Schizophrenie - Universitätsklinikum Ulm

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Schizophrene Störungen bei Kindern und
Jugendlichen
Ulm 2012
Basiswissen Kinder- und Jugendpsychiatrie
PD Dr. Michael Kölch
Schizophrenie
schizo
phrenos
Gespaltener Verstand, gespaltenes Zwerchfell
Altbekannt
Kulturell unterschiedliche Zuschreibung:
Besessenheit, Teufel, verhext
Wahnsinn
Irresein
Ab 18. Jahrhundert medizinisches Territorium
Klassische psychiatrische Erkrankung, die das Bild der
Psychiatrie ausmachte: lebenslang, gemeingefährlich, blöde,
besessen, unheilbar etc.
Symptome schizophrener Störungen
Denkstörungen
Halluzinationen
Wahn
Kernsymptome
–grundlegende und charakteristische Störungen von
Denken
–Wahrnehmung sowie
–inadäquate oder verflachte Affekte
Schneider
Symptome 1. Rangs
– Gedankenlautwerden, -beeinflußung, -ausbreitung
– Leibliche Beeinflussungserlebnisse
– Stimmenhören dialogisch
– Wahnwahrnehmung
Symptome 2. Rangs
– Wahneinfall
– Erlebte Gefühlsverarmung
– Sonstige Sinnestäuschungen
Symptomatik
Plus
- Wahn
- Halluzination
- Denkstörungen
Minus
-Verarmung des Affekts
- des Antriebs
- des Denkens
- der Sprache
- Denkhemmungen
- Sozialer Rückzug
Häufige Symptome:
Gedankenlautwerden, Gedankeneingebung oder
Gedankenentzug, Gedankenausbreitung,
Wahnwahrnehmung, Kontrollwahn, Beeinflussungswahn oder
das Gefühl des Gemachten,
Stimmen, die in der dritten Person den Patienten
kommentieren oder über ihn sprechen,
Denkstörungen und
Negativsymptome
Verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit
Störungen im Antrieb und dem Tagesrhythmus
Suizidgedanken
Verlaufsformen
kontinuierlich episodisch mit zunehmenden
oder stabilen Defiziten sein,
eine oder mehrere Episoden mit vollständiger
oder unvollständiger Remission
ICD-10: F2
F 20.0 Paranoide Schizophrenie
F 20.1 Hebephrene
F 20.2 Katatone
F 20.3 Undifferenzierte
Schizophrenes Residuum
Schizophrenia simplex
Schizotype Störung F21
F22.0 Wahnhafte Störung
F23.0 Akute polymorphe psychotische Störung ohne Symptome
einer Schizophrenie
Weitere Schizoaffektive Störungen
Affektive Psychose mit psychotischen Symptomen
Epidemiologie
Transkulturell stabiles Phänomen
Ca 1 % der Bevölkerung
Inzidenz 10-40/100.000
Erkrankungsrisiko bei erkrankter Verwandschaft:
– ein Elternteil ca 13%
– Beide Eltern ca 46%
– Digote Zwillinge ca 17%
– Monogote Zwillinge ca 48%
Transkulturell stabiles Phänomen
Hohe biologische Belastung
Epidemiologie II: Beginn
Gipfel der Erkrankungen zwischen 20. und 30. Lebensjahr
Männer 25 Jahre, Frauen 28 Jahre
Aber oft schon Jahre zuvor Auffälligkeiten, jedoch unspezifisch!
Early onset psychosis (EOS)
Very early onset psychosis = Rarität
Prädiktoren für outcome
Prämorbide soziale Anpassung
Erkrankungsalter
– Sehr frühes Erkrankungsalter mit schlechter Prognose
– Problem: Wenn Erkrankung in sozial wichtigste Phase trifft
(Schulabschluß)
(Dauer der nichtbehandelten Phase = DUP)
Akuität des Erkrankungsbeginns
– Schneller akuter Beginn besser als schleichender Verlauf mit
Minussymptomatik
DD
Autismus (bei Kindern)
Zwangsstörungen
Depressive Störungen mit akzessorischem Wahn
Organisch bedingte Psychosen
Ursachen
Psychosoziale Faktoren?
Genetische/biologische Faktoren?
