ter Ordnung von f mit Entwicklungspunkt a. • Sei f : I → R eine beliebig oft differenzierbare Funktion und a ∈ I. Dann heißt ∞ X f (k) (a) k=0 k! (x − a)k Taylor-Reihe von f mit Entwicklungspunkt a. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 84 Anmerkungen • Der Konvergenzradius einer Taylor-Reihe ist nicht notwendigerweise positiv. • Auch wenn die Taylor-Reihe von f konvergiert, konvergiert sie nicht notwendigerweise gegen f . • Für x ∈ I konvergiert die Taylor-Reihe von f (x) genau dann gegen f (x), wenn Rn+1 (x) gegen 0 konvergiert. • Das Restglied Rn+1 lässt sich auch folgendermaßen darstellen: – Schlömilchsche Form von Rn+1 : Sei p ∈ N mit 1 ≤ p ≤ n + 1. Es existiert ein ξ ∈ [a, x] bzw. ξ ∈ [x, a], so dass f n+1 (ξ) (x − ξ)n+1−p (x − a)p . Rn+1 (x) = p · n! – Cauchysche Form von Rn+1 (entspricht der vorangegangenen Darstellung im Falle p = 1): Es existiert ein ξ ∈ [a, x] bzw. ξ ∈ [x, a], so dass Rn+1 (x) = f n+1 (ξ) (x − ξ)n (x − a) . n! Beispiele (1) Wir entwickeln die Funktion f : (−1, 1) → R , f (x) = √ 1 + x, für den Entwicklungspunkt a = 0, in erster Ordnung. Es gilt 1 1 f (0) = 1 , f (0) = √ = . 2 1 + x x=0 2 0 Demnach erhalten wir √ x f (x) = 1 + x = 1 + + η(x)x mit lim η(x) = 0 x→0 2 (2) Die Exponentialreihe Die Exponentialfunktion exp : R → R Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 85 ist definiert als Exponentialreihe, so dass exp(x) := ∞ X xn n! n=0 . Demnach ist die Exponentialreihe die Taylor-Reihe von exp mit Entwicklungspunkt a = 0. Abschätzung des Restglieds Es gilt exp(x) = N X xn n=0 n! + RN +1 (x) , wobei |RN +1 (x)| ≤ 2 N |x|N +1 für |x| ≤ 1 + . (N + 1)! 2 Beweis Das Restglied RN +1 (x) = ∞ X xn n! n=N +1 lässt sich folgendermaßen abschätzen: n ∞ X x = |RN +1 (x)| ≤ n! n=N +1 |x|N +1 |x|2 |x| 1+ + + ... (N + 1)! N + 2 (N + 2)(N + 3) ! |x|k ... + + ... (N + 2) · .... · (N + k + 1)) = |x|N +1 ≤ (N + 1)! |x| 1+ + N +2 |x| N +2 2 + ... + |x| N +2 k ! + ... . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg Da wir o.B.d.A. |x| ≤ 1 + N 2 |x|N +1 |RN +1 (x)| ≤ (N + 1)! 86 setzen können, gilt 1 1 1 1 + + + ... + k + ... . 2 4 2 Die geometrische Reihe ∞ n X 1 n=0 2 konvergiert gegen 2. Daher erhalten wir |RN +1 (x)| ≤ 2 |x|N +1 . (N + 1)! Zur Konvergenz der Taylor-Reihe für exp(x) y e x T 15 ( x) T 10 ( x) x T 5 ( x) T 3 ( x) T 1( x) Abbildung 2.14 Approximation von exp durch Taylor-Polynome Tn der Ordnung n = 1, 3, 5, 10, 15 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 87 ex y T 10 ( x) T 2 ( x) T 4 ( x) x Abbildung 2.15 Approximation von exp durch Taylor-Polynome Tn der Ordnung n = 2, 4, 10 (3) Die Taylor-Reihen von Sinus und Cosinus Die Funktionen sin und cos sind gegeben durch ∞ X x2k+1 (−1)k sin x = (2k + 1)! k=0 und cos x = ∞ X k=0 (−1)k x2k . (2k)! Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 88 Zur Konvergenz der Taylor-Reihe für sin(x) y T 7(x) T 3 ( x) T 1 ( x) T 5 ( x) T 11 ( x) sin x T 31 ( x ) x Abbildung 2.16 Approximation von sin durch einige Taylor-Polynome Tn (4) Die Logarithmusreihe Sei −1 < x ≤ +1. Dann gilt ln(1 + x) = ∞ X (−1)n−1 n=1 n xn . (5) Die Arcus-Tangens-Reihe Sei |x| ≤ 1. Dann gilt ∞ X x2n+1 arctan x = (−1)n . 