Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Organisationslehre Inhalt 1 1.1 1.1.1 1.1.2 1.1.3 1.1.4 1.2 1.2.1 1.2.2 Aufgaben und Begriff der Organisation ................................................................ 1 Aufgaben der Organisation ........................................................................................ 1 Ziel der organisatorischen Gestaltung ....................................................................... 1 Wichtigstes Problem bei der Erzeugung von Synergien ............................................ 2 Die „sichtbare Hand“ als Problemlösung .................................................................... 3 Teilaufgaben der Organisation ................................................................................... 4 Begriff der Organisation ............................................................................................. 5 Der instrumentelle Organisationsbegriff ..................................................................... 6 Der institutionelle Organisationsbegriff....................................................................... 6 2 Differenzierung und Integration als Grundprinzipien der organisatorischen Gestaltung ................................................................................................................ 7 3 3.1 3.2 3.2.1 3.2.2 Organisatorische Differenzierung .......................................................................... 9 Horizontale Differenzierung ....................................................................................... 9 Vertikale Differenzierung ........................................................................................... 9 Gliederungstiefe ........................................................................................................ 9 Leitungsspanne ......................................................................................................... 9 4 4.1 4.2 4.2.1 4.2.1.1 4.2.1.2 4.2.2 4.2.3 4.2.3.1 4.2.3.2 4.2.3.3 4.2.3.4 Organisatorische Integration................................................................................ 10 Verknüpfung durch Leitungsbeziehungen ............................................................... 10 Verknüpfung durch Entscheidungsverfahren ........................................................... 14 Weisungen ............................................................................................................... 15 Standardisierung ..................................................................................................... 15 Delegation ............................................................................................................... 16 Selbstabstimmung (Partizipation) ............................................................................ 17 Interne Preise (Verrechnungspreise) ....................................................................... 18 Marktorientierte Verrechnungspreise ....................................................................... 20 Kostenorientierte Verrechnungspreise ..................................................................... 21 Verrechnungspreise als Ergebnis von Verhandlungen ............................................ 21 Vor- und Nachteile der Profit Center-Organisation ................................................... 22 5 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6 Grundformen der Organisationsstrukturen ........................................................ 22 Die funktionale Organisation ................................................................................... 23 Die produktorientierte Organisation ......................................................................... 24 Die Regionalorganisation ........................................................................................ 26 Die Projektorganisation ........................................................................................... 27 Die Prozessorganisation .......................................................................................... 30 Holding .................................................................................................................... 35 6 6.1 6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.3 Gruppen in Organisationen .................................................................................. 37 Abstimmung in Gruppen .......................................................................................... 37 Abstimmung zwischen Gruppen .............................................................................. 39 Selbstabstimmung ................................................................................................... 39 Weisungen ............................................................................................................... 40 Verrechnungspreise: Profit Centers ......................................................................... 40 7 Literaturverzeichnis .............................................................................................. 41 8 Übungen zur Organisationslehre ......................................................................... 42 1 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre 1 Aufgaben und Begriff der Organisation 1.1 Aufgaben der Organisation Organisationslehre „Die von Alfred Sloan aufgebaute Firma General Motors ist eine ehrfurchtseinflössendere Erfindung als der Verbrennungsmotor, sowie das Krankenhaus einen bedeutenderen Durchbruch darstellt als irgendein SuperMedikament.“ (Peter Drucker). Wir leben in einer Organisationsgesellschaft. Die meisten von uns werden in Kliniken geboren, besuchen Schulen, arbeiten in Unternehmen, treiben Sport im Verein, zahlen Steuern an das Finanzamt. Schlussendlich wird uns eine Behörde den Totenschein ausstellen – lauter interne Organisationen. Märkte können offensichtlich zahlreiche Aufgaben nicht so gut erfüllen wie Organisationen (Simon 1991). Welche Aufgabe erledigt also die Organisation anders – und unter bestimmten Bedingungen besser – als der Markt? 1.1.1 Ziel der organisatorischen Gestaltung Das Ziel der organisatorischen Gestaltung besteht in der Erzeugung von Synergien oder Kooperationsrenten. Was ist damit gemeint? Synergien: Durch die Zusammenarbeit der Organisationsmitglieder wird mehr Wert geschaffen als die Summe der Aktivitäten von Einzelpersonen über den Markt erbringen würde. Kooperationsrente: Überschuss aus der koordinierten Zusammenarbeit Organisationsmitglieder gegenüber der Summe der Outputs einzelner Personen. der Durch Arbeitsteilung (Differenzierung) und Arbeitsverknüpfung (Integration) entsteht ein Gesamtoutput, der grösser ist als die Summe der Outputs aller einzelnen Organisationsmitglieder, vgl. das Stecknadel-Beispiel von Adam Smith. In dem klassischen Beispiel von Adam Smith kann ein Arbeiter, der alle Arbeitsgänge allein ausführt, nur 20 Stecknadeln pro Tag herstellen. Wird jedoch die Arbeit in der von Smith beschriebenen Weise zerlegt, so können 10 auf verschiedene (Teil-)Verrichtungen spezialisierte Arbeiter pro Tag 48'000 Nadeln herstellen. Die Zerlegung der Aufgabe in 10 Teilaufgaben hat also den Output um das 240-fache vergrössert. Die Kooperationsrente hat sich demnach um 47'800 oder das 240-fache erhöht. 