Seminaren 3

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Neuropsych. sem. 3
PTE ÁOK Pszichiátriai Klinika
Neuropsychologie des posttraumatischen
Stresssyndroms (PTSD) bzw. der
posttraumatischen Belastungsstörung
Das PTSD ist eine Erkrankung, die meist sowohl psychische als auch
körperliche Veränderungen unterschiedlicher Natur umfasst, die durch ein
traumatisches Ereignis oder mehrere solcher Ereignisse ausgelöst werden.
(1980 als nosologische Kategorie in der dritten Ausgabe des DSM-Ill
eingeführt).
Plutarch Berichte über Soldaten, bei denen infolge von traumatischen
Ereignissen plötzliche Taubstummheit auftrat.
Im 19. Jahrhundert Charcot, Pierre Janet, Freud -Hysterie ist ein Zustand, der
speziell durch psychische Traumata verursacht wird.
Während der zwei Weltkriege entwickelten viele Soldaten angesichts von
Todesbedrohung und Extremerfahrungen ein Zustandsbild, das als
Kriegsneurose bezeichnet wurde. Sog. »Kriegszitterer« zeigten eine
Bandbreite physiologischer Reaktionen wie Zittern, Schreien, Weinen,
stuporöse Zustände und Gedächtnisverlust).
Als Folge des Vietnamkriegs und unter dem Einfluss der Frauenbewegung in
Amerika wurde das PTSD als diagnostische Kategorie in das DSM-Ill
aufgenommen und international verbindlicher Standard für die
Diagnosestellung.
Definition des Traumas und des PTSD I.
Der Begriff »Trauma« (altgr. trauma = Wunde, Schaden) kennzeichnet im
klinischen Kontext den Zustand körperlicher und seelischer Veränderungen
infolge eines traumatisierenden Ereignisses, einer körperlichen und/oder
seelischen Erschütterung.
Im ICD-10 wird ein auslösendes »traumatisches Ereignis« als »ein belastendes
Ereignis oder eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder
katastrophenartigen Ausmaßes (kurz- oder langanhaltend), die bei fast jeder
Person eine tiefe Verstörung hervorrufen würde« definiert.
Sigmund Freud, der den Terminus Trauma einführte, definierte hingegen das
Trauma selbst als »ein Erlebnis, welches dem Seelenleben innerhalb kurzer
Zeit einen so starken Reizzuwachs bringt, dass die Erledigung oder
Aufarbeitung desselben in normal gewohnter Weise missglückt, woraus
dauernde Störungen im Energiebetrieb resultieren müssen”.
Ökonomisch ausgedrückt: Das Trauma ist gekennzeichnet durch ein Anfluten
von Reizen, die im Vergleich mit der Toleranz des Subjekts und seiner
Fähigkeit, diese Reize psychisch zu bemeistern und zu bearbeiten, exzessiv
sind.
Definition des Traumas und des PTSD II
Nach Laplanche und Pontalis (1989) kann zwischen chronischer
Traumatisierung und singulärer Traumatisierung unterschieden werden. Die
Intensität der Reizanflutung ist demnach unabhängig davon, ob es sich nun
um ein einziges, sehr stark erregendes Ereignis oder um eine Anhäufung
von Reizen (Summation) handelt, von denen jeder einzelne Reiz isoliert
erträglich wäre.
Saß et al. (1996) definieren dagegen das Trauma als Reaktion oder als Folge
hoch aversiv bewerteter bedrohlicher Ereignisse, die auf der einen Seite
unmittelbar das Wohlergehen und die körperliche Unversehrtheit der
eigenen Person betreffen. Extreme Varianten derartiger Ereignisse sind z. B.
die Androhung des Todes oder einer schweren Verletzung.
Auf der anderen Seite können die Auslöser von Traumata in der unmittelbaren
Beobachtung oder der Information über Ereignisse bestehen, die das
Wohlergehen, die körperliche Unversehrtheit oder das Leben anderer
Personen betreffen, und von der beobachtenden bzw. informierten Person
als hoch aversiv erlebt werden. Das Miterleben eines unerwarteten oder
gewaltsamen Todes oder die Verletzung einer nahestehenden Person sind
Beispiele für diese Ereignisse.
Klinische Symptomen
In vielen Fällen kommt es zum Gefühl von Hilflosigkeit und durch das
traumatische Erleben zu einer Erschütterung des Selbst- und
Weltverständnisses.
Das syndromale Störungsbild ist geprägt durch
-sich aufdrängende, belastende Gedanken und Erinnerungen an das Trauma
(Intrusionen)
-oder Erinnerungslücken (Bilder, Alpträume, »Flashbacks«, partielle
Amnesie),
-Übererregungssymptome (Schlafstörungen, Schreckhaftigkeit, vermehrte
Reizbarkeit, Affektintoleranz, Konzentrationsstörungen),
-Vermeidungsverhalten (Vermeidung traumaassoziierter Stimuli) und
-emotionale Taubheit (allgemeiner Rückzug, Interessensverlust, innere
Teilnahmslosigkeit)
Im Kindesalter treten teilweise veränderte Symptomausprägungen auf, wie z.B.
wiederholtes Durchspielen des traumatischen Erlebnisses, unspezifische
Verhaltensauffälligkeiten oder auch aggressive Verhaltensmuster.
Die Symptomatik kann unmittelbar oder auch mit (z.T. mehrjähriger)
Verzögerung nach dem traumatischen Geschehen auftreten (Late-onsetPTSD).
Epidemiologie des PTSD
-ca. 8% aller männlichen und ca. 20% aller weiblichen USAmerikaner ein PSTD entwickeln (Breslau et al. 1998).
-Die Angaben für die Lebenszeitprävalenz innerhalb der
deutschen Gesamtbevölkerung liegen für beide Geschlechter
zwischen 1% und 7,8%.
-Die Häufigkeit von PTSD ist nach Flatten et al. (2001) abhängig
von der Art des Traumas. So besteht eine Prävalenz
-von jeweils ca. 50% nach Vergewaltigung,
-25% nach anderen Gewaltverbrechen,
-20% bei Kriegsopfern, -15% bei Verkehrsunfallopfern und
-15% bei schweren Organerkrankungen (Herzinfarkt,
Malignome).
Die Prävalenz subsyndromaler Störungsbilder ist allerdings
wesentlich höher und es besteht eine hohe
Chronifizierungsneigung.
Die ursächliche Faktoren
Die Risikofaktoren für die Ausbildung des PTSD lassen sich gliedern in
-externale Faktoren (Umwelt, demographische Daten) und
-internale Faktoren.
