Postraumatische Belastungsstörungen Jean Martin Charcot Jean

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Postraumatische
Belastungsstörungen
Harald J. Freyberger
A. Trauma- und Dissoziationskonzepte
B. Risiko-, Ereignis- und Schutzfaktoren
C. Langzeitverläufe – Studien zu HolocaustÜberlebenden, Kriegskindern und DDRzersetzung
D. Schlußfolgerungen
Jean Martin
Charcot
(1825 - 1893)
z
Entdeckte die psychodynamische
Dimension der Hysterie:
Symptome lassen sich mittels
Hypnose induzieren und auflösen
z
Dennoch: Postulat einer
hereditären Übererregbarkeit
neuromuskulärer Strukturen als
Ursache der Hysterie
1
Pierre Janet
(1859 - 1947)
L‘Automatisme
psychologique (1889)
„In der Hysterie findet sich eine
Abspaltung (franz.
désagrégation) bestimmter
Erlebnisanteile aus dem
Bewußtsein, die weiterhin aktiv
bleiben und so die dissoziativen
Symptome hervorrufen.“
Sigmund Freud
(1856 - 1939)
Studien über Hysterie (1895)
„Die Neigung zu dieser Dissoziation und damit zum Auftreten
abnormer Bewußtseinszustände,...,
ist das Grundphänomen dieser
Neurose.“
„Bei der Hysterie erfolgt die
Unschädlichmachung der
unverträglichen Vorstellung
dadurch, daß deren Erregungssumme ins Körperliche umgesetzt
wird, wofür ich den Namen
Konversion vorschlagen möchte.“
2
Zur Entwicklung diagnostischer und
therapeutischer Konzepte
1980 Aufnahme der posttraumatischen Belastungsstörung und der dissoziativen Störungen in das DSMIII
- Kriegsveteranenforschung
- Frauenbewegung
Auseinandersetzung mit den Tätern
- Hannah Arendt: „Banalität des Bösen“
- Kernbergs Konzept des malignen Narzißmus
Modelle der (deutschen) Nachkriegspsychiatrie zur Traumatisierung
A. „Prämorbide Organminderwertigkeit“ (Jaspers,
1945)
B. „…bei gesunden Menschen ist die Belastungsfähigkeit gegenüber Traumatisierungen
unbegrenzt…“ (Kretschmer, 1952)
C. „den Tod von wievielen seiner Kinder muß ein
Mensch symptomfrei ertragen können, um als
gesund zu gelten“ (Eisler, 1963)
3
Folgen für die Begutachtungspraxis
Phase I:
Phase II:
Phase III:
1955 – 1978 (Erstanträge) mit hohen
Ablehnungsquoten; Publikationen von von
Baeyer, Häfner und Kisker, Matussek
sowie Venzlaff
Zwischenphase („Brückensymptome“)
1990 – 200x (Verschlimmerungsanträge)
Begutachtungspraxis für politische Häftlinge der DDR
Behandlungspraxis bis in die 70er Jahre kritisch
Typ-I-Traumata (Terr, 1991)
•
•
•
•
Plötzlich
Meist Einmaligkeit und akute Lebensgefahr
Meist keine bis geringe interpersonelle Dimension
trifft auf eine „ausgebildete“ Persönlichkeit
• Beispiele: Naturkatastrophen, Unfälle oder
kriminelle Überfälle
4
Typ-II-Traumata (Terr, 1991)
• Langandauernd oder wiederholt
• Interpersonelle Traumatisierungen
• trifft in die Entwicklungsphase
• Beispiele: Kindesmißbrauch (sexuell, körperlich,
emotional) Kriegsgefangenschaft oder Geiselhaft
(z.B. KZ-Überlebende)
Posttraumatische Belastungsstörung
A.
B.
C.
D.
E.
