1 Antidepressiva Stefan Böhm, Institut für Pharmakologie, Universität Wien Begriffsklärung Antidepressiva (AD) sind Psychopharmaka, welche zur Therapie von Depressionen jeglicher Genese eingesetzt werden. Depressionen gehören zum Formenkreis der affektiven Störungen (Erkrankungen der Stimmungslage und/oder Gemütsverfassung), worin auch manische und bipolare affektive Erkrankungen (bipolare Zyklothymie) enthalten sind. Die beiden letzteren werden aber nicht mit AD behandelt, sondern mit Neuroleptika und/oder Stimmungsstabilisatoren (Phasenprophylaktika = Substanzen zur Prophylaxe manischer und depressiver Phasen). Leitsymptome der Depression sind gedrückte Stimmungslage, Interessenund Freudlosigkeit, sowie Antriebsstörung. Die wesentlichste erwünschte Wirkung von AD bei Depressionen ist die Stimmungsaufhellung, andere Symptome (wie z.B. eine Antriebsstörung) werden in Abhängigkeit vom eingesetzten Präparat aber auch beeinflusst. Grundlagen Die pathophysiologischen Ursachen affektiver Erkrankungen sind weitgehend ungeklärt, es existieren aber neurochemische Hypothesen hierzu. Monoaminhypothese: Die Monoaminhypothese besagt, dass eine relativer Mangel an Monoaminen im ZNS dafür verantwortlich ist, dass depressive Symptomatik entsteht. Diese Feststellung bezieht sich primär auf Noradrenalin (NA) und Serotonin (5Hydroxytryptamin; 5HT). Obwohl es auch direkte (wenn auch schlecht abgesicherte) Hinweise darauf gab, dass diese Neurotransmitter im Gehirn von Depressiven erniedrigt waren, ruht diese Hypothese primär auf Befunden, die mit Pharmaka mit depressiver oder antidepressiver Wirkkomponente erhoben wurden: Substanzen, die die Wiederaufnahme von NA/5HT in Nervenzellen beeinträchtigen (z.B. trzyklische Antidepressiva), verbessern depressive Symptomatik. Substanzen, die den Abbau von NA/5HT in Nervenzellen beeinträchtigen (z.B. trzyklische Antidepressiva), verbessern auch depressive Symptomatik. Verabreichung von Vorstufen in der Biosynthese von NA oder 5HT (insbesondere Tryptophan) verbessern auch depressive Symptomatik Substanzen, die Monoaminspeichervesikel in Nervenzellen entleeren (z.B. Reserpin), verursachen depressive Symptomatik. Substanzen, die die Biosynthese von Monoaminen in Nervenzellen beeinträchtigen (z.B. -Methyltyrosin oder -Methyldopa), verursachen auch depressive Symptomatik. Zusammengefasst lässt sich also feststellen, dass das Auftreten eines relativen Mangels an NA/5HT im Extrazellulärraum des Gehirns depressive Symptomatik verursachen kann, während ein erhöhtes Angebot an NA/5HT dieselbe bessern kann. Die obigen Befunde liefern aber keinen Beweis, ob die für die Depression ursächlich verantwortlichen Veränderungen tatsächlich im Bereich der Monoamine auftreten, ob Veränderungen in der Empfindlichkeit der Rezeptoren die primären Ursachen sind, oder ob überhaupt andere Systeme, die auch nur durch NA und 5HT reguliert werden, primär gestört sind. Jedenfalls hat diese Hypothese einige Schwächen, die anhand der folgenden zwei Befunde deutlich werden: 2 Antidepressiva hemmen die Aufnahme von NA/5HT in die Nervenzellen sofort, ihre