Behandlung von Schlafstörungen: Weit mehr als nur ein Schlafmittel Michael Grözinger Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Universitätsklinikum Aachen Schlafmedizin ist fachübergreifend Psychiater Neurologen Psychologen Pneumonologen Ingenieure Physiker KJ-Psychiater Biologen Pädiater Physiologen Arbeitsmediziner HNO Ärzte Pharmakologen Kardiologen 06.10.2010 2 Schlafstörungen nach ICD-10 F51 Nichtorganische Schlafstörungen F51.0 Insomnie F51.1 Hypersomnie F51.2 Störung des Schlaf-Wach-Rhythmus F51.3 Schlafwandeln (Somnambulismus) F51.4 Pavor nocturnus F51.5 Albträume (Angstträume) F51.8/9 Restkategorien G47 Organische Schlafstörungen G47.0 Insomnie G47.1 Hypersomnie G47.2 Störungen des Schlaf-Wach Rhythmus G47.3 Schlafapnoe G47.4 Narkolepsie und Kataplexie G47.8/9 Restkategorien (Kleine-Levin-Syndrom) G25.8 Episodische Bewegungsstörungen 10/6/2010 Schlafmedizin 3 International Classification of Sleep Disorders ICSD 1990 und ICSD-R 1997 ICSD-2 2005 kompatibel mit ICD10 1. 2. 3. Insomnien (11) Schlafbezogene Atmungsstörungen (14) Hypersomnien zentralen Ursprungs, nicht bedingt durch zirkadiane Rhythmusstörungen oder gestörten Nachtschlaf (12) 4. zirkadiane Rhythmusstörungen (9) 5. Parasomnien (15) 6. Schlafbezogene Bewegungsstörungen (8) 7/8. Restkategorien (12) 06.10.2010 4 Kriterien für die Ausprägung (ICSD-R) Insomnie Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen Beeinträchtigung des Befindens (Reizbarkeit, Ruhelosigkeit, Angst, Müdigkeit, Erschöpfung) Soziale und berufliche Beeinträchtigung Hypersomnie Häufigkeit unfreiwilliger Einschlafepisoden Bedingungen der Einschlafepisoden Soziale und berufliche Beeinträchtigung 06.10.2010 5 Therapiebausteine Psychoedukation Vermeidung der Rückenlage HNO Operationen Apparative Ventilation Schlafhygiene Psychotherapie Fachübergreifender Einbeziehung des Partners HNO Gesamtbehandlungsplan Zahnärztliche Maßnahmen Gewichtsregulation Medikamentöse Therapie Behandlung von Grunderkrankungen Um-/Absetzen bestehender Substanzen 06.10.2010 6 Algorithmus aus S3-Leitlinie Somnologie 2009 13:4-160 06.10.2010 7 Therapie von Schlafstörungen Behandlung verhaltensbezogener Schlafstörungen inadäquater Umgang mit Schlaf, nicht an zirkadianen Rhythmus angepasst, Beeinträchtigungen ohne Krankheitswert Behandlung von sekundären Schlafstörungen Behandlung primär schlafmedizinischer Erkrankungen 06.10.2010 8 Basiswissen zum Schlaf Wahrnehmung des eigenen Schlafs ist unzuverlässig Schlaf ist zweiter Funktionszustand des Gehirns Schlafen und Wachen sind eng gekoppelt Schlafmenge ist (in Grenzen) individuell Schlaf ist kulturell geprägt Schlaf hat eine Binnenstruktur REM (Rapid Eye Movement) 06.10.2010 9 Schlafregulation und zirkadiane Rhythmik Drang zum Einschlafen - nimmt stark zu mit der Wachzeit (homöostatische Regulation) - hängt von der Tageszeit ab (zirkadiane Regulation) Existenz der inneren Uhr, langsamer als 24 h Synchronisierung durch Licht (am Morgen) und durch soziale Aktivitäten 06.10.2010 10 Schlaf im Alter Versicherte mit mindestens einer Diagnose Schlafstörung von allen erwerbstätigen DAK Versicherten (DAK Gesundheitsreport 2010) 06.10.2010 11 Schlafhygiene Zeit im Bett begrenzen, nur für Schlaf nutzen Geistige und körperliche Aktivitäten vor dem Zubettgehen reduzieren Kein Alkohol, Koffein und schwere Mahlzeiten vor dem Zubettgehen Schlafumgebung schlaffördernd gestalten Ritual des Zubettgehens gestalten Bei nächtlichem Aufwachen kein helles Licht, nicht essen/rauchen Nachts nicht auf die Uhr sehen Einhaltung regelmäßiger Rhythmen (Aufstehen) Morgens dem Tageslicht aussetzen Schlaf tagsüber nur sehr eingeschränkt 06.10.2010 12 Schlaftagebuch Erfasst werden - abends: Tagesbefindlichkeit und -leistung, Bettzeit, Schlafhygiene - morgens: Einschätzung des Nachtschlafs, Bettzeit, Schlafhygiene Patient und Behandler erhalten zeitnahe