Soziale Integration und Leistungsförderung

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14.05.2003
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Bildungsmonitoring Schweiz
Soziale Integration und
Leistungsförderung
Thematischer Bericht der Erhebung PISA 2000
Maja Coradi Vellacott
Schweizerische Koordinationsstelle für Bildungsforschung
Judith Hollenweger
Pädagogische Hochschule Zürich
Michel Nicolet
Université de Neuchâtel
Stefan C. Wolter
Schweizerische Koordinationsstelle für Bildungsforschung
Herausgeber der Reihe
Bundesamt für Statistik (BFS), Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK)
Neuchâtel, 2003
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Soziale Integration und
Leistungsförderung
Herausgeber der Reihe:
Thematischer Bericht der Erhebung
PISA 2000
BFS/EDK, Neuchâtel
Bildungsmonitoring Schweiz
Auftraggeber des Berichts:
Autorinnen und Autoren:
Nationale Projektleitung PISA.ch/EDK
Maja Coradi Vellacott, Judith Hollenweger,
Michel Nicolet, Stefan Wolter
Auskunft:
Nationale Projektleitung PISA.ch
Bundesamt für Statistik
CH-2010 Neuchâtel
032 713 66 42
E-Mail: [email protected]
Vertrieb:
Bundesamt für Statistik, CH-2010 Neuchâtel
Tel. 032 713 60 60 / Fax 032 713 60 61
Bestellnummer:
Preis:
Reihe:
Internet:
576-0000
Fr. 12.–
Bildungsmonitoring Schweiz
Mehr Informationen finden Sie im Internet unter
www.pisa.admin.ch
Sprachversionen:
Dieser Bericht ist nur in deutscher Sprache
verfügbar
Übersetzungen:
Titelgrafik/Grafik/Layout:
Titelfoto:
Übersetzungsdienst des BFS, Neuchâtel
eigenart, Stefan Schaer, Bern
Kontrast, Atelier für Fotografie,
Thomas Wiedmer, Schönbühl-Urtenen
Copyright:
BFS/ EDK, Neuchâtel 2003
Abdruck – ausser für kommerzielle Nutzung – unter
Angabe der Quelle gestattet
ISBN:
3-303-15291-8
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Inhalt
Vorwort
Einleitung
Introduction
Introduzione
5
7
10
12
1
1.1
15
1.2
1.3
1.3.1
1.3.2
1.3.3
1.3.4
1.4
1.4.1
1.4.2
1.4.3
1.5
1.6
1.7
Übersicht über PISA Ergebnisse
Kurzzusammenfassung
der PISA Ergebnisse International
Bestimmung der Einflussfaktoren in
einem Sechs-Länder Modell
Unterschiede zwischen den Ländern
Fragestellung und Vorbedingungen
Auswahl der Einflussfaktoren
Ergebnisse
Interpretation der Ergebnisse und
Simulationen
Wie kommt soziale Selektivität zustande?
Der Einfluss der Ressourcenausstattung
von Eltern auf die schulische Leistung
der Kinder
Schulische Selektion
Unterschiede zwischen Schulen
Vor PISA und nach PISA – Grenzen
bei der Beurteilung von PISA Ergebnissen
Schlussfolgerungen
Literatur
2
2.1
2.1.1
2.1.2
2.1.3
2.2
2.2.1
2.2.2
Länderberichte
Französisches und flämisches Belgien
Zu Belgien allgemein
Französische Gemeinschaft
Flämische Gemeinschaft
Deutschland
Zielland europäischer Arbeitsmigration
Administriertes Schulsystem und
beamtete Lehrpersonen
2.2.3 Frühe Bildungsentscheide und komplexe
Bildungswege
2.2.4 Kumulierung ungünstiger Bedingungen
für Migranten und sozial benachteiligte
Familien
2.3 Finnland
2.3.1 Eine homogene Lesegesellschaft
im Aufbruch
BFS/EDK
15
17
18
18
19
21
22
24
24
25
26
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30
33
35
36
37
39
41
41
43
44
45
46
46
2003
2.3.2 Autonome Schulhausteams: Lokale
Gestaltungsfreiheit und nationale
Vergleichsmöglichkeiten
2.3.3 Späte Bildungsentscheide und
hohe Teilnahme an höheren
Ausbildungsgängen
2.3.4 Ausnahmefall Migration
2.4 Frankreich
2.4.1 Ein Land, das von grossen sozialen und
regionalen Unterschieden geprägt ist
2.4.2 Ein Bildungssystem mit einer relativ
starken sozialen Ungleichheit
2.4.3 Leistungen der immigrierten
Schülerinnen und Schüler und
«republikanische Schule»
2.4.4 Zentralisiertes System und gleichzeitig
relativ grosse Autonomie der Schulen
2.5 Kanada
2.5.1 Eine junge, multikulturelle Gesellschaft
2.5.2 Schule als Aufgabe der Gemeinschaft
2.5.3 Bemühungen zur Integration
leistungsschwacher Kinder
2.5.4 Armut als Risikofaktor für
Bildungserfolg
2.6 Kanada – Québec
2.6.1 Eine Provinz, die sich durch hohe
Bildungsausgaben und durch gute
Resultate in der PISA-Studie
auszeichnet
2.6.2 Ein Bildungssystem, das auf sozialer
Ebene wenige Unterschiede macht
2.6.3 Eine aktive Politik zur sozialen und
schulischen Integration
2.6.4 Auswirkungen der Kombination
zwischen Autonomie der Schulen und
Direktiven des Erziehungsministeriums
2.7 Literatur
2.8 Informationen zu den Ländern auf dem
Internet
3
3.1
Schlussfolgerungen
Hoher Anteil an Migranten/innen
entscheidend in der Schweiz
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47
48
49
49
49
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54
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57
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60
62
63
63
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INHALT
3.2
3.3
3.4
3.5
3.6
3.7
4
4.1
Kinder und Jugendliche in der
Schweiz betroffen durch mehrfache
Benachteiligungen
Späte Einschulung und frühe Selektion
begünstigt soziale Differenzierung im
Alter von 15 Jahren
Wirkung früher Förderung und
Unterstützungsmassnahmen
Einfluss der Lehrperson
Autonomie und Steuerung in
Bildungssystemen
Literatur
4.7
Empfehlungen
Notwendige besondere Massnahmen
bei hohem Anteil an Migranten
Soziale Durchmischung
Leistungspotential sozial und sprachlich
benachteiligter Schülerinnen und Schüler
Überprüfung von Selektionsentscheiden
auf soziale Selektivität
Überprüfung der Einführung
flächendeckender Massnahmen
Verbesserung der Datenlage und
des Kenntnisstandes
Literatur
5
5.1
5.2
Anhänge
Anhang A
Anhang B
4.2
4.3
4.4
4.5
4.6
BFS/EDK
64
65
66
66
67
69
69
70
70
70
71
71
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72
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76
In der Reihe Bildungsmonitoring
bisher erschienen
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Vorwort des Herausgebers
Das Wissen, die Qualifikationen und die Leistungsfä-
ausarbeiten zu können, waren weitere Auswertun-
higkeit sind für die Entwicklung von Wirtschaft und
gen und vertiefte Erkenntnisse über die Zusammen-
Gesellschaft entscheidend. Die Modernisierung des
hänge von Lernvoraussetzungen und Leseleistung
Bildungswesens ist ein politisches Anliegen von
notwendig, als aufgrund des nationalen Berichts1
höchster Priorität in allen Industrieländern. Dabei
vorlagen.
kommt der regelmässigen Berichterstattung über
Ähnlich wie in anderen Ländern wurden des-
Funktions- und Wirkungsweisen der Bildungssys-
halb thematische Vertiefungsstudien in Auftrag
teme hohe Bedeutung zu. Leistungsmessungen bil-
gegeben, um die Faktoren, welche das Leistungs-
den einen zentralen Pfeiler eines solchen Bildungs-
niveau der Jugendlichen beeinflussen, näher zu
monitorings. Das Projekt PISA (Programme for Inter-
untersuchen. Folgende fünf Themen wurden vertieft
national Student Assessment) der OECD misst mit
untersucht:
international standardisierten Instrumenten die
• Lehrplan und Leistungen setzt die PISA2000-Leis-
Kenntnisse und Fähigkeiten von 15-jährigen Jugend-
tungen in Bezug zu den Anforderungen in den
lichen in den drei Bereichen: Lesekompetenzen,
Lehrplänen und zu den Erwartungen von Lehr-
Mathematik, Naturwissenschaften. Dabei geht es in
erster Linie um die Anwendung von Wissen und
kräften.
• Les compétences en littératie analysiert detailliert
die Resultate der Lesekompetenz und deren
nicht um dessen Wiedergabe.
Im ersten PISA-Zyklus (2000) ging es um die
mögliche Erklärungsfaktoren in Bezug auf die
Lesefähigkeiten von Jugendlichen am Ende der obli-
Schülerinnen und Schüler und auf institutioneller
gatorischen Schulzeit. Diese sind im Vergleich mit 32
Ebene.
anderen Ländern in der Schweiz mittelmässig. In
• Die besten Ausbildungssysteme befasst sich mit
neun OECD-Ländern sind die Leseleistungen signifi-
den spezifischen Gegebenheiten derjenigen na-
kant höher. Von diesem Vergleich abgesehen ist die
tionalen Bildungssysteme, aus denen die besten
Erkenntnis beunruhigend, dass die Lesefähigkeit von
Leistungen in PISA2000 hervorgingen.
rund 20% der Schulabgängerinnen und -abgänger
• Soziale Integration und Leistungsförderung un-
in der Schweiz den Anforderungen der Ausbildungen
tersucht diejenigen Zusammenhänge und Berei-
auf der Sekundarstufe II nicht genügt. Betroffen sind
che von Bildungssystemen, die für die Förderung
vor allem Jugendliche aus bildungsfernen Schichten.
und Integration sozial Benachteiligter entschei-
Ein weiterer Grund für geringe Leseleistungen sind
dend sind.
mangelnde Kenntnisse der Unterrichtssprache von
• Bildungswunsch und Wirklichkeit untersucht die
Eingewanderten. Die Ergebnisse aus PISA 2000 zei-
Wirkungen von Leistungen und Strukturen auf
gen ausserdem, dass es der Schule in der Schweiz
den nachobligatorischen Bildungsverlauf.
weniger gut als in anderen Ländern gelingt, solche
Unterschiede in den Lernvoraussetzungen zu
Die Ergebnisse dieser Vertiefungsstudien und daraus
kompensieren.
abgeleitete Empfehlungen der Fachleute sind wich-
Diese Erkenntnisse weisen einen klaren Hand-
tige Grundlagen für bildungspolitische Entscheide
lungsbedarf aus. Um bildungspolitische Massnah-
und deren Umsetzung. Wir danken den Autorinnen
men auf verschiedenen Ebenen des Bildungssystems
und Autoren der Studien für ihr grosses Engage-
1
Für das Leben gerüstet? Die Grundkompetenzen der Jugendlichen – Nationaler Bericht der Erhebung PISA 2000,
Neuchâtel 2002
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VORWORT DES HERAUSGEBERS
ment. Die Zusammenarbeit von Forschung und Politik wird für PISA auch in Zukunft von grosser Bedeutung sein.
Bundesamt für Statistik
Heinz Gilomen
Konferenz der kantonalen
Erziehungsdirektoren
Hans Ambühl
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Einleitung
Die Schweiz beteiligt sich am OECD-Projekt der Leis-
niveaus verbunden sein muss, sondern dass bei ein-
tungsmessungen der 15-Jährigen (PISA) und hat im
zelnen Ländern mit geringeren sozialen Disparitäten
Frühjahr 2000 die erste Erhebung mit 15-Jährigen
das Gesamtniveau eher höher ist (vgl. Finnland oder
sowie Schülerinnen und Schülern der 9. Klasse
Kanada). Auch weist eine enge Beziehung zwischen
durchgeführt. Auf internationaler sowie nationaler
tiefem Sozialstatus der Herkunftsfamilie und Kompe-
Ebene sind bereits einige Publikationen erschienen,
tenzerwerb auf allgemein schlechtere Bildungs- und
andere Auswertungen sind noch in Arbeit. Die natio-
Berufschancen der betroffenen Kinder und Jugend-
nale Steering Group hat verschiedene vertiefende
lichen hin. In bestimmten Ländern ist die Gefahr
Studien in Auftrag gegeben, um die zentralen Frage-
offensichtlich grösser, dass eine sozial bestimmbare
stellungen, die sich für die Schweiz aus den ersten
Gruppe von Kindern oder Jugendlichen in ihrer Par-
Auswertungen ergeben haben, genauer zu bearbei-
tizipation an wichtigen Lebensbereichen (Schule/
ten. Die hier vorliegende Studie soll sich mit der
Unterricht, Beruf, Mobilität, Freizeit, kulturelles
Frage beschäftigen, weshalb Schülerinnen und Schü-
Leben) langfristig benachteiligt wird.
ler mit schwierigen sozialen und/oder sprachlichen
Die bereits im Rahmen der PISA-Studie dargestell-
Voraussetzungen in der Schweiz im Verhältnis zu
ten theoretischen Grundlagen können mit den Über-
anderen Ländern eine ausgeprägt schlechtere Lese-
legungen der Schweiz und der OECD im Rahmen
leistung haben. Oder anders formuliert: Welche Fak-
von DeSeCo4 ergänzt werden. Zudem sollen die von
toren der Bildungssysteme anderer Länder sind ver-
der OECD erarbeiteten Indikatoren des sozialen Aus-
mutlich verantwortlich für bessere oder ausgegliche-
schlusses respektive der sozialen Integration berück-
nere Leistungen von sozial und/oder kulturell
sichtigt werden. In verschiedenen OECD-Publikatio-
benachteiligten Jugendlichen?
nen5 werden diese erarbeitet und konzeptualisiert;
Die hierzu relevanten theoretischen Bezüge wer-
dazu gehören z.B. der Anteil der vom regulären Bil-
den sowohl im nationalen Bericht der Schweiz als
dungssystem ausgeschlossenen Kinder, der Anteil
auch im internationalen Bericht3 hergestellt. Die dort
der Kinder in sonderpädagogischen Schulungsfor-
verwendeten Konstrukte wurden für die PISA-Studie
men oder andere Faktoren, welche Schulwahl und
bereits definiert und operationalisiert und bilden
Übergänge in die nächsten Bildungsstufen beeinflus-
somit die Grundlage für die weiteren Analysen und
sen. Hierzu liegen auch Erkenntnisse aus Langzeit-
Vergleiche. In dieser Studie wird auf dem Hinter-
studien6 vor, die auch mit dem Konstrukt der sozia-
grund der PISA-Ergebnisse davon ausgegangen, dass
len Kohäsion7 in Verbindung gebracht werden kön-
eine starke Koppelung des Kompetenzerwerbs und
nen. Weitere Indikatoren, die für diese Studie rele-
der Leistungen an die soziale und kulturelle Lage der
vant sind, finden sich in der OECD-Publikation zum
Herkunftsfamilie nicht erwünscht ist. Die PISA-Studie
Thema Schulversagen8.
2
hat gezeigt, dass eine stärkere Entkoppelung nicht
Die in dieser Vertiefungsstudie zu bearbeitende
mit einer allgemeinen Absenkung des Kompetenz-
Fragestellung ist sehr komplex und erfordert eine
2
3
4
5
6
7
8
BFS/EDK (Hrsg.) (2002): Für das Leben gerüstet? Nationaler Bericht zur Erhebung PISA 2000, Bildungsmonitoring, Neuenburg BFS.
OECD (2001): Knowledge and Skills for Life. First Results from PISA 2000. Paris: OECD.
Definition and Selection of Competencies (vgl. http://www.statistik.admin.ch/stat_ch/ber15/deseco/)
Vgl. Klasen, S.: Social Exclusion, Children, and Education: Conceptual and Measurement Issues. OECD Internet-Publikation.
Vgl. Bynner, J.: Risks and Outcomes of Social Exclusion. Insights from Longitudinal Data. OECD Internet-Publikation.
Esping-Andersen, G. (2001): A new Challenge to Social Cohesion? Emerging Risk Profiles in OECD Countries. In OECD (Ed.) What
Schools for the Future? Paris.
OECD (1998): Overcoming Failure at School. Paris: OECD.
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EINLEITUNG
ländervergleichende Analyse von zahlreichen Fakto-
Deutschland mit sehr hohem sozioökonomischen
ren, die kaum unabhängig voneinander betrachtet
Einfluss und ähnlicher Migrationspolitik wie die
werden können. Wo möglich, wurden Mehrebenen-
Schweiz), Belgien (ähnliche Problemlage, d.h. hoher
analysen anhand der existierenden PISA-Daten und
sozioökonomischer Einfluss und vergleichbare Struk-
weiteren Datensets durchgeführt. Die Mehrdimen-
turen) sowie Finnland und Kanada (beste PISA-
sionalität wird auf den folgenden Ebenen erfasst: (a)
Ergebnisse und teilweise vergleichbarer kultureller
Sozialer und politischer Kontext, (b) Schul- und Bil-
Hintergrund, d.h. Mehrsprachigkeit im Falle Kana-
dungssystem, (c) Schulgemeinde und Schule, (d)
das, aber bei einer deutlich unterschiedlichen Migra-
Klasse und Unterricht, (e) Familie und Schüler/Schü-
tionspolitik).
lerin. Die Mehrdimensionalität soll in einer Matrix
Hinsichtlich PISA ergeben sich folgende Themen-
ergänzt werden mit einer Aufteilung nach Strukturin-
kreise für den Ländervergleich: (a) Einfluss und
dikatoren, Prozessindikatoren und Ergebnisindikato-
Wirkung der sozialen Schichtung auf Kompetenzer-
ren. Da jedoch die meisten der für diese Fragestel-
werb in der Schule, (b) Einfluss und Wirkung der
lung relevanten Variablen nicht im PISA Datenset zu
Migration auf soziale Schichtung und auf Kom-
finden sind, sind die Analysen davon abhängig, wie
petenzerwerb, (c) Einfluss schulischer Faktoren
viele und welche Daten sich mit dem PISA Datenset
(Makro-, Meso-, Mikroebene) auf Kompetenzer-
verbinden lassen und bezüglich welcher Systemda-
werb von sozial und kulturell benachteiligten Kinder
ten eine minimale Varianz zwischen den zu verglei-
und Jugendlichen sowie (d) Zusammenhang zwi-
chenden Ländern vorhanden ist. Wo quantitative
schen einem fehlenden oder mangelhaften Kompe-
Vergleiche nicht möglich oder wenig aussagekräftig
tenzerwerb und dem Risiko eines sozialen Ausschlus-
sind, sollen andere Studien, Untersuchungen und
ses. Diese Themenkreise werden jeweils im Kontext
Erhebungen zu den relevanten Variablen und Indika-
des relevanten gesellschaftlichen und politischen
toren beigezogen werden. Daneben werden kom-
Umfeldes betrachtet.
plexe Zusammenhänge und Fragestellungen auch
Für den quantitativen Teil dieser Studie wurden
anhand von Expertenbefragungen und Dokumen-
die PISA-Ergebnisse der Schweiz in einer komparati-
tenanalysen untersucht, erschlossen und mit eigenen
ven Sicht den Ergebnissen der fünf Vergleichsländer
Beobachtungen ergänzt.
gegenübergestellt sowie zusammen mit anderen
Für diese fokussierten Analysen werden Länder
Variablen der Bildungssysteme und Sozialstruktur in
für eine mögliche Auswahl berücksichtigt, die a) kul-
einer Mehrebenenanalyse auf Faktoren der sozialen
turell mit der Schweiz vergleichbar sind, b) bei der
Differenzierung der Leistungen untersucht. Weiter
«reading literacy» in PISA gute Ergebnisse erzielten
wurden für die Schweiz spezifisch wichtige Punkte
und letztlich c) entweder sehr kleine oder sehr grosse
mit den PISA Daten vertieft analysiert und darge-
Abhängigkeit der Schülerleistungen vom sozioöko-
stellt. Dieser Teil der Studie bildet das Kapitel 1 und
nomischen Umfeld zeigen. Letzteres Kriterium
wurde von Maja Coradi Vellacott und Stefan C. Wol-
erlaubt die Einteilung der teilnehmenden Länder in
ter verfasst.
vier Typen9: (a) Länder mit hohen Leistungen und
Wo quantitative Vergleiche nicht möglich oder
flachem sozialen Gradienten (Finnland, Japan,
wenig aussagekräftig sind, bilden andere Studien,
Kanada), (b) Länder mit eher hohen Leistungen und
Untersuchungen und Erhebungen Ausgangspunkt
steilem sozialen Gradienten (UK, Belgien), (c) Länder
für die Analysen; diese wurden zudem durch Infor-
mit eher schlechten Leistungen und steilem sozialen
mationen aus Expertenbefragungen, Dokumenten-
Gradienten (Luxemburg, Deutschland) sowie (d)
analysen und eigene Beobachtungen ergänzt. Im
Länder mit eher schlechten Leistungen und flachem
Kapitel 2 sind die Ergebnisse dieser fokussierten
sozialen Gradienten (Lettland, Brasilien, Russland).
Analyse zu den Ländern und ihren Schulsystemen
Die Schweiz zeigt knapp durchschnittliche Leistun-
sowie zur Situation sozial und sprachlich benachtei-
gen bei einem eher steilen sozialen Gradienten. Aus-
ligter Familien dargestellt. Dieser Teil der Studie
gewählt wurden letztlich die folgenden Länder:
wurde von Judith Hollenweger und Michel Nicolet
Frankreich
bearbeitet.
9
und
Deutschland
(Nachbarländer,
Vgl. Deutsches PISA-Konsortium (Hrsg.): PISA 2000 Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich.
Opladen: Leske & Budrich, Seite 392
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EINLEITUNG
Die Schlussfolgerungen und daraus abgeleitet die
Empfehlungen basieren auf einer Synthese der
Ergebnisse aus dem quantitativen und qualitativen
Teil dieser Studie. Sie orientieren sich an den wichtigsten Erkenntnissen, die aus der Integration der thematisch fokussierten Länderanalyse und der Mehrebenenanalyse gewonnen werden konnten.
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Introduction
La Suisse participe au projet de l’OCDE visant à
moindres (comme en Finlande et au Canada). L’exis-
mesurer régulièrement les compétences des jeunes
tence d’un lien étroit entre les compétences des
de 15 ans (PISA). Une première enquête a été réali-
élèves et le statut social de leur famille est la marque
sée au printemps 2000 parmi les jeunes de cet âge et
d’un système où les enfants et les adolescents défa-
les élèves de neuvième année. Plusieurs publications
vorisés ont moins de chances que les autres de réus-
ont déjà paru sur ce sujet aux niveaux international
sir dans les études ou dans la vie active. Le danger
et national, d’autres sont en préparation. Le groupe
que des enfants ou des adolescents appartenant à
national de pilotage du projet PISA a demandé à des
des groupes sociaux déterminés soient désavantagés
spécialistes de réaliser des études approfondies sur
à long terme dans certains domaines de la vie sociale
les principaux problèmes que les premiers résultats
(école/enseignement, profession, mobilité, loisirs, vie
de l’enquête ont soulevés en Suisse. Dans la présente
culturelle) est plus élevé dans certains pays que dans
étude, nous tenterons de comprendre pourquoi les
d’autres.
compétences en lecture des élèves défavorisés sur le
En plus des bases théoriques du programme PISA,
plan social et/ou linguistique sont nettement moins
on tiendra compte des réflexions menées en Suisse et
bonnes en Suisse que dans d’autres pays. Quels sont
au sein de l’OCDE dans le cadre du programme
les facteurs susceptibles d’expliquer que les élèves
DeSeCo12. On considérera également les indicateurs
socialement et/ou culturellement défavorisés obtien-
de l’OCDE relatifs à l’exclusion et à l’intégration
nent dans d’autres pays des résultats meilleurs ou
sociales, tels qu’ils sont présentés et définis dans les
plus équilibrés que chez nous ?
publications de cette organisation13. Ces indicateurs
Le présent travail s’appuie sur les bases théoriques
comprennent par exemple la proportion d’enfants
exposées dans le rapport national10 et dans le rapport
exclus du système d’éducation ordinaire, la propor-
international11 de l’enquête PISA. Ces bases théo-
tion d’enfants en classes pédagogiques spéciales,
riques ont été définies pour l’étude PISA ; elles ser-
ainsi que d’autres facteurs influençant les choix sco-
vent donc aussi de fondement aux analyses et aux
laires et le passage vers les degrés scolaires supé-
études comparatives qui s’inscrivent dans le prolon-
rieurs. On se référera en outre à certaines études
gement de cette étude. Nous partons du principe
portant sur le long terme14, dont les résultats peuvent
qu’il n’est pas souhaitable qu’il existe une forte cor-
être mis en rapport avec la notion de cohésion
rélation entre les compétences acquises par les élèves
sociale15. La publication de l’OCDE sur l’échec sco-
et la situation socio-culturelle de leur famille. L’étude
laire16 fournit également des indicateurs pertinents
PISA a montré qu’une faible corrélation entre ces
pour notre sujet.
deux éléments ne va pas nécessairement de pair avec
Il s’agit d’un sujet très complexe qui exige une
une baisse générale du niveau des compétences, et
analyse comparative de nombreux facteurs qui ne
que le niveau des élèves tend au contraire à être plus
peuvent guère être dissociés. Nous avons procédé, là
élevé dans les pays où les disparités sociales sont
où c’était possible, à des analyses à plusieurs
10
11
12
13
14
15
16
OFS/CDIP (éd.) (2002): Préparés pour la vie ? Rapport national de l’enquête PISA 2000, Neuchâtel OFS.
OECD (2001): Connaissances et compétences: des atouts pour la vie. Premiers résultats de PISA 2000. Paris: OCDE
Definition and Selection of Competencies (voir http://www.statistik.admin.ch/stat_ch/ber15/deseco/)
Cf. Klasen, S.: Social Exclusion, Children, and Education: Conceptual and Measurement Issues. Publication Internet.
Cf. Bynner, J.: Risks and Outcomes of Social Exclusion. Insights from Longitudinal Data. Publication Internet de l’OCDE.
Esping-Andersen, G. (2001): A new Challenge to Social Cohesion? Emerging Risk Profiles in OECD (éd.) What Schools for the Future?
Paris
OECD (1998): Overcoming Failure at School. Paris: OCDE
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INTRODUCTION
niveaux, fondées sur les données de PISA et sur
tures proches de celles de la Suisse), la Finlande et le
d’autres séries de données. Les niveaux suivants ont
Canada (qui ont obtenu les meilleurs résultats lors du
été considérés : (a) contexte social et politique, (b)
test PISA et qui ont des points communs avec la
système scolaire et éducatif, (c) école et collectivité
Suisse ; le Canada est plurilingue mais sa politique
scolaire, (d) classe et enseignement, (e) famille et
migratoire est nettement différente de la nôtre).
élève. Cette pluridimensionnalité s’intègre dans une
La comparaison a porté sur les thèmes suivants :
matrice où sont distingués des indicateurs de struc-
(a) influence et conséquences de la stratification
ture, des indicateurs de fonctionnement et des indi-
sociale sur l’acquisition des compétences à l’école,
cateurs de résultats. Comme la plupart des variables
(b) influence et conséquences des migrations sur la
pertinentes pour notre sujet ne sont pas fournies par
stratification sociale et sur l’acquisition des compé-
PISA, nos analyses sont tributaires de la quantité et
tences à l’école, (c) influence de facteurs scolaires
de la nature des données extérieures susceptibles
(macrostructures, mésostructures et microstructures)
d’être mises en rapport avec les données PISA. Nos
sur l’acquisition de compétences par les enfants et les
analyses dépendent également de l’existence de
adolescents socialement et culturellement défavori-
données pour lesquelles les différences entre les pays
sés, (d) rapport entre les déficits d’acquisition de
considérés sont faibles. Chaque fois que des compa-
compétences et le risque d’exclusion sociale. Ces
raisons quantitatives se sont avérées impossibles ou
quatre thématiques sont considérées chaque fois
peu pertinentes, nous avons fait appel à d’autres
dans leur contexte social et politique.
études ou enquêtes propres à nous éclairer sur les
Dans la partie quantitative de cette étude, les
variables et les indicateurs considérés. Pour les ques-
résultats obtenus par la Suisse lors de l’enquête PISA
tions complexes, nous avons recouru à des experts
ont été confrontés aux résultats des cinq pays préci-
ou à des travaux antérieurs, que nous avons complé-
tés. Ces résultats ont fait l’objet, avec d’autres
tées par nos propres observations.
variables propres au système d’éducation et à la
Pour nos analyses comparatives, nous avons
structure sociale de chaque pays, d’une analyse à
choisi des pays qui (a) sont comparables avec la
plusieurs niveaux pour déterminer les facteurs
Suisse sur le plan culturel, (b) ont obtenu de bons
sociaux qui sont à l’origine des différences de presta-
résultats en lecture (« reading literacy ») lors de l’en-
tions des élèves. En outre, des points particulière-
quête PISA et (c) où les performances des élèves
ment importants pour la Suisse ont été analysés de
dépendent soit très fortement, soit très faiblement
manière approfondie sur la base des données PISA.
du contexte socioéconomique. Sur la base de ce der-
Cette partie de l’étude (chapitre 1) a été rédigée par
nier critère, les pays participant à PISA peuvent se
Maja Coradi Vellacott et Stefan C. Wolter.
répartir en quatre types : (a) les pays où les perfor-
Là où des comparaisons quantitatives étaient
mances sont élevées et où le gradient social est faible
impossibles ou peu pertinentes, nous proposons des
(Finlande, Japon, Canada), (b) les pays où les perfor-
analyses fondées sur d’autres études et enquêtes,
mances sont plutôt élevées et où le gradient social
complétées par les informations reçues des experts
est fort (Royaume-Uni, Belgique), (c) les pays où les
consultés, par des analyses documentaires et par nos
performances sont plutôt faibles et où le gradient
propres observations. Les résultats de ces travaux
social est fort (Luxembourg, Allemagne), (d) les pays
touchant les pays, leurs systèmes scolaires et la situa-
où les performances et le gradient social sont faibles
tion sociale et linguistique des familles défavorisées,
(Lettonie, Brésil, Russie). La Suisse se caractérise par
sont présentés au chapitre 2. Cette partie a été éla-
des performances très moyennes et un gradient
borée par Judith Hollenweger et Michel Nicolet.
17
social assez fort. Les pays suivants ont été retenus :
Nos conclusions et les recommandations qui en
la France et l’Allemagne (deux pays voisins de la
découlent sont l’expression synthétique des parties
Suisse ; l’Allemagne exerce une forte influence socio-
quantitative et qualitative de cette étude. Elles intè-
économique sur la Suisse et pratique en matière de
grent les principaux résultats des analyses théma-
migrations une politique semblable à la nôtre), la Bel-
tiques nationales et des analyses à plusieurs niveaux.
gique (forte influence socio-économique et struc-
17
Cf. Deutsches PISA-Konsortium (éd.): PISA 2000 Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich.
Opladen: Leske & Budrich, page 392
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Introduzione
La Svizzera partecipa al progetto dell’OCSE di misu-
competenze indica anche opportunità formative e
razione delle prestazioni dei quindicenni (PISA) e
professionali generalmente più scarse per i bambini e
nella primavera del 2000 ha svolto la prima rileva-
i giovani interessati. In certi Paesi vi è evidentemente
zione tra quindicenni e allievi del 9° anno. A livello
un maggior rischio che un determinato gruppo
internazionale e nazionale sono già uscite alcune
sociale di bambini o giovani sia sfavorito a lungo ter-
pubblicazioni, altre analisi sono ancora in corso. Lo
mine nella sua partecipazione a importanti settori
Steering Group nazionale ha commissionato vari
della vita (scuola/insegnamento, professione, mobi-
studi dettagliati, allo scopo di approfondire gli inter-
lità, tempo libero, vita culturale).
rogativi centrali emersi dalle prime analisi per la Sviz-
Le basi teoriche già presentate nell’ambito dello
zera. Il presente studio si occupa dei motivi per cui in
studio PISA possono essere completate con le rifles-
Svizzera gli allievi con premesse sociali e/o linguisti-
sioni della Svizzera e dell’OCSE nell’ambito di
che sfavorevoli nella lettura realizzano prestazioni
DeSeCo20. Bisogna inoltre tener conto degli indicatori
nettamente peggiori rispetto ad altri Paesi. In altre
dell’esclusione o dell’integrazione sociale elaborati
parole: quali sono i fattori dei sistemi formativi di altri
dall’OCSE e analizzati in varie pubblicazioni21. Tra
Paesi che presumibilmente comportano prestazioni
questi figurano ad esempio la quota di bambini
migliori o più equilibrate da parte dei giovani social-
esclusi dal sistema formativo regolare, la quota di
mente e/o culturalmente sfavoriti?
bambini in forme di scuola pedagogicamente speciali
Le relazioni teoriche che assumono rilievo in que-
o altri fattori che influenzano la scelta della scuola e
st’ottica sono evidenziate sia nel rapporto nazionale
i passaggi ai livelli formativi successivi. In proposito
della Svizzera che nel rapporto internazionale . Le
sono disponibili anche risultati di studi a lungo ter-
strutture utilizzate sono già state definite e messe in
mine22 che possono essere collegati alla nozione di
pratica per lo studio PISA e rappresentano quindi la
coesione sociale23. Altri indicatori d’interesse per que-
base per le analisi e i raffronti ulteriori. In questo stu-
sto studio figurano nella pubblicazione dell’OCSE
dio, sullo sfondo dei risultati di PISA si parte dal pre-
dedicata al fallimento scolastico24.
18
19
supposto che non è auspicabile una forte associa-
La problematica da approfondire nel presente stu-
zione dell’acquisizione di competenze e delle presta-
dio è molto complessa e presuppone un raffronto
zioni alla situazione sociale e culturale della famiglia
internazionale di numerosi fattori, difficilmente
di provenienza. Lo studio PISA ha mostrato che una
osservabili indipendentemente gli uni dagli altri.
maggior dissociazione non è per forza legata a un
Dove possibile, sono state effettuate analisi a più
calo generale del livello di competenza, ma che in
livelli sulla base dei dati di PISA e di altre serie di dati
alcuni Paesi con minori disparità sociali il livello gene-
esistenti. La multidimensionalità è rilevata ai seguenti
rale è tendenzialmente più elevato (cfr. la Finlandia o
livelli: (a) contesto sociale e politico, (b) sistema sco-
il Canada). Una stretta correlazione tra status sociale
lastico e formativo, (c) comunità scolastica e scuola,
basso della famiglia di provenienza e acquisizione di
(d) classe e insegnamento, (e) famiglia e allievi. La
18
19
20
21
22
23
24
UST/CDPE (ed.) (2002): Für das Leben gerüstet? Nationaler Bericht zur Erhebung PISA 2000, Bildungsmonitoring, Neuchâtel UST.
OCSE (2001): Knowledge and Skills for Life. First Results from PISA 2000. Parigi: OCSE.
Definition and Selection of Competencies (cfr. http://www.statistik.admin.ch/stat_ch/ber15/deseco/)
Cfr. Klasen, S.: Social Exclusion, Children, and Education: Conceptual and Measurement Issues. Pubblicazioni Internet.
Cfr. Bynner, J.: Risks and Outcomes of Social Exclusion. Insights from Longitudinal Data. OCSE. Pubblicazione Internet.
Esping-Andersen, G. (2001): A new Challenge to Social Cohesion? Emerging Risk Profiles in OCSE (ed.) What Schools for the Future?
Parigi.
OCSE (1998): Overcoming Failure at School. Parigi: OCSE.
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INTRODUZIONE
multidimensionalità deve essere completata, in una
quisizione di competenze, (c) influsso di fattori scola-
matrice, con una ripartizione secondo indicatori delle
stici (a macrolivello, mesolivello e microlivello) sul-
strutture, dei processi e dei risultati. Siccome però la
l’acquisizione di competenze da parte dei bambini e
maggior parte delle variabili d’interesse per questo
giovani socialmente e culturalmente sfavoriti, non-
interrogativo non figura nella serie di dati di PISA, le
ché (d) relazione tra un’acquisizione di competenze
analisi dipendono da quanti e quali dati possono
mancante o lacunosa e il rischio di esclusione sociale.
essere combinati con la serie di dati di PISA e da quali
Queste tematiche sono analizzate sempre nel conte-
dati di sistema presentano una varianza minima tra i
sto dell’ambiente sociale e politico corrispondente.
Paesi oggetto del raffronto. Dove raffronti quantita-
Per la parte quantitativa dello studio, i risultati di
tivi non sono possibili o sono poco rappresentativi,
PISA della Svizzera sono stati confrontati con i risul-
bisogna far ricorso ad altri studi, indagini e rilevazioni
tati dei cinque Paesi selezionati e analizzati parallela-
sulle variabili e sugli indicatori pertinenti. Relazioni e
mente ad altre variabili dei sistemi formativi e della
interrogativi complessi sono inoltre analizzati
struttura sociale in un’analisi a più livelli volta a indi-
mediante la consultazione di esperti e l’analisi di
viduare i fattori di differenziazione sociale delle pre-
documenti e completati con osservazioni proprie.
stazioni. Per la Svizzera sono inoltre stati analizzati e
Per queste analisi focalizzate vengono presi in
rappresentati in modo specifico con i dati di PISA
considerazione Paesi che a) sono culturalmente para-
importanti punti. Questa parte dello studio costitui-
gonabili alla Svizzera, b) hanno ottenuto buoni risul-
sce il capitolo 1 ed è stata redatta da Maja Coradi
tati nella «reading literacy» in PISA e, infine, c) pre-
Vellacott e Stefan C. Wolter.
sentano una dipendenza molto piccola o molto
Dove raffronti quantitativi non sono possibili o
grande delle prestazioni degli allievi dall’ambiente
sono poco rappresentativi, il punto di partenza per
socioeconomico. Quest’ultimo criterio permette di
l’analisi è costituito da altri studi, indagini e rileva-
ripartire i Paesi partecipanti in quattro tipi 25: (a) Paesi
zioni, completati con informazioni ricavate dalla con-
con prestazioni elevate e gradiente sociale piatto
sultazione di esperti, dall’analisi di documenti e da
(Finlandia, Giappone, Canada), (b) Paesi con presta-
osservazioni proprie. Nel capitolo 2 sono presentati i
zioni abbastanza elevate e gradiente sociale ripido
risultati di queste analisi focalizzate sui Paesi e sui
(Regno Unito, Belgio), (c) Paesi con prestazioni
loro sistemi scolastici, nonché sulla situazione delle
abbastanza scarse e gradiente sociale ripido (Lus-
famiglie socialmente e linguisticamente sfavorite.
semburgo, Germania) nonché (d) Paesi con presta-
Questa parte dello studio è stata elaborata da Judith
zioni abbastanza scarse e gradiente sociale piatto
Hollenweger e Michel Nicolet.
(Lettonia, Brasile, Russia). La Svizzera registra presta-
Le conclusioni e le raccomandazioni corrispon-
zioni appena nella media con un gradiente sociale
denti si basano su una sintesi dei risultati ricavati
abbastanza ripido. Alla fine sono stati selezionati i
dalle parti quantitativa e qualitativa dello studio e si
seguenti Paesi: Francia e Germania (Paesi limitrofi,
orientano alle principali conclusioni tratte integrando
Germania con un influsso socioeconomico molto ele-
l’analisi tematica per Paese e l’analisi a più livelli.
vato e politica migratoria simile a quella della Svizzera), Belgio (problematiche analoghe, e cioè influsso
socioeconomico elevato e strutture paragonabili),
nonché Finlandia e Canada (migliori risultati in PISA
e contesto culturale in parte paragonabile, e cioè plurilinguismo nel caso del Canada, ma con una politica
migratoria completamente differente).
Dal punto di vista di PISA, per il raffronto internazionale emergono le seguenti tematiche: (a) influsso
ed effetto della stratificazione sociale sull’acquisizione di competenze a scuola, (b) influsso ed effetto
delle migrazioni sulla stratificazione sociale e sull’ac-
25
Cfr. Deutsches PISA-Konsortium (ed.): PISA 2000 Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich.
Opladen: Leske & Budrich, pag. 392.
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1 Übersicht über
PISA Ergebnisse
Eines der überraschendsten Ergebnisse der PISA
ten und letzten Abschnitt dieses den PISA Ergebnis-
Untersuchung 2000 ist sicherlich die Feststellung,
sen gewidmeten Teils wird auf die Beschränkungen
dass der Leistungsabstand von Schüler/innen26 aus
der Aussagen, die sich mit PISA Daten machen las-
unterschiedlichem sozio-ökonomischen Milieu gera-
sen, speziell eingegangen. Der Hinweis auf die Ein-
de in Ländern mit einem vorwiegend öffentlichen
schränkungen der PISA Daten ist einerseits für eine
(und kostenlosen) Schulsystem immer noch sehr
Gesamtbewertung der PISA Ergebnisse und anderer-
gross ist. Schüler/innen aus einem Elternhaus, das
seits auch im Zusammenhang mit weiteren Arbeiten
dem obersten Viertel der Verteilung des Sozialstatus
und Analysen von Bedeutung.
zugeordnet wird, haben in der Schweiz eine Lesekompetenz, die um mehr als hundert Punkte (etwa
eineinhalb Kompetenzstufen) über der Kompetenz
der Schüler/innen liegt, deren Eltern aus dem unters-
1.1 Kurzzusammenfassung der PISA
Ergebnisse International
ten Viertel des Sozialstatus stammen.