Psychische Faktoren, wie Persönlichkeitseigenschaften, z.B. Ängstlichkeit
-kognitive, biologische, familiäre und genetische Risikofaktoren
-die klinische Vorgeschichte, wie komorbide oder alternative psychische
Störungen
Die Intensität des Stressors,
-Der Zeitpunkt früher Stressexpositionen (Stressoren, die in der Ontogenese
früh auftreten, werden als besonders wirksame Bestimmungsfaktoren
beschrieben.)
-die Qualität der Stressexposition ( zB. infolge tätlicher Übergriffe ist die
Entwicklung eines PTSD wahrscheinlich).
-Während eine geringe familiäre Stabilität mit einer größeren Prävalenz von
PTSD einhergeht, scheint eine gefestigte soziale Unterstützung zu geringer
Symptomentwicklung zu führen).
Trauma und Verkehrsunfälle
Der Schwerpunkt der Neuropsychotraumatologie liegt in der Diagnose und
Behandlung psychischer und psychosomatischer Folgen von Schädel-HirnVerletzungen und Schleudertraumen.
Unfallereignisse gehören zu den Akuttraumatisierungen bzw. Typ-IPsychotraumata, charakterisiert durch die Einmaligkeit des Ereignisses
(singuläres Trauma), durch die Unvorhersehbarkeit und einschneidende
Bedeutung für die betroffene Person und für ihren weiteren Werdegang.
Typ-Il-Psychotraumata lassen sich hingegen durch ihr wiederholtes Auftreten
oder einen langanhaltenden Verlauf (chronisches Trauma) und aufgrund der
Art des Traumas (meist auch durch die personifizierte Traumatisierung durch
einen Täter) charakterisieren.
Typ-I-Traumata zählen damit zunächst zu den weniger schweren psychischen
Traumatisierungen und werden dementsprechend ohne Langzeitfolgen
verarbeitet. Vor allem amerikanische Studien bestätigen hingegen, dass
dennoch eine Anzahl von Unfallopfern unter traumaspezifischen
Belastungsreaktionen leidet.
Unbehandelt stellt die psychische Dimension häufig einen chronifizierenden
Faktor dar, Diese Ergebnisse verweisen auf einen möglichen
Zusammenhang von subjektiver Verarbeitung und der Chronifizierung des
PTSD nach einem Unfall.
Pathogenese des PTSD I
Die Aufnahme des PTSD in die diagnostischen Klassifikationssysteme (DSMIII:1980; ICD-10:1991) ging mit der Annahme einher, dass das belastende
Ereignis den primären und ausschlaggebenden Kausalfaktor darstellt und das
Belastungssyndrom ohne seine Einwirkung nicht entstanden wäre.
Die Folgen traumatischer Erlebnisse lassen sich hinsichtlich verschiedener
Merkmale klassifizieren:
- zeitliche Dauer (Persistenz, kurzfristig vs. langfristig) der Folgen,
- Auswirkungsebene (Emotion,Kognition,Physiologie, Verhalten) und
- Klassifizierungsebene nach den diagnostischen Manualen (DSM-IV und ICD10).
Das PTSD kann symptomatisch
-direkt nach einem traumatischen Ereignis auftreten, »akuten
Belastungsstörung«.
-verzögert beginnen (11% aller Fälle)
-eine vorübergehende und eine chronische Form aufweisen
In 50% aller Fälle bildet sich das PTSD in Spontanremission zurück.
Bei ca. 1/3 aller Patienten mit PTSD entwickelt sich ein chronisches Störungsbild.
Die Symptomschwere zu Beginn der Störung sowie die Symptomdauer und die
Distanz der betroffenen Person zum auslösenden traumatisierenden Ereignis
sind von hohem prognostischen Wert für die Chronifizierung des PTSD.
Pathogenese des PTSD II
Drei Kategorien traumatischen Erlebens (Meichenbaum,1994
1.plötzlich auftretende, unerwartete Ereignisse,
2.schleichende traumatische Erfahrungen,
3.stellvertretende traumatische Erfahrungen.
Meichenbaum (1994) differenziert des Weiteren zwischen menschlich
verursachten und natürlich verursachten Traumata; diese
Klassifizierungsachse wurde von Ehlers (1999) erweitert.
Allgemein sind Reaktionsänderungen bei Personen mit PTSD zu beschreiben;
neben Änderungen des Selbstbildes lassen sich insbesondere
neurophysiologische und biochemische Veränderungen objektivieren.
Nach Meichenbaum (1994) lässt sich das Antwortverhalten erwachsener Personen
in fünf Klassen unterteilen. Die fünf Responsekategorien können demnach
umfassen:
-emotionale Reaktionen, wie z.B. Ärger und Schuld,
-kognitive Veränderungen, wie z.B. antizipierte Hilflosigkeit und
Konzentrationsmangel,
-biologisch-physiologische Störungen, wie z.B. Störungen des
Schlafrhythmus,
-behaviorale Konsequenzen, wie z.B. Vermeidungsverhalten und
-charakteristische Coping-Stile, wie z.B. Schuldzuschreibungen.
Pathogenese des PTSD III
Dissoziation und Generalisierung der Angst werden als
symptomatische Reaktionen des PTSD angesehen.
Als kardinale Symptome werden in DSM-IV und ICD-10
-intrusives Wiedererleben des Ereignisses mit vergleichbarer
Qualität wie zum Zeitpunkt der tatsächlichen Traumatisierung,
-eine emotionale Taubheit,
-eine erhöhte Grunderregung und
-die Vermeidung bzw. Dissoziation traumabezogener Gedanken
und Handlungen aufgeführt.
Traumatische Ereignisse stellen einen Angriff auf grundlegende
Einstellungen und Überzeugungen dar;
-sie führen zu einem Verlust sowohl des Selbstvertrauens als
auch des Fremdvertrauens.
-Sowohl Gefühle des Verlustes von Eingebundenheit und
Identität,
-des Verlustes von Sicherheit und Geborgenheit als auch
Pathogenese der Dissoziation I
»Dissoziation« (lat. dissociatio = Auflösung, Trennung, Zerfall) bezeichnet eine
krankhafte Entwicklung, in deren Verlauf zusammengehörige Denk-,
Handlungsoder Verhaltensabläufe »zerfallen« und der Kontrolle der
betroffenen Person entzogen werden.
Die Dissoziation kann sowohl basale Funktionen, wie unmittelbare
Empfindungen als auch hoch komplexe Leistungen, wie das Erinnern der
Vergangenheit, das Bewusstsein der eigenen Identität, betreffen
Ähnlich wie bereits in der Kontroverse zwischen Janet (1893) und Freud (1893)
wird gegenwärtig die Frage diskutiert, ob es sich bei den dissoziativen
Störungen um intrapsychische Verarbeitungsmechanismen einer
nichtintentionalen Autoregulation von Belastungserfahrungen oder eher um
eine regressive Abwehrfunktion, bei der andere Abwehrmechanismen wie
Spaltung, Affektisolierung, Verleugnung beteiligt sind, handelt.