1 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre 1.1.2 Organisationslehre Wichtigstes Problem bei der Erzeugung von Synergien Die Erzeugung von Synergien ist mit dem Problem verbunden, dass Nutzen und Kosten der Synergien oder Kooperationsrenten für den einzelnen Akteur nicht mehr unmittelbar verkoppelt sind. Beiträge (Inputs) und Erträge (Outputs) sind nicht mehr eindeutig zurechenbar. Es besteht die Gefahr, dass sich die Organisationsmitglieder nach dem Motto verhalten: Team-Arbeit heisst „Toll Ein Anderer Machts“. Unter diesen Umständen sind Märkte ungeeignet, genügend Anreize für die Erzeugung von Synergien bereitzustellen. Auf Märkten müssen Leistung und Gegenleistung (Preis) einigermassen klar bestimm- und zurechenbar sein. Synergien entstehen durch Economies of scale Economies of scope: Verbundvorteile durch Produktion komplementärer Güter Komplementaritäten: „Doing more of one activity increases the marginal productivity of each other activity in the group“ (Milgrom/Roberts 1992, S. 108) nach Abzug der Koordinationskosten bei deren Erzeugung. Sie führen zu Kollektivressourcen. Von deren Nutzung, wenn sie einmal erstellt sind, profitieren alle Organisationsmitglieder, auch diejenigen, die wenig dazu beigetragen haben. Eine Messung des Beitrags zu den Kollektivressourcen und deren individueller Verbrauchs ist oft schwierig. Das ist insbesondere der Fall bei der heute wichtigsten Kollektivressource, dem Organisationalen Wissen. Es tritt für rationale Egoisten ein sog. „soziales Dilemma“ zwischen individueller und kollektiver Nutzenmaximierung auf. Dies zeigt das folgende Beispiel von Cathy und Calvin (vgl. Miller 1992, S. 32). Calvin und Cathy könnten jeder für sich alleine einen Output im Werte von je 40 CHF erzeugen. Wenn sie sich zusammen tun, könnten sie, z.B. aufgrund von Spezialisierungsvorteilen, den gemeinsamen Output auf 90 CHF steigern. Es entsteht also ein Synergieeffekt von 10 CHF. Nehmen wir an, die beiden wollen den gemeinsam erzeugten Output zu gleichen Teilen untereinander aufteilen. Nehmen wir weiter an, dass beide nicht gerne arbeiten und deshalb beide psychologische Kosten in der Höhe von 30 CHF erleiden, wenn sie hart arbeiten. Diese Kosten sind 0, wenn sie nicht arbeiten. Wir erhalten dann folgende Auszahlungsmatrix: Calvin arbeitet hart Cathy arbeitet nicht Cathy:45-30=15 Cathy: 20-30= -10 Calvin: 45-30=15 Calvin: 20-0=20 Cathy: 20-0=20 Cathy: 0-0=0 Calvin: 20-30= -10 Calvin: 0-0=0 Cathy arbeitet hart Cathy arbeitet nicht Abbildung 1: Cathy und Calvin 2 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Organisationslehre Obwohl der kollektive Nutzen im linken oberen Kästchen maximal ist, wenn beide hart arbeiten, können sich sowohl Cathy als auch Calvin besser stellen, wenn sie den anderen für sich arbeiten lassen und selber nichts zum Teamoutput beitragen. Da dies für beide Mitspieler gilt, ergibt sich für rationale Egoisten die Lösung rechts unten. Synergien kommen nicht zustande. Im Ergebnis werden Cathy und Calvin jeder für sich alleine arbeiten und zusammen weniger Output erzeugen als sie gemeinsam erzeugen könnten. Die „sichtbare Hand“ als Problemlösung 1.1.3 Die Unternehmung hat für dieses Problem eine Lösungsmöglichkeit, die dem Markt nicht zur Verfügung steht: Die „invisible hand“ des Marktes tritt zugunsten der „visible hand“ der Unternehmung zurück. Im Unternehmen werden dazu unvollständige Arbeitsverträge geschlossen. Der Arbeitnehmer verpflichtet sich zur Einhaltung von Regeln innerhalb einer „Indifferenzzone“. Er erhält dafür einen fixen Lohn. Die Arbeitgeberin verpflichtet sich: - zur Gestaltung und Durchsetzung der Regeln durch Anweisungen (z.B. Pflichtenhefte), - zur Kontrolle der Teammitglieder (Verfahrens- und Ergebniskontrolle), - zur Zahlung eines fixen Lohnes, - zur Übernahme des residualen Risikos. - Sie erhält dafür den Gewinn. Die „sichtbare Hand“ des Unternehmens besteht in dieser Sichtweise darin, die „unsichtbare Hand“ des Markt- und Preissystems durch Regeln zu ersetzen, die mittels Anweisungen und Kontrolle implementiert werden. Diese Lösung ist heute veraltet. Sie ist nur anwendbar, wenn in Unternehmen Wissensarbeit keine Rolle spielt. Bei Wissensarbeit ist die Arbeitgeberin nicht mehr in der Lage, die Arbeitnehmer durch vorgegebene Regelen, durch Anweisungen, Verfahrens- und Ergebniskontrolle zu steuern. „Dienst nach Vorschrift“ wäre die Folge. Der Arbeitnehmer hat hier mehr und anderes Wissen hat als seine Vorgesetzte und muss selber in der Lage sein, sinnvolle Regeln kooperativ zu gestalten und sie zu grossen Teilen freiwillig befolgen. Es besteht eine Informationsasymmetrie zwischen Vorgesetzter und Untergebenen. Anweisungen und Kontrolle müssen durch eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen beiden ersetzt werden (vgl. Osterloh & Weibel 2005, Kapitel 3). Es gilt nicht mehr: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Vielmehr muss das Unternehmen durch geeignete Massnahmen dafür sorgen, dass Arbeitnehmer sich nicht mehr nur als rationale Egoisten verhalten, sondern prosoziale Präferenzen entwickeln dass sie Arbeit nicht mehr als negatives Gut empfinden, sondern (zumindest teilweise) Spass an der Arbeit haben. 3 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Organisationslehre Extrinsische Motivation muss durch intrinsische Motivation ergänzt oder ersetzt werden: Bei der extrinsischen Motivation geht es um eine indirekte Bedürfnisbefriedigung. Die Tätigkeit wird nicht um ihrer selbst willen ausgeführt, sondern zum Beispiel, um Geld zu verdienen. Erst mit dem Geld wird dann das unmittelbare Bedürfnis erfüllt, etwa eine Urlaubsreise. Intrinsische Motivation hingegen bezieht sich auf eine direkte Bedürfnisbefriedigung. Eine Aktivität wird um ihrer selbst willen geschätzt, sie wird auch ohne Belohnung oder Bestrafung ausgeführt. Das ist dann der Fall. Wenn die Tätigkeit Spass macht oder wenn man um einer prosozialen Verpflichtung willen ausführt (vgl. Frey & Osterloh 2002 ). Die wichtigsten Voraussetzungen für intrinsische Motivation sind Autonomie Kompetenzerleben Soziale Zugehörigkeit und faire Behandlung In diesem Fall besteht die „sichtbare Hand“ des Unternehmens also darin, dass eine Organisationsstruktur geschaffen wird, die weniger auf Anweisung und Kontrolle als auf Selbstabstimmung abstellt. Selbstabstimmung ist eine gute Voraussetzung für die Herausbildung intrinsischer Motivation. 