Reaktualisierung traumaassoziierter
Inhalte
Hyperarousal
Vermeidungsverhalten gegenüber
traumaassoziierten Stimuli
Emotionale Taubheit und Dissoziation
Latenzzeiten von mehr als 2 Jahren
5
Persönlichkeitsänderung nach
Extrembelastung
Strukturelle Persönlichkeitsänderung mit
mißtrauischer Grundhaltung
sozialem Rückzug
affektive Leere
Hyperarousal
Dissoziation
Latenzzeit von mindestens 2 Jahren nach
PTSD
Versorgungsepidemiologie
• Mittleres Erkrankungsrisiko bei etwa 30%
• Mittlere Remissionswahrscheinlichkeit bei etwa
50%
• Traumatisierung ist Risikofaktor für eine Vielzahl
psychischer Störungen
• Die PTSD zeigt hohe Komorbiditätsraten und
hohe Übergangswahrscheinlichkeiten in andere
psychische Störungen im Langzeitverlauf
• Aussagen zum Risikofaktoren (und damit auch
zum Langzeitverlauf) basieren im wesentlichen
auf Kurzzeitstuden (< 5 Jahre)
6
Ereignisfaktoren
• Unerwartetheit
• Dauer, Schweregrad
• Kontrollierbarkeit
• Interpersonelle Brutalität
• Sog. Debriefing
Risikofaktoren
•
•
•
•
•
•
Alter bei Ereignis
Geschlecht
Frühere Traumata
Frühere psychische Störungen
Peritraumatische Dissoziation
Psychosoziale Variablen
PTSD
Schutzfaktoren
• Kohärenzsinn
• Soziale Unterstützung
• Bewältigungsmechanismen
Ereignisfaktoren
• Intensität (Penetration)
und Perversionsgrad
• Gewaltanwendung
• Vater/Stiefvater als Täter
• männliche Täter
• Fortsetzung des Mißbrauchs
• inadäquate Intervention
Risikofaktoren
•
•
•
•
•
•
•
•
Alter bei Ereignis
Geschlecht
frühere Traumata
emotionale Vernachlässigung
frühere psychische Störungen
peritraumatische Dissoziation
schlechte Bewältigungskompetenz
niedriges Funktionsniveau
Schutzfaktoren
•
•
•
•
•
supportive Bezugspersonen
soziale Kompetenz
aktives Coping
Fehlen von Autoaggression
Kohärenzsinn
Störung
7
Dissoziation
Desintegration normalerweise integrativer Funktionen
von Bewußtsein, Gedächtnis, Identität, Wahrnehmung
der Umwelt und Körperkontrolle, z.B.
Einengung des Bewußtseins (Trance)
(autobiographische) Amnesie
Depersonalisation/Derealisation
verändertes Zeit- und Raumerleben
Analgesie/Anästhesie/Bewegungslosigkeit
Riskofaktor peritraumatische
Dissoziation
Dissoziatives Erleben während und unmittelbar nach
Traumatisierung:
Bewegungslosigkeit („freezing“)
Analgesie und Anästhesie
veränderte Raum- und Zeitwahrnehmung
-
initial funktionaler Charakter („Flucht nach
innen“)
4-wöchiger Verlauf im Rahmen einer akuten
Belastungsreaktion prädiziert PTSD
8
Posttraumatische Dissoziation
-
-
Amnesie für Aspekte des Traumas mit
Trennung der kognitiven, sensomotorischen
und affektiven Erinnerungsspuren
verändertes Körpererleben mit Depersonalisation, Derealisation (und Konversion)
Kontextlosigkeit des Hyperarousals
Studie zum Fragebogen dissoziativer
Symptome (FDS)
Subskalen/Dimensionen:
- dissoziative Amnesie - 8 Items
- imaginative Erlebnisweisen - 9 Items
- Depersonalisation/Derealisation - 6 Items
- Konversionssynmptome - 9 Items
Crohnbachs Alpha .94 (n = 2136)
Split- half .92
Test-Retest .86 (n = 419)
9
„Normale“ vs. „pathologische“
Dissoziation (DES cut-off: 7.93)
Ergebnisse der FDS-Studie
-
Cut-off Werte mit transkulturellen und
Stichprobendifferenzen (7.93 vs. 12.0 - 15.4)
-
Skalenwerte > 7.9 zeigen eine PPP/NPP um .80
für Traumatisierung in der Allgemeinbevölkerung, nicht in Patientenstichproben
-
mit komplexer Komorbidität und Störungsdauer generalisiert die Dissoziation
10
Geschlechtsunterschiede
FDS
Amnesie
Derealisation
Konversion
DES Taxon
Frauen
(n = 1350)
Männer
(n = 803)
8.9 (8.8.)
