Schizophrene Störungen bei Kindern und Jugendlichen Ulm 2012 Basiswissen Kinder- und Jugendpsychiatrie PD Dr. Michael Kölch Schizophrenie schizo phrenos Gespaltener Verstand, gespaltenes Zwerchfell Altbekannt Kulturell unterschiedliche Zuschreibung: Besessenheit, Teufel, verhext Wahnsinn Irresein Ab 18. Jahrhundert medizinisches Territorium Klassische psychiatrische Erkrankung, die das Bild der Psychiatrie ausmachte: lebenslang, gemeingefährlich, blöde, besessen, unheilbar etc. Symptome schizophrener Störungen Denkstörungen Halluzinationen Wahn Kernsymptome –grundlegende und charakteristische Störungen von Denken –Wahrnehmung sowie –inadäquate oder verflachte Affekte Schneider Symptome 1. Rangs – Gedankenlautwerden, -beeinflußung, -ausbreitung – Leibliche Beeinflussungserlebnisse – Stimmenhören dialogisch – Wahnwahrnehmung Symptome 2. Rangs – Wahneinfall – Erlebte Gefühlsverarmung – Sonstige Sinnestäuschungen Symptomatik Plus - Wahn - Halluzination - Denkstörungen Minus -Verarmung des Affekts - des Antriebs - des Denkens - der Sprache - Denkhemmungen - Sozialer Rückzug Häufige Symptome: Gedankenlautwerden, Gedankeneingebung oder Gedankenentzug, Gedankenausbreitung, Wahnwahrnehmung, Kontrollwahn, Beeinflussungswahn oder das Gefühl des Gemachten, Stimmen, die in der dritten Person den Patienten kommentieren oder über ihn sprechen, Denkstörungen und Negativsymptome Verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit Störungen im Antrieb und dem Tagesrhythmus Suizidgedanken Verlaufsformen kontinuierlich episodisch mit zunehmenden oder stabilen Defiziten sein, eine oder mehrere Episoden mit vollständiger oder unvollständiger Remission ICD-10: F2 F 20.0 Paranoide Schizophrenie F 20.1 Hebephrene F 20.2 Katatone F 20.3 Undifferenzierte Schizophrenes Residuum Schizophrenia simplex Schizotype Störung F21 F22.0 Wahnhafte Störung F23.0 Akute polymorphe psychotische Störung ohne Symptome einer Schizophrenie Weitere Schizoaffektive Störungen Affektive Psychose mit psychotischen Symptomen Epidemiologie Transkulturell stabiles Phänomen Ca 1 % der Bevölkerung Inzidenz 10-40/100.000 Erkrankungsrisiko bei erkrankter Verwandschaft: – ein Elternteil ca 13% – Beide Eltern ca 46% – Digote Zwillinge ca 17% – Monogote Zwillinge ca 48% Transkulturell stabiles Phänomen Hohe biologische Belastung Epidemiologie II: Beginn Gipfel der Erkrankungen zwischen 20. und 30. Lebensjahr Männer 25 Jahre, Frauen 28 Jahre Aber oft schon Jahre zuvor Auffälligkeiten, jedoch unspezifisch! Early onset psychosis (EOS) Very early onset psychosis = Rarität Prädiktoren für outcome Prämorbide soziale Anpassung Erkrankungsalter – Sehr frühes Erkrankungsalter mit schlechter Prognose – Problem: Wenn Erkrankung in sozial wichtigste Phase trifft (Schulabschluß) (Dauer der nichtbehandelten Phase = DUP) Akuität des Erkrankungsbeginns – Schneller akuter Beginn besser als schleichender Verlauf mit Minussymptomatik DD Autismus (bei Kindern) Zwangsstörungen Depressive Störungen mit akzessorischem Wahn Organisch bedingte Psychosen Ursachen Psychosoziale Faktoren? Genetische/biologische Faktoren? Bio-psycho-soziales Modell oder Vulnerabilitäts-Stress-Modell Als integrale Erklärungsfigur für psychische Störungen und ihre Behandlung im Kindes- und Jugendalter kann das biopsychosoziale Modell gelten (Herpertz-Dahlmann