2n + 1 n=0 (6) Die Binomische Reihe Sei α ∈ R und |x| < 1. Dann gilt ∞ X α n α (1 + x) = x , n n=0 wobei Y n α α−k+1 = . n k k=1 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 3 89 Differentialrechnung im Rn, Teil I Funktionen mehrere Variablen treten in der Physik und Chemie sehr häufig auf. Beispielsweise lassen sich • die Zustandsgleichung idealer Gase pV = nRT • und das Ohmsche Gesetz R= U I als Funktionen mehrerer Variablen, wie p(n, V, T ) oder U (R, I), betrachten. Dabei wird der Definitionsbereich oft stärker als mathematisch notwendig eingeschränkt, da Naturgesetze sinnvolle naturwissenschaftlichen Gegebenheiten wiedergeben. So können wir für den Druck p = p(V, T ) eines idealen Gases als Definitionsbereich beispielsweise Dp = {(V, T ) ∈ R2 | T ≥ 0, V > 0} wählen, wenn wir n als konstant voraussetzen. Der Definitionsbereich Dp lässt sich dann folgendermaßen veranschaulichen T Dp V Abbildung 3.1 Dp für ein ideales Gas bei n = const. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 90 Der Definitionsbereich einer Funktion mit n reellen Variablen ist eine Punktmenge im Rn . Bei zwei Variablen kann das in einfachen Fällen beispielsweise ein Rechteck {(x, y) ∈ R2 | a ≤ x ≤ b, c ≤ y ≤ d} sein y d Df c a b x Abbildung 3.2 Rechteck als Punktmenge des R2 oder eine Kreisfläche {(x, y) ∈ R2 | (x − x0 )2 + (y − y0 )2 ≤ r2 } . y ( x , y) y0 Df x0 x Abbildung 3.3 Kreisfläche als Punktmenge des R2 Ebenen Geometrisch lassen sich Gleichungen wie x + y + z = b mit (x, y, z) ∈ R3 , zu festem b ∈ R, als Ebenen im R3 beschreiben. Eine Teilmenge A ⊂ R3 ist genau dann eine Ebene, wenn es zu b ∈ R Zahlen a1 , a2 , a3 ∈ R mit (a1 , a2 , a3 ) 6= (0, 0, 0) gibt, so dass A = {(x1 , x2 , x3 ) ∈ R3 | a1 x1 + a2 x2 + a3 x3 = b} gilt. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 91 Da nicht alle Koeffizienten der Ebenengleichung verschwinden, existiert auch eine Darstellung der Form z = z(x, y) . Jedoch müssen Funktionen f (x, y) nicht linear von den Variablen x und y abhängen. Allgemeiner betrachten wir Abbildungen f von Teilmengen D ⊂ Rn nach R, d.h. f : D → R , (x1 , ..., xn ) 7→ f (x1 , ..., xn ) . Der Graph von f ist die Menge Γf := {(x, y) ∈ D × R | y = f (x)} . Demnach ist Γf ⊂ Rn+1 . Die folgende Abbildung zeigt den Graphen der Funktion f : D → R , (x, y) 7→ z = f (x, y) = x2 + y 2 für D = [−10, 10] × [−10, 10]. Abbildung 3.4 Graph von f (x, y) = x2 + y 2 (Rotationsparaboloid) Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 92 Die folgende Abbildung zeigt den Graphen der Funktion f : D → R , (x, y) 7→ z = f (x, y) = x3 − y 3 für D = [−3, 3] × [−3, 3]. Abbildung 3.5 Graph von f (x, y) = x3 − y 3 Eine Funktion f : U → R mit U ⊂ Rn , n ≥ 2, lässt sich auch durch die Schar Nf (c), c ∈ R, ihrer Niveaumengen Nf (c) := {x ∈ U | f (x) = c} ⊂ Rn beschreiben. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 93 Im Fall n = 2 werden die Niveaumengen auch Höhenlinien genannt. 1.0 0.8 0.6 0.4 0.2 0.0 - 0.2 - 0.4 - 0.6 - 0.8 - 1.0 - 1.0 - 0.8 - 0.6 - 0.4 - 0.2 0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 Abbildung 3.6 Höhenlinien von f (x, y) = x2 + y 2 3 2 1 0 -1 -2 -3 -3 -2 -1 0 1 2 3 Abbildung 3.7 Höhenlinien von f (x, y) = x3 − y 3 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 3.1 94 Partielle Ableitungen Definition: Sei U ⊂ Rn eine offene Menge und f :U →R eine Funktion. Ferner sei ei ∈ Rn der i-te Einheitsvektor ei = (0, ...., 1, ...., 0) , wobei nur an der i-ten Stelle eine 1, sonst aber nur 0-Einträge auftreten. Die Funktion f heißt im Punkt x ∈ U partiell differenzierbar bezüglich der i-ten Koordinatenrichtung, falls der Limes ∂f (x) f (x + hei ) − f (x) := lim h→0 ∂xi h existiert, wobei h ∈ R∗ mit x + hei ∈ U ist. ∂f (x) schreiben wir auch ∂xi f (x). ∂xi Nehmen wir an, dass für x = (x1 , ...., xn ) ∈ U nur eine Koordinate variabel ist, die anderen n − 1 Koordinaten aber fest, so erhalten wir Funktionen Statt ξ 7→ fi (ξ) := f (x1 , ...., xi−1 , ξ, xi+1 , ..., xn ) . Die partielle Ableitung der i-ten Koordinatenrichtung lässt sich dann als gewöhnliche Ableitung von f (ξ) formulieren. Demnach gilt ∂f (x) = fi0 (xi ) ∂xi und wir können unsere Ergebnisse und Definitionen der Differentialrechnung einer reellen Variablen nutzen. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 95 Beispiele • Für die partielle Ableitung von f (x, y) = x + 2xy nach x erhalten wir ∂f (x, y) = 1 + 2y ∂x und für die partielle Ableitung nach y ∂f (x, y) = 2x . ∂y • Für die partielle Ableitung von 1 f (x, y) = x2 + exy 2 nach x erhalten wir ∂f (x, y) = x + y exy ∂x und für die partielle Ableitung nach y ∂f (x, y) = x exy . ∂y Höhere Ableitungen Sei U ⊂ Rn offen und f :U →R eine partiell differenzierbare Funktion. Sind alle partiellen Ableitungen ∂f : U → R, 1 ≤ i ≤ n, ∂xi partiell differenzierbar, so heißt f zweimal partiell differenzierbar. Entsprechend wird der Begriff k-mal partiell differenzierbar erklärt. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 96 Eine übliche Schreibweise für die zweiten Ableitungen von f ist ∂ 2f ∂xj ∂xi und, falls i = j, ∂ 2f . ∂xi ∂xi Beispiel Für die Funktion f (x, y) = cos x · sin y erhalten wir für die ersten Ableitungen ∂f (x, y) ∂f (x, y) = − sin x · sin y , = cos x · cos y ∂x ∂y und für die zweiten ∂ 2 f (x, y) ∂ 2 f (x, y) = − cos x · sin y , = − sin x · cos y ∂x2 ∂y∂x und ∂ 2 f (x, y) ∂ 2 f (x, y) = − sin x · cos y , = − cos x · sin y . ∂x∂y ∂y 2 Eine Funktion f : U → R heißt k-mal stetig partiell differenzierbar, wenn sie k-mal partiell differenzierbar ist und alle partiellen Ableitungen der Ordnung ≤ k stetig sind. Satz: Sei U ⊂ Rn offen und f : U → R zweimal stetig partiell differenzierbar. Dann gilt für alle a ∈ U ∂f ∂f = für 1 ≤ i, j ≤ n . ∂xi ∂xj ∂xj ∂xi Anmerkung: Die Eigenschaft ∂f ∂f = ∂x∂y ∂y∂x können wir auch für das vorangegangene Beispiel nutzen. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 3.2 97 Approximation durch affin-lineare Funktionen Sei U ⊂ Rn offen und f : U → Rm eine Abbildung, die im Punkt x0 ∈ U differenzierbar sei. Dann lässt sich f durch affin-lineare Funktionen f (x) = f (x0 ) + A · (x − x0 ) approximieren, wobei für die Matrix A = (aij ) mit 1 ≤ i ≤ m und 1 ≤ j ≤ n gilt aij = ∂fi (x0 ) . ∂xj Diese Matrix wird als das Differential oder die Jacobi- oder Funktional-Matrix von f im Punkte x0 bezeichnet Anmerkung: Die Variable x und der Punkt x0 sind Elemente des Rn . Ist m = 1 und n = 2, so ist A der Vektor ( ∂f ∂f , )(x0 ) , ∂x1 ∂x2 wobei x0 = (x0,1 , x0,2 ). Selbstverständlich können wir hier für x1 auch x und für x2 auch y schreiben. Im Falle n = 1 haben wir die Funktion durch die Geradengleichung der Tangente approximiert. Hier gehen wir entsprechend vor. Statt der Geradengleichung erhalten wir eine Ebenengleichung. Tangentialebene Sei U ⊂ R2 und f : U → R eine in (x0 , y0 ) stetig partiell differenzierbare Funktion. Wir betrachten die Tangentialebene an den Graphen von f im Punkte P mit den Koordinaten (x0 , y0 , f (x0 , y0 )). Die beiden Richtungsvektoren (1, 0, ∂x f (x0 , y0 )) und (0, 1, ∂y f (x0 , y0 )) liegen in der Tangentialebene des Punktes (x0 , y0 , f (x0 , y0 )) und sind linear unabhängig. Daher erhalten wir als Parameterdarstellung dieser Ebene (x, y, z) = (x0 , y0 , f (x0 , y0 )) + λ(1, 0, ∂x f (x0 , y0 )) + µ(0, 1, ∂y f (x0 , y0 )) , wobei λ, µ ∈ R. Allgemeiner nennen wir eine Teilmenge A ⊂ Rn Ebene, wenn es v, w1 , w2 ∈ Rn gibt, wobei w1 und w2 linear unabhängig sind und A = {u ∈ Rn | u = v + λ1 w1 + λ2 w2 mit λ1 , λ2 ∈ R} Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 98 gilt. Kürzer schreiben wir hierfür A = v + Rw1 + Rw2 . Ist A ⊂ Rn eine Ebene, so wird ein s ∈ Rn als orthogonal zu A, oder als Normalenvektor von A, bezeichnet, wenn für alle v1 , v2 ∈ A gilt hs, v1 − v2 i = 0 . Ist A = v + Rw1 + Rw2 , so ist s orthogonal zu A genau dann, wenn s ⊥ w1 und s ⊥ w2 ist. Der Vektor ~n := w ~1 × w ~ 2 = (−∂x f (x0 , y0 ), −∂y f (x0 , y0 ), 1) ist orthogonal zu unserer Tangentialebene. Da h~n, ((x, y, z) − (x0 , y0 , f (x0 , y0 )))i = 0 gilt, erhalten wir nx (x − x0 ) + ny (y − y0 ) + nz (z − z0 ) = 0 und als weitere Darstellung der Tangentialebene von f in (x0 , y0 ) z − f (x0 , y0 ) = ∂f (x0 , y0 ) ∂f (x0 , y0 ) (x − x0 ) + (y − y0 ) . ∂x ∂y Anmerkung: Letztere Darstellung ergibt sich auch unmittelbar aus obiger Parameterdarstellung. Beispiel Mit Hilfe unserer Approximation sollen Funktionswerte von √ z = f (x, y) = x · y 2 in der Umgebung des Punktes P (1, 2) berechnet werden. Es gilt f (1, 2) = 4 und √ y2 z − 4 = ( √ )(1,2) 4x + ( x · 2y)(1,2) 4y = 2 4x + 4 4y , 2 x mit 4x := x − x0 und 4y := y − y0 . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 99 Für 4x = −0, 05 und 4y = 0, 06 erhalten wir nach dieser Approximation f (0, 95 , 2, 06) = 4 − 2 · 0, 05 + 4 · 0, 06 = 4, 140 . Setzen wir x = 0, 95 und y = 2, 06 stattdessen direkt in f (x, y) ein, so erhalten wir f (0, 95 , 2, 06) = 4, 136. Fehlerrechnung Um zu bestimmen, wie sich Fehler von Messungen in einer Meßgröße niederschlagen, betrachten wir die jeweilige funktionale Abhängigkeit und bestimmen neben dem resultierenden Mittelwert auch die resultierende Abweichung der Meßgröße im Rahmen einer linearen Approximation. Dabei nehmen wir an, dass die Messgröße f : U → R, x 7→ f (x) , mit U ⊂ Rn , von x = (x1 , ..., xn ) abhängt. Werte der Variablen xi werden durch einen Messung bestimmt. Dabei treten Messfehler auf, so dass wir statt xi die Große xi ± 4xi betrachten. Die Mittelwerte der Größen xi legen einen Wert für die Messgröße f (x) fest. Wie sich dabei die Fehler 4xi , im Falle 4xi xi , fortplanzen, zeigen wir im folgenden Abschnitt. Für f : U → R mit U ⊂ Rn können wir, bei kleinen Fehlern 4xi , die Näherung n X ∂f (x0 )4xi 4z = ∂x i i=1 verwenden. Als maximalen absoluten Fehler |4z| definieren wir dann n X ∂f |4z| := ∂xi (x0 ) |4xi | . i=1 Damit steht uns ein einfaches Fehlerfortpflanzungsgesetz zur Verfügung. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 100 Beispiele • Nach der Zustandsgleichung für ideale Gase, pV = nRT , lässt sich beispielsweise der Druck p des idealen Gases als Funktion p = p(n, V, T ) schreiben. Nach unserer Näherung erhalten wir für 4p 4p = ∂p ∂p ∂p 4V + 4T + 4n . ∂V ∂T ∂n Mit ∂p nRT ∂p nR ∂p RT =− 2 , = und = ∂V V ∂T V ∂n V und p0 = p(n0 , V0 , T0 ) ergibt sich für den maximalen relativen Fehler −1 4p n RT n RT n R RT 0 0 0 0 0 0 |4V | + |4T0 | + |4n| . p0 = V0 V02 V0 V0 Demnach gilt 4p 4V p0 = V0 4T 4n + + T0 n0 . Für 4V V0 4T 4n , T0 , n0 = 2% erhalten wir somit 4p p0 = 6% . • Für den Ohmschen Widerstand gilt R= U . I Hier erfolgt die Messung des Widerstandes R anhand einer Messung der Spannung U und der Stromstärke I. Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 101 Um den maximalen relativen Fehler von R = R(U, I) abzuschätzen, nutzen wir die Beziehung 4R 4U 4I = + R0 U0 I0 . Somit erhalten wir für I = (10 ± 0, 3) A und U = (220 ± 2) V 4R U0 ≈ 4% . R0 = = 22, 0 Ω und I0 R0 Beispiele für Fehlerabschätzungen Funktionen z = f (x, y) Maximaler absoluter bzw. relativer Fehler z = x + y, z = x − y |4z| = |4x| + |4y| x z = c xy, z = c y 4z 4x 4y = + z0 x0 y0 α β ∗ z = c x y mit α, β ∈ R Dabei setzen wir z0 := f (x0 , y0 ). 4z 4x 4y = α + β z0 x0 y0 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 3.3 102 Lineare Regression Lassen sich die Daten der Ausprägungen zweier Merkmale X und Y näherungsweise in Form eines linearen Zusammenhangs darstellen, so verhilft die lineare Regressionsrechnung zu einer genaueren Analyse der funktionalen Abhängigkeit beider Merkmalsausprägungen. Dabei liegen die Daten in Form von Wertepaaren (x1 , y1 ), ...., (xn , yn ), mit xi , yi ∈ R, vor. Dabei wird davon ausgegangen, dass yi = α + βxi + ci für i = 1, ..., n gilt. Dabei seien α, β, ci ∈ R, wobei die Größen ci zufällige Fehler darstellen. Die Methode