Bio-psycho-soziales Modell oder Vulnerabilitäts-Stress-Modell
Als integrale Erklärungsfigur für psychische Störungen und ihre
Behandlung im Kindes- und Jugendalter kann das
biopsychosoziale Modell gelten
(Herpertz-Dahlmann et al., 2007)
Biologische
Faktoren
Resilienzfaktoren
Psychische
Faktoren
Psychische
Störung
Soziale
Faktoren
Resilienzfaktoren
Ursachen: historische Thesen
Schizophrenigene Mutter = historisch
Dopaminstoffwechsel?
Vulnerabilitäts-Streß-Modell?
Morphologische Anomalien: Ventrikelräume,
Hippocampusvolumen ↓, Temporallappen ↓
Virusinfektion in der Schwangerschaft?
Aber: hohes Risiko bei konkordanten Zwillingen und direkten
Abkömmlingen: Vulnerabilitäts-Stress-Modell nur eingeschränkt
für Pathogenese tauglich, wichtig aber für Therapie und
Rückfallprophylaxe
Letztlich Ätiopathogenese heute ungeklärt
Behandlung
Medikamentös
Medikamentös
Medikamentös!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Erst die Einführung der Neuroleptika in den 50iger Jahren des
20.Jhdts. erbrachte einen Fortschritt in der Therapie der PSFK
Vorher Zwangsbehandlungen mit Gewalt ohne Besserung des
Zustandsbilds
Chronische Erkrankung mit Dauerasylierung
Therapie
Konventionelle Neuroleptika
Hochpotente NL: Haloperidol
– Gegen wahnhafte Symptomatik und Denkstörungen
Niedrigpotente NL: Chlorprothixen
– initial sedierend
Second generation NL: Olanzapin, Risperidon etc.
Therapie
NW:
Hochpotente: ExtraPyramidaleStörungen
– Rigor, Tremor, Steifigkeit, Zugen-Schlundkrämpfe, Faszillieren,
Akathisie
– Extrem quälend für Patienten
– Spätdyskinesien: irreversibel
– Prolaktin
Ansonsten: Kreislauf, GI-Trakt (Obstipation), Müdigkeit
SG NL:
– Gewichtszunahme
– Kreislauf
– Metabolisches Syndrom /Diabetes
Definition
Neuroleptika/Antipsychotika: Medikamente, deren gemeinsames
Merkmal eine Blockade von Dopamin-Rezeptoren ist
Je nach Profil der Substanz werden mitunter auch noch andere
Rezeptoren blockiert: muscarinerge, adrenerge, histaminerge…
Dies hat Auswirkung auf spezifische Wirkung einer Substanz,
andererseits jedoch auch - genauso wie die Blockade des
Dopaminrezeptors - großen Einfluß auf die möglichen
Nebenwirkungen.
Atypika:
Gleichzeitige Blockade von Serotonin-2A-Rezeptoren (5-HT2A )
mit erhöhter Ausschüttung von Dopamin und teilweiser
Reversion von D2-Rezeptor Blockade
Schnelle Dissoziation vom D2-Rezeptor mit zeitlich nicht
ausreichender Blockade zur Auslösung von EPS
Casey.J ClinPsychiatry 2004;65(suppl.9):25-29
Rapid dissociation of D2 receptors
Rezeptorbindungsprofile
Welche klinische Relevanz hat das Wissen um Rezeptorprofile?
Steigerung der Dosis bewirkt stärkere Bindung an bestimmte Rezeptoren und
verändert das Nebenwirkungsprofil (Quetiapinbeispiel, α2 Blockade ab 250300mg/Tag)
Entzugs/Rebound Symptome können bei Absetzen aber auch Wechsel von
Antipsychotika auftreten
– Pharmakodynamisch begründete Symptome (Umstellung von stark vs.
schwach an D2/H1/M1 Rezeptoren bindende Antipsychotika)
– Pharmakokinetisch begründbare Symptome
– Umstellung von Antipsychotika mit kurzer auf lange Halbwertszeit
(Aripripazol)
– Langsame Titrierung erforderlich (Clozapin)
– Resorption von Einnahme mit Nahrung notwendig (Ziprasidon)
– Blut-Hirnschranken-Gängigkeit unterschiedlich (Paliperidon ↓)
Effekt von Neurotransmitter-Blockade und
‘Entzug’ Beispiele
Rezeptor
D2
Blockade
Antipsychotisch, -manisch, aggressiv,
Entzug
Psychose, Manie, Agitation,
Akathisie, Entzugsdyskinesien
EPS, Dyskinesien, Prolaktin ↑,
5-HT1A
Antidepressiv, -ängstlich,
EPS, Akathisie
anti-EPS, -Akathisie
5-HT2A
Antipsychotisch (?),
EPS, Akathisie, Psychose (?)