et al., 2007) Biologische Faktoren Resilienzfaktoren Psychische Faktoren Psychische Störung Soziale Faktoren Resilienzfaktoren Ursachen: historische Thesen Schizophrenigene Mutter = historisch Dopaminstoffwechsel? Vulnerabilitäts-Streß-Modell? Morphologische Anomalien: Ventrikelräume, Hippocampusvolumen ↓, Temporallappen ↓ Virusinfektion in der Schwangerschaft? Aber: hohes Risiko bei konkordanten Zwillingen und direkten Abkömmlingen: Vulnerabilitäts-Stress-Modell nur eingeschränkt für Pathogenese tauglich, wichtig aber für Therapie und Rückfallprophylaxe Letztlich Ätiopathogenese heute ungeklärt Behandlung Medikamentös Medikamentös Medikamentös!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! Erst die Einführung der Neuroleptika in den 50iger Jahren des 20.Jhdts. erbrachte einen Fortschritt in der Therapie der PSFK Vorher Zwangsbehandlungen mit Gewalt ohne Besserung des Zustandsbilds Chronische Erkrankung mit Dauerasylierung Therapie Konventionelle Neuroleptika Hochpotente NL: Haloperidol – Gegen wahnhafte Symptomatik und Denkstörungen Niedrigpotente NL: Chlorprothixen – initial sedierend Second generation NL: Olanzapin, Risperidon etc. Therapie NW: Hochpotente: ExtraPyramidaleStörungen – Rigor, Tremor, Steifigkeit, Zugen-Schlundkrämpfe, Faszillieren, Akathisie – Extrem quälend für Patienten – Spätdyskinesien: irreversibel – Prolaktin Ansonsten: Kreislauf, GI-Trakt (Obstipation), Müdigkeit SG NL: – Gewichtszunahme – Kreislauf – Metabolisches Syndrom /Diabetes Definition Neuroleptika/Antipsychotika: Medikamente, deren gemeinsames Merkmal eine Blockade von Dopamin-Rezeptoren ist Je nach Profil der Substanz werden mitunter auch noch andere Rezeptoren blockiert: muscarinerge, adrenerge, histaminerge… Dies hat Auswirkung auf spezifische Wirkung einer Substanz, andererseits jedoch auch - genauso wie die Blockade des Dopaminrezeptors - großen Einfluß auf die möglichen Nebenwirkungen. Atypika: Gleichzeitige Blockade von Serotonin-2A-Rezeptoren (5-HT2A ) mit erhöhter Ausschüttung von Dopamin und teilweiser Reversion von D2-Rezeptor Blockade Schnelle Dissoziation vom D2-Rezeptor mit zeitlich nicht ausreichender Blockade zur Auslösung von EPS Casey.J ClinPsychiatry 2004;65(suppl.9):25-29 Rapid dissociation of D2 receptors Rezeptorbindungsprofile Welche klinische Relevanz hat das Wissen um Rezeptorprofile? Steigerung der Dosis bewirkt stärkere Bindung an bestimmte Rezeptoren und verändert das Nebenwirkungsprofil (Quetiapinbeispiel, α2 Blockade ab 250300mg/Tag) Entzugs/Rebound Symptome können bei Absetzen aber auch Wechsel von Antipsychotika auftreten – Pharmakodynamisch begründete Symptome (Umstellung von stark vs. schwach an D2/H1/M1 Rezeptoren bindende Antipsychotika) – Pharmakokinetisch begründbare Symptome – Umstellung von Antipsychotika mit kurzer auf lange Halbwertszeit (Aripripazol) – Langsame Titrierung erforderlich (Clozapin) – Resorption von Einnahme mit Nahrung notwendig (Ziprasidon) – Blut-Hirnschranken-Gängigkeit unterschiedlich (Paliperidon ↓) Effekt von Neurotransmitter-Blockade und ‘Entzug’ Beispiele Rezeptor D2 Blockade Antipsychotisch, -manisch, aggressiv, Entzug Psychose, Manie, Agitation, Akathisie, Entzugsdyskinesien EPS, Dyskinesien, Prolaktin ↑, 5-HT1A Antidepressiv, -ängstlich, EPS, Akathisie anti-EPS, -Akathisie 5-HT2A Antipsychotisch (?), EPS, Akathisie, Psychose (?) Anti-EPS, -Akathisie 5-HT2C Appetit ↑, Gewicht ↑ (?) Appetit ↓ α1 Posturale Hypotonie, Schwindel, Synkope Herzrasen, Blutdruck ↑ α2 Antidepressiv, Wachheit ↑, Blutdruck ↑ Blutdruck ↓, Schwindel nach Correll et al. JAACAP 2008 Konventionelle Antipsychotika konventionelle Neuroleptika: Gefahr der Entwicklung von extrapyramidal-motorischen Störungen (EPS) Parkinsonismus (hierbei werden Symptome der Parkinsonschen Krankheit gezeigt, etwa: Mimikverlust, Ruhetremor, depressive apathische Antriebsminderung), Dystonie (unwillkürliche Verkrampfungen und Fehlhaltungen) und Akathisie (motorische Unruhe und Unfähigkeit still sitzen zu bleiben). „Tardive Dyskinesie“: Bewegungsstörungen (etwa im Mundbereich), die in manchen Formen auch nach Absetzen der neuroleptischen Medikation auftreten und erhalten bleiben können. Konventionelle Antipsychotika Zusätzliche unerwünschte Wirkungen: Herz-Kreislauf- System (Blutdrucksenkung, Erhöhung der Herzfrequenz, Schwindel), Hormonsystems (Erhöhung des Hormons Prolactin) Haut (erhöhte Lichtempfindlichkeit, Ausschläge, Pigmentbildung) Durch Beeinflussung anderer Rezeptoren kann es vielfach auch zu Mundtrockenheit, verschwommener Sicht und Gewichtszunahme kommen. Seltene Nebenwirkungen sind Blutbildveränderungen und Leberschäden Wichtige NW bei Atypika Clozapin: Schwindel, Sedierung, Verstopfung, Gewichtszunahme, Speichelfluß, Blutbildveränderungen, epileptische Anfälle, Delir Olanzapin: Gewichstzunahme, Schläfrigkeit, Schwindelgefühl, Mundtrockenheit Quetiapin: Müdigkeit, Mundtrockenheit, Schwindel, erhöhte Herzfrequenz Risperidon: Schlaflosigkeit, Angstzustände, Kopfschmerzen Ziprasidon: Kopfschmerzen, Schläfrigkeit, Übelkeit Sonderfall Clozapin Erstes SG NL, hat beste Wirkung, aber Agranulozytosegefahr Deshalb: nie erste Wahl, sondern nur nach Versagen zweier/dreier anderer NL Strenge Überwachung (wächentliche BB-Kontrollen 16 Wochen lang), Patientenaufklärung Was wissen wir bei Kindern und Jugendlichen? Datenlage zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit neueren „Atypischen Neuroleptika“ insgesamt unbefriedigend, aber Verschreibungsraten v.a. in den USA stark ansteigend (Aparasu & Bhatara 2007). Datenlage für konventionellen Neuroleptika keineswegs sehr gesichert, wie dies der Umstand der Zulassung suggerieren könnte. Armenteros und Davies (2006): Datenlage für konventionelle Neuroleptika bezieht sich über alle bis in das Jahr 2003 publizierten Studien hinweg auf lediglich 209 minderjährige Patienten. Nur zwei der insgesamt 13 Studien mit konventionellen Neuroleptika: randomisiertes Doppel-blind-Design auch in diesen Studien bei bis zu 30% der Patienten keine ausreichende Symptomreduktion, jedoch starke NW TEOSS Die Treatment of Early Onset Schizophrenia Spectrum Disorders (TEOSS) Studie (Registrierungsnummer bei ClinicalTrials.gov: NCT00053703) untersuchte die Sicherheit und Wirksamkeit der Arzneimittel Risperidon, Olanzapin und Molindon in der Behandlung der Schizophrenie und der schizoaffektiven Störungen bei Kindern und Jugendlichen. Zahl der Minderjährigen, die in randomisierten doppel-blinden klinischen Studien mit atypischen Neuroleptika > die mit konventionellen Neuroleptika mit solchen Studiendesigns untersucht wurden. TEOSS Methode Dopple-blinde multizentrische Studie 119 minderjährige