Schlaflosigkeit

Werbung
Review article
Schlaflosigkeit
Martin Hatzinger a, Johannes Mathisb
a
b
Psychiatrische Dienste der Solothurner Spitäler AG, Solothurn, Switzerland
Neurologischer Leiter am Zentrum für Schlafmedizin, Neurologische Universitätsklinik, Inselspital, Bern, Switzerland
Funding / potential competing interests: No financial suppor t and no other potential conflict of interest relevant to this ar ticle was repor ted.
Klassifikation der Schlafstörungen
Summary
Insomnia
Sleep disorders are among the most common symptoms in the general
population. According to international classification schemes, in clinical
practice they are divided into insomnia, hypersomnia, sleep-wake rhythm
disorders and parasomnia, whereby insomnia occurs most frequently. In
the event of insomnia occurring, the first step always involves cause-oriented
investigation and treatment. In order to investigate the causes, the “5 P” rule
can be followed: “Physical, Pharmacological, Physiological, Psychological,
Psychiatric”. From a quantitative perspective, restless legs syndrome and
sleep apnoea, above all, are of consequence among the somatic causes. The
taking of sleep-disturbing substances, stimulants in particular, must also be
taken into account especially. In the therapeutic schedule, non-pharmacological treatments such as a sleep consultation, investigation, and relaxation
techniques are the top priority after cause-oriented investigation and treatment. To this one can add specific psychotherapeutic techniques, among
which behavioural therapy-oriented processes, above all, have shown good
acceptance and scientific evidence. In pharmacotherapy, phytotherapeutics
can also be prescribed prior to the use of actual hypnotics.
Key words: Schlafstörung; Insomnie
Einleitung
Nach internationalen epidemiologischen Studien kommen
Klagen über Schlafprobleme bei 19–46% der Bevölkerung
vor. Ca. 13% beschweren sich über eine beeinträchtigende
Symptomatik [1]. Frauen sind erheblich stärker betroffen
als Männer [2]. Die Prävalenz der chronischen Insomnien
in der deutschen Allgemeinbevölkerung liegt bei ca. 4% [3].
Risikofaktoren für Schlafstörungen sind zunehmendes Lebensalter, psychische Belastung und psychiatrische Erkrankungen. Probleme beim Schlafen stellen eine bedeutende
Ursache für krankheitsbedingte Absenzen am Arbeitsplatz
und Unfälle infolge von Müdigkeit dar. Ca. 50% der Patienten zeigen eine Störungsdauer von mehr als fünf Jahren
mit einer mittleren Dauer von 12 bis 14 Jahren. Nur ein
geringer Anteil der Patienten sucht primär ärztliche Hilfe.
Korrespondenz:
Professor Martin Hatzinger, MD
Professor für Psychiatrie, Med. Fakultät, Universität Basel
Chefarzt Erwachsenenpsychiatrie
Psychiatrische Dienste der Solothurner Spitäler AG
Weissensteinstrasse 102
CH-4503 Solothurn
martin.hatzinger[at]spital.so.ch
Übersicht
Bei der Klassifikation von Schlafstörungen muss man
zwischen der ausführlichen Diagnostik in Schlafzentren,
die wissenschaftlichen Kriterien genügen muss, wie z.B.
die Einteilung gemäss ICSD-2 [4], und der Diagnostik für
die klinische Praxis unterscheiden. Die internationale
Klassifikation richtet sich nach den Kriterien der ICD-10 [5].
Klinisch definierte «Schlafstörungen» liegen vor, wenn sie
regelmässig auftreten, in einem umschriebenen Zeitraum
anhaltend bestehen und subjektiv als Beeinträchtigung
erlebt werden. Auch wenn die Beschwerden relativ unspezifisch sind, werden Schlafstörungen in der Klinik entsprechend der typischerweise subjektiv führenden Symptomatik
in Insomnien und Hypersomnien eingeteilt. Separat werden
Schlaf-Wach-Rhythmusstörungen, ein Mangel an Synchronizität zwischen dem individuellen und dem erwünschten
Schlaf-Wach-Rhythmus als eigenes Beschwerdebild aufgeführt. Diese drei Hauptgruppen werden in Anlehnung an
die internationale Klassifikation auch unter dem Oberbegriff
«Dyssomnien», d.h. Störung in Menge, Qualität oder Zeitpunkt des Schlafes zusammengefasst.
Unter Insomnien, d.h. «Schlaflosigkeit», welche quantitativ am häufigsten vorkommen, versteht man eine ungenügende Dauer oder Qualität des Schlafes, die über einen
beträchtlichen Zeitraum bestehen bleiben. Sie werden in
Anlehnung an ICD-10 und DSM-IV [6] operationalisiert
diagnostiziert (Tab. 1).
Der Oberbegriff «Parasomnien» fasst Störungen, die in
den Schlafprozess einbrechen, nicht jedoch primär Störungen des Schlaf- oder Wachzustandes darstellen, zusammen.
Sie sind charakterisiert durch im Schlaf und aus dem Schlaf
heraus auftretende auffällige Verhaltungsweisen (Tab. 2).
Bei Verdacht auf Parasomnie kann die Abklärung in
einem schlafmedizinischen Zentrum, v.a. bei spektakulären
und die Umgebung gefährdenden motorischen Phänomenen aus dem Schlaf heraus, indiziert sein. Bei allen wiederholt auftretenden motorischen Phänomenen im Schlaf ist
differentialdiagnostisch eine im Schlaf auftretende Epilepsie
abzuklären.