1.1.4 Teilaufgaben der Organisation Koordination Die Arbeitsaktivitäten müssen durch Regeln (Organisationsstruktur und Entscheidungsverfahren) so aufgeteilt und verknüpft werden, dass tatsächlich Synergien oder Kooperationsrenten entstehen. Die Koordinationsaufgabe steht im Zentrum der älteren, klassischen Organisationslehre. Sie ist immer dann um die Motivations- und Orientierungsaufgabe zu ergänzen, wenn Wissensarbeit im Zentrum steht. Motivation Die Organisationsmitglieder müssen extrinsische und intrinsische Anreize haben, die Regeln dem Sinn nach einzuhalten Orientierung Die Organisationsmitglieder müssen fähig sein, die Organisationsregeln ständig zu aktualisieren. Dazu müssen sie Wissen erwerben und in der Organisation speichern. Alle drei Teilaufgaben sind interdependent (vgl. Abbildung 1). In dieser Vorlesung wird in erster Linie die Aufgabe der Koordination behandelt. Es werden aber immer wieder Bezüge zu den beiden anderen Aufgaben hergestellt. 4 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Organisationslehre Koordination Organisationsstruktur Entscheidungsverfahren zum Beispiel: Funktionale Organisation Weisungen Produktorientierte Organisation (interne) Preise Regionalorganisation Selbstabstimmung Projektorganisation Prozessorganisation Holding Motivation durch intrinsische Motivation extrinsische Anreize zur Erfüllung der Koordinationsund Orientierungsaufgabe Orientierung Mittels Management der Generierung, des Transfers und der Speicherung von explizitem Wissen implizitem Wissen Abbildung 2: Die drei Aufgaben der Organisation 1.2 Begriff der Organisation Organisation bedeutet die Existenz einer Ordnung, die zielgerichtet arbeitsteilige Aufgaben und Tätigkeiten regelt. Für den Begriff Organisation sind vielfältige Klassifizierungsversuche unternommen worden, wobei im Allgemeinen zwei Grundauffassungen unterschieden werden: Organisation als Institution mit bestimmten Eigenschaften und Organisation als Instrument oder Mittel, mit deren Hilfe die Ziele dieser Organisation erreicht werden sollen. Im Folgenden werden diese unterschiedlichen Begriffsauffassungen vertieft dargestellt. 5 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre 1.2.1 Organisationslehre Der instrumentelle Organisationsbegriff Der instrumentelle Organisationsbegriff meint: Die Unternehmung hat eine Organisation und wird organisiert. Der instrumentelle Organisationsbegriff kennzeichnet Organisation als das Resultat einer zielbewussten Tätigkeit, die effiziente Arbeitsabläufe sicherstellen soll. Innerhalb dieser Konzeption lassen sich zwei Begriffe unterscheiden: der funktionale und der konfigurative Organisationsbegriff (Schreyögg 1999). Unter dem funktionalen Organisationsbegriff wird die Tätigkeit des Organisierens verstanden. Die Aufgabe des Organisierens ist eine der verschiedenen Funktionen der Unternehmensführung. Sie ergibt sich aus der Arbeitsteilung: Die komplexe Gesamtaufgabe des Unternehmens wird in verschiedene Teilaktivitäten zerlegt, die arbeitsteilig erbracht werden (Differenzierung). Anschliessend werden die Teilaufgaben durch Weisungen, interne Preise und Selbstabstimmung so koordiniert, dass die Erfüllung der unternehmerischen Gesamtaufgabe sichergestellt ist (Integration). Der konfigurative Organisationsbegriff bezeichnet das beabsichtigte Ergebnis des Organisierens. Er ist vor allem von Kosiol (1962; 1978) geprägt worden. Insbesondere im deutschsprachigen Raum bauen viele Arbeiten auf diesem Begriff auf. Organisation wird nach diesem Verständnis als dauerhafte Strukturierung von Arbeitsprozessen gekennzeichnet, die das Gefüge oder die organisatorische Konfiguration von Unternehmen ausmachen. Im Gegensatz zum funktionalen Organisationsbegriff liegt hier der Schwerpunkt also nicht auf der Tätigkeit des Organisierens, sondern auf der formalen Organisation (den Organigrammen) als dem beabsichtigte Ergebnis organisatorischer Gestaltungshandlungen. 1.2.2 Der institutionelle Organisationsbegriff Der institutionelle Organisationsbegriff meint: Die Unternehmung ist eine Organisation. Der institutionelle Organisationsbegriff wird vor allem in der amerikanischen ManagementLiteratur, in der Soziologie und in der Organisationspsychologie verwendet. Das institutionelle Organisationsverständnis wählt einen umfassenderen Blickwinkel als das instrumentelle Organisationsverständnis: Es geht nicht nur um die formal geplante Organisation, sondern es wird das tatsächliche, in der Praxis (empirisch) beobachtbare Verhalten einbezogen. Dies schliesst die informale Organisation ein, das heisst die „unsichtbaren Regeln“ ohne offiziellen Charakter. Diese können einerseits die Kommunikation erleichtern, Vertrauen herstellen und 6 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Organisationslehre die Unzulänglichkeiten der formalen Organisation ausgleichen. Ohne informale Regeln wäre „Dienst nach Vorschrift“ an der Tagesordnung. Andererseits können informale Strukturen auch störende Seiten haben. Beispielsweise können dadurch Widerstände bei den Organisationsmitgliedern oder Störungen im Arbeitsablauf verursacht werden. Diese können im Rahmen des instrumentellen Organisationsbegriffes nicht erklärt werden. 2 Differenzierung und Integration als Grundprinzipien der organisatorischen Gestaltung Traditionell wird die Koordination als Hauptaufgabe der Organisation verstanden. Die Gesamtaufgabe der Koordination setzt sich aus den Teilaufgaben der Differenzierung und der Integration zusammen. Organisatorische Strukturgestaltung wird durch Arbeitsteilung (Differenzierung) und Arbeitsvereinigung (Integration) bestimmt. Durch die Differenzierung werden die arbeitsteiligen Kompetenzbündel bestimmt. Die Integration sorgt dafür, dass die Kompetenzbündel durch Leitungsbeziehungen und Entscheidungsverfahren so zusammengefügt werden, dass tatsächlich Synergien oder Kooperationsrenten entstehen. Differenzierung oder Gesamtaufgabenkomplex Teilaufgaben zerlegt wird. Spezialisierung bedeutet, dass der in einer Organisation durch Arbeitsteilung in Die Teilaufgaben werden verschiedenen Entscheidungsträgern zugeteilt. Diese bearbeiten bestimmte Problemausschnitte der Gesamtaufgabe selbständig. Dadurch wird eine Zuordnung von Verantwortlichkeiten möglich. Je stärker eine Organisation differenziert ist, um so wirksamere Integrationsmechanismen müssen zur Anwendung gelangen, um die nachteiligen Folgen der Arbeitsteilung zu überwinden. Organisatorische Differenzierung kann horizontal oder vertikal erfolgen. Die horizontale Differenzierung erfolgt nach Funktionen, Produkten, Regionen, Projekten und Prozessen. Die vertikale Differenzierung beinhaltet Gliederungstiefe und Leitungsspanne. Organisatorische Integration erfolgt durch die Festlegung der Form des Organigramms und der Art der Entscheidungsverfahren. 