Prof. Dr. Johann Graf Lambsdorff Universität Passau WS 2007/08 Frenkel, M. und K.D. John (2006), Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, 6. Aufl. S. 21-25, 37-39, 50-52, 54-55, 56. y, s .y y* Pflichtlektüre: I. Das Bruttoinlandsproduktf(k) c* (n+δ)k s.f(k) s.y* k* k 6 • Das Bruttoinlandsprodukt ist ein Maß für die gesamtwirtschaftliche Produktion. Diese entspricht in einer (geschlossenen) Volkswirtschaft den gesamten Einnahmen der Firmen (aus dem Verkauf von Endprodukten) und den Ausgaben der Haushalte. • Das Bruttoinlandsprodukt umfasst nur Güter und Dienste, welche gegenwärtig produziert werden, nicht solche der Vergangenheit oder Zukunft. Es bezieht sich dabei auf ein bestimmtes Zeitintervall (Jahr oder Quartal). • Das Bruttoinlandsprodukt wird bestimmt durch den gesamten Marktwert aller Endprodukte an Gütern und Dienstleistungen, welche in einer bestimmten Periode in einem Land produziert werden. • Es bezieht sich auf die Produktion innerhalb der geographischen Abgrenzung eines Landes. • Die Produktion wird also nach Marktpreisen bewertet. • Es beinhaltet sowohl „fassbare“ Güter (Nahrung, Kleidung, Autos) als auch „nicht-fassbare“ Dienstleistungen (Haarschnitt, Reinigungsservice, ärztliche Beratung). 7 • Gezählt werden alle produzierten und legal auf Märkten gehandelten Güter. Vernachlässigt werden Güter, welche zu Hause produziert und konsumiert werden, ohne dabei über einen Markt ausgetauscht zu werden. • Illegal gehandelte Güter (z.B. Drogen) werden vernachlässigt. 8 • Es werden nur Endprodukte und nicht Vorleistungen einbezogen (so dass Doppelzählungen vermieden werden). • Vorleistungen sind solche Güter und Dienste, welche in der gleichen Periode im Produktionsprozess wieder verwendet werden. • Die produzierten Vorleistungen gehören nicht zum Inlandsprodukt, da sie im gleichen Zeitraum wieder im heimischen Produktionsprozess verbraucht werden. Produktionswert und Wertschöpfung am Beispiel der Brotproduktion Landwirte L 200 Getreide 300 Müller Bäcker Vorleist. 300 Mehl 500 G 100 L 100 Vorleist. 500 G 100 Brot 700 L 120 • Das Bruttoinlandsprodukt entspricht damit der Wertschöpfung. Von der Summe aller Produktionswerte (einschl. Vorleistungen) müssen sämtliche Vorleistungen abgezogen werden. Produktionswert: 1500 G 80 Vorleistungen: 800 9 Wertschöpfung: 700 10 Der BIP-Deflator misst das gegenwärtige Preisniveau relativ zum Preisniveau eines Basisjahres. Reales und Nominales Bruttoinlandsprodukt • Das nominale Bruttoinlandsprodukt misst die Produktion von Gütern und Diensten zu aktuellen Preisen. • Das reale Bruttoinlandsprodukt misst die Produktion von Gütern und Diensten zu konstanten Preisen. • Ein zutreffendes Bild der Produktion als Maßstab des Wohlstands eines Landes erfordert, dass das nominale BIP mit Hilfe des BIP-Deflators in das reale BIP umgerechnet wird. 11 Ein Anstieg des BIP-Deflators bedeutet, dass ein Anstieg des nominalen BIP auf Preiserhöhungen und nicht auf eine gestiegene mengenmäßige Produktion zurück zu führen ist. Ein Sinken des BIP-Deflators bedeutet, dass ein sinkendes nominales BIP aus Preissenkungen resultiert und nicht durch eine schrumpfende mengenmäßige Produktion bedingt ist. 12 Bruttoinlandsprodukt, Deutschland, real in Preisen von 1995 und nominal Das Bruttoinlandsprodukt als Wohlfahrtsindikator Bill. € 2.2 • Das reale Bruttoinlandsprodukt ist das beste eindimensionale Maß für das Wohlergehen einer Gesellschaft. 