antidepressive Wirkung setzt aber erst nach 2 oder mehr Wochen ein. Amphetamine und Cocain erhöhen extrazelluläres NA/5HT im Gehirn, wirken aber nicht antidepressiv. Das bedeutet, dass andere Veränderungen als jene im Bereich von NA und 5HT von Bedeutung sind, und dass insbesondere langfristige Veränderungen beachtet werden müssen. Trotzdem zielen alle klinisch eingesetzten AD darauf ab, die Verfügbarkeit von NA und/oder 5HT im Gehirn zu erhöhen (siehe Wirkmechanismen). Neuroendokrine Hypothese Im Hypothalamus beeinflussen NA und 5HT die Freisetzung von CRF (Corticoptropin releasing factor), ein Peptid, das den ACTH- und Cortisol-Haushalt reguliert. In depressiven Patienten sind die CRF-Spiegel im zentralen Nervensystem und die Plasmacortisolspiegel typischerweise hoch, und letztere lassen sich durch synthetische Corticoide oft schlecht reduzieren. Die Neuroendokrine Hypothese der Depression geht daher davon aus, dass eine CRF Überfunktion u.a. kausal verantwortlich ist, und dies wird dadurch unterstützt, dass Antagonisten an CRF1 Rezeptoren antidepressive Eigenschaften besitzen. Wirkmechanismen Die meisten AD wirken primär als Hemmer an Neurotransmittertransportern, einige Vertreter sind aber vorwiegend Antagonisten an Neurotransmitterrezeptoren bzw. Hemmstoffe an Monoamin-abbauenden Enzymen (siehe Tabelle 1.). Mit Ausnahme der ältesten Vertreter unter den AD, den trizyklischen AD, welche anhand ihrer chemischen Struktur bezeichnet wurden, werden AD heute aufgrund ihres vorwiegenden Wirkmechanismus benannt. Dementsprechend unterscheidet man selektive Serotonin Rückaufnahme Inhibitoren (SSRI), selektive Noradrenalin Rückaufnahme Inhibitoren (NARI), selektive Serotonin-Noradrenalin Rückaufnahme Inhibitoren (SNRI), Serotonin Antagonisten und Rückaufnahme Inhibitoren (SARI), sowie Noradrenerge und Spezifisch Serotonerge Antagonisten (NaSSA) (Tabelle 1.). Die heute verwendeten Enzyminhibitoren werden als Reversible Inhibitoren der Monoaminooxidase A (RIMA) bezeichnet. Unter der Einwirkung von Rückaufnahme und Monoaminooxidase (MAO) Inhibitoren kommt es zu Anhäufung von NA/5HT im Extrazellulärraum, da deren Aufnahme in die Nervenzellen bzw. deren Abbau ebendort gehemmt sind. Antagonisten an 2 Adrenozeptoren verursachen gesteigerte NA und 5HT Freisetzung, da diese Rezeptoren eine präsynaptische Hemmung der Transmitterfreisetzung vermitteln. Die gesteigerte Verfügbarkeit von NA und/oder 5HT tritt sofort nach Verabreichung aller AD ein, die antidepressive Wirkung mit wenigsten 2 Wochen Verzögerung. Der Grund dieses verzögerten Wirkungseintritt ist in adaptativen Veränderungen an Rezeptoren zu suchen: Unter Substanzen, die vorwiegend extrazelluläres NA steigern, werden präsynaptische 2 Rezeptoren desensitiviert, wodurch noradrenerge und serotonerge Nervenzellen enthemmt werden. Unter Substanzen, die vorwiegend extrazelluläres 5HT erhöhen, werden inhibitorische 5HT1A und 5HT1D Autorezeptoren desensitiviert, wodurch serotonerge Nervenzellen enthemmt werden. 