7 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Organisationslehre Funktionen Differenzierung (Arbeitsteilung) Produkten Regionen Sichtbarer Teil des Organigramms Horizontale Differenzierung nach Projekten Prozessen Gliederungstiefe Vertikale Differenzierung Organisatorische Strukturgestaltung Leitungspanne Einlinien Mehrlinien Integration (Arbeitsverknüpfung) Matrixorganisation fallweise Entscheidungsverfahren Weisung (Unsichtbare) Bedeutung der Verbindungslinien im Organigramm Stab-Linien Organisation Konfiguration generell Standardisierung Delegation interne Preise Selbstabstimmung (Partizipation) Abbildung 3: Integration und Differenzierung Teilaufgabe Stellen Teilaufgabe Stellen Teilaufgabe Stellen Abteilung Abteilung Aufgabe Abteilung Teilaufgabe Stellen Bildung von Teilaufgaben Stellenbildung / Abteilungsbildung Abbildung 4: Vorgang der Differenzierung und Integration 8 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre 3 Organisatorische Differenzierung 3.1 Horizontale Differenzierung Organisationslehre Die horizontale Differenzierung betrifft die Ausgestaltung der Organisationsstruktur nach unterschiedlichen Prinzipien der Arbeitsteilung: nach Verrichtungen (Funktionen) oder Objekten (Produkte, Regionen, Projekte, Prozesse). Schlussendlich führt die horizontale Differenzierung zu den in Kapitel fünf behandelten Grundformen der Organisationsstruktur. 3.2 Vertikale Differenzierung Die vertikale Differenzierung beschreibt die hierarchische Detaillierung der Entscheidungsund Weisungsbefugnisse. Es werden unterschiedliche rangmässige Positionen im Stellengefüge gebildet. Sie ergeben sich aus dem Erfordernis, die einzelnen Stellen auf das übergeordnete Ziel auszurichten. Dazu gehören Überlegungen zur Gestaltung der optimalen Gliederungstiefe und der Leitungsspanne (Kieser/Kubicek 1992). 3.2.1 Gliederungstiefe Die Gliederungstiefe bestimmt über die Anzahl der hierarchischen Ebenen im Unternehmen. Je grösser die Gliederungstiefe oder vertikale Spanne einer Organisation ist, desto steiler verläuft die Pyramide des Organigramms. Die hierarchische Gliederung des Stellengefüges führt zu einer rangmässigen Differenzierung zwischen den Organisationsmitgliedern. Bei einer grösseren Gliederungstiefe wird der vertikale Informationsfluss häufiger unterbrochen. Erstens müssen mehr hierarchische Ebenen überwunden werden, und zweitens behindern Statusdifferenzen die Weitergabe von Informationen. Andererseits kann eine niedrigere Gliederungstiefe mit weniger Ebenen zu einer verlängerten Bearbeitungszeit führen, weil der Zeitbedarf für Beratungen und Diskussionen steigt. 3.2.2 Leitungsspanne Die Leitungsspanne oder Subordinationsquote einer Organisation kennzeichnet die Anzahl der Stellen, die einer Instanz direkt unterstellt sind. Es geht um die Frage, wieviele Untergebene oder Mitarbeiter eine Vorgesetzte haben sollte. Je grösser die Leitungsspanne ist, desto weniger hierarchische Ebenen müssen gebildet 9 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Organisationslehre werden. Dies führt insgesamt zu einer flacheren Form der Gesamtorganisation. Aussagen zum optimalen Umfang einer Leitungsspanne sind jedoch nicht generell möglich. Die optimale Leitungsspanne hängt hauptsächlich von zwei Bedingungen ab; von den Merkmalen der Aufgabe und vom Führungsstil. Routinisierbare, gleichförmige Aufgaben ermöglichen eine stärkere Standardisierung. Diese reduziert den Koordinationsbedarf von Vorgesetzten, so dass ihnen eine grössere Anzahl von Untergebenen unterstellt werden kann. Ein partizipativer Führungsstil erfordert eine intensive Kommunikation und Zusammenarbeit. Daraus resultiert eine geringere Leitungsspanne. 4 Organisatorische Integration Zwischen den durch die organisatorische Differenzierung geschaffenen Teilbereichen, bestehen Interdependenzen. Entscheidungen in einem Teilbereich haben Auswirkungen auf Entscheidungen in anderen Teilbereichen. Integration bedeutet, dass die interdependenten Teilaufgaben einer Organisation wieder zielgerichtet zusammengefasst werden, so dass eine geschlossene Leistungseinheit entsteht und möglichst hohe Synergieeffekte entstehen. Zur Bewältigung des Integrationsproblems gibt es verschiedene Mechanismen. Grundsätzlich kann zwischen Verknüpfung durch Leitungsbeziehungen und Entscheidungsverfahren unterschieden werden. Die Verknüpfung durch Leitungsbeziehungen zeigt auf, welche Relationen (vertikale Entscheidungsbeziehungen) zwischen den Teilbereichen bestehen (Einlinien-, Mehrlinienunterstellung), ohne dass die Form dieser Entscheidungsbeziehungen festgelegt wären. Diese Inhalte können idealtypisch als Weisungsbeziehung, als interner Markt (Preise) oder als partizipative Selbstabstimmung ausgestaltet sein. 4.1 Verknüpfung durch Leitungsbeziehungen In einer Organisation kann zwischen Leitungs- und Ausführungsaufgaben unterschieden werden. Leitungsbeziehungen regeln den Dienstweg oder den Instanzenzug in einer Organisation. Es lassen sich zwei idealtypische Grundformen unterscheiden: das Einlinienund das Mehrliniensystem. Grundprinzip des Einliniensystems ist die von Fayol (1916) entwickelte „Einheit der Auftragserteilung“. Ursprünglich war das Einliniensystem nur für das (damals vorherrschende) Entscheidungsverfahren der Weisung konzipiert. Einliniensysteme entstehen, wenn die Gesamtaufgabe des Unternehmens nach einem einzigen Kriterium in Teilaufgaben zerlegt wird. Der Dienstweg läuft nur in vertikaler Richtung des Organigramms. Der Vorteil dieses Systems besteht in der einfachen und klaren Gliederung des Beziehungsgefüges, weil Zuständigkeiten und Verantwortung eindeutig „in einer Hand“ 10 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Organisationslehre liegen. Nachteile ergeben sich aus der geringen Reaktionsgeschwindigkeit aufgrund langer, mehrstufiger Entscheidungswege. Dies kann unter Umständen zum sogenannten „Kamineffekt“ führen. Wie bei einem Kamin müssen nämlich sämtliche Informationen den gesamten Instanzenweg bis zur Unternehmensspitze durchlaufen. Dies führt zu einer Überlastung der Unternehmensspitze. Unternehmensleitung eindeutiger Dienstweg Nachgeordnete Stelle Nachgeordnete Stelle Nachgeordnete Stelle Abbildung 5: Einliniensystem Grundprinzip des Mehrliniensystems ist die Funktionsteilung und damit Spezialisierung auf der Leitungsebene. Ein Beispiel ist das von Taylor (1911) entwickelte „Funktionsmeisterprinzip“. Es bedeutet, dass die nachgeordneten Stellen für verschiedene Tätigkeiten verschiedene Vorgesetzte haben, bzw. dass mehrere Dienstwege existieren. Fachvorgesetzte Mitarbeiter Fachvorgesetzter Mitarbeiterin Mitarbeiter Abbildung 6: Mehrliniensystem Der Vorteil dieses Systems besteht in der hohen Spezialisierung der Vorgesetzten. Ausserdem bietet das Mehrliniensystem die Chance, das eindimensionale Hierarchiedenken zu reduzieren, weil es mehrere Dienstwege gibt. Dies stellt jedoch zugleich auch einen Nachteil dar: Die Vielfachunterstellung der Untergebenen kann zu Verunsicherungen und Kompetenzkonflikten führen. Ausserdem entsteht bei den vorgesetzten Stellen ein erheblicher Koordinationsaufwand. 