Die Dissoziation kann sowohl prozessdynamisch als auch statisch definiert
werden, d.h. die dissoziative Bewusstseinsstörung kann neben einem
dynamischen aktiven Prozess dissoziativer Mechanismen auch den Zustand
des Nebeneinanderbestehens verschiedener, miteinander nicht
verbundener, teilweise aktiv getrennt gehaltener Inhalte und Vorgänge
bezeichnen.
Pathogenese der Dissoziation II
Kognitionspsychologisch wird unter Dissoziation ein erlernter Mechanismus, der
sich in der Entwicklung neuronaler Strukturen niederschlägt, verstanden.
Es wird davon ausgegangen, dass es organisierende, koordinierende
Schaltstellen im Gedächtnissystem gibt, die angeregt oder gehemmt werden.
Affekterinnerung und Erinnerung-Erinnerungs-Verbindungsstellen werden
nach Art eines Turn-on/turn-off-Mechanismus entkoppelt.
Klassische Konditionierungsprozesse werden als Grundlage dissoziativer
Lernprozesse angesehen. Entgegen der Annahme, dass die Reduktion des
konditionierten Antwortverhaltens eine Extinktion der Assoziation zwischen
unkonditioniertem Stimulus (UCS) und konditioniertem Stimulus (CS) bewirkt,
zeigt sich, dass die Verbindung zwischen UCS-CS nicht gelöscht werden kann,
sondern ausschließlich inhibiert wird.
Für die Inhibition scheinen der Hippokampus, der mediale Frontallappen und der
orbitofrontale Kortex von Bedeutung zu sein.
Grundsätzlich stellt die Dissoziation zunächst einen gesunden strategischen
Abwehrmechanismus im Leben der meisten Menschen dar. Wenn hingegen die
Dissoziation eine Ausprägung oder Frequenz erfährt, die ein Individuum auf
klinisch bedeutsame Weise in verschiedenen Lebens- und Funktionsbereichen
einschränkt, kann eine Dissoziation als »Störung oder Veränderung in den
normalerweise einheitlichen Funktionen von Identität, Gedächtnis und
Bewusstsein verstanden werden«.
Als dissoziativ können demnach sowohl ein Spektrum normalpsychologischer
Prozesse, wie sie z.B. in Übermüdungs- und Stresssituationen auftreten
können, als auch Trancezustände, die bewusst intendiert werden, und
psychopathologische Phänomene bezeichnet werden.
Pathogenese der Dissoziation III
Die psychopathologische Dissoziation manifestiert sich in verschiedenen
psychoformen und somatoformen Symptomen.
Negative psychoforme Symptome können durch
Depersonalisation (Ich-Erlebensstörung, Veränderung der
Selbstwahrnehmung),
Derealisation (Umwelt-Erlebensstörung, Personen, Gegenstände und
Umgebung erscheinen unwirklich, fremdartig oder auch räumlich
verändert),
dissoziative Fugue (Annahme einer neuen Identität und die Unfähigkeit,
sich die vorhergehende Identität ins Gedächtnis zu rufen) und
dissoziative Amnesie (plötzliche Unfähigkeit, wichtige, persönliche
Informationen zu erinnern; nicht durch organische Ursachen begründet)
beschrieben werden.
Beispiele für negative somatoforme dissoziative Symptome sind der Ausfall
einer oder mehrerer sensorischer Modalitäten und motorische Inhibition,
wie Paralysen, visuelle Störungen, wie z.B. der Tunnelblick
(Gesichtsfeldeinengung), visuelle Unscharfen, akustische Taubheit und
sensorische Taubheit für verschiedene Körperteile.
Pathogenese der Dissoziation IV
Positive psychoforme Symptome treten beim Abruf dieser Systeme in Form des
Wiedererlebens traumatischer Inhalte flashbackartig auf (in Form von
Gedanken, Bildern, Gefühlen und Stimmenhören). Diese Formen des
Zuganges können nicht in das Bewusstsein integriert werden.
Positive somatoforme dissoziative Symptome sind Schmerz, sexuelle
Sinneseindrücke, aber auch beobachtbares Verhalten, wie Erstarren, Flucht
und Unterwerfung im Zusammenhang mit dem Wiedererleben eines
traumatischen Ereignisses.
Nach Koopman et al. (1994) ist die peritraumatische (griech. peri- = um das
Trauma herum) Dissoziation als wichtiger Risikofaktor des PTSD
anzusehen.
Die Dissoziation kann in drei unterschiedlichen, dennoch interdependenten
mentalen Ausprägungen vorliegen
primäre Dissoziation (Unfähigkeit, die Ganzheit dessen, was sich ereignet, in
das Bewusstsein zu integrieren; sensorische und emotionale Elmente des
Ereignisses können nicht in das persönliche Gedächtnis und die Identität
integriertwerden; die Erfahrung ist gesplittet in isolierte, somatosensorische
Elemente ohne Integration in ein persönliches Narrativ),
sekundäre Dissoziation (Verlassen des Körpers im Moment der
Traumatisierung, aus einer istanz das Geschehen beobachten =
»peritraumatische Dissoziation«) und
tertiäre Dissoziation (Entwicklung unterschiedlicher Ich-Zustände, die
traumatische Erinnerungen beinhalten = dissoziative Identitätsstörung).
Dissoziative Amnesie, Fugue und Identitätsstörung
Das Störungsbild der dissoziativen Amnesie wird nach dem DSM-IV durch eine
oder mehrere Episoden bestimmt, wobei die betroffene Person unfähig
ist,sich an wichtige, zumeist traumatische oder belastende, persönliche
Informationen zu erinnern. Die Erinnerungsunfähigkeit ist dabei zu
umfassend, um durch eine normale Vergesslichkeit erklärt zu werden.
Das vorherrschende Bild der dissoziativen Fugue ist ein plötzliches und
unerwartetes Verlassen des Wohnortes oder des gewohnten Arbeitsplatzes
verbunden mit der Unfähigkeit, sich an die eigene Vergangenheit zu
erinnern.Das »Wandern« geht mit einer Unsicherheit hinsichtlich der
eigenen Identität bzw. mit dem Verlust der eigenen Identität und der
bedingten Annahme einer neuen Identität einher.
Die dissoziative Identitätsstörung (»Dissociative Identity Disorder«, DID) ist
durch die Existenz zweier oder multipler distinkter Identitäten bzw. Persönlichkeitszustände gekennzeichnet. Diese sind durch ein dauerhaftes
Wahrnehmungsmuster der eigenen Person und der Umgebung geprägt. Die
Person wird wechselweise von mindestens zwei oder mehr Identitäten oder
Zuständen kontrolliert. Das Erinnerungsvermögen ist in einem über das
normale Vergessen hinausgehende Maß beeinträchtigt.
