01 WB 24872-8 Grondin_VIS 20.09.11 08:13 Seite 7 INHALT „Vorwörtliches“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 29 I. Zur Vorgeschichte des Hermeneutischen . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sprachliche Vorverständigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zum Wortfeld um ρμηνεειν . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Motive der allegorischen Mythendeutung . . . . . . . . . . . 4. Philo: Die Universalität des Allegorischen . . . . . . . . . . . 5. Origenes: Die Universalität des Typologischen . . . . . . . 6. Augustin: Die Universalität des inneren Logos . . . . . . . 7. Luther: sola scriptura? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Melanchthon: Die Universalität des Rhetorischen . . . . . 9. Flacius: Die Universalität des Grammatischen . . . . . . . . Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 33 36 40 43 46 50 59 62 65 68 II. Hermeneutik zwischen Grammatik und Kritik . . . . . . . . . 1. Dannhauer: Hermeneutische und sachliche Wahrheit . 2. Chladenius: Die Universalität des Pädagogischen . . . . . 3. Meier: Die Universalität des Zeichenhaften . . . . . . . . . . 4. Pietismus: Die Universalität des Affektiven . . . . . . . . . . Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 77 80 86 91 94 III. Die romantische Hermeneutik und Schleiermacher . . . . . . 1. Der nachkantische Übergang von der Aufklärung zur Romantik: Ast und Schlegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schleiermachers Universalisierung des Mißverständnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Psychologistische Einschränkung der Hermeneutik? . . 4. Der dialektische Boden der Hermeneutik . . . . . . . . . . . . Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 99 103 108 110 112 IV. Einstieg in die Probleme des Historismus . . . . . . . . . . . . . . 115 1. Boeckh und das Aufdämmern der geschichtlichen Bewußtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 01 WB 24872-8 Grondin_VIS 20.09.11 08:13 Seite 8 8 Inhalt 2. Droysens Universalhistorik: Verstehen als Erforschung der sittlichen Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 3. Diltheys Weg zur Hermeneutik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 V. Heidegger: Hermeneutik als Selbstaufklärung der Existenzialen Ausgelegtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das sorgende Voraus des Verstehens . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Dessen Durchsichtigkeit in der Auslegung . . . . . . . . . . . 3. Die Idee einer philosophischen Hermeneutik der Faktizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Abkünftiger Status der Aussage? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Hermeneutik aus der Kehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 134 138 140 142 144 148 VI. Gadamers Universalhermeneutik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zurück zu den Geisteswissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . 2. Hermeneutische Selbstaufhebung des Historismus . . . . 3. Wirkungsgeschichte als Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Anwendendes weil fragendes Verstehen . . . . . . . . . . . . . 5. Sprache aus dem Gespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die Universalität des hermeneutischen Universums . . . Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 152 156 159 161 164 167 170 VII. Die Hermeneutik im Gespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bettis epistemologischer Rückgang zum inneren Geist 2. Habermas’ Kritik der Verständigung im Namen der Verständigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Postmoderne Dekonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 174 178 186 190 Schlußwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 01 WB 24872-8 Grondin_VIS 20.09.11 08:13 Seite 33 I. ZUR VORGESCHICHTE DES HERMENEUTISCHEN 1. Sprachliche Vorverständigung Die Entwicklung einer ausgesprochen hermeneutischen Reflexion trägt die Signatur der Moderne. Wie im vorigen mit Hilfe von Nietzsche und Habermas ausgeführt wurde, zeichnet sich das moderne Weltbild durch sein perspektivistisches Selbstbewußtsein aus. Erst wenn