Anti-EPS, -Akathisie
5-HT2C
Appetit ↑, Gewicht ↑ (?)
Appetit ↓
α1
Posturale Hypotonie, Schwindel,
Synkope
Herzrasen, Blutdruck ↑
α2
Antidepressiv, Wachheit ↑,
Blutdruck ↑
Blutdruck ↓, Schwindel
nach Correll et al. JAACAP 2008
Konventionelle Antipsychotika
konventionelle Neuroleptika: Gefahr der Entwicklung von
extrapyramidal-motorischen Störungen (EPS)
Parkinsonismus (hierbei werden Symptome der Parkinsonschen
Krankheit gezeigt, etwa: Mimikverlust, Ruhetremor, depressive
apathische Antriebsminderung), Dystonie (unwillkürliche
Verkrampfungen und Fehlhaltungen) und Akathisie (motorische
Unruhe und Unfähigkeit still sitzen zu bleiben).
„Tardive Dyskinesie“: Bewegungsstörungen (etwa im
Mundbereich), die in manchen Formen auch nach Absetzen der
neuroleptischen Medikation auftreten und erhalten bleiben
können.
Konventionelle Antipsychotika
Zusätzliche unerwünschte Wirkungen:
Herz-Kreislauf- System (Blutdrucksenkung, Erhöhung der
Herzfrequenz, Schwindel),
Hormonsystems (Erhöhung des Hormons Prolactin)
Haut (erhöhte Lichtempfindlichkeit, Ausschläge, Pigmentbildung)
Durch Beeinflussung anderer Rezeptoren kann es vielfach auch
zu Mundtrockenheit, verschwommener Sicht und
Gewichtszunahme kommen.
Seltene Nebenwirkungen sind Blutbildveränderungen und
Leberschäden
Wichtige NW bei Atypika
Clozapin:
Schwindel, Sedierung, Verstopfung, Gewichtszunahme,
Speichelfluß,
Blutbildveränderungen, epileptische
Anfälle, Delir
Olanzapin:
Gewichstzunahme, Schläfrigkeit, Schwindelgefühl,
Mundtrockenheit
Quetiapin:
Müdigkeit, Mundtrockenheit, Schwindel, erhöhte Herzfrequenz
Risperidon:
Schlaflosigkeit, Angstzustände, Kopfschmerzen
Ziprasidon:
Kopfschmerzen, Schläfrigkeit, Übelkeit
Sonderfall Clozapin
Erstes SG NL, hat beste Wirkung,
aber Agranulozytosegefahr
Deshalb: nie erste Wahl, sondern nur nach Versagen
zweier/dreier anderer NL
Strenge Überwachung (wächentliche BB-Kontrollen 16 Wochen
lang), Patientenaufklärung
Was wissen wir bei Kindern und Jugendlichen?
Datenlage zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit
neueren „Atypischen Neuroleptika“ insgesamt unbefriedigend,
aber Verschreibungsraten v.a. in den USA stark ansteigend
(Aparasu & Bhatara 2007).
Datenlage für konventionellen Neuroleptika keineswegs sehr
gesichert, wie dies der Umstand der Zulassung suggerieren
könnte.
Armenteros und Davies (2006):
Datenlage für konventionelle Neuroleptika bezieht sich über alle
bis in das Jahr 2003 publizierten Studien hinweg auf lediglich
209 minderjährige Patienten.
Nur zwei der insgesamt 13 Studien mit konventionellen
Neuroleptika: randomisiertes Doppel-blind-Design
auch in diesen Studien bei bis zu 30% der Patienten keine
ausreichende Symptomreduktion, jedoch starke NW
TEOSS
Die Treatment of Early Onset Schizophrenia Spectrum Disorders
(TEOSS) Studie (Registrierungsnummer bei ClinicalTrials.gov:
NCT00053703) untersuchte
die Sicherheit und Wirksamkeit der Arzneimittel
Risperidon,
Olanzapin und
Molindon in der Behandlung
der Schizophrenie und der schizoaffektiven Störungen bei
Kindern und Jugendlichen.
Zahl der Minderjährigen, die in randomisierten doppel-blinden
klinischen Studien mit atypischen Neuroleptika > die mit
konventionellen Neuroleptika mit solchen Studiendesigns
untersucht wurden.