Die Ursache dissoziativer Identitätsstörungen
Zusammenspiel zweier Faktoren;
-eine psychobiologische Fähigkeit zur Dissoziation;
-eine schwere, wiederholte oder lang anhaltende Traumatisierung
Innerhalb der Traumatheorien werden der Dissoziation von Van der Kolk und
Fisler (1995) vier Bedeutungen zugesprochen:
-sensorische und emotionale Fragmentierung der Erfahrung und des
Erlebens,
-peritraumatische Dissoziation (»spacing out«), d.h. Derealisation oder
Depersonalisation während des traumatischen Ereignisses,
-fortgesetzte Depersonalisation und »spacing out« während des täglichen
Lebens,
-traumatische Erinnerungen, die mit verschiedenen Ich-Zuständen verbunden
sind.
Als kritische Faktoren für peritraumatische Dissoziation werden u. a.
angesehen: Alter, Grad oder Ausmaß der Exposition während des
traumatischen Ereignisses, » subjektiv wahrgenommene Bedrohung,
generelle psychische Regulationsmechanismen, Grad der
Identitätsformation
a
Neurobiologischer Perspektive
Integrative Funktionen eines Individuums können durch die Ausschüttung
neurochemischer Substanzen insbesondere im Hippokampus und
präfrontalem Kortex verändert werden.
Das Ausmaß, inwiefern diese Substanzen, wie Glutamat, Norepinephrine,
Epinephrine, Glukokortikoide, endogene Opiate und andere Substanzen
hemmend oder verstärkend wirken, ist von der Dosierung abhängig.
Der Dissoziation zugrunde liegende neurobiologische und
neuropharmakologische Mechanismen ähneln denen der Angstentstehung.
Z. B. durch Gabe von Yohimibin (ein a-adrenerger Rezeptor-antagonist) können
Flashbacks bei Patienten mit PTSD ausgelöst werden. Eine Veränderungen
der Yohimibinkonzentration als auch die Gabe von Betablockern und
anderer nicht sedierender Medikamente könnte während der
peritraumatischen Akutbehandlung möglicherweise der Modulierung des
Erregungsniveaus während der Traumaexposition dienen, damit zu einer
Reduktion dersubjektiv wahrgenommen Gefahr führen und folglich die
Wahrscheinlichkeit einer peritraumatischen Dissoziation reduzieren
Psychobiologie von Stress als Grundlage des PTSD
Stress entsteht in der Auseinandersetzung einer Person mit ihrer Umwelt als
Reaktion auf ein Übermaß an seelischer und körperlicher Anforderungen in
Form einer Erhöhung der Alarmbereitschaft des Organismus.Dieser stellt sich
dabei auf eine erhöhte Leistungsbereitschaft ein.
Selye (1956) definiert Stress als »alles, was auf den Körper einwirkt und eine
Aktivierungsreaktion hervorruft bzw. eine unspezifische vegetative Reaktion
des Organismus auf jede Anforderung«. Selyes Definition betrifft v.a.
physiologischen Stress (z.B. Kälte, Hitze), der zu vorübergehenden
Gedächtnisstörungen wie transienter globaler Amnesie führen kann.
Stressformen: Eustress und Disstress.
Es handelt sich bei Stress um keine feste Größe, sondern die gleichen Stressoren
bewirken unterschiedlich starke spezifische und unspezifische Reaktionen
eines Organismus/Individuums in Abhängigkeit von der subjektiven Intensität
des Stressors.
Dauert die Belastung durch einen Stressor an, geht die Aktivierungsreaktion (=
Alarmreaktion) in einen Gegenschock mit körperlichen Veränderungen über.
Im Weiteren folgt der Schockphase eine Widerstandsphase, in welcher der
Organismus bei objektiv gleicher Belastung weniger Kortikoide ausschüttet
und das Stresssyndrom folglich verschwindet.
Nimmt die Belastung durch den Stressor lange Zeit nicht ab oder tritt sogar ein
weiterer Stressor hinzu, kann der Widerstand zusammenbrechen und das
Stresssyndrom tritt erneut auf. Diese Vorgänge erhöhen die
Handlungsbereitschaft und mobilisieren Reserven für Fluchtoder
Kampfverhalten, hemmen jedoch Aufbau-und Entspannungsprozesse.
Biologische Stressachsen.
Die beiden wichtigsten biologischen Stressachsen sind demnach das
sympathomedulläre System sowie die Hypothalamus-HypophysenNebennierenrinden-Achse (HHNA).
Beim sympathomedullären System vermittelt der Sympathikus Stimulation des
Nebennierenmarks über die Ausschüttung von Adrenalin und Noradrenalin.
Beim HHNA stimulieren der Kortikotropin-Freisetzungsfaktor (»corticotropinreleasing factor«, CRF) und das adrenokortikotrope Hormon
(»adrenocorticotropic hormone«, ACTH) die Freisetzung von Kortikoiden [v.a.
das Kortikotropin-freisetzende Hormon (corticotropin-releasing hormone,
CRH) und Kortisol] aus der Nebennierenrinde, die rückwirkend die CRH- und
ACTH-Ausschüttung wiederum inhibiert.
Multiple psychische und physische Auslöser im Laufe des Lebens als
Vulnerabilitätsmarker in Abhängigkeit von Schweregrad, Häufigkeit, Art und
Struktur der Erlebnisse wirksam werden.Diese Marker haben auf die
behaviorale, kognitiv-emotionale, körperliche und soziale Entwicklung einen
determinierenden Einfluss und bestimmen den organisatorischen und
funktionalen Zustand eines reifenden Gehirns
. Stress ist ein Prozess der aktiven Auseinandersetzung (transaktionaler Prozess).
Dabei spielt die Interpretation der Situation eine entscheidende Rolle (Lazarus
u. Folkman 1984). Die Einschätzung der Bedrohung wichtiger Ziele (»primary
appraisal«) wird ergänzt durch die Bewertung der eigenen
Handlungsmöglichkeiten (»secondary appraisal«). Diese hängt von den
verfügbaren situativen Ressourcen, wie z. B. dem Handlungsspielraum, oder
von personalen Ressourcen, wie z. B. der sozialen Unterstützung, ab.
Das Coping stellt dabei den Versuch dar, Stresssituationen zu vermeiden, zu
mildern oder u. zu bewältigen.