Dieses Kapitel untersucht die Fragestellung der
Kurz zusammengefasst, kann man die PISA 2000
sozialen Integration von Schüler/innen anhand der
Resultate wie folgt charakterisieren:
PISA Daten. Der Aufbau der Beschreibung der Resul-
a) Überraschend ist generell die Stärke des Einflusses
tate und der eigenen Untersuchungen ist wie folgt:
des sozialen und ökonomischen Milieus auf die
In einem ersten Teil werden die PISA Resultate des-
Lesekompetenzen der Schüler/innen.
kriptiv für die sechs untersuchten Länder knapp dar-
b) Der Einfluss des sozialen Milieus auf die Lesekom-
gestellt. Darauf folgt im zweiten Teil eine Analyse der
petenz der Schüler/innen ist in den einzelnen
verschiedenen sozialen Einflussfaktoren auf die Lese-
Staaten sehr unterschiedlich hoch ausgefallen.
leistung, bei der die Wirkungsdifferenzen der einzel-
c) Die Stärke des Einflusses des sozialen Milieus auf
nen Faktoren zwischen den Ländern verglichen wer-
die Lesekompetenz hängt nicht mit dem durch-
den. Dieser Abschnitt dient der detaillierten Auf-
schnittlichen Niveau der Lesekompetenz in einem
schlüsselung der verschiedenen Aspekte des sozialen
Land zusammen, d.h. es gibt keinen sogenannten
Hintergrundes der Schüler/innen und deren Wir-
«trade-off» zwischen Höhe der Leistung und sozi-
kung. Im dritten Teil werden die unterschiedlichen
aler Ungleichheit in den Leistungen; im Gegenteil,
Wirkungen der sozialen Herkunft auf die schulische
hohe durchschnittliche Leistungen lassen sich teil-
Leistung zwischen den Ländern mittels einer so
weise sogar mit sozial homogenen Leistungen
genannten Mehrebenenanalyse untersucht. Diese
verbinden (Finnland). Über alle Länder gesehen,
Form der Analyse erlaubt es, die Wirkungsstärke ein-
ergibt sich keine statistisch signifikante Korrelation
zelner Strukturparameter in den sechs Ländern zu
zwischen Leistungsniveau und sozialer Homoge-
testen und die Wirkung von Systemänderungen zu
nität oder Heterogenität der Resultate.
simulieren. Im vierten Abschnitt werden Teilaspekte,
die sich bei der Mehrebenenanalyse als entscheidend
Die fünf neben der Schweiz für unsere Vergleichsstu-
für den Einfluss des sozialen Hintergrundes auf die
die ausgewählten Länder können bezüglich der
Schulleistungen erwiesen haben, vertieft untersucht,
durchschnittlichen Leistung in drei Gruppen einge-
dies vornehmlich auf die Schweiz bezogen. Im fünf-
teilt werden (siehe auch Tabelle 1). Signifikant über
26
Die Bezeichnung Schüler/innen bezieht sich bei den internationalen Vergleichen auf die Fünfzehnjährigen, bei den rein schweizerischen
Vergleichen auf die Neuntklässler/innen.
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ÜBERSICHT ÜBER PISA ERGEBNISSE
Tabelle 1: Deskriptive Statistiken der sechs Vergleichsländer
Wirkung der
Anteil der
Durchschnitt
Unterschied
Veränderung
Schüler-/innen
der Lese-
zwischen den
des sozialen
mit Migrations-
leistungen
ISEI Quartilen28
Status29
hintergrund
507
103
51.6
11%
Deutschland
484
114
66.7
14%
Finnland
546
52
12.4
1%
Land
Belgien30
Frankreich
505
83
22.5
12%
Kanada
534
67
19.2
13%
Schweiz
494
115
41.8
19%
Datenquelle: OECD (2001b)
dem OECD Durchschnitt liegen Finnland, Kanada
sozialen Hintergrund erzielen in ein und derselben
und Belgien (in dieser Reihenfolge), um den Durch-
Schule ähnliche Leistungen, anderseits können sich
schnitt liegen Frankreich und die Schweiz und unter
sozioökonomisch bedingte Leistungsunterschiede
dem Durchschnitt der OECD Länder, liegt Deutsch-
auch innerhalb von Schulen zeigen. Im ersten Fall
land (erste Kolonne in Tabelle 1). Die beiden leis-
bedeutet dies nun nicht automatisch, dass keine
tungsstärksten Länder sind wiederum diejenigen, die
soziale Differenzierung der schulischen Leistungen
sozial am wenigsten differenzieren27, während Frank-
beobachtbar wären, es kann durchaus sein, dass die
reich diesbezüglich leicht unter dem Durchschnitt
Schüler/innen, was ihre soziale Herkunft anbelangt,
liegt und Belgien, Deutschland sowie die Schweiz
homogen auf die einzelnen Schulen eines Landes
deutlich stärker nach sozialen Kriterien differenzieren
verteilt sind und sich die sozial abhängigen Leis-
als der Durchschnitt aller OECD Staaten (Kolonnen 2
tungsunterschiede somit zwischen den Schulen zei-
und 3 in Tabelle 1). Als weitere Vergleichsgrösse
gen. In den meisten Ländern ist letzteres der Fall. Nur
geben wir in der untenstehenden Tabelle den Anteil
in Finnland ist der Anteil der Varianz der Leistungen
derjenigen Schüler/innen an, welche nicht in der von
zwischen den Schulen, der sich durch den sozialen
ihnen mehrheitlich zuhause gesprochenen Sprache
Status der Schüler/innen erklären lässt, kleiner als der
getestet wurden. Diese Variable hat sich auch als sig-
Anteil der Varianz innerhalb einer Schule, der sich
nifikante Erklärungsgrösse für die gemessenen Lese-
durch den sozialen Status erklären lässt. Dieses
kompetenzen erwiesen, allerdings unabhängig vom
Ergebnis lässt auf eine Stratifizierung und Hierarchi-
sozialen Status der Eltern, d.h. der Einfluss des sozia-
sierung des Bildungswesens in den übrigen fünf
len Status und des sozioökonomischen Umfelds der
Staaten schliessen. Dies kann durch unterschiedliche
Eltern lässt sich weder auf die Muttersprache noch
Prozesse zustande kommen. Belgien, Deutschland,
bspw. auf den Migrationsstatus alleine zurückführen.
Kanada und die Schweiz kennen eine altersmässig
Soziale Differenzierung kann an verschiedenen
frühe Selektion der Schüler/innen. Eine solche führt
Orten auftreten. Schulen können einerseits recht
aber nur dann zu einer so genannten sozialen Entmi-
homogen sein, d.h. Schüler mit unterschiedlichem
schung der Schüler/innen, wenn entweder die Leis-
27
28
29
30
Unter sozialer Differenzierung verstehen wir hier, dass die Kompetenzen der Schüler/innen, die aus unterschiedlichen sozialen Milieus stammen, durch diesen Umstand bedingt weit auseinanderliegen. Als Synonyme werden auch Begriffe wie soziale Heterogenität und soziale
Selektivität verwendet werden.
ISEI = International Socio-Economic Index of Occupational Status
Veränderung um 1 Standardabweichung des sozialen Status. Wirkung in Punkten auf der Leseskala.
Die durchschnittliche Leseleistung liegt im flämischen Teil des Landes (532 Punkte) deutlich über derjenigen im französischen Landesteil
(476 Punkte). Auch bezüglich der sozialen Differenzierung der Leseleistungen ist ein Unterschied zwischen beiden Landesteilen erkennbar.
Sie ist im französischen Teil deutlich stärker ausgeprägt als im flämischen Landesteil. Eine Untersuchung der Landesteile in der Schweiz zeigt
(mit den Daten der Schüler/innen der 9. Klasse) in der deutschen und der französischen Schweiz ähnliche Durchschnitte bei der Leseleistungen, aber eine (mit einer Quantilsregression geschätzte) signifikant höhere Heterogenität der Leistungen in der Deutschschweiz, welche mit einer höheren sozialen Differenzierung einhergeht.
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ÜBERSICHT ÜBER PISA ERGEBNISSE
tungen schon zu einem frühen Zeitpunkt in der schu-
tung auf als die Schweiz. Belgien, Deutschland und
lischen Biographie sozial stark geprägt sind oder die
Kanada weichen hingegen nicht signifikant von der
Selektionsregeln (siehe 2.4.2.) dem sozialen Status
Schweiz ab.
ein hohes Gewicht beimessen.
2) Einfluss der Bildungsnähe der Eltern:
Die Bildungsnähe der Eltern wurde als Index von vier
1.2 Bestimmung der Einflussfaktoren in
einem Sechs-Länder Modell
Variablen definiert, welche die Anzahl der Bücher,
den Besitz von Kulturgütern und von Bildungsressourcen, sowie die Häufigkeit von Diskussionen über
In diesem Kapitel werden kurz die Resultate einer
soziale, politische und kulturelle Themen erfassen.
multivariaten Regression zusammengefasst, in wel-
Der Einfluss der Bildungsnähe ist wiederum in allen
cher die Schüler/innendaten aller sechs Vergleich-
Ländern signifikant und in allen Ländern signifikant
sländer gemeinsam getestet wurden. Die uns inter-
höher als in Finnland. Der Unterschied zu Finnland ist
essierenden Variablen, welche die soziale Selektivität
hier aber weniger gross als beim ISEI (im Durch-
des Bildungswesens charakterisieren können, wer-
schnitt rund 50% höhere Effekte als in Finnland).
den dabei als so genannte Interaktionsterme mit den
Obwohl der Effekt in Kanada signifikant höher ist als
Ländern interagiert, so dass wir für jede uns interes-
in Finnland, ist er kleiner als in den übrigen vier Län-
sierende Variable eine statistische Aussage über die
dern. Der Unterschied zwischen Kanada und der
Unterschiede zwischen den Ländern machen kön-
Schweiz ist signifikant. Deutschland, Frankreich und
nen. Diese Vorgehensweise hat weiter den Vorteil,
Belgien weichen hingegen nicht signifikant von der
dass somit auch eine gewisse Hierarchie zwischen
Schweiz ab.
den einzelnen Erklärungsvariablen festgelegt werden
kann. Das Vergleichsland aller Analysen ist jeweils
3) Einfluss der Testsprache:
Finnland.
Bei den Schüler/innen, die nicht in ihrer Mutterspra-
Die Resultate werden nachfolgend zusammenge-
che getestet wurden, sieht das Bild leicht anders aus
fasst. Die Berechnungen sind in der Tabelle 1 des
als bei den ersten beiden Variablen. Signifikant besser
31
als in Finnland schneiden Jugendliche, die zuhause
Anhangs B dargestellt.
nicht die Testsprache sprechen, in Belgien, Frankreich
1) Einfluss des sozioökonomischen Status
32
und Kanada ab. Der Einfluss dieser Variable ist in Bel-
(ISEI)
gien sogar leicht, aber signifikant positiv33. Nicht sig-
des Elternhauses:
Der sozioökonomische Status (ISEI) wirkt in allen
nifikant von Null verschieden ist der Wert für Frank-
sechs Vergleichsländern signifikant, in allen Ländern
reich. In Deutschland, Finnland und der Schweiz sind
aber signifikant stärker als in Finnland. Im Durch-
Jugendliche, die nicht die Testsprache sprechen, sig-
schnitt wirkt der ISEI in den fünf anderen Ländern
nifikant schlechter als der Rest der Jugendlichen. Die
mehr als doppelt so stark wie in Finnland. Zwischen
Unterschiede zwischen Deutschen, Finnen und
den fünf Ländern bestehen bis auf eine Ausnahme
Schweizern sind allerdings nicht signifikant.
keine statistischen Unterschiede. Diese Ausnahme
betrifft den Vergleich zwischen Frankreich und der
4) Einfluss des Geburtsortes des/der Schüler/in:
Schweiz. Frankreich weist einen statistisch signifikant
Auch wenn man für die Fremdsprachigkeit und den
tieferen Einfluss des sozialen Status auf die Leseleis-
sozialen Status schon kontrolliert hat, ist der Um-
31
32
33
Aus der Tabelle sind nicht sämtliche im Text beschriebenen Effekte direkt ersichtlich. Die Koeffizienten der Interaktionsterme beziehen sich
jeweils auf die Differenz zu Finnland. Um die Signifikanzen aller weiterer Effekte zu erhalten, wurde die Interaktionsterme jeweils zum Basiswert (Finnland) hinzu addiert. Diese Tests aufzulisten würde jedoch zu Unübersichtlichkeiten führen.
Im Gegensatz zu den Analysen im internationalen PISA Bericht werden keine der Indikatoren für Vermögen oder Einkommen verwendet.
Weil alle Angaben aus den Schüler/innenfragebögen stammen, und die Schüler/innen nicht direkt nach Einkommen oder Vermögen der
Eltern gefragt werden konnten, wurden dafür Hilfskonstrukte verwendet. Diese sollten im optimalen Fall einen guten Indikator für die
gesuchten Grössen abgeben. Eigene Tests mit alternativen Indikatoren haben jedoch gezeigt, dass diese Hilfsgrössen zweifelhaft sind und
teilweise sogar in die falsche Richtung zeigen.
Dabei muss berücksichtigt werden, dass bei der verwendeten Spezifikation der Variable Flamen oder Wallonen, die im anderen Landesteil
wohnen und somit nicht in ihrer Muttersprache getestet werden, auch dazu gezählt werden. Diese Spezifikation wurde mit Absicht so
gewählt, damit die Frage der Testsprache unabhängig von einem reinen Migrationseffekt getestet werden kann. Gleiches gilt für die anderen mehrsprachigen Länder, Kanada und die Schweiz, teilweise auch für Finnland.
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ÜBERSICHT ÜBER PISA ERGEBNISSE
stand, dass der/die Schüler/in nicht im betreffenden
die schulische Leistung lässt sich folgendermassen
Land geboren wurde und somit nicht seine ganze
zusammenfassen:
Jugend im Testland verbracht hat von zusätzlicher
Bezogen auf die verschiedenen Kriterien der sozialen
Signifikanz in einigen Ländern, aber nicht in allen.
Differenzierung (sozialer Status der Eltern, Bildungs-
Keine zusätzliche Bedeutung hat dieser Effekt in
nähe der Eltern, Muttersprache, Migrationsstatus der
Belgien, Finnland und Frankreich. In Deutschland,
Schüler/innen und der Eltern) lassen sich nur gerade
Kanada und der Schweiz hingegen ist er signifikant
in der Schweiz durchgehend für alle sozioökonomi-
negativ.
schen und -demographischen Kriterien signifikante
Effekte feststellen. Was den sozialen Status und die
5) Einfluss des Geburtsortes der Eltern:
Bildungsnähe der Eltern anbelangt, so unterscheidet
Unabhängig vom Geburtsort der Schüler/innen kann
sich Finnland positiv von allen übrigen Vergleichslän-
man auch testen, ob der Geburtsort der Eltern einen
dern. Weiter gelingt es Belgien und Frankreich, eine
eigenen Effekt auf die schulischen Leistungen hat.
bessere Integrationsleistung für nicht mutterspra-
Man kontrolliert hier somit, ob Schüler/innen aus
chige Schüler/innen zu erbringen als alle anderen
einer Familie mit einem vollständigen Migrationshin-
Länder.
tergrund (alle Personen sind im Ausland geboren)
gleich gut abschneiden wie Jugendliche, bei denen
wenigstens ein Elternteil im Testland geboren
1.3 Unterschiede zwischen den Ländern
wurde. Es überrascht nicht, dass wir weder in Finn34
land noch in Frankreich zusätzliche negative Effekte
1.3.1 Fragestellung und Vorbedingungen
sehen; beobachtbar sind solche aber in Belgien, der
Im Anschluss an die Analysen des obigen Kapitels
Schweiz und in Kanada. In Belgien ist der Geburtsort
wird nun untersucht, ob die in den sechs Vergleich-
der Eltern sogar entscheidender als derjenige des/
sländern unterschiedlichen durchschnittlichen Leis-
der Schüler/in. In Deutschland sieht man keinen
tungen oder die unterschiedliche soziale Selektivität
zusätzlichen Effekt zum negativen Effekt des
(der Einfluss der sozialen Herkunft auf die Leistung)
Geburtsortes des/der Schüler/in. Doppelt getroffen
durch bestimmte systemische Faktoren erklärt wer-
sind also nur Kanada und die Schweiz. Auf das
den. Um dieser Fragestellung gerecht zu werden,
Gesamtresultat wirkt sich aber aus, dass in der
bedarf es jedoch eines Modells, das den Mehrebe-
Schweiz 13,6% der in PISA getesteten Schüler/innen
nencharakter von Bildungssystemen berücksichtigt.
(und 19,1% der Eltern) im Ausland geboren wurden,
Gewisse Einflüsse betreffen alle Schüler/innen eines
in Kanada lediglich 6,4% (und 12,4% der Eltern).
Landes, sind aber von Land zu Land verschieden.
Negativ für die Schweiz wirkt sich also einerseits die
Solche Einflussfaktoren, wie beispielsweise die Aus-
ungenügende Integrationsleistung bei Migrant/
gaben im Bildungswesen, können deshalb als Erklä-
innen (im Vergleich zu den anderen Ländern) und
rungsfaktoren für Unterschiede zwischen den Län-
andererseits der sehr hohe Anteil von Erstgenera-
dern herangezogen werden. Wiederum andere Fak-
tionsmigranten35 aus.36
toren betreffen Schüler/innen eines Landes in unter-
Die Vergleichsanalyse verschiedenster Aspekte
schiedlicher Weise und erklären deshalb die inner-
des sozialen Hintergrundes und deren Wirkung auf
staatliche Varianz von Leistungen oder des Einflusses
34
35
36
Von den etwa 7% der Schüler/innen im Gesamtsample, die im Ausland geboren wurden, haben rund 80% Eltern, die ebenfalls beide im
Ausland geboren wurden und 20% Familienverhältnisse mit «gemischter» Migrationsgeschichte.
Insbesondere dann, wenn man zur ersten Generation auch noch jene Migrant/innen zählen würde, die nicht im Gastland geboren wurden.
Es ist sicherlich wichtig, in diesem Zusammenhang an einen sehr wenig beachteten Tatbestand zu erinnern. Mit der starken Arbeitsmigration in die Schweiz in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre entstand anfangs der neunziger Jahre ein quantitativ bedeutender Familiennachzug, der die demographische Entwicklung der Schweiz nachhaltig veränderte. Ähnlich starke Umwälzungen sind in den anderen fünf
Vergleichsländern nicht zu beobachten gewesen. Während zwischen 1987 und 1996 die Zahl der schweizerischen Jugendlichen zwischen
15–24 Jahren um 16% zurückging, nahm jene der ausländischen Jugendlichen um 21% zu (siehe Galley & Meyer, 1998). Neben dem rein
zahlenmässigen Anstieg ausländischer Kinder kamen in der ersten Hälfte der neunziger Jahre durch den Familiennachzug zunehmend schon
im Ausland geborene Kinder in die Schweiz, die in der ersten Hälfte des aktuellen Jahrzehnts aus der Schulpflicht entlassen werden, d.h.
im «PISA-Testalter» sind. Wenn man den starken Einfluss der Verweildauer im Gastland auf die Leistungen in PISA berücksichtigt (siehe
Moser, 2002), besteht die Hoffnung, dass die Zeit (d.h. die über die Zeit erfolgte Integrationsarbeit von Schule und Gesellschaft) die Unterschiede zwischen Migrant/innen und den übrigen Schüler/innen einebnet.
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ÜBERSICHT ÜBER PISA ERGEBNISSE
der sozialen Herkunft auf die Leseleistung, nicht aber
1.3.2 Auswahl der Einflussfaktoren
den Unterschied zwischen Ländern.37
Erste Ebene
Bei der Mehrebenenanalyse werden in einem
Die zu erklärende Variable auf der ersten Ebene ist
ersten Schritt auf der ersten Ebene die Einflussfakto-
die in PISA gemessene Leseleistung. In dieser Studie
ren auf die schulischen Leistungen gesucht und pro
interessiert primär, welche zwischenstaatlichen Un-
Land ermittelt. In einem zweiten Schritt werden die
terschiede die unterschiedliche Stärke des Einflusses
länderspezifischen Einflussfaktoren analysiert. Mit
der sozialen Herkunft auf die schulische Leistung
anderen Worten sucht man nach Erklärungen, wes-
erklären. Um den Nachteil der wenigen Beobachtun-
halb (auf der zweiten Ebene) die schulische Leistung
gen auf der zweiten Ebene (wenig Länder) möglichst
der Schüler/innen in den einzelnen Ländern unter-
klein zu halten, wurde ein Mass für die soziale Her-
schiedlich bestimmt wird. Die Einflussfaktoren der
kunft gewählt.40 Der dazu konstruierte Index für die
ersten Ebene sind die zu erklärenden Variablen auf
soziale Herkunft umfasst folgende Informationen41:
der zweiten Ebene.
• Beruf des Vaters oder der Mutter
Auf die hier vorliegende Forschungsfrage ange-
• Ausbildung (in Jahren) des Vaters oder der Mutter
wandt bedeutet dies, dass auf der ersten Ebene der
• zuhause vorhandene Bildungsressourcen (Wörter-
Einfluss des sozialen Hintergrundes auf die schuli-
bücher, Taschenrechner, Internetanschluss u.a.)
schen Leistungen in jedem Land ermittelt wird und
• zuhause vorhandene Kulturgüter (klassische Lite-
auf der zweiten Ebene nach Faktoren gesucht wird,
die die unterschiedliche Wirkung des sozialen Hinter-
ratur, Kunstwerke, Musikinstrumente, usw.)
• zuhause vorhandene Bücher
grundes zwischen den Ländern erklären können.
Eine wichtige Vorbedingung für die Durchführung
Der Einfluss dieses Indexes auf die Leseleistung bildet
einer solchen Analyse ist eine genügend grosse Zahl
dann auf der zweiten Ebene der Analyse die zu erklä-
von Beobachtungen auf beiden Ebenen. Beispiels-
rende Variable. Ebenfalls auf der ersten Ebene wurde
weise ist eine genügend grosse Zahl an Einheiten der
der Einfluss der Fremdsprachigkeit (wenn die Mut-
höchsten Ebene erforderlich.38 Aus diesem Grund
tersprache weder der Unterrichtssprache noch einem
werden möglichst alle an PISA beteiligten Länder in
Dialekt entspricht42), des Geschlechts und der Anzahl
die Analyse miteinbezogen, nicht nur die 6 Ver-
Geschwister untersucht.
gleichsländer, die in dieser Studie vertieft behandelt
werden. Im Idealfall wären die etwas über 30 an
Zweite Ebene
PISA teilnehmenden Länder in die Analyse miteinbe-
Es wurden zahlreiche systemische Faktoren auf ihren
zogen worden. Aufgrund fehlender oder unzuverläs-
Einfluss auf die soziale Selektivität hin getestet. Es
siger Daten (vor allem im Bereich der Makrodaten,
sind dies:
also Daten, die teilweise nicht selbst aus der PISA
• das BIP pro Kopf, in US Dollars, umgerechnet
Untersuchung stammen) mussten 12 Länder aus der
unter Berücksichtigung von PPP43, Werte von
Analyse ausgeschlossen werden. Im folgenden wer-
1999, Quelle: OECD, 2002a
den deshalb die Ergebnisse einer Studie mit 20 Län-
• die relativen Ausgaben für Bildungsinstitutionen
dern präsentiert. Diese Anzahl von Beobachtungen
auf Primarstufe (pro Schüler/in, relativ zum BIP
ist an der unteren Grenze der zulässigen Mindestan-
pro Kopf), Werte von 1999, Quelle: OECD,
39
2002a. So kann gemessen werden ob die reiche-
zahl für solche Analysen.
37
38
39
40
41
42
43
Die Schule mit ihren spezifischen Einflussfaktoren wäre eine dritte Ebene, die einzubeziehen sinnvoll wäre. Da Kanada sämtliche Daten,
welche die Schulebene beschreiben, unter Verschluss hält, konnten diese in der vorliegenden Analyse jedoch nicht berücksichtigt werden.
Für weitere Informationen über die technischen Voraussetzungen der Mehrebenenanalyse siehe z.B. Ditton (1998).
Die genauen Berechnungen finden sich im Anhang B, Tabellen 2 und 3
Für eine detaillierte Analyse der einzelnen Komponenten des Konstruktes «soziale Herkunft» siehe Coradi Vellacott und Wolter (2002).
Bei einem solchen Index ist die spezifische Behandlung fehlender Werte unerlässlich. In Anlehnung an die Vorgehensweise, welche für den
Index der sozialen Herkunft im internationalen Bericht zur Anwendung kam (OECD, 2001b), wurde im Fall eines fehlenden Wertes ein spezifisch reduzierter Index eingesetzt. Ein grosser Vorteil dieses Vorgehens besteht darin, dass Häufungen von fehlenden Werten (zum Beispiel die in Japan besonders hohe Zahl von rund 60 Prozent fehlenden Werten bei den Angaben zu Beruf und Ausbildung der Eltern) nicht
verzerrend wirken.
Die Variable wurde so spezifiziert, dass Schüler/innen, welche eine andere offizielle Landessprache sprechen (also nicht im «heimischen»
Landesteil zur Schule gehen), auch zu den Fremdsprachigen gezählt werden.
PPP = Purchasing Power Parity, d.h. der Wechselkurs entspricht der Kaufkraftparität.
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Tabelle 2: Werte der Vergleichsländer bei systemischen Faktoren
Anteil Schüler/
Land
BIP
Relative
Alter bei
innen mit
pro Kopf
Ausgaben
der ersten
immigrierten
in US $
Primarstufe
Selektion
Eltern
24669
16
12
11%
Belgien
Deutschland
24627
16
10
14%
Finnland
23429
18
16
1%
Frankreich
23155
18
15
12%
Kanada
26462
19
12,5
13%
Schweiz
28778
23
12
19%
Datenquelle: OECD (2002a)
ren Länder relativ zu ihrem Reichtum auch mehr
für Bildung ausgeben.
• die durchschnittliche soziale Herkunft der Schüler/innen pro Land, Quelle: eigene Berechnungen
• die relativen Ausgaben für Bildungsinstitutionen
• der durchschnittliche Anteil von Schüler/innen mit
auf Sekundarstufe (pro Schüler/in, relativ zum BIP
immigrierten Eltern pro Land, Quelle: eigene
pro Kopf), Werte von 1999, Quelle: OECD,
Berechnungen
2002a
• das Alter der Schüler/innen bei der ersten Selek-
Von den ausgewählten Systemvariablen haben sich
tion. Die Zahlen dazu entstammen einer Publika-
einige in allen Analysen als nicht signifikant erwie-
tion von Müller & Shavit (1998) und wurden dort,
sen. Diese Resultate werden deshalb nicht gesondert
wo sie offensichtlich nicht den wirklichen Werten
ausgewiesen. Als nicht signifikant erwiesen haben
entsprachen, durch die Autoren angepasst.
sich die Faktoren «Teilnahmequote von Dreijährigen
• die Prozentzahl der fünfzehnjährigen Schüler/
an Unterrichtsprogrammen im Elementarbereich»,
innen, die Schulen besuchen, in denen Kurse in
«Prozentzahl der Schüler/innen, die Schulen besu-
der Testsprache für schwache Schüler/innen
chen, in denen Kurse in der Testsprache für schwa-
angeboten werden, Quelle: OECD PISA (2000)
che Schüler/innen angeboten werden», sowie «Pro-
Datenbasis, OECD, 2002a
zentzahl der Schüler/innen, die Schulen besuchen,
• die Prozentzahl der fünfzehnjährigen Schüler/
an denen spezielles Tutoring von Lehrpersonen für
innen, die Schulen besuchen, in denen spezielles
schwache Schüler/innen angeboten wird». Unter
Tutoring von Lehrpersonen für schwache Schü-
den Variablen, welche Ausgaben für Bildungsinstitu-
ler/innen angeboten wird, Quelle: OECD PISA
tionen messen, war die Variable für die Primarstufe
(2000) Datenbasis, OECD, 2002a
am aussagekräftigsten.45 Die verbleibenden fünf Fak-
• Teilnahmequote von Dreijährigen an Unterrichtsprogrammen in Einrichtungen des Elementarbe-
44
45
46
toren wurden im Mehrebenenmodell auf zweiter
Ebene eingeführt.46
reichs für Kinder ab drei Jahren bis zur Schul-
Tabelle 2 zeigt die Werte der sechs Vergleichslän-
pflicht44, Netto-Teilnahmequoten 1999; Quelle:
der bei denjenigen Faktoren, welche entweder auf
OECD, 2001a
die Unterschiede bei den durchschnittlichen Leseleis-
Diese Quote entspricht nicht derjenigen Quote des Jahres, in denen die in PISA getesteten Schüler/innen selbst dreijährig waren. Dieser
Umstand ist dann nicht von grosser Wichtigkeit, wenn die relativen Strukturen zwischen den Ländern sich in den letzten zehn Jahren nicht
massgeblich verändert haben. Die Variable wurde vor allem deshalb gewählt, weil die OECD diese als Indikator für die Qualität eines Bildungssystems in Hinblick auf lebenslanges Lernen sieht.
Variablen können aus verschiedenen Gründen keine signifikante Erklärungskraft aufweisen. Es kann erstens sein, dass der systemische Faktor falsch operationalisiert wurde und deshalb nicht signifikant ist oder zweitens, dass dieser Systemunterschied (auch wenn er richtig
gemessen wurde) tatsächlich keine Erklärungswert aufweist.
Fünf Variablen sind in diesem Fall bereits eine grosse Anzahl, da auf der zweiten Ebene nur mit 20 Ländern gearbeitet werden kann. Das
Problem der Freiheitsgrade sollte deshalb bei der Betrachtung der Ergebnisse berücksichtigt werden.
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Grafik 1: Der Einfluss der sozialen Herkunft auf die Leseleistung 47
Schweiz
Deutschland
6 Länder
bdv_Inhalt
Frankreich
Finnland
Kanada
Belgien
20
25
30
35
40
45
50
55
Wirkung einer SD SES auf Literacy
Quelle: eigene Berechnungen; Datenquelle: Internationale Datenbank PISA 2000, OECD
tung oder der sozialen Selektivität zwischen den
Selektion hängt signifikant mit einem schwäche-
Ländern einen signifikanten Einfluss haben.
ren Einfluss der sozialen Herkunft auf die Leseleistung zusammen.
• Ein grösserer durchschnittlicher Anteil von Schü-
1.3.3 Ergebnisse
Das Modell zeigt, dass die Streuung in der Leseleis-
ler/innen mit immigrierten Eltern hängt signifikant
tung zu 79 Prozent auf Unterschieden innerhalb der
mit einem stärkeren Einfluss der sozialen Herkunft
untersuchten Länder und zu 21 Prozent auf Unter-
auf die Leseleistung zusammen.
schieden zwischen den untersuchten Ländern be-
• (Relativ) Mehr Ausgaben für Bildungsinstitutio-
ruht. Die schulischen Leistungen streuen demnach
nen auf Primarstufe hängen signifikant mit einem
hauptsächlich in den einzelnen Ländern und weniger
schwächeren Einfluss der sozialen Herkunft auf
zwischen den Ländern. Wenn man die Streuung der
die Leseleistung zusammen.
Leistungen zwischen den Ländern betrachtet, so
können von dieser interstaatlichen Varianz nur rund
Die Stärke des Einflusses der sozialen Herkunft auf
6 Prozent durch die ausgewählten systemischen Fak-
die schulischen Leistung ist in jenen Ländern grösser,
toren erklärt werden.
die einen hohen Anteil an Migrant/innen in der Test-
Ein anderes Bild zeigt sich jedoch beim Einfluss der
population aufweisen und die in einem frühen Alter
sozialen Herkunft auf die Leseleistung. Rund 60 Pro-
die erste schulische Selektion durchführen. Hingegen
zent der Varianz in der sozialen Selektivität zwischen
ist der Einfluss dort geringer, wo die Bildungsausga-
den Ländern kann durch die in Tabelle 2 dargestell-
ben relativ zum BIP pro Kopf hoch sind. Interessant
ten systemischen Faktoren erklärt werden. Für die
ist natürlich die Frage, in welchem Ausmass die ein-
Interpretation der Ergebnisse ist es wichtig klarzustel-
zelnen Systemparameter die soziale Selektivität
len, dass nicht die soziale Selektivität selbst erklärt
beeinflussen. Um die Wirkungshöhe dieser Parame-
wird, sondern die Unterschiede in der Wirkung der
ter darstellen zu können, werden deshalb Änderun-
sozialen Herkunft auf die schulischen Leistungen
gen in diesen Werten und deren Auswirkungen auf
zwischen den Ländern.
die soziale Selektivität simuliert. In der ersten Gra-
Von den ausgewählten Systemvariablen erklärt
phik wird die geschätzte soziale Selektivität darge-
nur gerade das BIP pro Kopf Unterschiede in der
stellt, wie sie in der Mehrebenenanalyse auf der
durchschnittlichen Höhe der Leseleistung zwischen
ersten Modellebene für die einzelnen Länder
den Ländern.
geschätzt wurde.
Auf die soziale Selektivität haben hingegen drei
Die Graphik ist wie folgt zu interpretieren: Verän-
der Variablen einen signifikanten Effekt:
dert sich der sozioökonomische Status (SES) der
• Ein höheres Alter der Schüler/innen bei der ersten
Eltern eines/r getesteten Schülers/in um eine
47
Für tabellarische Darstellungen der Ergebnisse kann der Anhang konsultiert werden.
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Grafik 2: Einfluss der sozialen Herkunft bei gleichem Selektionsalter wie Finnland
Schweiz
Deutschland
Frankreich
6 Länder
bdv_Inhalt
■
Finnland
■
Gleiches Selektionsalter
wie Finnland
Ursprüngliche Werte
Kanada
Belgien
20
25
30
35
40
45
50
55
Wirkung einer SD SES auf Literacy
Quelle: eigene Berechnungen; Datenquelle: Internationale Datenbank PISA 2000, OECD
Standardabweichung (SD) des SES, dann verändert
Um nun die quantitative Bedeutung der einzelnen
sich die Punktzahl auf der Leseskala in Finnland um
Systemvariablen besser abschätzen zu können, wer-
etwas über 35 Punkte, in der Schweiz um etwas über
den drei Simulationen durchgeführt (siehe Grafiken
45 Punkte. Das unterste und das oberste Quartil des
2–4), bei denen die Systemvariablen zuerst einzeln
SES liegen rund 2.433 Punkte auseinander, d.h.
und dann zusammen auf den Wert von Finnland
Schüler/innen aus dem untersten Quartil des SES
gesetzt werden.
hätten in der Schweiz eine Leseleistung, die 112
In der Schweiz wird die erste Selektion in ein hie-
Punkte (2.433 x 45) unterhalb der Leseleistung von
rarchisch aufgebautes Schulsystem sehr früh vorge-
Schüler/innen aus dem obersten SES Quartil liegt.
nommen. Ohne an dieser Stelle auf die verschiede-
Die Modellprognose des Unterschiedes von 112
nen Wirkungskanäle einer frühen Selektion einzuge-
Punkten ist somit ziemlich nahe dem tatsächlichen
hen, kann festgehalten werden, dass die frühe Selek-
Leseleistungsunterschied von 115.7 Punkten in der
tion gemäss der gefundenen Resultate den Einfluss
Schweiz.
der sozialen Herkunft auf die Leseleistung verstärkt.
Dieser Effekt ist schon in verschiedenen früheren
1.3.4 Interpretation der Ergebnisse
Studien (vor PISA) nachgewiesen und mehrmals
und Simulationen
repliziert worden.49 Gleiches gilt für den Anteil der
Mehr Ausgaben für Bildungsinstitutionen auf der Pri-
Migranten/innen an der Schulpopulation.
marstufe scheinen ein Mittel zur Eindämmung der
In einem ersten Schritt wird in allen Ländern das
starken sozialen Selektivität zu sein.48 Die Schweiz
Selektionsalter auf 16 Jahre gesetzt. Wie zu erwarten
liegt mit ihren Ausgaben (relativ zum BIP pro Kopf)
ist, reduziert sich damit die soziale Selektivität in allen
im internationalen Vergleich am oberen Ende der
übrigen Ländern, teilweise aber nur unmerklich. Der
Skala (siehe Kolonne 2 in Tabelle 2), was die soziale
Wert in Finnland bleibt tiefer als in den übrigen fünf
Selektivität in der Schweiz relativ zu den anderen
Ländern (vgl. Grafik 1). Wenn nun die gleiche Simu-
Vergleichsländern reduziert. Allerdings müssen die
lation für den Anteil der Migranten/innen an der
beiden anderen Effekte so stark sein, dass der als
Schulpopulation vorgenommen wird (siehe Grafik 3),
positiv zu wertende Einfluss der Bildungsausgaben
ergeben sich tendenziell die gleichen Effekte (da
überkompensiert wird.
Finnland den tiefsten Migrant/innenanteil hat), die
48
49
Der Einfluss der Bildungsausgaben auf die soziale Selektivität ist nicht a priori eindeutig und klar. Unter Umständen könnte es nämlich auch
so sein, dass die höheren Ausgaben primär den Schüler/innen zufliessen, die schon einen Vorteil haben und somit die sozioökonomisch
bedingten Leistungsunterschiede noch verschärfen. Hier finden wir aber einen umgekehrten Effekt, d.h. die höheren Ausgaben dämmen
die sozial bedingten Unterschiede eher ein. Ein ähnliches Resultat finden bspw. auch Brunello und Checchi (2003) in einer Längsschnittsuntersuchung für Italien.
Rijken (1999) zeigte beispielsweise, dass bei Schüler/innen, welche zum Zeitpunkt der Selektion älter waren, der Einfluss der sozialen Herkunft kleiner ausfiel (unter Kontrolle der geringeren Anzahl Schüler, welche nach der Selektion im System verbleiben und der Art des anlässlich der Selektion gemachten Übergangs).
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Grafik 3: Einfluss der sozialen Herkunft bei gleichem Anteil der Migranten/innen in der Schulpopulation
wie Finnland
Schweiz
6 Länder
Deutschland
Frankreich
■
Finnland
■
Gleicher Migrationsanteil an
Schulpopulation wie Finnland
Ursprüngliche Werte
Kanada
Belgien
20
25
30
35
40
45
50
55
Wirkung einer SD SES auf Literacy
Quelle: eigene Berechnungen; Datenquelle: Internationale Datenbank PISA 2000, OECD
Grafik 4: Einfluss der sozialen Herkunft bei gleichem Anteil der Migranten/innen an der Schulpopulation
und gleichem Selektionsalter wie Finnland
Schweiz
Deutschland
6 Länder
bdv_Inhalt
Frankreich
■
Finnland
■
Migrationsanteil an Schulpopulation und Selektionsalter
wie Finnland
Ursprüngliche Werte
Kanada
Belgien
20
25
30
35
40
45
50
55
Wirkung einer SD SES auf Literacy
Quelle: eigene Berechnungen; Datenquelle: Internationale Datenbank PISA 2000, OECD
Auswirkungen sind aber sichtbar stärker und
trachtungen sind und dynamische Verknüpfungen
besonders für die Schweiz ausgeprägt.
und Wirkungen zwischen den Systemvariablen und
Die soziale Selektivität reduziert sich in der
zur Leseleistung ausblenden. Die Simulation hatte
Schweiz soweit, dass diese nun etwa auf der Höhe
aber zum Zweck, die Wirkungshöhe der einzelnen
Finnlands liegt. Kombiniert man nun die beiden sys-
Systemvariablen zu demonstrieren. Wie leicht
temischen Effekte (siehe Grafik 4), dann sieht man
ersichtlich ist, ist insbesondere die Wirkung des
deutlich: Hätte die Schweiz den gleichen Migran-
hohen Anteils von Migranten/innen (an der Schul-
ten/innenanteil und das gleiche Selektionsalter wie
population) auf die soziale Selektivität entscheidend
Finnland, wäre die soziale Selektivität in der Schweiz
für die gegenüber Finnland relativ hohe Selektivität
am tiefsten.50 Natürlich muss man bei diesen Simula-
in der Schweiz.51
tionen berücksichtigen, dass sie rein statische Be50
51
Die Erkenntnis, dass der hohe Migrationsanteil
Die tiefere soziale Selektivität der Schweiz relativ zu Finnland erklärt sich nun durch die relativ höheren Bildungsausgaben in der Schweiz,
d.h. die Differenz der beiden Länderwerte entspricht der Höhe des Einflusses der Bildungsausgaben auf die soziale Selektivität eines Bildungssystems.
Der Einfluss des hohen Anteils an Migrant/innen auf die soziale Selektivität erklärt sich aber nicht einfach dadurch, dass die Schweiz sich
durch eine auf unqualifizierte Arbeitskräfte ausgerichtete Migrationspolitik vor allem Migrant/innen aus den tiefen sozialen Schichten ins
Land geholt hatte. Im Mittel und in der Streuung des sozioökonomischen Status sind die Schweiz und Finnland nämlich nicht signifikant
unterschiedlich.
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und das frühe Selektionsalter die soziale Selektivität
bzw. auf die Diskriminierung von Kindern aus sozial
des schweizerischen Bildungswesen stark prägt und
tieferen Schichten. Schliesslich untersuchen wir auch
die Bildungsleistungen sozial ungleicher macht als in
die Frage, ob ein höherer Anteil an fremdsprachigen
anderen Vergleichsländern, ist zwar eine erste Inter-
Schüler/innen in einer Schule einen signifikanten
pretationshilfe, sagt aber noch nichts darüber aus,
Effekt auf die durchschnittliche Leseleistung in einer
weshalb und wie diese Wirkung zustande kommt.
