Klinik für Allgemeine Innere Medizin – Palliative Care Empfehlungen Fatigue bei palliativen Patienten Fatigue ist eines der häufigsten Symptome bei palliativen Patienten (1, 2). Die Prävalenz bei palliativen Patienten beträgt 48 % bis 78 %. Definition (1, 2) Fatigue ist ein subjektives Gefühl von Müdigkeit, Schwäche oder Fehlen von Energie. Fatigue tritt nicht nur bei palliativen Tumorkranken auf, sondern auch bei sehr vielen palliativen Patienten mit Nicht-Tumorerkrankung, z. B. MS, COPD, Herzinsuffizienz, HIV/AIDS, Niereninsuffizienz. Ausserhalb der medizinischen Fachterminologie ist der Begriff „Fatigue“ nur in englischer und französischer Sprache geläufig. Deutsche äquivalente Begriffe sind „extreme Müdigkeit“, „Ermüdbarkeit“, „Erschöpfung“ oder „Ermattung“. Im Italienischen spricht man von „Stanchezza“. Ätiologie (1, 3, 4) Fatigue ist ein multidimensionales Syndrom, an dessen Entwicklung oft viele Faktoren beteiligt sind: o vom Tumor produzierte Faktoren, die auf Organsysteme wirken und Fatigue auslösen (Zytokinausschüttung Kachexie Fatigue) o Therapienebenwirkung: Chemo-/ Radiotherapie, Immuntherapie (Interferon), postoperativ o Medikamente, u. a. Opiate, Benzodiazepine, Polypharmazie o Lebermetastasen o Infektion, rezidivierende/chronische Infekte o Anämie bei chronischer Erkrankung o Dehydratation o eingeschränkter Sauerstofftransport, chronisch niedrige Sauerstoffsättigung o metabolische und endokrine Störungen (z. B. Hypothyreose, NNR-Insuffizienz) o andere Symptome (Übelkeit, Erbrechen, Anorexie, Schmerz, Dyspnoe) o Depression Im Finalstadium, den letzten Stunden bzw. Tagen des Lebens, ist Fatigue eine normale Reaktion, sie schützt den Betroffenen und erleichtert das Sterben. Klinik/ Symptome (3, 4) Fatigue manifestiert sich in drei Dimensionen: physisch: o Reduzierte Leistungsfähigkeit o Schwäche, Kraftlosigkeit o unübliches extremes Müdigkeitsgefühl o unübliches Ruhe und Schlafbedürfnis, kaum Erholung durch Ruhe oder Schlaf kognitiv: o Konzentrationsstörungen o Probleme beim Denken o Erinnerungsvermögen nimmt ab affektiv: o Emotionale Erschöpfung o Motivations-, Antriebsverlust o Aktivitätsintoleranz o depressive Verstimmung, Traurigkeit, Angst Folgen: o o deutliche Beeinträchtigung der Lebensqualität Gefühl, der Fatigue hilflos ausgeliefert zu sein Datei Empfehlung PC Fatigue Autoren I. Schaefer Version 1 vom 11.12.2009 Ersetzt Version vom Freigabe J. Bükki Seite 1 von 3 Klinik für Allgemeine Innere Medizin – Palliative Care o o Veränderung der sozialen Beziehungen, Rollenverlust, soziale Isolation Verlust der Selbständigkeit, die Betroffenen können sich u. U. nicht mehr selbst pflegen und versorgen Das Erleben der Fatigue ist individuell unterschiedlich ausgeprägt und wird u. a. beeinflusst von sozialer Unterstützung, Persönlichkeit, Biographie und Gesamtsituation. Diagnostik (1, 2) Fatigue wird häufig nicht als sehr belastendes Symptom erkannt und als unbeeinflussbare Tatsache hingenommen. o Anamnese: gezielt nach Fatigue, Müdigkeit, Erschöpfung, Stimmung, Schlaf, Trauer, Sorgen, sozialer Unterstützung fragen o Screening mit einfacher Skala, z. b. VAS; umfangreiche multidimensionale Assessmentverfahren sind im Alltag bei palliativen Patienten wenig praktikabel und Forschungsstudien vorbehalten o andere belastende Symptome o körperliche Untersuchung: Dehydratation, Infektion, Fieber, Kachexie, neurologische Auffälligkeiten o Medikamentenanamnese, auch Selbstmedikation o Labor: Blutbild, Elektrolyte, CRP, Kreatinin, Bilirubin, Schilddrüsenhormone Therapeutische Massnahmen (1, 4) Krankheitsstadium und Prognose beachten, inwieweit kann der Patient von einer Behandlung profitieren? Die Behandlung eines Teilaspekts kann für den Patienten schon eine grosse Erleichterung bedeuten. Ursachenbezogene Behandlung: Die direkte kausale Behandlung der Fatigue bei palliativen Patienten mit Zytokin-Antagonisten