Rehaverbund „Psychose und Sucht“ in der Region Osnabrück - Grundkonzeption - Ärztliche Leitung und Gesamtverantwortung: Prof. Dr.med. Wolfgang Weig Ärztlicher Direktor Arzt für Psychiatrie und Neurologie – Psychotherapie Tel.: 0541/313-0 Kooperierende Einrichtungen: Reha-Zentrum am Hesselkamp (RPK) Knollstraße 167, 49088 Osnabrück Tel.: 0541/18001-50 Fax: 0541/18001-27 e-mail: [email protected] Ansprechpartner für Information und Aufnahme: Jochen Becker, Pädagogischer Leiter Tel.: Durchwahl: -56 Birgit Assler, Dipl.-Sozialarbeiterin Tel.: Durchwahl -57 Fachklinik Nettetal Hohnweg 2, 49134 Wallenhorst Tel.: 0541/67243 Fax: 0541/67246 Ansprechpartner für Information und Aufnahme: Hans-Jürgen Boder, Einrichtungsleiter Dr.med. Elke Sylvester, Ltd. Ärztin Nieders. Landeskrankenhaus Osnabrück Knollstraße 31, 49088 Osnabrück Tel.: 0541/313-0 Klaus Winkelmann, Leitender Arzt Allgemeines In der Region Osnabrück, nach vorliegenden Literaturangaben aber auch bundesweit, ist in den letzten Jahren die Zahl der psychiatrisch behandlungs- und rehabilitationsbedürftigen Menschen mit der Doppeldiagnose Psychose und Sucht erheblich gestiegen. Die Gründe liegen im wesentlichen in der gesellschaftlichen Entwicklung. Es handelt sich dabei zum einen um primär suchtkranke Menschen mit kurzfristigen oder länger dauernden psychotischen Episoden unterschiedlicher Ätiologie, andererseits um primär an endogenen Psychosen, vor allem aus dem schizophren Formenkreis, leidende Personen mit sekundärer Entwicklung einer Substanzabhängigkeit von Alkohol oder illegalen Drogen, besonders häufig von Cannabis oder auch vom Typ der Polytoxikomanie. 1 Sowohl in der klinischen Behandlung als auch in der Rehabilitation dieses Personenkreises ergeben sich besondere Probleme, da die klassischen Konzepte der Psychose- und der Suchtkrankenbehandlung beide zu kurz greifen und darüber hinaus schlecht kompatibel sind. Ein integrativer Behandlungs- und Rehabilitationsansatz, der sowohl Elemente der Psychose- als auch der Suchtkrankenbehandlung bzw. -rehabilitation enthält, ist erforderlich und aufgrund der vorliegenden Erfahrungsberichte von Modellversuchen mit besonderen Angeboten auch erfolgversprechend. Für die Region Osnabrück ist modellhaft ein Versorgungsangebot für diesen Personenkreis durch Nutzung bereits vorhandener Einrichtungen, deren Erfahrung und Ressourcen unter Herstellung einer stärkeren Vernetzung und eines funktionstüchtigen Case-Managements geschaffen worden. Partner dieses Verbundsystems sind, das Niedersächsische Landeskrankenhaus Osnabrück, in dem mit der Station R 4 innerhalb des Funktionsbereichs Allgemeine Psychiatrie II bereits eine Spezialstation zur stationären Akutbehandlung, umfassenden stationären Diagnostik und Krisenintervention besteht, die Fachklinik Nettetal des Caritasverbandes für die Diözese Osnabrück, in der auf der Grundlage der Empfehlungsvereinbarung „Sucht“ ein qualifiziertes Rehabilitationsprogramm für drogenabhängige Männer angeboten wird, sowie das Rehabilitationszentrum am Hesselkamp (RPK) – Einrichtung zur medizinischen und beruflichen Rehabilitation in Trägerschaft des Osnabrücker Vereins zur Hilfe für seelische Behinderte e.V., das auf der Grundlage der Empfehlungsvereinbarung „RPK“ über eine langjährige Erfahrung in der medizinischen und beruflichen Rehabilitation Psychosekranker verfügt. Strukturelle und organisatorische Voraussetzungen, Verfahren Die Trägerschaft und die Geschäftsführung des Rehaverbundes „Psychose und Sucht“ liegt beim Osnabrücker Verein zur Hilfe für seelisch Behinderte e.V. . Die Zusammenarbeit der beteiligten Partner (Niedersächsisches Landeskrankenhaus Osnabrück, Fachklinik Nettetal, Reha-Zentrum am Hesselkamp) ist in einem Kooperationsvertrag vom 10.02.2000 geregelt. Bei den Reha-Maßnahmen handelt es sich um Maßnahmen der stationären, medizinischen Rehabilitation. In der Regel nach vorangegangener stationärer Diagnostik und ausführlicher Begutachtung erfolgt je nach individuellem Problemschwerpunkt die Zuweisung und