Schule hat. Diese Frage ergibt sich aus den beiden
Festzuhalten gilt auch, dass die beiden Variablen
erstgestellten. Wenn Ressourcenrestriktionen und
keine signifikante Erklärung für die Unterschiede bei
Diskriminierung bei der Selektion in Schulstufen Kin-
der durchschnittlichen Leseleistung zwischen den
der aus tieferen sozialen Schichten und Migranten/
Vergleichsländern liefern, sondern nur die Unter-
innen in tiefere Schulniveaus und in die gleichen
schiede bei der sozialen Selektivität erklären.
Schulen zwingen, muss befürchtet werden, dass ihr
schulischer Erfolg damit zusätzlich geschmälert und
die Diskrepanz zwischen den schulischen Leistungen
1.4 Wie kommt soziale Selektivität
zustande?
von Schüler/innen aus unterschiedlichem Elternhaus
Obwohl es nicht möglich ist, diese Frage abschlies-
1.4.1 Der Einfluss der Ressourcenausstattung von
send zu erklären, werden hier erste Resultate aus
Eltern auf die schulische Leistung der Kinder
vergrössert wird.
Analysen präsentiert, die wenigstens teilweise erklä-
Die Untersuchung, ob Ressourcen eine Rolle spielen,
ren können, weshalb ein hoher Migrant/innenanteil
wurde mit dem Konzept der Geschwisterrivalität
oder eine frühe schulische Selektion sich verschär-
(«sibling rivalry») angegangen (siehe Wolter &
fend auf die sozialen Unterschiede im Bildungswesen
Coradi Vellacott, 2002). Dies, weil über die Ressour-
auswirken können.
cenausstattung der Eltern im PISA Fragebogen keine
In der Literatur werden drei verschiedene Wir-
genauen Angaben gemacht werden. Über das Ver-
kungskanäle des sozialen Hintergrundes auf die
mögen der Eltern ist gar nichts bekannt und das Ein-
schulischen Leistungen unterschieden52: (1) Erwar-
kommen der Haushalte wird im Schülerfragebogen
tungshaltungen der Eltern, (2) Ressourcenausstat-
lediglich mit Hilfskonstrukten abgebildet. Beim Kon-
tung der Eltern und (3) Diskriminierung im Schulsys-
zept der Geschwisterrivalität wird getestet, ob Kinder
tem. Die im Mehrebenenmodell der PISA Länder
aus kinderreicheren Familien bei einer Berücksichti-
gefundenen Systemvariablen, Migrant/innenanteil
gung aller beobachtbaren Unterschiede zwischen
und Selektionsalter, lassen darauf schliessen, dass die
den Familien (d.h. ceteris paribus) schlechtere schuli-
Ursachen für die relativ hohe soziale Selektivität des
sche Leistungen aufweisen als Kinder mit wenigen
schweizerischen Bildungswesens hauptsächlich bei
oder gar keinen Geschwistern. Nach der Kontrolle
den beiden letzten Wirkungskanälen liegen. Diese
aller beobachtbaren Unterschiede zwischen den
beiden werden deshalb mit vertieften Analysen wei-
Familien kann nämlich davon ausgegangen werden,
ter untersucht, und zwar anhand von drei Problem-
dass kinderreiche Familien pro Kind weniger
stellungen. Die erste untersucht die Frage, ob sich
Ressourcen (Zeit und Geld) ausgeben können als
aufgrund unterschiedlicher Ressourcenausstattungen
Familien mit weniger Kindern. Voraussetzung dafür,
der Eltern ein Einfluss auf die Unterschiede in den
dass sich ein solcher Effekt feststellen lässt, ist natür-
53
schulischen Leistungen zeigen lässt. Die zweite ana-
lich auch der Umstand, dass familiäre Ressourcen
lysiert das Selektionsverfahren beim Übertritt in
überhaupt eine Rolle für den schulischen Erfolg der
höhere Schulstufen in Hinsicht auf die Neutralität,
Kinder spielen.
52
53
«(1) The education process in middle- and upper-class families might promote the development of attitudes that match the demand of the
school-type learning environment, (2) upper class families simply provide better learning resources, and (3) upper class students enjoy direct
favoritism in the formal or informal setup of the school system.» (Schnabel et al., 2002, p. 179)
Die OECD geht in ihrer neuesten Publikation zu PISA genauer der Frage nach, ob es sich beim Einfluss des sozialen Status um eine Übertragen von Erwartungshaltungen, Freude am Lesen oder ähnliche Prädispositionen handelt (siehe OECD, 2002b). Elterliche Erwartungen
und Werte wirken quasi als Mediatoren des sozialen Status auf die Leistungen der Kinder ein. Eine genaue Untersuchung der Unterschiede
zwischen den Ländern in diesem Bereich wurde hier aber nicht speziell vorgenommen. Vor allem auch deshalb, weil die Prozesse, mittels
deren diese Vermittlungen stattfinden, teilweise auch kulturabhängig sind und deshalb schwierig in einen internationalen Vergleich einzubeziehen sind. Die internationalen Resultate sind denn auch häufig durch einige Extremwerte in einzelnen Ländern geprägt.
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Tabelle 3: Der Einfluss sozialer Herkunft und der Anzahl Geschwister auf die Leseleistung:
Geschätzte Durchschnittswerte für die Schweiz
Einheimische Familie
Migrantenfamilie
2-Kind Familie hoher sozialer Status
569
492
2-Kind Familie tiefer sozialer Status
484
443
5-Kind Familie tiefer sozialer Status
475
379
Quelle: eigene Berechnungen; Datenquelle: Internationale Datenbank PISA 2000, OECD
Die Ergebnisse lassen sich folgendermassen
Die Länder mit den grössten Effekten sind die
zusammenfassen: auch wenn für den Sozialstatus
Schweiz, Deutschland und Belgien. Die Gruppierung
und weitere sozio-demographische Kriterien kontrol-
der Länder folgt also dem Muster, das sich auch bei
liert wird, senkt ein zusätzliches Kind in einer Familie
der Analyse des Effektes des Sozialstatus auf die
die durchschnittliche schulische Leistung der (getes-
Leseleistung zeigt, nur dass sich jetzt die Effekte auch
teten) Kinder dieser Familie signifikant. Die Effekte
zwischen Familien beobachten lassen, die der glei-
sind konzentriert in den Familien der unteren Hälfte
chen Gruppe des Sozialstatus angehören.
des Sozialstatus und verstärkt in fremdsprachigen
Zudem lässt sich aus den Analysen ablesen, dass
Familien zu finden. Die Resultate weisen daraufhin,
Kinder ärmerer oder kinderreicher Familien häufig
dass es in allen sechs Ländern eine grössere Zahl von
nicht über die physische Infrastruktur (eigenes Zim-
Familien gibt, deren Kinder im öffentlichen Schulsys-
mer, etc.) im Elternhaus verfügen, welche Vorausset-
tem benachteiligt sind, weil es den Eltern an
zung für eine erfolgreiche schulische Leistung wäre.
Ressourcen mangelt oder die familiären Ressourcen
Dieser Umstand ist gerade in der Schweiz besonders
qualitativ schlechter sind als die anderer Eltern. Da
ausgeprägt. Gleiches lässt sich für die verminderte
die Effekte umso stärker ausfallen, wenn ein tiefer
soziale Interaktion in den betreffenden Familien
sozialer Status und ein Migrationshintergrund kom-
sagen.
biniert sind, sind natürlich die sogenannten Risiko-
Die Effekte sind ziemlich ausgeprägt; ein ausge-
gruppen, bei denen sich die Ressourcenrestriktionen
wähltes Ergebnis (siehe Tabelle 3) mag dies verdeut-
signifikant negativ auf die schulischen Leistungen
lichen. Während die durchschnittliche Leseleistung
der Kinder niederschlagen, in den einzelnen Ländern
eines Kindes aus einer Schweizer Familie praktisch
unterschiedlich gross. Der hohe Anteil an Migran-
nicht durch die Anzahl der Geschwister beeinträch-
ten/innen in der Schweiz führt zu einer deutlich
tigt wird (auch wenn die Familie aus einem tiefen
grösseren Risikogruppe als in anderen Ländern.
sozialen Status stammt), ist der Effekt bei Migran-
Obwohl die Resultate darauf hindeuten, dass
ten/innen überaus stark. Ein Kind aus einer Migran-
familiäre Ressourcen in allen sechs Vergleichsländern
tenfamilie in der Schweiz mit vier Geschwistern fällt
eine Rolle spielen, sind klare Unterschiede zwischen
auf eine durchschnittliche Leseleistung, die unter
den Ländern auszumachen (siehe Wolter 2003), die
dem Durchschnitt von Brasilien liegt (schlechtestes
wiederum auf kompensierende Massnahmen im Bil-
Land in PISA 2000).
dungswesen oder auch in der Sozialpolitik zurückgeführt werden können. Die Länder lassen sich in zwei
1.4.2 Schulische Selektion
Gruppen aufteilen, welche sich in den Effekten sta-
Die frühe schulische Selektion kann sich auf ver-
tistisch signifikant voneinander unterscheiden. Die
schiedene Art und Weise auf die soziale Selektivität
Länder mit den geringsten Effekten (in aufsteigender
des Bildungssystems auswirken.54 Wenn bei der frü-
Reihenfolge) sind Finnland, Kanada und Frankreich.
hen Selektion einerseits keine Diskriminierung erfol-
54
Es ist zu beachten, dass auch in Ländern ohne frühe Selektion in Schultypen dennoch leistungsmässig orientierte Gruppierungen der Schüler/innen in Schulen oder gar Klassen vorgenommen werden. Dies ist traditionellerweise in den USA der Fall (dort unter dem Namen «tracking» bekannt), kann aber auch in anderen Ländern beobachtet werden. Obwohl es eine recht umfangreiche Literatur zu dieser Thematik
gibt, sind die Effekte auf die durchschnittliche Leistung oder auf den Einfluss des sozioökonomischen Umfeldes auf die Leistungen umstritten (siehe Ireson et al., 2002, Meijnen & Guldemond, 2002 als Beispiele für die jüngste Literatur zu diesen Themen). Diese auf Klassenebene
zu verortenden Einflüsse können aber mit PISA Daten schlecht untersucht werden, da die Stichproben auf der Schulebene gemacht wurden.
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ÜBERSICHT ÜBER PISA ERGEBNISSE
gen würde und zudem die Schulen nach der Selek-
auf, die Selektion in der Schweiz auf das Kriterium
tion die Kinder alle gleichermassen fördern würden
der Chancengleichheit hin zu überprüfen, soweit
(relativ zu ihrem Bildungspotential), dann würden die
dies mit den PISA Daten möglich ist.
Unterschiede zwischen den Kindern durch die Selek-
Dieser Test56 ergibt, dass unabhängig vom Ein-
tion nicht verschärft, sie würden in etwa den Leis-
fluss, den die sozioökonomischen und -demographi-
55
tungsunterschieden vor der Selektion entsprechen.
schen Faktoren auf die Lesekompetenz ausüben,
Der Selektionszeitpunkt und der Umstand, dass
diese einen zusätzlichen, signifikanten Einfluss auf
selektioniert wird, hätte unter diesen Rahmenbedin-
die Wahrscheinlichkeit haben, dass sich ein/e Schü-
gungen keinen eigenen negativen Einfluss auf die
ler/in in einer höheren Schulstufe (bspw. Gymna-
soziale Selektivität. Die unter Punkt 2.3, gezeigten
sium) befindet. Zu diesen Variablen gehören (in der
Resultate lassen nun aber auf einen solchen Einfluss
Deutschschweiz) sowohl der sozioökonomische Sta-
schliessen. Deshalb müssen wir erstens vermuten,
tus, die Bildungsnähe der Eltern, wie auch der Immi-
dass Kinder nach einer frühen schulischen Leistungs-
grationsstatus. Damit verfügen wir über ein klares
selektion unterschiedlich stark gefördert werden
Indiz für einen Wirkungskanal, über welchen in der
oder bspw. in ihrer Entwicklung schon durch das
Schweiz die Bedeutung von sozioökonomischer Her-
Fehlen der entsprechend guten Referenzgruppen
kunft auf die schulischen Kompetenzen institutionell
behindert sind. Zweitens legen die Ergebnisse den
verstärkt wird.
Gedanken nahe, dass die Wahrscheinlichkeit, bei
Natürlich muss hier einschränkend auch erwähnt
einer (altersmässig frühen) Selektion in eine höhere
werden, dass mit dem Nachweis der Diskriminierung
Schulstufe eingeteilt zu werden, nicht nur von der
von Schüler/innen aus Migrantenfamilien und/oder
Leistung, sondern auch von der Herkunft abhängt.
tiefem sozialem Status in der Schweiz noch nichts
Dieser Umstand entspräche einer klaren Diskriminie-
darüber ausgesagt werden kann, ob eine solche Dis-
rung von Kindern aus sozial tieferen Schichten. Der
kriminierung in den Ländern, in denen die schulische
ursprünglich
Selektion vor allem nach dem Alter 15 einsetzt, nicht
beobachtete
Leistungsunterschied
würde sich weiter vergrössern und es käme zu einer
auch stattfindet.
schärferen sozialen Selektivität des Systems als in
Ländern, in denen die Schüler/innen länger in der
1.4.3 Unterschiede zwischen Schulen
gleichen Schule oder Klasse zusammen bleiben.
Die in 4.2 dargestellten Ergebnisse sprechen dafür,
Der Prozess der frühen Leistungsselektion kann
dass die frühe institutionelle Selektion in unter-
also zu einer verstärkten Bedeutung des sozioökono-
schiedliche Schulstufen die soziale Selektivität des
mischen Umfeldes führen. Die genauen Wirkungska-
Systems erhöht. Da Jugendliche aus tiefem sozialen
näle sind mittels der PISA Daten jedoch schwer
Milieu und mit Migrationshintergrund unabhängig
abzubilden, da man nur über eine Querschnittsinfor-
von ihrer Leistung eher in tieferen Schulniveaus ein-
mation (für das Alter 15) verfügt und nicht über
geteilt sind als andere, stellt sich die Frage, ob eine
Informationen vor und nach der Selektion. Weiter ist
Ballung solcher Jugendlichen in einem Schulhaus die
es nicht möglich, alle Vergleichsländer in die Analyse
Leistung aller Schüler/innen beeinträchtigen kann. Es
mit einzubeziehen, da nicht alle eine gleich frühe
interessiert also, ob die Zusammensetzung der Schü-
Selektion kennen. Wir beschränken uns deshalb dar-
lerschaft innerhalb einer Schule einen signifikanten
55
56
Neuere Forschungsliteratur weist darauf hin, dass Kinder schon mit grossen Leistungsunterschieden in die Schule eintreten und dass diese
Leistungsunterschiede bei Schulbeginn schon auf die unterschiedliche soziale Herkunft zurückzuführen ist (z.B. Lee & Burkam, 2002)
Der Test, den wir für unsere Fragestellung angewandt haben (die genauen Ergebnisse sind im Anhang B abgebildet), sieht folgendermassen aus: In einem ersten Schritt haben wir eine möglichst gute Schätzung der Lesekompetenzen der 15jährigen Schüler/innen vorgenommen, wobei natürlich auch die sozioökonomischen und –demographischen Faktoren berücksichtigt wurden. Diese haben denn auch alle
einen signifikanten Erklärungswert. In einem zweiten Schritt schätzen wir nun für jede/n Schüler/in die Leistungskompetenz, die sich aufgrund dieses Modells ergeben würde, d.h. welche den gesamten sozioökonomischen Einfluss auf die Lesekompetenz beinhaltet. In einem
dritten Schritt schätzen wir nun mittels eines «ordered probit» Modells die Wahrscheinlichkeit, mit der ein/e Schüler/in sich im Alter von
15 in einer (niveaumässig) höheren Schulstufe befindet. Aufgrund der leistungsabhängigen Selektion nehmen wir an, dass die geschätzte
Lesekompetenz diese Wahrscheinlichkeit erklärt. Zusätzlich integrieren wir aber noch einmal als Kontrollvariablen den sozioökonomischen
Status und andere soziodemographische Kriterien. Sollten diese nun auch noch einen signifikanten Einfluss, d.h. unabhängig von ihrem Einfluss auf die Lesekompetenz, auf die Wahrscheinlichkeit in einer höheren Schulstufe zu sein, haben, dann hätten wir den Nachweis für eine
Diskriminierung. Die genauen Berechnungen sind in der Tabelle 4 im Anhang B dargestellt. Da nur Daten für das Alter 15 vorliegen und
somit nicht direkt der Selektionsprozess abgebildet wird, ist der Test nicht vollständig eindeutig. Allerdings sind alternative Erklärungshypothesen zu der hier gemachten Interpretation der Ergebnisse ziemlich unwahrscheinlich und der Test somit gut brauchbar.
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Einfluss auf die durchschnittliche Leseleistung einer
liche Leistung in einer Schule erst ab einem relativ
Schule hat. Zu diesem Zweck wird wiederum ein
hohen Anteil auftritt. Dies bedeutet, dass Schulen
Mehrebenenmodell berechnet, wobei auf der ersten
niedrigere Anteile ohne negativen Einfluss auf die
Ebene die einzelne Schüler/innenleistung analysiert
schulischen Leistungen «verkraften» können. Wenn
wird und auf der zweiten Ebene die Unterschiede
nun der Anteil an fremdsprachigen Schüler/innen
zwischen den Schulen.57 Die einzelnen Variablen auf
in einem Land insgesamt nicht sehr hoch ist, dann
den beiden Ebenen sind in den detaillierten Tabellen
ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich in einer
im Anhang ersichtlich. Einzelne Variablen, die auch
bestimmten Schule ein Anteil an fremdsprachigen
getestet wurden, aber keine signifikanten Ergebnisse
Schüler/innen von über 20% befindet, sehr klein.
erbrachten, sind nicht dargestellt.
Dies kann eine weitere Erklärung dafür sein, warum
Die Streuung in der Leseleistung in der Schweiz ist
sich diese Effekte in der Schweiz ausgeprägt zeigen.60
zu 30 Prozent auf Unterschiede zwischen den Schu-
Generell wirkt sich ein hoher Anteil an fremdspra-
len und zu 70% auf Unterschiede innerhalb der
chigen Schüler/innen zuerst auf die Leistung dieser
Schulen zurückzuführen. Die auf der ersten Ebene
Schüler/innen aus und nicht auf jene Schüler/innen,
des Modells eingeführten Variablen erklären rund
welche die Testsprache sprechen. Die Leseleistung
24% der Streuung der Leseleistung innerhalb der
der Neuntklässler/innen, welche sich zu Hause in der
Schulen. Mit anderen Worten: die Unterschiede in
Testsprache unterhalten, wird also vom Anteil fremd-
der Leseleistung, welche sich nicht durch Schulfakto-
sprachiger Jugendlicher nicht so stark beeinflusst wie
ren ergeben, gründen zu 24% in der sozialen Her-
die Leistung der Gesamtstichprobe. Erst ab einem
kunft, der Fremdsprachigkeit, dem Geschlecht und
Anteil von über 40% Fremdsprachiger in einer
der Anzahl der Geschwister der einzelnen Schüler/
Schule fällt auch die Leistung der einheimischen
innen. Die Variablen der zweiten Ebene vermögen
Schüler/innen signifikant schlechter aus, wobei der
rund 87% der Streuung der Leseleistung zwischen
Effekt zwar statistisch signifikant, aber absolut gese-
den Schulen zu erklären. Das heisst, der Schultyp
hen nicht sehr hoch ist. Schwieriger ist nun die Frage,
(Niveau), die durchschnittliche soziale Herkunft der
warum sich der Anteil an fremdsprachigen Jugend-
Neuntklässler/innen einer Schule, der Anteil von
lichen überhaupt negativ auf deren Leistung aus-
fremdsprachigen Schüler/innen sowie die Sprachre-
wirkt, und weshalb dies erst ab einem bestimmten
gion, in der eine Schule sich befindet, sind verant-
Anteil der Fall ist. Gleiches gilt für die Beobachtung,
wortlich für 87% der zwischen den Schulen unter-
dass Schulen mit einem durchschnittlich tiefen Sozi-
schiedlichen Leseleistungen.
alstatus schlechter abschneiden. Dafür gibt es unter-
58
Wie beim sozialen Status ergeben sich auch beim
schiedliche Erklärungsmöglichkeiten, die einzeln oder
Migrant/innenanteil zusätzlich negative Effekte.
auch zusammen zutreffend sein können, die wir aber
Wenn zwei Schulen der gleichen Schulstufe den glei-
nicht dahingehend überprüfen können, ob sie auch
chen
der
wirklich gültig sind. Es handelt sich hier um ein soge-
Schüler/innen59 aufweisen, die eine aber über 20%
nanntes Identifikationsproblem bei sozialen Interak-
fremdsprachige Schüler/innen hat und die andere
tionen, welches eine eindeutige und andere Erklä-
einen Anteil von 0 bis 5%, dann wäre die durch-
rungsvarianten ausschliessende Beurteilung eines
schnittliche Leseleistung der Schüler/innen in der
Zusammenhangs verhindert.
durchschnittlichen
sozialen
Status
ersten Schule um 13 Punkte tiefer und zwar statistisch signifikant. Steigt der Anteil der fremdsprachigen Schüler/innen auf über 30% (40%), beträgt der
Die möglichen Erklärungen lassen sich in drei
Gruppierungen zusammenfassen:
1. Negativer Effekt der Interaktion zwischen den
Schüler/innen. Es kann sein, dass sich aufgrund eines
Nachteil über 17 (40) Punkte.
Entscheidend an diesen Resultaten ist die Beob-
negativen peer Effekts die Jugendlichen in ihren
achtung, dass der negative Effekt eines Anteils an
schulischen Leistungen gegenseitig hemmen (vor
fremdsprachigen Schüler/innen auf die durchschnitt-
allem bei einer hohen Konzentration von Jugend-
57
58
59
60
Für diese Analyse werden die Schweizer PISA Daten der Neuntklässlerinnen und Neuntklässler sowie ihrer Schulen benutzt.
Dieses Ergebnis deckt sich mit der von Coradi Vellacott und Wolter (2002) im nationalen Bericht der Erhebung PISA 2000 dokumentierten
erklärten Varianz der Leseleistung durch Herkunftsvariablen.
Mit der Bezeichnung «Schüler/innen» sind hier, wie erwähnt, die Neuntklässler/innen gemeint.
Allerdings sind keine international vergleichende Berechnungen angestellt worden.
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lichen mit Lernschwierigkeiten). Die unterschiedliche
Wirkung des Anteils fremdsprachiger Jugendlicher
auf ihre eigenen Leistungen und auf jene der
1.5 Vor PISA und nach PISA –
Grenzen bei der Beurteilung
von PISA Ergebnissen
Jugendlichen, welche die Testsprache sprechen,
spricht teilweise für diese Hypothese. Eine hohe
Der Umstand, dass wir mit PISA jede Kohorte nur
Anzahl von Jugendlichen aus sozial tieferem Umfeld
einmal in ihren Kompetenzen beurteilen (beim Ende
kann auch dazu führen, dass die positiven Referenz-
der obligatorischen Schulzeit), limitiert die Möglich-
personen (mit den entsprechenden Sprachkompe-
keiten, Ursachen für Kompetenzunterschiede oder
tenzen) in einer Klasse fehlen. Ebenso ist ein soge-
die soziale Differenzierung in den Kompetenzen
nanntes lock in Phänomen möglich. Ein aus der
beurteilen zu können.
Psychologie bekanntes Problem, bei welchem die
Neueste Forschungsliteratur gibt einige klare Hin-
schlechteren Schüler die besseren Schüler quasi zur
weise darauf, dass auch sozioökonomisch bedingte
Mittelmässigkeit zwingen.
Kompetenzunterschiede schon beim Schulbeginn
2. Negativer Ressourcenausstattungseffekt, der
feststellbar sind (siehe bspw. Lee & Burkam, 2002)
alle Schüler/innen derselben Schule trifft. Damit ist
und dass sich diese im Verlauf der Beschulung nicht
gemeint, dass Jugendliche in Schulen mit einem tie-
nur erhalten, sondern in vielen Fällen weiter ausge-
fen durchschnittlichen Sozialstatus oder einem
baut werden. Dies bedeutet aber auch, dass wir beim
hohen Anteil an fremdsprachigen Jugendlichen unter
Messen von Korrelationen zwischen Kompetenzen
schlechteren Infrastrukturen, schlechteren Lehrern
und Charakteristiken der Schulen, der Lehrer oder des
und auch weniger Engagement der Eltern dieser
familiären Umfeldes zum Zeitpunkt der PISA Beurtei-
Schüler/innen für die Schule leiden können. Bei die-
lung nur in Ausnahmefällen davon ausgehen können,
sem Punkt ist zu beachten, dass aufgrund der
dass es sich dabei um die kausalen Hintergründe für
schwierigeren
die festgestellten Kompetenzunterschiede handelt.
Lernsituation
eigentlich
mehr
Ressourcen für ein vergleichbar gutes Resultat wie in
einer Durchschnittsklasse notwendig wären.
Während also über die Gründe, welche zu den
festgestellten, sozioökonomisch bedingten Kompe-
3. Negative Erwartungen. Es ist auch durchaus
tenzunterschieden bei 15-jährigen Schüler/innen
möglich, dass, in der Form einer sich selbst erfüllen-
geführt haben, nur spekuliert werden kann, besteht
den Prophezeiung, Jugendliche von solchen Schulen
auch keine Gewissheit über die Folgen für die wei-
dadurch diskriminiert werden, dass Lehrer, Schulbe-
tere schulische und berufliche Karriere, die sich aus
hörden und Eltern weniger von ihnen erwarten,
diesen Unterschieden ergeben können.61
somit auch zu tiefe Ansprüche stellen und sie zu
wenig fordern.
Aus der bestehenden Literatur können wir lediglich schliessen, dass in gewissen Ländern, die in Bezug
Die Liste an möglichen Erklärungen liesse sich
auf die soziale Differenzierung in der PISA Untersu-
noch fortsetzen. Obwohl sicherlich alle der erwähn-
chung gut oder auf jeden Fall nicht schlechter als der
ten Gründe plausibel klingen, ist trotzdem noch ein-
OECD Durchschnitt abgeschnitten haben, die soziale
mal darauf hinzuweisen, dass es mit den PISA Daten
Selektion zu einem späteren Zeitpunkt in der Bil-
zwar gelingt, ein Problem zu lokalisieren, damit aber
dungslaufbahn einsetzt.62 Eine geringe soziale Diffe-
noch nicht geklärt ist, welcher Zusammenhang nun
renzierung im Alter von 15 ist also keine Garantie
wirklich kausal ist.
dafür, dass das betreffende Bildungswesen überhaupt
61
62
Das Projekt TREE des NFP 43 wird gewisse neue Erkenntnisse für weiterführende Fragen in der Schweiz bringen. Diese Resultate weisen
immerhin darauf hin, dass sich die Bedeutung der sozialen Selektivität eines Bildungssystems nach der obligatorischen Schulzeit insofern
fortsetzt, als für einen erfolgreichen Übertritt in die Sekundarstufe II oder eine Vermeidung der Jugendarbeitslosigkeit nach der obligatorischen Schulzeit vor allem die besuchte Schulstufe und nicht die Leseleistung (wie in PISA gemessen) entscheidend ist. Dies verschärft natürlich die Brisanz der hier präsentierten Ergebnisse: Wenn der Übertritt in die Sekundarstufe I diskriminierend ist, sind die Jugendlichen aus
tieferen sozialen Schichten bei einem Übertritt in die Sekundarstufe II, der aufgrund der Schulstufe erfolgt, wegen der ersten Selektion doppelt benachteiligt.
Dies ist im speziellen in den Ländern der Fall, die durch einen starken Ausbau des tertiären Bildungswesens jeweils eine Mehrheit jeder Jugendkohorte bis in die tertiäre Ausbildung bringen (müssen). In diesem Fall kann es vor und auf der Stufe Sekundar II überhaupt keine starke
Selektion mehr geben (deshalb auch keine grosse soziale Differenzierung), die Selektion hat sich aber in das tertiäre Bildungswesen hineinverschoben. Bei einer starken qualitativen Differenzierung im tertiären Bildungswesen und der damit verbundenen Hierarchisierung von Ausbildungsinstitutionen und -gängen, kann man bspw. in Frankreich (siehe Duru-Bellat 2000 und Duru-Bellat & Kieffer 2000) oder England
(siehe Reay et al. 2001) einen starken Einfluss des sozialen Status auf die gewählte Ausbildung auf der tertiären Bildungsstufe feststellen.
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Grafik 5: Sozialer Ausschluss und soziale Selektivität im Bildungswesen (EU Staaten)
0.6
Sozialer Ausschluss (erwachsene Bevölkerung)
bdv_Inhalt
0.5
P
GR
0.4
0.3
Fin
D
0.2
Lux
0.1
0.0
15
20
25
30
35
Soziale Differenzierung
40
45
50
Quelle: eigene Berechnungen; Datenquelle: Internationale Datenbank PISA 2000, OECD
keine Form von sozialer Ungleichheit kennt. Dies gilt
sieht man dies am direkten Vergleich von Finnland
insbesondere für die Selektion in das tertiäre Bil-
und Deutschland, den beiden Polen bei der sozialen
dungswesen, zu einem gewissen Grad aber auch für
Differenzierung im Bildungswesen (x-Achse). Finn-
die Beteiligungsquote an der Erwachsenenbildung.
land weist bezogen auf seine erwachsene Bevölke-
Damit wird aber die starke und frühe soziale
rung gar eine höhere soziale Auschlussquote auf als
Selektion in Ländern wie der Schweiz nicht etwa
Deutschland. Aber auch diese Beobachtung relati-
relativiert. Diese verletzt immer noch das Gebot einer
viert eine soziale Differenzierung in der obligatori-
Chancengleichheit. Es will nur bedeuten, dass für
schen Schulzeit nur insofern, dass sie nicht zwingend
einen Vergleich von verschiedenen Ländern die sozi-
zu sozialem Ausschluss führen muss, es bedeutet
ale Gleichheit im ganzen Bildungssystem mit einbe-
aber nicht, dass sie ohne Folgen bleibt.
zogen werden müsste. Weiter wäre zu testen, ob die
frühe Selektion nicht dennoch insgesamt zu einer
stärkeren sozialen Differenzierung führt, wenn man
1.6 Schlussfolgerungen
alle Bildungsstufen in die Analyse aufnimmt.
Schliesslich wäre auch der Einfluss der sozialen
Die PISA Resultate lassen den Schluss zu, dass die
Differenzierung im Bildungswesen auf die soziale
Schweiz in mehreren Gesichtspunkten, wenn nicht
Kohäsion oder den sozialen Ausschluss gesamtgesell-
gar in allen analysierten Punkten der sozialen Inte-
schaftlich zu analysieren. Dass es sich hierbei um eine
gration, schlechter abschneidet als Finnland. Bei den
separate Fragestellung handelt, zeigt sich alleine aus
Vergleichsländern Belgien und Deutschland ist in den
einer deskriptiven Analyse, welche die soziale Diffe-
meisten Punkten eine grosse Ähnlichkeit mit der
renzierung in den PISA Daten (für die EU Staaten)
Schweiz zu beobachten, was sich schon in den einfa-
Masszahlen für die soziale Kohäsion gegenüberstellt
chen Masszahlen wie dem Unterschied zwischen
(siehe Graphik 5). Vergleicht man diese beiden
mittlerer Lesekompetenz von Schüler/innen aus der
Aspekte bivariat, findet man keinen Zusammenhang,
obersten und der untersten sozialen Klasse gezeigt
d.h. es ist nicht zu beobachten, dass Länder, die im
hatte.
PISA Vergleich eine kleine soziale Differenzierung
Auf Länderebene scheinen insbesondere zwei
aufweisen auch über eine höhere soziale Kohäsion
Faktoren die Unterschiede in der sozialen Selektivität
verfügen und umgekehrt. Besonders eindrücklich
der einzelnen Bildungssysteme zu verstärken: Erstens
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der Anteil der Migranten/innen an der schulischen
ben auf die soziale Selektivität. Wie es scheint, kön-
Population und zweitens das Alter bei der ersten
nen höhere Schulausgaben dazu verhelfen, dass die
schulischen Selektion.
sozialen Abstände teilweise wieder geschlossen wer-
Es kann nicht abschliessend beurteilt werden,
den können. Über welche Kanäle diese positive Wir-
weshalb ein hoher Anteil an Migranten/innen an der
kung sich entfaltet, ist allerdings damit noch nicht
Schulpopulation die soziale Selektivität verschärft.
ergründet, und bedürfte auch hier genauerer Abklä-
Zwei mögliche Wirkungskanäle konnten jedoch
rungen.
identifiziert werden. Erstens führt ein hoher Anteil an
Insgesamt ist hervorzuheben, dass die systemi-
fremdsprachigen Jugendlichen zu einer Konzentra-
schen Variablen in ihren Wirkungen derart stark sind,
tion von fremdsprachigen Kindern in einzelnen Schu-
dass die Schweiz ohne weiteres eine gleich tiefe sozi-
len, was die durchschnittliche Leistung dieser Schu-
ale Selektivität aufweisen würde wie Finnland, wäre
len signifikant senkt. Wenn nun die Tatsache, dass es
der Migrationsanteil und das Alter der ersten schuli-
viele fremdsprachige Jugendliche gibt, dazu führt,
schen Selektion gleich wie in diesem Land. Während
dass die Schulen sozial und herkunftsmässig ent-
man letzteres mit einem Umbau des Bildungswesens
mischt werden (sei es durch freie Schulwahl wie in
durchaus – wenn auch erst längerfristig – durchset-
Belgien oder de facto Schulwahl über die Wohnorts-
zen könnte, ist ersteres eine durch die Migrationspo-
wahl wie in der Schweiz oder in Frankreich), dann
litik der Schweiz vorgegebene Grösse, die nicht
entsteht eine soziale «Gettoisierung» der Schulen,
durch die Bildungspolitik beeinflusst werden kann.
welche die Leistungsunterschiede zwischen sozialen
Um also die soziale Selektivität im schweizerischen
Schichten verschärft. Zweitens kann ganz klar eine
Bildungswesen zu reduzieren, muss nach Wegen
Diskriminierung von sozial schwächeren oder auslän-
gesucht werden, wie man trotz dieser ungünstigen
dischen Jugendlichen beim Übertrittsprozess in die
Ausgangslage die negativen Folgen mindern kann.
Sekundarstufe I festgestellt werden, welche diese
Dabei ist abschliessend zu bemerken, dass man für
Selektivität noch einmal verstärkt.
diese Lösungswege schwerlich auf ausländische
Die frühe Selektion selbst wirkt über verschiedene
Erfahrungen zurückgreifen können wird, da die
Kanäle auf die soziale Selektivität des Systems. Die
anderen Länder aufgrund anderer Bildungssysteme
erste Ursache ist natürlich der Umstand, dass über-
und Migrationspolitik gar nie gezwungen waren,
haupt vor dem «PISA-Alter» selektioniert wird.
gegen die negativen Auswirkungen solcher Rahmen-
Zudem – und dies bedürfte sicherlich weiterer For-
bedingungen bildungspolitische Massnahmen zu
schung – ist zu vermuten, dass die Zuteilung zu
ergreifen.
unterschiedlichen schulischen Stufen die schon vor
der Selektion bestehende soziale Differenzierung
dadurch verstärkt, dass die einzelnen Schulstufen die
1.7 Literatur
Jugendlichen nicht alle gleichermassen fördern. Dies
wird alleine dann offensichtlich, wenn man sich in
Brunello, G., Checchi, D. (2003): School Quality and
Erinnerung ruft, dass die einzelnen Schulstufen in der
Family Background in Italy, IZA Discussion Papers
Schweiz teilweise ganz unterschiedliche qualitative
No. 705, Bonn: IZA.
Ansprüche an die Lehrpersonen stellen. Weiter sind
Coradi Vellacott, M., Wolter, S.C. (2002): Soziale
die verschiedenen Schulstufen häufig auch geogra-
Herkunft und Chancengleichheit, in: BFS & EDK
phisch in anderen Schulen untergebracht, was eine
(Hrsg.), Für das Leben gerüstet? Nationaler Bericht
Gettoisierung begünstigt. Dass die schlechteren
der Erhebung PISA 2000, Bildungsmonitoring, Neu-
Schulen oft räumlich in einem allgemein schlechteren
enburg: BFS.
wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umfeld ange-
Ditton, H. (1998): Mehrebenenanalyse. Grundlagen
siedelt sind und somit weniger Förderung und Unter-
und Anwendungen des Hierarchischen Linearen
stützung von Eltern, Quartiervereinen, Arbeitgebern,
Modells. Weinheim; München: Juventa Verlag.
etc. erwarten können, führt zu einer multiplen
Duru-Bellat, M. (2000): Social Inequalities in the
Benachteiligung der sozial schwächeren und fremd-
French Education System: The joint Effect of Indivi-
sprachigen Jugendlichen.
dual and Contextual Factors, Journal of Education
Positiv für den schweizerischen Fall ist alleine der
signifikant reduzierende Effekt höherer Schulausga-
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2003
Policy, Vol. 15 (3), pp. 30–40.