TEOSS Methode
Dopple-blinde multizentrische Studie
119 minderjährige Patienten (8-19 Jahre) mit „early-onset
schizophrenia“ und schizoaffektiver Störung
Behandlung mit:
Olanzapin (2.5–20 mg/day),
Risperidon (0.5–6 mg/day),
Molindone (10–140 mg/day, plus 1 mg/day of benztropine)
Dauer: 8 Wochen
Primary outcome:
„response to treatment“: CGI improvement score von 1/2 und
≥20% Reduktion in PANSS Score nach 8 Wochen
TEOSS Ergebnisse
Keine signifikanten Unterschiede bei den Response
Raten oder der Stärke der Symptomreduktion
Molindon : 50%; Olanzapin: 34%; Risperidon: 46%
Olanzapin & Risperidon signifikant größerer Gewichtszuwachs
Olanzapin hatte das größte Risiko für Gewichtszuwachs und
Cholesterinerhöhung, LDL, Insulin und TransaminasenErhöhung
Molindon höhere Rate an Akathisie (im Selbstbericht)
Fazit:
„Risperidone and olanzapine did not demonstrate superior
efficacy over molindone for treating earlyonset schizophrenia
and schizoaffective disorder.“
Beendigung Medikation TEOSS
PANSS TEOSS
TEOSS
Time to discontinuation
Ascher-Svanum et al. BMC Psychiatry 2006
Schizophrenie:
Mit Atypika wird länger behandelt als mit konventionellen AP
v.a. Olanzapin, Clozapin, Risperidon
Aber mittelpotente AP werden ebenfalls langfristiger verabreicht
Alaqua et al. Pharm World Sci 2008:
in der klinischen Praxis werden auch Atypika wegen NW häufig
bei Jugendlichen abgesetzt
68% berichteten über 108 NW in den ersten 3 Monaten
31% setzten das AM ab
19% zeigten keine klinische Besserung
Die meisten erhielten Risperidon
Nebenwirkungen bei Minderjährigen
Im Vergleich zu Erwachsenen Prävalenz: Parkinsonismus und
Dystonie↑, Akathisie und Spätdyskineisen↓
Akathisie:
NNH=14,7 für Aripirazol 12%vs. 2%
NNH025 für Risperidon 10% vs. 6%
Spätdyskinesien
0,4% jährliche Rate
5% der Spätdyskinesien treten ohne Psychotika auf!
U.U. verschwinden diese bei Gabe im Jugendalter häufiger nach
Absetzen
Nebenwirkungen bei Minderjährigen: Prolaktinerhöhung
Prävalenz höher als bei Erwachsenen
Am wenigsten häufig bei: Quetiapin, Clozapin und Aripiprazol
Olanzapin:
Mädchen
NNH=3,9
25,7% vs. 0% Pbo
Jungen
NNH=1,7
62,5% vs. 5% Pbo
Symptome
Galaktorrhoe, Amenorrhoe
Erektile Dysfunktonen, retrograde Ejakulation
Bei kleineren Kindern fehlen diese Symptome, unklar ob
negativer Einfluss auf Knochendichte und Pubertätsentwicklung
Gewichtszunahme
Stärker ausgeprägt gegenüber Erwachsenen
Olanzapin>Risperidon, Quetiapin>Ziprasidon, Arpiprazol
Komedikation (Stimmungsstabilisatoren)
Bester Prädiktor für Gewichtszunahme ist Binge-eating und
frühe Gewichtszunahme in den ersten Behandlungswochen (2-3
Wochen)
Einstellungen zur Medikation
Reduktion der Gewichtszunahme (nach Correll et al. 2008)
Kleine Mahlzeiten mehrfach am Tag (4-6)
Langsam essen und Nachschlag nur nach Pause
Keine Snacks zusätzlich
Fast Food max. 1/Woche
Soft drinks meiden
Viel Aktivität, wenig sitzen
Medikamentöse Therapie
Probleme:
Mangelnde Krankheitseinsicht
Medikamente mit hohem NW-Potential
Generell schlechte Compliance/Adherence
Gefahr des Absetzens durch Patienten
Erneute Phase, späte medizinische Inanspruchnahme
Lösungsversuch: Depotpräparate
Therapie
Psychoedukation: Erklärung der Erkrankung, der Symptome,
Risikoanzeichen, auch um bei weiterem Schub frühzeitig Psychiater
aufzusuchen
Angehörige: Krankheitsverständnis, Schuldgefühle, Früherkennung von
Symptomen