2 1.8 1.6 • Als Pro-Kopf-Größe misst es das durchschnittliche Einkommen und die durchschnittlichen Ausgaben einer Person. 1.4 BIP, real 1.2 BIP, nominal 1 • Ein höheres Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt indiziert einen höheren Lebensstandard. 0.8 0.6 Quelle: World Development Indicators, eigene Darstellung 2003 2001 1999 1997 1995 1993 1991 1989 1987 1985 1983 1981 1979 1977 1975 1973 1971 0.4 13 Glaubst du denn, du wärst klüger als alle unsere Ökonomen, Statistiker und Minister? Unser Lebensstandard hat sich deutlich erhöht! Du merkst es bloß nicht, weil dies durch die erhöhten Kosten neutralisiert wurde. 14 Aber: Das Bruttoinlandsprodukt ist nicht ein perfektes Maß des Glücksempfindens oder der Lebensqualität. Insbesondere fehlen Wertansätze für die folgenden „Güter“: • Der Wert der Freizeit. • Der Wert einer sauberen Umwelt. • Der Wert von Gütern und Diensten, welche nicht über den Markt ausgetauscht werden, z.B. freiwillige, unentgeltliche Arbeiten, gegenseitige Hilfestellungen in der Familie. Laxman, Times of India, • Der Wert einer gerechteren Verteilung der Einkommen. 15 16 Das Bruttoinlandsprodukt weist aber eine hohe Korrelation mit anderen Messgrößen auf. So korreliert es hoch mit einem subjektiv geäußerten Glücksgefühl. Lebenszufriedenheit und Pro-KopfEinkommen in 51 Ländern anfangs der 90er-Jahre. Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung • Wir unterstellen eine geschlossene Volkswirtschaft, d.h. wir vernachlässigen das Ausland. • Wir vernachlässigen die ökonomische Aktivität des Staates. • Es existieren daher nur private Haushalte und Unternehmen. Arbeitskraft Lohn (700) Private Haushalte Quelle: A. Stutzer (2001), „Eine ökonomische Analyse menschlichen Wohlbefindens“, Zürich. Vorleistungen (300) Unternehmen Zahlung (700) 17 • Folgende vereinfachende Annahmen gelten: • Private Haushalte produzieren nicht. Sie verausgaben ihre gesamten Einkommen vollständig. • Unternehmen bilden keine Ersparnisse. • Es entstehen im Produktionsprozess keine Gewinne. • Aufgrund der fehlenden Ersparnisbildung gibt es kein Vermögen. • Unternehmen produzieren nur Konsumgüter und Dienstleistungen, welche in der gleichen Periode abgesetzt werden. • Die Güter werden mit Hilfe menschlicher Arbeitskraft und Vorleistungen (Rohstoffe, 19 Transportkosten, usw.) produziert. 18 Konsumgüter F steht hierbei für das Faktoreinkommen Inlandsprodukt = Wertschöpfung: 700 Einkommenskonto F 700 C 700 Produktionswert: 1000 Produktionskonto V 300 20 • Entsprechend den wirtschaftlichen Funktionen in der betrachteten Volkswirtschaft existiert ein Einkommenskonto und ein Produktionskonto. • Das Produktionskonto soll hierbei die Produktion, Einkommensentstehung und Einkommensverteilung beinhalten. • Das Einkommenskonto erfasst die Einkommenserzielung, Einkommensumverteilung und Einkommensverwendung. • Anschaulich kann das Einkommenskonto als Konto der Einkommensbezieher (hier der privaten Haushalte) und das Produktionskonto als Konto der Produzenten (hier der Unternehmen) betrachtet 21 werden. • Die eingezeichneten Ströme sind Zahlungsströme (im Falle einer Kreditgewährung könnten wir auch von Forderungsströmen sprechen). • Der mit dem Symbol C versehene Strom bedeutet, dass den Produzenten aus dem Verkauf von Konsumgütern an die Einkommensbezieher von diesen Zahlungsmittel in Höhe von 700 zufließen. • Dem aus Konsumgüterverkäufen der Produzenten resultierenden Strom fließt ein gleich starker, aber entgegen gerichteter Strom von den Produzenten zu den Einkommensbeziehern entgegen. • Dieser bringt zum Ausdruck, dass die Produzenten an die Einkommensbezieher Löhne und Gehälter, so genannte Faktoreinkommen, zahlen. Mit dem zweiten Strom entsteht ein Kreislauf. 