Ontogenetische Perspektive
der Zeitpunkt der Traumatisierung darstellt einen kritischen Faktor für die Entwicklung eines
PTSD, da verschiedene neuronale Systeme zu unterschiedlichen Zeitpunkten reifen und
dadurch differente kritische Perioden für unterschiedliche kognitive Funktionen
existieren. In Abhängigkeit vom Zeitpunkt der Traumatisierung werden sehr
wahrscheinlich distinkte Entwicklungsprozesse der kognitiven und emotionalen
Verarbeitung durch ein Trauma verändert bzw. gestört.
Langfristige neurophysiologische und biochemische Korrelate des PTSD sind z. B. eine
unspezifische Erregung des sympathischen Nervensystems, eine Reduktion der
kortikalen evozierten Potenziale bei Präsentation neutraler Stimuli und eine abnorme
Schlafphysiologie (Einschlaf-und Durchschlafstörungen).
Neuroendokrinologische Veränderungen spiegeln sich in einer erhöhten noradrenergen
Aktivität, einer Unterfunktion der HNNA und einer Dysregulation des endogenen
Opioidsystems wider.
Arousal. Es zeigte sich, dass ehemalige Soldaten mit PTSD ein deutlich höheres Arousal
und ausgeprägtere subjektive Belastungsgefühle aufwiesen als Soldaten ohne PTSD. Die
nutzungsabhängige Internalisierung einer durch Arousal ausgelösten Angstreaktion
kann als Zustandsgedächtnis bezeichnet werden. Dieses Gedächtnis baut sich dadurch
auf, dass alle sensorischen Signale nach der Filterung durch die sensorischen Organe
eine Kaskade zellulärer und molekularer Prozesse im Gehirn initiieren. Neurochemie,
Zytoarchitektur und damit auch Hirnstrukturen und Funktionen verändern sich
Die Aktivierungshäufigkeit bestimmt die nutzungsabhängige Internalisierung neuer
Informationen, was zu einer Sensibilisierung führt. Eine einmal sensitivierte Aktivierung
kann im Folgenden durch weniger intensive externale Stimuli hervorgerufen werden Das
Gehirn bleibt sensitiv oder plastisch gegenüber Erfahrungen über die gesamte
Lebensspanne hinweg, Dieselben Mechanismen, die die Sensibilisierung im reifen
Gehirn bedingen, bestimmen während der Entwicklung die funktionelle Kapazität des
menschlichen Gehirnes.
Kritische Perioden
Kritische Perioden gibt es für unterschiedliche Funktionen wie z. B. der
Angstregulation, des autobiographischen Gedächtnisses und der
Perspektivenübernahme. Die optimale Entwicklung komplexerer
Systeme setzt die gesunde Entwicklung weniger komplexer Systeme
voraus. Deshalb hat z. B. eine Fehlentwicklung der
zustandsregulierenden Anteile des Gehirnes, wie z. B. Hirnstamm und
Mittelhirn, eine große Bedeutung für die neuronale Entwicklung aller
weiteren Hirnregionen.
Traumata während der Kindheit haben demnach einen potenzierenden
schädigenden Effekt auf die dauerhafte Organisation aller zukünftigen
Fähigkeiten eines Kindes. Traumatisierung stellt im Gegensatz zur
Deprivation eine Überaktivierung wichtiger neuronaler Systeme
während der sensiblen Phasen der Entwicklung dar.
Einschneidende emotionale Erlebnisse werden bereits von frühester
Kindheit an über die Amygdala gespeichert, längst bevor eine verbale
Kodierung möglich ist. Auf diese Weise ist erklärbar, warum frühe
Lebenserfahrungen eine prägende Bedeutung haben können, ohne
dass diese in Worte gefasst werden könnten.
Differenzierung zweier Gedächtnisarten
Es kann zwischen zwei ontogenetisch zu differenzierenden Gedächtnisarten unterschieden
werden (Le-Doux 1998).
Das deklarative bzw. explizite Gedächtnis, das im Hippokampus zentriert ist, wird vom
Bewusstsein gesteuert, während das emotionale bzw. implizite Gedächtnis, dessen
Schlüsselinstanz die Amygdala darstellt, von Signalen aus der Umwelt gesteuert wird.
Nach den Erkenntnissen von LeDoux (1998) können emotionale Reaktionen und emotionale
Erinnerungen ohne bewusste kognitive Beteiligung entstehen. Erlebnisse mit starker
Amygdalaaktivierung stellen besonders unauslöschliche Erinnerungen dar. Dies gilt
sowohl für emotional positive Erlebnisse (z. B. intensive Liebesgefühle, große
Erfolgserlebnisse) als auch für emotional sehr belastende Erfahrungen (z. B.
traumatische Ereignisse wie Unfall, Misshandlung oder Vergewaltigung).
Viele Angstreaktionen werden durch klassische Konditionierung unterhalb der
Wahrnehmungsschwelle erworben. Wenn ein Umweltsignal unbewusst als Angstreiz
identifiziert wird, kommt es zu einer Angstreaktion und zur Adrenalinausschüttung.
Subkortikal entstandene Furchtkonditionierungen sind der Grund dafür, dass bestimmte
Reize Furcht bewirken, ohne dass ein auslösendes Ereignis benannt werden kann.
Präkognitive Emotionen, d.h. den bewussten Denkprozessen vorauseilende Emotionen,
beruhen auf bruchstückhaften sensorischen Informationen, die noch nicht vollständig
analysiert und als bestimmte Objekte erkannt worden sind. Die Amygdala reagiert
unmittelbar über das sympathische Nervensystem mit einer Aktivierung des Körpers.
Diese Reaktionsbereitschaft ist ein biologisch vorgegebenes Programm und deshalb nur
bedingt therapeutisch zu verändern.
Die Überreaktion der Amygdala kann durch kortikale Mechanismen kontrolliert werden, indem der präfrontale Kortex das eingeleitete emotionsaktivierende Programm der
Amygdala unterbricht, wenn die Reizsituation als ungefährlich bewertet wird
Der präfrontale Kortex
Abgesehen von emotionalen Bedrohungen wie sie Traumata darstellen, bei denen durch die
Kurzschaltung zwischen Thalamus und Amygdala eine sofortige und massive
Körperreaktion ausgelöst wird, bleibt im Normalfall noch ausreichend Zeit, dass der
präfrontale Kortex eine Bewertung der eingehenden sensorischen Informationen
vornehmen und damit auch die emotionalen Reaktionen steuern kann.
Der orbitofrontale Kortex reguliert die emotionalen Reaktionen über ein dichtes Netz von
Nervenbahnen zum limbischen System. Die Emotionskontrolle erfolgt vermutlich durch
den linken präfrontalen Kortex, während der rechte präfrontale Kortex als der »Sitz«
negativer Gefühle (z. B. Furcht und Aggression) anzusehen ist. Die Annahme
bestätigend, dass der linke Präfrontallappen den rechten Präfrontallappen hemmt,
kommt es bei Ausfall des linken Präfrontallappens zu emotionalen Auffälligkeiten und zu
unkontrollierten Angstattacken.