Therapiegrundsatz: „Soviel Forderung wie möglich, soviel Schonung wie
nötig“
Ergotherapie: Belastungserhöhung, Konzentration, Ausdauer
Soziotherapie: Reintegration, Reha, EU-Berentung
Fallvignette
Roman Tannert, 16,7 Jahre alt
stationär seit September 2010
Aufnahmemodus
Zur Entgiftung bei polyvalentem Substanzkonsum (vorwiegend Cannabinoide) sowie fraglicher
psychotischer Symptomatik
Unterbringung erfolgte gemäß § 1631 b BGB bei mangelnder Behandlungseinsicht und erheblicher
Fremdgefährlichkeit
Anamnese
Unauffällige Entwicklungsanamnese bei leichten visomotorischen Defiziten
Seit Beginn 2007 (12. Lebensjahr) merkwürdiges Verhalten:
führt häufig Selbstgespräche
zunehmend dysphorisch mit aggressivem Verhalten
Beleidigen und Bedrohen der Mutter und später auch der
Mitschüler
Beginn des Cannabis- und Alkoholkonsums etwas später
Vorstellung im stationären Setting der Kinder- und Jugendpsychiatrie
Stationärere Aufenthalte in anderen Kliniken mehrfach aus disziplinarischen Gründen
abgebrochen mit der Diagnose: Verhaltensauffälligkeit bei Cannabinoidkonsum
Anamnese
Ab 2008 Zunahme der bizarren Verhaltensweisen
Schwere Verletzung durch spontanes Durchspringen einer Glastür
Vorstellung bei ambulantem Kinder- und Jugendpsychiater 2008 – stellt Kontakt- und
Kommunikationsstörung fest. Diagnostische Einschätzung Verhaltensauffälligkeit bei
Cannabinoidkonsum.
Seit Anfang 2009:
gibt Roman an von keinem mehr verstanden zu werden, fühlt
sich anhaltend bedroht
Cannabinoidkonsum nimmt zu
Während der nun regelmäßigen Alkoholexzesse kommt es zu
mehreren Straftaten mit Körperverletzung (forensische
Begutachtung wurde beantragt)
September 2010: Unterbringung in der KJP Vivantes-Klinikum im Friedrichshain
Psychopathologischer Befund bei Aufnahme
Bei Aufnahme 15,6-jähriger Jugendlicher
Wach, bewusstseinsklar, zu allen Qualitäten orientiert
Aufmerksamkeit herabgesetzt
Mnestik leicht beeinträchtig
Stimmung dysphorisch bis gleichgültig
Affektive Modulation und Schwingungsfähigkeit deutlich vermindert
Auffällig parathymes (situationsinadäquates) Grinsen, im Verlauf häufig Witzeleien, wie Aufsuchen
einer bestimmten Pflegekraft, um zu Rülpsen
Antrieb leicht vermindert
Psychopathologischer Befund bei Aufnahme
Formales Denken:
deutlich verlangsamt
teils logorrhoisch - weitschweifig
haftend und repetierend
Inhaltliches Denken:
Verstiegen
Flüchtige, inkohärente Wahnideen mit Beeinflussungserleben
Ebenfalls flüchtige Halluzinationen und Illusionen
Fürchtet anderen ins Gesicht zu schauen, da die Gesichter oft
fratzenhaft erschienen
Kurzfristig zönästhetisches Erleben (sich ausdehnende Blase im
Mundboden)
anhaltend paranoid-wahnhaftes Erleben
Diagnosen
Achse I
Hebephrene Schizophrenie ICD 10 F 20.1
Polyvalente Substanzabhängigkeit mit Alkohol, Nikotin und Cannabinoiden ICD 10 F 19.2
Achse II
Motorische und visomotorische Entwicklungsdefizite
Achse III
Intellektuelle Leistungsfähigkeit homogen im Bereich durchschnittlicher Intelligenz (CFT 20, 2007)
Achse IV
Refluxösophagitis
Motorische und sensible Ausfälle am linken Arm nach Unfall 2008
Achse V
Geschiedenen Eltern
Ambivalenz der allein sorgeberechtigten Kindsmutter in Bezug auf Diagnose und Medikation
Achse VI
Deutliche Beeinträchtigung des psychosozialen Funktionsniveaus in allen Lebensbereichen (Ziffer 6)
Medikamentöser Behandlungsverlauf - Olanzapin (Zyprexa)
Beginn der Medikation mit Olanzapin (Zyprexa)