11 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Organisationslehre Die beiden Grundformen der Leitungsbeziehungen treten in der Unternehmenspraxis in zahlreichen Mischformen auf. Die bekanntesten sind die Stab-Linien-Organisation und die Matrix-Organisation. Die Stab-Linien-Organisation ist durch die permanente Ergänzung des Einliniensystems mit Leitungshilfsstellen, den sogenannten Stäben, charakterisiert. Typische Stabsstellen sind das Controlling und die strategische Planung oder Assistenten der Geschäftsleitung. Stäbe haben die Aufgabe, die Linieninstanzen in der Entscheidungsvorbereitung fachlich zu beraten und zu unterstützen. Im Gegensatz zu den Leitungsstellen besitzen sie im Allgemeinen keine formalen Entscheidungs- und Weisungskompetenzen. Jedoch erhalten sie häufig ein sogenanntes „funktionales Weisungsrecht“ in eng begrenzten fachtechnischen Bereichen (Entscheidungsverfahren der Weisung, vgl. Kapitel 6.1). Stäbe können auch als Service Centers ausgebildet sein, deren Leistungen von den Linien angefragt und mit internen Preisen verrechnet werden (Entscheidungsverfahren interne Preise, vgl. Kapitel 6.3). Schliesslich können sie auch gleichberechtigt Partner der Linienstellen sein (Entscheidungsverfahren Selbstabstimmung, vgl. Kapitel 6.2). In diesem Fall ist der Übergang zur Matrix vollzogen. Stab Abbildung 7: Stab-Linien-Organisation Der Vorteil der Stab-Linien-Organisation besteht in der Entlastung der Linieninstanzen. Die Spezialisten helfen der Linie, Entscheidungen sachgerechter und vertiefter treffen zu können. Jedoch gibt es auch Nachteile: Ein Entscheidungsprozess besteht aus vielen aufeinander folgenden Phasen mit zahlreichen Rückkopplungsschleifen (vgl. Abb. 8). 12 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Eingabe 1 Problem 2 Suche 3 Alternativen Organisationslehre 4 5 6 7 Vergleich Entschluss Anregung Ausführung (Ergebnis) Ausgabe 8 Kontrolle Abbildung 8: Phasenschema der Entscheidung (Quelle: Martin Irle: Macht und Entscheidungen in Organisationen. Studien gegen das Linie-Stab-Prinzip. Frankfurt / Main 1971). Der Stab ist üblicherweise für die Entscheidungsvorbereitung tätig und hat keine Entscheidungs- und Weisungsbefugnis, d.h. er ist mit den Phasen 1 bis 4 befasst. Die Entscheidung und Implementation, d.h. Phasen 5 bis 8 sind Linienaufgaben. Jedoch ist die Linie oft nicht so gut wie die Stäbe über die möglichen Alternativen informiert, sie entscheidet meist nur über wenige Alternativen, oft sogar nur über eine Alternative in einer Ja-NeinEntscheidung. Daraus resultiert eine informationelle Abhängigkeit der Linie von den Stäben. Umgekehrt mangelt es den Stäben an Implementationserfahrung. Die Arbeit von Stäben wird von den Linieninstanzen oft als „Wasserkopf“ empfunden, denen gerne der Vorwurf der Praxisferne gemacht wird. Ein Ausweg ist ein hoher Partizipationsgrad zwischen Stab und Linie (Entscheidungsverfahren Selbstabstimmung, vgl. Kapitel 4.2.2). Dann aber ist die Arbeitsteilung zwischen Entscheidungsvorbereitung und Implementation durchbrochen. Bei der Matrix-Organisation kommen zwei Gliederungsprinzipien hierarchisch gleichberechtigt zur Anwendung. Es entsteht eine duale Leitungsbeziehung. An der Schnittstelle entsteht eine Doppelunterstellung und die Notwendigkeit, die sich überschneidenden Kompetenzen zum Ausgleich zu bringen. 13 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Organisationslehre Um die daraus entstehenden Konflikte im Entscheidungsverfahren „Weisungen“ zu entschärfen, wird häufig eine Kompetenzaufteilung zwischen produkt- bzw. marktorientierten und funktionsorientierten Kriterien gewählt: Die für die Produkt-Markt-Angelegenheiten zuständige Matrixstelle bestimmt das „Was“ und „Wann“ und die für die Funktionen zuständige Matrixstelle das „Wer“ und „Wie”. Ziel der Matrix-Organisation ist es jedoch eigentlich, das Entscheidungsverfahren „Selbstabstimmung“ bewusst in der Struktur zu verankern, um die Entscheidungsqualität zu erhöhen. Man erhofft sich durch die Einbringung zusätzlicher Dimensionen eine Verbreiterung der Problemsicht. Unternehmensleitung Beschaffung Produktion Marketing Produkt 1 Produktbezogenes Entscheidungssystem Produkt 2 Produkt 3 Funktionsbezogenes Entscheidungssystem Abbildung 9: Matrix-Organisation Dieses in den Schnittstellen institutionalisierte Konfliktpotential gilt als der Vorteil der MatrixOrganisation. Jedoch hat die Doppelunterstellung auch Nachteile: Die Doppelunterstellung und die Selbstabstimmung kann zu Koordinationsschwierigkeiten und Rollenambiguitäten führen, weil die Verantwortlichkeit geteilt ist. Darüber hinaus stellt die Matrix-Organisation hohe Anforderungen an die Konfliktfähigkeit und -toleranz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, insbesondere dann, wenn über die beiden Dienstwege widersprüchliche Entscheidungsimpulse kommen (Rühli 1996). 4.2 Verknüpfung durch Entscheidungsverfahren Die Verknüpfung durch Leitungsbeziehungen wird im Organigramm durch die Linien zwischen den die Abteilung und Stellen bezeichnenden Kästchen sichtbar gemacht. Hingegen wird im Organigramm nicht deutlich, welche Entscheidungsverfahren mit diesen Linien gemeint sein können. Idealtypisch können wir die folgenden drei Entscheidungsverfahren unterscheiden: Weisungen Selbstabstimmung (Partizipation) Interne Preise 14 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre 4.2.1 Organisationslehre Weisungen Weisungen stellen das traditionelle Entscheidungsverfahren in Unternehmen dar. Ältere Organisationskonzepte stellen fast ausschliesslich auf Weisungen ab. Der Vorteil dieses Entscheidungsverfahrens ist eine einheitliche Verantwortlichkeit. Der Nachteil besteht darin, dass mit diesem Verfahren die Fähigkeit der Unternehmung zur Komplexitätsverarbeitung nicht oder nur wenig erhöht wird. Das Detailwissen der Untergebenen wird nicht ausgeschöpft. Am Stärksten ist das bei der fallweisen Regelung der Fall. Hier geht die Entscheidungskapazität der Leistungseinheit nicht über die des Einzelkopfes an der Spitze hinaus. Die generelle Regelung in Form der Standardisierung und Delegation erhöhen die Entscheidungskapazität der Vorgesetzten. Sie haben eine Entlastungswirkung. Sie setzten allerdings eine klare Definition der Situation (z.B. durch klare Kennziffern) und einen umfassenden Wissensstand der Vorgesetzten voraus. Ist das nicht der Fall, kann die Einhaltung der Weisungen nicht kontrolliert und sanktioniert werden. 