3 Tabelle 1. Antidepressiva und deren Angriffspunkte Gruppe AD NAT 5HTT M 1 trizyklische Desipramin Nortriptylin Imipramin Amitriptylin Clomipramin 2 H1 5-HT2A +++ +++ ++ ++ ++ + + ++ ++ +++ + + + ++ ++ + ++ + ++ ++ + - + ++ ++ +++ ++ + ++ + ++ ++ + + - +++ +++ +++ - - - + + - SSRI Fluoxetin Fluvoxamin Citalopram NARI Reboxetin +++ - - - - - - SNRI Venlafaxin ++ +++ - - - - - SARI Trazodon Nefazodon + + + - +++ ++ ++ ++ + - +++ ++ NaSSA Mianserin + + + +++ +++ Mirtazapin + + +++ +++ Relative Affinitäten von AD für verschiedene Rezeptoren plasmalemmalen Transportproteine für NA und 5HT (NAT/5HTT). +++ +++ bzw. für die Unter gesteigerter NA bzw. 5HT Einwirkung können zuletzt auch postsynaptische Rezeptoren desensitiviert werden, und zwar bzw. 5HT2 Rezeptoren, und diese Veränderungen können auch (direkt oder indirekt) zur stimmungsaufhellenden Wirkung beitragen. Die Blockade anderer Zielstrukturen und die dadurch entstehenden Mechanismen bedingen andere Wirkungen, als die der Stimmungsaufhellung (siehe Tabelle 2.). Diese (erwünschten und/oder unerwünschten) Wirkungen treten im Unterschied zur Depressionslösung sofort nach Therapiebeginn auf. Die MAO Inhibitoren unterscheiden sich von den anderen ADs dadurch, dass sie praktisch keine Rezeptoren oder Transporter blockieren. Tabelle 2. Wirkungen und Wirkmechanismen von Antidepressiva Mechanismus Wirkung NA Aufnahmehemmung Antriebssteigerung, psychomotorische Aktivierung, sympathomimetische Wirkung 5HT Aufnahmehemmung Übelkeit, Durchfall, Kopfschmerz, Schlafstörung, sexuelle Funktionsstörung, Unruhe M Rezeptor Blockade Sekretionshemmung, Akkomodationsstörung, Obstipation Vasodilatation, Reflextachykardie, Sedation 1 Rezeptor Blockade antagonisiert sexuelle Funktionsstörung 2 Rezeptor Blockade H1 Rezeptor Blockade Sedation 5HT2 Rezeptor Blockade antagonisiert Schlafstörung und sexuelle Funktionsstörung + Na Kanal Blockade Herzrhythmusstörungen 4 Wirkungen Beim Gesunden Unlustgefühle und Angst; beim Depressiven antidepressive Stimmungsaufhellung, aber erst nach mindestens 2 Wochen Therapie. AD verursachen daher (mit einzelnen Ausnahmen wie z.B. Fluoxetin) keine Abhängigkeit. In Abhängigkeit vom Präparat, sind AD mehr oder weniger sedierend und mehr oder weniger antriebssteigernd und psychomotorisch aktivierend (siehe Tabellen 1 und 2). Bei diesen Effekten zeigt sich keine Latenz des Wirkungseintritts. Unerwünschte Wirkungen Sedation: ausgeprägt bei Trizyklika, weniger bei NaSSAs und SARIs (durch H1 Blockade). Hypotension (mit Orthostatischer Dysregulation, Reflextachykardie): bei Trizyklika, weniger bei SARIs und RIMAs. Anticholinerge vegetative Wirkungen (Mundtrockenheit, Akkomodationsstörung, Obstipation, Harnretention): besonders bei Trizyklika, auch bei NARIs. Herzrhythmusstörungen: nur bei Trizyklika. Krampfanfälle: bei Trizyklika durch Senkung der Krampfschwelle. Durch das kombinierte Auftreten der oben genannten Wirkungen erzielen die Trizyklika eine beträchtliche Toxizität, welche den anderen ADs fehlt. Unruhe, ev. Akathisie: selten, am ehesten bei SSRIs Gastrointestinale Störungen (Übelkeit, Erbrechen, Durchfall): besonders bei SSRIs, weniger bei SNRIs und SARIs. Gewichtszunahme: bei Trizyklika, ev. auch