Duru-Bellat, M., Kieffer, A. (2000): Inequalities in
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Rivalry: A Look at Switzerland with PISA Data, IZA
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2 Länderberichte
Die Beschreibung und Beurteilung von Bildungssyste-
Belgien im Gegensatz zu Finnland, Kanada und
men bezüglich ihrer Wirkung auf soziale Selektivität
Frankreich nicht gelingt, den Einfluss des familiären
ist sehr komplex, da soziale Selektivität einerseits
Hintergrundes – unabhängig vom Sozialstatus – zu
immer in einem bestimmten wirtschafts-, sozial- und
kompensieren. Die statistischen Betrachtungen und
bildungspolitischen Kontext stattfindet, andererseits
Ergebnisse können allerdings die komplexen Bedin-
durch familiäre Faktoren mitbedingt ist. Eine umfas-
gungen zwischen diesen und weiteren Faktoren
sende, systematische Darstellung der einzelnen Bil-
nicht adäquat berücksichtigen. Auch lassen sie keine
dungssysteme mit dem Ziel, daraus die für die sozi-
Aussagen über die Entwicklung der sozialen Selekti-
ale Selektivität relevanten Faktoren abzuleiten, muss
vität vor und nach dem 15. Lebensjahr zu. Hier kön-
an der Vielschichtigkeit und Komplexität der ausser-
nen die Länderberichte helfen, einige Zusammen-
schulischen Einflussfaktoren und der Bildungssys-
hänge besser zu verstehen und weitere Hypothesen
teme scheitern. Eine umfassende Darstellung der Bil-
zu entwickeln und zu verfolgen.
dungssysteme kann somit im Rahmen dieser Studie
Die im empirischen Teil definierten Ebenen (vgl.
nicht geleistet werden. Vielmehr soll hier einerseits
1.3.2) sollen für die Länderberichte weiter aufgeteilt
eine länderspezifische Vertiefung der empirischen
werden, um der Komplexität von Schulsystemen
Ergebnisse stattfinden, andererseits eine Ergänzung
Rechnung zu tragen. Wie bereits in der Einleitung
mit Informationen und Daten erfolgen, welche für
bemerkt, soll die Mehrdimensionalität dieser Frage-
eine quantitative Analyse nicht zugänglich waren.
stellung auf folgenden Ebenen berücksichtigt wer-
Wie im Kapitel 1 ausgeführt, kann 60% der sozi-
den: a) Politischer, sozialer und demographischer
alen Varianz in der Leseleistung zwischen den Län-
Kontext; b) Schul- und Bildungssystem; c) Schulge-
dern mit den relativen Bildungsausgaben, dem Alter
meinde und Schule; d) Lehrperson, Klasse und Unter-
bei der ersten Selektion sowie mit dem unterschied-
richt sowie die e) Familien, Kinder und Jugendliche.
lichen Anteil der Schülerinnen und Schülern mit
Auf diesen Ebenen können die relevanten Faktoren
immigrierten Eltern erklärt werden. Zudem zeigt sich,
noch wie folgt unterschieden werden: Handelt es sich
dass die (frühe) Selektion durch Bildungssysteme
bei einem bestimmten Indikator eher um eine Ursa-
offensichtlich nicht nur aufgrund des Leistungspo-
che, Begebenheit oder Voraussetzung (Strukturindi-
tentials der Schülerinnen und Schüler erfolgt, son-
katoren), um die Gestaltung oder Steuerung eines
dern dass auch soziale Faktoren vor der Selektion
Prozesses (Prozessindikatoren) oder um eine Wir-
wirken und dass nach der Selektion eine unter-
kung oder eine Folge (Ergebnisindikatoren)? Mit der
schiedlich starke Förderung erfolgt. Ein weiteres
ergänzenden Einteilung in Struktur-, Prozess- und
wichtiges Ergebnis ist die Tatsache, dass es den Bil-
Ergebnisindikatoren können alle möglicherweise
dungssystemen in der Schweiz, Deutschland und
relevanten Faktoren systematisch dargestellt werden.
a) Politischer, sozialer und demographischer Kontext
Strukturindikatoren
Prozessindikatoren
Ergebnisindikatoren
• Sozialpolitik
• Steuerungssysteme
• Auswirkung des Sozialstatus
• Einwanderungspolitik
• Entscheidungswege
• Migration
• Prozesse kultureller
• Bildungsausgaben
Integration und
• Bevölkerungsstruktur
Identitätsbildung
auf Wohnort
• Armut, Arbeitslosigkeit,
soziale Schichtung
• Gesundheit der Bevölkerung,
soziale Kohärenz
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LÄNDERBERICHTE
b) Schul- und Bildungssystem
Strukturindikatoren
Prozessindikatoren
Ergebnisindikatoren
• Finanzpolitik im Bildungs-
• Schulwahlmöglichkeit
• Repetitionsraten
• Promotion
• Anteil segregierter Kinder
• Unterstützungssysteme
• Gestaltung der Übergänge
• Drop-out-Raten
• Betreuungssysteme
• Umsetzung der Bildungspolitik
• Tiefe oder fehlende
bereich
ausserhalb des Unterrichts
• Reformprozesse
Bildungsabschlüsse
• Lehrplan und Organisation
• Ausdifferenzierung des
Bildungsangebotes
• Werte und Einstellungen
c) Schulgemeinde und Schulen
Strukturindikatoren
Prozessindikatoren
Ergebnisindikatoren
• Charakteristiken der einzelnen
• Organisation der Schule
• Zufriedenheit der Lehrpersonen,
• Unterstützung für Eltern
Schulen
• Zusammensetzung der Schule
• Finanzielle und personelle
(z.B. durch Dolmetscher)
• Wahl der Schule
• Flexibilität der Bildungs-
Ressoucen
• Qualitätssicherungssysteme
Eltern
• Einbindung der Schule in
angebote
soziales Umfeld
• Gewaltproblematik in Schulen
• Leistungen und Fertigkeiten der
• Aktivitäten ausserhalb des
• Schulleitung
Unterrichts
Schüler/Schülerinnen
• Qualität der Beziehungen in
• Ausschlussprozesse
den Schulen
d) Klassen, Lehrpersonen und Unterricht
Strukturindikatoren
Prozessindikatoren
• Ausbildung und Weiterbildung
• Organisation des Unterrichts
• Qualität des Unterrichts
• Vorhandene Unterstützungs-
• Individualisierung
• Qualität der Beziehungen in
Ergebnisindikatoren
• Umgang mit Heterogenität
systeme
einzelnen Klassen
• Umgang mit Schülern, die
• Unterrichtsorganisation
auffällig werden
(z.B. Teamteaching)
• Zusammensetzung der Klasse
• Beziehungen und Beziehungspflege
e) Familien, Kinder und Jugendliche
Strukturindikatoren
Prozessindikatoren
Ergebnisindikatoren
• Ethnische Herkunft und
• Teilnahme an schulischen
• Anteil an Kindern mit
Aktivitäten
Verweildauer
• Alter, Geschlecht, Anzahl
Geschwister
• Zuteilung der Kinder zu
Gesundheitsproblemen,
• Freizeitaktivitäten
Gewaltproblematik
• Teilnahme an Jugendkultur
• Übertritt in höhere Ausbildungen
• Beziehungen und Kommuni-
• Anteil an Kindern ohne Bildungs-
kation in der Familie
Schultypen
• Bisherige Bildungserfahrungen
abschluss oder Berufsbildung
• gesellschaftliche Partizipation
der Familien
• Bildungsnähe der Eltern
• Beruf der Eltern
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Nicht alle Faktoren in dieser Auflistung können für
Schülerinnen und Schülern zentral sind, können
jedes Land diskutiert werden, doch bietet diese
diese Faktoren hier nicht erschlossen werden. Letzt-
Übersicht eine Orientierung für die Länderberichte.
lich müssen auch die zentralen Fragen unbeantwor-
In diesen werden einige der Ergebnisse aus den
tet bleiben, inwieweit Eigenschaften eines Schulsys-
Mehrebenenanalysen thematisch vertieft und im
tems auch von den besonderen sozialen und gesell-
Kontext des jeweiligen Bildungssystems diskutiert:
schaftlichen Bedingungen abhängig sind. So lässt
• Soziale und kulturelle Herkunft der Schüler und
sich etwa durch die Länderberichte nicht beantwor-
Schülerinnen
ten, ob in Finnland die späte Selektion von Schüle-
• Frühe Förderung und Betreuung
rinnen und Schülern oder die integrative Ausrichtung
• Selektionsalter und -mechanismen
der Stütz- und Fördermassnahmen bei weitreichen-
• Unterstützungssysteme
der lokaler Ausgestaltungsfreiheit auch unter den
• Schulwahl
schweizerischen Systembedingungen (z.B. statt 1%
einen Anteil von 19% Migranten) funktionieren
Zudem können zahlreiche Faktoren in den Länderbe-
würde.
richten berücksichtigt werden, zu denen für die
Die Länderberichte folgen einer für das jeweilige
Mehrebenenanalyse keine Daten zur Verfügung
Land relevanten Strukturierung der wichtigsten
standen. Sie ergänzen, illustrieren und weiten die
Ergebnisse zu den oben genannten Faktoren. Dies
Ergebnisse des quantitativen Teils aus und können
hat zur Folge, dass die Bildungssysteme nicht syste-
Beziehungen zwischen den oben genannten Fakto-
matisch entlang einem gleichbleibenden Raster dar-
ren und weiteren Eigenschaften der Bildungssysteme
gestellt werden. Vielmehr setzen die Länderberichte
herstellen:
dort Schwerpunkte, wo sich einerseits aus den quan-
• Migrationspolitik und gesellschaftlicher Kontext
titativen Ergebnissen vertiefende Betrachtungen auf-
• regionale Unterschiede (z.B. in der Konzentration
drängen, andererseits länderspezifische Mechanis-
fremdsprachiger Kinder)
men zur Frage der sozialen Selektivität darzustellen
• weitere länderspezifische Faktoren, welche direkt
sind.
oder indirekt mit Selektionsmechanismen oder
Statistische Angaben zu den ausgewählten Län-
sozialer Selektivität in Beziehung stehen (z.B. ver-
dern und Informationen zu den Bildungssystemen
spätete Einschulung, Repetition oder sonderpäda-
sind im Anhang A zusammengestellt. Für eine syste-
gogische Massnahmen)
matische Übersicht zu allen Bildungssystemen und
• Faktoren der Schulorganisation (z.B. Integrative
ausgewählten thematischen Vergleichen sei auf
Ausrichtung, Schulautonomie und nationale Leis-
Eurydice63 verwiesen (Informationssystem der Euro-
tungsmessung bei Ländern mit guten Leistungen
päischen Union für das Bildungswesen).
und geringer sozialer Selektivität)
• Situation sozial und sprachlich benachteiligter
2.1 Französisches und
flämisches Belgien
Kinder und Jugendlicher
Daneben gibt es auch einige Ergebnisse der Mehrebenenanalyse, die nicht anhand der Länderberichte
Das Bildungssystem der französischen Gemeinschaft
diskutiert werden können. Hierzu gehören etwa die
kennzeichnet sich zugleich durch einen schwachen
festgestellte ausgleichende Wirkung höherer relati-
Leistungsdurchschnitt sowie durch eine sehr starke
ver Bildungsausgaben auf die soziale Selektivität
Differenzierung der Resultate auf Grund der sozialen
oder die Wirkung der Erwartungshaltung von Eltern.
und migratorischen Herkunft der Schülerinnen und
Obwohl Prozesse auf der Mikroebene wie etwa die
Schüler. Das flämische Bildungssystem verzeichnet,
Interaktion zwischen Schülerin/Schüler und Lehrper-
trotz einer auf sozialer und kultureller Ebene eben-
son oder die Merkmale des Unterrichts und der
falls grossen Ungleichheit, einen hohen Leistungs-
Zusammenarbeit in Schulhäusern gerade für die Aus-
grad.
bildung von sozial geprägten Übertrittsentscheiden
Diese zwei Gemeinschaften weisen gemeinsame
und der Einschätzung des Leistungspotentials von
Merkmale auf der Ebene von Organisation und
63
http://www.eurydice.org/Eurybase/frameset_eurybase.html
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Funktionsweise ihrer Schulsysteme auf, unterschei-
was beinahe 60% der Bevölkerung auf etwa einem
den sich jedoch auf wirtschaftlicher Ebene. Die Fest-
Viertel des Territoriums entspricht. Hinzu kommen 5
stellung, dass die soziale und kulturelle Herkunft der
grosse Städte mit mehr als 100 000 Einwohnern –
Schüler einen starken Einfluss auf ihre Leistungen in
Brüssel (beinahe 2 Millionen Einwohner mit Agglo-
der PISA-Erhebung hat, lässt sich hauptsächlich
meration), Antwerpen (463 000 Einwohner), Gent
durch ein Bildungssystem, das durch eine Wettbe-
(230 000 Einwohner), Charleroi (207 000 Einwoh-
werbssituation zwischen den Schulen gezeichnet ist,
ner) und Lüttich (196 000 Einwohner) –, und 12
erklären. Speziell in der französischen Gemeinschaft
mittlere Städte.
neigt dieses System dazu, von den herrschenden
Das BIP Belgiens liegt über jenem seiner französi-
sozialen Ungleichheiten zu zehren und ein Segrega-
schen und deutschen Nachbarn, jedoch unter jenem
tionsphänomen zwischen den Schulen zu erzeugen
der Niederlande. Die makroökonomischen Indizes
bzw. zu verstärken. Auch wenn die Immigrations-
zeichnen das Bild eines Landes, das in Bezug auf die
und die Zentrumspolitik der Gemeinschaften versu-
Einkommensverteilung64 verhältnismässig unausge-
chen, die soziale Ausgrenzung zu reduzieren, so ist
glichen ist, das ein grosses Missverhältnis bei der
zu befürchten, dass dieses deregulierte System, wel-
Arbeitsplatzaufteilung zwischen den Regionen65 auf-
ches von der Wahl der Eltern abhängt und eine Art
weist und das eine Langzeitarbeitslosenquote (mehr
Bildungsmarkt
Schulen
als 12 Monate) hat, die mit derjenigen seiner deut-
schafft, in denen die Erhaltung der Bildungsqualität
schen und französischen Nachbarn66 vergleichbar ist.
für alle Schüler ein schwer zu lösendes Problem dar-
Die Wirtschaftssituation der 90er Jahre hat dem
stellt.
Süden des Landes grosse finanzielle Schwierigkeiten
darstellt,
ghettoisierte
eingebracht, parallel dazu hat Flandern trotz der
2.1.1 Zu Belgien allgemein
Rezession und der Abwertung, die Belgien hat hin-
Belgien, Föderalstaat seit 1993, besteht aus drei
nehmen müssen, einen wirtschaftlichen Aufschwung
Gemeinschaften (flämische, französische und deut-
erlebt.
sche Gemeinschaft) und ist in drei Regionen aufge-
Im Bereich der Bildung gibt es vier parallele Bil-
teilt (Flandern – das 58% der belgischen Bevölke-
dungsnetze, die oft in Konkurrenz zu einander ste-
rung zählt-, sowie Wallonien und Brüssel-Haupt-
hen: Die öffentlichen Bildungsnetze, welche entwe-
stadt). Die drei Gemeinschaften stimmen mit den
der von den Gemeinschaften, den Regionen oder
drei Regionen nicht vollkommen überein. So umfasst
den Gemeinden organisiert sind, und das «freie» Bil-
die Region Wallonien nur einen Teil der französi-
dungsnetz (Privatschulen), das etwa 60% der Schü-
schen Gemeinschaft, jedoch die gesamte deutsche
lerinnen und Schüler auf sich vereint. Die föderale
Gemeinschaft (Brüssel-Stadt und die achtzehn umlie-
Verfassung sichert den Eltern die freie Wahl der
genden Gemeinden bilden zusammen die autonome
Schule zu.
Region Brüssel-Hauptstadt). Nebst der föderalen
Belgien hat einen verhältnismässig hohen Auslän-
Regierung (vom König nominiert) verfügt jede
deranteil (vgl. Tabelle 1, Angang A). Die Integra-
Gemeinschaft über ihre eigenen Institutionen. Die
tionspolitik für Immigranten stammt von 1989 und
Bildung (sowie die wissenschaftliche Forschung, die
hat zur Schaffung des «Commissariat royal à l’immi-
Sprachpolitik, das Gesundheitswesen usw.) liegen in
gration» geführt. Die Gemeinschaften und die
der Kompetenz der Gemeinschaften. Die Regionen
Regionen haben ihre eigenen Integrationsinstru-
behandeln alles, was das Territorium betrifft
mente definiert. In der Region von Brüssel beispiels-
(Umwelt, Landwirtschaft, Wohnungsbau usw.). Die
weise hat die Integrationspolitik ab 1997 eine Neu-
föderale Regierung kümmert sich hauptsächlich um
orientierung erfahren. Seither werden auch die emp-
das Geld, die Landesverteidigung, die soziale Sicher-
findlichen Bezirke berücksichtigt, und die Politik der
heit sowie die internationalen Beziehungen.
sozialen Eingliederung beschränkt sich nicht aus-
Belgien ist sehr städtisch geprägt. Es zählt 17
schliesslich auf die Immigranten. Die flämische
urbane Zentren mit mehr als 80 000 Einwohnern,
Gemeinschaft hat 1989 ihre eigene Politik einge-
64
65
66
Eurostat-Index, errechnet auf Grund der Daten 1999, mit einem Wert von 4.2 für Belgien (Deutschland: 3.6, Frankreich: 4.4).
Eurostat-Index von 8.1, errechnet auf Grund der Daten 2000, der höchste Wert der europäischen Länder (mit Ausnahme von Italien und
Spanien).
Eurostat-Index, errechnet auf Grund der Daten 2000, mit einem Wert von 3.8 im Vergleich zu 4 für Frankreich und 3.7 für Deutschland.
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führt, indem sie Integrationszentren für Immigranten
stufe (Verringerung der Anzahl Schulen und der
geschaffen hat. Im Juli 1996 wurde ein strategischer
Anzahl Stellen für Unterrichtende in den Jahren
Plan für die ethnisch-kulturellen Minderheiten verab-
1995–96).
schiedet, der drei Aspekte beinhaltet: Emanzipations-
Die Spaltung der Gesellschaft, die aus dieser
politik (um die Beteiligung dieser Gruppen an der
gegensätzlichen Wirtschaftsentwicklung hervorgeht,
Gesellschaft zu fördern), Aufnahmepolitik und
steht mit den grossen Unterschieden in den Ergeb-
Unterbringungspolitik. Besondere Beachtung wurde
nissen der PISA-Studie in Funktion der sozialen Her-
der Einbeziehung der betroffenen Gruppen in die
kunft der Schülerinnen und Schüler im Zusammen-
betriebene Politik geschenkt.
hang. Der Einfluss des sozialen Niveaus der Schüler
auf ihre Leistungen ist insbesondere bei der Lese-
2.1.2 Französische Gemeinschaft
kompetenz sehr ausgeprägt, wo die Abweichung
Ein Gebiet mit starken wirtschaftlichen und
zwischen dem durchschnittlichen Leistungsniveau
sozialen Kontrasten
der Schüler am oberen und der Schüler am unteren
Die französische Gemeinschaft Belgiens besitzt ein
Ende der sozialen Leiter die grösste aller Länder ist,
vergleichsmässig gehobenes soziales Durchschnitts-
die an der Erhebung67 teilgenommen haben.
niveau. Doch die schwere Wirtschaftskrise, die
Die Schüler mit einem geringen sozioökonomi-
bestimmte Regionen des Landes getroffen hat, hat
schen Status (was auf der ISEI-Skala, die die Berufe
beträchtliche Verarmungsfolgen mit sich gebracht.
von 0 bis 90 einteilt, einem Wert von 20 entspricht)
Nichtsdestotrotz hat Wallonien (Region, die einen
erreichen in der Lesekompetenz ein sehr tiefes
grossen Teil der französischen Gemeinschaft beher-
durchschnittliches Leistungsniveau; von den europä-
bergt) zwischen 1996 und 2000 eine wirtschaftliche
ischen Ländern findet sich nur Luxemburg noch auf
Wachstumsperiode erlebt. Die französische Gemein-
einem vergleichbaren Stand. Das Niveau der Schüler
schaft weist grosse Unterschiede zwischen den
mit einem gehobenen sozioökonomischen Status
Regionen auf: Die einen Regionen, wie Brüssel, die
(was auf der ISEI-Skala einem Wert von 80 ent-
mehr in Richtung tertiärer Sektor orientiert sind,
spricht) liegt im unteren Durchschnitt der europäi-
haben einen Wirtschaftsaufschwung erfahren, wäh-
schen Länder.
rend andere einen bedeutenden Rückgang hinneh-
Im Allgemeinen ist die Streuung der Resultate in
men mussten. Letzteres ist beispielsweise der Fall in
der französischen Gemeinschaft sehr gross. Mit einer
der Provinz von Hennegau (welche 1'200000 Ein-
Standardabweichung von 111 bei der Lesekompe-
wohner zählt), die traditionellerweise auf die Eisen-
tenz hat die französische Gemeinschaft gemeinsam
und Stahlindustrie und auf die Steinkohleförderung
mit Deutschland das Bildungssystem mit der ausge-
ausgerichtet ist. Sie hat eine starke Drosselung ihrer
prägtesten Leistungsheterogenität. Bei der Mathe-
Wirtschaftsaktivitäten verzeichnet, was zu einem
matik ist die Situation ähnlich, auch wenn die Stan-
bedeutenden Anstieg der Arbeitslosenquote (von
dardabweichung etwas kleiner ist (107).
14% 1996 auf 16.6% 1999) und gleichzeitig zu
einer Langzeitarbeitslosigkeit von grossem Ausmass
Ein Schulsystem, das durch Wettbewerb geprägt
geführt hat. Diese Arbeitslosigkeit hat einen Verar-
ist und zu grossen Unterschieden zwischen Schulen
mungs- und Marginalisierungsprozess bei einem
führt
beträchtlichen Anteil der Bevölkerung ausgelöst. Das
Die den Eltern überlassene Wahl der Schule (die
BIP der Provinz von Hennegau ist während dieser
durch die belgische Verfassung gewährleistet wird)
Periode in zwei aufeinander folgenden Jahren (1996
sowie das sehr breite Angebot an Schulen (auf
und 1997) gesunken.
Grund verschiedener Bildungsnetze) schafft zwi-
Das Bildungssystem der französischen Gemein-
schen den Schulen eine Wettbewerbssituation. Die-
schaft hat einen starken Rückgang der finanziellen
ses Phänomen ist mit einer extremen Dezentralisie-
Mittel erfahren, was zu grossen Sparmassnahmen
rung der Entscheidungskompetenzen zur Evaluie-
geführt hat, namentlich auf der Ebene der Sekundar-
rung der Schülerinnen und Schüler (wie dies auch in
67
Wenn wir das durchschnittliche Leistungsniveau der 25% der Schüler, deren Eltern den tiefsten sozioökonomischen Status haben (gemäss
des Internationalen Index des beruflichen Status – ISEI –, der die Berufe auf einer Skala von 0 bis 90 einteilt) mit dem durchschnittlichen
Leistungsniveau der 25% der Schüler, deren Eltern den höchsten Status haben, vergleichen, stellen wir eine Differenz von 124 fest (Durchschnitt der OECD: 82), die die grösste aller Länder ist.
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Flandern der Fall ist) und mit einer fehlenden zentra-
der sie passen sich dem Niveau ihrer Schüler an und
len Gesamtsteuerung68 verbunden. Es ist anzumer-
senken das Anforderungsniveau (Überlebensstrate-
ken, dass die Schule für jede Schulstufe selber für die
gie), oder sie lassen jene Schüler, die sie nicht behal-
Beurteilung der Lernenden und gegebenenfalls die
ten wollen, umschulen oder wiederholen, um so ein
Erteilung von Abschlüssen verantwortlich ist und
bestimmtes Erfolgsniveau69 aufrecht zu erhalten (Eli-
dass keine auf der Ebene der Gemeinschaft organi-
testrategie). Wir wohnen offenbar also einem Segre-
sierten Prüfungen existieren. Als Reaktion auf diese
gationsphänomen zwischen den «gehobenen»
Situation hat das Erziehungsministerium der Gemein-
Schulen und den «einfachen» Schulen bei (Delvaux,
schaft 1992 Ziele – so genannte «socles de compé-
1998).
tences» – beschlossen, die in drei Etappen der Schulzeit (Ende der 2. Primarklasse, Ende der 6. Klasse und
Ein System, das von einem hohen Anteil
Ende des ersten Zyklus der Sekundarstufe – 8.
Umschulungen geprägt ist
Klasse) erreicht werden müssen und die für alle Bil-
Belgien als Ganzes und die französische Gemein-
dungsnetze gelten.
schaft im Speziellen weisen sehr hohe Anteile von
Es gibt beträchtliche Unterschiede zwischen den
Wiederholungen und Umschulungen auf. So haben
Schulen in Bezug auf den Anteil durchgefallener
43% der Schülerpopulation, die an der PISA-Studie
Schüler, welche – zumindest teilweise – auf die vor-
teilgenommen hat, einen schulischen Rückstand von
herrschende Wettbewerbssituation zurückgeführt
einem oder mehreren Jahren (in Flandern beträgt
werden können. Eine Studie, die auf Grund von
diese Quote 27%). Diese Situation lässt sich auf der
Daten des Schuljahres 1991–92 (Vandenberghe, V.
Ebene des Bildungssystems dadurch erklären, dass
(1996), Functioning and regulation of educational
die Wiederholung eines Schuljahres jedes Jahr mög-
quasi-markets. Louvain-La-Neuve. Université catho-
lich ist (ausgenommen für die ersten beiden Schul-
lique, IRES) durchgeführt wurde, zeigt die bestehen-
jahre der Sekundarstufe, dies jedoch erst seit Sep-
den grossen Abweichungen zwischen den Schulen
tember 2000)70.
innerhalb der Bezirke in Bezug auf den Anteil der
In den vergangenen Jahren hat eine starke Mobi-
Kinder, welche eine Klasse wiederholen oder ausge-
lisierung gegen den schulischen Misserfolg in der
schlossen werden. So verzeichnen im Schulbezirk
französischen Gemeinschaft stattgefunden, welche
von Brüssel, welcher 135 Schulen zählt, vier Schulen
zu einer Verminderung der Anzahl Misserfolge wäh-
einen Anteil von mehr als 90% Schüler mit schuli-
rend den 6 Jahren der Primarstufe geführt hat. Ver-
schem Rückstand, wohingegen fünf Schulen einen
antwortlich hierfür ist insbesondere das Gesetz von
Anteil von mehr als 90% Schüler ohne schulischen
1983, welches mehr als eine Schuljahrwiederholung
Rückstand aufweisen. Grosse Unterschiede sind
pro Schulstufe verbietet71. Diese Politik hat (gemäss
auch zwischen den Regionen zu verzeichnen. Die
Delvaux, 1998) dazu geführt, dass der Eintritt in die
Gründe für diese Unterschiede sind nicht alleine in
Primarschule verzögert wird und dass die Schülerin-
der jeweiligen spezifischen Wirtschaftssituation der
nen und Schüler zu Beginn der Sekundarstufe ver-
Region, sondern auch in der Anzahl Schulen und
mehrt dem ersten Aufnahmejahr (Klasse B)72 zuge-
somit im bestehenden Konkurrenzgrad zu suchen.
wiesen werden, wodurch erneute schulische Rück-
Ein regelrechter Bildungsmarkt, verbunden mit dem
stände entstehen, da Schüler, die in die normale
Fehlen einer zentralen Steuerung veranlasst die
Sekundarstufe eintreten wollen, ein Jahr verlieren.
Schulen zur Wahl zwischen zwei Strategien: Entwe-
Eine weitere Auswirkung dieser Politik ist, dass Schü-
68
69
70
71
72
Um dieser Situation Abhilfe zu schaffen, wurde 1997 mittels Kommissionen – deren Aufgabe darin besteht, jährlich einen Evaluierungsbericht für das Ministerium der Gemeinschaft zu verfassen – ein System zur Evaluierung und Steuerung der Systeme eingeführt.
Wir weisen darauf hin, dass die Schulen auf Grund der zu Schulbeginn eingeschriebenen Anzahl Schüler von der Gemeinschaft subventioniert werden. Diese Vorschrift scheint zu gewissen Selektionspraktiken im Laufe des Schuljahres zu führen.
Gemäss den Daten von 1998/1999 variiert die jährliche Wiederholerrate zwischen 5.66% im 1. Primarschuljahr, 4.93% im 2. Schuljahr und
2.39% im 6. Schuljahr. Auf der Sekundarstufe beträgt die Quote im 2. Schuljahr 7.54%. Im 3. „ liegt sie bei 17.9% und im 3. „année de
qulification» bei 24.59%.
Ab 2005 ist die Wiederholung der Schuljahre vom 3. bis zum 6. Primarschuljahr nicht mehr möglich.
Die Schüler, die das am Ende der Primarschule ausgestellte Grundschulzertifikat erhalten haben, werden automatisch für die Sekundarstufe
zugelassen, deren zwei erste Jahre gemeinsam unterrichtet werden (1999 waren dies 88.6% der Schüler). Die anderen Schüler werden für
das erste Aufnahmejahr der Sekundarstufe (Klasse B) zugelassen. Jene Schüler, die das erste Aufnahmejahr bestanden haben, erhalten das
Grundschulzertifikat und dürfen in das erste Schuljahr der Sekundarstufe eintreten.
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ler mit Schwierigkeiten häufiger Sonderklassen zuge-
Ausnahme der Industriebecken von Gent und Ant-
wiesen werden.
werpen – weniger floriert und weniger industrialisiert
war als Wallonien, deren Wirtschaft zwischen Land-
Ein System, das belgische und ausländische
wirtschaft, Handel und Kleinindustrie aufgesplittert
Schüler ungleich behandelt
ist, hat in den vergangenen Jahren einen bedeuten-
Die französische Gemeinschaft zählt einen grösseren
den Wirtschaftsaufschwung erlebt und ist dadurch
Anteil Jugendlicher ausländischer Herkunft als der
zur fortschrittlichsten Region Belgiens und sogar zu
Durchschnitt der OECD-Länder (9%). In der PISA-
einer der reichsten Europas aufgestiegen. Die wirt-
Stichprobe sind 82% der Jugendlichen Belgier, 13%
schaftliche Inversion zwischen den beiden Regionen
sind in Belgien geboren und haben Eltern ausländi-
hat sich bereits vor dem 2. Weltkrieg abgezeichnet.
scher Herkunft und 5% sind im Ausland geboren. In
Nach dem Ende des Krieges hat Flandern langsam
Flandern beträgt der Prozentsatz der belgischen
Überhand über die rückläufige wallonische Wirt-
Schülerinnen und Schüler 88%. Der Anteil der Schü-
schaft genommen. Seit 1966 hat das durchschnittli-
ler, die zuhause Französisch oder eine andere Land-
che BIP pro Einwohner von Flandern jenes von Wal-
essprache sprechen, beträgt 91.7% und liegt leicht
lonien überholt. Die Arbeitslosenquote von Flandern
unter dem OECD-Durchschnitt (94.5%).
liegt bei 4.3% im Vergleich zu 10.3% in Wallonien
Bei der PISA-Studie können im Bereich der Lese-
(Quelle: Le triomphalisme de l’économie. A. Gon-
kompetenz Unterschiede zwischen autochthonen
thier et M. Mintiens, Le Monde diplomatique, avril
Schülern auf der einen Seite und Schülern der 1.
2001. Supplément: Belgique, dynamique flamande),
Generation (in Belgien geboren mit Eltern, die im
und das Durchschnittseinkommen in Flandern ist
Ausland geboren sind) und allochthonen Schülern
deutlich höher als in den beiden anderen Regionen
(sowohl Schüler als auch deren Eltern sind im Aus-
(Wallonien und Brüssel).
land geboren) auf der anderen Seite beobachtet
Dennoch weist die soziale Struktur von Flandern
werden. Hingegen weist die französische Gemein-
mit jener der französischen Gemeinschaft Ähnlich-
schaft im Vergleich zu den anderen Ländern nur
keiten auf. Dies besagt jedenfalls der internationale
einen leichten Unterschied zwischen den in Belgien
Index des beruflichen Status (ISEI), welcher anhand
geborenen Schülern mit ausländischer Herkunft (1.
der an der PISA-Studie teilnehmenden Schülerinnen
Generation; Durchschnittswert in Lesekompetenz
und Schüler errechnet wurde. Dieser Index, der die
414) und den im Ausland geborenen Schülern auf
Berufe auf einer Skala von 0 bis 90 einteilt, liegt in
(406).
Flandern bei 48 (im Vergleich zu 50 in der französi-
Die von den Schülern gesprochenen Sprache hat
einen Einfluss auf die Leseleistungen: Das Risiko für
schen Gemeinschaft). Er ist mit jenem von Deutschland und Frankreich vergleichbar (vgl. Tabelle 1).
einen allophonen Schüler (der zu Hause gewöhnlich
Flandern scheint – im Vergleich zur französischen
nicht französisch spricht) unter den schwächsten
Gemeinschaft – als Region weniger von sozialer
25% der Leser zu sein, liegt bei 3 (das bedeutet, dass
Marginalisierung gezeichnet zu sein und macht auf
das Risiko drei Mal höher ist als für einen Schüler, der
sozialer und kultureller Ebene insbesondere auf
gewöhnlich Französisch spricht). Dies ist der höchste
Grund eines schwächeren Anteils an ausländischen
Wert aller Staaten, die an der Erhebung teilgenom-
Bevölkerungsgruppen einen homogeneren Eindruck.
men haben.
Das Bildungssystem der französischen Gemeinschaft zeigt sich in Bezug auf die nationale Herkunft
Ein leistungsstarkes, jedoch Ungleichheiten
förderndes Bildungssystem
der Schüler keineswegs gleichstellungsfördernd, und
Die Ergebnisse von Flandern gehören in Lesekompe-
dies trotz der Massnahmen zur positiven «Ungleich-
tenz und in Mathematik zu den Besten der an PISA
behandlung», die gemäss dem Modell der vorrangi-
teilnehmenden Länder (Durchschnitt in Lesekompe-
gen Bildungszonen in Frankreich (vgl. Teil zu Frank-
tenz 532 und in Mathematik 543). Bei der naturwis-
reich) eingeführt wurden.
senschaftlichen Kompetenz sind die Ergebnisse von
Flandern durchschnittlich. Unter Beachtung des
2.1.3 Flämische Gemeinschaft
sozioökonomischen Status der Schülerinnen und
Ein Gebiet, das wirtschaftlich wächst
Schüler (ISEI-Index) ist festzustellen, dass die flämi-
Flandern, eine Region, die traditionellerweise – mit
sche Gemeinschaft genau wie die französische
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Gemeinschaft eine grosse Abweichung zwischen den
Ausmass (die Besten haben ein Niveau von über 626,
Leistungen der Schüler am unteren Ende und den
während die Schwächsten bei 550 liegen). Diese
Leistungen der Schüler am oberen Ende der sozialen
Unterschiede hängen in der Regel mit dem sozioö-
Leiter aufweist, auch wenn diese Abweichung klei-
konomischen Durchschnittsniveau der aufgenom-
ner ist als jene der französischen Gemeinschaft (die
menen Schülerinnen und Schüler zusammen.
Differenz liegt in Flandern bei 94, während die
durchschnittliche Differenz der OECD-Länder bei 82
Ein Bildungssystem, das für Immigranten der
liegt). Für Flandern lässt sich dieses Resultat, wenn
1. Generation nicht sehr vorteilhaft ist
man sich auf die Lesekompetenz beschränkt, einer-
Der Anteil Schülerinnen und Schüler ausländischer
seits durch ein sehr hohes Leistungsniveau der Schü-
Herkunft ist in Flandern deutlich geringer als in der
ler mit einem gehobenen sozioökonomischen Status
französischen Gemeinschaft. In der Population, die
erklären (sehr deutlich über jenem von Finnland und
an der PISA-Studie teilgenommen hat, sind 7% der
von Ländern wie der Niederlande). Zu nennen ist
Schüler nicht belgischer Nationalität (davon sind 4%
auch das Leistungsniveau der Schüler mit tiefem
gemäss den Kriterien der PISA-Studie Schüler der 1.
sozioökonomischem Status, das nahe jenem der bei-
Generation – in Belgien geborene Schüler mit im
den oben genannten Länder, jedoch über dem
Ausland geborenen Eltern – und 3% im Ausland
Gesamtdurchschnitt aller Länder liegt.
geborene Schüler). Zur Erinnerung: In der französi-
Das flämische Bildungssystem verzeichnet einen
schen Gemeinschaft sind 18% der Schüler Ausländer
hohen Leistungsgrad, führt jedoch zu einer starken
(von denen 13% Schüler der 1. Generation sind),
sozialen Differenzierung, während in der französi-
also mehr als drei Mal mehr. Die beiden Gemein-
schen Gemeinschaft Effizienz und schulische Diffe-
schaften unterscheiden sich bezüglich der Herkunft
renzierung nicht verknüpft sind. Dies liesse sich
der aufgenommenen ausländischen Bevölkerungen.
durch die Tatsache erklären, dass in Flandern ein
In Flandern sind die drei häufigsten Herkunftsländer
grösserer Anteil Schüler Sonderklassen besucht: Auf
(Basis = Nationalität der Arbeitnehmenden) die
der Primarstufe nehmen über 14% an Sonderpro-
Niederlande, die Türkei und Marokko (Flandern
grammen teil (Sonderklassen Typ B und C (gemäss
nimmt prozentual gesehen mehr türkische Staatsan-
der Klassifizierung der ISCED, 1997) im Vergleich zu
gehörige auf als die französische Gemeinschaft). In
11% auf der Sekundarstufe.
der französischen Gemeinschaft machen die Italiener
55% der in Wallonien niedergelassenen Ausländer
Ein dezentralisiertes System ohne Regulierung
aus. In Brüssel sind die Maghrebiner mit einem Anteil
Im flämischen Bildungssystem besteht wie beim Sys-
von 22% am stärksten vertreten, gefolgt von den
tem der französischen Gemeinschaft eine Wettbe-
Italienern (14.5%) und den Franzosen (13.8%).
werbssituation zwischen den Bildungsnetzen, aber
Die Wiederholeranteile am Ende der Primarstufe
im Gegensatz zum System der französischen
ist drei Mal höher bei Schülern ausländischer Her-
Gemeinschaft sind hier weniger Bemühungen für
kunft als bei flämischen Schülern (37.41% haben
eine Regulierung zu beobachten, namentlich durch
einen schulischen Rückstand von einem Jahr und
Festlegung der für die verschiedenen Schuletappen
9.22% von zwei Jahren oder mehr, im Vergleich zu
zu erreichenden Ziele. Im Gegenteil – die Politik zielt
11.24% der belgischen Schüler bzw. 0.49%). Das
sogar darauf ab, den Schulen mehr Autonomie zu
Phänomen ist im zweiten Unterrichtsjahr der Sekun-
gewähren.
darstufe noch ausgeprägter; dort finden sich 65.1%
Grosse Unterschiede zwischen den Schulen wer-
Schüler ausländischer Herkunft mit einem oder meh-
den im Bereich der Lesekompetenz gemessen. Sie
reren Jahren Rückstand im Vergleich zu 21.5% flä-
sind insbesondere bei Sekundarschulen mit techni-
mischer Schüler mit demselben Rückstand.
scher und beruflicher Ausrichtung zu beobachten,
Die Ergebnisse der PISA-Studie in Lesekompetenz
wo Schulen mit einem durchschnittlichem Leseni-
zeigen eine bedeutende Abweichung der Leistungen
veau von etwa 550 zu finden sind, während andere
von autochthonen Schülern und Schülern ausländi-
ein Niveau von etwa 410 aufweisen (und dies beim
scher Herkunft. Die autochthonen Schüler haben ein
selben sozioökonomischen Durchschnittsniveau). Bei
Durchschnittsniveau von 541. Das ist zusammen mit
den allgemeinbildenden Schulen sind ebenfalls
jenem der Niederlande das höchste aller Länder.
Unterschiede zu beobachten, jedoch in kleinerem
Aber im Gegensatz zu den Beobachtungen in Frank-
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reich, der Schweiz, der Niederlande, Deutschland,
Anteils an Migranten auf die soziale Selektivität
Österreich und Schweden haben die Schüler der 1.
deutlich. In den benachteiligten Ballungsgebieten,
Generation (in Belgien geboren) ein tieferes Leis-
wo soziale Schicht und Migrationsstatus häufig
tungsniveau (Durchschnitt D=418) als die allochtho-
zusammenkommen, wird auch in Deutschland ein
nen (im Ausland geborenen) Schüler (D=470). Die-
Kippeffekt sichtbar. Die Bedeutung des sozialen Sta-
ses Phänomen kann ebenfalls in Kanada, in Austra-
tus der Migranten für die Leistungen zeigt sich an
lien und – weniger ausgeprägt – in Irland beobachtet
den sehr guten PISA-Leistungen der Kinder immi-
werden. Die immigrierten Schüler haben beim Lesen
grierter Akademikerfamilien in höheren Schultypen.
ein Durchschnittsniveau, das über dem Durch-
Die deutschen Schulsysteme zeichnen sich durch
schnittsniveau desselben Schülertyps aller europäi-
eine starke Input-Orientierung aus (differenziertes
schen Länder – ausgenommen Irland – liegt. Die
Schulsystem, Aufsicht vor allem zur Einhaltung der
Schüler der 1.Generation haben ihrerseits ein Leis-
strukturellen Vorgaben, klare Regelungen der Über-
tungsniveau, das mit jenem der Schüler der 1. Gene-
gänge), die auf Heterogenität vor allem mit Aufglie-
ration der französischen Gemeinschaft verglichen
derung in verschiedene Schulungsformen reagiert.
werden kann, jedoch deutlich unter jenem von
Die unterschiedlichen Schulformen bieten jedoch
Frankreich und Deutschland liegt.
unterschiedliche akademische Entwicklungsmilieus.
Das flämische Bildungssystem scheint die autoch-
Die getrennt geführten Typen der Sekundarstufe I
thonen und immigrierten Schüler zu bevorteilen und
sowie die segregierten sonderpädagogischen Unter-
die in Belgien geborenen Schüler ausländischer Her-
stützungsmassnahmen bieten somit auch eine unter-
kunft deutlich zu benachteiligen. Für dieses Phäno-
schiedliche Intensität der Förderung. Hier gibt es in
men können zwei Erklärungen angeführt werden:
den Ländern unterschiedliche Traditionen, die jedoch
Die erste betrifft die sozialen und kulturellen Merk-
mit dem Leistungsniveau in keinem Zusammenhang
male der immigrierten Schülerpopulation, die deut-
stehen, jedoch möglicherweise die soziale Selektivität
lich von jenen der Population der ersten Generation
der Systeme beeinflusst.
abweichen können (es könnte daraus geschlossen
Diese Orientierung an Strukturvariablen hatte bis
werden, dass die Migration innerhalb von Europa
vor kurzen auch zur Folge, dass eine Überprüfung
gegenwärtig stärker ist als früher, aber es muss sich
der Ergebnisindikatoren in Deutschland weitgehend
dabei keineswegs um ein für Flandern spezifisches
fehlte; es wurden etwa keine zentralen Leistungs-
Phänomen handeln). Die zweite Erklärung bezieht
tests durchgeführt.
sich auf die Integrationsprobleme, welche die in Bel-
Dadurch, dass wichtige Bildungsentscheide
gien geborenen ausländischen Schüler und ihre
(Rückstellung, Repetition, Selektion beim Übertritt in
Familien möglicherweise antreffen und die sich auf
die Sekundarstufe I) früh erfolgen und durch die
ihre schulischen Leistungen auswirken könnten.
Eltern mitgestaltet werden, wirkt das deutsche Schul-
Zieht man nicht die Herkunft, sondern die von
system in hohem Masse sozial selektiv.
den Schülern zuhause gesprochene Sprache in
In Deutschland – ähnlich wie in der Schweiz –
Betracht, so liegt das Risiko für einen allophonen
kann eine Kumulation verschiedener ungünstiger
Schüler (der zuhause nicht Niederländisch spricht),
Faktoren für Migranten und sozial benachteiligte
unter den schwächsten 25% der Leser zu sein, bei
Familien festgestellt werden.
2.5 (das bedeutet, dass das Risiko zweieinhalb Mal
höher ist als für einen Schüler, der gewöhnlich
2.2.1 Zielland europäischer Arbeitsmigration
Niederländisch spricht). Der Durchschnittswert der
«Deutschland ist ein Land, das einerseits ein Über-
OECD-Länder beträgt 2 (die französische Gemein-
mass an Zuwanderung fürchtet und doch auf lange
schaft Belgiens weist einen Wert von 3 auf, den
Sicht kontinuierlich ein Mindestmass an Einwande-
höchsten aller OECD-Länder).
rung braucht. Ohne richtungweisende, umfassende
und integrale Konzeptionen aber bliebe alle Einwanderungspolitik bloss defensiv» so lauten die
2.2 Deutschland
zusammenfassenden Ergebnisse des Sechsten Familienberichts (Deutsche Regierung 2000, 200). De
Die in Deutschland vorhandenen Unterschiede in der
facto gehört Deutschland zu den Zielländern der jün-
Bevölkerungsstruktur machen die Bedeutung des
geren europäischen Arbeitsmigration, dies gilt insbe-
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sondere für die alten Länder der Bundesrepublik
struktur, erklären (ebd., 49). Ländliche Gebiete
Deutschland. Dank einem Einwanderungsüber-
haben – wie auch in der Schweiz und in den anderen
schuss73 wächst die Bevölkerung Deutschlands auch
OECD-Ländern – einen höheren Anteil von Kindern
heute noch trotz niedrigen Geburtenzahlen. Rund
und Jugendlichen, die schlechtere Leistungen erbrin-
zwei Drittel der einwandernden Einzelpersonen und
gen.