4.2.1.1 Standardisierung Die Standardisierung ersetzt fallweise Regelungen durch generelle Regelungen in Form von programmierten Aktivitätsfolgen. Werden sie in schriftlicher Form gegeben, spricht man von Formalisierung. Es werden klare Wenn-Dann-Regeln festgelegt. Je häufiger sie angewendet werden, desto routinisierter laufen sie ab. Die Vor- und Nachteile der Standardisierung fasst die Tabelle in Abbildung 19 zusammen. Kapazitätsaspekt bei der vorgesetzten Stelle Vorteile Nachteile Routinen ermöglichen eine Entlastung Es besteht die Gefahr der Schematisierung Möglichkeit einer grösseren Kontrollspanne Aspekt der Entscheidungsvielfalt Objektivierung und Stabilisierung von Entscheidungsprozessen wird ermöglicht Es besteht die Gefahr des Flexibilitätsverlusts Personenbezogener Aspekt bei der untergeordneten Stelle Willkürentscheidungen werden reduziert Ohnmacht gegenüber dem „Apparat“ Monotonie Abbildung 10: Vor- und Nachteile der Standardisierung 15 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre 4.2.1.2 Organisationslehre Delegation Delegation beinhaltet den Prozess der Kompetenzübertragung. Dabei handelt es sich um die vertikale Abtretung von Befugnissen und Kompetenzen an eine nachgeordnete Stelle („A oder B entscheidet“). Eine Entscheidungsaufgabe wird im Voraus in Teilentscheidungen aufgegliedert, so dass damit der Ermessens- und Entfaltungsspielraum untergeordneter Stellen erhöht wird. Sie enthalten deshalb neben programmierten Aktivitätsfolgen immer auch Zielvorgaben. Innerhalb abgegrenzter Verantwortungsbereiche sollen die betreffenden Aufgabenträger selbständig die Handlungsalternativen wählen, die das vorgegebene Ziel realisieren („Management by Objectives“). So hat etwa eine Einkäuferin die Weisung einzuhalten, bei Unterschreitung eines Mindestvorrats eine Bestellung aufzugeben (programmierte Aktivitätsfolge), Bestellmenge und Lieferant darf sie selbst wählen, solange sie ein vorgegebenes Kostenlimit einhält (Delegationsspielraum). Dabei gilt der Grundsatz der Kongruenz von Aufgabe, Entscheidungskompetenz und Verantwortung. Durch Delegation wird innerhalb des abgegrenzten Delegationsbereiches eine Ergebniskontrolle anstelle einer Verfahrenskontrolle ermöglicht. Allerdings wird die Zurechenbarkeit von nichtkontrollierbaren Umwelteinflüssen erschwert. Der Delegationsgrad ist um so höher, je unabhängiger die untergebenen Stellen in Bezug auf die Teilziele sowie die dafür einzusetzenden Mittel entscheiden können. Die Vor- und Nachteile der Delegation sind in Abbildung 20 zusammengefasst. Kapazitätsaspekt bei der vorgesetzten Stelle Vorteile Nachteile Die Vorgesetzten werden entlastet Kontrollverlust in Bezug auf Umweltrisiken Sie können sich auf wichtige Entscheidungen konzentrieren Aspekt der Entscheidungsvielfalt Entscheidungen werden „vor Ort“ gefällt Klare Situtationsdefinition ist nötig Personenbezogener Aspekt Lernprozesse fördern die Die fachliche Kompetenz Leistungsanforderungen bei der untergeordneten steigen Stelle Abbildung 11: Vor- und Nachteile der Delegation 16 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre 4.2.2 Organisationslehre Selbstabstimmung (Partizipation) Partizipation bedeutet die Beteiligung von Organisationsmitgliedern an der Willensbildung. Dies bedeutet, dass die Untergebenen und ihre Vorgesetzten anfallende Entscheidungen gemeinsam treffen („A und B entscheiden gemeinsam“). Wichtig ist, dass die Beteiligten Einfluss auf den Verlauf und den Ausgang von Entscheidungsprozessen nehmen können. Partizipation wird dabei als Variable gesehen, mit deren Hilfe die Führung nicht-autoritär gestaltet werden kann (Hill/Fehlbaum/Ulrich 1994). Wesentlicher Bestandteil einer partizipativen Abstimmung ist daher das Konsens- oder Kompromissprinzip. Der Konsens entsteht aufgrund der freien Zustimmung aller Betroffenen. Er ermöglicht eine friedliche Handlungskoordination auf der Basis von guten Gründen, von deren Richtigkeit man überzeugt ist. Kompromisse ermöglichen jedoch nur instabile Ergebnisse, weil jede Änderung der Erfolgsaussichten die einzelnen Organisationsmitglieder veranlasst, die eigene Position zu verbessern (Steinmann/ Schreyögg 2000). Kapazitätsaspekt bei der vorgesetzten Stelle Vorteile Nachteile Raum für intensivere Kommunikation Echte Partizipation ist nur mit wenigen Mitarbeitern möglich, das erfordert eine kleine Leitungsspanne Der Widerstand bei der Umsetzung ist geringer Aspekt der Entscheidungsvielfalt Höhere Wissensintegration Irrtumsausgleich Personenbezogener Aspekt bei der untergeordneten Stelle Die Identifikationsmöglichkeit mit dem Entscheidungsergebnis fördert intrinsische Motivation Es kann Gruppen- und Kompromissdenken entstehen Nicht diskussionsgewandte Mitarbeiter können schnell demotiviert werden Abbildung 12: Vor- und Nachteile der Partizipation, bzw. Selbstabstimmung Es lassen sich verschiedene Stufen der Partizipation unterscheiden, die davon abhängen, inwieweit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Entscheidungsprozesse einbezogen werden. In Abbildung 13 werden die Abstufungen verdeutlicht. 17 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Organisationslehre Formen der Entscheidungsbeteiligung Entscheidungsspielraum der Vorgesetzten Entscheidungsspielraum der Gruppe autoritär patriarchalisch beratend Vorgesetzte entscheiden und ordnen an. Vorgesetzte entscheiden; sie sind aber bestrebt, die Untergebenen von ihren Entscheidungen zu überzeugen, bevor sie sie anordnen. Vorgesetzte entscheiden; sie gestatten jedoch Fragen zu ihren Entscheidungen, um durch die Beantwortung deren Akzeptanz zu erreichen. konsultativ Vorgesetzte informieren ihre Untergebenen über ihre beabsichtigten Entscheidungen; die Untergebenen haben die Möglichkeit, ihre Meinung zu äussern, bevor die Vorgesetzten endgültig entscheiden. Die Gruppe entwickelt Vorschläge; aus der Zahl der gemeinsam gefundenen und akzeptierten möglichen Problemlösungen entscheiden sich die Vorgesetzten für die von ihnen favorisierte Lösung. partizipativ Die Gruppe entscheidet, nachdem die Vorgesetzten zuvor das Problem aufgezeigt haben und die Grenzen des Entscheidungsspielraumes festgelegt haben. Die Gruppe entscheidet; die Vorgesetzten fungieren als Koordinatoren nach innen und nach außen. Abbildung 13: Stufen der Partizipation (bzw. Selbstabstimmung) als