4.7 (7.4)
7.1. (11.5)***
8.0 (11.0)*
5.4 (8.6)
8.3 (8.1)
5.7 (7.9)***
5.3 (9.2)
7.2 (10.4)
4.6 (7.6)
Bei Kontrolle für Alter und Diagnosen verschwinden
die Effekte
Patienten mit Typ II- vs. Typ ITrauma (n = 89)
30
25
20
15
10
5
0
Gesamt
Amne
Absor
Typ-II
Dereal
Kon
Typ-I
11
Ereignisfaktoren (%)
Häufigkeit
PTSD
Vergewaltigung
5,5
55,5
Sexuelle Belästigung
7,5
19,3
Krieg
3,2
38,8
Waffengewaltandrohung
12,9
17,2
Körperliche Gewalt
9,0
11,5
Unfälle
19,4
7,6
Zeuge bei Unfall
25,0
7,0
Breslau et al., 1998; CM-Studien, 2006
Forensische Patienten (n = 53)
35
30
25
20
15
10
5
0
Gesamt
Amne
Absor
PTSD+
Dereal
Kon
PTSD-
12
Berichtete Traumata
Alle
N
%
PTSD
N
%
Sexueller Mißbrauch
Körperliche Mißhandlung
Emot. Vernachlässigung
Vergewaltigung
Folter
Schwerer Autounfall
Zeuge bei Trauma
Eigenes Delikt
Politische Unterdrückung
3
13
3
2
3
1
3
5
1
6
25
6
4
6
2
6
9
2
1
5
2
2
3
1
1
4
-
3
15
6
6
9
3
3
12
-
Gesamt
34
64
19
56
Borderline-Patienten (n = 30)
45
40
35
30
25
20
15
10
5
0
Gesamt
Amne
BPD+
Absor
BPD-
Dereal
Kon
KON
13
Assoziierte Psychopathologie
Psychotizismus
Paranoia
Phobische Angst
Aggressivität
Ängstlichkeit
Depressivität
Unsicherheit
Zwanghaftigkeit
Somatisierung
0
0,5
PTSD+
1
Par PTSD
1,5
PTSD-
Dissoziation, PTSD und SVV
Trauma-assoziierte Stimuli
internal/ external
bewußt/ unbewußt
Intrusion
Hyperarousal
Dissoziation
Depersonalisation
SVV
Aktive Kontrolle
„Entspannung“
Interpersonelle
Dimension
14
Dissoziation bei Patienten mit Positiv- und
Negativsymptomatik (n = 60)
Minus-Typ (n = 28)
M
sd
Plus-Typ (n = 32)
M
sd
ANOVA
Skalen
DES
FDS
Amnesie
Absorption
Deperson.
Konversion
9.18
8.77
6.93
12.96
8.61
5.83
21.11
19.13
11.09
27.48
20.88
14.37
12.17***
10.04**
3.24 (ns)
8.24**
5.51**
4.99*
5.93
4.96
5.29
6.87
10.87
5.24
10.56
10.38
6.48
16.35
15.23
12.34
Positivsymptomatik und Dissoziation
Positivsymptome
Wahn.
Desorganisation
Halluzinationen
Erregung
Grandiosität
Mißtrauen
Feindseligkeit
DES
.38*
.31
.60**
.03
.18
.17
.06
FDS
.44*
.35
.61**
.01
.17
.27
.02
Amn.
.32
.37
.41*
.13
.46*
.08
.41*
Abs.
.38*
.24
.49*
.09
.13
.20
.04
Dep.
.30
.25
.65**
.17
.06
.13
.07
Konv.
.40*
.28
.36
.02
.05
.35
.16
15
Negativsymptomatik und Dissoziation
Negativsymptome
DES
Flacher Affekt
EmotionalesDefizit
Rapportdefizit
Sozialer Rückzug
Abstraktionsdefizit
Aspontanität
Stereotypien
FDS
-.08 -.08
-.32 -.36
-.30 -.35
-.57** -.58**
-.32 -.32
-.11 -.19
-.24 -.30
Amn. Abs.
Dep.
Konv
.02-.10
-.06
-.41*
-.06
.01
.03
.03
-.29
-.31
-.42*
-.26
.01
-.20
-.25
-.32
-.26
-.50*
-.32
-.03
-.20
.27
-.35
-.33
-.58**
-.36
-.14
-.28
Dissoziation - Vulnerabilitätskonzept
1. Bei ausgeprägter Disposition bewirken schon
kleinere Auslöser eine Ich-Desintegration mit
dissoziativer Symptomatik.