Zur Schlafregulation und ihrer Pathophysiologie existieren mehrere Modelle. Als wichtigste sind dabei das aus
der Elektrophysiologie abgeleitete Zwei-Prozess-Modell [7],
das sich an neuroanatomischen Strukturen und biochemischen Befunden orientierende aminerg-cholinerge Modell
der Schlafregulation [8, 9] und Modelle, die die Schlaf-
S C H W E I Z E R A R C H I V F Ü R N E U R O L O G I E U N D P S Y C H I A T R I E 2011;162(8):310–7
www.sanp.ch | www.asnp.ch
310
Review article
Tabelle 1
Insomnie: Diagnostische Kriterien (ICD-10).
Tabelle 3
Schlafstörungen: Symptom- und Anamneseerhebung.
Klagen über Ein-, Durchschlafstörungen und/oder schlechte
Schlafqualität
Häufigkeit, wenigstens dreimal pro Woche während mindestens
einem Monat
Die Schlafstörung verursacht entweder deutlichen Leidensdruck
oder wirkt sich störend auf die soziale und berufliche Leistungsfähigkeit aus
Überwiegendes Beschäftigtsein mit der Schlafstörung sowohl
nachts als auch tagsüber, eine übertriebene Sorge über ihre
negativen Konsequenzen
1. Art der Schlafstörung:
– Einschlafstörung?
– Durchschlafstörung?
– Zu frühes morgendliches Erwachen
– Nicht erholsamer Schlaf
2. Bettzeiten, Schlafdauer, Verhaltensgewohnheiten während
nächtlicher Wachphase
3. Begleitsymptomatik
– Kognitive, emotionale Aktivität
– Vegetative Symptome (z.B. Herzrasen, Schwitzen)
4. Schlafverhalten tagsüber, Tagesbefindlichkeit
5. Genussmittelkonsum (Alkohol, Kaffee, Nikotin), abendliche
Essgewohnheiten
Tabelle 2
6. Medikamenteneinnahme, besonders Schlafmittel
Parasomnien: Klassifikation nach ICSD-2.
7. Verlauf und Dauer der Störung
1. Aufwachstörungen: Tiefschlaf-assoziiert
– Schlaftrunkenheit
– Somnambulismus (Schlafwandeln)
– Pavor nocturnus
8. Subjektive und objektive auslösende Ursachen
2. REM-Schlaf-assoziierte Parasomnien
– Albträume
– Schlaflähmung
– Verhaltensstörungen im REM-Schlaf («Schenck-Syndrom»)
9. Systemanamnese:
– Psychiatrisch
– Somatisch
10. Schlaftagebuch über 2 Wochen
3. Schlaf-Wach-Übergangsstörungen
– Crampi nocturni (nächtliche Wadenkrämpfe)
– Einschlafmyoklonien
– Stereotype Bewegungsstörungen im Schlaf (z.B. Jactatio
capitis nocturna)
– Somniloquie (Sprechen im Schlaf)
endokrinologie und weitere Neurotransmitter-Systeme mit
einbeziehen, zu erwähnen [10, 11].
4. Diverse: z.B. Bruxismus
Abklärungen
Im überwiegenden Anteil der Fälle ist die Diagnose aufgrund
eines ausführlichen Interviews möglich. Für die klinische
Praxis liefert die Leitlinie «Nicht erholsamer Schlaf» der
Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlaf-
Abbildung 1
Klinischer Algorithmus zur Abklärung von Schlafstörungen.
Patient mit
nicht-erholsamen
Schlaf
0
ja
1
Erhebliche
Leistungsminderung
durch nicht-erholsamen
Schlaf bei Ein- und/oder
Durchschlafstörungen
und/oder Tagesschläfrigkeit?
2
ja
Adäquater
Umgang
mit Schlaf?
3
ja
nein
Angepasst
an zirkadianen
Rhythmus?
4
ja
5
Einnahme von
schlafstörenden
Substanzen
nein
ja
Umsetzung,
Abstinenz
Entwöhnung
nein
nein
6
9
Information,
Prävention und
Verhaltenstraining
Symptom einer
psychiatrischen
und/oder körperlichen
Krankheit
nein
7
ja
Diagnose und
Behandlung der
Grunderkrankung
8
Schlafmedizinisches Zentrum:
Kardiorespiratorische
Polysomnographie
S C H W E I Z E R A R C H I V F Ü R N E U R O L O G I E U N D P S Y C H I A T R I E 2011;162(8):310–7
www.sanp.ch | www.asnp.ch
311
Review article
medizin einen hilfreichen Algorithmus für das diagnostische
und therapeutische Vorgehen (www.dgsm.de) (Abb. 1).
Eine standardisierte Symptom- und Anamneseerhebung
ist dabei oft hilfreich (Tab. 3).
Besteht die Schlafveränderung erst seit vier Wochen,
liegt zunächst die Vermutung einer akuten Erkrankung
nahe. Diese muss entsprechend durch eine intensive körperliche, eventuell psychiatrische Untersuchung geklärt
werden. Bei länger bestehender Schlafstörung sollten die
Patienten über eine Dauer von etwa 14 Tagen ihre Störung
exakt protokollieren.
Abgesehen von eindeutig situativ bedingten Ein- und
Durchschlafstörungen, die ohne aufwendige Diagnostik für
wenige Wochen behandelt werden können, ist eine sorgfältige Abklärung unabdingbare Voraussetzung, damit eine
ursachenspezifische Therapie eingeleitet werden kann.
Polysomnographische Ableitungen sind nur bei spezieller Indikation notwendig (Tab. 4) und für die Insomnie
in der Schweiz grundsätzlich (gem. KLV) nicht kassenpflichtig. Hilfreich ist die polysomnographische Untersuchung
auch für Patienten mit einer chronischen krankheitswertigen Schlafstörung, die mehrere Monate besteht und bei
der sich keine Ursachen eruieren lassen.