oder anti-inflammatorisch wirkenden Substanzen kann noch nicht empfohlen werden (1). o reversible Ursachen, die zur Fatigue beitragen, gezielt behandeln: u. a. Re-Hydratation, Ausgleich von Elektrolytstörungen, Hormonsubstitution, Infektbehandlung, Fiebersenkung, Behandlung einer Herzinsuffizienz, Behandlung einer Depression, verzichtbare, ermüdende Medikamente absetzen o Opioid-Rotation bei opioid-induzierter Neurotoxizität o Anämie: für eine wirkungsvolle Behandlung mit Erythropoietin ist die Lebenserwartung von Palliativpatienten meistens zu kurz. Bei ausgewählten Patienten können Bluttransfusionen sinnvoll sein. Symptomatische medikamentöse Behandlung: Der Einsatz folgender Substanzen kann wegen derzeit unzureichender Evidenz nur im Einzelfall empfohlen werden (1). o Kortikosteroide: Reduktion der Fatigue für kurze Zeit, Wirkungsverlust nach 2-3 Wochen. Einsatz für definierte Ziele, z. B. kurzer Urlaub oder Familienfest. o Amphetamine: Methylphenidat (Ritalin®) bei opioid-induzierter Müdigkeit und Fatigue bei Tumorpatienten o Progestagene: Megestrolacetat (Megestat®), wenn Kachexie als Hauptursache der Fatigue betrachtet wird. Wirkung nach 3-4 Wochen, Einsatz nur bei Überlebensdauer von mindestens 2-3 Monaten. Cave: Thromboserisiko, teuer Symptomatische nicht-medikamentöse Behandlung, Aspekte der Betreuung und Pflege o Patienten- und Angehörigenedukation, Fatigue thematisieren („was bedeutet Fatigue für den Patienten?“), Möglichkeiten und Grenzen einer Behandlung aufzeigen, Informationsmaterial zur Verfügung stellen. o Körperliche Aktivität: umfangreiche Trainingsprogramme, die bei Patienten unter Tumorbehandlung positive Effekte gezeigt haben, können palliative Patienten meistens nicht mehr Datei Empfehlung PC Fatigue Autoren I. Schaefer Version 1 vom 11.12.2009 Ersetzt Version vom Freigabe J. Bükki Seite 2 von 3 Klinik für Allgemeine Innere Medizin – Palliative Care o o o o o o o absolvieren. Dennoch regelmässige körperliche Aktivitäten dem Allgemeinzustand angepasst durchführen, auch bettlägerigen Patienten ermöglichen. Gezielte Tagesplanung, Prioritäten setzen, Kräfte einteilen („energiesparend leben“), z. B. für Haarwäsche, Besuch, Konzert im TV, was könnte dem Patienten abgenommen werden? Hilfsmittel einsetzen, Hilfe anfordern und annehmen. Ernährungsberatung Schlafhygiene Entspannung, Imagination, Ablenkung Einbindung von Psychologen, Seelsorger, wenn von Patient gewünscht durch kontinuierliche Begleitung Sicherheit vermitteln und die Fatigue „zulassen“, insbesondere wenn die Sterbephase einsetzt, spirituelle Begleitung Mögliche Pflegediagnosen (5) Erschöpfung Aktivitätsintoleranz Gefahr der Machtlosigkeit Angst Soziale Isolation Bereitschaft für ein verbessertes Coping Wissensdefizit Literatur 1. Radbruch L, Strasser F, Elsner F, et al. Fatigue in palliative care patients -- an EAPC approach. Palliat Med 2008;22(1):13-32. 2. Yennurajalingam S, Bruera E. Palliative management of fatigue at the close of life: "it feels like my body is just worn out". Jama 2007;297(3):295-304. 3. Glaus A. Fatigue - eine unübliche Müdigkeit. In: Aulbert E, Nauck F, Radbruch L, eds. Lehrbuch der Palliativmedizin. 2 ed. Stuttgart: Schattauer; 2007:407-18. 4. Neuenschwander H. Palliativmedizin. 2 ed. Bern: Krebsliga Schweiz; 2006. 5. NANDA-International. NANDA-Pflegediagnosen. Bern: Huber; 2005. Anmerkungen Alle Personenbezeichnungen gelten sowohl für männliche wie auch weibliche Personen. Diese Übersicht wurde mit aller Sorgfalt zusammengestellt. Für die Vollständigkeit und Richtigkeit der Angaben können die Autoren trotzdem keine Gewähr übernehmen. In der Palliative Care weichen Indikation, Dosierung und Applikationsform gegebenenfalls von der Zulassung (siehe Fachinformation) ab. Datei Empfehlung PC Fatigue Autoren I. Schaefer Version 1 vom 11.12.2009 Ersetzt Version vom Freigabe J. Bükki Seite 3 von 3