bei RIMAs. Schlafstörungen: bei SSRIs, SNRIs, NARIs und RIMAs; SARIs können den Schlaf fördern. Sexuelle Funktionsstörungen (Anorgasmie bei der Frau, Impotenz oder gestörte Ejakulation beim Mann): vorwiegend bei SSRIs. Hypomanische bis manische Episoden: am ehesten bei Trizyklika. Entzugssymptome (bei abruptem Absetzen): bei Trizyklika (Krankheitsgefühl, Schüttelfrost, Schlafstörungen) und SSRIs (gastrointestinale Störungen, Parästhesien, Erregungszustände). Kontraindiaktionen Je nach Präparat unterschiedliche, zumeist nur relative Kontraindiaktionen: Delirien, Ileus, Engwinkelglaukom, Prostatahyperplasie, Herzrhythmusstörungen, koronare Herzkrankheit. Interaktionen Verstärkung anderer zentral dämpfender Substanzen: am meisten bei Trizyklika. Verstärkung der Wirkung von Anticholinergika (mit Gefahr von Blasenatonie, Ileus und Hyperthermie) sowie von Vasodilatatoren (mit starkem Blutdruckabfall): bei Trizyklika, weniger bei NARIs. Trizyklika werden stark von Plasmaproteinen gebunden und durch Verdrängung von dort (z.B. durch Acetylsalicylsäure, Phenylbutazon, oder Phenothiazine) kann die freie Konzentration deutlich ansteigen. Insbesondere SSRIs interagieren mit verschiedenen Typen microsomaler hepatischer Enzyme (Cytochrom P, CYP) und können so die Wirkungen von -Blockern und Trizyklika (CYP1A2), von Carbamazepin (CYP2C9), von Barbituraten und Phenytoin (CYP2C19), sowie von Benzodiazepinen und Antibiotika (CYP3A3/4) erhöhen. Bei Kombination von SSRIs mit Trizyklika können letztere in toxische Plasmakonzentrationen ansteigen. 5 Hemmer von Monoaminooxidasen (MAO) neigen besonders zu Interaktionen, wobei diese bei irreversiblen Hemmstoffen stärker ausgeprägt sind. Hierbei ist anzumerken, dass es zwei Typen von MAOs gibt, welche unterschiedliche Substratund Inhibitorspezifität aufweisen (Tabelle 3.). Unter den Substraten finden sich nicht nur Neurotransmitter, sondern auch Tyramin, welches bei verschiedenen Fermentationsprozessen entstehen kann und beispielsweise relativ hochkonzentriert in Käse vorhanden ist. Daher kann der Genuss von Käse unter Einwirkung von (insbesondere irreversiblen) MAO Inhibitoren zu einer massiven Belastung des Organismus mit Tyramin führen, welches als indirektes Sympathomimetikum wirkt. Die Folgen sind hypertensive Krisen und letztendlich Kreislaufversagen. Aus diesem Grund werden heute nur mehr Reversible Inhibitoren der MAO A (RIMA) eingesetzt (bzw. der selektive irreversible Hemmer der MAO B Selegilin in der Parkinsontherapie). Tabelle 3. Monoaminooxidasen A MAO A und B NA 5HT Dopamin Tyramin Phenylethylamin Irreversible Hemmer Clorgylin Iproniazid Tranylcypromin Phenelzin Selegilin (Deprenyl) Reversible Hemmer Moclobemid Brofaramin Befloxaton Substrate B Lazabemid Da aber auch RIMAs die Wirkung von NA und 5HT Rückaufnahmehemmern potenzieren können, sollten diese nicht mit Trizyklika, SSRIs, NARIs, ANRIs und SARIs kombiniert werden. Zuletzt muss noch erwähnt werden, dass besonders SSRIs die Plasmaspiegel von Li+ erhöhen können, was bei einer solchen Kombination zu bedenken ist. Pharmakokinetik Die meisten AD