2. Bei geringer ausgeprägten Auslösern ist die
dissoziative Reaktion stärker und erfaßt breitere
Syndrombereiche.
3. Aber: PTSD-Häufigkeit bei schizophrenen
Patienten liegt bei 43.1% (39.4 vs. 3.7%).
16
Ereignisfaktor Therapie
• Traumazentrierte Frühintervention
– keine Reduktion von psychischem Stress
– keine Risikosenkung für PTSD
– 1 Jahres-Follow-up: erhöhtes Risiko für PTSD
(OR 2.01 - 2.88)
Unterbrechung des naturalistischen Verarbeitungsprozesses (z.B. iatrogene Spaltung - MPD)
Debriefing durch unbekannten Therapeuten
Metaanalysen u.a.: Arendt et al., 2001; Rose et al.,
2001
Häufigkeit von nicht beachteten
Kontraindikationen bei Patienten mit
PTSD und Schizophrenie (n = 127
Abbrecher)
1.
2.
3.
4.
5.
Belastbarkeit und Alter: 17%
Instabile Symptomatik (z.B. unbeherrschbare
Intrusionen, Suzidalität, Impulsivität,
Halluzinationen, Wahn): 34 %
Instabile Komorbidität: 31 %
Vermischung von Täter- und Opferrollen: 11%
Trauma gehört zur Identität des Patienten: 7%
17
Nebenwirkungen nach Therapeutenangaben (n = 111 stationäre Patienten)
1. Suizidalität und Selbstbeschädigung: 28%
2. Interaktionen mit dem Täter oder signifikanten
Dritten: 21 %
3. Dissoziation: 44%
4. Temporäre Verschlechterungen im
Therapieprozess (Depression, Angst,
psychotische Symptome): 51%
Und andere ?
Symptom-Kontext-Studie
Dokumentation von 5 Erstinterviews mittels Video
und Interviewtranskript
Identifikation von dissoziativen Sequenzen durch
Patienten und Interviewer
Rating durch:
10 Verhaltenstherapeuten
10 Psychoanalytiker
10 PTSD Patienten
18
Symptom-Kontext-Studie
Identifikationsraten:
Verhaltenstherapeuten
Psychoanalytker
PTSD Patienten
29 %
27 %
81 %
Argument für störungsspezifische Gruppenpsychotherapien zur besseren Identifikation und Kontrolle
PTSD-Langzeitverläufe
600 NS-Verfolgte aus Begutachtungsverfahren
zwischen 1990 – 2001 (Verschlimmerungsanträge nach erfolgter Entschädigung) nach
Aktenlage oder persönlichem Interview
Datengrundlage:
erlittenes Verfolgungsschicksal
weitere Lebensgeschichte
aktuelle Untersuchung durch einen
Psychiater vor Ort
19
PTSD-Langzeitverläufe
59.2% weiblich
mittleres Alter = 70.14 (s = 7.24)
Verfolgungsbeginn = 14.07 (s = 5.44)
Altersgruppen bei Verfolgungsbeginn
- Kleinkinder
7.4%
- Kinder
43.2%
- Adoleszenz
36.2%
- Erwachsene
13.2%
PTSD-Langzeitverläufe
Herkunftsländer
Polen
Rumänien
Ungarn
Andere
275 (45.8%)
137 (22.8%)
96 (16.0%)
92 (15.3%)
Emigrationsländer
Israel
345 (57.5%)
USA
187 (31.2%)
Andere
68 (8.6%)
20
Deportationen
KZ
Rumänien/Ukraine
andere ZAL
Illegalität
325 (54.2%)
136 (22.6%)
79 (13.2%)
60 (10.0%)
PTSD-Katamnesen
Progredienz
mittelgradig
stark
205 (34.1%)
175 (29.1%)
30 (5.0%)
Keine Progredienz
395 (65.8%)
(die niedrigsten Progredienzraten zeigen die
mittleren Altersgruppen: Kinder/Adoleszente)
21
Häufigkeit von PTSD-Merkmalen
- Schlafstörungen
- Intrusionen
- dissoziative Symptome
- Hyperarousal
- Flashbacks
- Realitätsverlust Erwachen
567 (94.5%)
533 (88.8%)
241 (40.2%)
188 (31.3%)
12 (2.0%)
23 (3.8%)
Kennzeichen der PTSD
A.