Spezifische Ursachen von Insomnien
Zur raschen Differentialdiagnose spezifischer Ursachen von
Insomnien hat sich die Anwendung der sogenannten fünf P
bewährt (Tab. 5).
Während bei jüngeren Patienten meist sogenannte
psychophysiologisch begründete Schlafveränderungen vorliegen, sind bei etwa 80% der Patienten über 60 Jahre
physische Krankheiten als Kausalfaktoren zu finden [12].
Somatisch bedingte Insomnien
Eine Vielzahl von körperlichen Erkrankungen kann als
Symptom eine Insomnie zur Folge haben (Tab. 5). Von
besonderer Bedeutung sind hierbei das Restless-Legs-Syndrom (RLS) und die periodischen Beinbewegungen (PLM,
Periodic Limb Movement), die in der Bevölkerung recht häufig
vorkommen (4–8%) und überwiegend Frauen betreffen
(Prävalenz 9–20%). Eine pharmakologische Therapie benötigen allerdings ca. 3–4% der Bevölkerung.
Für das RLS charakteristisch sind unangenehme Empfindungen in den Beinen, von den Betroffenen als Prickeln,
Kribbeln, Stechen oder Jucken beschrieben. Diese Empfindungen treten beim abendlichen Ausruhen oder kurz vor
dem Zubettgehen auf. Die Folge ist ein kaum unterdrückbarer Drang, die Beine zu bewegen, was verständlicherweise
Tabelle 4
Indikationen für eine Schlafabklärung im Labor bei Verdachtsdiagnose.
Schlaf-assoziierte Atemstörungen
Periodische Beinbewegungen im Schlaf (PLMS)
Nächtliche epileptische Anfälle
Parasomnien
Narkolepsie
am Einschlafen hindert. Die Beschwerden bessern sich
bei Bewegung sofort. Polysomnographisch lassen sich bei
ca. 90% der Patienten PLMs im Schlafen und im Wachen
während der Bettruhe nachweisen. PLMs können auch
Tabelle 5
Ursachen von Schlafstörungen («die fünf P»).
PHySiScH: Somatisch bedingte Ursachen
Internistische Erkrankungen
– kardiovaskuläre
– pulmonale: Schlafapnoe usw.
– endokrin-metabolische (Schilddrüse usw.)
– rheumatologische (Schmerzen)
Neurologische Erkrankungen
– Restless-Legs-Syndrom, periodische Beinbewegungen
– Degenerative Hirnerkrankungen
– Narkolepsie
Gynäkologische Ursachen
– Menstruation
– Schwangerschaft
– Menopause
– Hormonmangel
– Hormontherapien
Urologische Erkrankungen
PHARMAKOLOGiScH: Substanzen mit potentiell
schlafstörender Wirkung
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
Aktivierende Antidepressiva (z.B. MAO-Hemmer)
Alkohol
Antiasthmatika (z.B. Theophyllin)
Antibiotika (z.B. Gyrasehemmer, Makrolide)
Anticholinergika
Antihypertensiva (z.B. Betablocker, Diuretika)
Antikonzeptive Hormonpräparate
Antiparkinsonmittel (z.B. L-Dopa)
Hypnotika mit kurzer Wirkdauer (Rebound!)
Interferone
Ketamin
Koffein
Kokain
Kortikosteroide
Migränemittel (z.B. Methysergid)
Sympathomimetika (z.B. Ephedrin)
Thyroxin
Zytostatika
PHySiOLOGiScH: Zirkadian bedingte Schlafstörungen
Exogene Ursachen
– Jetlag
– Schichtarbeit
– Sozial bedingte ungenügende Schlafhygiene
– Kurzhospitalisation
Endogene Ursachen
– Vorverlagertes Schlafphasen-Syndrom
– Verzögertes Schlafphasen-Syndrom
– Unregelmässiges Schlafphasen-Syndrom
Sekundär im Rahmen körperlicher Erkrankungen
PSycHOLOGiScH: Psychophysiologische, situativ usw.
bedingte Schlafstörungen
– Lebensereignisse
– Stress
– Schwere Krankheit
PSycHiATRiScH: Diagnostizierbare psychiatrische Störung
–
–
–
–
–
Angsterkrankungen
Dementielle Erkrankungen
Depressionen
Schizophrenie
Suchterkrankungen
S C H W E I Z E R A R C H I V F Ü R N E U R O L O G I E U N D P S Y C H I A T R I E 2011;162(8):310–7
www.sanp.ch | www.asnp.ch
312
Review article
isoliert bei völlig gesunden älteren Personen beobachtet
werden. Wenn PLMs als einzige Ursache für eine Tagesschläfrigkeit oder eine Insomnie angeschuldigt werden,
wird von Periodic Leg Movement Disorder (PLMD) gesprochen.
Hier bestehen zwar keine Missempfindungen, und die Bewegungen werden vom Patienten in der Regel nicht wahr-
Tabelle 6
Restless-Legs-Syndrom (RLS) und Periodic Limb Movement
Disorder (PLMD) – Abklärungen.
Klinisch
– Familienanamnese
– Fremdanamnese (Partnerbefragung)
– Neurologischer Status (Small-Fibre-)Polyneuropathie,
Radikulopathie, Parkinson usw.)
Medikamentenanamnese
– Antipsychotika
– Antiemetika mit antidopaminerger Wirkung
– Betablocker, Kalziumantagonisten
Labor
– Hämatologie und Blutchemie
– Glukose
– Ferritin, Eisen
– Vitamin B12, Folsäure
– TSH
– Evtl. Schwangerschaftstest
Tabelle 7
RLS und PLMD – wichtige Differentialdiagnosen.
