1 Aufgaben und Begriff der Organisation

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Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
Organisationslehre
Inhalt
1
1.1
1.1.1
1.1.2
1.1.3
1.1.4
1.2
1.2.1
1.2.2
Aufgaben und Begriff der Organisation ................................................................ 1
Aufgaben der Organisation ........................................................................................ 1
Ziel der organisatorischen Gestaltung ....................................................................... 1
Wichtigstes Problem bei der Erzeugung von Synergien ............................................ 2
Die „sichtbare Hand“ als Problemlösung .................................................................... 3
Teilaufgaben der Organisation ................................................................................... 4
Begriff der Organisation ............................................................................................. 5
Der instrumentelle Organisationsbegriff ..................................................................... 6
Der institutionelle Organisationsbegriff....................................................................... 6
2
Differenzierung und Integration als Grundprinzipien der organisatorischen
Gestaltung ................................................................................................................ 7
3
3.1
3.2
3.2.1
3.2.2
Organisatorische Differenzierung .......................................................................... 9
Horizontale Differenzierung ....................................................................................... 9
Vertikale Differenzierung ........................................................................................... 9
Gliederungstiefe ........................................................................................................ 9
Leitungsspanne ......................................................................................................... 9
4
4.1
4.2
4.2.1
4.2.1.1
4.2.1.2
4.2.2
4.2.3
4.2.3.1
4.2.3.2
4.2.3.3
4.2.3.4
Organisatorische Integration................................................................................ 10
Verknüpfung durch Leitungsbeziehungen ............................................................... 10
Verknüpfung durch Entscheidungsverfahren ........................................................... 14
Weisungen ............................................................................................................... 15
Standardisierung ..................................................................................................... 15
Delegation ............................................................................................................... 16
Selbstabstimmung (Partizipation) ............................................................................ 17
Interne Preise (Verrechnungspreise) ....................................................................... 18
Marktorientierte Verrechnungspreise ....................................................................... 20
Kostenorientierte Verrechnungspreise ..................................................................... 21
Verrechnungspreise als Ergebnis von Verhandlungen ............................................ 21
Vor- und Nachteile der Profit Center-Organisation ................................................... 22
5
5.1
5.2
5.3
5.4
5.5
5.6
Grundformen der Organisationsstrukturen ........................................................ 22
Die funktionale Organisation ................................................................................... 23
Die produktorientierte Organisation ......................................................................... 24
Die Regionalorganisation ........................................................................................ 26
Die Projektorganisation ........................................................................................... 27
Die Prozessorganisation .......................................................................................... 30
Holding .................................................................................................................... 35
6
6.1
6.2
6.2.1
6.2.2
6.2.3
Gruppen in Organisationen .................................................................................. 37
Abstimmung in Gruppen .......................................................................................... 37
Abstimmung zwischen Gruppen .............................................................................. 39
Selbstabstimmung ................................................................................................... 39
Weisungen ............................................................................................................... 40
Verrechnungspreise: Profit Centers ......................................................................... 40
7
Literaturverzeichnis .............................................................................................. 41
8
Übungen zur Organisationslehre ......................................................................... 42
1
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
1
Aufgaben und Begriff der Organisation
1.1
Aufgaben der Organisation
Organisationslehre
„Die von Alfred Sloan aufgebaute Firma General Motors ist eine ehrfurchtseinflössendere Erfindung als der
Verbrennungsmotor, sowie das Krankenhaus einen bedeutenderen Durchbruch darstellt als irgendein SuperMedikament.“ (Peter Drucker).
Wir leben in einer Organisationsgesellschaft. Die meisten von uns werden in Kliniken
geboren, besuchen Schulen, arbeiten in Unternehmen, treiben Sport im Verein, zahlen
Steuern an das Finanzamt. Schlussendlich wird uns eine Behörde den Totenschein
ausstellen – lauter interne Organisationen. Märkte können offensichtlich zahlreiche Aufgaben
nicht so gut erfüllen wie Organisationen (Simon 1991). Welche Aufgabe erledigt also die
Organisation anders – und unter bestimmten Bedingungen besser – als der Markt?
1.1.1
Ziel der organisatorischen Gestaltung
Das Ziel der organisatorischen Gestaltung besteht in der Erzeugung von Synergien oder
Kooperationsrenten. Was ist damit gemeint?

Synergien: Durch die Zusammenarbeit der Organisationsmitglieder wird mehr Wert
geschaffen als die Summe der Aktivitäten von Einzelpersonen über den Markt
erbringen würde.

Kooperationsrente: Überschuss aus der koordinierten Zusammenarbeit
Organisationsmitglieder gegenüber der Summe der Outputs einzelner Personen.
der
Durch Arbeitsteilung (Differenzierung) und Arbeitsverknüpfung (Integration) entsteht ein
Gesamtoutput, der grösser ist als die Summe der Outputs aller einzelnen
Organisationsmitglieder, vgl. das Stecknadel-Beispiel von Adam Smith.
In dem klassischen Beispiel von Adam Smith kann ein Arbeiter, der alle Arbeitsgänge allein
ausführt, nur 20 Stecknadeln pro Tag herstellen. Wird jedoch die Arbeit in der von Smith
beschriebenen Weise zerlegt, so können 10 auf verschiedene (Teil-)Verrichtungen
spezialisierte Arbeiter pro Tag 48'000 Nadeln herstellen. Die Zerlegung der Aufgabe in 10
Teilaufgaben hat also den Output um das 240-fache vergrössert.
Die Kooperationsrente hat sich demnach um 47'800 oder das 240-fache erhöht.
1
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
1.1.2
Organisationslehre
Wichtigstes Problem bei der Erzeugung von Synergien
Die Erzeugung von Synergien ist mit dem Problem verbunden, dass Nutzen und Kosten der
Synergien oder Kooperationsrenten für den einzelnen Akteur nicht mehr unmittelbar verkoppelt sind. Beiträge (Inputs) und Erträge (Outputs) sind nicht mehr eindeutig zurechenbar.
Es besteht die Gefahr, dass sich die Organisationsmitglieder nach dem Motto verhalten:
Team-Arbeit heisst „Toll Ein Anderer Machts“. Unter diesen Umständen sind Märkte ungeeignet, genügend Anreize für die Erzeugung von Synergien bereitzustellen. Auf Märkten müssen
Leistung und Gegenleistung (Preis) einigermassen klar bestimm- und zurechenbar sein.
Synergien entstehen durch



Economies of scale
Economies of scope: Verbundvorteile durch Produktion komplementärer Güter
Komplementaritäten: „Doing more of one activity increases the marginal productivity of
each other activity in the group“ (Milgrom/Roberts 1992, S. 108)
nach Abzug der Koordinationskosten bei deren Erzeugung. Sie führen zu
Kollektivressourcen. Von deren Nutzung, wenn sie einmal erstellt sind, profitieren alle
Organisationsmitglieder, auch diejenigen, die wenig dazu beigetragen haben. Eine Messung
des Beitrags zu den Kollektivressourcen und deren individueller Verbrauchs ist oft schwierig.
Das ist insbesondere der Fall bei der heute wichtigsten Kollektivressource, dem
Organisationalen Wissen. Es tritt für rationale Egoisten ein sog. „soziales Dilemma“ zwischen
individueller und kollektiver Nutzenmaximierung auf. Dies zeigt das folgende Beispiel von
Cathy und Calvin (vgl. Miller 1992, S. 32).
Calvin und Cathy könnten jeder für sich alleine einen Output im Werte von je 40 CHF erzeugen. Wenn sie sich zusammen tun, könnten sie, z.B. aufgrund von Spezialisierungsvorteilen,
den gemeinsamen Output auf 90 CHF steigern. Es entsteht also ein Synergieeffekt von 10
CHF. Nehmen wir an, die beiden wollen den gemeinsam erzeugten Output zu gleichen Teilen
untereinander aufteilen. Nehmen wir weiter an, dass beide nicht gerne arbeiten und deshalb
beide psychologische Kosten in der Höhe von 30 CHF erleiden, wenn sie hart arbeiten. Diese
Kosten sind 0, wenn sie nicht arbeiten. Wir erhalten dann folgende Auszahlungsmatrix:
Calvin arbeitet hart
Cathy arbeitet nicht
Cathy:45-30=15
Cathy: 20-30= -10
Calvin: 45-30=15
Calvin: 20-0=20
Cathy: 20-0=20
Cathy: 0-0=0
Calvin: 20-30= -10
Calvin: 0-0=0
Cathy arbeitet hart
Cathy arbeitet nicht
Abbildung 1: Cathy und Calvin
2
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
Organisationslehre
Obwohl der kollektive Nutzen im linken oberen Kästchen maximal ist, wenn beide hart
arbeiten, können sich sowohl Cathy als auch Calvin besser stellen, wenn sie den anderen für
sich arbeiten lassen und selber nichts zum Teamoutput beitragen. Da dies für beide
Mitspieler gilt, ergibt sich für rationale Egoisten die Lösung rechts unten. Synergien kommen
nicht zustande. Im Ergebnis werden Cathy und Calvin jeder für sich alleine arbeiten und
zusammen weniger Output erzeugen als sie gemeinsam erzeugen könnten.
Die „sichtbare Hand“ als Problemlösung
1.1.3
Die Unternehmung hat für dieses Problem eine Lösungsmöglichkeit, die dem Markt nicht zur
Verfügung steht: Die „invisible hand“ des Marktes tritt zugunsten der „visible hand“ der
Unternehmung zurück. Im Unternehmen werden dazu unvollständige Arbeitsverträge
geschlossen.

Der Arbeitnehmer verpflichtet sich zur Einhaltung von Regeln innerhalb einer
„Indifferenzzone“. Er erhält dafür einen fixen Lohn.

Die Arbeitgeberin verpflichtet sich:
-
zur Gestaltung und Durchsetzung der Regeln durch Anweisungen (z.B.
Pflichtenhefte),
-
zur Kontrolle der Teammitglieder (Verfahrens- und Ergebniskontrolle),
-
zur Zahlung eines fixen Lohnes,
-
zur Übernahme des residualen Risikos.
-
Sie erhält dafür den Gewinn.
Die „sichtbare Hand“ des Unternehmens besteht in dieser Sichtweise darin, die „unsichtbare
Hand“ des Markt- und Preissystems durch Regeln zu ersetzen, die mittels Anweisungen und
Kontrolle implementiert werden. Diese Lösung ist heute veraltet. Sie ist nur anwendbar, wenn
in Unternehmen Wissensarbeit keine Rolle spielt.
Bei Wissensarbeit ist die Arbeitgeberin nicht mehr in der Lage, die Arbeitnehmer durch
vorgegebene Regelen, durch Anweisungen, Verfahrens- und Ergebniskontrolle zu steuern.
„Dienst nach Vorschrift“ wäre die Folge. Der Arbeitnehmer hat hier mehr und anderes Wissen
hat als seine Vorgesetzte und muss selber in der Lage sein, sinnvolle Regeln kooperativ zu
gestalten und sie zu grossen Teilen freiwillig befolgen. Es besteht eine Informationsasymmetrie zwischen Vorgesetzter und Untergebenen. Anweisungen und Kontrolle müssen
durch eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen beiden ersetzt werden (vgl. Osterloh &
Weibel 2005, Kapitel 3). Es gilt nicht mehr: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Vielmehr
muss das Unternehmen durch geeignete Massnahmen dafür sorgen,

dass Arbeitnehmer sich nicht mehr nur als rationale Egoisten verhalten, sondern
prosoziale Präferenzen entwickeln

dass sie Arbeit nicht mehr als negatives Gut empfinden, sondern (zumindest teilweise)
Spass an der Arbeit haben.
3
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
Organisationslehre
Extrinsische Motivation muss durch intrinsische Motivation ergänzt oder ersetzt werden: Bei
der extrinsischen Motivation geht es um eine indirekte Bedürfnisbefriedigung. Die Tätigkeit
wird nicht um ihrer selbst willen ausgeführt, sondern zum Beispiel, um Geld zu verdienen.
Erst mit dem Geld wird dann das unmittelbare Bedürfnis erfüllt, etwa eine Urlaubsreise.
Intrinsische Motivation hingegen bezieht sich auf eine direkte Bedürfnisbefriedigung. Eine
Aktivität wird um ihrer selbst willen geschätzt, sie wird auch ohne Belohnung oder Bestrafung
ausgeführt. Das ist dann der Fall. Wenn die Tätigkeit Spass macht oder wenn man um einer
prosozialen Verpflichtung willen ausführt (vgl. Frey & Osterloh 2002 ).
Die wichtigsten Voraussetzungen für intrinsische Motivation sind

Autonomie

Kompetenzerleben

Soziale Zugehörigkeit und faire Behandlung
In diesem Fall besteht die „sichtbare Hand“ des Unternehmens also darin, dass eine
Organisationsstruktur geschaffen wird, die weniger auf Anweisung und Kontrolle als auf
Selbstabstimmung abstellt. Selbstabstimmung ist eine gute Voraussetzung für die
Herausbildung intrinsischer Motivation.
1.1.4
Teilaufgaben der Organisation
Koordination
Die
Arbeitsaktivitäten
müssen
durch
Regeln
(Organisationsstruktur
und
Entscheidungsverfahren) so aufgeteilt und verknüpft werden, dass tatsächlich Synergien oder
Kooperationsrenten entstehen. Die Koordinationsaufgabe steht im Zentrum der älteren,
klassischen Organisationslehre. Sie ist immer dann um die Motivations- und
Orientierungsaufgabe zu ergänzen, wenn Wissensarbeit im Zentrum steht.
Motivation
Die Organisationsmitglieder müssen extrinsische und intrinsische Anreize haben, die Regeln
dem Sinn nach einzuhalten
Orientierung
Die Organisationsmitglieder müssen fähig sein, die Organisationsregeln ständig zu
aktualisieren. Dazu müssen sie Wissen erwerben und in der Organisation speichern.
Alle drei Teilaufgaben sind interdependent (vgl. Abbildung 1). In dieser Vorlesung wird in
erster Linie die Aufgabe der Koordination behandelt. Es werden aber immer wieder Bezüge
zu den beiden anderen Aufgaben hergestellt.
4
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
Organisationslehre
Koordination
Organisationsstruktur
Entscheidungsverfahren
zum Beispiel:
 Funktionale Organisation
 Weisungen
 Produktorientierte Organisation
 (interne) Preise
 Regionalorganisation
 Selbstabstimmung
 Projektorganisation
 Prozessorganisation
 Holding
Motivation
durch
 intrinsische Motivation
 extrinsische Anreize
zur Erfüllung der Koordinationsund Orientierungsaufgabe
Orientierung
Mittels
Management
der
Generierung, des Transfers und
der Speicherung von
 explizitem Wissen
 implizitem Wissen
Abbildung 2: Die drei Aufgaben der Organisation
1.2
Begriff der Organisation
Organisation bedeutet die Existenz einer Ordnung, die zielgerichtet arbeitsteilige
Aufgaben und Tätigkeiten regelt.
Für den Begriff Organisation sind vielfältige Klassifizierungsversuche unternommen worden,
wobei im Allgemeinen zwei Grundauffassungen unterschieden werden:

Organisation als Institution mit bestimmten Eigenschaften und

Organisation als Instrument oder Mittel, mit deren Hilfe die Ziele dieser Organisation
erreicht werden sollen.
Im Folgenden werden diese unterschiedlichen Begriffsauffassungen vertieft dargestellt.
5
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
1.2.1
Organisationslehre
Der instrumentelle Organisationsbegriff
Der instrumentelle Organisationsbegriff meint:
Die Unternehmung hat eine Organisation und wird organisiert.
Der instrumentelle Organisationsbegriff kennzeichnet Organisation als das Resultat einer
zielbewussten Tätigkeit, die effiziente Arbeitsabläufe sicherstellen soll.
Innerhalb dieser Konzeption lassen sich zwei Begriffe unterscheiden: der funktionale und der
konfigurative Organisationsbegriff (Schreyögg 1999).
Unter dem funktionalen Organisationsbegriff wird die Tätigkeit des Organisierens
verstanden. Die Aufgabe des Organisierens ist eine der verschiedenen Funktionen der
Unternehmensführung. Sie ergibt sich aus der Arbeitsteilung: Die komplexe Gesamtaufgabe
des Unternehmens wird in verschiedene Teilaktivitäten zerlegt, die arbeitsteilig erbracht
werden (Differenzierung). Anschliessend werden die Teilaufgaben durch Weisungen, interne
Preise und Selbstabstimmung so koordiniert, dass die Erfüllung der unternehmerischen
Gesamtaufgabe sichergestellt ist (Integration).
Der konfigurative Organisationsbegriff bezeichnet das beabsichtigte Ergebnis des
Organisierens. Er ist vor allem von Kosiol (1962; 1978) geprägt worden. Insbesondere im
deutschsprachigen Raum bauen viele Arbeiten auf diesem Begriff auf. Organisation wird nach
diesem Verständnis als dauerhafte Strukturierung von Arbeitsprozessen gekennzeichnet, die
das Gefüge oder die organisatorische Konfiguration von Unternehmen ausmachen. Im
Gegensatz zum funktionalen Organisationsbegriff liegt hier der Schwerpunkt also nicht auf
der Tätigkeit des Organisierens, sondern auf der formalen Organisation (den
Organigrammen) als dem beabsichtigte Ergebnis organisatorischer Gestaltungshandlungen.
1.2.2
Der institutionelle Organisationsbegriff
Der institutionelle Organisationsbegriff meint:
Die Unternehmung ist eine Organisation.
Der institutionelle Organisationsbegriff wird vor allem in der amerikanischen ManagementLiteratur, in der Soziologie und in der Organisationspsychologie verwendet. Das institutionelle
Organisationsverständnis wählt einen umfassenderen Blickwinkel als das instrumentelle
Organisationsverständnis: Es geht nicht nur um die formal geplante Organisation, sondern es
wird das tatsächliche, in der Praxis (empirisch) beobachtbare Verhalten einbezogen. Dies
schliesst die informale Organisation ein, das heisst die „unsichtbaren Regeln“ ohne offiziellen
Charakter. Diese können einerseits die Kommunikation erleichtern, Vertrauen herstellen und
6
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
Organisationslehre
die Unzulänglichkeiten der formalen Organisation ausgleichen. Ohne informale Regeln wäre
„Dienst nach Vorschrift“ an der Tagesordnung. Andererseits können informale Strukturen
auch störende Seiten haben. Beispielsweise können dadurch Widerstände bei den
Organisationsmitgliedern oder Störungen im Arbeitsablauf verursacht werden. Diese können
im Rahmen des instrumentellen Organisationsbegriffes nicht erklärt werden.
2
Differenzierung und Integration als Grundprinzipien der
organisatorischen Gestaltung
Traditionell wird die Koordination als Hauptaufgabe der Organisation verstanden. Die
Gesamtaufgabe der Koordination setzt sich aus den Teilaufgaben der Differenzierung und der
Integration zusammen.
Organisatorische Strukturgestaltung wird durch Arbeitsteilung (Differenzierung) und
Arbeitsvereinigung (Integration) bestimmt. Durch die Differenzierung werden die
arbeitsteiligen Kompetenzbündel bestimmt. Die Integration sorgt dafür, dass die
Kompetenzbündel
durch
Leitungsbeziehungen
und
Entscheidungsverfahren
so
zusammengefügt werden, dass tatsächlich Synergien oder Kooperationsrenten entstehen.
Differenzierung
oder
Gesamtaufgabenkomplex
Teilaufgaben zerlegt wird.
Spezialisierung
bedeutet,
dass
der
in einer Organisation durch Arbeitsteilung in
Die Teilaufgaben werden verschiedenen Entscheidungsträgern zugeteilt. Diese bearbeiten
bestimmte Problemausschnitte der Gesamtaufgabe selbständig. Dadurch wird eine
Zuordnung von Verantwortlichkeiten möglich.
Je stärker eine Organisation differenziert ist, um so wirksamere
Integrationsmechanismen müssen zur Anwendung gelangen, um die
nachteiligen Folgen der Arbeitsteilung zu überwinden.
Organisatorische Differenzierung kann horizontal oder vertikal erfolgen. Die horizontale
Differenzierung erfolgt nach Funktionen, Produkten, Regionen, Projekten und Prozessen. Die
vertikale Differenzierung beinhaltet Gliederungstiefe und Leitungsspanne. Organisatorische
Integration erfolgt durch die Festlegung der Form des Organigramms und der Art der
Entscheidungsverfahren.
7
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
Organisationslehre
Funktionen
Differenzierung
(Arbeitsteilung)
Produkten
Regionen
Sichtbarer Teil des
Organigramms
Horizontale
Differenzierung
nach
Projekten
Prozessen
Gliederungstiefe
Vertikale
Differenzierung
Organisatorische
Strukturgestaltung
Leitungspanne
Einlinien
Mehrlinien
Integration
(Arbeitsverknüpfung)
Matrixorganisation
fallweise
Entscheidungsverfahren
Weisung
(Unsichtbare) Bedeutung der
Verbindungslinien im Organigramm
Stab-Linien Organisation
Konfiguration
generell
Standardisierung
Delegation
interne Preise
Selbstabstimmung
(Partizipation)
Abbildung 3: Integration und Differenzierung
Teilaufgabe
Stellen
Teilaufgabe
Stellen
Teilaufgabe
Stellen
Abteilung
Abteilung
Aufgabe
Abteilung
Teilaufgabe
Stellen
Bildung von Teilaufgaben
Stellenbildung / Abteilungsbildung
Abbildung 4: Vorgang der Differenzierung und Integration
8
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
3
Organisatorische Differenzierung
3.1
Horizontale Differenzierung
Organisationslehre
Die horizontale Differenzierung betrifft die Ausgestaltung der Organisationsstruktur nach
unterschiedlichen Prinzipien der Arbeitsteilung: nach Verrichtungen (Funktionen) oder
Objekten (Produkte, Regionen, Projekte, Prozesse). Schlussendlich führt die horizontale
Differenzierung zu den in Kapitel fünf behandelten Grundformen der Organisationsstruktur.
3.2
Vertikale Differenzierung
Die vertikale Differenzierung beschreibt die hierarchische Detaillierung der Entscheidungsund Weisungsbefugnisse. Es werden unterschiedliche rangmässige Positionen im
Stellengefüge gebildet. Sie ergeben sich aus dem Erfordernis, die einzelnen Stellen auf das
übergeordnete Ziel auszurichten. Dazu gehören Überlegungen zur Gestaltung der optimalen
Gliederungstiefe und der Leitungsspanne (Kieser/Kubicek 1992).
3.2.1
Gliederungstiefe
Die Gliederungstiefe bestimmt über die Anzahl der hierarchischen Ebenen im
Unternehmen.
Je grösser die Gliederungstiefe oder vertikale Spanne einer Organisation ist, desto steiler
verläuft die Pyramide des Organigramms. Die hierarchische Gliederung des Stellengefüges
führt zu einer rangmässigen Differenzierung zwischen den Organisationsmitgliedern.
Bei einer grösseren Gliederungstiefe wird der vertikale Informationsfluss häufiger
unterbrochen. Erstens müssen mehr hierarchische Ebenen überwunden werden, und
zweitens behindern Statusdifferenzen die Weitergabe von Informationen. Andererseits kann
eine niedrigere Gliederungstiefe mit weniger Ebenen zu einer verlängerten Bearbeitungszeit
führen, weil der Zeitbedarf für Beratungen und Diskussionen steigt.
3.2.2
Leitungsspanne
Die Leitungsspanne oder Subordinationsquote einer Organisation kennzeichnet
die Anzahl der Stellen, die einer Instanz direkt unterstellt sind.
Es geht um die Frage, wieviele Untergebene oder Mitarbeiter eine Vorgesetzte haben sollte.
Je grösser die Leitungsspanne ist, desto weniger hierarchische Ebenen müssen gebildet
9
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
Organisationslehre
werden. Dies führt insgesamt zu einer flacheren Form der Gesamtorganisation. Aussagen
zum optimalen Umfang einer Leitungsspanne sind jedoch nicht generell möglich.
Die optimale Leitungsspanne hängt hauptsächlich von zwei Bedingungen ab; von den
Merkmalen der Aufgabe und vom Führungsstil. Routinisierbare, gleichförmige Aufgaben
ermöglichen eine stärkere Standardisierung. Diese reduziert den Koordinationsbedarf von
Vorgesetzten, so dass ihnen eine grössere Anzahl von Untergebenen unterstellt werden
kann. Ein partizipativer Führungsstil erfordert eine intensive Kommunikation und
Zusammenarbeit. Daraus resultiert eine geringere Leitungsspanne.
4
Organisatorische Integration
Zwischen den durch die organisatorische Differenzierung geschaffenen Teilbereichen,
bestehen Interdependenzen. Entscheidungen in einem Teilbereich haben Auswirkungen auf
Entscheidungen in anderen Teilbereichen. Integration bedeutet, dass die interdependenten
Teilaufgaben einer Organisation wieder zielgerichtet zusammengefasst werden, so dass eine
geschlossene Leistungseinheit entsteht und möglichst hohe Synergieeffekte entstehen.
Zur Bewältigung des Integrationsproblems gibt es verschiedene Mechanismen. Grundsätzlich
kann zwischen Verknüpfung durch Leitungsbeziehungen und Entscheidungsverfahren
unterschieden werden. Die Verknüpfung durch Leitungsbeziehungen zeigt auf, welche
Relationen (vertikale Entscheidungsbeziehungen) zwischen den Teilbereichen bestehen
(Einlinien-, Mehrlinienunterstellung), ohne dass die Form dieser Entscheidungsbeziehungen
festgelegt wären. Diese Inhalte können idealtypisch als Weisungsbeziehung, als interner
Markt (Preise) oder als partizipative Selbstabstimmung ausgestaltet sein.
4.1
Verknüpfung durch Leitungsbeziehungen
In einer Organisation kann zwischen Leitungs- und Ausführungsaufgaben unterschieden
werden. Leitungsbeziehungen regeln den Dienstweg oder den Instanzenzug in einer
Organisation. Es lassen sich zwei idealtypische Grundformen unterscheiden: das Einlinienund das Mehrliniensystem.
Grundprinzip des Einliniensystems ist die von Fayol (1916) entwickelte „Einheit der
Auftragserteilung“. Ursprünglich war das Einliniensystem nur für das (damals vorherrschende)
Entscheidungsverfahren der Weisung konzipiert.
Einliniensysteme entstehen, wenn die Gesamtaufgabe des Unternehmens nach
einem einzigen Kriterium in Teilaufgaben zerlegt wird. Der Dienstweg läuft nur in
vertikaler Richtung des Organigramms.
Der Vorteil dieses Systems besteht in der einfachen und klaren Gliederung des
Beziehungsgefüges, weil Zuständigkeiten und Verantwortung eindeutig „in einer Hand“
10
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
Organisationslehre
liegen. Nachteile ergeben sich aus der geringen Reaktionsgeschwindigkeit aufgrund langer,
mehrstufiger Entscheidungswege. Dies kann unter Umständen zum sogenannten
„Kamineffekt“ führen. Wie bei einem Kamin müssen nämlich sämtliche Informationen den
gesamten Instanzenweg bis zur Unternehmensspitze durchlaufen. Dies führt zu einer
Überlastung der Unternehmensspitze.
Unternehmensleitung
eindeutiger
Dienstweg
Nachgeordnete Stelle
Nachgeordnete Stelle
Nachgeordnete Stelle
Abbildung 5: Einliniensystem
Grundprinzip des Mehrliniensystems ist die Funktionsteilung und damit
Spezialisierung auf der Leitungsebene.
Ein Beispiel ist das von Taylor (1911) entwickelte „Funktionsmeisterprinzip“. Es bedeutet,
dass die nachgeordneten Stellen für verschiedene Tätigkeiten verschiedene Vorgesetzte
haben, bzw. dass mehrere Dienstwege existieren.
Fachvorgesetzte
Mitarbeiter
Fachvorgesetzter
Mitarbeiterin
Mitarbeiter
Abbildung 6: Mehrliniensystem
Der Vorteil dieses Systems besteht in der hohen Spezialisierung der Vorgesetzten.
Ausserdem bietet das Mehrliniensystem die Chance, das eindimensionale Hierarchiedenken
zu reduzieren, weil es mehrere Dienstwege gibt. Dies stellt jedoch zugleich auch einen
Nachteil dar: Die Vielfachunterstellung der Untergebenen kann zu Verunsicherungen und
Kompetenzkonflikten führen. Ausserdem entsteht bei den vorgesetzten Stellen ein
erheblicher Koordinationsaufwand.
11
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
Organisationslehre
Die beiden Grundformen der Leitungsbeziehungen treten in der Unternehmenspraxis in
zahlreichen Mischformen auf. Die bekanntesten sind die Stab-Linien-Organisation und die
Matrix-Organisation.
Die Stab-Linien-Organisation ist durch die permanente Ergänzung des
Einliniensystems mit
Leitungshilfsstellen,
den
sogenannten
Stäben,
charakterisiert.
Typische Stabsstellen sind das Controlling und die strategische Planung oder Assistenten der
Geschäftsleitung.
Stäbe
haben
die
Aufgabe,
die
Linieninstanzen
in
der
Entscheidungsvorbereitung fachlich zu beraten und zu unterstützen. Im Gegensatz zu den
Leitungsstellen besitzen sie im Allgemeinen keine formalen Entscheidungs- und
Weisungskompetenzen. Jedoch erhalten sie häufig ein sogenanntes „funktionales
Weisungsrecht“ in eng begrenzten fachtechnischen Bereichen (Entscheidungsverfahren der
Weisung, vgl. Kapitel 6.1). Stäbe können auch als Service Centers ausgebildet sein, deren
Leistungen von den Linien angefragt und mit internen Preisen verrechnet werden
(Entscheidungsverfahren interne Preise, vgl. Kapitel 6.3). Schliesslich können sie auch
gleichberechtigt Partner der Linienstellen sein (Entscheidungsverfahren Selbstabstimmung,
vgl. Kapitel 6.2). In diesem Fall ist der Übergang zur Matrix vollzogen.
Stab
Abbildung 7: Stab-Linien-Organisation
Der Vorteil der Stab-Linien-Organisation besteht in der Entlastung der Linieninstanzen. Die
Spezialisten helfen der Linie, Entscheidungen sachgerechter und vertiefter treffen zu können.
Jedoch gibt es auch Nachteile: Ein Entscheidungsprozess besteht aus vielen aufeinander
folgenden Phasen mit zahlreichen Rückkopplungsschleifen (vgl. Abb. 8).
12
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
Eingabe
1
Problem
2
Suche
3
Alternativen
Organisationslehre
4
5
6
7
Vergleich
Entschluss
Anregung
Ausführung
(Ergebnis)
Ausgabe
8
Kontrolle
Abbildung 8: Phasenschema der Entscheidung (Quelle: Martin Irle: Macht und Entscheidungen in
Organisationen. Studien gegen das Linie-Stab-Prinzip. Frankfurt / Main 1971).
Der Stab ist üblicherweise für die Entscheidungsvorbereitung tätig und hat keine
Entscheidungs- und Weisungsbefugnis, d.h. er ist mit den Phasen 1 bis 4 befasst. Die
Entscheidung und Implementation, d.h. Phasen 5 bis 8 sind Linienaufgaben. Jedoch ist die
Linie oft nicht so gut wie die Stäbe über die möglichen Alternativen informiert, sie entscheidet
meist nur über wenige Alternativen, oft sogar nur über eine Alternative in einer Ja-NeinEntscheidung. Daraus resultiert eine informationelle Abhängigkeit der Linie von den Stäben.
Umgekehrt mangelt es den Stäben an Implementationserfahrung. Die Arbeit von Stäben wird
von den Linieninstanzen oft als „Wasserkopf“ empfunden, denen gerne der Vorwurf der
Praxisferne gemacht wird. Ein Ausweg ist ein hoher Partizipationsgrad zwischen Stab und
Linie (Entscheidungsverfahren Selbstabstimmung, vgl. Kapitel 4.2.2). Dann aber ist die
Arbeitsteilung zwischen Entscheidungsvorbereitung und Implementation durchbrochen.
Bei der Matrix-Organisation kommen zwei Gliederungsprinzipien hierarchisch
gleichberechtigt zur Anwendung. Es entsteht eine duale Leitungsbeziehung. An
der Schnittstelle entsteht eine Doppelunterstellung und die Notwendigkeit, die
sich überschneidenden Kompetenzen zum Ausgleich zu bringen.
13
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
Organisationslehre
Um die daraus entstehenden Konflikte im Entscheidungsverfahren „Weisungen“ zu
entschärfen, wird häufig eine Kompetenzaufteilung zwischen produkt- bzw. marktorientierten
und funktionsorientierten Kriterien gewählt: Die für die Produkt-Markt-Angelegenheiten
zuständige Matrixstelle bestimmt das „Was“ und „Wann“ und die für die Funktionen
zuständige Matrixstelle das „Wer“ und „Wie”.
Ziel der Matrix-Organisation ist es jedoch eigentlich, das Entscheidungsverfahren
„Selbstabstimmung“ bewusst in der Struktur zu verankern, um die Entscheidungsqualität zu
erhöhen. Man erhofft sich durch die Einbringung zusätzlicher Dimensionen eine Verbreiterung
der Problemsicht.
Unternehmensleitung
Beschaffung
Produktion
Marketing
Produkt 1
Produktbezogenes
Entscheidungssystem
Produkt 2
Produkt 3
Funktionsbezogenes
Entscheidungssystem
Abbildung 9: Matrix-Organisation
Dieses in den Schnittstellen institutionalisierte Konfliktpotential gilt als der Vorteil der MatrixOrganisation. Jedoch hat die Doppelunterstellung auch Nachteile: Die Doppelunterstellung
und die Selbstabstimmung kann zu Koordinationsschwierigkeiten und Rollenambiguitäten
führen, weil die Verantwortlichkeit geteilt ist. Darüber hinaus stellt die Matrix-Organisation
hohe Anforderungen an die Konfliktfähigkeit und -toleranz der Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter, insbesondere dann, wenn über die beiden Dienstwege widersprüchliche
Entscheidungsimpulse kommen (Rühli 1996).
4.2
Verknüpfung durch Entscheidungsverfahren
Die Verknüpfung durch Leitungsbeziehungen wird im Organigramm durch die Linien
zwischen den die Abteilung und Stellen bezeichnenden Kästchen sichtbar gemacht.
Hingegen wird im Organigramm nicht deutlich, welche Entscheidungsverfahren mit diesen
Linien gemeint sein können. Idealtypisch können wir die folgenden drei
Entscheidungsverfahren unterscheiden:

Weisungen

Selbstabstimmung (Partizipation)