-
Komorbide Störungen
depressive Störungen
Angststörungen
Überlebensschuld
Neurasthenie
401 (68.5%)
379 (63.0%)
285 (47.5%)
103 (17.2%)
Assoziation zu:
Retrospektiven Todesangsterlebnissen und
Verlusterlebnissen an Familienmitgliedern
22
Kennzeichen der PTSD
B. Dissoziation/emotionale Taubheit bei n = 241
Überlebenden (40.2%)
-
Entfremdungsgefühl
sozialer Rückzug
eingeschränkter Interessenspielraum
dissoziative Bewußtseinsstörungen
C. Anteil von strukturellen Persönlichkeitsänderungen bei n = 120 (20.1%)
Kennzeichen der PTSD
D. Phobisches Vermeidungsverhalten gegenüber
traumaassoziierten Stimuli bei 110 (18.3%)
-
-
hohe Besuchsmotivation der Verfolgungsorte
(„wir leben noch“)
hohe Motivation der 2. und 3. Generation die
Orte zu zeigen
nachrangig: die „alte Heimat“ wiedersehen zu
wollen
23
Faktoren der PTSD-Reaktualisierung
- Tod naher Angehöriger
- Kriegstod erwachsener Kinder
- Lagerbesuche
(- Lagerbesuche ohne „Folgen“
213 (35.6%)
38 (6.4%)
38 (6.4%)
338 (56.3%) )
Transgenerationale Traumatransmission (Übernahme
von Traumainhalten der Eltern auf identifikatorischintrojektivem Weg)
49 (9.2%)
- abruptes Verlassen des Elternhauses 23 (4.3%)
Faktoren der PTSD-Reaktualisierung
- „neurotische Störungen“ in der 2. Generation als
Sekundärfolge der PTSD
78 (14.7%)
- abrupte Ablösung vom Elternhaus
27 (5.1%)
- Pensionierung
114 (19.0%)
24
Prognostisch günstige Faktoren:
Vergleich progressive vs. nicht
progressive Symptomatik
1.
2.
3.
4.
Ehepartner mit KZ-Haft (p < .01)
Emigration nach Israel (p < .05)
Geburt von Kindern (p < .001)
Holocaust-Thematisierung (p < .001)
Psychotherapie n = 5
Kriegskindheit und PTSD in Kooperation mit
der PSM LMU München
• Datenlage fast ausschließlich Daten zu jüngeren
Konflikten: Nachkriegsprävalenzen in den Studien
zwischen 8 % und 80 %
• Fast alle Studien untersuchten während oder
höchstens wenige Jahre nach dem Krieg
• Laor et al. (Am J Psych 2001): Risikofaktoren für
Persistenz der PTSD:
niedrige psychosoziale Funktionsfähigkeit der
Mutter und Heimatverlust
25
Methodik
• Probandengewinnung über die regionale
Presse (OZ, NDR 1, dpa regional)
• Einschluß:1933 bis 1945 geboren,
Traumatisierung kein ausdrückliches
Einschlußkriterium
• Münchener Kriegskindheitsfragebogen,
modifizierter PDS, SCL-90 R, IIP-C, SF 36,
SOC, FDS
Ergebnisse I
• 93 Probanden. 50 Frauen, 43 Männer
• 60 % stammten aus den ehemaligen
Ostgebieten, überwiegend Hinterpommern
und Ostpreußen
• Durchschnittsalter 67,4 Jahre
• Weltkriegsbezogene PTSD-Prävalenz im
PDS 10,8 % (n = 10) mit Assoziation zur
Dissoziation (cut-off > 15, x = 28.8)
26
Ergebnisse II: Art und Häufigkeit der Traumata
Alle Erlebnisse
(%)
„Schlimmstes
Erlebnis“ (%)
„Schlimmstes
Erlebnis“ und PTSD
+ (%), N = 10
Frontkontakt
66,7
21,5
30
Traumata in der
Besatzungszeit
53,8
17,2
30
Flucht/Vertreibung
52,7
17,2
30
Kriegsbedingter Tod
von Angehörigen
29
12,9
0
Hunger
17,2
2,2
0
Trennung der Familie
15,1
10,8
0
Miterleben von NSVerbrechen
6,5
2,2
0
Sonstiges
35,5
11,8
10
Ergebnisse III: Posttraumatische Symptome und
Psychopathologie
Unterschiede zur Kontrollgruppe:
- in fast allen SCL-Subskalen (Ausnahme:
Somatisierung, Aggressivität, phobische
Symptomatik) und im Gesamtschwereindex, aber
signifikant gesünder als ambulante psychiatrische
Patienten
- SOC (Kohärenzsinn): Sign. BESSER
27
SED-Zersetzungsstudie
ˆ Nach der Wende ist v.a. die Betroffenengruppe ehemals
politisch Inhaftierter in der DDR in das medizinischpsychiatrische Blickfeld geraten
Übereinstimmende Datenlage:
ˆ Politische Haft ist mit ausgeprägten psychosozialen und
psychischen Folgeerscheinungen assoziiert (OR: 50)
ˆ Häufig über Jahre persistierende Symptomatik; v.a. ängstlich /
depressive Beschwerdekomplexe, PTBS und Somatoforme
Störungen (vgl. Priebe, 1993, 1997; Maercker & Schützwohl,
1997; Maercker, 2000)
ˆ Somatische Folgeerscheinungen beträchtlich (2.5-3-fach
erhöhtes Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko)
Einleitung / Fragestellung:
ˆ Ein weitaus größerer Bevölkerungsanteil erfuhr jedoch
„unterschwellige“ Repressalien im strafrechtlich nicht fassbaren
Bereich (z.B. Diskreditierung des Rufes, berufl. Behinderungen,
Beobachtung)
ˆ Diese repressiven Maßnahmen außerhalb der Haftanstalten
sind sehr schwer nachzuweisen und können evtl. gerade
deshalb zu schweren seelischen Beeinträchtigungen führen
ˆ Fraglich: Wie häufig und welcher Art sind psychische Störungen
als mögliche Folge von nicht-strafrechtlichen Repressionen bei
dieser Betroffenengruppe zu eruieren?
28
Methode
Studienteilnehmer:
ˆ 61 Beratungsfälle des LStU (allg. Gesprächs-/Beratungsbedarf,
1993-2004)
ˆ Einschlusskriterien: keine Haft; Vorliegen nicht-strafrechtlicher
Repressalien (Screening durch LStU)
ˆ Postalische Rekrutierung potentieller Probanden
‰ Untersuchungszeitraum: März bis November 2005
Instrumente (u.a.):
ˆ Freies Interview
(Verfolgungscharakteristika: Art, Dauer der Repression)
ˆ Diagnostisches Expertensystem für psychische Störungen (DIA-X)
ˆ Fragebogen zum (subjektiven) Gesundheitszustand (SF-36)
Vorgehen:
ˆ Teilabschnitt A – freies Interview
ˆ Teilabschnitt B – klinisches Interview
ˆ Teilabschnitt C – Selbstbeurteilungsverfahren
Ergebnisse:
Demographische Charakteristika der Stichprobe (N=61)
Variablen (N=61 Beratungsfälle des LStU)
Alter: MW (SD)
%
61.1 (11.16)
Geschlecht: männlich
63.9
Familienstand: verheiratet
52.5
Schulabschluss:
• Hauptschulabschluss (8. Klasse POS)
• Realschulabschluss (10 Klasse POS)
• Abitur (EOS)
24.6
34.4
41.0
berufliche Situation:
• Vollzeit
• Teilzeit
• Rente
• arbeitslos
• sonstige
11.5
4.9
65.6
13.1
4.9
29
Nicht-strafrechtliche Repressionsformen
Beispiele:
Frau G:
ˆ 1980 Verurteilung des Mannes zu
4.5 Jahren Haft wg. versuchter
Republikflucht
Herr B:
ˆ Nach sowjet. Gefangenschaft
1945; zurück in alten Beruf
ˆ Diverse langwierige, einschüchternde
Verhöre sowie Hausdurchsuchungen;
offene Drohungen (z.B. Entzug des
Kindes)
ˆ Pflicht: polit. Schulung durch
SED-Funktionäre. Er verweigerte
sich (wollte nicht von brauner in
rote Diktatur)
ˆ Einzug persönlicher- und
Wertgegenstände wie Literatur,
Briefe, Spar- und Girokonten, Garten
der Eltern; Verhängung von
Berufsverbot
ˆ Folge: Versetzung in
Außendienststelle sowie
Rückstufung um 2 Gehaltsstufen
wegen „nicht- fortschrittlicher