Polyneuropathie
– Mehr oberflächlich lokalisierte Parästhesien und Dysästhesien
– Keine Abhängigkeit von der Tageszeit und von körperlicher Ruhe
Crampi nocturni
– Anfallsartig, meist einseitig in den Waden und/
oder Fussmuskeln
– Besserung durch passives Dehnen
– Meist Bewegung als Auslöser
Akathisie unter Antipsychotika
– Motorische Unruhe während des ganzen Tages ohne zirkadiane
Einflüsse
– Nicht durch sensible Reizerscheinungen, sondern durch innere
Unruhe charakterisiert
Vaskuläre Claudicatio intermittens
– Verschlechterung beim Gehen
Tabelle 8
Pharmakologische Therapie des RLS.
Dosisbeginn (mg)
Dosierungsrahmen (mg)
Dopaminerge Substanzen*
50/12,5
50/12,5–200/50
Pramipexol (NE)
L-Dopa/Benserazid (NE)
0,125
0,125–1,5
Ropinirol (NE)
0,125
0,125–6,0
Rotigotin (NE)
1,0
2,0–6,0
Antikonvulsiva
Clonazepam
0,25
0,25–2,0
Gabapentin
300
300–2400
Pregabalin
100
150–600
Opioide
Tilidin/Naloxon
50/4
50/4–100/8
Tilidin/Naloxon ret.
50/4
50/4–200/16
50
50–150
Tramadol
NE = Non-Ergotalkaloid-Derivat.
genommen, der Schlaf wird aber durch die Bewegungen
fragmentiert.
Pathogenetisch wird eine Dysfunktion in dopaminergen
und Opiattransmittersystemen des ZNS postuliert. Etwa
40% der Störungen sind idiopathisch, 60% sind mit einer
Schwangerschaft oder einer internistischen Grunderkrankung wie rheumatoider Arthritis oder Eisenmangelanämie
assoziiert. Die Inzidenz des RLS steigt in der Schwangerschaft signifikant, im 3. Trimester sind vorübergehend
mindestens 25% aller Schwangeren betroffen. Eine eingehende Symptom- und Anamneseerhebung sowie entsprechende Laborabklärungen (Tab. 6, 7) geben einen
Überblick über die Abklärungen und die wichtigsten Differentialdiagnosen.
Therapeutisch steht zunächst eine ursachenorientierte
Behandlung im Vordergrund. So stellt die Eisensubstitution
eine Therapieoption bei manifestem Eisenmangel dar. Dabei
wird ein hochnormaler Ferritinwert >50 µg/l angestrebt. Die
Wirksamkeit diverser Vitamine und von Zink konnte bisher
nicht genügend abgesichert werden.
Beim idiopathischen RLS bzw. PLMD stehen mehrere
Präparate zur Verfügung (Tab. 8).
Die Auswahl sollte nach dem Schweregrad, der Häufigkeit des Auftretens und der erwarteten Wirkungen getroffen
werden. Bei schwerer Ausprägung sind Dopaminagonisten
die Medikamente der ersten Wahl. Die Gefahr liegt in der
paradoxen Zunahme der Beschwerden (sog. Augmentation), die unter L-Dopa am häufigsten beschrieben wurde.
Eine wichtige Nebenwirkung, insbesondere bei Tätigkeiten,
die eine permanente Vigilanz und Aufmerksamkeit erfordern, sind Einschlafattacken, die teilweise bei Dopaminagonisten beschrieben wurden. Bei unzureichendem Ansprechen oder nicht ausreichend möglicher Dosiserhöhung
können Opioide oder Antikonvulsiva eingesetzt werden.
Pharmakologisch bedingte Insomnien
Viele (auch) zentral wirkende Medikamente und Suchtmittel führen zu Störungen des Schlafes (Tab. 5). Alkohol als
beliebter Schlaftrunk führt abhängig von der individuellen
Disposition und der Dosis zu verkürzter Einschlafzeit und zu
REM-Suppression in der ersten Nachthälfte. In der zweiten
Nachthälfte treten ein REM-Rebound und vermehrte Wachphasen auf, wodurch der Nachtschlaf sowohl in der Quantität wie auch in der Qualität gestört wird. Dies ruft Albträume
und Früherwachen hervor. Zudem ist die diuretische Wirkung mit dadurch provozierten nächtlichen Wachphasen
nicht zu unterschätzen.
Chronische Alkoholeinnahme führt zu vermehrten
Wachphasen und Abnahme der Schlafeffizienz sowie zu
einer Abnahme von Tief- und Zunahme von REM-Schlaf.
Diese Veränderungen persistieren teilweise auch unter
Abstinenz.
Zirkadian bedingte Insomnien
In dieser Gruppe werden vorwiegend Schlafstörungen, die
durch einen Mangel an Synchronizität zwischen dem individuellen Schlaf-Wach-Rhythmus und dem erwünschten
Schlaf-Wach-Rhythmus der Umgebung auftreten zusam-
S C H W E I Z E R A R C H I V F Ü R N E U R O L O G I E U N D P S Y C H I A T R I E 2011;162(8):310–7
www.sanp.ch | www.asnp.ch
313
Review article
Tabelle 9
Therapie der Insomnie: Stufenschema.