Interne Preise
14
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
4.2.1
Organisationslehre
Weisungen
Weisungen stellen das traditionelle Entscheidungsverfahren in Unternehmen dar. Ältere
Organisationskonzepte stellen fast ausschliesslich auf Weisungen ab. Der Vorteil dieses
Entscheidungsverfahrens ist eine einheitliche Verantwortlichkeit. Der Nachteil besteht darin,
dass mit diesem Verfahren die Fähigkeit der Unternehmung zur Komplexitätsverarbeitung
nicht oder nur wenig erhöht wird. Das Detailwissen der Untergebenen wird nicht
ausgeschöpft. Am Stärksten ist das bei der fallweisen Regelung der Fall. Hier geht die
Entscheidungskapazität der Leistungseinheit nicht über die des Einzelkopfes an der Spitze
hinaus. Die generelle Regelung in Form der Standardisierung und Delegation erhöhen die
Entscheidungskapazität der Vorgesetzten. Sie haben eine Entlastungswirkung. Sie setzten
allerdings eine klare Definition der Situation (z.B. durch klare Kennziffern) und einen
umfassenden Wissensstand der Vorgesetzten voraus. Ist das nicht der Fall, kann die
Einhaltung der Weisungen nicht kontrolliert und sanktioniert werden.
4.2.1.1
Standardisierung
Die Standardisierung ersetzt fallweise Regelungen durch generelle Regelungen
in Form von programmierten Aktivitätsfolgen.
Werden sie in schriftlicher Form gegeben, spricht man von Formalisierung. Es werden klare
Wenn-Dann-Regeln festgelegt. Je häufiger sie angewendet werden, desto routinisierter
laufen sie ab. Die Vor- und Nachteile der Standardisierung fasst die Tabelle in Abbildung 19
zusammen.
Kapazitätsaspekt bei der
vorgesetzten Stelle
Vorteile
Nachteile
 Routinen ermöglichen
eine Entlastung
 Es besteht die Gefahr der
Schematisierung
 Möglichkeit einer
grösseren Kontrollspanne
Aspekt der
Entscheidungsvielfalt
 Objektivierung und
Stabilisierung von
Entscheidungsprozessen
wird ermöglicht
 Es besteht die Gefahr des
Flexibilitätsverlusts
Personenbezogener Aspekt
bei der untergeordneten
Stelle
 Willkürentscheidungen
werden reduziert
 Ohnmacht gegenüber
dem „Apparat“
 Monotonie
Abbildung 10: Vor- und Nachteile der Standardisierung
15
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
4.2.1.2
Organisationslehre
Delegation
Delegation beinhaltet den Prozess der Kompetenzübertragung. Dabei handelt es
sich um die vertikale Abtretung von Befugnissen und Kompetenzen an eine
nachgeordnete Stelle („A oder B entscheidet“).
Eine Entscheidungsaufgabe wird im Voraus in Teilentscheidungen aufgegliedert, so dass
damit der Ermessens- und Entfaltungsspielraum untergeordneter Stellen erhöht wird. Sie
enthalten deshalb neben programmierten Aktivitätsfolgen immer auch Zielvorgaben.
Innerhalb abgegrenzter Verantwortungsbereiche sollen die betreffenden Aufgabenträger
selbständig die Handlungsalternativen wählen, die das vorgegebene Ziel realisieren
(„Management by Objectives“). So hat etwa eine Einkäuferin die Weisung einzuhalten, bei
Unterschreitung eines Mindestvorrats eine Bestellung aufzugeben (programmierte
Aktivitätsfolge), Bestellmenge und Lieferant darf sie selbst wählen, solange sie ein
vorgegebenes Kostenlimit einhält (Delegationsspielraum). Dabei gilt der Grundsatz der
Kongruenz von Aufgabe, Entscheidungskompetenz und Verantwortung. Durch Delegation
wird innerhalb des abgegrenzten Delegationsbereiches eine Ergebniskontrolle anstelle einer
Verfahrenskontrolle ermöglicht. Allerdings wird die Zurechenbarkeit von nichtkontrollierbaren
Umwelteinflüssen erschwert.
Der Delegationsgrad ist um so höher, je unabhängiger die untergebenen Stellen in Bezug auf
die Teilziele sowie die dafür einzusetzenden Mittel entscheiden können. Die Vor- und
Nachteile der Delegation sind in Abbildung 20 zusammengefasst.
Kapazitätsaspekt bei der
vorgesetzten Stelle
Vorteile
Nachteile
 Die Vorgesetzten werden
entlastet
 Kontrollverlust in Bezug
auf Umweltrisiken
 Sie können sich auf
wichtige Entscheidungen
konzentrieren
Aspekt der
Entscheidungsvielfalt
 Entscheidungen werden
„vor Ort“ gefällt
 Klare Situtationsdefinition
ist nötig
Personenbezogener Aspekt  Lernprozesse fördern die  Die
fachliche Kompetenz
Leistungsanforderungen
bei der untergeordneten
steigen
Stelle
Abbildung 11: Vor- und Nachteile der Delegation
16
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
4.2.2
Organisationslehre
Selbstabstimmung (Partizipation)
Partizipation bedeutet die Beteiligung von Organisationsmitgliedern an der
Willensbildung. Dies bedeutet, dass die Untergebenen und ihre Vorgesetzten
anfallende Entscheidungen gemeinsam treffen („A und B entscheiden
gemeinsam“).
Wichtig ist, dass die Beteiligten Einfluss auf den Verlauf und den Ausgang von
Entscheidungsprozessen nehmen können. Partizipation wird dabei als Variable gesehen, mit
deren Hilfe die Führung nicht-autoritär gestaltet werden kann (Hill/Fehlbaum/Ulrich 1994).
Wesentlicher Bestandteil einer partizipativen Abstimmung ist daher das Konsens- oder
Kompromissprinzip. Der Konsens entsteht aufgrund der freien Zustimmung aller Betroffenen.
Er ermöglicht eine friedliche Handlungskoordination auf der Basis von guten Gründen, von
deren Richtigkeit man überzeugt ist. Kompromisse ermöglichen jedoch nur instabile
Ergebnisse, weil jede Änderung der Erfolgsaussichten die einzelnen Organisationsmitglieder
veranlasst, die eigene Position zu verbessern (Steinmann/ Schreyögg 2000).
Kapazitätsaspekt bei der
vorgesetzten Stelle
Vorteile
Nachteile
 Raum für intensivere
Kommunikation
 Echte Partizipation ist nur
mit wenigen Mitarbeitern
möglich, das erfordert
eine kleine Leitungsspanne
 Der Widerstand bei der
Umsetzung ist geringer
Aspekt der
Entscheidungsvielfalt
 Höhere
Wissensintegration
 Irrtumsausgleich
Personenbezogener Aspekt
bei der untergeordneten
Stelle
 Die Identifikationsmöglichkeit mit dem
Entscheidungsergebnis
fördert intrinsische
Motivation
 Es kann Gruppen- und
Kompromissdenken
entstehen
 Nicht diskussionsgewandte Mitarbeiter
können schnell demotiviert werden
Abbildung 12: Vor- und Nachteile der Partizipation, bzw. Selbstabstimmung
Es lassen sich verschiedene Stufen der Partizipation unterscheiden, die davon abhängen,
inwieweit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Entscheidungsprozesse einbezogen werden.
In Abbildung 13 werden die Abstufungen verdeutlicht.
17
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
Organisationslehre
Formen der Entscheidungsbeteiligung
Entscheidungsspielraum
der Vorgesetzten
Entscheidungsspielraum
der Gruppe
autoritär
patriarchalisch
beratend
Vorgesetzte
entscheiden
und ordnen
an.
Vorgesetzte
entscheiden;
sie sind aber
bestrebt, die
Untergebenen
von ihren Entscheidungen
zu überzeugen, bevor sie
sie anordnen.
Vorgesetzte
entscheiden;
sie gestatten
jedoch
Fragen zu
ihren Entscheidungen,
um durch die
Beantwortung
deren Akzeptanz zu erreichen.
konsultativ
Vorgesetzte
informieren
ihre Untergebenen über
ihre
beabsichtigten
Entscheidungen; die
Untergebenen
haben die
Möglichkeit,
ihre Meinung
zu äussern,
bevor die
Vorgesetzten
endgültig
entscheiden.
Die Gruppe
entwickelt
Vorschläge;
aus der Zahl
der gemeinsam
gefundenen
und
akzeptierten
möglichen
Problemlösungen entscheiden sich
die
Vorgesetzten
für die von
ihnen favorisierte Lösung.
partizipativ
Die Gruppe
entscheidet,
nachdem die
Vorgesetzten
zuvor das Problem aufgezeigt haben und
die Grenzen
des Entscheidungsspielraumes
festgelegt
haben.
Die Gruppe
entscheidet;
die
Vorgesetzten
fungieren als
Koordinatoren
nach innen
und nach
außen.
Abbildung 13: Stufen der Partizipation (bzw. Selbstabstimmung) als Formen der
Entscheidungsbeteiligung (Quelle: Tannenbaum/Schmidt 1958)
4.2.3
Interne Preise (Verrechnungspreise)
Das Entscheidungsverfahren „interne Preise“ will dezentralisierte Entscheidungen im Sinne
eines „Intrapreneurship“ ermöglichen. Die „sichtbare Hand“ des Vorgesetzten soll möglichst
weitgehend durch die „unsichtbare Hand“ des internen Marktes ersetzt werden. Gelingt dies,
dann wird die Verfahrenskontrolle vollständig durch Ergebniskontrolle ersetzt und es
entstehen Profit Centers. Der Transfer von Leistungen zwischen den verschiedenen Gruppen
wird durch Verrechnungspreise geregelt. Besitzen die Profit Centers rechtliche
Selbständigkeit, handelt es sich um eine Holding.
Schon 1920 schuf Alfred Sloan bei der Firma DuPont eine erste Profit Center
Organisation: „Für den Leiter jedes Unternehmungsbereichs sollte die
Verantwortung in keiner Weise eingeschränkt sein, so dass er alle notwendigen
Funktionen umfasst und in die Lage versetzt wird, ungehindert Initiative zu
entfalten und sich konsequent zu entwickeln.“
Die Profit Center-Organisation ist eine mögliche Ausprägung unterschiedlicher CenterKonzepte, von denen das Cost Center eigentlich nicht ein Profit Center darstellt, der
Vollständigkeit halber hier aber erwähnt wird.
Cost Centers sind Unternehmensbereiche ohne direkten Marktzugang wie z.B. eine
Produktionsabteilung. Sie haben Verantwortung für die Effizienz der Leistungserstellung, d.h.
18
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
Organisationslehre
für die verursachten Kosten. Die zentrale Aufgabe besteht in der Minimierung des Inputs. Sie
werden mit einer Kostenabweichungsanalyse aufgrund einer Plankostenrechnung ermittelt.
Profit Centers sind organisatorische Teilbereiche, für die ein eigener Periodenerfolg ermittelt
werden kann. Sie stellen eine Art „Unternehmen im Unternehmen“ dar, in denen das Denken
nicht in Verrichtungen, sondern in Produkten oder Dienstleistungen und den dafür erzielbaren
Preisen erfolgt. Die Leistung der Profit Centers soll anhand des von ihnen erwirtschafteten
Gewinns beurteilt werden. Das setzt allerdings voraus, dass die Ertrags- und
Aufwandsgrössen eindeutig zurechenbar sind. Profit Centers sollten idealerweise einen
eigenen Marktzugang haben, allerdings ist dies häufig nicht möglich. Statt Marktpreise
müssen dann intern ausgehandelte Verrechnungspreise verwendet werden.
Investment Centers sind Unternehmensbereiche mit der weitgehendsten Autonomie; im
Unterschied
zum
Profit
Center
treffen
sie
auch
Investitionsund
Desinvestitionsentscheidungen, die auch das Eigen- und Fremdkapital betreffen. Sie haben
damit Renditeverantwortung und werden durch den am investierten Kapital relativierten
Gewinn des Teilbereichs gemessen.
Organisationsbereiche
Ziele
Cost Center
kostenorientiert,
Ausgabenkontrolle
durch
bei
i.d.R. kein direkter Zugang Plankostenrechnung
vorgegebenem
Output
zum Absatzmarkt
zwecks Kosteneffizienz
Profit Center
Ergebnisverantwortung
Gewinn als Differenz von
durch Eigenständigkeit im Aufwand und Ertrag bei
Wertschöpfungsund gegebenem Kapitaleinsatz
Absatzbereich
Ziel
ist
die
GewinnObjektoder maximierung
spartenstrukturierte
Bereiche
Investment Center
Renditeverantwortung, d.h. Gewinn bei bestimmbarem
Autonomie
über Kapitaleinsatz:
ROI,
Gesamtvermögen
Shareholder Value
Objektspartenstrukturierte
Bereiche
oder Ziel
ist
das
Unternehmertum
interne
Abbildung 14: Center-Konzepte
19
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
Organisationslehre
Aber auch Profit Centers und Investment Centers enthalten in den meisten Fällen je nach
Ausprägung der Verrechnungspreise mehr oder weniger starke Elemente der beiden anderen
Entscheidungsverfahren „Weisung“ oder „Selbstabstimmung“. Die Ausprägungen lassen sich
grob nach drei Typen zusammenfassen: marktorientierte Verrechnungspreise,
kostenorientierte Verrechnungspreise und Verrechnungspreise als Ergebnis von
Verhandlungen. Alle Formen finden rein oder gemischt in der Unternehmenspraxis
Verwendung. Eine Beurteilung der Profit-Organisation kann deshalb erst erfolgen, wenn das
hauptsächliche Verbindungselement, nämlich die Art der zugrunde gelegten
Verrechnungspreise, genauer betrachtet wird (Frost/Osterloh 2002).
4.2.3.1
Marktorientierte Verrechnungspreise
Grundidee ist, dass ein vergleichbarer Marktpreis als Ausgangsbasis für die
Verrechnungspreisgestaltung herangezogen wird.
Marktorientierte Verrechnungspreise sind nur sinnvoll, wenn folgende Bedingungen erfüllt
sind:

Ein vergleichbarer Marktpreis muss verfügbar sein, d.h., es existiert ein externer Markt
für die anzubietende Leistung oder das Zwischenprodukt. Abnehmende und liefernde
Bereiche des Unternehmens haben freien Zugang zu diesem Markt.

Es handelt sich bei den Lieferungen um standardisierbare oder substituierbare
Leistungen, die nicht zu Synergieeffekten zwischen den beteiligten Unternehmensbereichen führen und die nicht strategisch relevant sind. Strategisch relevante
Ressourcen wie etwa die Kernkompetenzen eines Unternehmens sind nicht
standardisier- und substituierbar. Für sie gibt es deshalb keine marktorientierten
Verrechnungspreise