der kleinsten Quadrate Die Parameter α und β sollen so bestimmt werden, dass durch die Regressionsgerade ŷ = a + bx eine möglichst gute Schätzung ŷ für die Ausprägung y des Merkmals Y bietet. Ein geeignetes Maß für die Güte dieser Schätzung stellt die Summe der Abweichungsquadrate 2 S = n X (yi − ŷi )2 i=1 dar, wobei ŷi := a + bxi sei. Nun sollen die Schätzgrößen a und b für α und β so bestimmt werden, dass S 2 minimal wird. y 6 ( xi , yi) 5 ̂y =a +b x 4 3 ( x i , ŷ i ) 2 1 0 0 1 2 3 4 5 6 7 8 x Abbildung 3.8 Methode der kleinsten Quadrate Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 103 Die Parameter a und b ergeben sich dann als Lösungen des Normalengleichungssystems n X ∂S 2 = −2 (yi − a − bxi ) = 0 ∂a i=1 und n X ∂S 2 = −2 xi (yi − a − bxi ) = 0 . ∂b i=1 Nach der ersten der beiden Gleichungen ist der Schätzwert für α a = ȳ − bx̄ , wobei n n 1X 1X xi und ȳ = yi n i=1 n i=1 x̄ = die Mittelwerte der Größen xi bzw. yi sind. Die zweite Gleichung impliziert n n 1X 2 1X xi yi − ȳx̄ + bx̄2 − b x = 0. n i=1 n i=1 i Nach dieser Gleichung und mit Hilfe der Identitäten n X (xi − x̄)(yi − ȳ) = i=1 n X xi yi − nx̄ȳ i=1 und n X 2 (xi − x̄) = n X i=1 x2i − x̄2 n i=1 erhalten wir schließlich n P b= (xi − x̄)(yi − ȳ) i=1 n P , (xi − i=1 den Schätzwert für β. x̄)2 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 104 Beispiel Gesucht ist die Regressionsgerade für folgende Daten (xi , yi ): (−4, −3), (−2, 1), (−1, 0), (0, 1), (4, 5) . Die Schätzwerte a und b lassen sich mittels 5 X xi = −4 − 2 − 1 + 0 + 4 = −3 , i=1 5 X 5 X yi = −3 + 1 + 0 + 1 + 5 = 4 , i=1 x2i = 42 + 22 + 1 + 0 + 42 = 37 i=1 und 5 X xi yi = (−4) · (−3) + (−2) · 1 + (−1) · 0 + 0 · 1 + 4 · 5 = 30 i=1 bestimmen. Demnach gilt 30 · 5 + 12 + b(9 − 5 · 37) = 0 und 5a = 4 + 3b . Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 105 Die Parameter der Regressionsgerade y = a + bx sind daher a ≈ 1, 35 , b ≈ 0, 92 . y 6 5 4 3 2 1 0 -5 -4 -3 -2 -1 -1 0 1 2 3 4 5 x -2 -3 -4 Abbildung 3.9 Datenpunkte und die zugehörige Regressionsgerade Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg Symbolverzeichnis N = {1, 2, 3, ....} Menge der natürlichen Zahlen N0 = {0, 1, 2, 3, ....} Z = {0, ±1, ±2, ....} Menge der ganzen Zahlen p Q = { | p, q ∈ Z, q 6= 0} Körper der rationalen Zahlen q R Körper der reellen Zahlen R+ := {x ∈ R | x ≥ 0} R∗ := {x ∈ R | x 6= 0} R∗+ := {x ∈ R | x > 0} C Körper der komplexen Zahlen 106 Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg 107 Quellen und Literatur [1] I. N. Bronstein, K. A. Semendjajew, Taschenbuch der Mathematik, B. G. Teubner, Nauka [2] A. Budó, Theoretische Mechanik, VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften [3] W. Fischer, I. Lieb, Funktionentheorie, Vieweg [4] O. Forster, Analysis 1, 2, Vieweg [5] C. Gerthsen, H.O. Kneser, H. Vogel, Physik, Springer [6] J. Hartung, Statistik, Oldenbourg [7] F. Reinhardt, H. Soeder, dtv-Atlas zur Mathematik, Deutscher Taschenbuch Verlag [8] R. Remmert, Funktionentheorie 1, Springer