1. Ursachenorientiert: Abklärung und Einleitung einer spezifischen
Therapie
2. Symptomatische Therapie nach Ausschluss einer spezifischen
Ursache
a) Nicht-pharmakologische Therapieansätze
– Basisverfahren: Aufklärung und Beratung, Regeln der
Schlafhygiene
– Entspannungsverfahren und spezifische Interventionen
– Psychotherapien im engeren Sinne
b) Pharmakologische Therapieansätze
– Phytotherapeutika
– Hypnotika: GABAA-Benzodiazepin-Rezeptor-Agonisten
– Andere Schlaf-fördernde Substanzen z.B. sedierende
Antidepressiva
mengefasst (Tab. 5). Die Störungen können exogen (Schichtarbeit, Jetlag) oder durch genetische (verlagerte bzw.
unregelmässige Schlafmuster) Faktoren moduliert werden.
Psychophysiologische Insomnien
Bei den psychophysiologischen Ursachen und situativen
Schlafstörungen, die mit emotionalen Konflikten oder
anderen seelischen Belastungen in Verbindung stehen,
sind vor allem jüngere Patienten betroffen (Tab. 5). Im Vordergrund steht ein erhöhter Erregungszustand («Hyperarousal»), gekennzeichnet durch emotionale Erregung,
kognitive Überaktivität und körperliche Anspannung, verbunden mit vegetativer Überregung. Dies verhindert das
Einschlafen bzw. führt zu nächtlichem Erwachen.
Bei akuten Belastungsreaktionen und Anpassungsstörungen sind die Symptome in der Regel vorübergehend
und sistieren, wenn der auslösende Faktor nicht mehr vorhanden ist. In der Therapie stehen nicht-pharmakologische
Verfahren wie verhaltenstherapeutische Methoden und
Entspannungstechniken im Vordergrund. Hypnotika können allenfalls vorübergehend zum Einsatz kommen.
Therapeutisch werden in der biologischen Depressionsbehandlung neben der Pharmakotherapie auch chronobiologische Therapieverfahren eingesetzt. Der akute
stimmungsaufhellende Effekt von Schlafentzug ist seit den
1960er Jahren bekannt und wird als Zusatztherapie in der
Therapie jeglicher Depressionsform eingesetzt. Lichttherapie
hingegen ist v.a. bei Patienten mit saisonal verlaufenden
Depressionsformen indiziert.
Angststörungen
Patienten mit Panikstörung können auch aus dem Schlaf
heraus, typischerweise aus dem Stadium-2–Schlaf, Panikattacken erleben. Bei der posttraumatischen Belastungsstörung stehen Ein- und Durchschlafstörungen sowie Angstträume im Vordergrund.
Schizophrenie
Insbesondere in der Prodromalphase einer schizophrenen
Erkrankung oder im Rahmen der Exazerbation von psychotischen Symptomen werden von den Patienten häufig Einund Durchschlafstörungen angegeben.
Demenz
Bei fortschreitenden dementiellen Erkrankungen treten
oft ausgeprägte Schlafstörungen auf. Als «Sundowning-Syndrom» wird dabei eine Kombination von Insomnie, Ängstlichkeit und Verwirrtheit bezeichnet.
Die Therapie der Schlafstörung bei psychiatrischen
Erkrankungen wird in erster Linie durch die Behandlung der
Grunderkrankung abgedeckt. So empfiehlt sich nebst psychotherapeutischen Interventionen in der Behandlung depressiver Patienten, aber auch von Angstpatienten mit Schlafstörungen die Gabe schlafanstossender Antidepressiva zur Nacht
(Tab. 13). Antipsychotika mit sedierender Wirkkomponente
kommen in erster Linie bei Schizophrenie-Erkrankungen
zum Einsatz. Auch bei Demenz werden sedierende Antipsychotika eingesetzt. Cholinesterasehemmer scheinen bei
Dementen günstige Effekte auf die Schlafqualität auszuüben,
können aber Albträume verursachen.
Psychiatrisch bedingte Insomnien
Viele psychiatrische Erkrankungen gehen mit Schlafstörungen einher, die sich auch polysomnographisch objektivieren
lassen.
Depression
70–90% der Patienten mit einer mittelschweren bis schweren Depression haben schwere Schlafstörungen mit typischem Muster (gestörte Schlafkontinuität, Verschiebung
von REM-Schlaf in die erste Nachthälfte, Verringerung
von Tiefschlaf, verkürzte REM-Latenz und erhöhte REMDichte). Diese werden mit den fehlregulierten Neurotransmittern und der abnorm regulierten HPA-Achse in Zusammenhang gebracht. Zudem ist eine bestehende Insomnie ein
Risikofaktor für das prospektive Auftreten einer Depression.
Ca. 10% aller Depressionen zeigen atypische Merkmale.
Darunter versteht man Appetitzunahme mit Heisshunger
auf Kohlenhydrate, eventuell Gewichtszunahme, vermehrte
Müdigkeit und erhöhte Gesamtschlafzeit, wobei der Schlaf
nicht als erfrischend erlebt wird.
Therapie
Der wichtigste Grundsatz bei der Therapie des Symptoms
Insomnie ist der Ausschluss von Ursachen, die kausal behandelt werden können. Findet sich keine behandelbare
Ursache, wird bei Vorliegen einer Insomnie in der Regel
nach einem von den Schlafmedizinischen Gesellschaften
empfohlenen Stufenschema vorgegangen (Tab. 9). Man
darf aber auch nicht übersehen, dass sich die Insomnie bei
bekannter Ursache nach Jahren teilweise verselbständigen
kann. Dann ist es sinnvoll, die ursächliche Therapie (z.B.
die antidepressive Behandlung) mit einer auf die Schlafstörung fokussierten Behandlung (Verhaltenstherapie) zu
kombinieren.