In Tierversuchen führt die elektrische Reizung der Amygdala zu verstärkten
Angstreaktionen, in Form von erhöhter Puls- und Atemfrequenz, Blutdruckerhöhung,
Erhöhung des Kortikosteronspiegels und erhöhter Schreckhaftigkeit und der
Unterbrechung bestimmter Verhaltensmuster. Eine Zerstörung der Amygdalakerne
hingegen bewirkt angst- und furchtlose Tiere. Die angstreduzierende Wirkung einer
beeinträchtigten Amygdalafunktion konnte beim Menschen durch gehirnchirurgische
Eingriffe oder Läsionen der Amygdala nachgewiesen werden.
Die bis in die 50er Jahre durchgeführten frontalen Lobotomien zur Behandlung von
Angstzuständen oder Epilepsien, führten zwar zu einer Beseitigung der Ängste, aber
auch zur Reduktion jedes differenzierten Gefühlserlebens (= Affektverflachung).
Bei der Speicherung von Erfahrungen arbeiten Amygdala und Hippokampus eng zusammen.
Eine angstvolle Erfahrung wird derart gespeichert, dass über den Hippokampus die
Fakten festgehalten werden, während die Verarbeitung der emotionalen
Begleitreaktionen eher an das amygdaloide System gekoppelt ist.
Funktionelle Beeinträchtigungen bei PTSD
Emotionale Reaktionen auf ein traumatisches Ereignis sind unterteilbar in primäre
Emotionen, die unmittelbar während des Ereignisses auftreten, und in
sekundäre Emotionen, die unmittelbar nach dem bedrohlichen Ereignis oder
mittelbar nach der Bewertung des Ereignisses und der Antizipation der
Konsequenzen auftreten.
Als primäre Emotionen werden z. B. Angst und Hilflosigkeit beschrieben
Die unmittelbaren Folgen eines Traumas sind insbesondere ein Ansteigen der
Empfindlichkeit gegenüber Bedrohung und Stress, was eine Erhöhung der
Aufmerksamkeit selektiv für traumbezogene Reize und einen Anstieg der
Erwartungen physischer Gefahr, Verlust, Verrat etc. mit sich bringt. Diese
unmittelbaren Veränderungen beeinflussen die Informationsverarbeitung und
somit auch den späteren Gedächtnisabruf.
Es ist anzunehmen, dass Informationen nicht wie in stressfreien Situationen
durch das hippokampale Gedächtnissystem, sondern vornehmlich durch das
alternative, weniger stressanfällige amygdaloide Gedächtnissystem verarbeitet
werden
Nach der Traumaexposition treten sekundäre Emotionen auf, die durch kognitive
Reflexions und Bewertungsprozesse entstehen. Kurzzeitige kognitive
Veränderungen treten bei den meisten traumatisierten Individuen in den ersten
Tagen und Wochen auf. Ausschließlich Personen, die eine chronische PTSD
entwickeln, zeigen dauerhafte kognitive Veränderungen.
Das Gedächtnismodell von McClelland und Mitarbeitern
Sie nehmen an, dass das hippokampale Gedächtnissystem für schnelles
Lernen relevant ist und unmittelbar auf Veränderungen der Umwelt
reagieren kann, während ein distinktes weitreichendes neokortikales
System für eine Langzeitspeicherung und das langsame Lernen
verantwortlich ist. Computersimulationen zeigten, dass das neokortikale System nicht in der Lage ist, auf neue, überraschende
Informationen zu reagieren und in das bereits Gelernte zu integrieren.
Resick und Schnicke (1993) unterscheiden diesbzgl. zwischen:
Überassimilation (Überanpassung des Traumas an die Umwelt), durch
die die Realität des traumatischen Ereignisses minimiert oder
abgelehnt wird und
Überakkommodation (Überanpassung der Umwelt an das Trauma),
in der die Realität außerhalb des traumatischen Ereignisses als völlig
verändert wahrgenommen wird, wenn z. B. jedes laute Geräusch eine
Bedrohung darstellt.
Als verschachteltes Lernen (»interleaved learning«) bezeichnen
McClelland et al. die Möglichkeit, neue Informationen graduell in alte
Erinnerungen zu integrieren. Diese Form des Neulernens stellt eine
langsamere Form des Neuerwerbs und Rekonstruierens alter
Informationen dar, die auf Wiedererinnern und Neubewertung beruht.
Dieser Ansatz ist im Rahmen therapeutischer Behandlungen des PTSD,
insbesondere der dissoziativen Amnesie, von Bedeutung.
Erinnerungsfunktionen
Kennzeichen des chronischen PTSD sind gering elaborierte Traumaerinnerungen,
die nur schlecht oder gar nicht in die individuelle Autobiographie integriert
sind Negative Bewertungen können wegen fehlender elaborierter
Informationen nicht wiederlegt werden
Das Erinnern dieser Gedächtnisfragmente ist gekennzeichnet durch ein von
traumabezogenen Reizen ausgelöstes unwillkürliches Wiedererleben der
Traumaerinnerungen und dem Erleben intensiver Emotionen.
Formen der Erinnerung:
explizite Erinnerung, die sich auf das Bewusstsein von Fakten und Ereignissen
bezieht und
implizite Erinnerung, die sich auf Gewohnheiten, emotionale Antworten,
reflexive Handlungen und klassisch konditionierte Reaktionen bezieht.
Bei traumatischen Ereignissen scheint ein extremes emotionales Arousal mit den
expliziten Erinnerungsfunktionen des Hippokampus zu interferieren. In extrem
stresserzeugenden Situationen kann die explizite Erinnerungsfunktion
versagen, sodass die Betroffenen keine Sprachbilder (Narrative) des
Ereignisses entwickeln können. Aufgrund der erhaltenen impliziten
Erinnerungsfunktionen können sie jedoch körperliche Sensationen,
Angstzustände, ängstigende diffuse Wahrnehmungen haben, die durch
bestimmte, mit dem traumatischen Ereignis verbundene Auslösesituationen
evoziert werden können.
Easterbrook-Hypothese
Easterbrook (1959) nimmt an, dass physiologisches Arousal die
Aufmerksamkeitsbreite bei der Stimulusverarbeitung reduziert
sodass die Aufmerksamkeit stärker an zentrale Aspekte
gebunden und weniger auf periphere Aspekte einer Situation
gerichtet werden kann.