Information: - stimmen globaler Eindruck und Aufzeichnungen überein? - gibt es Rhythmen der Schlafqualität? - hält der Patient seine Vorsätze ein? - wie viele gute/schlechte Nächte gibt es? - Cave: Fixierung auf den gestörten Schlaf 06.10.2010 13 Therapie von Schlafstörungen Behandlung verhaltensbezogener Schlafstörungen Behandlung von sekundären Schlafstörungen Psychische und organische Erkrankungen, Einnahme schlafstörender Substanzen Behandlung primär schlafmedizinischer Erkrankungen 06.10.2010 14 Gestörter Schlaf als Ursache und Folge Somatische und psychische Erkrankungen Gestörter Schlaf Therapie 06.10.2010 15 Substanzinduzierte Schlafstörungen Insomnie Hypnotika (Rebound-Insomnie, Entzug) Hormone (Kortikoide, Schilddrüsenhormone) Psychopharmaka (antriebssteigernde Antidepressiva, Stimulantien) Internistische Medikamente (ß-Blocker, Theophyllinpräparate) Antiparkinsonmedikamente Koffein, Alkohol, Drogen Hypersomnie Sehr häufig Parasomnie Hypnotika 06.10.2010 16 Schlafstörungen bei psychischen Erkrankungen Insomnie Affektive Erkrankungen Psychosen (Prodrom bei Exazerbation) Angsterkrankungen (PTSD) Suchterkrankungen Demenz Hypersomnie atypischen und saisonale Depression asthenisch-adyname Zustände 06.10.2010 17 Schlafstörungen bei organischen Erkrankungen Insomnie Morbus Parkinson Polyneuropathien Restless legs Chronische Schmerzen Endokrine Erkrankungen Hypersomnie Nierenfunktionsstörungen Endokrine Erkrankungen Infektionen Herz- und Lungenerkrankungen Schlaf-Wach-Störungen Blindheit 06.10.2010 18 Therapie von Schlafstörungen Behandlung verhaltensbezogener Schlafstörungen Behandlung von sekundären Schlafstörungen Behandlung primär schlafmedizinischer Erkrankungen Insomnie, schlafbezogene Atmungsstörungen, Hypersomnien, zirkadiane Störungen, Parasomnien, schlafbezogene Bewegungsstörungen 06.10.2010 19 Nichtorganische Insomnie (F 51.0, ICD-10) Ein-, Durchschlafstörungen oder schlechte Schlafqualität Schlafstörungen ≥ 3-mal/Woche über einen Monat auf (nicht akut) Betroffenen beschäftigen sich nachts und tags viel mit Schlafstörung, machen sich übertriebene Sorgen Deutlicher Leidensdruck oder Störung der Alltagsaktivitäten 06.10.2010 20 Verhaltensbezogene Schlafstörungen vorübergehende Stressoren mangelnde Information unrealistische Erwartungen ungünstige Einstellungen falsche Verhaltensweisen vorübergehende Schlafstörung chronische Schlafstörung ungünstige Steuerung der Aufmerksamkeit Biologische Faktoren 06.10.2010 21 Modell zur Genese und Aufrechterhaltung aus Berger 1999 nach Morin 1993 Riemann, Backhaus 1996 06.10.2010 22 Nichtmedikamentöse Therapie Psychoedukation (Schlafregulation, -hygiene) Schlaftagebuch Entspannungstechniken (Jacobson, Autogenes Training, Ruhebilder) Stimuluskontrolle (Bett als Auslösereiz für Schlaf) Schlafrestriktion (Erhöhung des Schlafdrucks, Rhythmusstabilisierung) Kognitive Interventionen Kombination der Methoden in Gruppenprogrammen 06.10.2010 23 Stimuluskontrolle und Schlafrestriktion Gehen Sie nur zu Bett, wenn Sie müde sind Benutzen Sie das Bett nur zum Schlafen Wenn Sie nach 10 min noch wach sind, stehen Sie auf und gehen Sie in ein anderes Zimmer Gehen Sie erst wieder ins Bett, wenn Sie sich müde fühlen Wenn Sie dann nicht einschlafen können, Schritte wiederholen Zeit im Bett festlegen und kurz halten Keine Ausnahmen am Wochenende 06.10.2010 24 Kognitive Techniken Ernstnehmen der Symptome Paradoxe Intervention Stressbewältigung, Problemlösen Gedankenstopp Umstrukturierung des dysfunktionalen Schlafdialogs Wiederaufbau sozialer Aktivitäten 06.10.2010 25 Medikamentöse Therapie Wunschprofil eines idealen Schlafmittels Rasch wirksam Große therapeutische Breite Kein Hangover Kein Rebound-Phänomen Keine Toleranzentwicklung Keine Abhängigkeit Keine verminderte Gedächtnisleistung Wiederherstellung des physiologischen Schlafmusters 06.10.2010 26 Pharmakologische