damit die Durchführung der eigentlichen Reha-Maßnahme in der Fachklinik Nettetal oder im Reha-Zentrum am Hesselkamp (RPK). Jede der beiden durchführenden Einrichtungen hält 3 Reha-Plätze vor. Der Kostensatz setzt sich zusammen aus dem für die medizinische Rehabilitation jeweils geltenden einrichtungsspezifischen Tagessatz zuzüglich eines Aufschlagstagessatzes für Doppeldiagnoseteilnehmer. Jede Einrichtung rechnet direkt mit dem individuell zuständigen Leistungsträger ab. Zur Steuerung ist ein einrichtungsübergreifendes, regionales Clearing-Team aus Mitarbeitern der beteiligten Einrichtungen (Landeskrankenhaus, Fachklinik Nettetal, RPK) gebildet worden, welches sich regelmäßig (monatlich) trifft. Das Clearing-Team erarbeitet den individuellen Reha-Plan, begleitet den Verlauf während der gesamten Reha-Maßnahme und macht Vorschläge für eine weitere Förderung bzw. Versorgung nach Beendigung der Reha-Maßnahme. 2 Im Einzelfall ist im Verlauf der Wechsel von der einen in die andere reha-durchführende Einrichtung möglich. Das Niedersächsische Landeskrankenhaus steht zur Krisenintervention zur Verfügung. Auf der Grundlage der Empfehlungsvereinbarung „RPK“ können sich bei Bedarf Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben im Reha-Zentrum am Hesselkamp in stationärer oder teilstationärer Form anschließen. Für Teilnehmer aus der Fachklinik Nettetal sollte allerdings vor Beginn berufsfördernder Maßnahmen eine der medizinischen Reha zuzurechnende „Integrationsphase“ in der RPK vorgeschaltet werden. Des weiteren kann im Einzelfall aus der Fachklinik Nettetal heraus aber auch eine sich anschließende Adaptionsphase sinnvoll sein. Niedersächsisches Landeskrankenhaus Station R4 – Psychose und Sucht - stat.-psychiatrische (Akut-)Behandlung - diagnostische Abklärung - Krisenintervention Clearing-Team (Case-Management) Rehazentrum am Hesselkamp (RPK) Fachklinik Nettetal - medizinische Rehabilitation - 12 Monate - stationär - 3 Plätze - medizinische Rehabilitation - 12 Monate - stationär/teilstationär - 3 Plätze Integrationsphase RPK (3-6 Monate) - med. Rehabilitation Anschlussbehandlung Caritas-Verband Lt. Verwaltungsvereinbarung von 05/1994 Nachsorge und Komplementärangebote Rehazentrum am Hesselkamp (RPK) - berufliche Rehabilitation - gemäß SGB III und VI In den beiden rehadurchführenden Einrichtungen ist unter Nutzung von Erfahrungen und Konsultationsmöglichkeiten aus dem je anderen Team durch Ergänzung der vorhandenen therapeutischen Ressourcen ein spezifisches integratives Behandlungsund Rehabilitationsangebot geschaffen worden. 3 Behandlungs- und Reha-Ziele, -inhalte Die beiden rehadurchführenden Einrichtungen halten in Erfüllung ihrer bisherigen Aufgaben ein therapeutisches Setting vor, das einen hohen qualitativen Standard der täglichen Arbeit gewährleistet. Dieses ist in den Grundkonzeptionen und Leistungsbeschreibungen der beiden Einrichtungen näher ausgeführt. Das jeweilige therapeutische Setting umfaßt darüber hinaus entsprechende sucht- bzw. psychoserelevante Ergänzungen. Doppeldiagnoseteilnehmer haben in besonderer Weise Defizite im Bereich der sozialen Kompetenzen, der Gefühlsregulation, der Wahrnehmung und der Kommunikationsfähigkeit mit entsprechenden Auswirkungen auf das Zusammenleben (Lebensumwelt) und die Arbeitssituation (Arbeitnehmerrolle). Ausgehend von der Einschätzung, dass es sich bei Doppeldiagnoseteilnehmern um ein in besonderer Weise schwer zu rehabilitierendes Klientel handelt, ergeben sich mit Aufnahme dieses Personenkreises in Formulierung allgemeiner Behandlungs- und Rehabilitationsziele besondere therapeutische Anforderungen. Diagnostische Klarheit Das therapeutische Verhalten und der therapeutische Erfolg steht und fällt mit einer differenzierten Beschreibung des Krankheits- und Beeinträchtigungsbildes in einem biopsycho-sozialen Bezugsrahmen, in einer ganzheitlichen Betrachtungsweise. Diagnostische Klarheit, auch und gerade unter dem Gesichtspunkt der Leistungs- und Arbeitsdiagnostik, ist gefordert und Voraussetzung für