Patienten (8-19 Jahre) mit „early-onset schizophrenia“ und schizoaffektiver Störung Behandlung mit: Olanzapin (2.5–20 mg/day), Risperidon (0.5–6 mg/day), Molindone (10–140 mg/day, plus 1 mg/day of benztropine) Dauer: 8 Wochen Primary outcome: „response to treatment“: CGI improvement score von 1/2 und ≥20% Reduktion in PANSS Score nach 8 Wochen TEOSS Ergebnisse Keine signifikanten Unterschiede bei den Response Raten oder der Stärke der Symptomreduktion Molindon : 50%; Olanzapin: 34%; Risperidon: 46% Olanzapin & Risperidon signifikant größerer Gewichtszuwachs Olanzapin hatte das größte Risiko für Gewichtszuwachs und Cholesterinerhöhung, LDL, Insulin und TransaminasenErhöhung Molindon höhere Rate an Akathisie (im Selbstbericht) Fazit: „Risperidone and olanzapine did not demonstrate superior efficacy over molindone for treating earlyonset schizophrenia and schizoaffective disorder.“ Beendigung Medikation TEOSS PANSS TEOSS TEOSS Time to discontinuation Ascher-Svanum et al. BMC Psychiatry 2006 Schizophrenie: Mit Atypika wird länger behandelt als mit konventionellen AP v.a. Olanzapin, Clozapin, Risperidon Aber mittelpotente AP werden ebenfalls langfristiger verabreicht Alaqua et al. Pharm World Sci 2008: in der klinischen Praxis werden auch Atypika wegen NW häufig bei Jugendlichen abgesetzt 68% berichteten über 108 NW in den ersten 3 Monaten 31% setzten das AM ab 19% zeigten keine klinische Besserung Die meisten erhielten Risperidon Nebenwirkungen bei Minderjährigen Im Vergleich zu Erwachsenen Prävalenz: Parkinsonismus und Dystonie↑, Akathisie und Spätdyskineisen↓ Akathisie: NNH=14,7 für Aripirazol 12%vs. 2% NNH025 für Risperidon 10% vs. 6% Spätdyskinesien 0,4% jährliche Rate 5% der Spätdyskinesien treten ohne Psychotika auf! U.U. verschwinden diese bei Gabe im Jugendalter häufiger nach Absetzen Nebenwirkungen bei Minderjährigen: Prolaktinerhöhung Prävalenz höher als bei Erwachsenen Am wenigsten häufig bei: Quetiapin, Clozapin und Aripiprazol Olanzapin: Mädchen NNH=3,9 25,7% vs. 0% Pbo Jungen NNH=1,7 62,5% vs. 5% Pbo Symptome Galaktorrhoe, Amenorrhoe Erektile Dysfunktonen, retrograde Ejakulation Bei kleineren Kindern fehlen diese Symptome, unklar ob negativer Einfluss auf Knochendichte und Pubertätsentwicklung Gewichtszunahme Stärker ausgeprägt gegenüber Erwachsenen Olanzapin>Risperidon, Quetiapin>Ziprasidon, Arpiprazol Komedikation (Stimmungsstabilisatoren) Bester Prädiktor für Gewichtszunahme ist Binge-eating und frühe Gewichtszunahme in den ersten Behandlungswochen (2-3 Wochen) Einstellungen zur Medikation Reduktion der Gewichtszunahme (nach Correll et al. 2008) Kleine Mahlzeiten mehrfach am Tag (4-6) Langsam essen und Nachschlag nur nach Pause Keine Snacks zusätzlich Fast Food max. 1/Woche Soft drinks meiden Viel Aktivität, wenig sitzen Medikamentöse Therapie Probleme: Mangelnde Krankheitseinsicht Medikamente mit hohem NW-Potential Generell schlechte Compliance/Adherence Gefahr des Absetzens durch Patienten Erneute Phase, späte medizinische Inanspruchnahme Lösungsversuch: Depotpräparate Therapie Psychoedukation: Erklärung der Erkrankung, der Symptome, Risikoanzeichen, auch um bei weiterem Schub frühzeitig Psychiater aufzusuchen Angehörige: Krankheitsverständnis, Schuldgefühle, Früherkennung von Symptomen Therapiegrundsatz: „Soviel Forderung wie möglich, soviel