Nicht-pharmakologische Therapieverfahren
Die Basisverfahren mit Aufklärung und Beratung zur Schlafhygiene bei allen Schlafstörungen mit Vermittlung der
S C H W E I Z E R A R C H I V F Ü R N E U R O L O G I E U N D P S Y C H I A T R I E 2011;162(8):310–7
www.sanp.ch | www.asnp.ch
314
Review article
Schlafhygiene-Regeln kommen bei allen zur Anwendung
(Tab. 10, 11). Die Aufklärung über die Schlafphysiologie
ist dabei von erheblicher Bedeutung, um unrealistische
Erwartungen an einen vermeintlich normalen Schlaf zu
korrigieren. So sollten ältere Patienten wissen, dass sich der
Schlaf mit dem Alter verändert.
Neben den Entspannungsverfahren (Tab. 10) hat vor
allem die Verhaltenstherapie Methoden mit guter Effektivität entwickelt. Dazu gehören die verhaltenstherapeutisch
orientierten Techniken wie die Stimuluskontrolle (Schlafumgebung als Stimulus für den Schlaf), die paradoxe Intention (Instruktion, wach zu bleiben, dadurch Reduktion
Tabelle 10
Nichtmedikamentöse Therapieverfahren von Schlafstörungen.
Basisverfahren
Aufklärung und Beratung
Schlafhygiene
Verhaltenstherapeutische Techniken
Stimuluskontrolle
Schlafrestriktion
Paradoxe Intention
Kognitive Techniken
Entspannungsverfahren
Progressive Muskelrelaxation
Autogenes Training
Biofeedback
Yoga, Meditation
Psychotherapie im engeren Sinne
Verhaltenstherapie
Interpersonelle Psychotherapie
Tabelle 11
Die 10 Regeln der Schlafhygiene.
1. Körperliche Tätigkeit fördert Müdigkeit. Keine Spitzenleistungen, dafür Abendspaziergang.
2. Mahlzeiten: abends nur leichte Mahlzeit.
3. «Training des vegetativen Nervensystems»:
warm und kalt duschen.
4. Kaffee, Tee und andere Stimulantien stören. Alkohol
erleichtert das Einschlafen, beeinträchtigt aber Schlafstruktur.
5. Schlafzimmer: wohliges Bett, Dunkelheit, Ruhe.
6. Regelmässigkeit: Zur gleichen Zeit zu Bett gehen und
am Morgen aufstehen. Einschlafritual – Monotonie hilft
beim Einschlafen.
7. Schlafzeit knapp bemessen: Schlafdefizit ist zwar
unangenehm, aber ungefährlich. Das Mittagsschläfchen
programmiert die abendliche Einschlafstörung.
8. Lieber aufstehen und lesen, als sich stundenlang im Bett
wälzen.
9. Paradoxie: «Ich will gar nicht einschlafen.» Durchbrechen
des Terrors der Erwartungshaltung.
10. Schlafmittel programmieren Schlafstörung.
Tabelle 12
Schlafstörungen: Phytopharmaka.
Johanniskraut (Hyperici herba)
Hopfenzapfen (Lupuli strobulus)
Melissenblätter (Melissae folium)
Passionsblumenkraut (Passiflorae herba)
Baldrianwurzel (Valerianae radix)
angstbesetzter Kognitionen) und die Schlafrestriktion (erhöhter Schlafdruck durch Beschränkung der im Bett verbrachten Zeit) mit nachweislich gutem Effekt. Die kognitive
Verhaltenstherapie versucht, dem Schlafgestörten durch
kognitive Umstrukturierung die Angst vor der Schlaflosigkeit zu reduzieren und negative Gedanken und Einstellungen sowie falsche Erwartungen zu relativieren. In der interpersonellen Psychotherapie werden zwischenmenschliche
Probleme angesprochen, die einen Einfluss auf die Schlafqualität haben.
Pharmakologische Behandlungsmöglichkeiten
Wenn nicht-pharmakologische Massnahmen nicht genügen, können bei leichten Schlafstörungen vor dem Einsatz der eigentlichen Hypnotika die Phytotherapeutika
berücksichtigt werden. Erst wenn dieser Versuch erfolglos bleibt, sind verschreibungspflichtige Medikamente
angezeigt.
Phytopharmaka
Mehrere Phytopharmaka haben bei der Behandlung von
nervösen Unruhezuständen, welche häufig mit Schlafstörungen einhergehen, eine positive Bewertung erfahren
(Tab. 12).
Viele dieser Substanzen werden als standardisierte Präparate und teilweise auch als Tee angeboten. Bei jüngeren
Frauen ist besonders zu beachten, dass es für alle diese Präparate keine Studien zur Teratogenität gibt. Generell ist vor
nicht offiziell registrierten Präparaten zu warnen.
Hypnotika
In der Hypnotikatherapie nehmen die GABAA-Benzodiazepinrezeptoragonisten dank ihrer gesicherten hypnotischen
Wirkung sowie ihrer unkomplizierten Handhabung und
grossen therapeutischen Breite eine dominierende Stellung
ein. Benzodiazepine wie auch die neueren Nicht-Benzodiazepin-Hypnotika Zopiclon (Zyklopyrrolon), Zolpidem (Imidazopyridin) und Zaleplon (Pyrazolopyrimidin) wirken über
eine Interaktion mit dem GABAA-Benzodiazepinrezeptorkomplex.
Unterschiede in der Wirkung beruhen zu einem grossen
Teil auf der Pharmakokinetik der Substanzen. Kurz wirkende Hypnotika sollten für Einschlafstörungen verwendet
werden, während der Einsatz von mittellang wirkenden
Substanzen bei Durchschlafstörungen bzw. kombinierten
Ein- und Durchschlafstörungen und dem Früherwachen
indiziert ist. Langwirkende Hypnotika sollten nur eingesetzt werden, wenn eine gezielte Beeinflussung der Tagessymptomatik (z.B. Anxiolyse) erwünscht ist (Tab. 13).