werden nach oraler Anwendung relativ gut resorbiert (Nefazodon, als eine prominente Ausnahme, hat eine orale Bioverfügbarkeit von nur 20%). Infolge hoher Lipophilie und ausgeprägter Plasmaproteinbindung weisen AD hohe Verteilungsvolumina von bis zu 50 l/kg auf. Die Plasmahalbwertszeiten der AD liegen typischerweise zwischen 15 (z.B. Fluvoxamin) und 50 Stunden (z.B. Fluoxetin), sodass zumeist eine einmal tägliche Dosierung ausreicht (Ausnahmen(Halbwertszeiten in h): Venlafaxin (5), Nefazodon (3), Trazodon (6), Reboxetin (12)). Aus zahlreichen AD entstehen aktive Metaboliten (z.B. Amitriptylin, Imipramin, Clomipramin, Venlafaxin, Fluoxetin), sodass die Wirkdauer nicht ausschließlich von der Plasmahalbwertszeit der verabreichten Substanz abhängt. Bei einigen Trizyklika (aber auch anderen AD) ist der erste Metabolisierungsschritt eine Demethylierung (z.B. von Imipramin zu Desipramin = Desmethylimipramin) des endständigen Stickstoffs in der Seitenkette des Mittelrings. Der so entstehende Metabolit ist infolgedessen nicht nur aktiv, sondern kann auch andere Wirkungen als die Ausgangssubstanz erzielen (siehe Präparate). 6 Präparate Zahlreiche verschiedene Substanzen werden als AD verwendet, welche mit Ausnahme der trizyklischen AD entsprechend ihrer Wirkmechanismen in 7 Gruppen unterteilt werden (siehe Wirkmechanismen und Tabelle V.?.4.1). Die Präparate innerhalb einer Gruppe unterscheiden sich pharmakodynamisch nur wenig voneinander, wiederum mit einer Ausnahme: Innerhalb der Trizyklika gibt es solche die bevorzugt NA Rückaufnahme hemmen (z.B. Desipramin, Nortriptylin), während andere 5HT und NA Rückaufnahme hemmen (z.B. Imipramin, Amitriptylin). Die Ursache hierfür ist in der unterschiedlichen chemischen Struktur dieser Trizyklika zu finden. Imipramin Desipramin Amitriptylin Nortriptylin Wie oben gezeigt, haben Imipramin und Amitriptylin in den Seitenketten am Mittelring tertiäre Amine, während Desipramin (= Desmethylimipramin) und Nortriptylin (Nor = N ohne Rest) sekundäre Amine aufweisen. Die tertiären Amine hemmen eher die 5HT Aufnahme, die sekundären eher die NA Aufnahme. Da eine Hemmung der NA Aufnahme sich antriebssteigernd und psychomotorisch aktivierend auswirken kann, sind bei den sekundären Aminen sedative Erscheinungen weniger deutlich als bei den tertiären. Alle anderen ADs weisen sehr heterogene chemische Strukturen auf, von welchen nachfolgend einige gezeigt sind. Fluoxetin (SSRI) Citalopram (SSRI) Milnacipran (SNRI) Venlafaxin (SSRI) 7 Mirtazapin (NaSSA) Trazodon (SARI) Moclobemid (RIMA) Klinischer Einsatz Hauptindikationen für AD sind Depressionen jeder Genese (sowohl als Akuttherapie als auch als Langzeitprophylaxe von Rezidiven). Daneben können AD gegen Angstund Zwangsstörungen, Phobien, Bulimie, als Adjuvantien in der Schmerztherapie, sowie bei hyperkinetischem Syndrom und Enuresis nocturna eingesetzt werden. Eine Therapie mit einem Antidepressivum sollte in der Regel zumindest 6 Monate dauern, wobei man bedenken muss, dass der Eintritt einer antidepressiven Wirkung mit bis zu einem Monat Verzögerung erfolgen kann. Zeigt eine solche