eine fundierte individuelle Reha-Planung. Kontinuierliche Behandlungs- und Therapiebeziehung (case-management) Ein beständiger vertrauensvoller therapeutischer Kontakt ist ein Wert an sich. Er wirkt modellhaft für die Beziehungsgestaltung in anderen Lebensbereichen. Dabei ist ein konfrontativer Umgangsstil durchaus angebracht, wenn darunter verstanden wird, dass der Reha-Teilnehmer in seiner Krankheit und in seinem Fehlverhalten grundsätzlich akzeptiert wird, dass aber vor diesem Hintergrund der Umgang geprägt ist durch Klarheit über das erwartete Verhalten, durch Realitätsorientierung und Informationsvermittlung, durch das Gespräch über die körperlichen und psychischen Befunde, durch die Diskussion von Konsequenzen, usw.. Dazu gehört eine routinemäßige und vereinbarte Kontrolle der Suchtmittelabstinenz, gehören aber auch eindeutige Hausregeln. Medikamentöse Behandlung Eine differenzierte, dem Reha-Verlauf angepaßte medikamentöse Behandlung ist meist unumgänglich. Dabei muss eine angemessene neuroleptische Medikation gefunden werden, die einerseits ausreichend ist psychotische Symptome zu verringern und zu beheben sowie eine Prophylaxe darstellt, andererseits aber möglichst wenig Nebenwirkungen aufweist und somit die Bereitschaft zur dauerhaften Compliance erhöht wird. Die „neuen“ Neuroleptika mit zum Teil geringerem Nebenwirkungsspektrum bieten hier besondere Chancen. Auch 4 hinsichtlich des Substanzkonsums können individuell neue medikamentöse Strategien (Substitutionsbehandlung) zum Einsatz kommen. Die Wechselwirkung zwischen Substanzgebrauch und medikamentöser Therapie muss bedacht und gemeinsam im Rahmen eines Kompetenztrainings erörtert werden. Suchtmittelabstinenz/Arbeit mit Rückfällen Eine wichtige Voraussetzung für die Behandlung von Doppeldiagnoseteilnehmern ist eine entsprechende Abstinenzmotivation, die bei Bedarf eine stationäre Entgiftungsbehandlung beinhaltet. Der Suchtmittelkonsum fördert psychotische Symptome und verträgt sich nicht mit einer medikamentösen Behandlung. Das Ziel der Gesamtbehandlung ist eine dauerhafte Abstinenz. Sie beinhaltet im wesentlichen die Erlangung einer Krankheitseinsicht, die Entwicklung und Abgrenzungsmechanismen sowie die Schaffung einer zufriedenstellenden Lebensperspektive. Angesichts des gebotenen kontinuierlichen Kontaktes darf ein Substanzrückfall jedoch kein Grund für einen sofortigen disziplinarischen Reha-Abbruch sein. Suchtmittel- und Psychoserückfall lassen sich gut für eine neue Analyse der Problematik nutzen. Wichtig sind die Ziele des Konsums, die subjektiven Wirkungserwartungen, der Sinn des Rückfalls, die Zusammenhänge mit Bedürfnissen und Belastungen und vieles andere mehr. Dies alles sind grundlegende Informationen für ein Training in effektiven Bewältigungsstrategien, für eine Rückfallprophylaxe und ein Rückfallmanagement. Im Rahmen von bewältigungsorientierten Gruppenprogrammen werden suchtrelevante Themen wie Erklärung von Suchtverhalten, Erklärungsmodelle für Komorbidität, Bedeutung von Abstinenz, Auslöser für Rückfälle, Folgeschäden von Alkohol- und Drogenmissbrauch, Bedeutung von Krisenplänen u.s.w. aufgearbeitet werden. Bewältigungsstrategien für psychische und soziale Konflikte Aufgrund häufiger Defizite in der sozialen Wahrnehmung und im Bereich der Kommunikation profitiert die Zielgruppe nur erschwert allein von Gruppenprogrammen. Es muss daher therapeutisch ergänzend und vertiefend in Einzelsettings gearbeitet bzw. nachgearbeitet werden. Es gilt Risikosituationen zu identifizieren, Anzeichen und Bewältigungsmöglichkeiten heraus zu arbeiten und zu trainieren. Wenn eine Selbstkontrolle in Risikosituationen schwierig ist, scheint Vermeidung dieser Situation zunächst die günstigere Strategie, wenn auch auf Dauer problematische Strategie zu sein. Daher müssen langfristige Strategien im Umgang mit unerwarteten Situationen entwickelt werden (trainieren des Zurückweisens von Drogen, soziale Interaktion, Social- Skills-Training). Wenn nur noch wenige psychotische Symptome vorhanden