So ging Christianson (1992) davon aus, dass zentrale
Informationen eines traumatischen Ereignisses folglich besser
erinnert werden als periphere Informationen, während das
Gegenteil für neutrale Ereignisse gilt.
Nach Safer et al. (1998) ist das Tunnelgedächtnis ein Resultat von
sowohl peritraumatisch eingeengter Aufmerksamkeit als auch
von einer erhöhten posttraumatischen elaborierten
Informationsverarbeitung und spezifischen emotionalen
Verarbeitung kritischer Details. Die Informationsverarbeitung
nach der Reizdarbietung begrenzt demnach ebenfalls den
Erwerb von Informationen aus der mentalen Peripherie.
Physiologische Mechanismen
Bei Traumaerinnerungen handelt es sich um autonoetische Erinnerungen mit
hohem Bezug zur eigenen Biographie.
Die für PTSD typischen Erinnerungen sind lebendig und bildhaft-perzeptiver
Natur, gleichzeitig aber auch wenig strukturiert und aus einzelnen
Bildfragmenten mit inhaltlichen Lücken zusammengesetzt. Traumatische
Erinnerungen können einerseits spontan und ohne willkürliche Kontrolle der
traumatisierten Person auftreten. Sie sind von hoher Intensität und werden
immer wieder auf die gleiche Art und Weise durchlebt. Andererseits werden
infolge von Traumata Gedächtnisblockaden beschrieben, sodass ein Trauma
nicht wiedererinnert werden kann.
Auf neurophysiologischer Ebene konnten Cahill und McGaugh (1998) in ihren
Untersuchungen belegen, dass die Ausschüttung von Adrenalin und
Kortikosteronen, die Beteiligung des sympathischen Nervensystems und des
Amygdaloidkomplexes für die stabile Verankerung hoch emotionaler Inhalte im
Gedächtnis verantwortlich sind;
entgegengesetzte Effekte zeigten sich hingegen bei chronischem intensiven
Stress begleitet von hohen Kortisolwerten und einer Volumenreduktion des
Hippokampus bzw. einer Funktionsreduktion des Hippokampus.
Dis- und Eustress und Gedächtnisleistung
Der Zusammenhang von Stress und Gedächtnis wird generell als ein
kurvilinearer beschrieben, mit zunächst ansteigender
Gedächtnisleistung unter Eustressbedingungen und
Gedächtnisreduktion bei weiter ansteigender Stressintensität und
langfristiger Stressexposition (Disstress).
Das Stress-Gedächtnis-Modell von Yerkes-Dodson.
Dieses Modell von Yerkes-Dodson (1908) geht dementsprechend
davon aus, dass niedrige und hohe Level von Arousal den Abruf von
Gedächtnisinhalten reduzieren, während mittlere Level zu optimalen
Gedächtnisleistungen führen.
Loftus (1980) nahm weiterhin an, dass ein hohes emotionales Arousal
das Erinnern behindert, weil emotional sehr erregte Personen nicht
hinreichend viel Aufmerksamkeit auf die wichtigen Hinweisreize in
ihrer Umgebung richten und, dass deshalb wesentliche Informationen
für das Erinnern des emotionalen Ereignisses unberücksichtigt
bleiben.
Bei stressbedingten Amnesien handelt es sich um Gedächtnisstörungen
ohne nachweislich zugrunde liegende Hirnschädigung mit primär
psychischer Ursache. Sie können durch external oder internal bedingte
traumatisierende Stresszustände verursacht werden.
Das mnestische Blockadesyndrom.
bezeichnet eine primär psychisch bedingte, anhaltende Gedächtnisstörung, die auf das
autobiographische Gedächtnis begrenzt ist und durch akute oder chronische Stressoder Traumazustände ausgelöst wird Unmittelbare Traumaauslöser können sowohl
psychischer als auch somatischer Natur sein. Die Gedächtnisstörung wird als Blockade
des Abrufs bereits abgelagerter autobiographischer Erlebnisse bzw. als Blockade der
dauerhaften und bewussten Informationsaufnahme verstanden.
Der zugrunde liegende Mechanismus auf der Hirnebene basiert vermutlich auf einer
massiven Freisetzung von Stresshormonen, die den normalen neuronalen
Informationsfluss unterbinden.
Zu dissoziativen Symptomen gibt es Parallelen und Unterschiede:
Die Parallelen liegen in der grundsätzlichen Reversibilität und in den Beeinträchtigungen
in sozialen, beruflichen und anderen wichtigen Funktionsbereichen sowie in der
Unmöglichkeit, das Syndrom als gewollte Simulation erklären zu können.
Die Unterschiede zeigen sich zum einen in der Pathogenese, da die mnestische Blockade
auch auf körperliche Krankheiten zurückzuführen ist, zum anderen in der
Symptomatologie der Amnesie, da sie nicht ausschließlich auf die belastenden oder
traumatischen Ereignisse und assoziierten Erinnerungen begrenzt ist. Im Gegensatz zu
anderen dissoziativen Symptomen ist die Wahrnehmung der eigenen Identität nicht von
der Blockade betroffen.
Ein Coping-Mechanismus von Patienten mit PTSD ist das Vermeiden traumaspezifischer
auslösender externaler und internaler Auslösereize. Das semantisch-narrative
Beschreiben des Traumas stellt einen Versuch dar, der Angstbelastung durch das
Wiedererleben des Traumas zu entgehen. Oftmals stellt jedoch schon eine unspezifische
Erregung einen internalen Auslöser für ein Flashback-Erleben dar.
Das duale Repräsentationsmodell von Brewin.
Zwei Gedächtnissysteme der Traumarepräsentation (Brewin et al. 1996).
Demnach ist die Narration des Traumas eine Leistung des verbal abrufbaren
Gedächtnisses (»verbal accessible memory«, VAM). Es sich um narrative
Fakten der Autobiographie handelt, die bewusst, kontrolliert und situationsangepasst abgerufen werden können.
Im Gegensatz dazu stellt das Wiedererleben eine Operation des situativ
abrufbaren Gedächtnisses dar (»situationally accessible memory«, SAM). Alle
von situativen Auslösern initiierte Flashbacks, die sich vollständig der
Kontrolle des Patienten entziehen.
Ob VAM- oder SAM-Erinnerungen aktiviert werden, hängt sowohl von den
traumabezogenen Stimuli als auch von jeweils unterschiedlich
abgespeicherten Inhalten der Traumaerinnerung ab. Wenn die
traumabezogenen Trigger gleich gut zur VAM- wie zur SAM-Erinnerung passen,
dann wird eine Aktivierung der SAM und somit der affektiven Anteile des
Gedächtnisses verhindert. VAM-Erinnerungen sind günstig für die Kontrolle
unangemessener Angstreaktionen. Je ähnlicher SAM und VAM, desto besser
die Kontrolle.