22 Darstellung in Kontenform • Die Faktoreinkommen beinhalten die so genannten Erwerbs- und Vermögenseinkommen. • Die Erwerbseinkommen sind die Arbeitnehmerentgelte und die Selbständigeneinkommen. Einkommenskonto • Zu den Vermögenseinkommen gehören Zinsen und Mietzahlungen sowie die verteilten Gewinne in Form von Dividendenausschüttungen oder Gewinnentnahmen. Konsumausgaben 700 700 Produktionskonto Vorleist. Faktoreinkommen 300 Wertschöpfung – Löhne 700 300 Vorleist. 700 Konsumgüter • Wir hatten jedoch unterstellt, dass kein Vermögen angesammelt wurde. Daher besteht das Einkommen zunächst nur aus Erwerbseinkommen und wird hier als „Lohn“ bezeichnet. 23 24 • Unsere vereinfachende Annahme, private Haushalte würden nicht produzieren, soll nun aufgegeben werden. • Alle Unternehmungen gehören zum Sektor „private Haushalte“, sofern sie keine (quasi-) Kapitalgesellschaften sind (Aktiengesellschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Genossenschaften, offene Handelsgesellschaften, Kommanditgesellschaften). • Der Begriff „privater Haushalt“ wird gemäß einer Abgrenzung für die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union durch das europäische System volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen (abgekürzt: ESVG; verbindlich für alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ab April 1999 verbindlich) vorgenommen. • Zum Produktionswert der von privaten Haushalten erzeugten Güter gehören einerseits Dienstleistungen, die Hausangestellte, Reinigungspersonal, butler u. ä. Erwerbstätige gegen Entgelt produzieren und an andere private Haushalte verkaufen. 25 • D.h. alle Personengesellschaften ohne eigene Rechtspersönlichkeit zählen zu den privaten Haushalten (z.B. selbständige Landwirte, Einzelunternehmer im produzierenden Gewerbe, Handwerker, Händler, Gastwirte). • Die Produktion dieser Personengesellschaften o.e.R. wird auf einem Produktionskonto der privaten Haushalte verbucht. 26 Darstellung in Kontenform Private Haushalte Unternehmen Produktionskonto Produktionskonto Wertschöpfung -Löhne 270 100 Dienstlst.an Haushalte 170 Konsumgüter Einkommenskonto Konsumausgaben 720 • Nun soll die Annahme aufgegeben werden, dass private Haushalte und Unternehmen nicht sparen und nicht investieren. Vorleist. 300 • Private Haushalte sparen dadurch, dass sie nur einen Teil ihres Faktoreinkommens für Konsum ausgeben. 300 Vorleist. Wertschöpfung 550 -Löhne 550 Konsumgüter Einkommenskonto 820 • Das hiermit angesammelte Vermögen stellen sie für die Produktion den Unternehmen (oder den zu den Haushalten zählenden Personengesellschaften) zur Verfügung. • Hierfür erhalten sie dann Vermögenseinkommen, wie z.B. Zinsen oder Dividenden. Faktoreinkommen Ausgaben für Dienstlst. 