sind und bereits eine hohe Substanzkontrolle erworben worden ist, können zur weiteren Stabilisierung und zur Verbesserung der Generalisierung In-Vivo-Trainings in Hochrisikosituationen stattfinden. Durch den integrativen Ansatz, d.h. das Leben in der Gemeinschaft der Einrichtung, der Wohngruppe, werden zusätzliche soziale Erfahrungen im miteinander gemacht, die auf die spätere selbständige Lebenssituation vorbereiten sollen. Notwendig ist der Aufbau innerer und äußerer Strukturen. Gerade bei jüngeren Teilnehmern müssen häufig (Nach-)Reifungs- und Habilitationsprozesse (erst) in Gang gesetzt werden. 5 Notwendig ist ein hohes Maß an Beziehungsarbeit und Reflektion des Verhaltens insbesondere in Gruppensituationen wie der Wohngruppe. Tagesstruktur und Hilfen zur Arbeit Die häufig sehr ausgeprägten Basisstörungen (Antrieb, Konzentration, Ausdauer) bedürfen eines genau strukturierten Tagesablaufes durch Beschäftigungs- und Arbeitsangebote sowie der Aufforderung und Unterstützung zu sinnvoller Freizeitgestaltung. Mit arbeitsdiagnostischen und arbeitstherapeutischen Methoden wird daher versucht, die Reha-Teilnehmer an eine geregelte Beschäftigung heranzuführen, das Arbeitsverhalten und Arbeitsvermögen zu steigern und zu stabilisieren, einzuschätzen, Leistungsgrenzen zu erkennen und Aussagen über das Leitungsvermögen zu machen und so die Arbeitsnehmerrolle vorzubereiten. Durch eine anschließende Belastungserprobung werden die Bedingungen und die Möglichkeiten einer beruflichen Eingliederung abgeklärt und eingeleitet. Körperbezogene, sportliche und kulturelle Angebote mit therapeutischem Wert stehen im Rahmen angeleiteter Freizeitgestaltung zur Verfügung und haben eine hohe Bedeutung. Lebenspraktische Fähigkeiten Hilfen und Übungen zur Bewältigung der Alltagsanforderungen innerhalb und außerhalb der Einrichtung, Übernahme von Pflichten, Zuständigkeit für den eigenen Lebensbereich, das eigene Zimmer, Gemeinschaftseinrichtungen sowie selbständige Haushaltsführung gehören zum weiteren therapeutischen Setting. Generell gilt, dass viel Aufforderung, Redundanz und Wiederholungen notwendig sind. Aufnahmeverfahren Vor der Antragstellung müssen vorhandene ärztliche Unterlagen, Sozialberichte und sonstige für die Rehabilitation notwendige Unterlagen bei einer der beiden rehadurchführenden Einrichtungen eingereicht werden (Ansprechpartner siehe oben). Nach Durchsicht der Unterlagen spricht das einrichtungsübergreifende Reha-Team (Clearing-Team) eine Empfehlung aus, in welcher der beiden Einrichtungen die geplante Reha-Maßnahme durchgeführt werden sollte. Der Antragsteller wird daraufhin zu einem Informations- und Kennenlerngespräch von der empfohlenen Einrichtung eingeladen. Nach einem gutachterlichen Gespräch mit dem ärztlichen Leiter, unter besonderer Abklärung der persönlichen Motivation und Zielsetzung sowie der individuellen Entscheidungsgrundlagen für die Maßnahme, erfolgt die Antragstellung beim zuständigen Reha-Leistungsträger. Als Leistungsträger kommen die Rentenversicherer - unter Federführung der Landesversicherungsanstalt Hannover und der Westfälischen Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation - , die Krankenkassen oder der überörtliche Sozialhilfeträger in Frage. 6 Die Aufnahme erfolgt bei vorliegender Kostenzusage des zuständigen Leistungsträgers in Abstimmung mit der Einrichtung. Die Maßnahmedauer kann bis zu 12 Monate betragen. Im Verlauf ist bei vorliegender therapeutischer Notwendigkeit der Wechsel von der einen rehadurchführenden Einrichtung in die andere möglich. Vor der Aufnahme muß der Reha-Teilnehmer einen Nachweis der Drogen- und Suchtmittelabstinenz erbringen sowie die aktuellen Ergebnisse einer Hepatitisserologie sowie eines HIV-Antikörpertestes vorlegen, ggf. wird eine stationäre Entgiftungsbehandlung vorgeschaltet. Osnabrück, 17.02.2004 Leitung des Reha-Zentrums am Hesselkamp (RPK) Prof.Dr. Wolfgang Weig Ärztlicher Leiter Prof.Dr. Karl H. Wiedl Diplom-Psychologe Günter Laaken Geschäftsführer Jochen Becker Diplom-Pädagoge 7