feststeht, daß Weltansichten keine schlechthinnigen Verdoppelungen der Realität, wie sie an sich ist, sondern pragmatische, d. h. in unseren sprechenden Weltbezug einbegriffene Interpretationen darstellen, kann Hermeneutik entstehen. Das geschieht erst in der Moderne. Es ist in diesem Sinne kein Zufall, wenn das Wort hermeneutica erst im 17. Jahrhundert auftaucht. Einsichten der Moderne lassen sich aber in die Antike zurückverfolgen, deren Kosmos viel weniger eintönig war, als es das übliche Klischee will, das nicht zuletzt von den Liebhabern der „Alten“ konstruiert wurde. Neben den rationalistischen Eleaten und Platonikern gab es eine Reihe von relativistischen Sophisten, die bestens um die machtbedingte Perspektivität menschlichen Ermessens Bescheid wußten. Es ist somit fraglich, wie weit die Geschichte der Hermeneutik zurückreichen muß. Die Antwort hängt natürlich davon ab, was man unter Hermeneutik verstehen will. Zur Eingrenzung unseres Themas sind also sprachliche Wegmarken erforderlich. Das Wort Hermeneutik ist im heutigen Sprachgebrauch von einer enormen Verschwommenheit heimgesucht, die, wie es von fast allen Philosophemen gilt, zu seiner Hochkonjunktur beigetragen haben mag. Begriffe wie Hermeneutik, Deutung, Auslegung, Exegese, Interpretation werden oft als Synonyma verwendet. Eine Interpretation von Hegel z. B. kann sich heute umstandslos für eine Hermeneutik Hegels ausgeben.1 „Hermeneutische Vorüberlegungen“ sind gleichbedeutend mit Vorklärungen zum jeweiligen Interpretationshebel. Der terminologischen Eingrenzung halber empfiehlt es sich, den Begriff der Hermeneutik enger zu fassen und darunter zuallererst eine Theorie der Interpretation zu verstehen. Dabei kann unbestimmt bleiben, was Theorie besagen soll, denn jede Hermeneutik hatte auch eine verschiedene Auffassung dessen, was von einer hermeneutischen 01 WB 24872-8 Grondin_VIS 20.09.11 08:13 Seite 34 34 Zur Vorgeschichte des Hermeneutischen Theorie zu erwarten sei. Für die einen sollte diese Theorie eine Kunstlehre (Schleiermacher) sein, d. h. eine methodische Regelanweisung für den Umgang mit Texten, deren Aufgabe vorwiegend technisch-normativer Natur war. Sie wollte lehren, wie man interpretieren soll, um die Beliebigkeit im Universum der Interpretation auszumerzen. Für die anderen soll die Hermeneutik auf diese technische Aufgabe Verzicht leisten, um die umfassendere Gestalt einer philosophischen oder phänomenologischen Analyse des ursprünglichen Phänomens der Interpretation bzw. des Verstehens anzunehmen. In ihrer phänomenologischen Spielart lehrt die Hermeneutik anscheinend nicht mehr, wie man interpretieren soll, sondern wie de facto interpretiert wird. Grundsätzlich kann man es entweder mit einer normativ-methodischen oder mit einer phänomenologischen Hermeneutik zu tun haben. Die Reichweite des Interpretationsbegriffs ist auch variabel. Behauptet man etwa, Sprache sei als solche immer schon Interpretation, so wäre eine Theorie der Interpretation eine allgemeine Theorie der Sprache oder des Wissens. Selbst wenn Sprache unabdingbar Interpretation mit einschließt, würde dies aber kaum einen Gegenstand für eine geschichtliche Einführung in die Hermeneutik hergeben (in diesem Zusammenhang werden wir gleichwohl vom hermeneutischen Beitrag zur Sprachphilosophie handeln). Auch hier erscheint es geboten, einen engeren Interpretationsbegriff heuristisch zu gebrauchen. Demgemäß tritt Interpretation erst dann in Erscheinung, wenn ein fremder oder als fremd empfundener Sinn verständlich gemacht werden soll. Das Interpretieren ist somit ein Verständlichmachen oder ein Übersetzen von fremdem Sinn in Verständliches (nicht notgedrungen in Vertrauliches, weil Unvertrautes als solches dem Verständnis erschlossen werden kann). Mit diesem Vorgang der Interpretation hat es die hermeneutische Theorie zu tun. Er erscheint als sekundär, wenn man ihn für einen winzigen Ausschnitt der menschlichen Erfahrung hält, nimmt aber universale Relevanz an, sobald man gewahr wird, daß alle menschlichen Tätigkeiten einen gewissen Prozeß des Verständlichmachens, sei es nur als fernen Telos, zur Grundlage haben. Davon wird schließlich der Universalitätsanpruch der