Formen der Entscheidungsbeteiligung (Quelle: Tannenbaum/Schmidt 1958) 4.2.3 Interne Preise (Verrechnungspreise) Das Entscheidungsverfahren „interne Preise“ will dezentralisierte Entscheidungen im Sinne eines „Intrapreneurship“ ermöglichen. Die „sichtbare Hand“ des Vorgesetzten soll möglichst weitgehend durch die „unsichtbare Hand“ des internen Marktes ersetzt werden. Gelingt dies, dann wird die Verfahrenskontrolle vollständig durch Ergebniskontrolle ersetzt und es entstehen Profit Centers. Der Transfer von Leistungen zwischen den verschiedenen Gruppen wird durch Verrechnungspreise geregelt. Besitzen die Profit Centers rechtliche Selbständigkeit, handelt es sich um eine Holding. Schon 1920 schuf Alfred Sloan bei der Firma DuPont eine erste Profit Center Organisation: „Für den Leiter jedes Unternehmungsbereichs sollte die Verantwortung in keiner Weise eingeschränkt sein, so dass er alle notwendigen Funktionen umfasst und in die Lage versetzt wird, ungehindert Initiative zu entfalten und sich konsequent zu entwickeln.“ Die Profit Center-Organisation ist eine mögliche Ausprägung unterschiedlicher CenterKonzepte, von denen das Cost Center eigentlich nicht ein Profit Center darstellt, der Vollständigkeit halber hier aber erwähnt wird. Cost Centers sind Unternehmensbereiche ohne direkten Marktzugang wie z.B. eine Produktionsabteilung. Sie haben Verantwortung für die Effizienz der Leistungserstellung, d.h. 18 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Organisationslehre für die verursachten Kosten. Die zentrale Aufgabe besteht in der Minimierung des Inputs. Sie werden mit einer Kostenabweichungsanalyse aufgrund einer Plankostenrechnung ermittelt. Profit Centers sind organisatorische Teilbereiche, für die ein eigener Periodenerfolg ermittelt werden kann. Sie stellen eine Art „Unternehmen im Unternehmen“ dar, in denen das Denken nicht in Verrichtungen, sondern in Produkten oder Dienstleistungen und den dafür erzielbaren Preisen erfolgt. Die Leistung der Profit Centers soll anhand des von ihnen erwirtschafteten Gewinns beurteilt werden. Das setzt allerdings voraus, dass die Ertrags- und Aufwandsgrössen eindeutig zurechenbar sind. Profit Centers sollten idealerweise einen eigenen Marktzugang haben, allerdings ist dies häufig nicht möglich. Statt Marktpreise müssen dann intern ausgehandelte Verrechnungspreise verwendet werden. Investment Centers sind Unternehmensbereiche mit der weitgehendsten Autonomie; im Unterschied zum Profit Center treffen sie auch Investitionsund Desinvestitionsentscheidungen, die auch das Eigen- und Fremdkapital betreffen. Sie haben damit Renditeverantwortung und werden durch den am investierten Kapital relativierten Gewinn des Teilbereichs gemessen. Organisationsbereiche Ziele Cost Center kostenorientiert, Ausgabenkontrolle durch bei i.d.R. kein direkter Zugang Plankostenrechnung vorgegebenem Output zum Absatzmarkt zwecks Kosteneffizienz Profit Center Ergebnisverantwortung Gewinn als Differenz von durch Eigenständigkeit im Aufwand und Ertrag bei Wertschöpfungsund gegebenem Kapitaleinsatz Absatzbereich Ziel ist die GewinnObjektoder maximierung spartenstrukturierte Bereiche Investment Center Renditeverantwortung, d.h. Gewinn bei bestimmbarem Autonomie über Kapitaleinsatz: ROI, Gesamtvermögen Shareholder Value Objektspartenstrukturierte Bereiche oder Ziel ist das Unternehmertum interne Abbildung 14: Center-Konzepte 19 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Organisationslehre Aber auch Profit Centers und Investment Centers enthalten in den meisten Fällen je nach Ausprägung der Verrechnungspreise mehr oder weniger starke Elemente der beiden anderen Entscheidungsverfahren „Weisung“ oder „Selbstabstimmung“. Die Ausprägungen lassen sich grob nach drei Typen zusammenfassen: marktorientierte Verrechnungspreise, kostenorientierte Verrechnungspreise und Verrechnungspreise als Ergebnis von Verhandlungen. Alle Formen finden rein oder gemischt in der Unternehmenspraxis Verwendung. Eine Beurteilung der Profit-Organisation kann deshalb erst erfolgen, wenn das hauptsächliche Verbindungselement, nämlich die Art der zugrunde gelegten Verrechnungspreise, genauer betrachtet wird (Frost/Osterloh 2002). 4.2.3.1 Marktorientierte Verrechnungspreise Grundidee ist, dass ein vergleichbarer Marktpreis als Ausgangsbasis für die Verrechnungspreisgestaltung herangezogen wird. Marktorientierte Verrechnungspreise sind nur sinnvoll, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: Ein vergleichbarer Marktpreis muss verfügbar sein, d.h., es existiert ein externer Markt für die anzubietende Leistung oder das Zwischenprodukt. Abnehmende und liefernde Bereiche des Unternehmens haben freien Zugang zu diesem Markt. Es handelt sich bei den Lieferungen um standardisierbare oder substituierbare Leistungen, die nicht zu Synergieeffekten zwischen den beteiligten Unternehmensbereichen führen und die nicht strategisch relevant sind. Strategisch relevante Ressourcen wie etwa die Kernkompetenzen eines Unternehmens sind nicht standardisier- und substituierbar. Für sie gibt es deshalb keine marktorientierten Verrechnungspreise Es besteht das Prinzip der Transferautonomie, d.h., der beziehende Bereich darf selbständig entscheiden, ob intern oder extern beschafft werden soll. Gerade das Prinzip der Transferautonomie wird in der Unternehmenspraxis jedoch vielfach eingeschränkt. So kommt beispielsweise in vielen Unternehmen das sogenannte „Last-Call“Prinzip zur Anwendung. Bis zur endgültigen Vergabe des Auftrags an einen externen Zulieferer haben die unternehmenseigenen, internen Zulieferer die Möglichkeit, den Auftrag zu den Konditionen des günstigsten externen Anbieters zu übernehmen. Noch einschränkender ist die Regelung, den abnehmenden Bereichen einen obligatorischen interner Bezug bei vergleichbaren Angeboten vorzuschreiben. Aber auch wenn das nicht der Fall ist, wird häufig auf Spartenleiter ein „sozialer Druck“ zum internen Bezug ausgeübt, nach dem Motto „Du kannst mich doch hier jetzt nicht hängen lassen, ich habe die Grössen bereits fest als Lieferung verbucht“. 