Nebenwirkungen und Interaktionspotential sind bei
der Indikationsstellung von entscheidender Bedeutung. Die
potentiell gefährlichen Wechselwirkungen mit anderen
psychotropen Substanzen müssen beachtet werden. Die
Nebenwirkungen nehmen altersabhängig zu, können aber
auch bei jungen Patienten erheblich sein (Tab. 14).
Bei mangelndem Erfolg sollten Hypnotika nicht länger
als drei Wochen eingesetzt werden. Besteht die Insomnie
nach langsamem Absetzen der Medikation weiter, sollte die
Behandlungsstrategie überdacht werden.
S C H W E I Z E R A R C H I V F Ü R N E U R O L O G I E U N D P S Y C H I A T R I E 2011;162(8):310–7
www.sanp.ch | www.asnp.ch
315
Review article
Tabelle 13
Auswahl von Substanzen, die in der Insomniebehandlung Verwendung finden.
Substanzklasse
Hypnotika
(BenzodiazepinRezeptorAgonisten)
Substanz
kurz Midazolam
7,5–15
1,5–2,5
0,125–0,25
2,4
Zaleplon
5–10
1
Zolpidem
5–10
1,5–4
0,125–0,25
4–7
Eszopiclon
1–3
6
Flunitrazepam
0,5–2
10–30
Lormetazepam
0,5–2
8–12
Temazepam
Zopiclon
lang Flurazepam
Nitrazepam
15–30
2,5–10
8–20
5
45–120
15–30
Agomelatin
25–50
Doxepin
25–100
10–30
Mianserin
30–120
21–61
7,5–30
Trazodon
50–150
Trimipramin
10–100
klassisch Chlorprothixen
niederpotent Pipamperon
12–24
1–2
5
3–6
25
15–90
8–12
20–40
8–17
25–50
9
atypisch Olanzapin
2,5–5
21–54
Quetiapin
25–100
6–7
Diphenhydramin
50–100
6–8
Doxylamin
Diverse
7,5
25–20
Promethazin
Antihistaminika
15–30
Amitriptylin
Mirtazepin
Antipsychotika
Eliminationshalbwertzeit (h)
Triazolam
mittellang Brotizolam
Antidepressiva
Dosierung
(mg)
6,25–25
Agomelatin mit einem Agonismus an den MelatoninRezeptoren (M1, M2) und einem Antagonismus am Serotonin-Rezeptor (5HT2c) ist als neuartiges, schlafregulierendes
Antidepressivum zu erwähnen.
Antipsychotika: Systematische Studien zur Wirksamkeit
von Antipsychotika in der Insomniebehandlung fehlen. Problematisch sind die potentiell gefährlichen Nebenwirkungen
wie z.B. starke kardiovaskuläre Nebenwirkungen bei Levomepromazin. Dopaminantagonisten sind kontraindiziert
beim RLS. Gemäss den Empfehlungen sollen sedierende Antipsychotika in erster Linie bei Schlafstörungen im Zusammenhang mit Psychosen appliziert werden. Auch sind sie
hilfreich bei Patienten mit Kontraindikationen für Benzodiazepine (Abhängigkeitserkrankungen) oder bei älteren
Schlafgestörten, die von der im Vergleich zu den Benzodiazepinen geringen Muskelrelaxation profitieren können.
Tabelle 14
Probleme der Hypnotika vom Benzodiazepin-Typ.
Tagessedation, kognitive Beeinträchtigungen
Rebound-Phänomene (Insomnie, Angst)
Anterograde Amnesie
Ataxie (Sturzgefahr!)
Delirante Zustandsbilder (Cave: Alter!)
Toleranz-/Abhängigkeitsentwicklung (Cave: Patienten mit
Suchtverhalten)
Atemdepression (Cave: Schlafapnoe)
Interaktionen: andere Medikamente, Alkohol
6–12
Chloralhydrat
250–2000
6–7
Clomethiazol
192–384
4–8
Tabelle 15
Die 5-K-Regel für den Einsatz von Hypnotika.
Klare Indikation
Kleinstmögliche Dosierung
Die wesentlichen Behandlungsgrundsätze sind in der
5-K-Regel der Schlafmedizin zusammengefasst (Tab. 15).
Bei älteren Patienten bewährt es sich, die Einstiegsdosis
zu halbieren. Patienten mit Suchtanamnese sollten möglichst keine Schlafmittel mit Suchtpotential erhalten. Eine
primäre Neueinstellung auf eine Langzeitdauertherapie
sollte nur in Ausnahmefällen erfolgen (Tab. 16).
Andere schlaffördernde Substanzen
Sedierende Antidepressiva (Tab. 17) sollten in erster Linie
bei depressiven Patienten mit Schlafstörungen eingesetzt
werden. Wegen ihrer sedierenden Potenz können auch
Antidepressiva unabhängig vom Vorliegen einer Depression
bei Schlafstörung angewendet werden. Hierzu existieren
insbesondere Untersuchungen zu Trimipramin, Doxepin
und Mirtazapin. Vorteile sind gute Wirksamkeit, fehlendes
Abhängigkeitspotential und geringe Absetzprobleme. Besonders bei den Trizyklika können aber ausgeprägte Nebenwirkungen vorhanden sein. Mianserin und Mirtazapin sind
besser verträglich und können auch bei älteren Leuten eingesetzt werden. Sie können entweder kurz vor dem Zubettgehen oder in niedriger Dosierung bereits 1 bis 2 Stunden
vor dem Schlafengehen eingenommen werden.