Hermeneutik Zeugnis ablegen. Erst im 20. Jahrhundert ist diese Universalität dem philosophischen Bewußtsein aufgegangen. Früher wurde der Vorgang der Interpretation bis auf wenige Ausnahmen als ein spezielles Problem behandelt, dessen eine normative Hilfsdisziplin innerhalb der auslegenden Wissenschaften Herr werden wollte. Eine konsequente Geschichte der Hermeneutik muß ihrer Selbst- 01 WB 24872-8 Grondin_VIS 20.09.11 08:13 Seite 35 Sprachliche Vorverständigung 35 vergewisserung wegen auf ihre „provinziellen“ Ursprünge zurückkommen. Interessant für die Erschließung ihrer Archäologie ist der Umstand, daß es gewisse Achsenzeiten der Hermeneutik, sozusagen Schaltepochen, in denen das Problem der Interpretation etwas brennender wurde, gegeben hat. Selbst wenn sie des öfteren aus dem Nachher, nämlich von der Warte der heutigen Geschichtsschreibung aus, festgestellt wurden, waren es vor allem Erfahrungen des Traditionsbruches, die das Problem der Interpretation und ihrer hermeneutischen Theorie zu erneuter Brisanz gedeihen ließen. So wurde beispielsweise in der nacharistotelischen Philosophie eine Theorie der allegorischen Mythendeutung entwickelt, um die unvertraut und anstößig gewordenen Mythen einer rationalisierenden Auswertung zu unterwerfen, die fremden Sinn in neue Aktualität verwandelte. Die Ausglättung des Traditionsbruches geschah dabei oft genug um den Preis auslegender Gewaltsamkeit. Ebenso mußte die Verkündigung Jesu, die die jüdische Überlieferung hintanzustellen schien, eine besondere Besinnung auf die Prinzipien der Interpretation hervorrufen. Für das frühe Mittelalter überhaupt mußte die Interpretation einen bevorzugten Platz einnehmen, beruhte doch sein ganzes Wissen auf der Exegese der Heiligen Schrift und der Schriftsteller der Antike. Die Umwandlung der mittelalterlichen Hermeneutik durch die Norm der sola scriptura in der Reformation wurde zu einem neuen Antrieb der hermeneutischen Reflexion. So wird in ihr oft, so z. E. bei Dilthey, der Beginn der Hermeneutik gefeiert. Es muß aber auffallen, daß die hermeneutischen Traktate, die die Reformation in ihrer Auseinandersetzung mit der katholischen Orthodoxie produzierte, von Regeln wimmelten, die der Rhetorik und den Kirchenvätern entnommen waren, so daß sich diese Achsenzeit oder Geburtsstunde der Hermeneutik weit weniger umstürzlerisch ausnimmt, als in der klassischen, der protestantischen Theologie verpflichteten Geschichtsschreibung der Hermeneutik angenommen wird. Im 17. Jahrhundert, angefangen mit J. C. Dannhauer, sprossen viele, heute fast vergessene Hermeneutiken oder allgemeine Auslegungslehren hervor, mit dem Ziel, im Geist des Rationalismus methodische Regeln für die Herausstellung des wahren Sinnes von Textstellen vermitteln zu wollen. Angeregt durch die kopernikanische Revolution Kants, die der Subjektivität eine neue, konstitutive Rolle im Erkenntnisprozeß einräumte, erfolgte in der Romantik ein neuer Umbruch, der sich auf den Vollzug des „Verstehens“ konzentrierte, aber auch hier unter weitgehender Umwandlung älteren Materials aus der Tradition der Rhetorik. Der Subjektivierungsstoß der Kanti- 01 WB 24872-8 Grondin_VIS 20.09.11 08:13 Seite 36 36 Zur Vorgeschichte des Hermeneutischen schen Kritik beschwor im späteren 19. Jh. die Herausforderung des Historismus herauf, die die hermeneutische Theorie radikal vor das relativ neue, weil vom Aufschwung der Naturwissenschaften nahegelegte Problem der Objektivität der Geisteswissenschaften stellte. Bei Autoren wie Boeckh, Dilthey und Droysen wurde das Kantische Desiderat einer Kritik der historischen Vernunft laut. Die Zukunft der Hermeneutik schien nunmehr in der Methodologie der Geisteswissenschaften aufgehoben zu sein. Just der Entfremdungsprozeß, den die Obsession mit der Methodologie und der Erkenntnistheorie in der Philosophie verursachte, führte bei Heidegger zur philosophischen Universalisierung und Radikalisierung der Hermeneutik. Das „Verständlichmachen“, das die hermeneutische Bemühung von Anfang an in Atem hielt, wurde nicht mehr ein Epiphänomen am Rande der textverbundenen Wissenschaften, sondern zum grundlegenden Existential für ein der Zeit unterstehendes Wesen, dem