Familien stammen aus Europa; davon etwa ein Vier-
Kleinräumig betrachtet, ist der Anteil der auslän-
tel aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Am
dischen Bevölkerung in Deutschland abhängig vom
höchsten ist der Anteil ausländischer Personen an der
Wohnungsmarkt, den Standorten der Industrieanla-
Bevölkerung in den städtischen Ballungsgebieten
gen und den in vielen Grossstädten Deutschlands
(Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Hessen
entstandenen ethnischen Quartiere74. Dort bilden
sowie Grossraum München und Berlin), wo 60%
Ausländer mit längerer Aufenthaltsdauer mit der
der Ausländer und Ausländerinnen, jedoch nur 41%
alteingesessenen deutschen Bevölkerung einen sta-
der Deutschen wohnen sowie in den alten Bundes-
bilisierenden Kern, der Netzwerke und Unterstüt-
ländern. Gering ist die Ausländerdichte hingegen in
zungssysteme für Zuwanderer bereithält. «Allerdings
ländlichen Gebieten und in den neuen Bundeslän-
nur so lange, als die ansässige deutsche Bevölkerung
dern, wo nur 10% der ausländischen Bevölkerung
überwiegt, es nicht zu ethnischen Auseinanderset-
leben (vgl. ebd.). Diese Unterschiede zwischen
zungen kommt und sie nicht mit zunehmender Ten-
Anteilen der ausländischen Bevölkerung in den alten
denz als «problematische Bewohner» im Wohnbe-
und neuen Ländern Deutschlands zeigen sich auch in
zirk wahrgenommen werden» (Deutsche Regierung
der deutschen Stichprobe PISA 2000 (Baumert et al.
2000, 200). Jugendkriminalität wird nicht nur als
2002b, 56). Während unter den 15-Jährigen mit
Problem unter ausländischen Jugendlichen geschil-
Migrationshintergrund in den alten Bundesländern
dert, sondern auch unter den jugendlichen Aussied-
zwischen 14.4% (Schleswig-Holstein) und 40,7%
lern, die gleichermassen Probleme mit der Sprache
(Bremen) beträgt, liegt dieser in den neuen Ländern
und der Schule haben und ebenfalls ein erhöhtes
nur zwischen 2.9% (Thüringen) und 5.5% (Sach-
Risiko vergegenwärtigen, von Alkoholismus, Dro-
sen). Allerdings fehlen die neuen Länder in den
genproblemen oder Kriminalität betroffen zu sein.
migrations-spezifischen Auswertungen des Deut-
Die in der deutschen Analyse der PISA-Ergebnis-
schen Länderberichts (Baumert et al. 2002a, 85ff.),
sen vorgenommene Clusterbildung von verschiede-
so dass diese Unterschiede nicht näher kommentiert
nen Typen von Schulen in gleichen Schulformen gibt
werden können.
einen Hinweis darauf, dass die Sozialstruktur der
Auch weitere Unterschiede in der sozialen, wirt-
Gemeinde oder Nachbarschaft, in welcher eine
schaftlichen und demographischen Entwicklung der
Schule angesiedelt ist, wahrscheinlich einen Einfluss
neuen und alten Länder spiegeln sich in den PISA-
auf die Leistungen der Schüler und Schülerinnen hat.
Ergebnissen. Die neuen Länder der Bundesrepublik
So hat bei tieferen Schulformen ein erhöhter Anteil
Deutschland zeigen durchwegs eine geringere sozi-
an Migranten einen negativen Einfluss auf die Leis-
ale Selektivität, zum Teil auf tieferem Leistungsni-
tungen. Diese Schulen werden eher in Ballungsge-
veau als die alten Länder (vgl. Baumert et al. 2002a,
bieten anzutreffen sein. Es gibt in den Ballungsgebie-
81 und 184). Der Stadtstaat Bremen zeigt die höch-
ten jedoch auch eine Anzahl von Realschulen, die
ste soziale Selektivität bei gleichzeitig schlechtesten
erfolgreiche Kinder aus sozial besser gestellten
PISA-Leistungen und dem für Deutschland höchsten
Zuwandererfamilien aufnehmen, die zu einem gros-
Anteil an 15-Jährigen mit Migrationshintergrund
sen Teil zuhause eine andere Sprache als Deutsch
(siehe oben). Die zwischen den Ländern vorhande-
sprechen. Offensichtlich ist es für gute Leistungen
nen Unterschiede im anteilmässigen Besuch des
nicht notwendig, zuhause Deutsch zu sprechen.
Gymnasiums lassen sich in Deutschland zu einem
Neben den «normalen Gymnasien» (Anteil an
grossen Teil über Strukturmerkmale, etwa den Grad
Zuwanderer bei 8%) gibt es auch Gymnasien mit
der Urbanisierung eines Landes oder dessen Sozial-
hohen Migrantenanteilen (gut 20% der Schüler).
73
74
Im Jahre 1995 waren in Deutschland 765 221 Geburten (davon 99 700 mit ausländischer Nationalität) und 884 588 Todesfälle (davon 12
383 von Ausländern) zu verzeichnen. Es fanden 1 096 048 Zuwanderungen (davon 792 701 von Ausländern) und 698 113 Abwanderungen (davon 567 441 von Ausländern) statt (vgl. Deutsche Regierung 2000, 18).
Ausländeranteile dort bis 40%; Angaben für alle Stadtbezirke Münchens, siehe Deutsche Regierung 2000, 67ff.
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Letztere befinden sich in privilegierten Lagen und
Schule hin ausgeschrieben werden, erfolgt die Ein-
werden vor allem von Jugendlichen aus Akademiker-
stellung aller Lehrpersonen durch das Kultusministe-
familien besucht. Die Leistungen in diesen beiden
rium oder einer ihr unterstellten Behörde. Nach einer
Gymnasiumstypen unterscheiden sich nicht (vgl.
(maximal) fünfjährigen Probezeit werden Lehrerin-
Deutsches PISA-Konsortium 2001, 464).
nen und Lehrer auf Lebenszeit durch diese Behörden
in ein Beamtenverhältnis im Dienste des Landes
2.2.2 Administriertes Schulsystem und
berufen. Entlassungen können nur unter ausserge-
beamtete Lehrpersonen
wöhnlichen Umständen vorgenommen werden; als
Das deutsche Schulsystem orientiert sich vor allem
solche gelten etwa, wenn die Lehrperson die deut-
an Strukturen und der Qualität der Strukturen sowie
sche Staatsangehörigkeit (oder die eines anderen
anderen Inputfaktoren und hat sich bis vor kurzem
Mitgliedstaates der EU) verliert oder «ohne Zustim-
kaum um eine systematische und koordinierte Erfas-
mung des Dienstherrn seinen Wohnsitz oder dauern-
sung von Ergebnisindikatoren bemüht. Die Siche-
den Aufenthalt im Ausland nimmt» (Konferenz der
rung der Schul- und Lehrerqualität war somit bis
Kultusminister der Länder 2002b, 199). Diese zentral
anhin hauptsächlich über die Auswahl von Lehrper-
gesteuerten Verfahren erschweren die Profilbildung
sonen und die Sicherstellung der Voraussetzungen
der Schulen und könnten zur Folge haben, dass
für einen guten Unterricht gewährleistet. Den unter-
Lehrpersonen in Ballungsgebieten mit hohen Antei-
schiedlichen Schulungsbedürfnissen verschiedener
len an Migranten ohne entsprechende Vorbereitung
Schülergruppen wird durch ein differenziertes Ange-
und Kenntnisse ihre Arbeit aufnehmen.
bot unterschiedlichster Schulformen gerecht zu wer-
Die Ausdifferenzierung des deutschen Bildungssystems zeigt sich einerseits in den verschiedenen
den versucht.
Die Aufsicht und Qualitätssicherung des Schulwe-
Schultypen der Sekundarstufe I und andererseits im
sens in Deutschland wird durch die Schulaufsichtsbe-
getrennt geführten Sonderschul- und Sonderklassen-
hörden (Fachaufsicht, Rechtsaufsicht und Dienstauf-
wesen. In Deutschland erreichen 10% der 15-jähri-
sicht75) der verschiedenen Länder wahrgenommen.
gen die Kompetenzstufe 1 nicht. Diese Gruppe setzt
Erst in den letzten Jahren haben die Länder weitere
sich vorwiegend aus Schülerinnen und Schülern der
Massnahmen zur Sicherung der schulischen Qualität
Hauptschule (50%) und der Sonderschulen (34%)
(Systemebene und Schulebene) ergriffen, etwa durch
zusammen. Die restlichen Schülerinnen und Schüler
den Einsatz standardisierter Schulleistungstests,
unter Kompetenzstufe 1 verteilen sich auf integrierte
externer Korrektur von Prüfungsarbeiten, fokussier-
Gesamtschulen (7%); Berufsschulen (5%) und Real-
ter Evaluationen sowie schulinterner Evaluationen.
schulen (4%) (vgl. Deutsches PISA-Konsortium
1997 beschloss die Kultusministerkonferenz, diese
2001, 471). Die relativen Chancen des Besuchs die-
Bemühungen zum Gegenstand gemeinsamer Ent-
ser Schulformen stehen in engem Zusammenhang
wicklung zu machen. Zu den neu eingeführten
mit der Sozialschichtzugehörigkeit (ebd., 357). Die
nationalen Leistungsvergleichen zählt etwa die
internationalen Vorgaben der Ausschöpfungsquote
Untersuchung Deutsch-Englisch-Schülerleistungen-
zur Ziehung der PISA-Stichprobe von 80% auf Schü-
International (DESI), die im Zeitraum 2001–2005
lerebene wurde in Deutschland mit 85% erreicht
durchgeführt wird und über den Leistungsstand der
Diese verteilt sich jedoch nicht regelmässig auf die
Schülerinnen und Schüler der 9. Jahrgangsklasse
verschiedenen Schultypen. Die Schülerinnen und
berichten soll (vgl. Konferenz der Kultusminister der
Schüler der verschiedenen Schulstufen beteiligten
Länder 2002b, 218).
sich nicht im gleicher Masse an PISA (Sonderschulen
Die Mehrzahl der deutschen Lehrpersonen, insbe-
für Lernbehinderte und Verhaltensauffällige: 66,2%;
sondere in den alten Ländern der Bundesrepublik, ist
Hauptschulen: 84,3%, Realschulen: 88.3%, Gymna-
in einem Beamtenverhältnis beschäftigt; die «Verbe-
sien: 92,1% Schulen mit mehreren Bildungsgängen:
amtung» der Lehrpersonen in den neuen Ländern,
87%, Integrierte Gesamtschulen: 76,3%, Berufliche
die vor der Wende im Angestelltenverhältnis tätig
Schulen 44%; vgl. Deutsches Pisa-Konsortium 2001,
waren, ist noch im Gange. Ausser bei einigen weni-
38). Die generell ungleiche Bildungsbeteiligung spie-
gen Stellen, die auf das Profil einer bestimmten
gelt sich somit teilweise in der PISA-Stichprobe.
75
für eine nähere Umschreibung dieser Aufgaben der Aufsichtsbehörden vgl. Konferenz der Kultusminister der Länder 2002b, 216
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2.2.3 Frühe Bildungsentscheide und
und Kanada aktiv eine gemeinsame Trägerschaft und
komplexe Bildungswege
Organisation der Vorschulangebote und der Schule
In Deutschland sind die Leistungsunterschiede zwi-
fördern.
schen den Schulen wesentlich höher als die individuellen
Leistungsunterschiede
innerhalb
Nur ein Viertel der Schüler und Schülerinnen, wel-
einer
che in Deutschland das PISA-Kompetenzniveau 1
bestimmten Schule. Dies weist darauf hin, dass die
nicht erreichten, haben ihre Schulkarriere ohne zeit-
Wahl der Schule mit sozialen Faktoren und mögli-
liche Verzögerung absolviert. Gut 23% wurden
cherweise auch mit der Qualität der angebotenen
zurückgestellt und 5.5% haben eine Klasse wieder-
Schulen in Zusammenhang steht. Die Unterschiede
holt. Diese Massnahmen haben somit – mindestens
zwischen den Schulen bilden also nicht – wie etwa in
bis in Alter von 15 Jahren – keinen Vorteil gebracht
Finnland oder Norwegen – Unterschiede in der Sozi-
oder schlechte Leistungen kompensiert. Je nach
alstruktur oder lokale Differenzen in der sozialen
Land werden in Deutschland bereits bei der Einschu-
Zusammensetzung von Wohnquartieren ab, sondern
lung zwischen 5% und 14% der schulpflichtigen
sind auch das Resultat eines gegliederten Schulsys-
Kinder
tems, das vermutlich eine soziale Segregation ver-
1997, 1). Nur nach dem ersten Schuljahr rücken alle
stärkt. Bei nicht erreichten Anforderungen stehen in
Kinder automatisch in die zweite Klasse vor; danach
zurückgestellt
(Kultusministerkonferenz
Deutschland einerseits die Rückstellungen im Vor-
besteht jedes Jahr die Möglichkeit, die Klasse zu
schulalter, die Umschulungen respektive Klassen-
wiederholen. Nach der Grundschule, welche durch
wiederholungen sowie die Überweisung in sonder-
die Einschulung im 6. Lebensjahr beginnt und in den
pädagogische Institutionen zur Verfügung. Die
meisten Ländern der Bundesrepublik 4 Jahre
Wiederholeranteile etwa unterscheiden sich zwi-
umfasst76, erfolgt in Deutschland die Aufteilung der
schen den Ländern beträchtlich. Schüler mit Migra-
Schülerschaft in die verschiedenen Schultypen der
tionshintergrund sind zwar von Massnahmen wie
Sekundarstufe I. Zur Regelung des Übergangs hält
Zurückstellung oder Klassenwiederholungen viel
die Kultusministerkonferenz fest (2000, 6): «Das
häufiger betroffen, doch ist die Häufigkeit dieser
Votum der abgebenden Schule wird in allen Fällen
Massnahmen nicht von den jeweiligen Migrantenan-
mit eingehender Beratung der Eltern verbunden. Es
teilen bedingt. Vielmehr müssen sie offensichtlich als
ist je nach Länderrecht Grundlage für die Entschei-
Teil der Tradition des jeweiligen Bildungssystems ver-
dung bzw. Entscheidungshilfe für den weiteren Bil-
standen werden (Baumert et al. 2002a, 209). Die
dungsgang der Schülerinnen und Schüler. Die Ent-
Tatsache, dass drei der vier Länder (Baden-Württem-
scheidung wird entweder von den Eltern oder von
berg, Rheinland-Pfalz und Sachsen) mit den besten
der Schule bzw. der Schulaufsicht getroffen.» Der
Leseleistungen gleichzeitig unterdurchschnittliche
Übergang wird somit von der abgebenden Schule
Anteile an Wiederholern haben und dabei eine im
gestaltet; sie erteilt eine Empfehlung und berät die
deutschen Vergleich geringe soziale Selektivität auf-
Eltern in ihrer Entscheidung bezüglich der zu wäh-
weisen, legt es nahe, dass häufige Umschulungen
lenden Schulform auf der Sekundarstufe I. Sowohl
die soziale Selektivität eines Bildungssystems erhö-
die Bildungserwartungen der Eltern als auch die Ein-
hen (ebd., 184f. und 207ff.).
schätzung des Leistungspotentials durch die Lehrper-
Der Besuch eines Kindergartens oder anderer Bildungsinstitutionen
im
Vorschulbereich
ist
son sind jedoch in hohem Masse sozial gefärbt.
in
In Deutschland scheint der Entscheid zwischen
Deutschland freiwillig. In der ehemaligen DDR wur-
einer Zuweisung zu einer Hauptschule oder Real-
den diese Einrichtungen bereits früh und durchgän-
schule weniger auf die Leistung als auf die soziale
gig vom Staat eingerichtet, während der Staat in der
Schicht des Kindes abgestützt zu sein. Eltern sozial
ehemaligen BRD solche nur schuf, wenn sich keine
höherer Schichten gelingt es besser, bei gleich
privaten Träger finden liessen. Der Vorrang freier
schlechten Leistungen ihrer Kinder die Zuweisung zu
Träger vor öffentlichen Trägern findet sich auch im
einer Hauptschule zu vermeiden. Dieser Effekt gilt in
Kinder- und Jugendhilfegesetz von 1990. Diese Tren-
geringerem Masse auch für die anderen Schulfor-
nung zwischen Kindergarten und Schule zeigt sich
men. Der Einfluss des sozialen Hintergrundes auf die
auch in der Schweiz, während Frankreich, Finnland
Leistung verstärkt sich im Verlauf der Sekundarschul-
76
Ausnahmen bilden die Länder Berlin und Brandenburg; dort erfolgt der Übergang nach der 6. Klasse.
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zeit, da die Schulformen unterschiedliche «akademi-
oder des Schülers. Dies würde die Vermutung erhär-
sche Entwicklungsmilieus» bieten (vgl. Deutsches
ten, dass bei Zuweisungsprozessen soziale und
PISA-Konsortium 2001, 359). Je früher diese Ent-
schulstrukturelle Faktoren, aber vor allem auch die
scheidung fällt, desto stärker basiert sie auf sozialen
Erwartungen der Eltern von grosser Bedeutung sind.
Faktoren und nicht auf Leistungsfaktoren. Das Land
Brandenburg nimmt diese Entscheidung erst nach
2.2.4 Kumulierung ungünstiger Bedingungen für
dem 6. Schuljahr vor und erzielt (auf relativ tiefem
Migranten und sozial benachteiligte Familien
Niveau) die geringste Leistungsstreuung bei PISA.
Ob für Kinder aus sozial benachteiligten Familien mit
Das schlechte Abschneiden der Schulformen mit
Migrationshintergrund der Grundsatz «Jedem Kind
Grundanforderungen bei PISA wird auch auf die
muss – ohne Rücksicht auf Stand und Vermögen der
Belastung vor allem der Hauptschule durch die häu-
Eltern – der Bildungsweg offen stehen, der seiner Bil-
figen Wechsel wegen Rückstufungen (15,6% aller
dungsfähigkeit entspricht» (Kultusministerkonferenz
Schüler) zurückgeführt (Deutsches PISA-Konsortium
2000, 4) auch für sozial und sprachlich benachtei-
2001, 476). Dieser Prozess führt gleichzeitig zu einer
ligte Kinder und Jugendliche gilt, ist aufgrund der
Homogenisierung des Gymnasiums und zu breiteren
PISA-Ergebnisse zu bezweifeln. Sowohl fremdspra-
Streuungen in den unteren Leistungsstufen, vor
chige als auch deutsche Kinder aus sozial und kultu-
allem der Hauptschule (vgl. ebd., 121). Die Schulfor-
rell benachteiligten Familien müssen wesentlich bes-
men zeigen neben unterschiedlicher Verteilung und
sere Leistungen erbringen, um eine Gymnasialemp-
Mittelwerte der Leseleistungen auch erhebliche
fehlung zu erhalten (Deutsche Regierung 2000, 178)
Überlappungen. So erreichen einige Hauptschüler
und eine Klassenrepetition oder Zuweisung zu einer
den Mittelwert der Gymnasiasten und umgekehrt
Sonderklasse zu vermeiden. Die sekundären sozialen
gibt es Gymnasiasten, die unter dem Mittelwert der
Ungleichheiten, die sich bezüglich Zuweisung zu den
Hauptschulen liegen; wobei die jeweilige Zugehörig-
verschiedenen Schulformen zeigen, wirken offen-
keit zu den Schultypen über die soziale Herkunft
sichtlich bei einheimischen Familien mit tiefem Sozi-
erklärt werden kann.
alstatus nachhaltiger als bei zugewanderten Fami-
Die in Deutschland gleichzeitig mit der PISA Tes-
lien. Die Jugendlichen aus letztgenannten Familien
tung erfolgte Einschätzung der Lesekompetenz der
haben bei Beherrschung der Unterrichtssprache die
Schülerinnen und Schüler der Hauptschulen zeigte,
grösseren Chancen, ein Gymnasium zu besuchen, als
dass es Lehrpersonen häufig nicht gelang, besonders
deutsche Jungendliche aus ähnlichen sozialen
schwache Leser zu erkennen (Deutsches PISA-Kon-
Milieus (vgl. Baumert et al. 2002b, 51f.).
sortium 2001, 119). Sogar von den Schülern und
Obwohl ein beträchtlicher Teil (47%) der Schüler
Schülerinnen unter Kompetenzniveau I wurden nur
mit den schlechtesten PISA-Leistungen deutsche
11,4% als schwache Leser identifiziert oder anders
Eltern haben, sind Kinder mit Migrationshintergrund
gesagt: 88.6% der Schülerinnen und Schüler mit
in dieser Risikogruppe überrepräsentiert. Ein im Aus-
sehr schlechten Lesekompetenzen wurden von den
land geborener Jugendlicher in Deutschland hat ein
Lehrpersonen nicht identifiziert. Umgekehrt zeigten
fast fünfmal höheres, ein in Deutschland geborener
sich auch falsche Einschätzungen bei Schülern mit
Jugendlicher mit einem im Ausland geborenen
guten PISA-Leistungen, die von ihren Lehrpersonen
Elternteil immerhin noch ein dreimal höheres Risiko,
als schwache Leser identifiziert wurden. Inwieweit
die Kompetenzstufe I nicht zu erreichen. Wie bereits
diese Einschätzungen durch den sozialen Hinter-
erwähnt, erhöht Migration das Risiko der Zurückstel-
grund der jeweiligen Schüler und Schülerinnen
lung und Klassenwiederholung in allen Länder der
erklärt werden könnte, kann leider nicht gesagt wer-
Bundesrepublik Deutschland um ein Vielfaches (Bau-
den. Wenn sich jedoch diese mangelnden Diagnose-
mert et al. 2002a, 207ff.). In den alten Ländern
fähigkeiten auch bei Grundschullehrer zeigen würde,
gehören 22% der betroffenen Jugendlichen zu den
müsste davon ausgegangen werden, dass auch
Zurückgestellten und rund 41% zu den Wiederho-
Übertrittsentscheidungen nicht primär auf der Basis
lern, während es bei den 15-jährigen mit Deutsch als
von Leistungen getroffen werden, sondern aufgrund
Muttersprache nur rund 7% beziehungsweise rund
anderer Faktoren wie Verfügbarkeit von Plätzen in
21% sind. Zwei bis drei Mal so viele 15-jährige
den aufnehmenden Schulformen, Wunsch der Eltern
Migrantenkinder erreichen somit auch die ihrem
und einer subjektiven Einschätzung der Schülerin
Alter entsprechende Klasse nicht.
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Deutschland und die Schweiz können die von
keiten) bei einem mit der Schweiz vergleichbaren
PISA gemessene Lesekompetenz nicht nur nach
Anteil an Migranten beibehalten werden könnten,
Migrationsstatus, sondern zudem auch nach der
kann jedoch nicht beantwortet werden. Auch das
jeweiligen Muttersprache ausweisen. Die Ergebnisse
finnische Schulsystem weist eine soziale Selektivität
lassen sich allerdings nur für die beiden grössten
aus, die sich erst spät in der Berufswahl zeigt.
Sprachgruppen (Serbisch/ Kroatisch/Bosnisch und
Türkisch/Kurdisch) analysieren. In Deutschland wei-
2.3.1 Eine homogene Lesegesellschaft im Aufbruch
sen die türkisch/ kurdisch-sprachigen Migranten den
Finnland ist eine homogene Gesellschaft, die in den
tiefsten Index bezüglich ihrer sozialen Schicht auf; in
letzten Jahren den ökonomischen Rückstand auf die
der Schweiz ist es die Gruppe der Migrantenfamilien
anderen mitteleuropäischen Länder aufgeholt hat
mit serbisch/kroatisch/bosnischer Sprache. Diese
und sich trotz einer kurzen Rezession Mitte der 90er
Gruppen sind gleichzeitig auch die grössten Migra-
Jahren und einer relativ hohen Arbeitslosenquote in
tionsgruppen der jüngsten Generation in den ent-
Aufbruchstimmung befindet. Das Land blieb bis viele
sprechenden Ländern. Jugendliche aus diesen Fami-
Jahre nach dem zweiten Weltkrieg im Schatten des
lien verfügen über schlechtere Lesekompetenzen als
mächtigen Nachbars Russland respektive Sowjetu-
ihre Landesgenossen in anderen Ländern (Nor-
nion, obwohl es stets seine kulturelle und sprachliche
wegen, Schweden), die zudem über einen höheren
Unabhängigkeit zu bewahren suchte. Nach dem Kol-
Sozialstatus verfügen (vgl. Deutsches PISA-Konsor-
laps des Handels mit seinen östlichen Nachbarn stei-
tium 2001, 397). Möglicherweise macht die Anwe-
gerte Finnland nicht zuletzt dank der EU-Mitglied-
senheit von grösseren Populationen der eigenen
schaft (1995) das Handelsvolumen mit Westeuropa
Sprachgruppe in Ballungsgebieten ein Einwande-
beträchtlich.
rungsland vor allem für Familien mit tieferem Sozial-
Gegenwärtig wächst die inländische Bevölkerung
status und schlechteren Sprachkompetenzen attrak-
bei gleichzeitiger Verbesserung des Bildungsstandes.
tiv. Dieser Umstand erhöht die Chance, sich auf sozi-
92.6% der finnischen Bevölkerung sprechen Fin-
ale Kontakte in der eigenen Sprache und Kultur und
nisch, 5.7% Schwedisch und nur 1.7% sprechen
somit auf wichtige Unterstützung beim Zurechtfin-
keine der beiden nationalen Sprachen. Dieser Pro-
den im fremden Land verlassen zu können. Unter
zentsatz entspricht dem Anteil der ausländischen
diesen Umständen verringert sich allerdings auch der
Bevölkerung, wobei die grösste Gruppe der Immi-
Druck zur Integration und zum Erwerb der lokalen
granten aus der ehemaligen Sowjetunion und jeder
Sprache, vor allem wenn im betroffenen Land keine
fünfte aus einem EU-Land stammt. In der finnischen
aktive Immigrationspolitik betrieben wird.
PISA-Stichprobe befanden sich nur 1% der Schülerschaft, die nicht eine der beiden Landessprachen als
Erstsprache beherrschte. Nur 1.3% der teilnehmen-
2.3 Finnland
den Jugendlichen sprachen zuhause eine andere
Sprache als die Testsprache (vgl. Välijärvi et al.
Die im Vergleich zu mitteleuropäischen Ländern sehr
2000). Die sehr geringe Streuung unter den Leistun-
homogene Bevölkerungsstruktur Finnlands drückt
gen der finnischen Jugendlichen kann auf diesem
sich auch in dem sehr niedrigen Anteil an Migranten
Hintergrund somit nicht ganz überraschen.
aus. Unter diesen Bedingungen gelingt es dem finni-
Bezüglich PISA zeigten in Finnland einige Varia-
schen Schulsystem gut, unterschiedliche Lernvoraus-
blen, die möglicherweise mehr kultur- als familien-
setzungen in einer gemeinsamen Schule für alle bis
spezifisch sind, einen grösseren Einfluss auf die Lese-
ins 9. Schuljahr zu integrieren. Es erlaubt zudem
kompetenzen als in den anderen OECD-Ländern.
lokale Ausgestaltungsmöglichkeiten bei gleichzeitiger
Hierzu gehören etwa Antworten der Jugendlichen
Überprüfung der Leistungen auf nationaler Ebene.
bezüglich ihrer Freude am Lesen und der Zeit, wel-
Diese hohe Integrationsfähigkeit zeigt sich auch in
che Jugendliche zum Vergnügen lesen. Ob dies – wie
der geringen sozialen Selektivität des finnischen
im finnischen Bericht erwähnt (ebd., 16) – das Ver-
Schulsystems. Inwieweit die hierzu relevanten Eigen-
dienst der finnischen Grundschule ist und wieweit
schaften (keine Schullaufbahnentscheide vor dem 9.
hier auch, wie oft angeführt, kulturelle Faktoren
Schuljahr, integrativ angebotene Unterstützungs-
(Stichwort Lesegesellschaft) eine Rolle spielen, lässt
und Förderangebote, lokale Ausgestaltungsmöglich-
sich schwer sagen.
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Wie im finnischen PISA-Bericht ausgeführt, haben
Das hohe Mass an Autonomie der Lehrpersonen
andere Faktoren wie eben das Interesse am Lesen
bei der Wahl der Unterrichtsmittel, der Festlegung
einen grösseren Einfluss auf die Lesekompetenzen als
des Curriculums und der Ausgestaltung der Schule
der sozioökonomische Status der Herkunftsfamilie
scheint den jeweils lokalen Bedürfnissen aller Kinder
(vgl. ebd., 28). Obwohl die Leistungsunterschiede in
besser gerecht zu werden. Zudem verfügen die
Bezug auf den Sozialstatus auch in Finnland signifi-
Eltern über eine freie Schulwahl, die allerdings in den
kant waren, befanden sich aber die Leistungen der
letzten Jahren etwas eingeschränkt wurde. Diese
sozial schlechter gestellten Schülerinnen und Schüler
führte vor allem in Ballungsgebieten zu grossen
über dem OECD-Durchschnitt.
Unterschieden zwischen den Leistungen der einzelnen Schulen. Die curricularen Freiheiten der Schulen
2.3.2 Autonome Schulhausteams:
sollen in den nächsten Jahren eingeschränkt werden,
Lokale Gestaltungsfreiheit und
in dem die Anzahl verpflichtender Fächer erhöht
nationale Vergleichsmöglichkeiten
werden soll, um die wachsenden Unterschiede zwi-
Die Schulpflicht in Finnland beginnt mit sieben Jah-
schen den Schulen zu verkleinern. Die Wirkungen
ren; allerdings besuchen 93% der Kinder eine Vor-
der neunjährigen Grundschule wird in verschiedenen
schule, die sehr eng an das Schulsystem angebunden
Surveys regelmässig erhoben und deren Ergebnisse
ist. Bis Anfangs der 90er Jahre schrieb ein nationales
national als Systemindikatoren publiziert, während
Curriculum die Unterrichtsinhalte relativ starr vor.
die Auswertung auf der Ebene der Schule nur für
Seit 1990 haben die lokalen Schulbehörden eine
diese einsichtbar werden.
grosse Autonomie in der Ausgestaltung der Schulen,
Die Integration von behinderten Kindern wurde
jedoch gleichzeitig den Auftrag, die nationalen Ziele
im Rahmen der Grundschulreform diskutiert und seit
zu erreichen. Die vereinfachten Abläufe und Gesetz-
den 70er Jahren auch realisiert; es sollte eine Schule
gebungen konzentrieren sich auf das Wesentliche,
für alle Kinder geschaffen werden. Seit dem Com-
versuchen dort eine nationale Kohärenz herzustellen,
prehensive School Act (1983) durfte kein Kind mehr
wo dies wesentlich erscheint, um das Prinzip des
vom Absolvieren der Grundschule (obligatorische
lebenslangen Lernens zu realisieren. Mit dieser
Schulzeit) ausgeschlossen werden. Im neuen Com-
Dezentralisierung setzte auch die systematische Eva-
prehensive School Core Curriculum, das 1985 einge-
luation des Bildungssystems ein, die ihre Anfänge
führt wurde, werden Fragen der Differenzierung und
bereits in den 60er und 70er Jahren nahm. Das
Individualisierung erläutert sowie Hinweise auf
gegenwärtige Evaluationssystem basiert auf dem
sonderpädagogische Massnahmen und die Anpas-
Basic Education Act (1990) für die obligatorische
sung des Curriculums an die Fähigkeiten des Kindes
Schulzeit. Ziel der Evaluation ist es, das Erreichen der
gemacht. Die Verantwortung für die Schulung von
Bildungsziele zu überprüfen, die Entwicklung des Bil-
schwerbehinderten Kindern, die bis anhin von sozia-
dungssystems zu unterstützen und die Bildungsmög-
len Institutionen organisiert war, wurde 1997 den
lichkeiten für Schülerinnen und Schüler zu verbes-
Grundschulen übertragen. Aus diesem Grund nahm
sern. Von den Schulträgern wird erwartet, dass sie
in diesem Jahr die Anzahl der Sonderschulen zu. In
eine stetige Selbstevaluation durchführen, um ihr
Finnland werden laut OECD (2000) weniger als 2%
Angebot zu verbessern und dass sie sich an den
der Kinder in Sonderschulen unterrichtet; weitere
externen Evaluationen beteiligen (für eine nähere
2% werden in anderen sonderpädagogischen Gefäs-
Beschreibung vgl. Eurydice Homepage). Die Resul-
sen unterrichtet und 13.9% der Schülerinnen und
tate der nationalen Evaluation werden zur Weiter-
Schüler erhalten im Rahmen des Grundschulbesuchs
entwicklung des Schulsystems und des Curriculums
zusätzliche pädagogische Unterstützung. Der inte-
verwendet wie auch für die Verbesserung des Unter-
grative Unterricht wird dadurch erleichtert, dass in
richts und für die Absicherung der Chancengleich-
finnischen Schulen nicht nur Lehrpersonal tätig ist.
heit. Die neue Schulgesetzgebung von 1998 konzen-
Zum Personal jeder Schule gehören neben Schullei-
triert sich auf die Gleichwertigkeit und Chancen-
tung, Klassenlehrern und Fachlehrkräften auch eine
gleichheit und bietet eine umfassende Grundlage für
Schulschwester, eine Sozialpädagogin, eine Psycho-
alle Bildungsinstitutionen und Bildungsanbieter
login, Heilpädagogische Förderlehrerkräfte sowie
unabhängig von ihrer Organisation oder Träger-
allenfalls Assistenten und Küchenpersonal für die
schaft.
Schulküche.
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Finnische Lehrpersonen erhalten eine solide dia-
scheiden können, gibt es jedoch keine eindeutigen
gnostische Ausbildung, die auf die lehrerbasierte
Zusammenhänge zwischen verschiedenen Schulen
Erfassung und Einschätzung der Schülerinnen und
und sozialem Status.
Schüler vorbereitet. Da Schülerinnen und Schüler erst
Nach Absolvierung der obligatorischen Schulzeit,
beim Abschluss der Sekundarstufe II einer landeswei-
also etwa im Alter von 16 Jahren, lassen sich die
ten Prüfung unterzogen werden, legt das finnische
Jugendlichen in Bezug auf ihren weiteren Bildungs-
Schulsystem viel Vertrauen in die diagnostischen
verlauf in drei Gruppen einteilen; eine erste Gruppe
Kompetenzen der Lehrpersonen und erwartet von
tritt in eine allgemeinbildende Schule ein (52%),
ihnen, dass sie fehlende Kompetenzen und Fähigkei-
32% wählen eine berufsbildende Schule und eine
ten bei ihren Schülerinnen und Schülern erkennen
dritte Gruppe von 14% der Schüler besuchen keine
können. Oft zitiert werden in diesem Zusammen-
weiterführende Schule (Angaben für 1995). Diese
hang auch die Ergebnisse der Adult Literacy Study,
Entscheidung ist sozial gefärbt, da der Bildungsstand
die für Finnland eine hohe Erwartungshaltung der
des Vaters hoch mit der Wahl der Jugendlichen kor-
Lehrpersonen bezüglich Lesekompetenz ihrer Schü-
reliert. Während 79% der Jugendlichen, deren Vater
lerinnen und Schüler feststellte.
einen Hochschulabschluss hat, eine allgemeinbil-
Der Gradient zwischen Schulen mit sehr guten
dende Schule besuchen, sind dies bei den Kindern
Resultaten und Schulen mit den schlechtesten Re-
mit Vätern, die einen Sekundarschulabschluss haben,
sultaten ist in Finnland sehr flach. Die 10% der
noch 52% und bei denjenigen mit Vätern ohne die-
besten Schulen erreichten eine durchschnittliche
sen Abschluss nur 39%. Umgekehrt besuchen 20%
Leistung, die 97 Punkte über den 10% der Schulen
der Jugendlichen mit Vätern ohne Abschluss keine
mit den schlechtesten Leistungen lag (durchschnitt-
Schule mehr, während es bei Jugendlichen mit aka-
licher Unterschied in OECD-Länder: 204 Punkte).
demisch ausgebildeten Vätern nur 7% sind. Je höher
Das hohe Mass an Autonomie der Lehrkräfte in der
der Sozialstatus der Eltern ist, umso länger besuchen
Wahl der Lehrmittel, der Festlegung des Curriculums
finnische Jugendliche die Schule und desto grösser ist
und der Gestaltung der Schule scheint sich positiv
ihre Chance, eine Hochschule zu besuchen. Auch
auf die Schulleistungen aller Schülerinnen und Schü-
bezüglich der Wahl der Studienfächer gibt es einen
ler auszuwirken. Dies entspricht auch den Resultaten
klaren Zusammenhang (vgl. Havén, 1999). Bei tiefe-
in anderen Ländern mit ähnlich hoher Autonomie
rer Schulbildung sind die Jugendlichen einem erhöh-
der Lehrerteams. Der finnische PISA-Bericht geht
ten Risiko ausgesetzt, arbeitslos zu werden und
auch davon aus, dass die grössere Wahlfreiheit der
weniger zu verdienen.
Schülerinnen und Schüler in Bezug auf einige
Da eine besondere Schulung von Kindern bei
Schulfächer sich positiv auf die Motivation auswirkt.
weniger als 2% der Altersgruppe in Sonderschulen
Dies könnte für schwächere Schüler besonders wich-
stattfindet, kann davon ausgegangen werden, dass
tig sein und einer frühen Schulunlust entgegen
es sich hier um Kinder und Jugendliche mit biologisch
wirken.
verursachten Behinderungen und nicht um Kinder
mit Schulschwierigkeiten oder mit sensorischen oder
2.3.3 Späte Bildungsentscheide
motorischen Funktionsstörungen (bei normaler Intel-
und hohe Teilnahme an höheren
ligenz) handelt. Kinder und Jugendliche mit beson-
Ausbildungsgängen
deren pädagogischen Bedürfnissen werden in den
Da in Finnland keine Bildungsentscheide getroffen
Schulen ihrer Altersgruppe gefördert und haben
werden müssen bis zum Abschluss der Grundschule
Anrecht auf zusätzliche Unterstützung. Von finni-
(9. Schuljahr), sind die Effekte bezüglich sozialer
schen Lehrerinnen und Lehrern wird nicht erwartet,
Schichtung weniger ausgeprägt als in Ländern, bei
dass sie bei Lernproblemen oder Schulschwierigkei-
denen bereits nach 4 oder 6 Schuljahren eine Auf-
ten die notwendigen Anpassungen alleine vorneh-
gliederung in verschiedene Schultypen stattfindet.
men können. Sie werden unterstützt durch verschie-
Dennoch hat der sozioökonomische Status der Eltern
dene Fachpersonen (vgl. oben) im Schulhausteam.
auch in Finnland einen grossen Einfluss auf den Bil-
Der Finnische Board of Education geht allerdings
dungsweg ihrer Kinder. Da sich sowohl die einzelnen
davon aus, dass das Fördersystem, welches etwa auf
Angebote in den Schulen (verschiedene Fächerwahl)
17% der Schülerschaft ausgerichtet ist, nicht allen
wie auch Schulen selber (verschiedene Profile) unter-
Bedarf decken kann.
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2.3.4 Ausnahmefall Migration
tig aber auch die Herausforderungen auf, denen sich
Der Anteil der ausländischen Bevölkerung in Finn-
das französische Bildungswesen gegenüber sieht,
land ist weniger als 2% und hat deshalb einen gerin-
wenn es seine Politik der möglichst geringen Chan-
gen Einfluss auf das finnische Schulsystem. Entspre-
cenungleichheiten weiter führen will.
chende Zahlen zu Bildungsbeteiligung und Bildungsabschlüssen sind aus diesem Grund kaum verfügbar.
2.4.1 Ein Land, das von grossen sozialen
Alle Kinder, die kein Finnisch sprechen, müssen ent-
und regionalen Unterschieden geprägt ist
sprechende Kurse absolvieren, bevor sie in die Schule
Frankreich, dessen BIP pro Einwohner tiefer liegt als
eintreten. Der Zusammenhang zwischen Bildungser-
jenes seiner wichtigsten Nachbarn (vgl. Tabelle 1), ist
folg und Migration ist in Finnland vor allem deshalb
geprägt von einer verhältnismässig ungleichen
schwierig zu untersuchen, weil die Zuwanderung
Güterverteilung in der Gesellschaft. Davon zeugt
sehr gering ist. Da viele Personen weniger wegen
auch das hohe Niveau des Indexes, der die Ungleich-
Arbeitssuche als vielmehr als Flüchtlinge nach Finn-
heit der Einkommensverteilung in der Bevölkerung
land immigrieren, ist die Arbeitslosigkeit unter der
misst (Eurostat-Zahlen 1999: 4.4 im Vergleich zu 3.6
ausländischen Bevölkerung dreimal so hoch (34%)
für Deutschland und 4.2 für Belgien). Ausserdem
wie unter der finnischen Bevölkerung (für weitere
weist Frankreich im wirtschaftlichen, sozialen und
Informationen vgl. Ministry of Labor, 2002). Im Jahr
kulturellen Bereich grosse Unterschiede zwischen
2000 erlebte Finnland die Immigration von 16’839
den Regionen auf. Während der Periode 1990–2000
und die Emigration von 14’291 Personen. 27.5% der
hat die Diskrepanz zwischen den Regionen im Bezug
eingewanderten Personen besitzen eine russische,
auf die Güterverteilung (Quelle: Géographie de l’é-
7.7% eine schwedische und 7.2% eine estonische
cole) leicht abgenommen. Parallel dazu ist ein
Staatsbürgerschaft – wobei Personen finnischer Her-
«Frankreich der zwei Welten» («France à deux vites-
kunft in diesen Zahlen eingeschlossen sind. 700 der
ses») entstanden, einerseits mit Regionen, die einen
immigrierten Personen waren Flüchtlinge; illegale
Rückgang
Immigration ist bisher in Finnland wenig verbreitet.