100 27 28 • Die Unternehmen erzielen Gewinne. • Unternehmen sparen dadurch, dass sie diese Gewinne nicht vollständig als Dividenden an die private Haushalte abführen. • Die Ersparnis der Unternehmen entspricht somit den einbehaltenen Gewinnen. • Diese werden verbucht als ein Einkommen, welches sich die Unternehmen auf ihr Einkommenskonto zuweisen. • Aufgrund der durch Nutzung eingetretenen Wertminderung des Anlagevermögens müssen Unternehmen ferner Abschreibungen verbuchen. • Auf der Seite der Produzenten wird unterstellt, dass diese nicht nur Konsumgüter, sondern auch Investitionsgüter, d.h. dauerhafte Produktionsmittel wie maschinelle Anlagen, produzieren. • Unter Konsum (C) verstehen wir nun sämtliche Ausgaben der Haushalte für (Verbrauchs-) Güter und Dienste mit Ausnahme von Häusern, welche als Investition gezählt werden. • Demgegenüber zählen Ausgaben der Haushalte für langlebige Konsumgüter (Auto, Fernseher, Waschmaschine …) zum Konsum. • Investitionen (I) sind Ausgaben für Kapitalausstattung, Vorräte und Bauten (Häuser), also für Güter, welche nicht unmittelbar verbraucht werden. 29 30 Darstellung in Kontenform Bezüglich der Investitionen sind folgende Begriffe zu unterscheiden: Private Haushalte Unternehmen Produktionskonto Produktionskonto Wertschöpfung – Löhne – Zinsen – einbeh. Gewinne Bruttoinvestition: Ib Nettoinvestition: In Lagerinvestition: IL Reinvestition ~ D (Brutto-) Anlageinvestitition: IbA Ib 250 Reinvest. 150 D 150 Investitionsgüter Abschreibungen Einkommenskonto IbA 210 Konsumausgaben In 100 IL 40 Einkommenskonto Faktoreinkommen Ersparnis – Löhne – Zinsen einbeh. Gewinne Ersparnis 31 32 Flussdiagramm einer einfachen Volkswirtschaft • Aus der Darstellung ist ersichtlich, dass zu manchen Posten eine Gegenposition fehlt. Hierfür ist ein Vermögensänderungskonto zu berücksichtigen. S 100 Einkommenskonto • Wir betrachten nun zur Vereinfachung nur gesamtwirtschaftliche Konten, vernachlässigen also die Unterscheidung in private Haushalte und Unternehmen. F 820 • Eine Darstellung kann entweder in Form eines Flussdiagramms oder in Kontenform erfolgen. C 720 Vermögensänderungskonto Ib 250 Produktionskonto D 150 V 300 33 • Die den Haushalten und Unternehmen zufließenden Einkommen in Höhe von 820 werden in Höhe von 720 für Konsumzwecke ausgegeben und der Rest in Höhe von 100 wird gespart. 34 Gesamtwirtschaftliche Konten einer einfachen Volkswirtschaft • Die Ersparnis fließt dem Vermögensänderungskonto zu. Damit wird ein Teil der Bruttoinvestition in Höhe von 250 finanziert. Konsumausgaben 720 • Als Gedankenstütze kann man sich vorstellen, dass das Vermögensänderungskonto beim Produktionskonto Investitionsgüter in Höhe von 250 kauft und bezahlt. Ersparnis 100 • Der nicht durch Ersparnisse finanzierte Teil der Bruttoinvestition in Höhe von 150 Einheiten wird durch Abschreibungen finanziert, genauer aus Abschreibungsgegenwerten. 35 Produktionskonto Einkommenskonto 820 Faktoreinkommen Vorleist. 300 Abschr. 150 Wertschöpfung – Löhne 680 – Zinsen 140 300 Vorleist. 720 Konsumgüter 250 Inv.güter Vermögensänderungskonto Inv.güter 250 150 Abschr. 100 Ersparnis 36 Brutto- und Nettoinlandsprodukt Das Nettoinlandsprodukt kann auf verschiedene Arten berechnet werden: Zur Übung: VWL-Quiz Yn=C+I (820) (Verwendungsseite) Yn=C+S (820) (Aufteilungsseite) http://www.wiwi.uni-passau.de/994.html Yn=F=L+Gv+Gu (820) (Verteilungsseite) Aufgaben 1 und 2 Es gilt ferner: Bruttoinlandsprodukt = Yn+D = 970 37 38