Es besteht das Prinzip der Transferautonomie, d.h., der beziehende Bereich darf
selbständig entscheiden, ob intern oder extern beschafft werden soll.
Gerade das Prinzip der Transferautonomie wird in der Unternehmenspraxis jedoch vielfach
eingeschränkt. So kommt beispielsweise in vielen Unternehmen das sogenannte „Last-Call“Prinzip zur Anwendung. Bis zur endgültigen Vergabe des Auftrags an einen externen
Zulieferer haben die unternehmenseigenen, internen Zulieferer die Möglichkeit, den Auftrag
zu den Konditionen des günstigsten externen Anbieters zu übernehmen. Noch
einschränkender ist die Regelung, den abnehmenden Bereichen einen obligatorischen
interner Bezug bei vergleichbaren Angeboten vorzuschreiben. Aber auch wenn das nicht der
Fall ist, wird häufig auf Spartenleiter ein „sozialer Druck“ zum internen Bezug ausgeübt, nach
dem Motto „Du kannst mich doch hier jetzt nicht hängen lassen, ich habe die Grössen bereits
fest als Lieferung verbucht“.
20
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
4.2.3.2
Organisationslehre
Kostenorientierte Verrechnungspreise
Die Basis für kostenorientierte Verrechnungspreise stellen die wertmässigen
Kosten bei der Erstellung einer internen Leistung dar.
Die Kosten sind aus dem Rechnungswesen abzuleiten. Das ist zugleich der unbestreitbare
Vorteil dieser Art von Verrechnungspreisen, weil diesen Daten ein „Flair von Integrität und
Zuverlässigkeit“ zugrunde liegt. Der Nachteil besteht darin, dass sie nicht dezentral wie bei
den marktorientierten Verrechnungspreisen ermittelt werden können. Die zugerechneten
Kosten enthalten deshalb immer Elemente von Weisungen. Die folgende Tabelle gibt einen
kurzen
Überblick
über
die
wesentlichsten
Merkmale
zweier
verschiedener
Verrechnungspreistypen, nämlich auf der Basis von Vollkosten und die sogenannte „CostPlus“-Methode.
Vollkosten
Cost Plus
 bilden (im Durchschnitt) die gesamten
Ist-Kosten des leistenden Bereichs ab
 Problem I: Schlüsselung der Fix- und
Gemeinkosten
 Problem II: kein Rationalisierungsdruck
 Vollkosten
mit
prozentualem
(Marktpreisfiktion)
variablem,
i.d.R.
Gewinnaufschlag
 Liefernder Bereich erhält einen Gewinn
zugeschrieben
 Probleme I
Vollkosten
und
II
wie
bei
den
 Problem III: Anreiz für liefernde
Bereiche, Kosten hoch anzusetzen
 in der Praxis sehr beliebt
Abbildung 15: Kostenorientierte Verrechnungspreise
4.2.3.3
Verrechnungspreise als Ergebnis von Verhandlungen
Grundidee dieser Form der Verrechnungspreisgestaltung ist es, durch direkte
Verhandlungen der beteiligten Bereiche eines Unternehmens ein „Service-“ oder
„Product-Level-Agreement“ zu erzielen.
Es handelt sich dabei um eine Vereinbarung, welche Produkte und Leistungen zu welchem
Preis erbracht werden sollen. Dahinter steht der Gedanke, einen Ausgleich zwischen
Grenzkosten und Grenznutzen auf dem Wege der Selbstabstimmung zu erzielen, um den
Gewinn des Gesamtunternehmens zu maximieren.
21
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
Organisationslehre
Die Verhandlungslösung eignet sich auch für den Transfer nicht-standardisierbarer Güter und
Leistungen, für die es keinen (Markt-) Preis gibt. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn
es sich um strategisch relevante Ressourcenbündel handelt. Finden die Verhandlungen direkt
zwischen den beteiligten Bereichen statt, erhalten diese eine erhöhte Autonomie und
Ergebnisverantwortlichkeit. Hinzu kommt, dass der Aufwand für eine zentrale Festlegung und
Anordnung der Verrechnungspreise entfällt. Allerdings sollte kein Transferzwang vorliegen,
weil sonst eine interne Monopolsituation besteht. Es besteht die Gefahr, dass ein
Verhandlungspartner seine Verhandlungsmacht ausspielt.
4.2.3.4
Vor- und Nachteile der Profit Center-Organisation
Ein Vorteil ist, dass die Profit Center-Leiterinnen und –Leiter in ihren Teilbereichen wie
selbständige Unternehmer/innen agieren. Verrechnungspreise haben in diesem Fall eine
Indikatorfunktion für die Profitabilität ihrer Bereiche. Die erhöhte Autonomie der Profit CenterLeitung kann motivationsfördernd wirken.
Ein Nachteil sind die eingeschränkten Koordinationswirkungen, weil Synergien nur
unzureichend berücksichtigt werden können. Jeder Transfer zwischen diesen Bereichen
sollte durch Preise regelbar und mit der Leistung externer Anbieter vergleichbar sein. Es
können deshalb kaum Verbundwirkungen (Synergien) entstehen. Insbesondere der
Wissenstransfer und die Generierung eines gemeinsamen Wissens werden durch den
Wettbewerb zwischen den Profit Centers erschwert.
Um dennoch Synergievorteile realisieren zu können, besteht häufig Transferzwang für die
eigenen
Teilbereiche,
verbunden
mit
kostenoder
verhandlungsorientierten
Verrechnungspreisen. In diesen Fällen ist jedoch eine Koordinationsleistung durch die
zentrale Planung zu erbringen, womit die eigentlich beabsichtigten Koordinationswirkungen
der Verrechnungspreise abgeschwächt werden. Ausserdem beeinträchtigt der Transferzwang
die Motivation der Profit Center-Leiterinnen und -Leiter, weil deren Entscheidungsautonomie
wiederum eingeschränkt wird.
5
Grundformen der Organisationsstrukturen
Die Grundformen von Organisationsstrukturen sind das Resultat einer horizontalen
Differenzierung. Die horizontale Differenzierung kann erfolgen nach Verrichtungen
(Funktionen) oder Objekten (Produkte, Regionen, Projekte, Prozesse). Dabei führt eine
funktionsorientierte Gliederung zu der Funktionalorganisation, eine objektorientierte
Gliederung führt zur Divisionalorganisation. Divisionen können ihrerseits produkt-, regions-,
projekt- oder prozessorientiert ausgerichtet sein.
Für die Klassifikation in Funktional- und Divisionalorganisation ist jeweils die zweite
Hierarchieebene unterhalb der Unternehmensleitung massgebend. In der Regel stellen
Organisationsstrukturen in der Praxis eine Mischung aus verschiedenen Prinzipien dar.
22
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
5.1
Organisationslehre
Die funktionale Organisation
Die funktionale Organisationsstruktur stellt in der Entwicklung der Industriebetriebe die älteste
Organisationsform dar.
Die Gliederung eines Unternehmens nach dem Funktions- oder
Verrichtungsprinzip bedeutet die Bildung von Teilbereichen, die alle für eine
homogene Gruppe von Handlungen notwendigen Kompetenzen auf sich
vereinen.
Aus diesem Grund wird die Funktionalorganisation hauptsächlich bei Unternehmen mit einem
stabilen, homogenen Produktprogramm verwirklicht.
Die Funktionsleiterinnen oder -leiter führen ihre Ressortbereiche in der Regel kostenorientiert
nach Vorgabe von Budgets (Cost Center, vgl. Kapitel 6.3). Im Fall von Industriebetrieben
bestehen diese Kerntätigkeitsfelder typischerweise aus den Bereichen Forschung &
Entwicklung, Beschaffung, Produktion, Marketing und Verwaltung.
Geschaefts
-leitung
Einkauf
Produktion
Verkauf
Personal
Abb. : Funktionalorganisation
Abbildung 16: Funktionalorganisation
Der Vorteil der Funktionalorganisation besteht darin, dass eine relativ exakte
Dimensionierung der sachlichen und personellen Ressourcen gewährleistet ist.
Leerkapazitäten und Doppelspurigkeiten können vermieden werden. Des Weiteren können
Grössenvorteile („economies of scale“) wie beispielsweise Kostendegressionseffekte durch
grosse Losgrössen in der Fliessfertigung realisiert werden. Schliesslich führt die Orientierung
an der fachlichen Spezialisierung der Aufgabenträger zu Lerneffekten, d.h. einer Steigerung
von spezifischen Fertigkeiten.
Jedoch weist die Funktionalorganisation aufgrund der internen Leistungsverflechtung auch
erhebliche Nachteile auf: Je diversifizierter das Leistungsprogramm des Unternehmens ist (z.
B. nach Produkten oder Regionen), desto weniger kommen Spezialisierungsvorteile zum
Tragen. Dies deshalb, weil die Koordinations- und Abstimmungsanforderungen zwischen den
einzelnen organisatorischen Funktionalbereichen zunehmen. Des Weiteren lässt sich in
funktional organisierten Unternehmen oft ein ausgeprägtes „Funktionsdenken“ beobachten,
wodurch das Gesamtoptimum gefährdet werden kann. Die zentrale Koordination obliegt der
Unternehmensleitung, die damit aber schnell überfordert ist. In diesem Fall wird das
Gesamtziel allenfalls im „Blindflug“ angesteuert. Die Verantwortung für organisatorische
23
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
Organisationslehre
Ineffizienzen kann kaum mehr angemessen lokalisiert werden. Sie kann deshalb leicht
anderen Bereichen zugeschoben werden. Im schlimmsten Fall tritt der Zustand der
„organisierten Unverantwortlichkeit“ ein, in dem sich niemand gegenüber den Kunden
verantwortlich fühlt.
Bei einem diversifizierten Leistungsprogramm ist die Funktionalorganisation anderen
Organisationsformen in Bezug auf die Realisierung von Synergien unterlegen, welche alle die
für die Verwirklichung eines Auftrages notwendigen Entscheidungskompetenzen in einem
organisatorischen Bereich vereinen.
Board of Directors
Secretary of the Board
CEO
Aeropolitical Affairs
Environmental &
Public Affairs
Corporate Communications
Secretary General
Technical
Development
Flight
Operations
Strategy &
Network
Sales &
Marketing
Products &
Services
Human
Resources
Finance
Corporate
Services
Abbildung 17: Beispiel einer funktionalen Organisation: Organigramm der Swiss per 2002
5.2
Die produktorientierte Organisation
In der produktorientierten Organisation sind die organisatorischen Einheiten
nach produktbezogenen Teilbereichen (Objekten) gegliedert. Alle Verrichtungen,
die zu einer Produktgruppe oder Dienstleistungsart gehören, werden als
eigenständige Division, Sparte oder als eigenständiger Geschäftsbereich
geführt.
In seiner historischen Analyse konnte Chandler (1962) am Beispiel der amerikanischen
Unternehmen DuPont und General Motors zeigen, dass die produktorientierte Organisation
als Folge einer Strategie der Diversifikation in neue Produkte und Märkte entstand. Die
traditionelle Funktionalorganisation genügte den Koordinationsanforderungen eines
Unternehmens mit diversifiziertem Mehrproduktprogramm nicht mehr.
Die Produkt- bzw. Spartengliederung befindet sich auf der zweiten Ebene, d.h. unmittelbar
unterhalb der Unternehmensleitung. Dadurch entstehen kundenorientierte Kompetenzbündel
für die jeweilige Spartenleitung. Die darauffolgenden Ebenen innerhalb der Sparten sind
jedoch häufig wieder funktional gegliedert.
24
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
Organisationslehre
Lektorat
Belletristik
Sachbücher
Zeitungen
Zeitschriften
Abbildung
18: Produktorientierte Organisation
Abb. : Produktorientierte
Organisation
Der Vorteil der produktorientierten Organisationsstruktur besteht darin, dass bei einer
Verwirklichung des Konzepts in reiner Form alle für ein Objekt notwendigen Kompetenzen in
einer Entscheidungseinheit vereint sind, so dass „economies of scope“ oder Breiteneffekte
realisiert werden können. Die einzelnen Sparten sind für ihren Erfolg verantwortlich und
können als Profit Center ausgestaltet werden (vgl. Kapitel 6.3). Gegenüber der funktionalen
Organisation besteht eine wesentlich stärkere Kundenorientierung sowie die Fähigkeit,
schnell und flexibel auf Marktänderungen reagieren zu können.
Allerdings hat die produktorientierte Organisation auch Nachteile: Bei einer konsequenten
Spartengliederung wird auf die Ausnutzung von Grössenvorteilen („economies of scale“)
verzichtet. Sind bestimmte Funktionsbereiche - wie beispielsweise die Absatztätigkeiten - in
mehreren Sparten parallel vorhanden, kommt es zu ineffizienten Doppelspurigkeiten.
Chairman, President and Chief
Chairman, President and Chief
Executive Officer
Executive Officer
Finance/AdFinance/Administration
ministration
Controlling
Corporate
Developm.
Human
Resources
Treasury
Real Estate
Tax, Liccensing,
Customs
Information
Systems
Measurement
Measurement
Components
Medical
Chemical
Analysis
HP Prod.
Processes
Test &
Measurement
Inkjet
Inkjet
Products
Products
Inkjet
Technol.
Home
Solutions
Office
Solutions
CPG
Operations
WW
Consumer
Sales
Laserjet
Laserjet
Solutions
Solutions
Personal
Laserjets
Commerc.
Laserjets
Hardcopy
Solution
Services
Appliances
& Scanner
Commerc.
Channels
Personal
Personal
Systems
Systems
Information
Storage
Business
PC Organisation
Home
Products
Workstation
Systems
Commeric.
Channels
Enterprise
Enterprise
Computing
Computing
Solutions
Solutions
Enterprise
Systems &
Software
Enterprise
Marketing
Financing &
Complements
Customer
Service &
Support
Abbildung 19: Beispiel einer überwiegend produktorientierten Organisation: Organigramm Hewlett
Packard Company per 22.3.1999
25
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
5.3
Organisationslehre
Die Regionalorganisation
Die zunehmende Multinationalität vieler Unternehmen hat die Regionalorganisation zu einer
wichtigen Organisationsform werden lassen.
Die Regionalorganisation ist ein divisionales Strukturkonzept, bei der die
organisatorischen Teileinheiten nach geographisch oder regional abgrenzbaren
Merkmalen gebildet werden.
Jede Einheit trifft Entscheidungen über den Einsatz von Ressourcen für sämtliche Funktionen
eines bestimmten Regionalbereichs (Frese 2000). In der Unternehmenspraxis erweist sich
eine regionale Differenzierung häufig als historisch gewachsen und wird oft mit einer produktoder funktionalbezogenen Spezialisierung zu einer zweidimensionalen Organisationsstruktur
kombiniert (vgl. Kapitel 4.1)
Logistik
Schweiz
EU
Amerika
Asien
Abbildung 20: Regionalorganisation
Die Vorteile der Regionalorganisation ergeben sich durch das einheitliche, koordinierte
Auftreten auf einem regional abgegrenzten Markt. Dies ist vorteilhaft, wenn zum Einen
unterschiedliche räumliche Märkte eine differenzierte Produktpolitik erfordern und zum
Anderen standortgebundene Aktivitäten erforderlich sind. So erfordert beispielsweise die
Realisierung grosser Bauvorhaben den ständigen Kontakt mit Marktpartnern vor Ort. Ihre
hohe Autonomie wirkt sich positiv auf die Motivation der regionalen Einheiten aus. Wie alle
divisionalen Organisationsformen kann die regionale Organisation als Profit Center
ausgestaltet werden. Die Nachteile der Regionalorganisation bestehen ebenso wie in der
produktorientierten Organisation darin, dass eine Gliederung nach dem Regionalprinzip die
Realisierung von Spezialisierungsvorteilen verhindert.
26
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
Organisationslehre
Winterthur
Gruppe
CFO
Schweiz
Deutschland
CIO
Europa
Nordam.,
Asien,
Pazifik
Winterthur
Int.
Private
und
berufliche
Vorsorge
Abb. : Organigramm der Winterthur Versicherungen
Abbildung 21: Beispiel einer regionalorientierten Organisation: Organigramm der Winterthur Gruppe
per Mai 1999
5.4
Die Projektorganisation
Projekte sind „Unternehmen auf Zeit“. Daraus leiten sich die Hauptaufgaben der
Projektorganisation ab: die Bewältigung von Singularität (Einzigartigkeit),
Komplexität und relativer Neuartigkeit, zeitliche Befristung sowie ein
funktionsübergreifender Aufgabenumfang.
Der entscheidende Vorteil von Projektorganisationen besteht darin, dass sie ein hohes Mass
an Flexibilität bieten und damit besonders für die Bearbeitung von innovativen Aufgaben
geeignet sind. Daraus resultiert aber zugleich auch ein Nachteil: Projektaufgaben bringen
„ein instabiles Element in ein auf Dauer angelegtes organisatorisches System“ (Frese 2000,
S. 500). Je höher dabei der Anteil an mitwirkenden Unternehmensbereichen ist, desto
aufwendiger wird die Koordination.
Es gibt viele verschiedene Varianten der Projektorganisation, die sich jedoch alle in dem
Spannungsfeld
zwischen
der
Ausrichtung
der
Gesamtorganisation
auf
die
Projekterfordernisse einerseits und der Abwicklung von Projektaufgaben im Rahmen der
bestehenden Organisation andererseits bewegen. Die drei bekanntesten Varianten sind die
Projekt-Stabs-Organisation, die Matrix-Projekt-Organisation und die reine Projektorganisation.
Alle drei Varianten sind Beispiele für unterschiedliche Leitungsbeziehungen (vgl. Kapitel 4.1)
27
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
Organisationslehre
Unternehmensleitung
Unternehmensleitung
Projekt
ProjektAA
Projekt
ProjektBB
Beschaffung
Beschaffung Produktion
Produktion
Marketing
Marketing
Verwaltung
Verwaltung
Abbildung 22: Projekt-Stabs-Organisation
Die Projekt-Stabs-Organisation wird häufig auch als Einfluss-Projektorganisation oder
Projektkoordination bezeichnet. Die Projektaufgaben werden wie Stabsaufgaben von einem
Projektteam wahrgenommen. Dieses ist hauptsächlich mit der Informationssuche und bearbeitung sowie der Entscheidungsvorbereitung beschäftigt, da die Projektstäbe gegenüber
der Linie nicht weisungsbefugt sind. Wichtige Projektentscheidungen werden von den
übergeordneten Instanzen getroffen. Aufgrund seiner Fachkompetenz und seines hohen
Informationsstandes hat ein Projektstab aber häufig die Möglichkeit der informellen
Koordination, das heisst er hat faktisch einen stärkeren Einfluss auf die Projekte als es der
eigentlichen Stabskonzeption entspricht.
Bei der Matrix-Projekt-Organisation werden die Projekte als gleichberechtigte Dimensionen
dem funktions- oder objektbezogenen Entscheidungssystem hinzugefügt. Damit wird eine
Kompetenzaufteilung zwischen der Linie, die für die Erfüllung permanenter Aufgaben
zuständig ist, und dem projektbezogenen Leitungssystem vollzogen. Die Projektleiter sind für
die Definition und Ausgestaltung der erhaltenen Leistungsaufträge zuständig. Das bedeutet,
dass die Mitglieder eines Projektteams gleichzeitig von zwei Instanzen Anweisungen
erhalten. Der Vorteil besteht darin, dass diese Schnittstellen als Basis für eine fruchtbare
Zusammenarbeit zwischen Projektteam und Mitarbeitern der übrigen Instanzen wirken
können. Dadurch lassen sich Abstimmungsschwierigkeiten zwischen den Projekt- und
Linienaufgaben verhindern. Andererseits sind die Schnittstellen zwischen den horizontalen
Kompetenzlinien des Projektteams und den vertikalen der übrigen Instanzen immer wieder
Ursache für Konflikte, weil zwischen den auf die Ideenfindung spezialisierten Projektteams
und den auf die Implementierung dieser Ideen spezialisierten Linienfunktionen
organisatorisch getrennt wird.
28
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
Organisationslehre
Unternehmensleitung
Beschaffung
Produktion
Marketing
Projekt A
Projektbezogenes
Entscheidungssystem
Projekt B
Projekt C
Funktionsbezogenes
Entscheidungssystem
Abbildung 23: Matrix-Projekt-Organisation
Die reine Projektorganisation hat den nachhaltigsten Einfluss auf die bestehende
Organisation. Es werden zeitlich befristete Organisationseinheiten (Task Forces) für die
ausschliessliche Erfüllung der Projektaufgaben geschaffen. Diese sind ausschliesslich für die
Erfüllung von Projektaufgaben zuständig. Dabei greifen die Projektteams auf eigene
projektspezifische Ressourcen zurück. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eines Projektes
werden von ihren bisherigen Linienfunktionen freigestellt und diesen selbständigen
Projektbereichen zugeteilt. Die Projekt-Koordinatoren haben volle Weisungsbefugnis
gegenüber diesen Mitarbeitern. Häufig werden für die Bearbeitung der Projektaufgabe auch
noch Unternehmensexterne hinzugezogen. Die Mitarbeit in einem solchen Projektteam ist
häufig anspruchsvoll, weil ein hoher Grad an Eigenverantwortlichkeit notwendig ist.
Andererseits kann die Unsicherheit der beteiligten Projektteammitglieder über ihren Status
nach Abschluss des Projektes Motivationsprobleme mit sich bringen. So kann die mangelnde
Kontinuität der Arbeitsbedingungen zu der Befürchtung führen, Nachteile bei der
Eingliederung in die Linienorganisation in Kauf nehmen zu müssen.
Unternehmensleitung
Projekt B
Projekt A
Projekt-Managerin A
Projekt-Manager B
Abbildung 24: Reine Projektorganisation
29
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
5.5
Organisationslehre
Die Prozessorganisation
Die Prozessorganisation ist noch ein sehr junges Organisationskonzept, das im Zuge der
„Business-Reengineering-Welle“ grosse Popularität erlangt hat (Hammer/Champy 1994).
Grundidee ist, Prozesse als organisatorisches Strukturierungs- oder Segmentierungskriterium
heranzuziehen (Osterloh/Frost 2003). Organisatorische Prozesse bilden inhaltlich
abgeschlossene Erfüllungsvorgänge und umfassen (im Idealfall) alle für die Erbringung einer
Leistung notwendigen Aktivitäten (Gaitanides 1983). Insofern stellt die Prozessorganisation
eine besondere Form der Profit Center-Organisation dar. Sie setzt ebenfalls eine divisionale
Gliederung voraus. Die unternehmensinterne Wertschöpfungskette ist nicht mehr auf mehrere
organisatorische Einheiten oder Profit Centers aufgeteilt. Vielmehr wird sie so gestaltet, dass
eigenständige Zuständigkeitsbereiche ohne (oder mit möglichst wenig) Schnittstellen
entstehen. Organisationale Schnittstellen bedeuten nämlich immer eine Unterbrechung des
ganzheitlichen Aufgabenzusammenhangs. Jede Schnittstelle ist erstens eine Liegestelle, weil
zeitliche Abstimmungsprobleme bei der Übergabe entstehen, zweitens eine Irrtumsquelle,
weil Informationsverluste über den gesamten Aufgabenzusammenhang entstehen und
drittens eine Quelle der organisatorischen Unverantwortlichkeit, weil Fehler und
Unzulänglichkeiten nur noch schwer zurechenbar sind. Die Folge ist eine aufwendige
Abstimmung über Stellen, Abteilungen und Unternehmensbereiche hinweg.
Ziel der Prozessorganisation ist die Schaffung möglichst durchgängiger Prozesse vom
Kunden bis zum Lieferanten als „kundenorientierte Rundumbearbeitung“. Damit wird der
Kunde sozusagen ins Organigramm hineingeholt, weil eine unmittelbare Rückkoppelung
möglich ist. Die Prozessorganisation ist durch drei wichtige organisatorische Elemente
gekennzeichnet
(Osterloh/Frost
2003):
Kernprozesse,
Supportprozesse
und
Kompetenzzentren. Jeder Prozess soll einem Team zugewiesen werden, das sich partizipativ
organisiert.