Zunahme des Anteils eingeschulter Kinder verzeich-
Seit den frühen 90er Jahren nimmt der Zuwachs an
nen, und andererseits mit Regionen, deren Arbeitslo-
ausländischer Bevölkerung ab; zum Teil wegen der
senquote weiter ansteigt und die wie im Norden eine
Zunahme der Einbürgerungen (4000 pro Jahr).
demografische Abnahme erleben. In Frankreich hat
ihrer
Arbeitslosenquote
und
eine
Auch in Finnland haben Kinder aus Familien mit
die Zahl der Menschen in unsicheren Verhältnissen in
Migrationshintergrund ein 3,5 mal höheres Risiko,
den 90er Jahren je nach Region unterschiedlich
vorzeitig die Schule zu verlassen, als finnische Kinder
zugenommen. Dies vermag gewisse Schwierigkeiten,
(Järvinen & Vanttaja 2001, 203f.). Allerdings betrifft
die Jugendliche während ihrer schulischen Laufbahn
diese nur 1000 ausländische Schülerinnen und Schü-
und bei der beruflichen Eingliederung angetroffen
ler; in Finnland verlassen weniger als 0.03% aller
haben, zu erklären. Die Arbeitslosenquote ist von
Kinder die obligatorische Schule ohne Abschluss
8.9% 1990 auf 10.1% im Jahr 2000, mit einer Spitze
(Jahnukainen 2001, 247). Auch ein tieferer Sozialsta-
von 12.5% 1997, angestiegen. Die Arbeitslosigkeit
tus führt gegenüber dem höchsten Sozialstatus zu
hat in gewissen Regionen wie der Bretagne oder
einem etwa doppelt so grossen Risiko des Drop-outs.
gewissen ländlichen Departementen abgenommen
und dort, wo die Situation ohnehin bereits Besorgnis
erregend war, noch deutlich zugenommen (im Nor-
2.4 Frankreich
den und im Departement Seine-Saint-Denis, welches
an Paris grenzt).
Die Analyse der PISA-Ergebnisse zeigt eine – ange-
Im Innern der Regionen und der Departemente
sichts der grossen sozialen Differenzen in der Gesell-
entstehen Zonen mit grosser Armut, wo sich lang-
schaft – beachtliche Effizienz des französischen Bil-
fristige Arbeitslosigkeit und soziale Probleme kumu-
dungswesens beim Abbau der sozial- und kulturell
lieren. Das Departement Seine-Saint-Denis im Nor-
bedingten Bildungsungleichheiten. Sie unterstreicht
den von Paris ist zum Sinnbild für die in gewissen
die Bedeutung struktureller Massnahmen (wie z.B.
Zonen des Landes verschlechterte wirtschaftliche
die frühe Einschulung der Kinder, den gemeinsamen
und soziale Situation geworden. Dieses Departe-
Unterricht auf der Sekundarstufe I), deckt gleichzei-
ment, welches das ärmste Frankreichs ist, liegt in der
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Region Ile de France, die zu den reichsten der 21
Die Tatsache, dass die Politik der ZEP die vorherr-
Regionen Frankreichs gehört. Die Schule kann in die-
schenden Probleme nicht wirklich lösen konnte,
ser Situation nicht mehr alle Probleme, mit denen sie
weist auf die grosse soziale und politische Dimension
konfrontiert wird (Gewalt, Jugendarbeitslosigkeit,
des Problems hin. Für J. Hébrard, Autor eines vom
Entwertung der Schule usw.), bewältigen, was in
Bildungsministerium veranlassten und im März 2002
gewissen Fällen das neue Phänomen eines Rück-
fertig gestellten Berichts über die soziale Durchmi-
gangs der Schulbesuchsquote auf der Sekundarstufe
schung, führen verschiedene Faktoren (Strategien
II mit sich bringt.
der Eltern und der lokalen Behörden) in Schulen der
Die Politik der ZEP («zone d’éducation prioritaire»
Peripherie der grossen Städte zu einer Konzentration
– staatlich geförderte Bildungszone), die 1981 einge-
von Kindern aus Familien mit grossen Schwierigkei-
führt wurde, sollte eine Antwort auf diese Situation
ten oder am Rande des sozialen Gefüges. Gemäss J.
bringen. Ziel war eine aktive und entschlossene Poli-
Hébrard «kumulieren diese Schulen in den Augen
tik gegen die sozialen Ungleichheiten. Dies sollte
der Familien sowie der Lehrkräfte oder sogar der
durch die «Verstärkung der Bildungsmassnahmen in
Schüler selber das zweifache Handicap einer als
den Zonen und den sozialen Milieus, wo die Anteile
weniger effizient gewerteten Ausbildung und eines
der Kinder, welche eine Klasse wiederholen oder
als gefährlich gewerteten Klimas». Dies erschwert
umgeschult werden, am höchsten ist» geschehen.
wiederum die Erhaltung einer Bildungsqualität,
Durch Gewährung von zusätzlichen Mitteln für
bremst die soziale Durchmischung und fördert
Schulen in sozial und wirtschaftlich benachteiligten
schliesslich den Segregationsprozess.
Zonen sollten soziale Integration und schulischer
Die Politik der staatlich geförderten Bildungszo-
Erfolg erreicht werden. Die Politik der ZEP brachte
nen (ZEP) konnte die Siedlungssegregation – ein
nicht die erhofften positiven Auswirkungen. Die
Erbe der 80er Jahre – nicht ändern und hat zu einer
Wirksamkeit auf pädagogischer Ebene hat zu zahl-
Stigmatisierung gewisser Wohnviertel geführt, wo
reichen Analysen Anlass gegeben, die jedoch alle
die Bezeichnung «ZEP» oftmals auch für zu mei-
zum Ergebnis führten, dass eine schwache Auswir-
dende Schulen steht.
kung (manchmal sogar eine negative) auf die Leistungen der Schülerinnen und Schüler vorliegt und
2.4.2 Ein Bildungssystem mit einer relativ
dass zudem grosse Unterschiede zwischen den Schu-
starken sozialen Ungleichheit
len bestehen (durchschnittlich eine von drei Schulen
Als Land mit starken sozialen Ungleichheiten hat
hat eine deutliche Verbesserung der schulischen
Frankreich seit Ende der 50er Jahre seine Bildungs-
Resultate aufgezeigt). Angesichts dieser Ergebnisse
politik darauf ausgerichtet, die Bedingungen für eine
wurde die Politik der ZEP 1999 neu ausgerichtet. Das
grössere Chancengleichheit zu schaffen. Zu diesem
Ziel lag darin, den schulischen Ausbildungen eine
Zweck wurden drei Hauptmassnahmen ergriffen:
wichtigere Stellung einzuräumen und Massnahmen
Zunächst wurde eine frühzeitige Einschulung der Kin-
zu entwickeln, um den benachteiligten Schulen – ins-
der vorangetrieben. Die Eltern haben seit den 60er
besondere bezüglich der angebotenen Optionen –
Jahren die Möglichkeit, ihre Kinder ab 2 Jahren in die
qualitativ unter die Arme zu greifen. Damit sollten
Vorschule zu geben. Gegenwärtig werden etwa 30%
die Risiken des sozialen Abstiegs gewisser Schulen
der Kinder mit 2 Jahren «eingeschult» (wobei sogar
der Sekundarstufe (hauptsächlich Mittelschulen und
nur die Hälfte bei Schuleintritt das zweite Lebensjahr
Oberschulen mit beruflicher Ausrichtung) verhindert
überhaupt schon vollendet hat). Dieser Anteil ist seit
werden. Diese Politik ist erst kürzlich als «Politik der
1980 stabil. Die Schulbesuchsquote variiert gemäss
positiven Diskriminierung» verlängert worden, um
der Herkunft der Eltern und ist insbesondere in den
den Zugang der aus staatlich geförderten Bildungs-
ZEP (staatlich geförderte Bildungszonen) hoch. Dort
zonen stammenden Schüler zu den Lehrgängen, die
liegt sie bei Kindern, die bei Schuleintritt das 2.
zu den Grandes Ecoles führen (tertiäres Bildungssys-
Lebensjahr vollendet haben, bei über 60%77.
tem, welches der Elite vorbehalten ist), zu begünstigen.
77
Die zweite Massnahme betraf 1975 die Schaffung
einer Gesamtschule («collège unique»; Sekundar-
Beinahe alle Kinder von 3 bis 5 Jahren sind eingeschult. Diese Situation existiert für die 4- und 5-jährigen Kinder seit den 70er Jahren und
seit 1990 ist es die Hälfte der 3-jährigen Kinder, wobei wir einer progressiven und schrittweisen Entwicklung dieser Praxis beiwohnen.
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stufe I), welche den gemeinsamen Unterricht auf die
Leistungsniveau der Schüler, deren Eltern den höch-
gesamte obligatorische Schulzeit ausweitet. Alle
sten Status haben, und dem Niveau jener Schüler,
Schülerinnen und Schüler werden dabei in derselben
deren Eltern den tiefsten Status haben78. Im Bereich
Struktur eingeschult, die einzige Unterscheidung
der Lesekompetenz liegen diese Abweichungen sehr
besteht in der Sekundarstufe I durch die Wahl der
nahe beim Gesamtdurchschnitt der OECD-Länder
Optionen (Fremdsprachen – Deutsch, Italienisch
(84 Punkte für Frankreich, im Vergleich zu 82 Punk-
usw. – Theater usw.). Grundsätzlich haben die Eltern
ten für die OECD-Länder). Bei der mathematischen
nicht die Möglichkeit, die im Rahmen des öffent-
Kompetenz sind die Abweichungen schwächer als
lichen Schulwesens (wo etwa 80% der Schüler ein-
jene der anderen Länder (74, im Vergleich zum
geschult sind) von ihren Kindern besuchte Schule
Durchschnittswert der OECD von 77), wohingegen
auszuwählen, doch die Wahl einer «seltenen»
bei der naturwissenschaftlichen Kompetenz die
Option (wie beispielsweise Russisch), die nur durch
umgekehrte Situation gemessen wurde (Durch-
eine beschränkte Anzahl Schulen angeboten wird, ist
schnittsniveau von 93, im Vergleich zu 87 für die
häufig ein Umweg, der von gewissen Eltern genutzt
OECD-Länder). Die Nachbarländer Frankreichs
wird, um diese Regelung zu umgehen und Schulen
weisen deutlich grössere Abweichungen auf. Die
zu wählen, die mehr ihren Erwartungen entsprechen.
zweite Erkenntnis liegt darin, dass die französischen
Die dritte Massnahme bestand darin, einer mög-
Schüler, die auf der sozialen Leiter ganz unten stehen
lichst grossen Anzahl Schüler den Zugang zum Gym-
(unteres Quartil auf der ISEI-Skala), im Vergleich zu
nasium («lycée») zu ermöglichen. Das Ziel dabei war,
den Nachbarländern bessere Lesekompetenzen auf-
80% der Schüler eines Schuljahres bis zum Abschluss
weisen.
der Matura bzw. der Abiturs («baccalauréat») zu
Diese zwei Erkenntnisse zeigen, dass das französi-
führen. Die Mitte der 80er Jahre eingeführten Mass-
sche Bildungssystem dazu neigt, die sozialen
nahmen haben zur Verringerung der sozialen
Ungleichheiten in Bezug auf die Bildung zu verrin-
Ungleichheiten beim Erlangen des Abiturs beigetra-
gern, ohne jedoch sein Ziel der Chancengleichheit
gen, obschon grosse Abweichungen fortbestehen
vollkommen zu erreichen. Die Einschulung der Kin-
(die Chancen, ein wissenschaftliches Abitur zu erlan-
der ab dem Alter von zwei Jahren muss als einer der
gen, bleiben für Arbeiterkinder sieben Mal kleiner als
ausschlaggebenden Faktoren für diese Situation
für Kinder von Kaderleuten). Das Risiko, die Sekun-
angesehen werden. Verschiedene Erhebungen ha-
darstufe I ohne eine Qualifikation zu verlassen, hat
ben ergeben, dass diese Massnahme die Kenntnisse
jedoch bei den Arbeiterkindern auch deutlich abge-
der Schüler beim Eintritt in die Primarschule signifi-
nommen (Quelle: Etat de l’école, édition 2002).
kant verbessert, und dass dieser anfängliche Vor-
Dank der Ergebnisse der PISA-Studie kann die
sprung sich während der Schulzeit nicht verringert.
Wirksamkeit der zur Verringerung der Ungleichhei-
Die Schüler, die von einer Einschulung im Alter von
ten im Bereich der Schule angewandten Mittel
zwei Jahren profitiert haben, scheinen «besser aus-
gemessen werden. Zunächst weisen wir darauf hin,
gerüstet» als die Schüler desselben sozialen Milieus,
dass die Gesamtleistungen aller französischen Schü-
die mit drei Jahren eingeschult wurden. Verschiedene
ler (mit einem Wert von 505 in Lesekompetenz, 517
Studien neigen jedoch dazu, den positiven Einfluss
in mathematischer Kompetenz und 500 in naturwis-
der Einschulung auf die Verringerung der sozialen
senschaftlicher Kompetenz) leicht über dem Gesamt-
Ungleichheiten zu relativieren. Für A. Mingat (1992)
durchschnitt der OECD-Länder liegen. Ein weiteres
hat «der Einfluss der Einschulung im Alter von zwei
Merkmal der Ergebnisse der französischen Schüler
Jahren bei französischen und ausländischen Kindern
ist die im Vergleich zu anderen Ländern geringe
einerseits und bei Arbeiterkindern und Kindern von
Streuung.
Kaderleuten andererseits dieselbe Intensität.» (S.
Der Vergleich zwischen den individuellen Leistun-
20). Eine jüngere Studie, die vom nationalen Bil-
gen der Schüler und dem sozioökonomischen Status
dungsministerium anhand einer grossen Schüler-
der Familien zeigt zwei Punkte auf. Der erste betrifft
stichprobe durchgeführt wurde, kommt zum Schluss,
die Abweichungen zwischen dem durchschnittlichen
dass «die Kinder von Kaderleuten und die ausländi-
78
Auf der Basis des internationalen Indexes des beruflichen Status (ISEI), der die Berufe auf einer Skala von 0 bis 90 einteilt, und durch den
Vergleich zwischen dem durchschnittlichen Leistungsniveau der 25% der Schüler, deren Eltern den tiefsten sozioökonomischen Status
haben, und dem Niveau der 25% der Schüler, deren Eltern den höchsten sozioökonomischen Status haben.
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schen Schüler bzw. jene mit Migrationshintergrund
Schüler in derselben Struktur bleiben, das Ziel des
in ihrer schulischen Laufbahn scheinbar den grössten
gleichen Zugangs zur Bildung für alle erreicht wer-
Nutzen aus dieser Massnahme ziehen.» Dennoch
den kann. Es ist ihm jedoch misslungen, die Mecha-
kann dadurch, dass auch die Schüler aus sozial
nismen der Differenzierung und der sozialen Diskri-
benachteiligten Milieus häufiger die Vorschule im
minierung zu erkennen und zu unterbinden. Die
Alter von zwei Jahren besuchen, von einem positiven
Erhaltung des Prinzips der gemeinsamen Grundstufe
Einfluss dieser Massnahme auf die Verminderung der
erfordert jedoch besondere pädagogische Massnah-
sozialen Unterschiede im Bildungswesen ausgegan-
men zur Abdeckung der Bedürfnisse spezifischer
gen werden.
Schülergruppen.
Das Fehlen von bedürfnisorientierten Kursen auf
Abschliessend weisen wir darauf hin, dass das
der Sekundarstufe I kann die geringere soziale Diffe-
«Collège unique» den Zeitpunkt der Selektion und
renzierung in den Resultaten der PISA-Studie eben-
somit der sozialen Differenzierung bis zum Übertritt
falls erklären. Diese Differenzierung ist dennoch vor-
in die Sekundarstufe II (Gymnasium) hinauszögert.79
handen, auch wenn sie schwächer ist als in anderen
Ländern. Das Modell des «Collège unique» kann
2.4.3 Leistungen der immigrierten Schülerinnen
nicht allen Schülern dieselbe Ausbildung bieten, da
und Schüler und «republikanische Schule»
es nicht fähig ist, die Heterogenität der Schülerschaft
Als traditionelles Immigrationsland weist Frankreich
und die verschiedenen Auffassungen und Lernin-
einen vergleichsweise geringen Anteil Schüler aus-
halte der einzelnen Schulen vollkommen zu bewälti-
ländischer Herkunft auf; dieser variiert gemäss den
gen. Die Herausforderung des «Collège unique» ist
Zahlen 1999/2000 zwischen 5.9% in der Primar-
mehr und mehr umstritten, und das französische Bil-
schule und 4.6% in der Sekundarschule.80 Ein Grund
dungssystem ist seit mehreren Jahren von einer
für diesen schwachen Anteil an immigrierten Schü-
nahezu permanenten, zumeist politischen und ideo-
lern liegt in der Praxis, dass sich jede auf französi-
logischen Debatte gezeichnet. Inhalt dieser Debatte
schem Territorium geborene Person einbürgern las-
ist die allfällige Notwendigkeit, differenzierte Kurs-
sen kann (ius solis). Auf Grund des «Tabus», das
programme zu schaffen, um einer wachsenden
über der Herkunft der in Frankreich geborenen Schü-
Heterogenität der Schüler entgegenwirken zu kön-
ler liegt, kann der Anteil an Immigrantenkindern
nen. Angesichts der ständigen Kritik an der man-
nicht klar bestimmt werden. Dank der PISA-Studie
gelnden Anpassungsfähigkeit der Mittelschulen
kann diese Situation nun jedoch besser beurteilt wer-
gegenüber ihrer Schülerschaft wurden mehrere
den: Die französische Stichprobe weist einen Anteil
Reformen durchgeführt. Ziel dabei war es, Einrich-
von 12% ausländischer Schüler (wovon 9.8% so
tungen zur Bewältigung der Heterogenität innerhalb
genannte Schüler 1. Generation sind, d.h. die in
einer gemeinsamen Struktur zu schaffen (beispiels-
Frankreich geboren sind und somit französische
weise durch die Schaffung der «travaux dirigés»
Staatsangehörige sein können) und einen Anteil von
usw.).
2.2% allochthoner Schüler (im Ausland geboren)
Das Modell des «Collège unique», das auf grosse
auf.
ideologische Resonanz gestossen ist, hat den
In Funktion des Migrationshintergrunds der Schü-
Anschein erweckt, dass einzig dadurch, dass alle
ler zeigt PISA bei allen drei grossen Dimensionen –
79
80
Eine Studie (Duru-Bellat, 2000) zeigt, dass von den Schülern ohne schulischen Rückstand, die am Ende der Mittelschule stehen, der Anteil
jener, die in die allgemeine Abteilung der höheren Schule eintreten, 77% für Kinder von Kaderleuten und Lehrkräften, gegenüber 32% für
Kinder von Arbeitern beträgt. Gemäss den Daten 2000/01 steigt der Anteil Schüler mit Arbeiterherkunft von 21.1% in der allgemeinen
und technologischen Oberstufe (ISCED 3A) auf 38% in der berufsbildenden Oberstufe (ISCED 3C), während der Anteil der Arbeiterkinder
in der Mittelschule 30.5% beträgt. Für die Schüler, deren Eltern einen freien oder Kaderberuf ausüben und deren Anteil an der Mittelstufe
14.9% ausmacht, beträgt der Anteil entsprechend 23.5% (ISCED 3A) und 5% (ISCED 3C). Eine andere Zahl zeigt die Bedeutung dieser
sozialen Differenzierung. In der Altersklasse 20–21 haben 51% der Kinder von Handarbeitern das Abitur absolviert im Vergleich zu 87%
der Kinder von Kaderleuten (DEP, 1997 zitiert von Duru-Bellat, 2000). In Bezug auf den Zugang zur Universität ist zu beobachten, dass die
Kinder von Kaderleuten und Freiberuflern stark übervertreten (31.2% aller Studenten) und die Arbeiterkinder stark untervertreten (10%)
sind. In den kurzen technologischen Studiengängen sind die Kinder von Arbeitern und Angestellten stärker vertreten und machen 31% der
IUT-Schüler (IUT = instituts universitaires technologiuqes) sowie 39% der STS-Schüler aus (sections de techniciens supérieurs). Seit 1995
haben die Anteile der Kinder von Landwirten, Handwerkern und Arbeitern je mehr als einen Punkt verloren.
Auf Gymnasialstufe bzw. der Sekundarstufe II variiert er, je nach Ausrichtung: Sekundarstufe II, allgemeinbildende und technische Ausrichtung/ISCED 3A = 3.6% (Zahlen 2000/01), Sekundarstufe II berufliche Ausrichtung/ISCED 3B = 6.2%. Der Anteil ausländischer Schüler in Kursen des Typs B, d.h. für Kinder und Jugendliche mit Lernschwierigkeiten (ISCED, 1997), beträgt 7.4%.
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Lesekompetenz, mathematische und der naturwis-
(2002) ist das französische Bildungssystem durch
senschaftliche Kompetenz – Differenzen zwischen
eine Desethnisierung des schulischen Misserfolgs
autochthonen Schülern und Schülern der 1. Genera-
von Schülern mit Migrationshintergrund gekenn-
tion einerseits (Schüler in Frankreich, Eltern im Aus-
zeichnet, der vergessen macht, dass schulische Mis-
land geboren) sowie zwischen autochthonen und
serfolge einen beträchtlichen Anteil der eingewan-
allochtonen Schülern andererseits (Schüler und Eltern
derten Bevölkerung Frankreichs, hingegen nur 10%
im Ausland geboren) auf. Bei der Lesekompetenz
der Gesamtbevölkerung des Landes betreffen. Wei-
ergibt sich eine Differenz von 78 Punkten zwischen
ter ist Mc Andrew der Ansicht, dass dieses Vorgehen
der mittleren Leistung der autochthonen Schüler
wahrscheinlich zu einer Delegitimation jeglichen
(D=512) und jener der allochtonen Schüler. Dieser
Bestrebens führen wird, vom Staat oder von den
Unterschied ist kleiner als in Deutschland, Belgien
Schulen Rechenschaft über die schulischen Misser-
und der Schweiz. Die Leistungen der 1.-Generations-
folge der immigrierten Schüler zu fordern. Sodann
schüler gehören zu den höchsten Europas, während
vermeide es das französische Bildungssystem zu
jene der allochtonen Schüler im Mittelfeld angesie-
untersuchen, inwiefern die Misserfolge der immi-
delt sind. Etwas weiter klafft die Schere bei der
grierten Schüler oder ihre schlechten Leistungen spe-
Mathematik (Differenz 82) und insbesondere bei den
zifisch mit ihrem Migrationshintergrund zu tun hät-
Naturwissenschaften (98) auseinander.
ten, und ziehe es vor, nur jene Bedürfnisse der
Was den Einfluss der zuhause von den Schülern
gesprochenen Sprache auf die Leseleistungen
Migranten anzugehen, die diese mit der benachteiligten autochthonen Bevölkerung teilten.
betrifft, so zeigen die PISA-Ergebnisse, dass das
Die PISA-Ergebnisse zeugen trotz allem jedoch
Risiko für einen allophonen Schüler (der zuhause also
von einer beachtlichen Effizienz des französischen
nicht Französisch spricht), unter den schwächsten
Bildungssystems beim Umgang mit der kulturellen,
25% der Leser zu sein, 2.3 beträgt (d.h. das Risiko ist
sprachlichen und sozialen Vielfalt, auch wenn es die
fast zweieinhalb mal so gross als für einen Schüler,
Probleme nicht kultur- und sprachspezifisch angeht.
der normalerweise zuhause Französisch spricht). Das
2.4.4 Zentralisiertes System und gleichzeitig relativ
Mittel der OECD-Länder beträgt 2.
Diese Ergebnisse unterstreichen, dass das Bil-
grosse Autonomie der Schulen
dungssystem Frankreichs punkto Migrationshinter-
Das öffentliche Bildungswesen ist durch eine starke
grund der Schüler weniger ungleichheitsfördernd ist
Zentralisierung kombiniert mit einer relativ grossen
als jenes der Nachbarländer, obwohl an den franzö-
Autonomie der einzelnen Schulen gekennzeichnet.
sischen Schulen nur wenige spezifische Massnah-
Das Land ist in 25 Akademien aufgeteilt, die direkt
men zu Gunsten der Betroffenen in Kraft sind (mit
dem nationalen Bildungsministerium unterstellt sind.
Ausnahme der Integrationsklassen für frisch Einge-
Seit Einführung der Dezentralisierungspolitik verfü-
81
wanderte). Die ZEP-Kreise (ZEP = staatlich geför-
gen die Regionen, Departemente und Gemeinden
derte Bildungszonen) haben sich zum Beispiel immer
über budgetäre Kompetenzen hauptsächlich bezüg-
dagegen gewehrt, herkunfts- und kulturspezifisch
lich Bau und Verwaltung der Schulgebäude.
vorzugehen. Das französische Bildungswesen kennt
Das Personalwesen (Zulassungswettbewerbe,
denn auch keine spezielle interkulturelle Bildungspo-
Aufstiegsmöglichkeiten usw.), die Kontrolle der Lehr-
litik und Berücksichtigung der Herkunftskultur (ins-
kräfte (durch Inspektoren), die Organisation der Prü-
besondere Nordafrika) oder Muttersprache (insbe-
fungen im 5. und 8. Schuljahr sowie die Festlegung
sondere Arabisch) im Unterricht.
der Lehrpläne werden auf nationaler Ebene geregelt.
Die Abstützung auf das Modell der republikani-
Diese extreme Zentralisierung des französischen Bil-
schen Schule als soziale Bildungs- und Integrations-
dungssystems wurde 1989 mit einem Gesetz deut-
stätte und der Verzicht auf eine ethnisch-kulturelle
lich gelockert, welches das Prinzip der «Schulautono-
Herangehensweise an gewisse Realitäten hat im
mie» («projets d’établissement») einführte. Danach
französischen Bildungssystem zu einer Unterschät-
können die Schulen auf der Primar- und Sekundar-
zung der schulischen Chancenungleichheit für
stufe I die pädagogischen Strategien zur Erreichung
gewisse Schülerkategorien geführt. Laut Mc Andrew
der nationalen Ziele selber bestimmen. Sie sind
81
Dieser Mangel an spezifischen Massnahmen hat historische (koloniale Vergangenheit Frankreichs) und ideologische (republikanisches
Modell) Gründe.
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dabei jedoch in ein relativ starres Regulierungssystem
2.5.1 Eine junge, multikulturelle Gesellschaft
eingebunden. So evaluiert zum Beispiel die «Direc-
Kanada ist ein junges Land, in dem der Anteil der
tion de la programmation et du développement
Bevölkerung zwischen 5 und 24 Jahren zwar nicht
DPD» (deutsch in etwa «Direktion für Planung und
mehr so stark, jedoch immer noch stetig zunimmt. In
Entwicklung») die Leistungen der Schulen und
der Provinz Alberta etwa ist jeder zweite Einwohner
veröffentlicht jedes Jahr eine Rangliste der Gymna-
30 Jahre oder jünger. In Kanada gelten Englisch und
sien des Landes in Funktion ihrer Baccalauréat-
Französisch als die beiden offiziellen Sprachen; sie
Ergebnisse.
werden von 59% respektive 23% der Bevölkerung
Obwohl das französische Bildungswesen relativ
als Erstsprache gesprochen. Daneben verfügen 18%
streng reguliert ist und es den Eltern grundsätzlich
über mehrere oder über eine andere Erstsprache;
nicht erlaubt, die Schule für ihre Kinder frei zu wäh-
wobei die am häufigsten gesprochenen weiteren
len (es bestehen jedoch Strategien, die Schule doch
Sprachen regional verschieden sind (z.B. Chinesisch
über die Fremdsprachenfächer zu wählen), entwi-
in Vancouver (20% der Bevölkerung), Toronto, Cal-
ckelt sich das Leistungsniveau der Schulen immer
gary, Edmonton und Ottawa; Italienisch in Montréal;
weiter auseinander (während übrigens die regiona-
Deutsch in Winnipeg; vgl. Statistics Canada 2002)
len Unterschiede zurückgehen). Dies führt zu einer
Jährlich wandern etwa 200'000 Personen in
Segregation der Schulen bezüglich ihrer «Kund-
Kanada ein; von ihnen sprechen 60% der unter 18-
schaft» und Ergebnisse und stellt das Prinzip der
jährigen weder Englisch noch Französisch. In einigen
«Schule für alle» grundsätzlich in Frage.
den Provinzen (Britisch Kolumbien, Alberta, Saskatchewan, Manitoba, Ontario und Quebec) liegt der
Anteil der Haushalte, in denen weder Englisch noch
2.5 Kanada
Französisch gesprochen wird, zwischen 5% und
10%. Rund 95% aller Immigranten wählen entwe-
Für die guten Ergebnisse der eingewanderten Bevöl-
der Ontario (55%), Britisch Kolumbien (19%), Que-
kerung Kanadas ist zu einem grossen Teil die aktive
bec (15%) oder Alberta (6%) als ihre Destination aus
Migrationspolitik Kanadas verantwortlich, die gut
(Prozentangaben für 1999). In diesen Provinzen
qualifizierten und englisch- oder französisch-sprachi-
nimmt auch die Gesamtbevölkerung entsprechend
gen Einreisewilligen den Vorzug gibt. Soziale, kultu-
zu, während sie in den anderen Provinzen tendenziell
relle und migrations-bedingte Benachteiligungen tre-
abnimmt.
ten deshalb viel seltener kombiniert auf als dies in
Die meisten Migranten in Alberta (87%) lassen
westeuropäischen Ländern der Fall ist. Andere, von
sich in den grossen Städten nieder, etwa in Calgary
der Sozialstruktur beeinflusste Unterschiede in den
oder Edmonton. Von den zwischen 1990 und 1999
PISA-Leistungen (z.B. zwischen Stadt-Land) finden
immigrierten Personen stieg der Anteil jener, die
sich auch in Kanada.
Französisch oder Englisch sprechen, von 48% auf
Ein aktives Bemühen um hohe Leistungsstandards
56%. Auch der Bildungsgrad stieg in dieser Zeit; so
und die Integration von Kindern mit verschiedenen
etwa vergrösserte sich der Anteil der Personen mit
kulturellen, sprachlichen und kognitiven Vorausset-
einer nachobligatorischen Schulbildung von 43% auf
zungen scheint mit der generell geringen sozialen
64%; der Anteil von Immigranten mit einem Bache-
Selektivität der kanadischen Schulsysteme in Bezie-
lor von 13% auf 29% und jener mit einem Master
hung zu stehen. Die gute Einbettung der Schule in
von 3.2% auf 8%. Diese Entwicklung ist vor allem
die lokalen Begebenheiten unter Teilnahme der
eine Folge der Umsetzung der Kanadischen Migra-
Eltern, der Gemeinde und privater Partner erweitert
tionspolitik (Immigration Act; Alberta Learning 2002,
und vertieft das Verständnis der Bedürfnisse von
1ff.). Immigrieren dürfen Personen, die bereits Fami-
Schülerinnen und Schülern und ermöglicht eine Pro-
lienangehörige in Kanada haben, offiziell als Flücht-
filbildung.
linge gelten, oder aber über eine gute Schulbildung
Anders als in westeuropäischen Ländern scheint
nicht die soziale oder sprachliche Herkunft alleine,
verfügen, für die kanadische Wirtschaft nützlich sind
und potentiell neue Arbeitsplätze schaffen können.
sondern vielmehr Armut, etwa in Familien mit nur
Kanada kann zu den klassischen Immigrationslän-
einem Elternteil, ein Risiko für den Schulerfolg zu
dern gezählt werden. Allerdings sprechen viele Immi-
sein.
granten bereits bei ihrer Ankunft Englisch und verfü-
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gen über eine gute Schulbildung, was die schulische
Prince Edward Island, New Brunswick und Alberta
Integration erleichtert; eine Tendenz, die durch die
ausgeprägt. Diese Unterschiede hängen primär mit
kanadische Einwanderungspolitik in den letzten Jah-
der unterschiedlichen Situation der städtischen und
ren verstärkt wurde. Eine Population, wie etwa in
ländlichen Bevölkerung zusammen: durchschnitt-
Alberta, die zwar neu eingewandert ist, aber zu über
licher Bildungsstand der Bevölkerung, erforderlicher
60% über einen Hochschulabschluss verfügt, kann
Bildungsstand, um einer Erwerbstätigkeit nachgehen
mit den Arbeitsmigranten der Schweiz oder Deutsch-
zu können sowie das Angebot an Arbeitsstellen.
land kaum verglichen werden; sie werden signifikant
Jugendliche aus ländlichen Gebieten kommen häufi-
höhere Erwartungen an die Bildungserfolge ihrer
ger aus sozial schlechter gestellten Familien, die
Kinder stellen. Ein Indiz für den routinierten Umgang
weniger Kulturgüter und Bildungsressourcen besit-
mit Immigration in den kanadischen Bildungssyste-
zen. Sie sprechen mit ihren Eltern weniger oft über
men mag sein, dass nur im Bereich der naturwissen-
kulturelle, politische oder soziale Themen und gehen
schaftlichen Tests in Kanada ein kleiner negativer
weniger oft an kulturelle Anlässe. In Alberta und
Einfluss auf die Ergebnisse festzustellen ist, wenn die
Quebec zeigten sich auch unterschiedliche Wünsche
Schüler aus einem nicht französisch- oder englisch-
bezüglich einer Tertiärausbildung, die vermutlich
sprachigen Immigrantenhaushalt kommen.
Ausdruck verschiedener Berufsbestrebungen sind.
In Ontario, Manitoba, Saskatchewan, Alberta und
Die Leistungsunterschiede können nicht mit den
den Northwest Territories – alle mit relativ grossen
Charakteristiken der Schulen (z.B. weniger Res-
«aboriginal» Populationen (ursprüngliche Bevölke-
sourcen) in Verbindung gebracht werden; vielmehr
rung) – lag der Anteil von Jugendlichen, die keine
ist es wahrscheinlich bedeutsam, dass in ländlichen
High School Ausbildung absolvieren, etwa 5% höher
Gegenden andere Erwerbstätigkeiten vorhanden
als bei der Gruppe der anderen Jugendlichen. Diese
sind als in Städten. Diese Analyse ist bedeutsam, weil
Bevölkerungsgruppe ist in Bezug auf ihre Bildungs-
sie aufzeigt, dass nicht nur die individuellen Erwar-
chancen benachteiligt; nur 35% verfügen über eine
tungen der Eltern einen Einfluss auf die Leistungen
nachsekundäre Qualifikation gegenüber 52% der an-
ihrer Kinder haben, sondern offensichtlich auch die
deren Gruppen (Hochschulabschluss: 4% gegenüber
kollektiven Erwartung der Gemeinschaft, die sich im
19%; Statistics Canada 1999, 96). Zwischen 1986
Angebot an Arbeitsstellen ausdrückt.
und 1996 hat sich der Bildungsstand der kanadischen
Aboriginals stark verbessert, doch ist dieses Resultat
2.5.2 Schule als Aufgabe der Gemeinschaft
mit Vorsicht zu geniessen, da sich dank verstärkter
Das dezentrale Schulsystem Kanadas ist durch viele
Bemühungen zur Gleichstellung und einem entspre-
verschiedene Partnerschaften auf nationaler oder
chend grösseren Bewusstsein für diese Minoritäten
regionaler Ebene (z.B. Altantic Provinces Education
1996 mehr Personen, besonders aus besser gestellten
Foundation oder Western Canadian Protocol) sowie
Bevölkerungsschichten, als aboriginal bezeichneten
auf Gemeindeebene (Einbezug der Eltern, lokaler
(vgl. Council of Ministers of Education 2001). Diese
Organisationen und des privaten Sektors) gekenn-
besondere gesellschaftliche Gruppe der kanadischen
zeichnet. Nach der Rezession in den frühen 90er Jah-
Ureinwohner scheint bezüglich Bildungserfolg sogar
ren haben die meisten Provinzen mehr Ressourcen
die schlechteren Chancen zu haben als fremdspra-
für ihre Bildungssysteme aufgewendet und sich aktiv
chige Jugendliche aus einem anderen Land.
um die Qualitätsentwicklung der Schulen bemüht.
Eine detailliertere Auswertung der PISA Ergeb-
Curricula, Standards und Leistungsüberprüfungs-
nisse erfolgte in Kanada zur Untersuchung der Leis-
mechanismen werden von den Provinzen und Terri-
tungsunterschiede zwischen städtischen und länd-
torien selber entwickelt; zum Teil zentral oder dezen-
lichen Gebieten; ein Effekt, der sich in allen Provin-
tral mit den lokalen Schulbehörden oder Kommissio-
zen zeigte und fast durchwegs signifikante Unter-
nen. In den häufigsten Fällen wird das Curriculum
schiede aufzeigte (Statistics Canada, Council of
gemeinsam mit einer Kommission entwickelt, die
Ministers of Education, 2002). Ländliche Gebiete, in
sich aus verschiedenen Personengruppen des Bil-
denen auch die kanadische Urbevölkerung lebt, sind
dungsbereichs zusammensetzt.
ökonomisch und sozial benachteiligt. Die schlechte-
In den letzten Jahren wurden zudem verschiedene
ren Leistungen der Jugendlichen in ländlichen Gebie-
Projekte gestartet, in denen es um die Herstellung
ten waren vor allem in Neufundland, Labrador,
von Vergleichbarkeit und Standardisierung der Leis-
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tungen der zwölf Bildungssysteme geht. Meistens
ter Schulen mit einem besonderen Profil bezüglich
sind diese durch den Rat der Bildungsminister Kana-
Lehrplan erlaubte und in bestimmten Fällen auch das
das (Council of Ministers of Education in Canada,
Sponsoring durch Private zuliess. Ontario entschloss
CMEC) initiiert, der 1967 gegründet wurde. Entspre-
sich vor kurzem, die Schulwahl für Eltern im öffent-
chend spielt in der Auswertung von «large-scale
lichen Bereich zu vergrössern. Durch die lokale Ver-
assessments» wie PISA
auch der interprovinzielle
ankerung – nicht nur im Schulhaus, sondern in der
Vergleich stets eine grosse Rolle. Alle Provinzen
Gemeinde – sind die Schulprojekte und Reformvor-
beteiligen sich auch an dem nun fast durchgehend
haben sehr gut akzeptiert.
eingeführten Qualitätssystem; das 1989 durch
CMEC eingeführte «School Achievement Indicators
2.5.3 Bemühungen zur Integration
Programme (SAIP)», das in den Bereichen Lesen,
leistungsschwacher Kinder
Schreiben und Mathematik Leistungsmessungen
Zwischen einem Drittel und der Hälfte der kanadi-
ermöglicht. Diese werden sowohl für die Einzelschu-
schen Kinder besuchen zwischen dem 3. und dem 6.
len, wie auch für Provinzen und für den interprovin-
Lebensjahr ein Vorschul- oder Kindergartenpro-
ziellen Vergleich aufbereitet. Das SAIP misst die Leis-
gramm, das von der lokalen Schulbehörde angebo-
tungen der 13- und 16jährigen Schülerinnen und
ten wird. Seit den späten 90er Jahren erhält dieser
Schüler in ganz Kanada. Die erste Leistungsmessung
Bereich verstärkte Aufmerksamkeit; in zahlreichen
(Mathematik und Problemlösen) wurde 1993 durch-
Provinzen wurden Reformprogramme umgesetzt,
geführt, gefolgt von einer Testung von Lesen und
um die Vorschulbildung zu stärken und die Gesund-
Schreiben in 1994 und naturwissenschaftlichen
heit und Lernfähigkeit der Kinder zu fördern.
Kompetenzen in 1996. Ein zweiter Zyklus der Testung begann 1997 und endete 1999.
Zum Teil umfasst die Elementary Education das
erste bis zum sechsten, zum Teil bis zum achten
Auf der Ebene der Provinz zeigte sich im Bildungs-
Schuljahr (junior high). Das kanadische Schulsystem
bereich tendenziell eine Zentralisierung bei gleichzei-
sieht die Klassenwiederholung als Weg zur Leistungs-
tig stärkerem Engagement aller lokal relevanten Part-
verbesserung nicht vor. Während der Elementary
ner. Evaluationen, die alle Aspekte der lokalen Schu-
School werden die Kinder kontinuierlich versetzt;
len überprüfen (school-focused reviews), wurden ein-
leistungsschwache Schüler werden in die Folgeschul-
geführt und informieren Eltern sowie andere Gemein-
jahre versetzt, erhalten in der Regel aber mindestens
demitglieder über die «Outcome» einer Schule –
in grundlegenden Fächern Förderunterricht.
unter Berücksichtigung aller Faktoren, die Schuler-
Für alle Provinzen und im Folgenden näher aus-
folg beeinflussen können. Aufgrund dieser Reviews
geführt auch für Alberta lässt sich sagen, dass ein
werden Strategien festgelegt, um gemeinsam Lern-
grosser Teil der Schülerinnen und Schüler mit beson-
prozesse in einer bestimmten Schule zu fördern.
deren pädagogischen Bedürfnissen oder Behinderun-
Durch diese Prozesse und auch dank der weiter
gen in regulären Klassen oder schulnah in kleineren
unten beschriebenen Zusammenarbeit vor Ort sind
Gruppen von Kindern mit ähnlichen Bedürfnissen
Schulen sehr gut in ihrem Umfeld verankert; die
geschult werden. Es wird Wert darauf gelegt und
Bedürfnisse der Gemeinde werden in die Schule ge-
von den lokalen Schulbehörden gefordert, dass sie
tragen, und die Schule wird von der Gemeinde
ihre Angebote, Strategien und Ergebnisse der Förde-
gestützt. Alle Schulen verfügen neben der lokalen
rung dieser Gruppe in ihre Dreijahrespläne und
Schulbehörde (school board) auch über einen aus
Berichterstattung miteinbeziehen. Alberta Learning
Eltern, Schulleitung, Lehrervertretern und Schülern
(Ministerium für Bildung und Lernen in Alberta) ver-
zusammengestellten Schulrat (vgl. School Council
langt von allen lokalen Schulbehörden, dass sie eine
Handbook). Die Provinz vergibt für lokale Schulpro-
aktive Rolle übernehmen und mit anderen Dienst-
jekte Gelder, was die gemeindenahen Initiativen von
leistungen
Eltern und weiteren Personengruppen (auch private
zusammenarbeiten, um abzusichern, dass Kinder
Geschäfte) sehr unterstützt und fördert («Partners-
und Jugendliche mit besonderen Bedürfnissen
und
Personen
in
der
Gemeinde
hips for Education»). Zudem werden die Schulen
Zugang zu allen Angeboten haben, die sie benötigen
durch solche Aktivitäten eng mit ihrer Umgebung
(vgl. Student Health Initative sowie Guide to Educa-
verbunden. Als Reaktion auf die Forderung von
tion for Students with Special Needs, ATA).