Akuttherapie nach 4 bis 5 Wochen keinen Erfolg, so sollte eine Therapie mit einem Antidepressivum mit einem anderen Wirkmechanismus versucht werden. Zuvor sollte aber auch an die Möglichkeit einer zu geringen Dosierung gedacht werden (übliche Dosierungen einiger AD sind in Tabelle 4 angeführt, es gibt aber beträchtliche Unterschiede in der individuellen Empfindlichkeit, und Plasmaspiegel lassen sich daher nur schlecht mit der antidepressiven Wirkung korrelieren). Handelsnamen Dosierung (mg/d) Üblich Extremwerte 100-200 50-300 100-200 50-300 100-200 50-300 75-150 25-250 100-200 25-250 Trizyklika Tabelle 4. Gruppe Freiname Amitriptylin Imipramin Desipramin Nortriptylin Clomipramin Saroten, Tryptizol Tofranil Pertofran Nortrilen Anafranil, Clomicalm SSRI Fluoxetin Fluvoxamin Citalopram Paroxetin Felicium, Fluctine, Fluoxibene Felixsan, Floxyfral Apertia, Cipram, Citalon, Citor Allenopar, Ennos, Glaxopar, Paluxetil, Parocetan, Seroxat 20-40 100-200 20-40 20-40 5-80 50-300 10-60 10-50 NARI Reboxetin Edronax 4-8 2-12 SNRI Venlafaxin Milnacipran Effectin Dalcipran, Ixel 75-225 50-100 25-375 25-200 SARI Trazodon Trittico 150-200 50-600 8 Nefazodon Nefadar 200-400 100-600 NaSSA Mianserin Mirtazapin Miabene, Tolvon Remeron 30-60 15-45 10-90 7.5-45 RIMA Aurobemid, Aurorix 150-300 150-600 Moclobemid Bei der Beurteilung eines Therapieerfolges mit AD muss auch bedacht werden, dass in klinischen Studien unter Placebo in bis zu 40% der Fälle deutliche antidepressive Wirkungen zu finden sind, sodass immer wieder die Wirkungen der ADs von diesen nicht signifikant unterschiedlich sind. Diese Problematik ist auch dann von Relevanz, wenn die Wirkungen zweier unterschiedlicher ADs miteinender verglichen werden. Eine initiale Therapie wird üblicherweise mit einem der nicht-trizyklischen Präparate begonnen werden, da diese eine wesentlich geringere Toxizität aufweisen. Wenn eine Monotherapie ohne Erfolg bleibt, kann auch eine Kombinationstherapie in Erwägung gezogen werden. Hierbei ist aber zu bedenken, dass MAO Hemmer mit Aufnahmehemmern nicht kombiniert werden dürfen, und dass andere Kombinationen (z.B. SSRI plus SNRI, NARI plus SNRI, Trizyklikum plus NARI) nicht sehr sinnvoll erscheinen (siehe Tabelle 1. für komplementäre Wirkmechanismen). Die Wirkung einzelner AD Gruppen kann aber verstärkt werden durch eine Kombination mit Li+-Salzen oder mit Trijodthyronin. Wird nach einer depressiven Episode mit einem AD für über 6 Monate Symptomfreiheit erzielt, so kann eine Beendigung der Therapie in Erwägung gezogen werden. Hierbei sollte aber beachtet werden, dass akutes Absetzen einerseits Entzugssymptomatik und andererseits eine Symptomprovokation verursachen kann. Daher sollte eine Beendigung der Therapie mit AD langsam ausschleichend erfolgen. Stimmungsstabilisatoren Bei bipolaren affektiven Störungen können die depressiven und manischen Phasen mit AD bzw. Neuroleptika behandelt werden. Keine Vertreter dieser beiden Substanzgruppen können aber die jeweils andere Symptomepisode bessern. Substanzen, die beide Phasen positiv beeinflussen können, werden als Stimmungsstabilisatoren