Kernprozesse sind strategisch relevante Wertschöpfungsprozesse, die aus den
Kernkompetenzen des Unternehmens abgeleitet werden. Kernprozesse sollten immer
einen externen Marktkontakt haben, weil sie alle Aktivitäten umfassen, die zur
Erfüllung eines Kundenauftrags benötigt werden. Sind einzelne Kernprozesse zu
umfangreich für ein Team, so kann eine weitere horizontale Aufteilung nach
Komplexität der Teilprozesse oder nach Kundengruppen erfolgen.

Supportprozesse erfüllen unterstützende Aufgaben und haben eine Zulieferfunktion für
die Kernprozesse. Dies bedeutet, dass die Leistungsverflechtung zwischen Kern- und
Supportprozess so gering ist, dass der Supportprozess als eigenständige Leistung in
Form eines Profit Centers separierbar ist.

Kompetenzzentren sind nach dem Funktionsprinzip gegliederte Abteilungen. Sie bieten
spezifische
Fachkenntnisse
an,
die
aufgrund
der
Realisierung
von
Spezialisierungsvorteilen nicht in die Kernprozesse eingegliedert sind (z.B.
Finanzabteilung, Controlling, Recht). Wichtig ist, dass Kompetenzzentren ebenso wie
die Kernprozesse zum Wettbewerbsvorteil des Unternehmens beitragen. Im
Unterschied zu den Kernprozessen haben sie jedoch keinen direkten Kundenkontakt.
30
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
Organisationslehre
Abbildung 25: Prozessorganisation
Der Vorteil der Prozessorganisation liegt darin, dass sie die Koordinationsaufgaben
besonders gut erfüllt, weil sie die Schnittstellenproblematik besser löst als die meisten
herkömmlichen Organisationskonzepte. Verschiedene Tätigkeiten werden funktionsübergreifend verzahnt. Dies ermöglicht die Realisierung hoher Synergien. Dadurch wird der
Koordinationsaufwand auf ein Minimum reduziert, weil die Abhängigkeit von Leistungen
anderer Organisationseinheiten aufgrund unterschiedlicher Aufgaben, Zeit- und Zielprioritäten
abnimmt.
Nachteile könnten bezüglich der Realisierung von Spezialisierungsvorteilen entstehen, wenn
lediglich Prozesse betrachtet werden, weil die Spezialisten auf die einzelnen Prozesse verteilt
wären. Durch die Gestaltung von Kompetenzzentren können aber auch in der
Prozessorganisation Spezialisierungsvorteile realisiert werden. Allerdings treten dann wieder
Schnittstellen auf.
31
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
Organisationslehre
Das Catering - Unternehmen Gate Gourmet Genf
Unternehmen und Umfeld
Gate Gourmet ist das zweitgrösste Airline-Catering-Unternehmen der Welt. Das
Unternehmen bedient pro Jahr 300 Millionen Passagiere aller grossen Airlines. Gate
Gourmet umfasst 152 Betriebe in 33 Ländern auf sechs Kontinenten und beschäftigt rund
26'000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Am 4. Februar 2002 wurde Gate Gourmet von der
Swissair Gruppe an die Texas Pacific Group verkauft.
Früher waren die Catering-Aktivitäten meist eine Abteilung innerhalb der
Fluggesellschaften. Heute konzentrieren sich die Fluggesellschaften mehrheitlich auf ihr
Kerngeschäft: den Transport in der Luft. Die Bereiche, die nicht zu diesem Kerngeschäft
gehören, sind als eigenständige Tochterunternehmen im Wege des Outsourcing
verselbständigt worden. So hat auch Swissair 1992 die Cateringabteilung in der Schweiz
ausgegliedert. Das Ziel der wirtschaftlichen Unabhängigkeit von der Swissair wurde durch
die juristische Verselbständigung mit der Bildung einer eigenen Holding bekräftigt.
Die aktuelle Situation auf dem Airline-Catering-Markt ist gekennzeichnet durch:
- Zunehmenden Kostendruck aufgrund der Deregulierung im Fluggeschäft.
- Globalisierung und Konzentration auf wenige Unternehmen: Einzelne regional
operierende Catering-Betriebe sind gegenüber ‘global players’ im Alleingang nicht mehr
konkurrenzfähig, weil viele international operierende Airlines rund um den Erdball
dasselbe Catering-Unternehmen engagieren wollen (‘single sourcing’).
- Ebenso wie in den USA wird auch in Europa im Kurzstreckenbereich das Angebot an
Mahlzeiten immer mehr reduziert.
- Zunehmende Bedeutung der ökologischen Aspekte, d.h. steigende Entsorgungs- und
Recyclingkosten bei einigen Destinationen.
- Verschärfung der Konkurrenz durch Return-Catering: Den Airlines gelingt es zunehmend,
ihre Flugrouten so zu koordinieren, dass die Flugzeuge fast nonstop in der Luft sind.
Verlässt beispielsweise ein Flugzeug von British Airways morgens um halb acht London
Richtung Genf, um etwa gegen 11.00 Uhr wieder zurück nach London zu fliegen, so kann
bereits in London für beide Flüge vorgesorgt werden. Mit dem Return-Catering erhöht sich
die Anzahl der Konkurrenten schlagartig, weil jedes europäische Catering-Unternehmen
zum unmittelbaren Konkurrenten werden kann.
Im Folgenden konzentrieren wir uns auf den Catering-Betrieb Gate Gourmet Genf, der für
das Reengineering-Pilotprojekt von der Geschäftsleitung ausgewählt wurde. Im Betrieb
Genf werden täglich 6‘350 Mahlzeiten mit rund 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
produziert. Damit ist Gate Gourmet Genf eine mittelgrosse ‘Flight Kitchen’. Täglich werden
rund 111 Flüge ‘abgewickelt’, d.h. mit Mahlzeiten und sonstiger Ausrüstung versorgt. Eine
32
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
Organisationslehre
Besonderheit des Genfer Flughafen sind zahlreiche VIP-Flüge von Fluggästen der
internationalen Organisationen wie der UNO sowie Privatflüge.
Ausgangslage: Das Catering Geschäft von Gate Gourmet
Das Produkt
Was genau ist die Aufgabe eines Catering-Unternehmens? Kunden sind die
Fluggesellschaften und nicht die Flugpassagiere. Bei den meisten Fluggesellschaften gibt
es innerhalb der Marketingabteilung einen Bereich, der für die ‘Verpflegung der
Passagiere an Bord’ zuständig ist. Der Servicebereich an Bord einer Maschine gilt im
Fluggeschäft als eine der wenigen Möglichkeiten zur Angebotsdifferenzierung und
Imagepflege. Deshalb wird die Gestaltung der Verpflegung und des sonstigen
Serviceangebotes als wichtiges Marketinginstrument von den Fluggesellschaften selbst
geplant. Die Catering-Betriebe arbeiten streng nach deren Vorgabe: Die MahlzeitenSpezifikationen halten beispielsweise fest, auf welcher Seite des Tabletts der Orangensaft
zu platzieren ist und dass 40 Gramm Pouletsalat pro Teller mit dem Viertel einer 30
Gramm Tomate zu garnieren ist. Das Ganze ist schliesslich noch auf dem Geschirr der
Fluggesellschaft anzurichten, wobei Economy-, Business- und First Class
unterschiedliches Geschirr und Besteck haben.
Darüber hinaus ist der Catering-Betrieb zuständig für die Zusammenstellung aller
Gegenstände, die an Bord benötigt werden: für Handtücher, Zeitungen, Einreiseformulare,
bis hin zu Zahnstochern und zollfreien Artikeln. Für einen Langstreckenflug summiert sich
das auf über 20’000 Artikel, die in kleinen Metallwagen (Trolleys) verstaut werden. Ein
Catering-Betrieb muss deshalb eine umfangreiche Lagerhaltung und Logistik steuern, um
den Differenzierungswünschen der einzelnen Fluggesellschaften gerecht zu werden.
Aufgabe des Catering-Unternehmens ist es, eine den Passagieren entsprechende Anzahl
Mahlzeiten und Zubehör rechtzeitig vor Abflug an Bord zu liefern. Einige
Fluggesellschaften bezahlen nur so viele Mahlzeiten, wie sich tatsächlich Passagiere an
Bord befinden. Reservemahlzeiten gehen dann zu Lasten des Catering-Betriebes. Da sich
die Anzahl der Passagiere häufig bis kurz vor dem Abflug ändert, steht der CateringBetrieb vor dem Problem, entweder eine Reserveproduktion für alle Fälle bereitzuhalten,
die dann im Zweifelsfall nicht bezahlt wird oder aber wenige ‘last minute-Mahlzeiten’ teuer
nachzuproduzieren.
33
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
Organisationslehre
Die Organisationsstruktur
Abbildung 18 zeigt das alte Organigramm des Genfer Betriebes von Gate Gourmet:
General
Management
Human Ressourcen
Organisation /
Koordination
Qualität / Hygiene
Einkauf/Logistik
Bestellungen
Lagerwesen
Rechnungswesen
Informatik
Controlling
Food Production
Kalte Küche
Warme Küche
Bäckerei
Patisserie
Tray Setting
Portioning
Operations
Transport
Kabinenausrüstung
Geschirr
Abwäscherei
Getränke
sales on board
Abbildung 26: Das alte Organigramm von Gate Gourmet Genf
Es gibt vier funktionale Bereiche: Einkauf und Lagerhaltung, Rechnungswesen und
Informatik, Produktion von Mahlzeiten (Food Production) sowie ‘Operations’ (Be- und
Entladung der Flugzeugkabinen). Als Zentralbereiche sind ausgegliedert: Personalwesen,
Hygiene- und Qualitätsprüfung sowie Organisation.
Die Produktion der Mahlzeiten hat im Betrieb einen wichtigen Stellenwert. Kein Wunder, ist
doch hier alles untergebracht, was zu einer professionellen Küche gehört: ein Rüstbereich
(Salatwaschen usw.), kalte Küche, warme Küche, Fischküche, Bäckerei, Patisserie und
schliesslich Anrichte (Portioning) sowie Bestückung der Tabletts (Tray-setting). Im
Portioning-Bereich werden die verschiedenen vorbereiteten Gerichte auf den Tellern
platziert. Der Tray-Setting-Bereich ist dafür zuständig, die Tabletts anzurichten.
Der Bereich ‘Operations’ ist für alle Getränke und die Standardausrüstung zuständig.
Diese werden ebenfalls in Trolleys oder Boxen verstaut. Aufgabe dieses Bereichs ist
ausserdem die gesamte Entsorgung des Flugzeugs: Ausräumen der gebrauchten Trolleys,
Müllentsorgung, Abwaschen der Trolleys, des Geschirrs und des Bestecks in riesigen
Waschstrassen, wobei Trolleys, Besteck, Gläser sowie Geschirr in je eigenen
Waschanlagen gereinigt werden. Am Ende eines jeden Waschganges wird das Besteck
automatisch sortiert, das Geschirr nach Gläsern, Tellern, Tassen, Schälchen geordnet,
verpackt und ins Lager zurückbefördert. Später holen sich Mitarbeiter der Abteilung ‘Food
Production’ das Geschirr zurück, wenn die Tabletts erneut vor einem Abflug bestückt
werden müssen. Hier beginnt der Aufgabenkreislauf wieder von vorne. Die MahlzeitenTrolleys werden vor dem Abflug in Kühlräumen mehrere Stunden auf 6 C gekühlt, bevor
sie zusammen mit den Trolleys für Getränke- und Standardausrüstung wieder an Bord
transportiert werden.
34
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
Organisationslehre
Diskussionsfragen:
Angesichts des immer härteren Wettbewerbs gerät Gate Gourmet in Handlungszwang. Sie
werden als Berater beigezogen!
Skizzieren Sie kurz die Wettbewerbssituation! Wie soll die strategische Neuausrichtung
von Gate Gourmet aussehen?
Eine strategische Neuausrichtung erfordert auch Anpassungen in der Struktur. Beurteilen
Sie die bisherige Struktur von Gate Gourmet!
Schlagen Sie der Geschäftsleitung eine neue Struktur vor, die der Neuausrichtung
entspricht! Sie sollen jedoch die Geschäftsleitung auch über Nachteile der neuen Struktur
aufklären!
5.6
Holding
Die Holdingorganisation ist eine spezifische Form der Profit-Center-Organisation, bei der
diese rechtlich verselbständigt sind. Im Schwerpunkt geht es um die Rolle der Gesamtleitung
in der Unternehmensstruktur. Das Unternehmen wird in zwei oder mehr unternehmerische
Ebenen aufgeteilt: Die Mutter- oder Obergesellschaft bildet die erste Ebene (Konzernspitze),
die jedoch keine operativen Tätigkeiten ausführt, sondern sich auf die einheitliche Leitung des
Konzerns konzentriert. Ihre wichtigste Aufgabe besteht in der konzernweiten Finanzierungspolitik, das heißt Kapital-, Liquiditäts- und Erfolgsplanung. Die zweite Ebene
beinhaltet
die
wirtschaftlich-rechtlich
selbständigen
Geschäftsbereiche
als
Tochtergesellschaften. Die Transparenz wird gegenüber der Profit-Center-Organisation
erhöht, weil die rechtliche Verselbständigung zu einer eindeutigeren Erfolgszurechnung führt.
Holding (Konzernmutter)
AG
Tochtergesellschaft
AG
Tochtergesellschaft
AG
Tochtergesellschaft
AG
Abbildung 27: Grundstruktur eines Holdingkonzerns
35
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
Organisationslehre
Holdingorganisationen werden gebildet, um die Vorteile großer Unternehmenseinheiten wie
finanzielle Stärke, Marktmacht und “economies of scale” mit denen kleiner (mittelständischer)
Einheiten wie Flexibilität, Kooperationsfähigkeit und Marktnähe zu kombinieren So sind die
dezentralen Tochtergesellschaften beweglicher, weil sie eigenständige Entscheidungen
treffen, die im Unterschied zu den Profit Centers auch den strategischen Bereich umfassen
können, zum Beispiel Joint Ventures, Kooperationen, Kauf und Verkauf von Unternehmensbereichen. Da die einzelnen Holdinggesellschaften anhand des von ihnen erwirtschafteten Gewinns beurteilt werden, können Quersubventionierungen schlecht
rentierender durch die ertragreichen Gesellschaften offengelegt werden. Einzelne Gesellschaften können leichter ge- oder verkauft werden. In einigen Ländern machen zudem
steuerliche Privilegien die Holdingorganisation attraktiv. Trotz der rechtlichen Selbständigkeit,
werden in der Holdingorganisation - ähnlich wie bei der Profit-Center-Organisation - einzelne
Funktionen zentralisiert und in die Obergesellschaft eingegliedert, um Größeneffekte und
Spezialisierungsvorteile ausnutzen zu können. Beispiele sind das Controlling sowie die
Steuer- und Rechtsabteilung.
Je nach Autonomiegrad der Tochtergesellschaften können verschiedene Holdingformen
unterschieden werden, die in Abbildung 20 im Verhältnis zur Profit-Center- und
Geschäftsbereichsorganisation dargestellt sind. Mit zunehmendem Autonomiegrad sinken die
Synergien
zwischen
den
verschiedenen
Divisionen
oder
Bereichen
des
Gesamtunternehmens (vgl. Abb. 28).
Abbildung 28: Autonomie versus Synergien

Eine Management-Holding entsteht durch die vermehrte Übernahme von Managementfunktionen durch die Obergesellschaft. So werden viele Aktivitäten beispielsweise im Marketing oder in der Forschung & Entwicklung zentral koordiniert. Die
Beteiligungsgesellschaften sollen zu einer wirtschaftlichen Einheit zusammengeführt
werden, um Synergievorteile realisieren zu können.
36
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
Organisationslehre

In der Strategie-Holding nimmt die Obergesellschaft die strategische Ausrichtung der
gesamten Unternehmensgruppe sowie das strategische Controlling vor.