Gesinnung“
ˆ Nov. 1984 Freikauf des Mannes in
den Westen; 3 Wochen später
eigene Ausreise
ˆ wg. versuchter Erpressung der
Frau zu Spitzeldiensten durch
Stasi-MA, 1954 ohne
Flüchtlingsgepäck durch die
Kontrollen nach West-Berlin
ˆ 1990 Tod des Ehemannes, der in
Haft verstrahlt wurde
Ergebnisse:
% Achse-I-Diagnosen
Lifetime*
≥ 2 Wochen
N = 61
F10 Störungen durch Alkohol
1.6
F32/33/34 depressive Störungen**
13.1
36.1
6.6
F40/41 Angststörungen***
16.4
26.2
1.6 3.3
F42 Zwangsstörungen
F43.1 PTBS
9.8
F44 Konversionsstörungen****
14.8
11.5
F45 Somatoforme Störungen
27.9
9.8
0
5
10
15
20
25
30
35
40%
*3VPN hatten vor Repressionsbeginn eine Diagnose **2 VPN hatten mehr als eine affektive Störung
***3 VPN hatten mehr als eine Angststörung
****2 VPN hatten mehr als eine Konversionsstörung
30
Ergebnisse:
% Achse-I-Diagnosen
Lifetime*
≥ 2 Wochen
N = 61
F10 Störungen
durch Alkohol
• Insgesamt
weisen
13.1 mind. eine Achse-I59%1.6(N=36)
Störung in ihrer Entwicklungsgeschichte auf
6.6
F32/33/34 depressive Störungen**
(Range: 1-9 Diagnosen)
F40/41 Angststörungen***
36.1
26.2
16.4
F42 Zwangsstörungen
• 27.9% (N=17)
1.6 3.3
litten aktuell
(≥ 2 Wochen) an mind.
einer Achse-I-Störung
9.8 14.8
F43.1 PTBS
F44 Konversionsstörungen****
11.5
F45 Somatoforme Störungen
27.9
9.8
0
5
10
15
20
25
30
35
40%
*3VPN hatten vor Repressionsbeginn eine Diagnose **2 VPN hatten mehr als eine affektive Störung
***3 VPN hatten mehr als eine Angststörung
****2 VPN hatten mehr als eine Konversionsstörung
Ergebnisse: SF-36 Fragebogen zum (subjektiven)
Gesundheitszustand; Skalenmittelwerte
CM-Kontrollgrupp, n = 61
Untersuchungsstichprobe LStU, N=61
Körperliche Summenskala
*
**
***
***
***
Vi
ta
lit
ät
Fu
nk
tio
ns
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W
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de
n
t-Test:
* p<0.05
**p<0.01
***p<0.001
so
zi
al
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rp
er
l.
Fu
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lg
Sc
.G
hm
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un
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ze
dh
n
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ts
w
ah
rn
eh
m
un
g
100
90
80
70
60
50
40
30
20
10
0
Psychische Summenskala***
31
Vorläufige Diskussion
• Zertifizierte Gutachter ?
•
•
•
•
•
•
Sekundärschäden: Folgen für die Kinder Verfolgter
Stumme Opfer
Späte Anträge
Was ist mit den Tätern ?
Wiedergutmachung oder Entschädigung ?
Auflösung der Landesbeauftragten für Unterlagen des
Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR
• Studie zu Vergewaltigungen am Ende des II.
Weltkriegs
Alexithymie (i)
Alexithymie („keine Worte für Gefühle“) als Störung
der Affektregulation:
¾
¾
¾
Schwierigkeiten in der Identifizierung von Gefühlen
(AFF-I)
Schwierigkeiten in der Kommunikation von Gefühlen
(AFF-K)
Extern orientierter Denkstil (EOD)
Methodik:
173 psychiatrische Patienten, 38 gesunde Probanden
39,1 ± 13,5 Jahre; 55% Frauen
FDS, Toronto Alexithymia Scale
32
Alexithymie (ii)
Korrelationen mit dem FDS
TAS
AFF-I
AFF-K
EOD
.55***
.60***
.45***
.17*
25
hoch dissso
**
*
20
15
niedrig disso
**
*
n.s
.