Behandlung Benzodiazepine Triazolam, Nitrazepam, Flunitrazepam Imidazopyridine Zolpidem Cyclopyrrolone Zopiclon Pyrazolopyrimidine Zaleplon Sedierende Antidepressiva Mirtazapin, Trimipramin, (Agomelatin) Niedrigpotente Neuroleptika Melperon, Pipamperon, (Quetiapin) (Tryptophan) Antihistaminika Diphenhydramin, Doxylamin Alkoholderivate Chloralhydrat Phytotherapeutika Baldrian, Hopfen, Passionsblume, Melisse, Kawain 06.10.2010 27 Anwendung von Hypnotika Nicht als ausschließliche Therapie Nur kurzfristige Verordnung: Einige Tage bis einige Wochen Die niedrigste wirksame Dosis geben Nur kurz vor dem Schlafengehen Intermittierende Anwendung 06.10.2010 28 DAK Gesundheitsreport 2010 IGES Institut GmbH, Februar 2010, Daten: 1) Arbeitsunfähigkeitsdaten der erwerbstätigen DAK Versicherten 2) Leistungsdaten der DAK (ambulante ärztlichen Diagnosen, Arzneimitteldaten) 3) Repräsentative telefonische Bevölkerungsbefragung 4) Strukturierte Expertenbefragung 06.10.2010 29 Verordnung von Hypnotika 2008 Defined Daily Dosages (DDD) bei Versicherten der DAK mit Hypnotika 06.10.2010 30 Einnahmedauer Schlafmittel DAK Gesundheitsreport 2010 Einnahmedauer aller derzeit eingenommenen Schlafmedikamente 06.10.2010 31 Nichtmedikamentöse Therapie Nichtmedikamentöse Therapien bei DAK Versicherten in ärztlicher Behandlung wegen Schlafproblemen 06.10.2010 32 Ärztliche Behandlung wegen Schlafproblemen Ärztliche Behandlung bei DAK Versicherten mit Schlafproblemen 06.10.2010 33 Schlafbezogene Atmungsstörungen Schlafbezogene Atmungsstörungen (SBAS) - treten ausschließlich oder vorwiegend im Schlaf auf (Atmung ist im Schlaf (REM!) vulnerabler als im Wachzustand) - stören die Schlafarchitektur und die Erholungsfunktion - typische Ereignisse: Apnoen und Hypopnoen - häufige Weckreaktionen können auftreten 06.10.2010 34 SBAS nach ICSD-2 Zentrale Schlafapnoesyndrome Intermittierendes Nachlassen der Atemarbeit bei offenen Atemwegen Bei somatischen Erkrankungen, in großen Höhen, Medikamente Obstruktive Schlafapnoesyndrome (OSA) Intermittierende Verengung/Verschluss der oberen Atemwege Schlafbezogene Hypoventilations-/Hypoxämiesyndrome Reduzierte Ventilation über längere Zeiträume, pCO2↑, sO2↓, in REM Bei somatischen Erkrankungen 06.10.2010 35 Mechanismus der Apnoephasen Schlafmedizin, Steinberg et al. Uni-Med 2000 Muskelrelaxation , Anatomie, Adipositas, Rückenlage, Männer 06.10.2010 36 Obstruktive Schlafapnoesyndrome Klinisch: nächtliche Erstickungsanfälle, Erholung durch Schlaf↓, Leistungsfähigkeit↓, Schläfrigkeit↑, somatische Symptome, fremdanamnestisch Atempausen Schlaflabor: Intermittierende Unterbrechung/Verringerung der Atmung (Apnoe/Hypopnoe >10 s) trotz Atemanstrengung, terminierende Weckreaktionen, sO2↓, (> 15x/h), REM! Häufige Erkrankung: Lebensqualität↓, kardiovaskuläres Risiko↑, metabolische Erkrankungen↑, Unfallgefahr↑ 06.10.2010 37 Therapie Schlafhygiene (Hypnotika, Alkohol) Gewichtsregulation Rucksack Zahnarzt (progenierende Schienen) HNO Arzt Nichtinvasive Ventilationstherapie CPAP (Varianten: APAP, Bilevel S, Bilevel T) 06.10.2010 38 Continous Positive Airway Pressure (CPAP) 06.10.2010 39 Weitere primär schlafmedizinische Störungen Hypersomnien Narkolepsie, verhaltensbedingte Hypersomnie Zirkadiane Schlaf-Wach-Rhythmusstörungen Jet Lag, Schichtarbeit, chronische Rhythmusstörungen Parasomnien nonREM-, REM-assoziiert Schlafbezogene Bewegungsstörungen Restless Legs, Bruxismus 06.10.2010 40 Zusammenfassung Schlafstörungen bilden eine fachübergreifende Herausforderung Viele Schlafstörungen sind gut behandelbar Wenige Patienten suchen ärztliche Hilfe Psychotherapeutische Interventionen sind unverzichtbar Grenzen der medikamentösen Therapie einhalten Sekundäre Schlafstörungen dürfen nicht übersehen werden Primär schlafmedizinische Störungen brauchen Fachkenntnis 06.10.2010 41 Vielen Dank für die Aufmerksamkeit 06.10.2010 42