In der Finanz-Holding übernimmt die Obergesellschaft die Planung, Steuerung und
Kontrolle der Finanzströme des Beteiligungsportfolios. Bezweckt wird eine
angemessene Gestaltung der Eigentumsverhältnisse und eine Optimierung der
Steuerbelastung.

In der Beteiligungs-Holding beschränkt sich die Obergesellschaft darauf, Beteiligungen
zu halten und zu verwalten. In das Management der einzelnen Beteiligungsgesellschaften wird nicht eingegriffen.
Die Koordination zwischen den Tochtergesellschaften sowie zwischen Tochter- und Muttergesellschaft wird hauptsächlich durch Märkte und Preise wahrgenommen. Je autonomer die
Tochtergesellschaften sind, desto mehr ist dies der Fall. Sollen Synergieeffekte erzielt
werden, muß die marktliche Beziehung abgeschwächt und durch administrative Maßnahmen
ersetzt werden, zum Beispiel durch Richtlinien oder personelle Verflechtungen.
6
Gruppen in Organisationen
Gruppen sind heute wichtiger Bestandteil von Organisationen. Spezielles Merkmal der
Abstimmung in Gruppen ist, dass bei der Erfüllung der Koordinationsaufgabe die
Selbstabstimmung (Partizipation) eine prominente Stellung einnimmt. Zwischen Gruppen ist
hingegen Koordination durch Weisung die am häufigsten verwendete Koordinationsform.
6.1
Abstimmung in Gruppen
Eine Gruppe oder ein Team ist mehr als eine Ansammlung von Personen zur
gleichen Zeit am gleichen Ort. Vielmehr ist das Team eine kleine Anzahl von
Personen mit
 unterschiedlichen Fähigkeiten,
 häufigen „face to face“ Kontakten,
 einem gemeinsamen Ziel,
 einem Zusammengehörigkeitsgefühl (Teamgeist, esprit de corps, Wir-Gefühl),
 eigenen Gruppennormen,
 wechselseitiger (statt hierarchischer) Kontrolle und
 partizipativer Kooperation (Selbstabstimmung),
die über einen längeren Zeitraum hinweg zusammenarbeiten. Sie haben einen
Gruppensprecher oder eine Gruppensprecherin, die nach aussen hin die Gruppe
vertritt. Im Innenverhältnis haben diese jedoch keine Vorgesetzten-, sondern
eine Moderatorenfunktion.
37
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
Organisationslehre
Gruppen oder Teams sind nicht umsonst zum Schlüsselbegriff aller modernen
Organisationskonzepte geworden, haben sie doch eine Reihe von entscheidenden Vorteilen
gegenüber der klassischen hierarchischen Struktur. Erstens erhöhen die unterschiedlichen
Fähigkeiten der Teammitglieder die Qualität der Entscheidungen. Zweitens bewirkt ein
Zusammengehörigkeitsgefühl eine höhere Arbeitszufriedenheit, geringere Fehlzeiten und
niedrigere Fluktuation. Drittens ersparen die gemeinsamen Gruppennormen Einigungskosten.
Viertens verringert die partizipative Entscheidungsfindung die Widerstände bei der
Umsetzung, weil die verschiedenen Interessen schon in die Entscheidungsfindung Eingang
gefunden haben: Betroffene sind zu Beteiligten geworden. Fünftens wird die
Entscheidungsunsicherheit bei komplexen Aufgaben durch die „face-to-face“-Kommunikation
reduziert. Wissen (insbesondere implizites Wissen) kann leichter übertragen werden.
Sechstens erschwert die in Teams leichter mögliche wechselseitige Kontrolle das
Trittbrettfahren im Sinne des: „Toll, ein anderer machts“.
Allerdings weist Teamarbeit auch Nachteile auf:

Erstens besteht bei Teams auch bei wechselseitiger Kontrolle die Gefahr des
Trittbrettfahrens. Dies ist immer dann der Fall, wenn die Teamergebnisse (Outputs)
nicht auf die Inputs der einzelnen Teammitglieder zugerechnet werden können.
Beispiele sind Synergieeffekte durch funktionale Arbeitsteilung (vgl. das
Stecknadelbeispiel in Kapitel 1.1.1), aber auch Beiträge zum guten Gruppenklima, zur
Reputation oder zu einer gemeinsamen Projektidee.

Zweitens tendieren Teams zum Gruppendenken. Damit ist die Neigung gemeint,
vorschnell Einmütigkeit herzustellen, indem das autonome und kritische Denken dem
Harmoniebedürfnis geopfert wird. Gruppendenken kann man aber wirkungsvoll
entgegentreten, indem man gezielt für eine Meinungsvielfalt im Team sorgt. Gut
geeignet sind: hohe Diversität der Gruppenmitglieder, beispielsweise nach Geschlecht
oder fachlichem Hintergrund, Bildung von Parallelgruppen, Mitgliedschaft in
verschiedenen Gruppen sowie Ernennung eines advocatus diaboli. Alle diese
Massnahmen sind zugleich Voraussetzungen für wirkungsvolles organisationales
Lernen.

Drittens beanspruchen partizipative Konsensbildungsprozesse viel mehr Zeit als das
Erteilen von Weisungen. Dieser Nachteil wird aber in den meisten Fällen durch die
höhere Entscheidungsqualität und die niedrigeren Widerstände bei der Umsetzung
mehr als ausgeglichen.

Viertens macht die enge wechselseitige Abhängigkeit innerhalb eines Teams
empfindlich gegenüber Gruppenmitgliedern, die nicht den Gruppennormen
entsprechen. Dies kann zur Folge haben, dass diese Gruppenmitglieder systematisch
belästigt und von wichtigen Gruppenentscheidungen ausgeschlossen werden. Es
kommt zum „Mobbing“.
Die Integration durch Selbstabstimmung innerhalb von Teams oder Gruppen ist um so
wirkungsvoller, je mehr folgende Kriterien erfüllt sind:
38
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
Organisationslehre

Purposing: Erfolgreiche Teams verwenden viel Zeit damit, sich über die Ziele klar zu
werden und zu einigen. Darüber hinaus formulieren sie konkrete Zielvorgaben wie
beispielsweise „Senkung der Durchlaufzeit um 40%“.

Timing: Besonders hohe Leistungen werden bei einer Zusammenarbeit von einem bis
fünf Jahren erzielt. Die Gruppe muss nämlich zuerst die Phasen des „Forming,
Storming, Norming“ bewältigen, bevor sie für das eigentliche „Performing“ fit ist. Dies
bedeutet, dass jede Gruppe die Phasen der Gruppenbildung, des „Zusammenraufens“
und der Formulierung von Gruppennormen durchlaufen muss, bevor eine hohe
Leistung erzielt werden kann.

Right mix: Das Team sollte aus weniger als zehn Mitgliedern bestehen. Diese sollten
nicht nur einen heterogenen fachlichen Hintergrund haben, sondern eine gute
Mischung aus funktionalem Expertenwissen, Problemlösungswissen und sozialer
Kompetenz bilden.
6.2
Abstimmung zwischen Gruppen
Für die Abstimmung zwischen Gruppen stehen die drei Entscheidungsverfahren zur
Verfügung (Osterloh 1997), welche in Kapitel sechs behandelt wurden: Selbstabstimmung,
Weisungen oder interne Preise. In der Unternehmenspraxis existieren daneben zahlreiche
Übergangsformen.
6.2.1
Selbstabstimmung
Die Koordination durch Selbstabstimmung zwischen Gruppen ist im Konzept der
überlappenden Gruppen von Likert (1967) ausformuliert worden. Die verschiedenen Gruppen
sind horizontal und vertikal miteinander durch ein gemeinsames Gruppenmitglied („linking
pin“) verknüpft.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
Abbildung 29: Linking-Pin-Modell (Quelle: Likert 1967)
39
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
6.2.2
Organisationslehre
Weisungen
Die Koordination durch Weisungen ist die am häufigsten verwendete Koordinationsform.
Sie entspricht dem traditionellen bürokratischen Modell. Eine moderne Ausprägung ist der
Toyotismus. Beim Toyotismus herrscht zwischen den Gruppen das Weisungsprinzip,
innerhalb der Gruppen treten Elemente der partizipativen Selbstabstimmung auf. Weisungen
liegen auch vor, wenn die Koordination der Gruppen über kostenorientierte
Verrechnungspreise erfolgt.
6.2.3
Verrechnungspreise: Profit Centers
Bei der Koordination durch interne Verrechnungspreise ist jede Gruppe als ein
eigenständiges Profit oder Investment Center ausgestaltet (vgl. Kapitel 4.2.3). Dadurch wird
die Flexibilität der Entscheidungsfindung erhöht. Allerdings ist dieses Entscheidungsverfahren
nur sinnvoll bei:

klar zurechenbaren Leistungen und Gegenleistungen,

Transferautonomie, d.h. keinem internen Bezugszwang.
Es ist problematisch, sobald Synergieeffekte auftreten, deren Nutzen und Kosten nicht mehr
eindeutig den einzelnen organisatorischen Bereichen zurechenbar sind (vgl. Kapitel 1.1.1). In
diesen Fällen

werden Profit Centers durch Cost Centers ersetzt oder

marktorientierte interne Verrechnungspreise
Verrechnungspreise ersetzt.
werden
durch
kostenorientierte
In beiden Fällen wird der Preismechanismus um die Entscheidungsverfahren „Weisungen“
oder „Selbstabstimmung“ ergänzt (vgl. Kapitel 4.2).
Welche Form des Entscheidungsverfahrens zwischen Gruppen (vgl. Kapitel 6.2) wie auch
zwischen Abteilungen (vgl. Kapitel 4.2) zweckmässig ist, kann abschliessend nur beurteilt
werden, wenn die Interdependenzen zwischen Koordination, Motivation und Orientierung
(Wissensmanagement) berücksichtigt werden (vgl. Abb. 2 in Kapitel 1.1.3). Diese
Interdependenzen sind vor allem Gegenstand der Vorlesungen „Organisation“ im
Hauptstudium.
40
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
7
Organisationslehre
Literaturverzeichnis
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Taylor, Frederick W. (1911): The Principles of Scientific Management, New York.
8
Übungen zur Organisationslehre
Aufgabe 1
Organisationsbegriffe (Genaueres folgt im Proseminar)
Aufgabe 2
Der Schreinermeister Müller hat 15 Mitarbeiter. Sie sollen ihn bei der Organisation seines
Betriebes beraten. Machen Sie ihm drei mögliche Vorschläge für eine Aufbauorganisation,
indem Sie zuerst eine Differenzierungsanalyse mit anschliessender Integrationssynthese
anfertigen.
Aufgabe 3
Die zwei Unternehmen
Organisationsformen.
Sulzer
und
Geberit
verfügen
über
unterschiedliche
a)
Beschreiben Sie die zwei Organisationsformen. Wie unterscheiden sie sich?
b)
Welche Gründe waren für die Wahl der betreffenden Organisationsstrukturen
ausschlaggebend? Denken Sie an Vor- und Nachteile der einzelnen
Organisationsformen.
42
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
Organisationslehre
Verwaltungsrat
Konzernleitung
Konzernkommunikation,
Marktentwicklung
Personal
Controlling, Finanzen
Qualitätsmanagement,
Gruppen Produktmanagement,
Beschaffung
Umweltmanagement
OEM, Marken-Entwicklung
Logistik
und
Abbildung 30: Organigramm Geberit
Abbildung 31: Organigramm Sulzer
Aufgabe 4
Die BMW Steyr ist der grösste Motorenhersteller und -entwickler der BMW- Gruppe. Das
2500 Mitarbeiter zählende Werk vertreibt Diesel- und Benzinmotoren weltweit und hat gerade
eine weitreichende Reorganisation erfolgreich beendet.
a)
Vor der Reorganisation war die BMW Steyr funktional organisiert. Zeichnen Sie ein
mögliches Organigramm und erläutern Sie Vor- und Nachteile dieser Struktur für
einen Motorenhersteller.
b)
Nach der Reorganisation ist die Steyr nach Prozessen organisiert. Zeichnen Sie
auch für diesen Fall ein mögliches Organigramm. Welche Vorteile kann die BMW
Steyr von dieser Reorganisation erwarten?
43
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
Organisationslehre
Aufgabe 5
Die Firma ABB hat seit der Fusion der Firmen BBC und Asea im Jahre 1988 90% der
Stabstellen abgebaut.
a) Welche Gründe könnten zu dieser dramatischen Reduktion der Stabstellen in der
Organisation der Firma ABB geführt haben?
b) Nach der Fusion änderte die Firma ABB ihre Organisationsstruktur in eine MatrixOrganisation (mit einer Länder- und einer Produktdimension). Heute besitzt die Firma
ABB allerdings wieder eine eindimensionale Organisation (divisionale Strukturierung).
Nennen Sie mögliche Gründe für die Einführung und die Abschaffung der MatrixOrganisation.
Abbildung 32: Organigramm Sulzer
Aufgabe 6
Ein Besuch bei McDonald:
Bob und Anna, zwei deutsche Touristen, besuchen im südlichen Spanien zur Mittagszeit
einen McDonald und bestellen zwei Big Mac, zwei kleine Pommes-Frites und zwei
mittelgrosse Colas. Die Verkäuferin tippt die Bestellung in die Kasse ein und kassiert den
Betrag. Den Bestellzettel reicht sie weiter. Ein Mitarbeiter nimmt gerade die Pommes-Frites
aus dem Öl, ein anderer lädt die Hackplätzchen auf die Platte und lässt sie eine vorgegebene
Zeit lang grillen. An einer anderen Station werden die Brote getoastet. Die gegrillten Burger
sowie die getoasteten Brote gelangen zum nächsten Angestellten, der diese mit einer
Scheibe Gurke, zwei Salatblätter und einer vorgegebene Menge Sauce belegt. Ein weiterer
Angestellter füllt die Becher mit Cola und fügt eine standardisierte Menge Eiswürfel bei. Der
Tütenrand der Pommes-Frites wird zweimal gefaltet. Jeder Mac erhält eine dafür
vorgesehene Tüte. Nach drei Minuten steht das bestellte Menu an der Kasse und wird von
Bob und Anna entgegengenommen. "Hmm, das schmeckt genau wie zu Hause", bemerkt
Bob.
44
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
Organisationslehre
a)
Inwiefern gleicht das System bei McDonald einer Maschine?
b)
Beschreiben Sie anhand des Beispiels den Zusammenhang von Integration und
Differenzierung.
c)
Diskutieren Sie die Gründe, warum McDonald so erfolgreich ist.
Aufgabe 7
Föderalismus ist ein Ordnungsgrundsatz für Gesellschaft und Staat, der grösstmögliche
Vielfalt in einer verbindenden Einheit ermöglicht. Dabei müssen Bund und Glieder
gleichberechtigt sein und sich verpflichten, sowohl die Selbständigkeit der Glieder als auch
die Treue zum Bund zu wahren. Ausserdem darf der Bund nur die Aufgaben übernehmen, die
von den Gliedern nicht erfüllt werden können (Subsidiaritätsprinzip). Der Bundesstaat ist die
staatsrechtliche Verwirklichung des Föderalismus.
a)
In der Schweiz ist der Föderalismus der wichtigste Ordnungsgrundsatz. Diskutieren
Sie die Vor- und Nachteile des Föderalismus.
b)
Föderalismus beruht in erster Linie auf dem Integrationsmechanismus „Delegation“.
Allerdings wird betont, dass die Teileinheiten „auch die Treue zum Bund“ wahren
sollen. Im Unternehmen bedeutet dies, dass die Abteilungen sich den
Unternehmenszielen verpflichtet fühlen sollen. Wie würden Sie diese Verpflichtung
„organisieren“?
Aufgabe 8
Die Firma DEC experimentierte in den 80er Jahren mit neuen Formen der Arbeitsorganisation
in der Produktion. In einer Fabrik in Enfield sollte die Produktion von Schaltkreisen neu durch
sog. teilautonome Teams ausgeführt werden.
In einem ersten Schritt wurden die Räumlichkeiten den neuen Anforderungen angepasst. Ein
Journalist beschreibt die Halle folgendermassen: „Auf den ersten Blick wirkte alles etwas
chaotisch. Ich sah zufällig gruppierte Werkbanken, Topfpflanzen und ein Basketballnetz. Wie
kann man in einer solchen Unordnung arbeiten, fragte ich mich.“ Doch das Chaos hatte
System. Man arbeitete mit flexiblen Elementen wie verschiedenen Konferenzeinheiten
bestehend aus Stellwänden, Tischen, Stühlen, Flipchart u.ä., die je nach Bedarf in der Nähe
von Säulen aufgestellt werden konnten, welche mit Steckern und Telefonleitungen versehen
waren. Die Teams sollten selber bestimmen können, wie sie wo arbeiten.
In einem nächsten Schritt bildete man 18-köpfige Teams, die fortan in Eigenregie
Schaltkreise zusammenbauen sollten. Diese Teams:

teilten die 20 notwendigen Tätigkeiten selber auf,

lehrten sich gegenseitig, was sie wissen (es werden sogar Diplome vergeben),

kontrollierten das Arbeitsergebnis selbst,
45
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre

Organisationslehre
und waren als Gruppe verantwortlich.
In der ganzen Fabrik gab es nebst den 180 Arbeitern nur noch 3 Vorgesetzte! Der Erfolg der
Reorganisation war eindrücklich:

die Durchlaufzeiten konnten um 40% verringert werden,

die Abfallproduktion halbierte sich,

es wurden doppelt so viele perfekt funktionierende Schaltkreise hergestellt wie vor der
Reorganisation.
Trotz der Erfolge wurde das Arbeitsgruppenmodell nicht in weiteren Fabriken übernommen.
Ausserdem wurde in Enfield nach einem Wechsel im Topmanagement der DEC wieder die
Arbeitsorganisation nach traditionellem Muster eingeführt.
a)
Wie erklären Sie sich den eindrücklichen Erfolg der Reorganisation?
b)
Warum konnte sich diese Art der Teamproduktion innerhalb der DEC nicht
durchsetzen?
Aufgabe 9
Im klassischen Toyotismus ist die Fliessbandarbeit keineswegs abgeschafft. Nach wie vor
gibt es extrem kurze Taktzeiten und repetitive Arbeit. Zwar löst die Arbeitsgruppe die
Probleme kooperativ im Sinne des Kaizen-Prinzips, dann aber müssen sich die
Gruppenmitglieder strengstens an die erarbeitete Lösung halten. Das klare Ziel ist dabei die
Beseitigung von „Muda“, das heisst von Vergeudung, an welchen Stellen und in welcher Form
auch immer. Dies findet seinen Ausdruck im „Null-Fehler-Null-Puffer“-Prinzip, das zudem
noch mit einem starken Gruppendruck verbunden ist: Wenn erkennbar wird, dass Teile nicht
einwandfrei gefertigt werden können, sind die Arbeiter selbst aufgefordert, das Band zu
stoppen. Alle schauen auf den verantwortlichen Bereich und vor allem auf den
verantwortlichen Vorgesetzten. Dieses von Taiichi Ohno bei Toyota massgeblich geprägte
Verfahren wird deshalb zutreffend als „motivation by embarassement“ oder noch drastischer
als „Oh! No!-System“ gekennzeichnet.
Die Produktion ist in 5er Teams organisiert, die verantwortlich sind:

für die Qualitätsprüfung,

für job-rotation-Pläne und

für „angemessene“ Arbeitsmethoden.
46
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
Organisationslehre
Im Gegensatz zu dem in Aufgabe 9 besprochenen Beispiel DEC sind die Arbeitsgruppen
jedoch an extrem kurze Taktzeiten gebunden, haben eine hohe Arbeitsteilung und
unterstehen dem „Oh! No!-Management“.
Auch dieses Modell ist sehr erfolgreich und ist für das „japanische Wirtschaftswunder“ der
80er Jahre mitverantwortlich. Toyota hingegen hat sich unterdessen dem sog. reflexiven
Toyotismus zugewandt, der in gewissen Aspekten weniger radikal ist. So versucht man
neuerdings bewusst, nicht alle Puffer zu eliminieren und belässt zeitliche Pufferzonen und
andere Redundanzen.
a)
Erklären Sie, warum dieses Modell ähnliche Erfolgskennzahlen aufweist wie die
Arbeitsorganisation nach teilautonomen Gruppen?
b)
Welche Probleme könnten langfristig auftreten?
c)
Wie unterscheidet sich der sog. „reflexive Toyotismus“ von obigem Modell?
Aufgabe 10
Das Profit Center ist in der Praxis eine verbreitete Organisationsstruktur.
a) Zeichnen Sie ein idealtypische Organigramm eines Profit Centers (nicht einer Profit
Center-Organisation) und beschriften Sie in diesem Organigramm die wesentlichen
Elemente.
b) Nennen Sie drei wesentliche Voraussetzungen für eine Profit Center-Organisation.
c) Sie beraten die Geschäftsleitung der Migros bei ihrer Reorganisation. Die
Geschäftsleitung fragt Sie, ob Profit Centers eine sinnvolle Organisationsstruktur für
die Migros seien oder nicht. Begründen Sie mit drei Argumenten, wieso die
Geschäftsleitung diese Struktur einführen soll bzw. nicht einführen soll.
Fallstudie zu modernen Organisationsformen
Die Meister AG (aus: Thom/Wenger/Zaugg 1998, S. 65 – 81)
Eine kurze Firmengeschichte
Die Meister AG ist eine traditionsreiche Schweizer Maschinenbau-Unternehmung. Gegründet
im Jahre 1845 kann der Konzern auf eine 150-jährige, vorwiegend erfolgreiche Geschichte
zurückblicken. Ursprünglich zur Herstellung von Gussprodukten gegründet, diversifizierte die
Firma schon bald über Heizungen und Haustechnik in den damaligen Kernbereich des
Maschinenbaus, die Dampfmaschinenproduktion.
Auch die weitere Entwicklung der Geschäftstätigkeit zeigt eine bemerkenswerte Konsistenz
des schrittweisen Vordringens in verwandte Produktionsbereiche. Noch im letzten
Jahrhundert erfolgte die Aufnahme der Pumpenbau-, Dampfschiff-, Kältemaschinen- und
Dieselmotorenproduktion. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die Produktion von
47
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
Organisationslehre
Dampfturbinen, Turbokompressoren und Wärmepumpen aufgenommen, während die letzten
40 Jahre den Gasturbinen- und Projektilwebmaschinenbau hervorbrachten. Einzelne
Aktivitätsfelder wurden im Laufe der Jahre auch wieder aufgegeben, wie z.B. die
Dampfschiffproduktion.
Entscheidend für die zukünftige Entwicklung des Konzerns könnte das Verlassen des
traditionellen Maschinenbaus und das Vordringen in komplexe Technikbereiche während der
letzten Jahre sein. Dazu gehören die Kerntechnik, die Verfahrenstechnik und insbesondere
die Medizinaltechnik. Trotzdem präsentiert sich die Meister AG noch immer als klassischer
Maschinenbaukonzern, da die Tätigkeit in den traditionellen Gebieten bei weitem überwiegt.
Situation Mitte der 90er Jahre
A. Kennzahlen, Geschäftsgang und Finanzen
in Millionen sFr.
1993
1994
1995
1996
Umsatz
4’788
4’863
5’217
5’229
65
164
243
279
Reingewinn/verlust
-118
-20
49
78
Eigenmittel
3’523
3’489
3’424
3’463
Personalbestand
39’021
35’888
34’546
31’721
Cash-Flow
Abbildung 33. Kennzahlen der Meister AG
Zu den präsentierten Zahlen ist folgendes anzufügen:

Es muss davon ausgegangen werden, dass die ausgewiesen Gewinne und Verluste
massiv durch „Bilanzkosmetik“ aufgebessert wurden (z.B. Auflösung stiller Reserven).

Die Jahre 1993 und 1994 waren die ersten Verlustjahre seit den Krisenjahren in den
30er Jahren.

Aus Aktionärssicht ist besonderes die sehr tiefe Eigenkapitalrendite als Folge der völlig
unbefriedigenden Gewinnsituation zu beachten.

Der seit 1993 erzielte Mehrumsatz bedeutet für den Konzern nur ein ungefähres
Nullwachstum, da darin einerseits die Teuerung und andererseits Firmenübernahmen
enthalten sind.
48
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
Organisationslehre
Den grossen Verlusten des Jahres 1993 versuchte die Geschäftsleitung mit
Werkschliessungen, Kurzarbeit und Massenentlassungen beizukommen. Zusätzlich wurden
verschiedene Rationaliserungs- und Reengineering-Projekte initiiert, die sich massgeblich auf
den Personalbestand in den nachfolgenden Jahren auswirkten. Im Zuge der Verflachung von
Hierarchien, dem Abbau von Stäben und der Straffung der Führungsstruktur verringerte sich
die Zahl der Führungskräfte. Die Konzernleitung hatte aber trotz des unerfreulichen
Geschäftsganges Mittel bereitgestellt, um die Freistellung von Fach- und Führungskräften
durch angemessene personalwirtschaftliche Instrumente zu unterstützen.
Ungeachtet der Ertragslosigkeit und des schlechten Geschäftsganges besteht ein hoher
Bestand an flüssigen Mitteln als Folge einer gezielten Liquiditätspolitik, des Abbaus von
Vorräten und der konsequenten Überprüfung der Zahlungsbedingungen. Resultat ist eine
solide finanzielle Bilanz.
B. Vision, Konzernstrategie
Aufgrund der gültigen Konzernvision wird eine ausgeprägte Diversifikationsstrategie
betrieben, die insbesondere zur Schaffung neuer Produkte und der Erschliessung neuer
Teilmärkte in traditionell bereits bearbeiteten Märkten führt. Insgesamt entsteht aber der
Eindruck, dass der Konzern ohne klare Stossrichtung agiert.
Vorgegangen wird durch schrittweises Erproben neuer Technologien im eigenen Haus, durch
organisches Wachstum und Beschleunigung durch entsprechende Akquisitionen, sobald eine
eigene Grundlage existiert. Dabei herrscht eine starke Technik- und Produktorientierung bei
mangelhafter Marketingorientierung vor, sowohl im Konzern als Ganzes als auch in den
einzelnen Produktbereichen. Hoher Wert wird auf die Realisation von Synergien zwischen
den ca. 30 Produktbereichen durch die Nutzung gleicher Lokalitäten im Rahmen
gemeinsamer Werkstattkonzepte gelegt.
Konzerne im wirtschaftlichen Umfeld
Die Weltwirtschaft erlebte in den letzten Jahren z.T. dramatische Veränderungen, die sich für
Konzerne generell in einer komplexeren und heterogeneren Unternehmungsumwelt, einer
Dynamisierung des Wandels, einer gesteigerten Unsicherheit für die Unternehmungsplanung
und damit einem erhöhten Anpassungsbedarf auf allen Ebenen äussern. Wichtige Kräfte, die
auf die Konzerne einwirken und ihr Handeln bestimmen, sind u.a.:

Globalisierung von bisher national geprägten Märkten durch gewaltige Fortschritte der
Technologie im Transport- und Kommunikationsbereich sowie durch ausgeprägte
Deregulierungsbestrebungen und die Beseitigung von Handelshemmnissen. Folgen für
Konzerne sind dynamische Märkte durch eine grössere Anzahl Wettbewerber, ein
härterer Wettbewerb um Kapital wegen globalen Investitionsmöglichkeiten der
Kapitalgeber, ein Sourcing von Produktionsinputs und Absatz von Gütern und
Dienstleistungen auf globaler Basis und die Realisierung von positiven Skalenerträgen
auf einer globalen Basis durch Produktionsverlagerungen.
49
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
Organisationslehre

Regionalisierung der Weltwirtschaft durch die Entstehung regionaler Wirtschaftsblöcke
in Amerika (NAFTA, Mercosur), Asien (ASEAN), und Europa (EU) mit z.T.
protektionistischen Strömungen gegen aussen. Folge für Konzerne ist ein erschwerter
Zugang zu wichtigen Absatz- und Beschaffungsmärkten durch rechtliche Schranken.

Technologischer Fortschritt auf sehr hohem Niveau. Folgen für Konzerne sind in
gewissen Branchen ein exponentieller Anstieg der notwendigen Investitionen für
weitere Forschung und Entwicklung durch eine zunehmende Integration verschiedener
Technologien, die Bearbeitung immer grösserer Märkte zur Amortisierung der
Initialkosten sowie die Notwendigkeit von strategischen Allianzen zwischen Konzernen
wegen höheren Kosten und kürzeren Produkt- und Technologiezyklen.

Zunehmend gesättigte Märkte in den industrialisierten Ländern wegen der Ausweitung
und Differenzierung des Angebots. Folgen für Konzerne sind: Wer in Qualität, Service
und Produktvariationen nicht den gewachsenen Ansprüchen der Konsumenten genügt,
wird rasch aus dem Markt verdrängt.
In diesem Umfeld bestehen vor allem folgende strukturelle Schwächen
Maschinenindustrie-Branche (insbesondere der Werkzeugmaschinen-Hersteller):
der

im Vergleich mit der ausländischen Konkurrenz sind die Schweizer Unternehmungen
mehrheitlich zu klein, um positive Skalenerträge und Verbundvorteile zu realisieren.

Eine traditionell sehr starke Technologieorientierung mit einem Hang zu
Maximallösungen verhindert oft ein flexibles Eingehen auf Systemlösungen nach
Kundenwünschen.