Eltern wurde Alberta die erste Provinz, welche Char-
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Schuljahr wechseln die Schüler in den Sekundarbe-
erklären, dass Armut unter Kindern in dieser Provinz
reich über. In den meisten Fällen existieren soge-
mit Abstand am meisten verbreitet ist (26.2%
nannte comprehensive high-schools, in denen unter-
gegenüber Alberta mit 15.2%; vgl. Campaign
schiedliche «Züge» untergebracht sind. Zunächst
2000). Armut ist nicht eindeutig mit sozialer Her-
existiert eine geringe Differenzierung nach Leistung
kunft, Muttersprache oder Migrationsstatus in Ver-
und Interessen, die im Laufe der Folgejahre jedoch
bindung zu setzten; alle Faktoren können in ver-
zunimmt. Verschiedene «tracks» werden meist ab
schiedenen Kombinationen eine Rolle spielen.
der neunten oder zehnten Klasse unterschieden. In
Wie bereits erwähnt, zählen vor allem Kinder, die
der Regel existieren drei solche Züge: einer richtet
in Armut leben zur Risikogruppe der Schulpopulation
sich insbesondere an Schüler, die ein Studium an
(Beiser et al. 2000). Es zeigt sich, dass in Bezug auf
einem der Colleges oder Universitäten anstreben
die kindliche Entwicklung und das Auftreten von
(academic track), einer setzt eher berufsbildende
Verhaltensauffälligkeiten und Gesundheitsproble-
Schwerpunkte (vocational track) und einer, der soge-
men die ökonomische Situation oft zentraler ist als
nannte general track, nimmt die Schüler und Schüle-
Erziehungsstil und Verhalten der Eltern. Der Ent-
rinnen auf, bei denen aus unterschiedlichen Gründen
scheid, nach Vollendung der obligatorischen Schul-
eine solche Zuordnung (noch) nicht sinnvoll
zeit noch freiwillig ein weiteres Jahr zu absolvieren,
erscheint. Wie eine Studie aus dem Jahr 1995 fest-
um den Abschluss der Secondary School zu erhalten,
hält, existierten damals klare Hierarchien zwischen
ist zwar teilweise auch sozial gefärbt aber vor allem
den Programmen, welche die sozialen Hierarchien zu
auch abhängig von der finanziellen Lage der Familie.
reproduzieren drohen (Gaskell 1995). Dieses System
In diesem Zusammenhang werden auch Kinder aus
wurde in der Folge durch ein neues Modell von «cur-
den First Nations und Inuit Gemeinschaften benach-
ricula streaming» ersetzt, das die Jugendlichen lang-
teiligt (vgl. Alberta Teachers’ Association 2001).
samer in die verschiedenen Leistungstypen über-
Analysen zum Zusammenhang mit Schulleistungen
führt. In diesem Modell unterstützen ab dem siebten
werden jedoch in diesem Strategiepapier nicht
Schuljahr vor allem jährliche Bildungspläne die Ent-
gemacht; es ist jedoch zu vermuten, dass Armut
wicklung der Jugendlichen und führen dadurch zu
sowohl bei Migranten als auch bei der einheimischen
einer vermehrten Individualisierung; diese wird ab
Bevölkerung zu Problemen in der gesellschaftlichen
dem 9. Schuljahr formalisiert und führt zu einer
Partizipation führt.
Zuteilung in verschiedene Kurse nach Leistungsniveaus. So sollen die bis vor kurzem hohen Drop-out
Raten verringert werden, die sich daraus ergaben,
2.6 Kanada – Québec
dass die obligatorische Schulpflicht für schwache
Schüler endete, bevor sie alle Kurseinheiten absol-
Die Kombination von Dezentralisierung (Eigenstän-
viert und dadurch ihren Abschluss (secondary school
digkeit der «commissions scolaires»), Autonomie der
diploma) erworben hatten (Kitagawa 1998).
Schulen, Regulierung durch das Ministerium und
Bereitstellung von pädagogischen Ressourcen für die
2.5.4 Armut als Risikofaktor für Bildungserfolg
Unterrichtenden und die Schulen scheint zu einem
In Kanada lebt jedes sechste Kind in Armut. Die
grossen Teil das hohe Leistungsniveau des Bildungs-
betroffenen Kinder sind zahlreichen Risiken ausge-
systems von Québec und den geringeren Einfluss der
setzt und bezüglich Gleichbehandlung und Chancen-
sozialen und kulturellen Differenzierung auf die ver-
gleichheit auch in der Schule bedroht (vgl. Beiser,
zeichneten Resultate zu erklären.
Hou, Kaspar & Noh 2000). Im Jahr 1995 waren die
15- bis 24-Jährigen am stärksten von Armut betrof-
2.6.1 Eine Provinz, die sich durch hohe
fen; vor allem in den Städten. Dort leben auch Kin-
Bildungsausgaben und durch gute Resultate
der im Vergleich zu anderen Altersgruppen überpro-
in der PISA-Studie auszeichnet
portional häufig in Armut (Lee 2000). Möglicher-
Québec, eine der Provinzen Kanadas, umfasst rund 7
weise ist der relativ hohe Einfluss der sozialen Her-
Millionen Einwohner (7’125’580 gemäss den Zahlen
kunft auf die Leseleistung in Neufundland82 damit zu
der Volkszählung 2001); dies ist etwas weniger als
82
Der Unterschied zwischen den ISEI Quartilen beträgt für Neufundland 85 (Kanada 67, Schweiz 115)
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ein Viertel der Gesamtbevölkerung von Kanada. Sein
Abweichung zwischen den Resultaten der Schülerin-
weites Territorium erstreckt sich über 1‘542‘056 km2
nen und Schüler, die am unteren Ende der sozialen
(dies entspricht 15% der Gesamtfläche des Landes),
Leiter stehen (25% der Schüler, deren Familien
und die Bevölkerung konzentriert sich im Süden, ent-
gemäss dem ISEI-Index eine sehr tiefe soziale Stel-
lang des Sankt-Lorenz-Stroms. In der Region um die
lung haben) und jener Schüler, die auf der sozialen
Metropole Montréal ist beinahe die Hälfte der
Leiter oben stehen (ein Viertel der Schüler, deren
Gesamtbevölkerung der Provinz ansässig. Die
Eltern den höchsten sozioökonomischen Status
Arbeitslosenquote in Québec beträgt 8.6% und liegt
haben) beträgt 60. Bei der mathematischen Kompe-
damit über dem Landesdurchschnitt.
tenz liegt die Abweichung bei 56 und steigt bei der
Gemessen am BIP tätigt Québec Bildungsausga-
naturwissenschaftlichen Kompetenz auf 61 an. Bei
ben über dem Durchschnitt aller anderen Provinzen
der Lesekompetenz ist darauf hinzuweisen, dass die
zusammen (7.6 im Vergleich zu 7.0-Zahlen von
Abweichung eine der geringsten der kanadischen
97/98 – «Indicateurs de l’éducation», 1998). Von
Provinzen ist und dass sie sich sehr stark von den in
den sieben grossen Industrienationen (Deutschland,
Frankreich (84), in Deutschland (116) und in der
Frankreich, Italien, Vereinigtes Königreich, Japan,
Schweiz (117) gemessenen Werten unterscheidet.
USA, Kanada) leistet Kanada die höchsten öffent-
Die durchschnittliche Leseleistung der Schüler von
lichen Bildungsausgaben.
Québec, die am unteren Ende der sozialen Leiter ste-
Die Resultate von Québec zeigen ein Leistungs-
hen (erstes Quartil), ist mit einem Wert von 508 die
niveau auf, das sehr deutlich über jenem der anderen
höchste von allen Ländern (ausgenommen Finnland
Länder liegt und das eine schwache Streuung zwi-
und Korea) und liegt leicht über dem Durchschnitts-
schen den besten und den schlechtesten Resultaten
wert von Kanada als Ganzes. Am anderen Ende der
zeigt. Der Leistungsdurchschnitt der Schülerinnen
Skala, d.h. beim Leistungsniveau der Schüler mit
und Schüler von Québec liegt auf der kombinierten
gehobenem sozialem Status, findet sich Québec –
Skala für Lesekompetenz über dem Durchschnitt der
trotz seines hohen Wertes (D=567) – in zahlreicherer
OECD-Länder (Durchschnitt D=536), aber leicht
Gesellschaft wieder.
unter dem Durchschnittswert von Kanada (D=534),
Zieht man ausserdem nicht die Resultate der
das nach Finnland das beste Resultat aufweist). Bei
Schüler in Betracht, sondern jene der Schulen in
der mathematischen Kompetenz ist der Leistungs-
Funktion der sozialen Zusammensetzung ihrer Schü-
durchschnitt der Schüler von Québec wiederum sehr
lerpopulation, ist ein schwacher Zusammenhang
hoch (D=550). Er liegt deutlich über dem Gesamt-
zwischen dieser Dimension und der Durchschnitts-
durchschnitt von Kanada (D=533) und belegt direkt
leistung der Schule festzustellen. Diese liegt auf
hinter Japan (D=557) den zweiten Rang. Bei der
einem ähnlichen Niveau wie die Durchschnittsleis-
naturwissenschaftlichen Kompetenz (D=541) ist das
tung von Kanada als Ganzes.
Leistungsniveau ebenfalls sehr hoch und liegt über
Die Verminderung der sozialen Ungleichheiten
dem Gesamtdurchschnitt von Kanada (D=529). Der
scheint demnach hauptsächlich auf die guten Durch-
«Ungleichheitsindex» (Verhältnis zwischen den
schnittsresultate der Schüler mit einem tieferen sozi-
besten 10% und den schlechtesten 10% der Leis-
alen Status zurückzuführen zu sein, und das hohe
tungen) liegt bei 1.57 in Lesekompetenz, bei 1.47 in
Erfolgsniveau der gesamten Provinz Québec kommt
mathematischer Kompetenz und bei 1.56 in natur-
nicht auf Kosten bestimmter sozialer Gruppen oder
wissenschaftlicher Kompetenz. In Lesen und Mathe-
bestimmter Schulen zu Stande.
matik gehört Québec (zusammen mit Sakatchewan
Das hohe Leistungsniveau des gesamten Québec
bei der Lesekompetenz) resultatmässig zu den drei
sowie der – im Vergleich zu anderen Ländern –
homogensten Ländern.
beschränkte Einfluss der sozialen Herkunft der Schüler auf ihre Resultate sind gleichzeitig auf die ver-
2.6.2 Ein Bildungssystem, das auf sozialer Ebene
gleichsweise grosse soziale Homogenität der Bevöl-
wenige Unterschiede macht
kerung von Québec und auf ein Bildungssystem
In Bezug auf den Zusammenhang zwischen sozialer
zurückzuführen, das die Selektion bis nach der obli-
Herkunft und Leistungsniveau scheint das Bildungs-
gatorischen Schulzeit aufschiebt und von grossen
system von Québec weniger ungleichheitsfördernd
Investitionen seitens des Staates profitiert. Diese
als dasjenige anderer PISA-Teilnehmerländer. Der
Situation lässt sich aber auch noch anders erklären,
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namentlich durch die Ausbildung der Lehrkräfte und
Das Bildungssystem von Québec erscheint so als
die zur Förderung von Forschung und Entwicklung
eines der leistungsstärksten von allen an der Studie
im Bereich der Pädagogik eingesetzten Mittel.
teilnehmenden Ländern und als eines der ausgeglichensten, auch wenn eine leichte Wechselbeziehung
2.6.3 Eine aktive Politik zur sozialen und
zwischen gesprochener Sprache und Leistungsniveau
schulischen Integration
zu bestehen scheint. Diese Situation lässt sich durch
Gemäss der Volkszählung 2001 beträgt der Migran-
eine vergleichsweise starke soziale Homogenität der
tenanteil in der Bevölkerung von Québec 9.4%, und
immigrierten Bevölkerung erklären (auf Grund der
10% der Einwohner der Provinz haben eine andere
eingeführten Immigrationspolitik), aber sie dürfte
Muttersprache als Französisch (welches die Mutter-
ihre Gründe auch in den von Québec ergriffenen
sprache von 81% der Bevölkerung ist) und Englisch.
Massnahmen zur Aufnahme und Integration der
Bei der Schülerpopulation im Schulalter beträgt der
Migrantenpopulationen haben.
Migrantenanteil in Québec 22%. Die Migrationsbe-
Das Bildungssystem von Québec zeichnet sich
völkerung konzentriert sich in der Region um Mon-
einerseits durch eine aktive Förderung des Franzö-
tréal, wo 17% der Schüler und Schülerinnen ausser-
sischunterrichts zur Erleichterung von Schulbetrieb
halb von Kanada geboren sind (im Vergleich zu 5.2%
und Kommunikation aus und andererseits durch eine
in den anderen Regionen in Québec).
1998 eingeführte ehrgeizige «Politik zur schulischen
Als Resultat einer selektiven Immigrationspolitik,
Integration und zur interkulturellen Bildung» («poli-
die auf der Grundlage von bestimmten Kriterien (Bil-
tique d’intégration scolaire et d’éducation intercultu-
dungsniveau usw.83) realisiert wird, stimmt das
relle»).
sozioökonomische Profil der Migrationsbevölkerung
Die Förderung des Französischen wurde Ende der
in den grossen Linien mit jenem der autochthonen
70er Jahre als Antwort darauf eingeführt, dass die
Bevölkerung überein. Das Prinzip, nach 3 Aufent-
Mehrheit der Migranten von Québec ihre Kinder in
haltsjahren die Staatsbürgerschaft zu gewähren,
anglophonen Schulen unterbrachten. Das Parlament
trägt zudem zur Integration der frisch Eingewander-
von Québec hat 1977 das so genannte Gesetz 101
ten in der Bevölkerung bei.
verabschiedet, welches das Französische als einzige
Die Resultate der PISA-Studie zeigen einen leich-
Unterrichtssprache definiert und die Migranten somit
ten Einfluss der von den Schülern zu Hause gespro-
dazu verpflichtet, ihre Kinder in französische Schulen
chenen Sprache auf das Leistungsniveau. Dies geht
zu schicken. Dieses Gesetz zielte darauf ab, die lin-
aus einer multiplen Regressionsanalyse hervor, die für
guistische Minderheit von Québec vor einer zuneh-
die Provinzen von Kanada und für verschiedene Län-
menden Anglisierung der Provinz durch die Migran-
der durchgeführt wurde. Ziel war dabei die Bestim-
ten zu schützen. Das Gesetz sieht sowohl für
mung jener familiären und sozialen Faktoren, die am
Erwachsene als auch für Kinder die Bereitstellung
meisten Einfluss auf die Resultate haben (nationaler
verschiedener Programme zum Erlernen und Verbes-
PISA-Bericht). Unter Einbezug der anderen genann-
sern der französischen Sprache vor.
ten Faktoren ist die zu Hause gesprochene Sprache
Auf schulischer Ebene wurden verschiedene Vor-
negativ mit der Lesekompetenz und der mathemati-
kehrungen zur Unterstützung der Einschulung von
schen Kompetenz korreliert. Von den kanadischen
Migrantenkindern getroffen. Erwähnenswert ist die
Provinzen wurde jedoch einzig in Québec und in
ehrgeizige Öffnungspolitik gegenüber der ethnisch-
zwei andere Provinzen (Manitoba und British Colum-
kulturellen Vielfalt, welche ab 1978 zur Schaffung
bia) eine negative Auswirkung auf die Lesekompe-
von Sprachkursen der Herkunftssprache und ab
tenz festgestellt. Im Vergleich mit den anderen Län-
1998 zur Einführung der oben genannten «Politik
dern haben Deutschland, Schweden und die Schweiz
zur schulischen Integration» geführt hat. Diese sieht
schwächere Resultate für im Ausland geborene
vor, dass die gesamte Lehranstalt (Unterrichtende,
Schüler erzielt als jene von Québec. Frankreich und
Betreuungspersonal, Direktion usw.) für Integra-
Belgien haben keinen solchen Einfluss beobachtet
tionsaufgaben, für Sprachstützmassnahmen, für die
(ihr durchschnittliches Leistungsniveau liegt jedoch
Pflege des Verhältnisses zwischen Migrantenschülern
deutlich tiefer als jenes von Québec).
und autochthonen Schülern sowie für die Respektie-
83
Die Hälfte der frisch Eingewanderten wird auf Basis dieser Kriterien akzeptiert.
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rung der Muttersprache und der Ursprungskultur der
Baumert, J., Artelt, C., Klieme, E., Neubrand, M.,
Migrantenschüler verantwortlich ist.
Prenzel M., Schieferle, U., Schneider, W., Schümer,
G., Stanat, P., Tillmann, K.-J., Weiss, M. (Hrsg.)
2.6.4 Auswirkungen der Kombination
(2002b): PISA 2000 – Die Länder der Bundesrepublik
zwischen Autonomie der Schulen und
Deutschland im Vergleich. Zusammenfassung zen-
Direktiven des Erziehungsministeriums
traler Befunde. Berlin: Max-Planck-Institut für Bil-
Das Bildungssystem von Québec ist stark dezentrali-
dungsforschung.
siert: Im öffentlichen Netz (welches die grosse Mehr-
Beiser, M., Hou F., Kaspar, V., Noh, S. (2000): Chan-
heit der Schülerinnen und Schüler aufnimmt) sind die
ges in Poverty Status and Development Behaviours:
Schulkommissionen (insgesamt 72) für die Verwal-
A comparison of Immigrant and Non-Immigrant
tung des Schulsystems verantwortlich. Den Schulen
Children in Canada. Québec: Human Resources
wird ziemlich grosse Autonomie gewährt, welche
Development Canada.
erst kürzlich durch die Gewährung von neuen Ver-
Bussière, P., Catwright, F., Croker, R., Xin, M., Oder-
antwortlichkeiten im pädagogischen, budgetären
kirk, J. & Zhang, Y. (2001): Measuring up : the per-
und administrativen Bereich sogar noch verstärkt
formance of Canada’s youth in reading, mathematics
wurde. Das Bildungssystem jedoch bleibt stark regu-
and science. Ottawa: Statistics Canada.
liert: Das Erziehungsministerium definiert die Leitli-
Campaign 2000 (Ed.): Poverty amidst Prosperity.
nien der Bildungspolitik, treibt die grossen Refor-
Building a Canada for All Children. 2002 Report Card
men
on Child Poverty.
84
voran und übernimmt eine Kontrollfunktion
(die Schulen müssen dem Ministerium darüber
Council of Ministers of Education, Canada (2001):
Bericht erstatten, inwiefern die zentral festgelegten
The Development of Education in Canada. Internet-
Ziele realisiert werden).
Publikation unter http://www.cmec.ca/internatio-
Wichtige Mittel (in Form von pädagogischen
nal/unesco/ice46dev-ca.en.pdf.
Ressourcen, Leitfäden für die Unterrichtenden,
Degavre, F. & Martou, F. (1997): Efficacité de l’en-
manchmal jedoch auch in Form von finanzieller
seignement en Communauté française de Belgique.
Unterstützung) werden den Schulen zur Verfügung
Delvaux, B. (1998): L’échec scolaire en Belgique.
gestellt, damit sie die durch das Ministerium
European Journal of Teacher Education, 21 (2/3),
beschlossenen Neuerungen durchführen können
161–198.
(beispielsweise die Kampagne «Agir autrement pour
Deutsche Regierung (2000): Sechster Familienbericht.
la réussite des élèves du secondaire en milieu favo-
Familien ausländischer Herkunft in Deutschland. Leis-
risé», welche vom Ministerium kürzlich lanciert
tungen – Belastungen – Herausforderungen und Stel-
wurde).
lungnahme der Bundesregierung. Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode. Drucksache 14/4357.
Deutsches PISA-Konsortium (Hrsg.) (2001): PISA
2.7 Literatur
2000. Basiskompetenzen von Schülerinnen und
Schülern im internationalen Vergleich. Opladen:
Alberta Learning (2000): Shaping the Future for Stu-
Leske&Budrich.
dents with Special Needs. A review of Special Educa-
Duru-Bellat, M., Kiefer, A. (2000): Inequalities in
tion in Alberta. Final Report, November 2000.
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Alberta Learning (2002): Immigration to Alberta. A
expansion, democratization of shifting barriers?
Decade in Review. 1990–1999. Edmonton: Alberta
Journal of education policy, 15 (3), 333–352.
Learning.
Duru-Bellat, M. (2000): Social inequalities in the
Baumert, J., Artelt, C., Klieme, E., Neubrand, M.,
french education system: the joint effect of individual
Prenzel M., Schieferle, U., Schneider, W., Tillmann,
and contextual factors. Journal of education policy,
K.-J., Weiss, M. (Hrsg.) (2002a): PISA 2000 – Die
15 (1), 33– 40.
Länder der Bundesrepublik Deutschland im Ver-
Dyotte, S. (2002): Intégration des jeunes immigrants
gleich. Opladen: Leske+Budrich.
et immigrantes à l’école québécoise: défis et enjeux
84
Unter den grossen Reformen, die das Ministerium in Angriff genommen hat, ist insbesondere die Revision der Lehrpläne (Einführung der
neuen Pläne auf der Primarstufe ab 1998) zu nennen.
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French and many others. Ottawa: Statistics Canada.
2.8 Informationen zu den Ländern auf dem Internet
Allgemein:
Eurostat (europa.eu.int/comm/eurostat/)
Eurydice (www.eurydice.org)
International Indicators of Education Systems (nces.ed.gov/surveys/international/ines/)
PISA Homepage (www.pisa.oecd.org)
Belgien:
Ministère de la Communauté française de Belgique (www.cfwb.be)
Institut national de statistique (www.statbel.fgov.be)
Agers (administration générale de l’enseignement et de la recherche scientifique) (www.agers.cfwb.be)
Ministère de l’éducation de la Communauté flamande de Belgique (www.ond.vlaanderen.be)
Finnland:
Trends in international Migration 2001 Edition for Finland (www.mol.fi/migration/finrep2001.pdf)
Ministry of Education (www.minedu.fi/minedu/index.html)
Statistics Finland (www.stat.fi/index_en.html)
Frankreich:
Ministère de l’éducation nationale français (www.education.gouv.fr)
Base de données du Ministère de l’éducation (www.men.fr)
Deutschland:
Bildungswesen in der Bundesrepublik Deutschland (www.kmk.org/dossier/dossierinhalt.htm)
Grund- und Strukturdaten (www.bmbf.de/pub/GuS2001_ges_dt.pdf)
Kultusministerkonferenz (www.kmk.org/index1.shtml)
PISA 2000 Ergebnisse (www.mpib-berlin.mpg.de/pisa/PISA_E_Zusammenfassung2.pdf)
Kultusministerkonferenz (Statistische Analysen) www.kmk.org/statist/analyseband.pdf
Kanada:
Alberta Learning (www.learning.gov.ab.ca/)
Alberta Teachers’ Association (www.teachers.ab.ca/)
Campaign 2000 (www.campaign2000.ca/)
Council of Ministers of Education Canada/Conseil des ministres de l’éducation du Canada (www.cmec.ca/)
Ministère de l’éducation du Québec (www.meq.gouv.qc.ca)
Statistics Canada (www.statcan.ca)
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3 Schlussfolgerungen
3.1 Hoher Anteil an Migranten/innen
entscheidend in der Schweiz
wie auch Deutschland als Zielländer der europäischen Arbeitsmigration gelten können. Letzteres behindert den Integrationserfolg, weil sowohl das Ziel-
Der Anteil von Kindern und Jugendlichen mit Migra-
land als auch die Migranten/innen häufig fälschli-
tionshintergrund ist in der Schweiz grösser als in allen
cherweise davon ausgehen, dass es sich nur um eine
hier untersuchten Ländern. Aufgrund der Analysen
temporäre Migration handelt. Selbstverständnis und
kann geschlossen werden, dass allein diese Tatsache
sozialer Hintergrund der eingewanderten Bevölke-
die Chancengleichheit für die betroffenen Kinder
rung in Kanada und der Schweiz sind somit verschie-
und Jugendlichen gefährdet, wenn keine besonderen
den. Die Schulen sehen sich einer grundsätzlich
Anstrengungen unternommen werden. Um dieses
anderen ausländischen Schülerpopulation gegen-
Resultat richtig interpretieren zu können, müssen
über. Zudem sind die kanadischen Schulen auf die
allerdings die Umstände, unter denen ein hoher
Förderung und Integration der betroffenen Kinder
Anteil von Migranten/innen die soziale Differenzie-
und Jugendlichen besser vorbereitet.
rung eines Bildungssystems verstärkt, näher beleuch-
Die nordischen Länder und vor allem Finnland
tet werden. Der Vergleich der Immigrations- und
sind nicht in gleichem Masse von der europäischen
Integrationspolitik der verschiedenen Länder kann
Arbeitsmigration betroffen wie die zentral- und
darüber Aufschluss geben.
westeuropäischen Länder. Auch heute noch ist Finn-
Der französischen Teil Belgiens mit seinem über
land kulturell und sprachlich sehr homogen und
dem OECD-Durchschnitt liegenden Anteil an fremd-
weist einen Ausländeranteil auf, welcher in der
sprachigen Schülerinnen und Schüler zeigt eine sehr
Schweiz bereits in den 50er Jahren um ein Dreifaches
hohe Selektivität bezüglich der Nationalität. Von
übertroffen wurde. Für viele, mit der Migration ver-
erhöhtem Risiko, sehr schlechte Leistungen zu
bundene Fragestellungen kann ein Vergleich mit
erbringen, sind alle ausländischen Schülerinnen und
Finnland somit keine Antworten liefern.
Schüler betroffen, unabhängig davon, ob sie in Bel-
Gegenwärtig zeichnet sich in Deutschland hin-
gien geboren wurden oder nicht. Dieser Umstand
sichtlich der Ausländerpolitik eine Wende ab. Es
zeigt die schwerwiegenden Probleme der sozialen
wird vermehrt versucht, «Zuwanderung zu gestalten
Integration in der französischen Gemeinschaft Bel-
und Integration zu fördern» (Kommission Zuwande-
giens auf, die zu einer verschärften schulischen und
rung 2001, 11). Die dort geforderten Massnahmen
sozialen Segregation führen.
im schulischen Bereich sind sicher auch für die
Kanadische Schulen in grossen Städten verfügen
Schweiz zu prüfen (ebd. 217); jedoch verfügt
über einen annähernd gleich hohen Anteil an
Deutschland noch über keine entsprechenden Erfah-
Migranten/innen wie die Schweizer Schulen. Ihre
rungen.
Situation unterscheidet sich jedoch einerseits
Obwohl Frankreich ausser speziellen Empfangs-
dadurch, dass Kanada durch seine aktiv verfolgte
klassen für neu immigrierte Schülerinnen und Schü-
Migrationspolitik vor allem gut qualifizierte und
ler keine besonderen schulischen Massnahmen für
bereits des Englischen oder Französischen mächtige
Migranten kennt, scheint die Politik der ZEP (zones
Ausländer einwandern lässt und andererseits eine
d’éducation prioritaire) eine gewisse Wirkung zum
klare Integrationspolitik bei Wertschätzung der Her-
Ausgleich der Benachteiligung in Schulen mit hohen
kunftssprache und -kultur verfolgt (vgl. Québec). In
Anteilen ausländischer Kinder und Jugendlichen zu
Kanada immigrieren Personen, die sich im Zielland
haben. Es scheint, dass in Frankreich auch junge
dauerhaft niederlassen wollen, während die Schweiz
Migranten und Migrantinnen von den Massnahmen
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SCHLUSSFOLGERUNGEN
zur Sicherung der Chancengleichheit, insbesondere
in ihrem Sinne zu beeinflussen. Jugendliche aus so-
im Vorschulbereich profitieren können.
zial tiefer gestellten Familien werden deshalb bei der
Für das schweizerische Schulsystem stellt die hohe
Konzentration von Arbeitsmigranten/innen somit
Selektion tendenziell eher in tiefere Schultypen und
in Schulen mit unvorteilhaftem Umfeld eingeteilt.
eine besondere Herausforderung in Bezug auf die
Die Schweiz sieht sich also einem verschärften
Integration und Leistungsförderung der Kinder aus
Selektivitätsproblem gegenüber. Die Forschung zeigt:
den betroffenen Familien dar. Ab einem bestimmten
wenn man es vermeiden kann, dass mehrere Nach-
Anteil an Migranten/innen kann sich die Integration
teile kumuliert auf bestimmte Schüler/innen zutreffen,
speziell von fremdsprachigen Kindern nicht ein-
dann sind die einzelnen Nachteile besser verkraftbar.
fach über die Nachbarschaft oder die Mitschüler voll-
Auch Deutschland ist von diesen Problemen mit
ziehen, sondern erfordert spezifische Massnahmen.
Mehrfachbenachteiligungen betroffen. In Deutsch-
Es zeigt sich, dass in Schulen mit Anteilen von
land zeigt sich der Kumulationseffekt etwa darin,
über 40% fremdsprachiger Schüler auch bei Schwei-
dass insbesondere bei den tieferen Schultypen der
zer Kindern eine Leistungsminderung festzustellen
Sekundarstufe I ein höherer Ausländeranteil einen
ist. Der Kippeffekt in stark belasteten Schulen lässt
signifikant negativen Einfluss auf die Leistungen hat.
sich immer wieder feststellen, allerdings liegen die
In Kanada treten die oben genannten Benachtei-
Ursachen hierzu noch weitgehend im Dunkeln (vgl.
ligungen seltener kumuliert auf: Kinder mit Migra-
1.4.3).
tionshintergrund sprechen oft bereits Englisch oder
Französisch und kommen häufiger als in Deutsch-
3.2 Kinder und Jugendliche in der Schweiz
land oder in der Schweiz aus Familien mit hohem
betroffen durch mehrfache Benachteiligungen
Sozialstatus. Zahlreiche Migranten/innen leben
Die Gruppe von Jugendlichen, die unter sogenann-
bereits seit vielen Jahren in Kanada und die Tatsache,
ten Mehrfachbenachteiligungen leiden, ist in der
dass sie ihre Kultur und Sprache weiterhin pflegen,
Schweiz grösser als in den Vergleichsländern, welche
ist keineswegs Ausdruck der fehlenden Integration in
bezüglich der sozialen Selektivität besser abgeschnit-
einer multikulturellen Gesellschaft. Ein Risikofaktor
ten haben. Mehrfach benachteiligt sind zum Beispiel
im Hinblick auf Schulerfolg und Chancengleichheit
Jugendliche, welche die Unterrichtssprache nicht
scheint in Kanada jedoch die Armut zu sein. Gerade
beherrschen, aus einer sozial tiefgestellten Familie
alleinerziehende Elternteile haben oft zwar eine gute
stammen, welche zu wenig finanzielle und zeitliche
Ausbildung, müssen aber dennoch in Armut leben.
Ressourcen für das Kind aufbringen kann, sowie in
Ebenfalls von Armut betroffen sind die in den länd-
einem unvorteilhaften Umfeld der Schule zur Schule
lichen Gebieten lebenden Ureinwohner Kanadas.
gehen. Die besonders hohe Konzentration solcher
Immigrierte Familien sind hingegen nicht schwerge-
Jugendlichen in der Schweiz hat verschiedene Ursa-
wichtig von diesem Problem betroffen, was die Zahl
chen. Sozial tiefergestellte Eltern sind in der Schweiz
der Kinder mit Mehrfachbenachteiligungen senkt.
oft zusätzlich «bildungsferner», als dies in anderen
In Frankreich zeigt sich die Wirkung einer Politik
Ländern der Fall ist. Dazu kommt, dass Schüler/
zur Verhinderung sozialer Benachteiligung, die nicht
innen mit unvorteilhaften Startbedingungen häufig
nur mit zusätzlichen Ressourcen beim einzelnen Kind
in den Schulen gruppiert sind. Dafür mitverantwort-
ansetzt, sondern flächendeckend bessere Vorausset-
lich ist auch das hierarchisch gegliederte Schul-
zungen für die Chancengleichheit zu schaffen ver-
system mit einer frühen Erstselektion. Bei diesem
sucht (ZEP). Gleichzeitig wird auch deutlich, dass die
Übertritt spielen die Eltern (und die Lehrpersonen)
ausschliessliche Berücksichtigung der sozialen Di-
eine grosse Rolle. Diese Regelung wird von den
mension von Schulproblemen (Verhinderung von
Betroffenen grundsätzlich als positiv erlebt, hat aber
Gewalt, Sicherstellen des Unterrichtsbesuchs, Teil-
ihre Tücken. Das Kind soll zwar aufgrund einer
nahme am Schulleben) für die Leistungsförderung
Gesamtbeurteilung – also explizit nicht nur auf-
nicht genügen kann.
grund der Leistungen – in den richtigen Typus der
Oberstufe überführt werden, aber für bildungsnahe
3.3 Späte Einschulung und frühe Selektion
und sozial besser gestellte Eltern ist es jedoch
begünstigt soziale Differenzierung im Alter
besonders in solch komplexen Bildungssystemen
von 15 Jahren
einfacher, die für ihr Kind wichtigen Entscheidungen
Die empirischen Ländervergleiche haben gezeigt,
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SCHLUSSFOLGERUNGEN
dass eine frühe erste Selektion die Selektivität von
Die frühe Selektion scheint somit einer der wich-
Bildungssystemen begünstigt. Eine späte Selektion in
tigsten Faktoren für die soziale hohe Differenzierung
verschiedene Ausbildungs- und Schultypen scheint
der Schulleistungen in der Schweiz, in Belgien und in
eine geringere soziale Abhängigkeit der Leistungen
Deutschland zu sein. In der Schweiz zeigt sich
(im Alter von 15 Jahren) zur Folge zu haben. Dies
zudem, dass sich die sozialen Ungleichheiten bei der
hängt möglicherweise damit zusammen, dass schwä-
Wahl der Lehrstellen weiter negativ auswirken (Pro-
chere und auch sozial benachteiligte Kinder und
jekt Tree, vgl. 1.5). Diese Tatsache verdeutlicht die
Jugendliche länger vom gemeinsamen Unterricht
Konsequenzen der Diskriminierung bei der ersten
profitieren können. Mit einer frühen Selektion erhält
Selektion nach Abschluss der Primarschule.
die Schule weniger Zeit, um die primäre Benachteili-
Aus diesen Zusammenhängen, die bei Schüler/
gung der Kinder durch eine lange gemeinsame
innen im Alter von 15 Jahren gefunden werden, kann
Sozialisierung in der Schule auszugleichen. Ausser-
allerdings nicht unmittelbar abgeleitet werden, dass
dem wirken auch bei der Übertrittsentscheidung
soziale Ungleichheit und Ungerechtigkeit bei der frü-
selbst soziale Faktoren mit, die dazu führen, dass
hen schulischen Selektion zwangsläufig zu sozialer
Schülerinnen und Schüler nicht nur gemäss ihres
Benachteiligung oder sozialem Ausschluss führen
Leistungspotenzials in verschiedene Schultypen ein-
muss oder dass umgekehrt eine späte Selektion in
geteilt werden. Die Übertrittsentscheidungen sind
jedem Fall als wirksame Prävention gegen diese Pro-
in der Schweiz stark beeinflusst durch die Eltern und
zesse betrachtet werden kann. In Finnland zum Bei-
die Lehrpersonen und dabei werden die Entschei-
spiel findet die auch dort sehr stark sozial gefärbte
dungen unabhängig von der Leistungsfähigkeit des
Selektion erst bei der Aufnahme in die Tertiärausbil-
Kindes durch den sozialen Status der Eltern beein-
dungen statt. Zudem haben (die sehr wenigen) Kin-
flusst.
der aus Familien mit Migrationshintergrund ein 3.5
Diese sekundären Ungleichheiten sind sowohl in
mal höheres Risiko, vorzeitig die Schule zu verlassen,
Deutschland als auch in der Schweiz ausgeprägt zu
als dies bei finnischen Kindern der Fall ist (Järvinen &
beobachten.
Vanttaja 2001). Auch die im Vergleich mit Deutsch-
Eine längere gemeinsame Schulzeit könnte nun
land und der Schweiz relativ hohen Anteile von
aber nicht nur durch eine spätere Selektion, sondern
Jugendarbeitslosigkeit sowohl in Finnland als auch in
auch durch eine früher einsetzende gemeinsame
Kanada und Frankreich könnten als eine spät einset-
Betreuung und Schulung sowie durch gemeinsam
zende soziale Selektivität betrachtet werden.
durchlebte Ganztagesstrukturen erreicht werden.
Eine solche Praxis wird, zusammen mit einer späten
ersten Selektion und erleichtertem Zugang zu den
Lycées, in Frankreich verfolgt (siehe 3.5). Diese
3.4 Wirkung früher Förderung und
Unterstützungsmassnahmen
Massnahmen scheinen die soziale Selektivität des
französischen Schulsystems verringert zu haben.
Die Wirkung früher Förderung ist ohne Langzeitstu-
In Finnland erfolgt die erste Selektion sehr spät,
dien schlecht belegbar. Einige Studien aus Frankreich
nämlich nach Abschluss des 9. Schuljahres. Durch
scheinen jedoch darauf hinzuweisen, dass eine sol-
besondere Kurse auf Sekundarstufe II sollen Leis-
che die Chancengleichheit verbessern kann.
tungsdefizite soweit wettgemacht werden, dass alle
Unterstützungs- und Fördermassnahmen sind nur
Jugendlichen grundsätzlich Zugang zu einer Tertiär-
in dem Sinne integrativ, wenn sie von allen sozialen
ausbildung haben. In der Realität findet dann die
Gruppen einer Gesellschaft gleich stark in Anspruch
sozial abhängige Selektion aber beim Zutritt an die
genommen werden. Dies gilt nicht nur für die ver-
Universitäten statt. Da diese nach dem PISA – Testal-
schiedenen Angebote auf der Sekundarstufe I, son-
ter stattfindet, ist sie aber nicht Gegenstand dieser
dern auch für besondere Stütz- und Fördermassnah-
Untersuchung.
men in der Vorschulzeit. Um nicht wiederum die
Kanada, das sich wie Finnland durch einen hohen
sozialen Unterschiede zu verstärken, müssten diese
Anteil an Schülerinnen und Schülern in Tertiärausbil-
Massnahmen obligatorisch sein und dürften nicht
dungen auszeichnet, kennt ein ähnliches Kurssystem,
durch geographische Segregation oder eine unglei-
das die Bildungsentscheide, die teils nach der 6. teils
che Mittelzuweisung zu den Institutionen unter-
nach der 8. Klasse erfolgen, abfedern soll.
miniert werden. Zudem müssten diese Massnahmen
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SCHLUSSFOLGERUNGEN
im vorschulischen Bereich und in den ersten Schul-
andere schulische Entscheidungen wie etwa die Ent-
jahren den veränderten Arbeitsmarktbedürfnissen
scheidung zur Rückstellung bei der Einschulung oder
der Frauen entgegenkommen und eine zeitlich län-
zur Wiederholung von Klassen. Da auch diese Ent-
gere Phase des Tages abdecken, so dass eine
scheidungen durch soziale Faktoren mitbestimmt
Erwerbstätigkeit möglich wird.
sind, ist die Gefahr gross, dass nicht allein das objek-
Die vor allem in der Schweiz und in Deutschland
tive Leistungspotential ausschlaggebend ist, sondern
angebotenen separativen Unterstützungsmassnah-
sowohl die Einschätzung der Lehrperson, als auch die
men sowohl im Vorschulbereich (z.B. Sprachheilkin-
Erwartungen der Eltern und der allgemeine Leis-
dergärten) als auch während der Schulzeit (Sonder-
tungsstand der Klasse.
klassen, Stütz- und Fördermassnahmen) werden in
Schulsysteme wie diejenigen von Finnland oder
dem Masse von Kindern als sozial und sprachlich
Frankreich, die relativ spät selektionieren, kennen
benachteiligten Familien in Anspruch genommen, in
auch keine Verzögerungen der Schullaufbahn durch
dem sie von sozial besser gestellten Familien gemie-
späte Einschulung oder Klassenwiederholung. In der
den werden. Diese Entwicklung zeigt sich vor allem
Schweiz und in Deutschland wird diese Praxis aber
in den Schweizer Sonderklassen und wird sich ver-
durchaus angewendet. In diesem Zusammenhang
mutlich mit zunehmender Integration schwerer
sind die leider nur in Deutschland durchgeführten
behinderter Kinder auch im Sonderschulbereich zei-
Studien zu den Lehrereinschätzungen der Lesefähig-
gen. Stütz- und Fördersysteme, die nur beim einzel-
keiten ihrer Schülerinnen und Schüler relevant. Die
nen Kind ansetzen, ohne den Bedarf der ganzen
dort festgestellten Probleme bei der sicheren Identi-
Schule oder Klasse zu berücksichtigen, wirken zudem
fizierung sehr schwacher Leser sind sehr bedenklich,
diskriminierend, da Kinder bei gleichem Förderbedarf
vor allem wenn die in diesem Zusammenhang ge-
in Klassen mit einem guten Leistungsstand identifi-
machten Fehleinschätzungen weitreichende Konse-
ziert werden, jedoch nicht in schlechten Klassen.
quenzen für die Schullaufbahn des betroffenen Kin-
Weiter berichten Studien aus den USA (McLaughlin
des oder Jugendlichen haben. Da die entsprechenden
& Owings, 1993) und Grossbritannien (Sacker,
Daten jedoch für die anderen Länder nicht verfügbar
Schoon & Bartley, 2001) übereinstimmend, dass
sind, kann nicht mit Sicherheit festgestellt werden,
Regionen und Schulen mit höherem Leistungsniveau
dass etwa finnische oder kanadische Lehrpersonen
mehr Gelder für unterstützende Massnahmen ausge-
tatsächlich aufgrund ihrer Ausbildung und der inten-
ben als jene Schulen, die dies von dem dort eher tie-
siven Arbeit an den lokal erarbeiten, aber national
fen Leistungsniveau her eigentlich tun müssten.
vergleichbaren Curricula und Standards eine sicherere
Wiederum spielen hier auch die Erwartungen der
Einschätzung des Leistungspotentials des einzelnen
Eltern und Lehrpersonen eine grosse Rolle. Bei gleich
Kindes – unabhängig von der gerade vorhandenen
schlechten Leistungen haben Kinder aus höheren
Zusammensetzung der Klasse – machen können. Die
Sozialschichten und ohne Migrationshintergrund
Orientierung an der Norm statt an Standards oder
eine grössere Chance, eine zusätzliche von den
Inhalten von nationalen Leistungstests würde vor
Eltern gewünschte Förderung zu erhalten.
allem dort problematisch, wo die Zusammensetzung
Einen ganz anderen Weg verfolgen Kanada und
der Klasse nicht der Normalverteilung der Gesamt-
Finnland, die bei Schulschwierigkeiten keine Mög-
schülerschaft entspricht. Lehrpersonen scheinen
lichkeiten der Segregation bieten, sondern eine
auch in gegliederten Schultypen mit einer relativ
schulhausnahe und am Regelunterricht orientierte
grossen Homogenität trotz allen Besonderheiten der
Förderung anbieten.