Schon in den ersten Tagen leichte Verbesserung im formalen
Denken und in Bezug auf die Impulsivität (Leucht et al. 2005)
jedoch kein Medikamentenblutspiegel im therapeutischen Bereich
Olanzapin: Metabolismus über CYP1A2 und CYP2D6
Rauchen als Induktion CYP 1A2
Patient lehnt Medikation wegen Nebenwirkungen wie Übelkeit,
Cephalgien und leichten EPMS (Akathesien) ab, daher
Umstellung auf Quetiapin
Medikamentöser Behandlungsverlauf - Quetiapin
Ebenfalls zu Anfang schneller Wirkungseintritt
Rückgang der Positivsymptome
Anhalten der Negativsymptomatik im Verlauf insgesamt Verschlechterung, trotz Aufdosierung der Medikation
Wiederauftreten von Positivsymptomen wie paranoid-wahnhaften Gedanken
Verdacht deutlicher Compliance-Probleme – daher engmaschige Kontrolle der Medikamenteneinnahme
In Medikamentenblutspiegeln sehr unterschiedliche Ergebnisse
Keine Quantifizierbarkeit bei unzureichender Kenntnis der Pharmakodynamik und –Kinetik
Weitere Aufdosierung und Umstellung auf Seroquel Prolong
Patient berichtet seiner Mutter das Medikament unregelmäßig zu nehmen – daher Verstärkung der Arbeit an der Compliance
„Shared decision“ aufgrund paranoider Symptomatik erschwert
bei weiterhin unklarer Compliance Umstellung auf Risperidon, geplant als IM-Formulierung (Risperdal Consta)
Medikamentöser Behandlungsverlauf - Risperidon
Nach oraler Aufdosierung in den antipsychotisch wirksamen Dosisbereich stark ausgeprägte Akathesien
Später Dystonien, bis hin zum Torticollis und Ophistotonus
Patient bittet um Rückumstellung auf Seroquel
Es wird eine Clozapin-Medikation mit ihm vereinbart
Medikamentöser Behandlungsverlauf - Clozapin
Bei Dosierungen bis 300 mg/Tag auch bei strengster Medikamenteneinnahmekontrolle kein
therapeutischer Spiegel nachweisbar (Rauchen Induktion CYP – 1 A 2)
jedoch bereits deutliche Veränderung der Symptomatik im Sinne des völligen Rückgangs von
Positivsymptomen und deutlichem Rückgang der Negativsymptomatik
Unter Medikation von 100-100-250 /d Medikamentenspiegel deutlich im therapeutischen Bereich
(Cave: strengste Vereinbarung zur Zigarettenmenge pro Tag)
Aktuell weitere Tendenz zur Verbesserung
Zu bedenken:
lange nicht erkannte und behandelte hebephrene Schizophrenie (lange DUP), dadurch
Entwicklungsrückstände zu erwarten (12. – 16. LJ)
Was heißt hier restitutio ad integrum?
Hohe Bedeutung von Compliance und Aufbau derselben
Schwierigkeit des therapeutischen drug monitorings bei Unkenntnis von Pharmakonkinetik und –dynamik
insbesondere bei Jugendlichen
Aufgrund der zu erwartenden krankheitsbedingten Entwicklungsrückstände hohe Bedeutung der
Rehabilitation und Remediation, z.B.
Training sozialer Kompetenzen
Schulleistungs- und kognitives Training
familienorientierte Interventionen zur Verbesserung der
intrafamiliären Kommunikation
Aufbau von Aktivitäten des täglichen Lebens
Fazit
Schwerste psychiatrische Erkrankung
Nach der Erkrankung ist nichts mehr wie vor der Erkrankung
Qualitative Veränderung des Erlebens, Denkens und Fühlens
Medikamentöse Therapie die Grundlage für Besserung
Rezidivprophylaxe über mehrere Jahre, uU lebenslang
•
Priv.-Doz. Dr. Michael Kölch
Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie /
Psychotherapie des Universitätsklinikums Ulm
Steinhövelstraße 5
89075 Ulm
www.uniklinik-ulm.de/kjpp
Ärztlicher Direktor: Prof. Dr. Jörg M. Fegert
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