Bei einer Exportquote der Branche zwischen 80 und 90% fehlt es den meisten
Anbietern wegen schwachen Vertriebs- und Servicenetzen an globaler Präsenz, oft
gerade in verheissungsvollen Zukunftsmärkten.
Die Branche setzt daher seit Jahren tiefgreifende Rationalisierungsmassnahmen um, die zu
beachtlichen Fortschritten geführt haben. Zwischen 1990 und 1997 konnte so bei sinkenden
Lohnstückkosten die Arbeitsproduktivität durchschnittlich um rund einen Drittel gesteigert
werden. Bei vielen Unternehmungen kommt zudem, nicht zuletzt auf Druck der Kapitalgeber
und mit Hilfe leistungsfähiger Rechnungswesen, je länger je mehr ein ertragsorientiertes
Denken zum Tragen.
C. Forschung und Entwicklung, Innovationen
In den vergangenen guten Geschäftsjahren, in denen die Webmaschinen alleine 80% des
Gewinns brachten und sich die Meister AG einer kaum angefochtenen Marktposition erfreute,
hatten es die Manager der Unternehmung versäumt, zukunftsträchtige Produkte zu
entwickeln. Nebst dieser dämpfenden Wirkung des Erfolgs liegt ein möglicher Grund darin,
dass die F&E bis heute sehr stark für die einzelnen Produkte instrumentalisiert wird: Anstelle
50
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
Organisationslehre
eines Innovationstransfers von der F&E zum Produkt werden im Auftrag der Produktmanager
nur einzelne Aspekte der Produkte durch die F&E verbessert.
Strukturell abgesichert wird diese Philosophie dadurch, dass die F&E-Einheiten den
Produktbereichen untergeordnet sind. Als Beispiel kann die Abteilung Elektronik dienen, die
an die Sparte Textilmaschinen (Maschinenbau Götschmann) gekoppelt ist. Die Dominanz
traditioneller über neue Technologien (welche konsequent nur als Mittel zur Rationalisierung
der Mechanik, anstatt zu deren Ersatz eingesetzt werden) wird im Konzern so strukturell
abgesichert.
Grundsätzlich verfügt der Konzern nach wie vor über hervorragende technische
Kompetenzen. Die Mitarbeitenden sind gut qualifiziert, die Unternehmung verfügt über ein
umfassendes Aus- und Weiterbildungsangebot. Im Zuge einer vermehrten Kostenkontrolle
werden aber auch hier Dienstleistungen abgebaut. Der neu eingesetzte Konzernpersonalchef
Kurt Feller weist in einem Grundsatzpapier u.a. auf die Bedeutung einer bedarfs- und
bedürfnisgerechten Personalentwicklung hin. Obwohl im Bereich der Laufbahnplanung
konzeptionelle Defizite bestehen, werden solche Projekte in der Konzernleitung als nicht
unmittelbar priorität betrachtet und deshalb verschoben.
Hohe technologische Leistungen und Innovationen erfolgen aber vorwiegend an Produkten,
die sich in reifen und gesättigten Märkten befinden. Zudem wird mit zu grossem
Perfektionsdrang zu lange an bewährter Technik festgehalten, was zu enorm hohen
Fabrikationskosten führt.
D. Schwerpunkte des Produktionsprogramms
Das Abbild der Situation bei der F&E findet sich in den Hauptgeschäften: Insbesondere die
Webmaschinen und die Heizungs- und Klimatechnik als traditionsreiche Sparten wurden
gefördert (auch akquisitorisch), während zukunftsträchtige Geschäfte wie die
Medizinaltechnik bis anhin nur sehr beschränkt und ohne klare Strategie vorangetrieben
wurden. Ein Hauptproblem besteht darin, dass es bis jetzt noch nicht gelungen ist, wichtige
Führungs- und Expertenpositionen angemessen zu besetzen. Da intern keine Kandidaten zur
Verfügung stehen, entschliesst sich die Konzernleitung, extern nach geeigneten Personen zu
suchen.
Trotzdem nimmt die Medizinaltechnik bereits einen wichtigen und wachsenden Platz im
Produkteportfolio ein. Dies im Gegensatz zur Sparte Anlagebau, die auch mit intensiven
Förderungsmassnahmen seit Jahren stagniert und sich in einer eigentlichen Dauerkrise
befindet. Das Vordringen in eigenständige (d.h. von den traditionellen Produkten
unabhängige) Gebiete, wie z.B. die Verfahrens- und Oberflächentechnik, erfolgt nur sehr
behutsam. Viel lieber werden die mit High-Tech aufgefrischten, angestammten Produkte
verkauft.
Das Produktionsprogramm ist aufgrund der betriebenen Diversifikationsstrategie sehr
breitgefächert. Als Gemeinsamkeit aller Produkte der Meister AG kann ihr InvestitionsgüterCharakter hervorgehoben werden.
51
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
Organisationslehre
E. Marktposition
Geographisch
Die Meister AG führt ein internationales oder sogar globales Geschäft in praktisch allen
Produktbereichen. Die grosse Ausnahme bildet die Konzerndivision Heizung und Klima, die
gemäss der Konzernstrategie ein europäisches Geschäft ist und bleiben soll. Insgesamt wird
nur ca. 17% des Konzernumsatzes im Inland realisiert. Demgegenüber sind ca. 45% der
Beschäftigten in der Schweiz angestellt.
Position am Markt
Die Meister AG ist oft zu wenig stark auf den Markt fokussiert. Die persönlichen Kontakte und
das Engagement beim Kunden sind vielfach ungenügend oder werden nicht ausreichend
genutzt, um durch Kundenpflege eine hohe Markenbildung zu erreichen. Dazu kommt, dass
eine systematische Marktkenntnis, z.B. durch Marktforschung, meist nicht vorhanden ist.
Produktbezogen
Die von der Meister AG bearbeiteten Märkte weisen grosse Unterschiede auf: Hergestellt
werden Papiermaschinen, Dieselmotoren, Industriepumpen, Heizung/Lüftung/Klima,
Textilmaschinen, Verfahrenstechnik etc.
Die Absatzmärkte der traditionellen Produkte des Konzerns sind ganz besonders von
Übersättigung betroffen. Als Folge davon entwickelten sich ruinöse Preiskämpfe, wodurch die
Manager die Meister AG durch ihr glückloses Lavieren in eine völlige Ertragslosigkeit geführt
haben. Diese konnte nur dank dem positiven Ersatzteilgeschäft durchgehalten werden. Nur
einige wenige Produktbereiche mit vergleichsweise geringem Umsatz, wie z.B. die
Medizinaltechnik, weisen eine genügende Rentabilität auf. Resultat: ein Milliardenumsatz
ohne Gewinn.
F. Unternehmungsstruktur
Rahmenstruktur
Bei der Meister AG handelt es sich um ein klassisches Stammhaus (siehe Abbildung 1),
welches nach dem Objektprinzip gegliedert ist und im Wesentlichen quer durch die ganze
Unternehmungslandschaft geht. Insgesamt bestehen fast 30 Produktbereiche (ein
Produktbereich entspricht hier einem strategischen Geschäftsbereich), welche aber
unterschiedlich gross sind (realisierter Umsatz pro Produktbereich zwischen 10 Mio. und 1
Mia. sFr.).
Einige der Produktbereiche bilden wirtschaftlich selbständige Geschäftseinheiten im Sinne
von Profit Centern (z.B. der Produktbereich Kälte) und sind als solche zum Teil auch rechtlich
selbständig (z.B. die Medizinaltechnik bei Maschinenbau Oerlikon). Die Strukturen sind das
Resultat der Unternehmungsgeschichte und weniger die Folge kohärenter organisatorischer
Überlegungen.
52
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
Organisationslehre
Als Konzerndivisionen definiert sind:
Konzerndivision
Produkte
% vom Umsatz
Maschinenbau Götschmann
Textil- und Webmaschinen
24%
Heizung und Klima
Gebäudetechnik
19%
Anlagenbau
Komplette Anlagen (z.B. im
Umweltbereich)
Energierückgewinnungssysteme
5%
Maschinenbau Oerlikon
Diverse Produktbereiche (z.B.
Thermische Energiesysteme,
Giessereien, Medizinaltechnik,
Kolbenkompressoren,
Lokomotiven & Getriebe etc.)
20%
Maschinenbau TannerSchwarz
Diverse Produktbereiche (z.B.
Hydraulik, Thermische
Turbomaschinen, Papiertechnik,
Oberflächen- und
Verfahrenstechnik etc.)
18%
Abbildung 34. Die Konzerndivisionen der Meister AG
Während die ersten drei Konzerndivisionen vom Produktionsprogramm her betrachtet in sich
relativ homogen sind, handelt es sich bei den zwei letzten um bunt zusammengewürfelte,
uneinheitliche Führungseinheiten, die z.T. rechtlich selbständig, z.T. dem Stammhaus
zugeordnet sind. Durch das geltende Strukturkonzept sind die Abgrenzungen zwischen den
betriebenen Konzerngeschäften der Meister AG aber allgemein eher unklar.
Als rechtlich selbständiger Konzernbereich existiert zudem Meister International AG, welche
mit der Führung praktisch aller Konzerngesellschaften im Ausland (Produktion und Verkauf)
betraut ist (Ausnahme: Maschinenbau Tanner-Schwarz). Dabei hat dieser Bereich eine
eigene Profitabilitätszielsetzung und agiert daher oft in eigenem Interesse. Produkte der
Meister AG können nur über die in diesem Rahmen betriebenen eigenen Vertretungen
verkauft werden, auf welche die Produktleiter keinen Zugriff haben. Haben letztere das
Gefühl, ihr Produkt werde schlecht vermarktet, können sie nur über die Konzernleitung
eingreifen. Diese ist aber meist überlastet und reagiert nur schleppend. Folge davon ist, dass
viele Produkte nicht optimal vertrieben werden, d.h. die Leistungen der Meister International
AG sind nicht immer marktgerecht.
Der Konzernleitung sind mehr als zehn Stäbe zugeordnet (Planung, Finanzen, Personal,
Recht, Informatik, Organisation, PR etc.), welche die Synergierealisation und Konzernführung
53
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
Organisationslehre
erleichtern sollen. Dies führt zu einem sehr grossen Gemeinkostenbereich, der
unübersichtlich und schlecht zurechenbar ist. Nicht klar ist auch, ob wirklich alle durch die
Stäbe erbrachten Leistungen den Bedürfnissen der untergeordneten Produktbereichen und
Konzerndivisionen entsprechen, da für die Stäbe nicht einmal eine Kosten-Verantwortung
definiert ist. Damit wird eine wirksame Analyse dieses Kostenblockes verhindert.
Die aktuell gültige Organisationsstruktur der Meister AG verdeutlicht die folgende Abbildung:
MEISTER AG
KONZERNSTÄBE
Planung, Finanzen, Personal, PR, Recht,
Organisation, Informatik etc.
KONZERNLEITUNG
KONZERNBEREICH
MEISTER
INTERNATIONAL AG
KONZERNDIVISION
KONZERNDIVISION
KONZERNDIVISION
KONZERNDIVISION
KONZERNDIVISION
MASCHINEN-BAU
GÖTSCHMANN
HEIZUNG
UND
KLIMA
ANLAGENBAU
MASCHINEN-BAU
OERLIKON
MASCHINEN-BAU
OERLIKON
PB
Thermische
Energiesysteme
PB
Hydraulic
PB
Medizinaltechnik
PB
Oberflächen
& Verfahren
PB
Kolbenkompressoren
PB
Thermische
Turbomasch.kompressoren
PB
Lokomotiven
& Getriebe
PB
PapierTechnik
Andere
Produktbereiche
Andere
Produktbereiche
PB
Kolbenkompressoren
Andere
Produktbereiche
PB
Neue
Produkte
Andere
Produktbereiche
STAMMHAUS
FÜHRUNGSLINIEN
PB
PRODUKTBEREICH
Abbildung 35: Die Rahmenstruktur der Meister AG vor der Reorganisation
Gründerfamilie und Führungsstruktur
Erschwerender Faktor war ohne Zweifel bis Mitte der 80er Jahre der grosse Einfluss der
Gründerfamilie Meister, deren Mitglieder auf allen Entscheidungsebenen anzutreffen waren.
Das vorrangige Ziel der Führungsstruktur war denn auch primär die Sicherung des
Familieneinflusses. Die fachliche Kompetenz und die strategische Sensibilität der
Konzernleitungsmitglieder sind entsprechend wenig ausgeprägt. Ausdruck davon war z.B.,
dass die vierköpfige Konzernleitung nur einstimmige Entscheide fällen konnte, obschon die
Konzernleitungsmitglieder für bestimmte Sparten zuständig waren. So unselbständig das
oberste Führungsgremium, so unselbständig waren auch dessen Untergebene. Tagelange
Sitzungen waren keine Ausnahme, bei denen zuweilen sogar technische Einzelheiten einer
Maschine diskutiert wurden. Eine bürokratische und unbewegliche Konzernverwaltung war
die Folge, die sich sehr stark mit operativen Problemen befasste.
54
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
Organisationslehre
Eine erste Reorganisation 1986 hatte zum Ziel, diesen Zustand zu beenden. Die
Konzernleitung wurde auf sieben aufgestockt, aus deren Reihen jeweils der Präsident der
Konzernleitung als primus inter pares gewählt wird.
Vom Verständnis her war und ist die Konzernleitung ein Kollegialgremium mit
Gesamtverantwortung gegenüber dem Verwaltungsrat. Die Führung erfolgt im Wesentlichen
nach dem Kollegialprinzip, wobei die Konzernleitungsmitglieder Ressortverantwortung haben.
Es kann daher immer noch nicht von einem entscheidungsfreudigen Gremium gesprochen
werden, da es sich z.T. weiterhin mit operativen Aufgaben beschäftigt. Oft sind ungenügende
Aktions- und Reaktionsfähigkeit und eine mangelnde Straffheit der Willensdurchsetzung
feststellbar.
Auf der Stufe Konzerndivisionen und Produktbereiche existiert wegen der fehlenden
Einheitlichkeit der Geschäfte keine klare und eindeutige Zurechnung der Strategie- und
Erfolgsverantwortung der Führungskräfte für die von ihnen geleiteten Einheiten. Dies hat zur
Folge, dass die wahren Leistungen der einzelnen Bereiche oft miteinander saldiert werden,
womit schlechte Resultate kaschiert werden können.
G. Personalpolitik
Oberstes Personalauswahlkriterium ist nur selten die Fähigkeit, dafür um so häufiger die
Familiennähe. Selten mussten Manager darum die Verantwortung für Misserfolge tragen. In
der Konzernleitung und im obersten Direktorium dominieren eindeutig Personen mit
Familienbildung.
Aufgrund
immer
deutlicher
zutage
tretender
Mängel
im
Personalmanagement des Konzerns wurde der langjährige Personalchef frühzeitig
pensioniert und durch eine wesentlich jüngere Nachwuchskraft ersetzt. Der neue
Personalchef Feller konnte von einem grossen Dienstleistungsunternehmen abgeworben
werden. Er hat es sich in den ersten 100 Tagen seiner Amtszeit zur Aufgabe gemacht, das
Personalmanagement der Meister AG konzeptionell weiterzuentwickeln. Die neu erarbeiteten
Personalmanagement-Grundsätze müssen auf eine Unternehmungssituation ausgelegt sein,
die von häufigen und raschen Änderungen in den Strukturen und Prozessen gekennzeichnet
ist.
H. Unternehmungskultur/Klima
Die Unternehmungskultur ist äusserst traditionsgeprägt. In den letzten Jahren haben sich
zunehmend Unsicherheiten durch unbefriedigenden Geschäftsverlauf, Betriebsschliessungen
und Kurzarbeit bei fehlenden zukunftsgerichteten Visionen und Strategien des Management
bemerkbar gemacht. Nach wie vor besteht aber eine hohe Arbeitsmoral der Belegschaft
wegen der sehr hohen Firmenverbundenheit und der Bereitschaft der heranwachsenden
Führungsgeneration, positive Veränderungen durchzuführen. Diese starke kulturelle Identität
hat aber auch zur Folge, dass notwendige organisatorische und personalwirtschaftliche
Entscheidungen nicht oder nur halbherzig getroffen werden. Die mangelnde Dynamik und die
55
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
Organisationslehre
ungenügende Flexibilität der Konzernleitung lassen sich teilweise auf kulturelle Aspekte
zurückführen.
I. Image
Die Meister AG hat das Image eines traditionsreichen, soliden, klassischen
Maschinenbaukonzerns, der qualitative hochwertige und zuverlässige Produkte herstellt und
auf dessen Service man sich verlassen kann.
Neue Konstellation Ende 1996
Im Verlaufe des Jahres 1993 bricht aufgrund des massiven Konzernverlustes ein schon lange
schwelender Konflikt zwischen zwei Hauptlinien der Gründerfamilie Meister aus. Die
Nachfolgepolitik an der Spitze der Unternehmung scheint familienintern nicht mehr lösbar, der
Konzern driftet praktisch führungslos vor sich hin. Schliesslich gelingt es einer Seite, sich
durchzusetzen. Die unterlegene Linie verkauft darauf einen Grossteil ihres Aktienpakets an
verschiedene Grossinvestoren, womit Dritte erstmals ein wirklich ernstzunehmendes
Mitspracherecht in der Meister AG erhalten.
Die neuen Aktionäre sind mit der aktuellen Ertragslage alles andere als zufrieden. Zusammen
mit den veränderungswilligen Teilen der Familie Meister (unter anderem der Präsident des
Verwaltungsrates, Georg Meister) setzen sie Anfangs 1996, unter Androhung des Verkaufs
ihres Pakets an einen ungeliebten Konkurrenten, die Wahl von Thomas Burger, dem
bisherigen Chef und erfolgreichen Sanierer der Konzerndivision Götschmann, zum neuen
Konzernleitungspräsidenten durch. Auch drei andere Mitglieder der Konzernleitung werden
ersetzt. Damit wird ein schrittweises Auswechseln der überalterten Führungskader
eingeläutet. Burger löst mit der Unterstützung von Georg Meister nach seiner Wahl in einem
Top-Down-Approach eine grundlegende Reorganisation der Meister AG aus. Als global
verantwortliches und tragendes Gremium des Prozesses amtet die gesamte Konzernleitung.
Oberster Grundsatz dieser Restrukturierung ist die konsequente Umsetzung des Leitsatzes
„Structure follows strategy“. Ziel ist eine maximale Übereinstimmung von unternehmerischer
Verantwortung und Struktur bei gleichzeitiger Reduktion der Anzahl Produktionsbereiche. Die
neue Konzernvision und die zu deren Erreichung grob festgelegten Strategien lauten:
Vision
Mehrwerte schaffen für Aktionäre, Mitarbeitende und Kunden.
Strategien
Abschied von der Diversifikationspolitik zum Zweck der Steigerung der Profitabilität durch
Fokussierung auf Kernbereiche sowie Definition und Aufbau zukunftsträchtiger
Pfeilergeschäfte. Aufgabe des bisher praktizierten unbedingten Synergiestrebens auf allen
Konzernebenen. Ziel ist die Transformation des Maschinenbauunternehmens in einen
56
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
Organisationslehre
Technologiekonzern, der nicht nur von den Finanzen zusammengehalten wird, sondern auch
durch sogenannte Kernfähigkeiten. Diese werden definiert als:

Kernkompetenz Technologie, die als starke Klammer dienen soll

Kernkompetenz Finanzen

Kernkompetenz Human Resources

Kernkompetenz Marktunterstützung/Marketing
Zu dieser Transformation sollen insbesondere die Bereitstellung von Ressourcen für den
Aufbau neuer erfolgversprechender Geschäftsfelder, wie z.B. der Medizinaltechnik, beitragen.
Diese Geschäftsfelder sollen zu tragenden Unternehmungspfeilern ausgebaut werden, sei es
durch Eigenentwicklungen oder strategiekonforme Akquisitionen. Es zeigt sich, dass die
Marktanteile der verschiedenen Produktbereiche (z.B. Kolbenkompressoren) der
Konzerndivisionen Maschinenbau Oerlikon und Maschinenbau Tanner-Schwarz, mit
Ausnahme der Medizinaltechnik, zur Zeit noch nicht gross genug sind, um eigenständige
Geschäftsbereiche zu bilden.
Nebst der Förderung der potentiellen Zukunftsgeschäfte auf Konzernebene und dem Angebot
eines Grund-know-hows für alle Konzernunternehmen, soll die F&E auch für Produkte, die in
gesättigten Märkten abgesetzt werden, die Voraussetzungen für deren Überleben sichern.
Dies nicht wie bis anhin nur produktbezogen, sondern nach den wandelnden Bedürfnissen
des Marktes. So soll ein flexibles Nischenmanagement oder ein seitliches Ausweichen immer
möglich bleiben.
Der gesamte Reorganisationsprozess soll in Etappen verwirklicht werden, indem die
rechtliche Struktur konzipiert und konsequent schrittweise umgesetzt wird.
Aufgabenstellung
Welche Neugestaltung der Rahmenstruktur würden Sie der Konzernleitung vorschlagen?
Entscheiden Sie sich für ein Holdingkonzept.
a) Begründen Sie Ihre Wahl. Erklären Sie, wie die von Ihnen
Holdingausprägung Koordinations- und Motivationsaufgabe umsetzt.
gewählte
b) Stellen Sie die neue Einordnung der Produktbereiche graphisch dar. Bitte
berücksichtigen Sie dabei folgende Punkte: Die strategisch festgelegten Massnahmen,
wie z.B. der Verkauf von im Konzernverbund nicht mehr sinnvollen Geschäften,
können nicht alle sofort realisiert werden. Auch haben nicht alle Zukunftsgeschäfte die
notwendige Grösse, um sofort als unabhängige Profit-Center oder sogar als
Pfeilergeschäfte definiert werden zu können. D.h., Ihre neue Konzernstruktur muss
auch Raum für Übergangslösungen bieten.
c) Wie ordnen sie die widerspenstige Meister International AG zu. Wählen Sie eine
Center-Lösung und begründen Sie Ihre Wahl.
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