bezeichnet. Dieser stimmungsstabilisierende Effekt tritt aber erst nach mehrwöchiger Therapie ein, sodass die Symptomatik einer akuten Phase dadurch zumeist unbeeinflusst bleibt. Daher werden diese Substanzen auch als Phasenprophylaktika bezeichnet. Zu diesen Stimmungsstabilisatoren zählen Li +Salze, Carbamazepin und Valproinsäure. Da die beiden zuletzt genannten Substanzen auch als Antikonvulsiva (Antiepileptika) eingesetzt werden, wird auf deren nähere Beschreibung hier verzichtet. Lithiumsalze Im Unterschied zu allen anderen Psychopharmaka hat Li+ keinerlei Effekte in Gesunden. Bei Patienten mit bipolaren affektiven Störungen, hingegen, kann Li + das Auftreten manischer und depressiver Episoden verhindern. Der zugrunde liegende Mechanismus ist nicht bekannt, es sind aber zwei unterschiedliche biologische Effekte für Li+ sehr gut dokumentiert: Die Inositolmonophosphatase wird blockiert und somit wird der Inositolphosphatzyklus unterbrochen. Die Adenylylzyklase wird gehemmt und cAMP-abhängige Signalkaskaden werden dadurch gedämpft. 9 Ob und wie diese beiden Effekte zur stimmungsstabilisierenden Wirkung von Li+ beitragen, ist nicht geklärt. Bekannt ist aber, dass diese Mechanismen nach längerer Therapiedauer zu unerwünschten Wirkungen führen können: Hohe Teratogenität infolge der Blockade des Inositolphosphatzyklus einerseits und Hypothyreose (bis zum Myxödem) mit nachfolgender Strumabildung infolge der Hemmung der Signalkaskaden des TSH (Thyreoidea stimulierendes Hormon) Rezeptors bzw. Polyurie mit nachfolgender Polydipsie und Gewichtszunahme infolge der Hemmung der Signalkaskaden des ADH (antidiuretisches Hormon) Rezeptors. Weitere unerwünschte Wirkungen sind Übelkeit, Diarrhö und ein feinschlägiger Termor der Finger in der Initialphase der Therapie. Die therapeutischen Plasma-Li+-Spiegel liegen zwischen 0.6 und 0.9 mmol/l für bipolare affektive Störungen und zwischen 0.9 und 1.1 für manische Episoden. Ab 1.5 mmol/l (geringe therapeutische Breite!) treten Zeichen einer Intoxikation auf: Erbrechen, Müdigkeit, Schwindel, Dysarthrie, Verwirrung, Krampfanfälle und letztendlich Koma. Der therapeutische Effekt wird erst mehrere Wochen nach Therapiebeginn erreicht. Als Akuttherapie für manische Episoden ist Li+ daher trotz prinzipieller Wirksamkeit wenig geeignet und es muss initial mit anderen Antipsychotika kombiniert werden. Li+ wird zumeist als Carbonat oral verabreicht und wird gut resorbiert. Die Hälfte einer Dosis wird mit einer Halbwertszeit von ca. 12 h renal eliminiert. Der Rest gelangt über Na+ Kanäle in intrazelluläre Kompartimente, wo Li+ akkumulieren kann, da es durch die Na+/K+ ATPase nur schlecht aus den Zellen ausgeschleust wird. Dieser Anteil wird erst im Laufe von 2 Wochen eliminiert, sodass eine mindestens ebenso lange Zeit erforderlich ist, bis sich ein Fließgleichgewicht eingestellt hat. Li + wird in der Niere über dieselben Wege wie Na+ reabsorbiert, sodass bei relativem Na+ Mangel die Li+-Spiegel an steigen können. Dies passiert daher auch unter der Wirkung von Diuretika, die im Bereich des distalen Tubulus angreifen.