Kürzestmögliche Behandlungszeit
Keinesfalls abrupt absetzen
Kontraindikationen beachten
Tabelle 16
Hypnotika: Kriterien für eine Langzeittherapie.
Chronisches Schlafdefizit vorhanden
Tagesbeeinträchtigung ohne Hypnotikaeinsatz vorhanden
Absetzen bringt dem Patienten mehr Schaden als Nutzen
Regelmässige Intervalltherapien und Absetzversuche gescheitert
Kontraindikationen ausgeschlossen
Tabelle 17
Langzeit-Therapiekonzepte.
Standardintervalltherapie
– Dauer der Gabe beschränkt: über Wochen oder Tage
Kontrollierte Bedarfsintervalltherapie
– Bedarfsgerechte Anwendung von Einzeldosen
Niedrig dosierte Kombinationstherapie
– z.B. Kombination von Hypnotikum und Antidepressivum
S C H W E I Z E R A R C H I V F Ü R N E U R O L O G I E U N D P S Y C H I A T R I E 2011;162(8):310–7
www.sanp.ch | www.asnp.ch
316
Review article
Antihistaminika: Diese werden aufgrund der freien Verkäuflichkeit sehr häufig in der Selbstbehandlung von Schlafstörungen eingesetzt. Obwohl sie insgesamt eine geringe
Toxizität besitzen, können sie aber gerade bei älteren Menschen wegen anticholinerger (delirante Zustandsbilder) und
alphaadrenolytischer Effekte (Blutdruckabfall) problematisch sein.
Diverse Substanzen
Clomethiazol besitzt eine starke sedativ-hypnotische Wirkung. Es ist aber mit einem erheblichen Abhängigkeitspotential und der Gefahr der Atemdepression behaftet. Sein
Einsatz betrifft vorwiegend die Behandlung deliranter Syndrome unter stationären Bedingungen und ist aufgrund der
genannten Risiken für den ambulanten Bereich nicht zu
empfehlen.
Chloralhydrat, ein Alkoholderivat, wirkt nur leicht
sedierend und beeinflusst die Schlafstruktur nur gering.
Problematisch sind die geringe therapeutische Breite, ein
rascher Wirkungsverlust und ein Abhängigkeitsrisiko.
L-Tryptophan, Aminosäure und Vorläufersubstanz von
Serotonin, kann für leichte, chronisch vorhandene Schlafstörungen eingesetzt werden.
Melatonin wird vor allem in der Behandlung von SchlafWach-Rhythmusstörungen bei blinden Personen, bei einer
Jetlag-Symptomatik nach Zeitzonenverschiebung oder beim
sehr seltenen Syndrom der verzögerten Schlafphase eingesetzt. Andere Indikationen sind weniger gut bis nicht belegt.
Ramelteon ist ein selektiver MT1- und MT2-MelatoninRezeptoragonist und seit 2005 von der FDA in den USA
zur Behandlung von Einschlafstörungen zugelassen. Die
Substanz führt zur Verbesserung der subjektiven und
polysomnographisch gemessenen Schlafqualität [13].
Literatur
1 Wittchen HU, Krause P, Höfler M, Pittrow D, Winter S, Spiegel B, Hajak G,
Riemann D, Steiger A, Pfister H. NISAS-2000 – die «Nationwide Insomnia
Screening and Awareness Study». Nervenheilkunde 2001,20:4–16.
2 National Sleep Fondation, 1998.
3 Hajak G and the SINE (Study of Insomnia in Europe) Study Group. Epidemiology of severe insomnia and its consequences in Germany. European
Archives of Psychiatry and Clinical Neuroscience. 2001;251:49–56.
4 American Academy of Sleep Medicine. ICSD-2–International classification
of sleep disorders, 2nd edition. Diagnostic and coding manual.
Westchester, Illinois, 2005.
5 WHO. Internationale Klassifikation psychischer Störungen, ICD-10
Kapitel V, Klinisch-diagnostische Leitlinien, Dilling H, Mombour W,
Schmidt M H (Hrsg.), Verlag Hans Huber, Bern, Göttingen, Toronto. 1994.
6 American Psychiatric Association (APA). Diagnostic and Statistical Manual
of Mental Disorders (DSM) – IV. Washington DC, USA, 1994.
7 Achermann P, Borbély AA. Mathematical models of sleep regulation.
Front Biosci 8: 2003;683–93.
8 Hobson JA, Lydic R, Baghdoyan HA. Evolving concepts of sleep cycle
generation: from brain centres to neuronal populations. Behav Brain Sci.
1986;9:371–448.
9 Jouvet M. The role of monoamines and acetylcholine-containing neurons
in the regulation of the sleep-wake cycle. Erg Physiol. 1972;64:166–307.
10 Steiger A. Neurochemical regulation of sleep. J Psychiat Res 2007;41:
537–52.
11 Saper CB, Scammell TE, Lu J. Hypothalamic regulation of sleep and
circadian rhythms. Nature 2005; 437:1257–63.
12 Haldemann R, Good M, Holsboer-Trachsler E. Epidemiologische Studie
über Schlafstörungen bei Patienten in Schweizer Allgemeinpraxen.
Schweizerische Rundschau für Medizin. 1996;85(51/52):1656–62.
13 Borja NL, Daniel KL. Ramelteon for the treatment of insomnia.
Clin Therapeutica. 2006;28:1540–55.
14 Barion A, Zee PC. A clinical approach to circadian rhythm disorders.
Sleep Med. 2007;8(6):566–77.
S C H W E I Z E R A R C H I V F Ü R N E U R O L O G I E U N D P S Y C H I A T R I E 2011;162(8):310–7
www.sanp.ch | www.asnp.ch
317
Herunterladen