Klasse und Gemeinde von einer Normalverteilung
auszugehen, wenn sie sich nicht an klar definierten
Leistungszielen und Standards orientieren können.
3.5 Einfluss der Lehrperson
Wie bereits unter 3.3 und 3.4 erwähnt, ist der Einfluss der Lehrperson bei der Leistungseinschätzung
3.6 Autonomie und Steuerung
in Bildungssystemen
und der Selektion in verschiedene Schultypen sowie
bei der Zuweisung zu Stütz- und Fördermassnahmen
Freie Schulwahl, also die Autonomie der Eltern bei
beträchtlich. Dies gilt im gleichen Masse auch für
der Auswahl der Schule für ihr Kind, kann unter
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SCHLUSSFOLGERUNGEN
Umständen die Segregation und somit die soziale
3.7 Literatur
Differenzierung der schulischen Leistungen verschärfen. Dies tritt vor allem auf, wenn bei grossen Qua-
Järvinen, T., Vanttaja, M. (2001) Young People, Edu-
litätsunterschieden in den Schulen der Zugang zu
cation and Work: Trends and Changes in Finland in
den Schulen nicht für alle Eltern gleich leicht ist. Dies
the 1990s. Journal of Youth Studies, 4 (2), 195–207.
zeigt sich vor allem in Belgien und neuerdings in
Kommission Zuwanderung (2001). Zuwanderung
geringeren Masse auch in Finnland. Das Beispiel von
gestalten – Integration fördern. Bericht der Unab-
Belgien zeigt auf, dass freie Schulwahl zu grossen
hängigen Kommission «Zuwanderung». Berlin:
Leistungsunterschieden aufgrund sozialer Wirkun-
Bundesministerium des Innern.
gen führen kann. Die Unterschiede zwischen den
McLaughlin, M., Owings, M. (1993). Relationships
Schulen werden dort zusätzlich verstärkt, wo keine
among States’ Fiscal and Demographic Data and the
zentral durchgeführten Leistungstests angeordnet
Implementation of P.L. 94–142. Exceptional Chil-
sind.
dren, 59 (3), 247–261.
Wo freie Schulwahl nicht offiziell erlaubt ist, wird
Sacker, A., Schoon, I., Bartley, M. (2001). Source of
sie oft durch die Wohnortswahl vor allem der sozial
bias in special needs provision in mainstream primary
besser gestellten Familien praktiziert. Eine solche
schools: evidence from two British cohort studies.
Schulwahl über die Wohnortsentscheide kann
European Journal of Special Needs Education, 16 (3),
ebenso segregierend wirken; in der Schweiz ist es
259–276.
fraglich, ob diese nicht sogar stärker wirkt als eine
wirkliche freie Schulwahl (bspw. innerhalb des
öffentlichen Schulsystems) dies täte, weil die Wohnortswahl definitiver und schärfer sozial trennend sein
kann als eine Schulwahl innerhalb des öffentlichen
Bildungssystems.
Um Schulen zu lebendigen Einheiten gemeinsamer pädagogischer Arbeit werden zu lassen, brauchen diese Gestaltungsfreiraum und Lehrpersonen,
die diesen Gestaltungsfreiraum gemeinsam nutzen
können. Zentrale Verfahren der Lehrerbeamtung
und deren Zuweisung zu einzelnen Schulen, wie dies
in Deutschland der Fall ist, laufen einer Profilbildung
und gemeinsamer Schulentwicklungsarbeit entgegen. Sie basieren auf dem Verständnis, dass jede
Lehrperson für jede freie Stelle gleichermassen
geeignet ist und nicht auf der Idee, dass in einem
Schulhausteam eine Person mit einem bestimmten
Profil benötigt wird. Gut funktionierende Schulsysteme wie etwa diejenigen in Kanada oder Finnland
kombinieren eine Teilautonomie immer mit einer
Intensivierung zentraler Leistungstest. Bereits die
TIMSS Forschung hat die leistungssteigernde Wirkung von zentralen Leistungstests gezeigt. Leider
sind jedoch keine Studien bekannt, welche etwas
über deren Wirkung auf die soziale Differenzierung
aussagen. In den PISA Daten können wir keinen Einfluss der zentralen Leistungstests auf die soziale
Selektivität der Schulsysteme feststellen. Dieser
Zusammenhang müsste aber vertiefter untersucht
werden.
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4 Empfehlungen
Die nachfolgenden Empfehlungen beziehen sich vor
dern und Jugendlichen ohne zusätzliche Massnah-
allem auf das Schulsystem. Die Ergebnisse dieser Stu-
men nicht in der Lage, die dadurch entstehenden
die weisen allerdings deutlich darauf hin, dass aus-
Benachteiligungen auszugleichen. Hier sind gezielte
schliesslich bildungspolitische Massnahmen diese
Interventionen zur Unterstützung dieser Schulen
komplexen sozialen und gesellschaftlichen Probleme
notwendig, die sowohl auf den Niveau der gesamten
nicht nachhaltig verändern können. Neben den hier
Schule (z.B. QUIMS-Projekt in Zürich) als auch bei
erläuterten Empfehlungen müssten somit auch
den Schülerinnen und Schülern ansetzen. Diese soll-
andere Bereiche der Politik neu ausgerichtet und
ten nicht nur allgemein eine soziale Integration (vgl.
definiert werden, wenn die soziale Ungleichheit im
Frankreich), sondern auch spezifisch die sprachlichen
Bildungswesen gesenkt werden soll. Unter diesen
Fähigkeiten fördern. Dabei ist die negative Etikettie-
anderen Politikbereichen sind für die Schweiz
rung der betroffenen Schulen und Jugendlichen zu
besonders entscheidend: Steuer- und Finanzpolitik,
meiden und eine klare Profilbildung und diesbezügli-
Sozialpolitik allgemein, Migrationspolitik und Ar-
che Kompetenzentwicklung der Lehrpersonen anzu-
beitsmarktpolitik.
streben. Nur so wird die Attraktivität dieser Schulen
Erfolgreiche Initiativen in Nordamerika verweisen
auf Strategien, die alle betroffenen Regierungsstellen
und -ebenen sowie private Organisationen und eine
auch für sozial besser gestellte Familien erhalten und
eine weitere Selektion verhindert.
Die Integrationsbemühungen in Quartieren mit
breitere Öffentlichkeit zu einer gemeinsamen Vorge-
sehr hohem Migrationsanteil können sich jedoch
hensweise verpflichten. Für die Umsetzung von
nicht nur auf schulische Massnahmen beschränken.
Empfehlungen wird deshalb nahegelegt, dass bei der
Es müssen verstärkt auch Integrationsmassnahmen
Ausarbeitung des Massnahmekatalogs einerseits
für die Eltern vorgeschlagen und umgesetzt wer-
Bund und Kantone eng zusammenarbeiten, anderer-
den; teilweise sind solche Versuche ja schon im
seits aber auch innerhalb einer Regierungsebene
Gange.
zwischen den Departementen eine gemeinsame,
Andererseits müssten hier auch Veränderungen
integrierte Strategie verfolgt wird. Soziale Gerechtig-
der schweizerischen Migrationspolitik geprüft wer-
keit im Bildungswesen ist nicht nur Aufgabe der
den. Bereits sehr früh führte etwa Kanada ein Punk-
Erziehungs- oder Bildungsdirektoren.
tesystem ein, das bei der Auswahl von Migranten/
innen helfen sollte, die kulturell vom Gastland nicht
zu weit entfernt sind und sich voraussichtlich leicht
4.1 Notwendige besondere Massnahmen
bei hohem Anteil an Migranten
integrieren lassen (z.B. Kenntnis der französischen
oder englischen Sprache; hohe Schulbildung). Ob ein
solches Punktesystem erwünscht und welche Zu-
Für das schweizerische Schulsystem stellt die hohe
wanderungsmodelle für die Schweiz politisch
Konzentration von Arbeitsmigranten/innen eine
umsetzbar sind, muss breit diskutiert werden. Von
besondere Herausforderung in Bezug auf die Inte-
grosser Bedeutung werden auch vermehrte Anstren-
gration und Leistungsförderung dar. Die Analyse hat
gungen zur Erstförderung erwachsener Immigranten
gezeigt, dass in Schulen mit Anteilen von über 40%
sein und eine bessere Nutzung der zentralen Bedeu-
fremdsprachiger Schüler auch bei Schweizer Kindern
tung der Familie für den Integrationsprozess sein.
eine Leistungsminderung festzustellen ist.
Deutschland hat zu diesen Aspekten bereits einige
Zahlreiche Schulen sind wegen ihres hohen
Anteils an fremdsprachigen und benachteiligten Kin-
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Reformen eingeleitet, deren genauere Untersuchung
sich lohnen würde (vgl. Angenendt 2002).
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EMPFEHLUNGEN
4.2 Soziale Durchmischung
ausschliesslich bei Migranten/innen, sondern auch
bei Schweizer Eltern mit sozial benachteiligtem
Einen wesentlichen Beitrag zur Konzentration von
Hintergrund bedacht werden. Der Einfluss der sozia-
Jugendlichen mit Migrationshintergrund in bestimm-
len Herkunft liesse sich möglicherweise einerseits
ten Schulen leistet die Wohnortswahl von sozial gut
mildern, in dem über kompensierende Massnahmen
gestellten Eltern. Obwohl in der Schweiz keine freie
wie frühe Einschulung, Tageskindergärten oder Auf-
Schulwahl möglich ist, wird sie von einem sozial pri-
gabenhilfe korrigiert wird, oder andererseits, indem
vilegierten Teil der Bevölkerung über Wohnortsent-
Massnahmen ergriffen werden, welche die für die
scheide praktiziert. Grosse Unterschiede in der
Schule relevante Betreuung im jeweiligen Elternhaus
Besteuerung zwischen den Gemeinden der Schweiz
verbessern. In diesem Zusammenhang könnte auch
fördern die so entstehende soziale «Entmischung».
eine aktivere Politik betrieben werden, um die
Auch der soziale Wohnungsbau muss in diesem
Bedeutung und den Wert von Bildung den bildungs-
Zusammenhang kritisch betrachtet werden; er för-
fernen Familien und Jugendlichen näher zu bringen.
dert unter Umständen eine Art «Gettoisierung» von
Das Leistungspotential sozial und sprachlich
sozial benachteiligten und immigrierten Familien.
benachteiliger Kinder wird insbesondere bei einer
Eine freie Schulwahl innerhalb eines geografisch
Schulung in segregativ geführten Kursen und Klassen
begrenzten Raumes und innerhalb des öffentlichen
nicht genügend gefördert. Vor allem dort, wo Ange-
Schulsystems wäre gegebenenfalls zu überdenken
bote und Massnahmen von sozial besser gestellten
(siehe auch unter 5.1.).
Familien gemieden werden, wirken diese nicht mehr
integrativ. Integriert angebotenen Massnahmen
nahe am Unterricht sollten deshalb den Vorzug
4.3 Leistungspotential sozial und
sprachlich benachteiligter
Schülerinnen und Schüler
gegeben werden.
Zentral durchgeführte Leistungsmessungen können für Lehrpersonen eine wichtige Ergänzung und
Korrektur ihrer durch die Zusammensetzung der
Bezüglich Leistungsfähigkeit und -potential wird die
Klasse gefärbten Wahrnehmung sein. Sie ermög-
Gruppe der sozial und sprachlich benachteiligten
lichen der Lehrperson einen realistischen Vergleich
Schülerinnen und Schüler oft unterschätzt. Es zeigte
mit der Gesamtpopulation aller Kinder in einem
sich in diesem Zusammenhang beispielsweise in
Land. Sie sind zudem auch eine Voraussetzung dafür,
Deutschland, dass die dynamische, unsichere Situa-
dass sich Schulautonomie nicht noch zusätzlich ver-
tion von Kindern aus Familien mit Migrationshinter-
schärfend auf Leistungsunterschiede auswirkt.
grund oft besser für eine Veränderung der sozialen
Lage genutzt werden kann als dies bei einheimischen
Kindern aus bildungsferneren Familien der Fall ist.
Hier ist deshalb möglicherweise ein grosses Leis-
4.4 Überprüfung von Selektionsentscheiden auf soziale Selektivität
tungspotential vorhanden, das nicht ausgeschöpft
wird. Eine vertiefte Analyse dieser Dynamiken und
Der Selektionsentscheid am Ende der Primarstufe ist
der Unterschiede zwischen einheimischen und zuge-
in der Schweiz aus zwei Gründen problematisch. Die
wanderten Familien wäre sinnvoll.
erste Problematik betrifft den Übertrittsentscheid
Die Umsetzung des Leistungspotentials ist in
selbst, die zweite den Zeitpunkt des Übertritts.
hohem Masse von der Beherrschung der örtlichen
Die pädagogisch begründeten Überführungsmo-
Sprache abhängig. Eine aktive Unterstützung des
delle, die vor allem auf einer Gesamteinschätzung
Erwerbs dieser muss deshalb während der gesamten
der abgebenden Lehrperson und dem Wunsch der
Schulzeit erfolgen (vgl. auch EDK 2000). Entspre-
Eltern beruhen, verstärken die Wirkung der sozialen
chend muss auch die Fähigkeit der Lehrpersonen,
Faktoren zulasten der Bedeutung des eigentlichen
dieses Potential richtig einzuschätzen, gefördert und
Leistungspotentials. Es besteht ein Bedarf nach Ver-
sichergestellt werden.
änderung der Selektionsmechanismen. Es sollten
Zur Ausschöpfung dieses Leistungspotentials
sozial neutralere Verfahren gewählt werden, bei-
müssen verstärkt auch die Eltern in die Massnahmen
spielsweise dadurch, dass man den abnehmenden
miteinbezogen werden. Dies sollte nicht wie bisher
Schulen wieder mehr Gewicht beimisst. Auch eine
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EMPFEHLUNGEN
zusätzliche Abstützung auf Leistungsmessungen
integrationsfördernd, als sie flächendeckend einge-
oder eine Orientierung an allgemeinen Standards
führt und von allen Kindern besucht werden. Gelingt
wären denkbar. Es ist zu überprüfen, wie sich solche
es nicht, diese Angebote auch für sozial besser ge-
Modelle kurz- und mittelfristig auf die weiteren Bil-
stellte Familien attraktiv zu gestalten oder wird der
dungs- und Berufschancen der Jugendlichen auswir-
Besuch nicht als obligatorisch erklärt, werden sie
ken. Der Zusammenhang mit sozialem Ausschluss im
möglicherweise weitere soziale Ungleichheiten gene-
Erwachsenenalter ist nicht erwiesen, sollte jedoch
rieren.
ebenfalls geprüft werden.
Der Zeitpunkt des Übertritts ist in der Schweiz relativ früh gewählt worden. Nun hat sich im Ländervergleich gezeigt, dass dieser Faktor die soziale Selekti-
4.6 Verbesserung der Datenlage und
des Kenntnisstandes
vität verstärkt. Allenfalls müsste deshalb die Hierarchisierung des Bildungswesens auf der Volksschul-
Viele der vermuteten Zusammenhänge lassen sich
stufe überdacht und dieses durchlässiger gestaltet
letztlich nicht beweisen oder in allen Einzelheiten
werden, damit die Selektionsentscheide mit 12 Jahren
erfassen. Dies betrifft insbesondere die Wirkung frü-
nicht die ganze weitere Bildungslaufbahn bestimmen.
her Unterstützungsmassnahmen oder die Bedeutung
Die frühe Selektion verstärkt auch die durch die geo-
sozialer Differenzierung im Alter von 15 Jahren für
graphische Wohnsituation entstehenden Diskrimi-
spätere Prozesse des sozialen Ausschlusses und
nierungen. Kinder, die weit weg von höheren Schu-
gesellschaftlichen Benachteiligung im Erwachsenen-
len (Untergymnasien, Gymnasien, etc.) wohnen,
alter. Hierzu braucht es systematische Längsschnitt-
besuchen diese Schulen nachweislich mit einer gerin-
und Kohortenstudien.
geren Wahrscheinlichkeit als andere Kinder. Teilweise
Vor allem jedoch braucht es mehr Informationen
kann dies einfach mit der geographischen Distanz
zur Interaktion zwischen Eltern und Kindern, zwi-
begründet werden. Im Zusammenhang damit sind
schen Eltern und Lehrpersonen sowie unter Kindern
aber auch andere Erwartungshaltungen der Eltern
in der gleichen Schule. Über welche Prozesse sich
und der Lehrer zu beobachten, die den Nichtbesuch
soziale Ungleichheiten in der Schule entwickeln, kann
höherer Schulen eher als normal empfinden. Es soll-
heute nicht abschliessend beantwortet werden. Diese
ten also auch gezielt Massnahmen ergriffen werden,
Studie hat gezeigt, dass die Gestaltung des Übertritts
die solche Benachteiligungen auffangen.
in die Oberstufe zu diesen Prozessen gezählt werden
kann; um weitere zu identifizieren bedarf es jedoch
zusätzlicher Informationen und Untersuchungen.
4.5 Überprüfung der Einführung
flächendeckender Massnahmen
Insbesondere aufgrund der in den Statistiken fehlenden Erhebung der Stütz- und Fördersysteme, die
in der Schweiz überproportional von fremdsprachi-
Um die Wirkung familiärer Benachteiligung aufzu-
gen und ausländischen Kindern beansprucht werden,
fangen, sind frühe Kontexte der gemeinsamen För-
ist es nicht möglich, die Wirkung dieser Angebote
derung aller Kinder aus den unterschiedlichsten sozi-
auf die Prozesse des sozialen Ausschlusses zu unter-
alen und kulturellen Zusammenhängen bedeutsam.
suchen.
Je früher Kinder von und miteinander lernen und
interagieren können, umso mehr können die Benachteiligungen im Elternhaus ausgeglichen werden.
4.7 Literatur
Die Einführung von Tagesstrukturen und Möglichkeiten der ausserschulischen Betreuung sind für
Angenendt, S. (2002): Einwanderungspolitik und
eine bessere soziale Integration empfehlenswert.
Einwanderungsgesetzgebung
Auch hier sollen sich eingeführte Massnahmen gut
2000–2001. In K.J. Bade & R. Münz, Migrationsre-
ergänzen und mit Angeboten anderer Träger (Sozial-
port 2002. Fakten – Analysen – Perspektiven. Frank-
oder Fürsorgedepartement, private Angebote) gut
furt/New York: Campus.
vernetzt werden. Eine enge Anbindung an schulische
EDK (2000): Ausbildung und Integration von fremd-
Angebote ist wünschbar.
sprachigen Jugendlichen auf der Sekundarstufe II.
Diese Massnahmen sind jedoch nur in dem Masse
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in
Deutschland
Dossier 59. Bern: EDK.
SOZIALE INTEGRATION UND LEISTUNGSFÖRDERUNG
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5 Anhänge
5.1 Anhang A
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2003
SOZIALE INTEGRATION UND LEISTUNGSFÖRDERUNG
6.6%
Arbeitslosenquote
BFS/EDK
2003
SOZIALE INTEGRATION UND LEISTUNGSFÖRDERUNG
ISCED 3C : 13%)
ISCED 3B : 50% -
(ISCED 3A : 19% -
82%
4.4%
5.9%
19.3%
um 1.7%
Abnahme
2.7%
27’500
7’169
41’293 km2
Schweiz
* Quellen: OECD (2002): Society at a glance.
ISCED 3C : 37%)
*: Daten 1998 / **: Daten 1999
ISCED 3B : 58%)
ISCED 3B : 10% -
ISCED 3C : 19% ISCED 3C kurz : 11%)
Sekundarstufe II
(ISCED 3A :33% -
84%
91%
3.7%
5.6%
8.9%
um 0.1%
Abnahme
8.1%
23’600
82’028
357’000 km2
(ISCED 3A : 49% -
4.4%
6.2%
5.6%**
um 1.6%
Abnahme
10.1%
21’900
58’817
543'965 km2
Deutschland
87%
3.6%
5.8%
1.8%
um 5.7%
Abnahme
9.9%
22’800
5’154
337’032 km2
Frankreich
(ISCED 3A : 87%)
3.8%
(ISCED 3A : 60% -
–––
3.5%
6.6%
9.4%
8.4%
5.5%
um 2.6%
um 2.8%
Abnahme
6.9%
27'993*
am Ende der
Abschlussquote
stufe I und II**
Primarstufe, Sekundar-
in Prozent des BIP.
(öffentlich und privat)
Schulausgaben
in Prozent des BIP **
(öffentlich und privat)
Schulausgaben
Bevölkerung
Anteil ausländische
wicklung 1995–2000)
Arbeitslosenquote (Ent-
Jahre)
Abnahme
24’300
BIP pro Einwohner**
30’221
9'203'210 km2
Finnland
9:40 Uhr
(Bevölkerung 15–64
10’213
30'515 km2
Bevölkerung (in 1000)*
Oberfläche
Kanada
14.05.2003
Belgien
Tabelle 1 Wichtigste statistische Angaben (Zahlen 2000)
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ANHÄNGE
SEITE 73
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BFS/EDK
2003
SOZIALE INTEGRATION UND LEISTUNGSFÖRDERUNG
Tertiärstufe
(5A: theoretisch –
5B: technisch, praktisch
Sekundarschule II
(ISCED 2)
Universitäten
B/fr: 3 Abteilungen
(berufl. Aurichtung
ab l 8)
B/fl: 4 Abteilungen
Abteilungen
Sekundarstufe 1
(ISCED 2)
6 Jahre
Dauer Sekundarschule I
(ISCED 2)
B/fr: bis 13 Jahre
B/fl: bis 14 Jahre
12 Jahre
Erste Selektion/Wahl
der zukünftigen
Schulstufe
Gemeinsamer
Unterricht
6 Jahre
Dauer Primarschule
(ISCED 1)
2,5 Jahre
Kanada
Gymnasium und
Universitäten
–––
Quebec:
bis 16 Jahre
5 Jahre
16 Jahre
6 Jahre
3 oder 4 Jahre
Quebec: 4 Jahre
6 (oder 7) –
16 (17) Jahre
Quebec: 6–16 Jahre
Finnland
Frankreich
Universitäten, IUT, univ.
Kurzusbildungen,
berufl. Ausrichtung,
Grandes écoles
Beruflich + allgemein
bildend
–––
Bis 15 Jahre
(Ende der Mittelschule)
4 Jahre
15 Jahre
5 Jahre
2 Jahre
6–16 Jahre
Universitäten und Höhere
Berufsbildung
Beruflich + allgemein
bildend
Im Allgemeinen 3 Abteilungen: Hauptschule –
Realschule und
Gymnasium (Unterstufe)
6 Jahre
10 Jahre (12 Jahre
in Berlin und
Brandenburg)
Mehrheitlich 4 Jahre
6 Jahre
(Mehrheit der Länder)
6–18 Jahre
Deutschland
ISCED: Internationale Standardklassifikation des Bildungswesens
Einzig auf universitärer
Ebene
–––
Bis 16 Jahre
Keine Unterscheidung
zwischen CITE 1 und
CITE 2: 9 Jahre
gesamthaft
16 Jahre
Keine Unterscheidung
zwischen CITE 1 und
CITE 2: 9 Jahre
gesamthaft
3 Jahre
7–17 Jahre (später oder
früher, je nach Erfüllung
des Programms)
9:40 Uhr
Beginn Vorschule
(ISCED 0)
Belgien
6 – 18 Jahre
(ab 15 Jahren,
Teilzeit-Unterricht)
14.05.2003
Obligatorische
Schulzeit
Tabelle 2 Elemente zum Vergleich der Bildungssysteme
bdv_Inhalt
Seite 74
ANHÄNGE
BFS/EDK
2003
3.4%
4.9%
2.8
% allochthone Schüler (im
Ausland geboren)
% Schüler, die zuhause öfter
eine andere Sprache als die
Testsprache sprechen
Gesteigerte Wahrscheinlichkeit
für Schüler, die zuhause nicht
die Testsprache sprechen, sich
bei der Lesekompetenz im
unteren Quartil zu befinden
SOZIALE INTEGRATION UND LEISTUNGSFÖRDERUNG
22%
1.6
9.4%
9.8%
10.8%
79.5%
52.8
22
0%
–––
1.3%
1.0%
0.2%
98.7%
50.0
8
13
9%
2.3
4.0%
2.2%
9.8
88.0%
48.3
–––
–––
Frankreich
30%
2.9
7.9%
10.1%
5.1%
84.8%
48.9
66
8
Deutschland
2%
2.8
13.6%
11.4%
9.3%
79.3%
49.2
32
12
Schweiz
* in Punkten ausgedrückte Leistungen mit einer Steigerung um eine halbe Standardabweichung, OCDE (2002). Analyse des politiques d’éducation.
B/fr. :44%
B/nl: 18%
8.6%
% Schüler 1. Generation (im
Land geboren, deren Eltern im
Ausland geboren sind)
% 15-jährige Schüler, die
berufsvorbereitende Ausbildungsgänge besuchen
88%
% autochthone Schüler
49.0
B/fr : 50 B/fl : 48
56
Einfluss der sozioökonomischen
Situation der Schule auf das
Leistungsniveau in Lesekompetenz*
14
Finnland
9:40 Uhr
Sozioprofessioneller Status der
Eltern (ISEI)
7
Einfluss der sozioökonomischen
Situation der Schüler auf ihre
Leistungen in Lesekompetenz*
Kanada
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Belgien
Tabelle 3 Indikatoren und Daten zu PISA (Datenbank PISA 2000)
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ANHÄNGE
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5.2 Anhang B
Tabelle 1: Sechs-Länder Modell mit Interaktionstermen, abhängige Variable Leseleistung (logarithmiert)
Merkmale
Koeffizient
SE
Konstante
Bildungsnähe
Bildungsnähe * B
Bildungsnähe * C
Bildungsnähe * CH
Bildungsnähe * D
Bildungsnähe * F
ISEI
ISEI * B
ISEI * C
ISEI * CH
ISEI * D
ISEI * F
Anzahl Geschwister (quadriert)
Anzahl Geschwister (quadriert) * B
Anzahl Geschwister (quadriert) * C
Anzahl Geschwister (quadriert) * CH
Anzahl Geschwister (quadriert) * D
Anzahl Geschwister (quadriert) * F
Beschäftigungsgrad der Eltern
Spricht nicht die Testsprache
Spricht nicht die Testsprache * B
Spricht nicht die Testsprache * C
Spricht nicht die Testsprache * CH
Spricht nicht die Testsprache * D
Spricht nicht die Testsprache * F
Alleinerziehende Eltern
«Gemischte» Eltern
Übrige Familienverhältnisse
Eltern sind im Ausland geboren
Eltern sind im Ausland geboren * B
Eltern sind im Ausland geboren * C
Eltern sind im Ausland geboren * CH
Eltern sind im Ausland geboren * D
Eltern sind im Ausland geboren * F
Kind im Ausland geboren
Kind im Ausland geboren * B
Kind im Ausland geboren * C
Kind im Ausland geboren * CH
Kind im Ausland geboren * D
Kind im Ausland geboren *F
Mädchen
Bildung des Vaters
Bildung der Mutter
Belgien
Deutschland
Frankreich
Kanada
Schweiz
6.2323
0.4066**
0.2356**
0.1390**
0.2996**
0.3107**
0.3528**
0.0007**
0.0008**
0.0007**
0.0009**
0.0008**
0.0005*
-0.0011**
-0.0026**
-0.0000
-0.0011
-0.0020**
-0.0005
0.0356**
-0.0922**
0.0132**
0.0432*
0.0212
-0.0072
0.0627**
-0.0117*
-0.0184**
-0.0542**
-0.0696
-0.0520
0.0796
0.0235
0.0708
0.0525
-0.0016
0.0188
0.0202
-0.0440
-0.0573
0.0237
0.0554
0.0015
0.0066**
-0.0505**
-0.0819**
-0.0533**
-0.0557**
-0.0891**
0.0114
0.0285
0.0434
0.0328
0.0445
0.0459
0.0413
0.0002
0.0002
0.0002
0.0002
0.0002
0.0002
0.0003
-0.0026
-0.0000
-0.0007
-0.0007
-0.0005
0.0061
0.0112
0.0128
0.0126
0.0152
-0.0072
0.0191
0.0041
0.0048
0.0102
0.0403
0.0423
0.0406
0.0418
0.0450
0.0416
0.0118
0.0265
0.0232
0.0251
0.0319
0.0281
0.0026
0.0013
0.0013
0.0132
0.0149
0.0123
0.0102
0.0143
R2
F (48, 46085)
N
0.3081
191.39
46 134
Quelle: eigene Berechnungen; Datenquelle: Internationale Datenbank PISA 2000, OECD
Das Referenzland ist jeweils Finnland. B=Belgien, C=Kanada, CH=Schweiz, D=Deutschland, F=Frankreich.
SE: Standardfehler des Regressionskoeffizienten
*: p ≤ .05
**: p ≤ .001
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Tabelle 2: Mehrebenenmodell I: Effekte auf das Leistungsniveau
Merkmale (fixe Effekte)
Effektgrössen
Leistungsniveau Länder
Koeffizient
Basiswert
BIP pro Kopf
Relative Ausgaben Primarstufe
510.5347**
3.5410
0.0024*
0.0008
-1.2651
Alter bei erster Selektion
Soziale Herkunft (Durchschnitt)
Anteil Schüler/innen mit immigrierten Eltern
N
SE
0.7764
0.0981
1.6487
20.6697
18.1213
-43.9146
73.5675
20
R
2
0.06
Quelle: eigene Berechnungen; Datenquelle: Internationale Datenbank PISA 2000, OECD
Die Prädiktoren der ersten Ebene sind um den group mean, diejenigen der zweiten Ebene um den grand mean zentriert.
Die Referenzgruppe ist ein Land mit durchschnittlichen Werten bei allen Prädiktoren zweiter Ebene.
Koeffizient: unstandardisierter Regressionskoeffizient
SE: Standardfehler des Regressionskoeffizienten
*: p ≤ .05
**: p ≤ .001
Tabelle 3: Mehrebenenmodell I: Effekte auf die soziale Selektivität
Merkmale (fixe Effekte)
Effektgrössen
Index der sozialen Herkunft
Koeffizient
SE
Basiswert
41.0842**
0.8964
BIP pro Kopf
-0.0002
0.0002
Relative Ausgaben Primarstufe
-0.8354*
0.2121
Alter bei erster Selektion
-1.0649*
0.3396
Soziale Herkunft (Durchschnitt)
1.9278
4.5322
Anteil Schüler/innen mit immigrierten Eltern
62.1589*
14.9955
N
20
R2
0.60
Quelle: eigene Berechnungen; Datenquelle: Internationale Datenbank PISA 2000, OECD
Die Prädiktoren der ersten Ebene sind um den group mean, diejenigen der zweiten Ebene sind um den grand mean zentriert.
Die Referenzgruppe ist ein Land mit durchschnittlichen Werten bei allen Prädiktoren zweiter Ebene.
Koeffizient: unstandardisierter Regressionskoeffizient
SE: Standardfehler des Regressionskoeffizienten
*: p ≤ .05
**: p ≤ .001
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Tabelle 4: OLS Schätzung der Leseleistung und ordered probit zur Berechnung der Wahrscheinlichkeit
einer höheren Schulstufe anzugehören mit geschätzter Lesefähigkeit
OLS (Abhängige
Koeffizient
Variable: Leseleistung)
Ordered Probit (Abhängige
Koeffizient
Koeffizient
Variable: Schulstufe)
Ganze Schweiz
Deutschschweiz
-0.01**
-0.01**
ISEI
0.76**
ISEI
Beschäftigungsgrad Eltern
9.92*
Beschäftigungsgrad Eltern
1.44**
Bildungsnähe der Eltern
Bildung der Eltern
0.08
-0.15**
0.08
-0.20**
Bildungsnähe der Eltern
27.47**
Alleinerziehend
0.06
0.06
Alleinerziehend
-7.72*
Gemischte Familie
0.15**
0.20**
Gemischte Familie
-9.25*
Andere Familienstruktur
0.09
0.06
0.09
0.18**
Andere Familienstruktur
-29.03**
Immigrant
Nicht Unterrichtssprache
-49.35**
Anzahl Geschwister
Anzahl Geschwister
-7.01**
Rangfolge Geschwister
4.82**
0.03*
0.09
Rangfolge Geschwister
-0.03*
0.03*
Mädchen
-0.02
Mädchen
20.13**
Westschweiz
0.51**
Westschweiz
-2.70
Tessin
0.39**
Tessin
-16.45**
N
Angepasstes R2
Lesefähigkeit (aus OLS)
-0.02
-0.01**
-0.01**
6863
6739
4898
0.27
0.07
0.10
Quelle: eigene Berechnungen; Datenquelle: OECD-BFS/EDK PISA Datenbank (national), 2001
*, ** gleich Signifikanz Niveau 5 und 1%. Die höchste Schulstufe hat den Wert 1, die tiefste Schulstufe den
Wert 4. Dementsprechend sind negative Vorzeichen bei den Koeffizienten in der ordered probit Schätzung als
höhere Wahrscheinlichkeit einer höheren Schulstufe anzugehören zu interpretieren und umgekehrt.
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Tabelle 5: Mehrebenenmodell II: Effekte auf das Leistungsniveau
Merkmale (fixe Effekte)
Effektgrössen
Leistungsniveau Länder
Koeffizient
SE
505.2667***
4.6117
Basiswert
Soziale Herkunft (Durchschnitt der Schule)
Schultyp (Niveau)
32.6192***
7.4811
1.7780***
0.1817
5 bis 10 Prozent fremdsprachiger Schüler/innen
-0.1727
5.9529
10 bis 15 Prozent fremdsprachiger Schüler/innen
0.8056
5.0581
15 bis 20 Prozent fremdsprachiger Schüler/innen
-9.7169
6.8824
20 bis 30 Prozent fremdsprachiger Schüler/innen
-13.2015**
5.9080
30 bis 40 Prozent fremdsprachiger Schüler/innen
-17.1277*
9.0413
Über 40 Prozent fremdsprachiger Schüler/innen
-42.1821***
7.3691
Schule in der französischsprachigen Schweiz
-1.7773
4.3349
Schule in der italienischsprachigen Schweiz
-7.4430
6.2277
N
201
R
2
0.87
Quelle: eigene Berechnungen; Datenquelle: OECD-BFS/EDK PISA Datenbank (national), 2001
Die Prädiktoren der ersten Ebene sind um den group mean zentriert. Auf der zweiten Ebene sind die Prädiktoren «durchschnittliche. soziale Herkunft» und «Schultyp» um den grand mean zentriert.
Die Referenzgruppe ist eine Schule in der Deutschschweiz mit 0 bis 5 Prozent fremdsprachigen
Schüler/innen, einer durchschnittlichen sozialen Zusammensetzung und einem durchschnittlichen Schultyp
(Niveau).
Koeffizient: unstandardisierter Regressionskoeffizient
SE: Standardfehler des Regressionskoeffizienten
*: p ≤ .10
**: p ≤ .05
***: p ≤ .001
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In der Reihe Bildungsmonitoring
bisher erschienen
Für das Leben gerüstet? Die Grundkompetenzen der
Lehrplan und Leistungen Thematischer Bericht der
Jugendlichen – Kurzfassung des nationalen Berich-
Erhebung PISA 2000 / Urs Moser & Simone Berwe-
tes PISA 2000 / Urs Moser. BFS/EDK: Neuchâtel
ger. BFS/EDK: Neuchâtel 2003. 100S. Bestellnr. 573-
2001. 30 S. gratis. Bestellnr. 473-0000. E-Dokument
0000. ISBN-ISSN: 3-303-15288-8. E-Dokument
unter www.pisa.admin.ch.
unter www.pisa.admin.ch.
Préparés pour la vie? Les compétences de base des
Les compétences en littératie Rapport thématique
jeunes – Synthèse du rapport national PISA 2000 /
de l’enquête PISA 2000 / Anne-Marie Broi [et al.].
Urs Moser. OFS/CDIP: Neuchâtel 2001. 30 p. gra-
OFS/CDIP: Neuchâtel 2003. 144p. No de com-
tuit. No de commande: 474-0000. Document élec-
mande: 574-0000. ISBN-ISSN: 3-303-15289-6.
tronique sous www.pisa.admin.ch.
Document électronique sous www.pisa.admin.ch.
Pronti per la vita? Le competenze di base dei gio-
Die besten Ausbildungssysteme
vani – Sintesi del rapporto nazionale PISA 2000 /
Bericht der Erhebung PISA 2000 / Sabine Larcher &
Thematischer
Urs Moser. UST/CDPE: Neuchâtel 2001. 30 p.
Jürgen Oellkers. BFS/EDK: Neuchâtel 2003. 52S.
gratis. Numero di ordinazione 475-0000. Il Docu-
Bestellnr. 575-0000. ISBN-ISSN: 3-303-15290-X. E-
mento è disponibile all’indirizzo internet www.pisa.
Dokument unter www.pisa.admin.ch.
admin.ch.
Bildungswunsch und Wirklichkeit
Prepared for Life? Basis Competencies of Young
Bericht der Erhebung PISA 2000 / Thomas Meyer,
People – A Synthesis of the National PISA 2000
Barbara E. Stalder, Monika Matter. BFS/EDK:
report / Urs Moser. BFS/EDK: Neuchâtel 2001. 30 p.
Neuchâtel 2003. 68S. Bestellnr. 577-0000. ISBN-
free. Order number 476-0000. www.pisa.admin.ch.
ISSN: 3-303-15292-6. E-Dokument unter www.pisa.
Für das Leben gerüstet? Grundkompetenzen der
admin.ch.
Jugendlichen – Nationaler Bericht der Erhebung
PISA 2000: Synthese und Empfehlungen / Ernst
PISA 2000 / Claudia Zahner [et al.]. BFS/EDK:
Buschor, Heinz Gilomen, Huguette McCluskey.
Neuchâtel 2002. 179 S. Bestellnr. 470-0000. ISBN-
BFS/EDK: Neuchâtel 2003. 35S. Bestellnr. 578-0000.
ISSN: 3-303-15243-8. E-Dokument unter www.pisa.
ISBN-ISSN: 3-303-15293-4. E-Dokument unter
admin.ch.
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Préparés pour la vie ? Les compétences de base des
PISA 2000: Synthèse et recommandations / Ernst
Thematischer
jeunes – Rapport national de l'enquête PISA 2000 /
Buschor, Heinz Gilomen, Huguette McCluskey.
Claudia Zahner [et al.]. OFS/CDIP: Neuchâtel 2002.
OFS/CDIP: Neuchâtel 2003. 35p. No de commande:
174 p. No de commande: 471-0000. ISBN-ISSN:
579-0000. ISBN-ISSN: 3-303-15294-2. Document
3-303-15244-6. Document électronique sous www.
électronique sous www.pisa.admin.ch.
pisa.admin.ch.
Bern, St. Gallen, Zürich: Für das Leben gerüstet? Die
Grundkompetenzen der Jugendlichen – Kantonaler
Bericht der Erhebung PISA 2000 / Erich Ramseier [et
al.]. BFS /EDK: Neuchâtel 2002. 114 S. Bestellnr.:
523-0000. ISBN-ISSN: 3-303-15264-0. E-Dokument
unter www.pisa.admin.ch.
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