Schonung wie nötig“ Ergotherapie: Belastungserhöhung, Konzentration, Ausdauer Soziotherapie: Reintegration, Reha, EU-Berentung Fallvignette Roman Tannert, 16,7 Jahre alt stationär seit September 2010 Aufnahmemodus Zur Entgiftung bei polyvalentem Substanzkonsum (vorwiegend Cannabinoide) sowie fraglicher psychotischer Symptomatik Unterbringung erfolgte gemäß § 1631 b BGB bei mangelnder Behandlungseinsicht und erheblicher Fremdgefährlichkeit Anamnese Unauffällige Entwicklungsanamnese bei leichten visomotorischen Defiziten Seit Beginn 2007 (12. Lebensjahr) merkwürdiges Verhalten: führt häufig Selbstgespräche zunehmend dysphorisch mit aggressivem Verhalten Beleidigen und Bedrohen der Mutter und später auch der Mitschüler Beginn des Cannabis- und Alkoholkonsums etwas später Vorstellung im stationären Setting der Kinder- und Jugendpsychiatrie Stationärere Aufenthalte in anderen Kliniken mehrfach aus disziplinarischen Gründen abgebrochen mit der Diagnose: Verhaltensauffälligkeit bei Cannabinoidkonsum Anamnese Ab 2008 Zunahme der bizarren Verhaltensweisen Schwere Verletzung durch spontanes Durchspringen einer Glastür Vorstellung bei ambulantem Kinder- und Jugendpsychiater 2008 – stellt Kontakt- und Kommunikationsstörung fest. Diagnostische Einschätzung Verhaltensauffälligkeit bei Cannabinoidkonsum. Seit Anfang 2009: gibt Roman an von keinem mehr verstanden zu werden, fühlt sich anhaltend bedroht Cannabinoidkonsum nimmt zu Während der nun regelmäßigen Alkoholexzesse kommt es zu mehreren Straftaten mit Körperverletzung (forensische Begutachtung wurde beantragt) September 2010: Unterbringung in der KJP Vivantes-Klinikum im Friedrichshain Psychopathologischer Befund bei Aufnahme Bei Aufnahme 15,6-jähriger Jugendlicher Wach, bewusstseinsklar, zu allen Qualitäten orientiert Aufmerksamkeit herabgesetzt Mnestik leicht beeinträchtig Stimmung dysphorisch bis gleichgültig Affektive Modulation und Schwingungsfähigkeit deutlich vermindert Auffällig parathymes (situationsinadäquates) Grinsen, im Verlauf häufig Witzeleien, wie Aufsuchen einer bestimmten Pflegekraft, um zu Rülpsen Antrieb leicht vermindert Psychopathologischer Befund bei Aufnahme Formales Denken: deutlich verlangsamt teils logorrhoisch - weitschweifig haftend und repetierend Inhaltliches Denken: Verstiegen Flüchtige, inkohärente Wahnideen mit Beeinflussungserleben Ebenfalls flüchtige Halluzinationen und Illusionen Fürchtet anderen ins Gesicht zu schauen, da die Gesichter oft fratzenhaft erschienen Kurzfristig zönästhetisches Erleben (sich ausdehnende Blase im Mundboden) anhaltend paranoid-wahnhaftes Erleben Diagnosen Achse I Hebephrene Schizophrenie ICD 10 F 20.1 Polyvalente Substanzabhängigkeit mit Alkohol, Nikotin und Cannabinoiden ICD 10 F 19.2 Achse II Motorische und visomotorische Entwicklungsdefizite Achse III Intellektuelle Leistungsfähigkeit homogen im Bereich durchschnittlicher Intelligenz (CFT 20, 2007) Achse IV Refluxösophagitis Motorische und sensible Ausfälle am linken Arm nach Unfall 2008 Achse V Geschiedenen Eltern Ambivalenz der allein sorgeberechtigten Kindsmutter in Bezug auf Diagnose und Medikation Achse VI Deutliche Beeinträchtigung des psychosozialen Funktionsniveaus in allen Lebensbereichen (Ziffer 6) Medikamentöser Behandlungsverlauf - Olanzapin (Zyprexa) Beginn der Medikation mit Olanzapin (Zyprexa) Schon in den ersten Tagen leichte Verbesserung im formalen Denken und in Bezug auf die Impulsivität (Leucht et al. 2005) jedoch kein Medikamentenblutspiegel im therapeutischen Bereich Olanzapin: Metabolismus über CYP1A2 und CYP2D6 Rauchen als Induktion CYP 1A2 Patient lehnt Medikation wegen Nebenwirkungen wie Übelkeit, Cephalgien und leichten EPMS (Akathesien) ab, daher Umstellung auf Quetiapin Medikamentöser Behandlungsverlauf - Quetiapin Ebenfalls zu Anfang schneller Wirkungseintritt Rückgang der Positivsymptome Anhalten der Negativsymptomatik im Verlauf insgesamt Verschlechterung, trotz Aufdosierung der Medikation Wiederauftreten von Positivsymptomen wie paranoid-wahnhaften Gedanken Verdacht deutlicher Compliance-Probleme – daher engmaschige Kontrolle der Medikamenteneinnahme In Medikamentenblutspiegeln sehr unterschiedliche Ergebnisse Keine Quantifizierbarkeit bei unzureichender Kenntnis der Pharmakodynamik und –Kinetik Weitere Aufdosierung und Umstellung auf Seroquel Prolong Patient berichtet seiner Mutter das Medikament unregelmäßig zu nehmen – daher Verstärkung der Arbeit an der Compliance „Shared decision“ aufgrund paranoider Symptomatik erschwert bei weiterhin unklarer Compliance Umstellung auf Risperidon, geplant als IM-Formulierung (Risperdal Consta) Medikamentöser Behandlungsverlauf - Risperidon Nach oraler Aufdosierung in den antipsychotisch wirksamen Dosisbereich stark ausgeprägte Akathesien Später Dystonien, bis hin zum Torticollis und Ophistotonus Patient bittet um Rückumstellung auf Seroquel Es wird eine Clozapin-Medikation mit ihm vereinbart Medikamentöser Behandlungsverlauf - Clozapin Bei Dosierungen bis 300 mg/Tag auch bei strengster Medikamenteneinnahmekontrolle kein therapeutischer Spiegel nachweisbar (Rauchen Induktion CYP – 1 A 2) jedoch bereits deutliche Veränderung der Symptomatik im Sinne des völligen Rückgangs von Positivsymptomen und deutlichem Rückgang der Negativsymptomatik Unter Medikation von 100-100-250 /d Medikamentenspiegel deutlich im therapeutischen Bereich (Cave: strengste Vereinbarung zur Zigarettenmenge pro Tag) Aktuell weitere Tendenz zur Verbesserung Zu bedenken: lange nicht erkannte und behandelte hebephrene Schizophrenie (lange DUP), dadurch Entwicklungsrückstände zu erwarten (12. – 16. LJ) Was heißt hier restitutio ad integrum? Hohe Bedeutung von Compliance und Aufbau derselben Schwierigkeit des therapeutischen drug monitorings bei Unkenntnis von Pharmakonkinetik und –dynamik insbesondere bei Jugendlichen Aufgrund der zu erwartenden krankheitsbedingten Entwicklungsrückstände hohe Bedeutung der Rehabilitation und Remediation, z.B. Training sozialer Kompetenzen Schulleistungs- und kognitives Training familienorientierte Interventionen zur Verbesserung der intrafamiliären Kommunikation Aufbau von Aktivitäten des täglichen Lebens Fazit Schwerste psychiatrische Erkrankung Nach der Erkrankung ist nichts mehr wie vor der Erkrankung Qualitative Veränderung des Erlebens, Denkens und Fühlens Medikamentöse Therapie die Grundlage für Besserung Rezidivprophylaxe über mehrere Jahre, uU lebenslang • Priv.-Doz. Dr. Michael Kölch Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie / Psychotherapie des Universitätsklinikums Ulm Steinhövelstraße 5 89075 Ulm www.uniklinik-ulm.de/kjpp Ärztlicher Direktor: Prof. Dr. Jörg M. Fegert