es in seinem Sein um dieses Sein selbst geht. Bis hin zu Gadamer und Habermas ist dies der Horizont der unwiderruflich philosophisch gewordenen Hermeneutik geblieben. Bis dahin war die Geschichte der Hermeneutik vielleicht bloß eine „Vorgeschichte“ gewesen. Ihre wichtigsten Stationen sollen uns jetzt beschäftigen. Wir setzen bei einer etymologischen Rückbesinnung an. 2. Zum Wortfeld um ρμηνεειν Die Idee, daß die Hermeneutik die Verständlichmachung von Sinn zum Gegenstand hat, findet einen ersten Anhalt in der Etymologie. Seit G. Ebeling2 pflegt man drei Bedeutungsrichtungen von ρμηνεειν zu unterscheiden: ausdrücken (aussagen, sprechen), auslegen (interpretieren, erklären) und übersetzen (dolmetschen). Daß sich die beiden letzten Funktionen durch dasselbe Verb wiedergeben lassen, ist nicht schwer einzusehen, denn das Übersetzen, die Übertragung von fremd vorkommenden Lauten in vertrauliche Rede, ist in gewissem Sinne ein Interpretieren. Der Übersetzer hat ja zu erklären oder verständlich zu machen, was ein fremder Sinn sagen will. So bleiben zwei Grundbedeutungen von ρμηνεειν übrig: ausdrücken und interpretieren. Auch hier läßt sich ein gemeinsamer Nenner fassen, denn man hat es im Grunde in beiden Fällen mit einer ähnlichen, auf Verständnis zielenden Bewegung des Geistes zu tun, nur daß sie, wie es J. Pépin3 formuliert hat, einmal nach außen, das andere Mal nach innen gerichtet ist. Beim „Ausdrücken“ gibt der Geist sozusa- 01 WB 24872-8 Grondin_VIS 20.09.11 08:13 Seite 37 Zum Wortfeld um ρμηνεειν 37 gen seine inneren Gehalte nach außen hin zur Kenntnis, während das „Interpretieren“ den geäußerten Ausdruck auf seinen inneren Gehalt hin zu durchschauen strebt. In beiden Richtungen gehe es also um eine Verständlichmachung oder Sinnvermittlung. Das Aussagen gibt ein „Inneres“ kund, während das Interpretieren den inneren Sinn hinter dem ausgedrückten (zurück)sucht. Es empfiehlt sich also, zwischen einer rhetorischen und einer ausgesprochen hermeneutischen Sinnvermittlung zu unterscheiden: Während die erste ad extra geht, verläuft die andere umgekehrt vom Ausdruck auf seinen „inneren“ Gehalt hin oder – um psychologistische Verengung zu vermeiden – auf das, was ein Ausdruck zu sagen hat (Gehaltsinn). So verstand die gesamte Tradition das Interpretieren als die Umkehrung des Aktes des Redens, bis hin zu Schleiermacher.4 Dies erklärt auch, warum die meisten hermeneutischen Regeln direkt der Rhetorik entnommen wurden, u. a. die Tropenlehre und der sog. hermeneutische Zirkel, wonach das Einzelne aus dem Ganzen zu verstehen sei. Die wichtigsten Vermittler waren dabei, wie wir sehen werden, die Rhetoriklehrer Augustin und Melanchthon, die die Auslegekunst nach dem Vorbild des viel reicheren Rhetorikcorpus ausrichteten. Die Griechen verstanden aber offenbar das Aussagen selber als ein „Interpretieren“, ein ρμηνεειν. Die ausgesagte Rede ist lediglich die Übertragung von Gedanken in Worten. So konnte Aristoteles’ logisch-semantische Schrift ›Peri hermeneias‹, die vom wahr oder falsch sein könnenden Aussagesatz (dem λ γος ποφαντικ ς5) handelt, durchweg durch ›De interpretatione‹ auf Latein wiedergegeben werden. Die Aussage (ρμηνεα) ist stets die Übertragung von Gedanken in der Seele (von Innerem also) in äußere Sprache. Der Satz ist insofern der Mittler zwischen den Gedanken und dem Adressaten. Diese griechische Auffassung der Rede gipfelt in der stoischen Unterscheidung zwischen dem λ γος προφορικ ς und dem λ γος νδιετος (dem ausgesprochenen und dem inneren λ γος). Der erste bezieht sich nur auf den Ausdruck (ρμηνεα), während der letztere dessen Inneres, das Gedachte (διανοα)6 anvisiert. Die ρμηνεα ist nichts als der in Worte gefaßte Logos, seine Ausstrahlung ad extra. Wer hinwiederum das gesprochene Wort auslegen will, muß den umgekehrten Weg nach innen, zum λ γος νδιετος zu gehen versuchen. Das ρμηνεειν erweist sich also durchaus als ein Vorgang der Sinnvermittlung, die vom Äußeren auf ein Inneres von Sinn zurückgeht. Der Begriff der Hermeneutik gilt gewöhnlich als eine Schöpfung der Neuzeit. Dies ist wohl richtig, sofern man nur die lateinische hermeneutica im Auge hat. Dieser Terminus ist aber nichts anderes als