Innerhalb der Traumatherapie kann der Abgleich zwischen SAM und VAM ein
wesentliches Therapieziel darstellen, was durch Aufmerksamkeitsausrichtung
auf die Flashback-Inhalte erreicht werden kann Das Integrieren fehlender
Detailerinnerungen sowie das Neubewerten einzelner Traumaaspekte als auch
das Durchleben der negativen Gefühle können in der Traumatherapie i. Allg.
von Bedeutung sein.
Traumatherapie I
Traumatherapien, wie Expositionstherapien, kognitive Therapien und
»Eye- movement-desensitization and reprocessing« (EMDR)
ermöglichen das Erinnern zuvor nicht zugänglicher Details des
Traumas. Ziel ist es dabei nicht, ein exaktes narratives Abbild des
Traumas zu rekonstruieren, sondern Auslösereize der FlashbackErinnerung in das bewusst erinnerbare Narrativ einzubetten. Diese
Auslöser korrespondieren ursprünglich mit bestimmten »heißen
Punkten« des Traumas, wie z.B. Feuersbrunst oder auch
Sirenengeräusche, die bei einer Aufhebung der Verknüpfung von Reiz
und den »heißen Punkten« das Erleben von Flashbacks inhibieren.
Angstvolle Erlebnisse, können am besten überwunden werden, wenn sie
im therapeutischen Kontext zuerst gezielt aktiviert und dann durch
neue, positivere Emotionen korrigiert werden, wie es z. B. bei der
Exposition (»prolonged exposure«) umgesetzt wird. Therapieziel ist es,
die traumatische Situation im Gedächtnis zu reaktivieren und im
therapeutischen Rahmen die Dissoziation von visuellen, verbalen,
affektiven und weiteren sensorischen Erlebniskomponenten wieder zu
einer Einheit zu integrieren (Traumasynthese). Wenn die traumatischen
Ereignisse einer Person aktiv emotionsgetragen wieder erinnert
werden können, ohne dissoziativ abgewehrt werden zu müssen, ist ein
wesentliches Ziel erreicht.
Traumatherapie II
Aus psychodynamischer Perspektive lassen sie sich durch einen
(teilweise) unbewussten Abwehrmechanismus erklären, der das
Ausleben von unbewussten Wünschen verhindert. So kann der
Wunsch, aus einer Situation zu entkommen, ohne dass eine bewusste
Realisierungsmöglichkeit gegeben wäre, zu einer dissoziativen Fugue
führen.
Auch aus der Perspektive des Behaviorismus wird die Dissoziation durch
die Motivation, einer Situation zu entfliehen, erklärt. Hier wird das
Verlassen einer Situation jedoch dadurch definiert, dass der Patient
durch sein Handeln Stressreduktion erfährt und eine Belohnung, z.B.
in Form von subjektiver Erleichterung, erzielt. In der Verhaltenstherapie
wird das dissoziative Verhalten ignoriert und durch fehlende
Verstärkung gelöscht
Traumatische Erinnerungen, wie z.B. an Unfälle, können i. Allg. adäquater
und effektiver durch neue emotionale Erfahrungen in ähnlichen
Situationen im Rahmen einer Konfrontationstherapie überwunden
werden als durch kognitives Analysieren und Nachdenken über die
Hintergründe des Traumas Kontraindikationen für imaginative
Vorgehenswiesen stellen akute Stabilisierungs- und Trauerphasen dar.
Potenziell kann die Traumaexposition eine unmittelbare Reduktion der
Amnesie und eine Schwächung der Dissoziation bewirken, was eine
gleichzeitige außerordentliche Belastung der neuronalen
Informationsverarbeitung darstellt und die Gefahr der
Retraumatisierung mit sich bringt.
Traumatherapie II
Es gilt, dass Furchtkonditionierungen sowohl durch Gewöhnung an
phobische Reize mittels konfrontativer Übungen als auch durch
Einsicht über Stärkung der medial präfrontal gesteuerten
Kontrollfunktionen ausschließlich in ihrem verhaltensbezogenen
Ausdruck reduziert werden. Die konditionierte Furchtreaktion kann
demnach durch mentale Einstellungen und positive Erfahrungen
inhibiert werden; die impliziten Erinnerungen bleiben jedoch trotz einer
erfolgreichen Psychotherapie weiterhin reaktivierbar.
Neue extreme psychosoziale Belastungen oder Traumata können die aus
dem Verhalten eliminierte Furchtreaktion rasch wieder aktualisieren
und ein ausgeprägtes phobisches Vermeidungsverhalten begünstigen,
das schon als überwunden galt.
Die Erkenntnis, dass die ursächlichen impliziten Erinnerungen nicht
gelöscht werden können, wohl hingegen das reaktive phobische
Vermeidungsverhalten, ist für die Therapiezielsetzung von Relevanz.
Im Rahmen einer Bewältigung sollten nicht nur die Ängste und
Traumata bearbeitet werden, sondern im Gegenzug positive
Basiserfahrungen vermittelt werden, die im Sinne einer
Ressourcenerhöhung das Vertrauen der Patienten in sich selbst, in die
Zukunft und in die soziale Umwelt stärken.
Traumatherapie III
Auch das Verständnis für die Funktionsweise der Amygdala kann zu der
Einsicht verhelfen, dass eine primäre, biologisch gesteuerte
Angstreaktion mit starker körperlicher Aktivierung, wie beschleunigter
Herzschlag, Veränderung der Atmung, muskuläre Anspannung,
Schwitzen, flaues Gefühl im Magen, in bedrohlich erscheinenden
Situationen kognitiv und willentlich nicht verhindert werden, wohl aber
durch eine veränderte sekundäre Reaktion und Bewertung leichter
überwunden werden kann.
Im Vordergrund der Symptomatik des PTSD stehen das intrusive
Flashback-Erleben traumatischer Erinnerungsfragmente und
dissoziative Gedächtniseinbußen (dissoziative Amnesie, mnestisches
Blockadesyndrom)
Inkonsistente Untersuchungsmethoden und inkonsistente Ergebnisse
entfachen die Debatte über die Bedeutsamkeit beobachteter
Veränderungen. Wegen ethischer Einschränkungen innerhalb der
klinischen Forschung und begrenzter Übertragbarkeit der Ergebnisse
aus der Tierforschung besteht die dringende Forderung nach höherem
Konsensus hinsichtlich der Untersuchungsmethoden, insbesondere
im Einsatz neuropsychologischer Testverfahren, um eine höhere
Vergleichbarkeit der klinischen und experimentellen Ergebnisse zu
erzielen und um zu einer systematischen Modellbildung und
Entwicklung von Präventionsmethoden und Behandlungsstrategien zu
kommen
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