10
5
0
DIF
DDF
EOT
Grabe et al. Psychother Psychosom 2000
Zwischenfazit
Dissoziation ist eng mit Störungen der
Affektregulation vergesellschaftet
¾
¾
„Überregulation“ bei Borderline-Patienten ⇒
Missbrauch?
„Unterregulation“ bei der Alexithymie ⇒
Vernachlässigung?
Gibt es ein neurophysiologisches Modell, welches
die Befunde sinnvoll integrieren kann?
33
Neurophysiologische Modelle
Emotionsverarbeitung
Dissoziation
Rechte Hemisphäre (RH) ist
(relativ) spezialisiert auf die
Wahrnehmung, Erfahrung
und den Ausdruck von
Emotionen
Dysfunktion der
„Kommunikation“ zwischen
den Hemisphären ⇒
Funktionelle
Kommissurotomie
Wertigkeitshypothese:
Negative Emotionen werden
in der RH verarbeitet
•Interhemisphärielle kortikale Asymmetrie?
•Dysfunktion der hemisphärischen Interaktion?
Transkranielle Magnetstimulation (TMS)
Journal of Neuropsychiatry 1996; 8: 373 382
Parameter: Motorische Ruheschwelle
¾ minimale motorische Antwort (> 50 µV)
in > 50 % der Reizantworten
¾ Erregbarkeit der Hemisphäre
Aus: Praxis der evozierten Potentiale
34
Eigene Untersuchung
z
Vergleich
Methodik:der transkallosalen Leitzeit (TKLZ)
R_H
Motorische Ruheschwellen
45 − 186 Studenten wurden mit dem Fragebogen zu
L_H
44
Dissoziativen
Symptomen
(FDS)
gescreent
(FDS
≥ 30 bzw.
43
p=
FDS ≤ .02
5)
42
ns
41
− 74 rechtshändige Studenten
40
39
ƒ
38
ƒ
−
−
z
8 hoch-dissoziative Probanden (FDS ≥ 30); 66 niedrigdissoziative Probanden (keine Alters- oder
Geschlechtsunterschiede)Spitzer et al. J Neuropsychiatry Clin Neurosci 2004
Elektrophysiologische Untersuchung
Hoch disso
Niedrig disso
Hoch dissoziative Probanden
−
−
z
keine psychotrope Medikation
unauffülliger psychiatrischer Anamnese
Linke Hemisphäre ist im Vergleich zur rechten H. weniger
erregbar
Schnelleren Transfer von linker zu rechter Hemisphäre als
die niedrig dissoziativen Probanden; jedoch keine
Unterschiede in umgekehrter Richtung (rechts ⇒ links)
Interpretation:
−
−
Schwellenunterschiede als Indikator für funktionelle
Asymmetrie? ⇒ funktionelle Überlegenheit der linken
Hemisphäre bzw. ungenügende „Integration“ der rechten
Hemisphäre
„Hyperkonnektivität“? ⇒ inhibitorische Einflüsse ⇒
Störung der funktionellen Balance zwischen den
Hemisphären?
35
Schlußfolgerungen
1. Dissoziation ist ein störungsübergreifendes
syndromales Konstrukt mit höher prädiktiver
Power in gesunden und nur eingeschränkt
verwendbar in Patientenstichproben..
2. Die Assoziation zu Traumatisierungsprozessen ist
im Langzeitverlauf belegt.
3. Neurophysiologische Marker sind in ihrer
Veränderungssensitivität noch nicht ausreichend
untersucht.
4. Psychotherapiestudien fehlen bisher.
An den Projekten waren u.a. beteiligt:
Prof. Dr. Horst Dilling
Dr. Manuela Dudeck
Kerstin Effler
Prof. Dr. Hellmuth Freyberger
Dr. Dr. Michael Gillner
Prof. Dr. Hans-Jörgen Grabe
Dr. Michelle Hildebrandt
Dr. Gabriela Kuhn
Dr. Philipp Kuwert
Dr. Norbert Magdeburg
Dr. Ute Siebel
PD Dr. Carsten Spitzer
Dr. Thomas Klauer &
Dr. Heike Liß
Dr. Stefan Orlob
Dr. Babette Spelsberg
Prof. Dr. Rolf-D. Stieglitz
Prof. Dr. Dr. Wolfgang Schneider
36
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