20 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre 4.2.3.2 Organisationslehre Kostenorientierte Verrechnungspreise Die Basis für kostenorientierte Verrechnungspreise stellen die wertmässigen Kosten bei der Erstellung einer internen Leistung dar. Die Kosten sind aus dem Rechnungswesen abzuleiten. Das ist zugleich der unbestreitbare Vorteil dieser Art von Verrechnungspreisen, weil diesen Daten ein „Flair von Integrität und Zuverlässigkeit“ zugrunde liegt. Der Nachteil besteht darin, dass sie nicht dezentral wie bei den marktorientierten Verrechnungspreisen ermittelt werden können. Die zugerechneten Kosten enthalten deshalb immer Elemente von Weisungen. Die folgende Tabelle gibt einen kurzen Überblick über die wesentlichsten Merkmale zweier verschiedener Verrechnungspreistypen, nämlich auf der Basis von Vollkosten und die sogenannte „CostPlus“-Methode. Vollkosten Cost Plus bilden (im Durchschnitt) die gesamten Ist-Kosten des leistenden Bereichs ab Problem I: Schlüsselung der Fix- und Gemeinkosten Problem II: kein Rationalisierungsdruck Vollkosten mit prozentualem (Marktpreisfiktion) variablem, i.d.R. Gewinnaufschlag Liefernder Bereich erhält einen Gewinn zugeschrieben Probleme I Vollkosten und II wie bei den Problem III: Anreiz für liefernde Bereiche, Kosten hoch anzusetzen in der Praxis sehr beliebt Abbildung 15: Kostenorientierte Verrechnungspreise 4.2.3.3 Verrechnungspreise als Ergebnis von Verhandlungen Grundidee dieser Form der Verrechnungspreisgestaltung ist es, durch direkte Verhandlungen der beteiligten Bereiche eines Unternehmens ein „Service-“ oder „Product-Level-Agreement“ zu erzielen. Es handelt sich dabei um eine Vereinbarung, welche Produkte und Leistungen zu welchem Preis erbracht werden sollen. Dahinter steht der Gedanke, einen Ausgleich zwischen Grenzkosten und Grenznutzen auf dem Wege der Selbstabstimmung zu erzielen, um den Gewinn des Gesamtunternehmens zu maximieren. 21 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Organisationslehre Die Verhandlungslösung eignet sich auch für den Transfer nicht-standardisierbarer Güter und Leistungen, für die es keinen (Markt-) Preis gibt. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn es sich um strategisch relevante Ressourcenbündel handelt. Finden die Verhandlungen direkt zwischen den beteiligten Bereichen statt, erhalten diese eine erhöhte Autonomie und Ergebnisverantwortlichkeit. Hinzu kommt, dass der Aufwand für eine zentrale Festlegung und Anordnung der Verrechnungspreise entfällt. Allerdings sollte kein Transferzwang vorliegen, weil sonst eine interne Monopolsituation besteht. Es besteht die Gefahr, dass ein Verhandlungspartner seine Verhandlungsmacht ausspielt. 4.2.3.4 Vor- und Nachteile der Profit Center-Organisation Ein Vorteil ist, dass die Profit Center-Leiterinnen und –Leiter in ihren Teilbereichen wie selbständige Unternehmer/innen agieren. Verrechnungspreise haben in diesem Fall eine Indikatorfunktion für die Profitabilität ihrer Bereiche. Die erhöhte Autonomie der Profit CenterLeitung kann motivationsfördernd wirken. Ein Nachteil sind die eingeschränkten Koordinationswirkungen, weil Synergien nur unzureichend berücksichtigt werden können. Jeder Transfer zwischen diesen Bereichen sollte durch Preise regelbar und mit der Leistung externer Anbieter vergleichbar sein. Es können deshalb kaum Verbundwirkungen (Synergien) entstehen. Insbesondere der Wissenstransfer und die Generierung eines gemeinsamen Wissens werden durch den Wettbewerb zwischen den Profit Centers erschwert. Um dennoch Synergievorteile realisieren zu können, besteht häufig Transferzwang für die eigenen Teilbereiche, verbunden mit kostenoder verhandlungsorientierten Verrechnungspreisen. In diesen Fällen ist jedoch eine Koordinationsleistung durch die zentrale Planung zu erbringen, womit die eigentlich beabsichtigten Koordinationswirkungen der Verrechnungspreise abgeschwächt werden. Ausserdem beeinträchtigt der Transferzwang die Motivation der Profit Center-Leiterinnen und -Leiter, weil deren Entscheidungsautonomie wiederum eingeschränkt wird. 5 Grundformen der Organisationsstrukturen Die Grundformen von Organisationsstrukturen sind das Resultat einer horizontalen Differenzierung. Die horizontale Differenzierung kann erfolgen nach Verrichtungen (Funktionen) oder Objekten (Produkte, Regionen, Projekte, Prozesse). Dabei führt eine funktionsorientierte Gliederung zu der Funktionalorganisation, eine objektorientierte Gliederung führt zur Divisionalorganisation. Divisionen können ihrerseits produkt-, regions-, projekt- oder prozessorientiert ausgerichtet sein. Für die Klassifikation in Funktional- und Divisionalorganisation ist jeweils die zweite Hierarchieebene unterhalb der Unternehmensleitung massgebend. In der Regel stellen Organisationsstrukturen in der Praxis eine Mischung aus verschiedenen Prinzipien dar. 22 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre 5.1 Organisationslehre Die funktionale Organisation Die funktionale Organisationsstruktur stellt in der Entwicklung der Industriebetriebe die älteste Organisationsform dar. Die Gliederung eines Unternehmens nach dem Funktions- oder Verrichtungsprinzip bedeutet die Bildung von Teilbereichen, die alle für eine homogene Gruppe von Handlungen notwendigen Kompetenzen auf sich vereinen. Aus diesem Grund wird die Funktionalorganisation hauptsächlich bei Unternehmen mit einem stabilen, homogenen Produktprogramm verwirklicht. Die Funktionsleiterinnen oder -leiter führen ihre Ressortbereiche in der Regel kostenorientiert nach Vorgabe von Budgets (Cost Center, vgl. Kapitel 6.3). Im Fall von Industriebetrieben bestehen diese Kerntätigkeitsfelder typischerweise aus den Bereichen Forschung & Entwicklung, Beschaffung, Produktion, Marketing und Verwaltung. Geschaefts -leitung Einkauf Produktion Verkauf Personal Abb. : Funktionalorganisation Abbildung 16: Funktionalorganisation Der Vorteil der Funktionalorganisation besteht darin, dass eine relativ exakte Dimensionierung der sachlichen und personellen Ressourcen gewährleistet ist. Leerkapazitäten und Doppelspurigkeiten können vermieden werden. Des Weiteren können Grössenvorteile („economies of scale“) wie beispielsweise Kostendegressionseffekte durch grosse Losgrössen in der Fliessfertigung realisiert werden. Schliesslich führt die Orientierung an der fachlichen Spezialisierung der Aufgabenträger zu Lerneffekten, d.h. einer Steigerung von spezifischen Fertigkeiten. Jedoch weist die Funktionalorganisation aufgrund der internen Leistungsverflechtung auch erhebliche Nachteile auf: Je diversifizierter das Leistungsprogramm des Unternehmens ist (z. B. nach Produkten oder Regionen), desto weniger kommen Spezialisierungsvorteile zum Tragen. Dies deshalb, weil die Koordinations- und Abstimmungsanforderungen zwischen den einzelnen organisatorischen Funktionalbereichen zunehmen. Des Weiteren lässt sich in funktional organisierten Unternehmen oft ein ausgeprägtes „Funktionsdenken“ beobachten, wodurch das Gesamtoptimum gefährdet werden kann. Die zentrale Koordination obliegt der Unternehmensleitung, die damit aber schnell überfordert ist. In diesem Fall wird das Gesamtziel allenfalls im „Blindflug“ angesteuert. Die Verantwortung für organisatorische 23 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Organisationslehre Ineffizienzen kann kaum mehr angemessen lokalisiert werden. Sie kann deshalb leicht anderen Bereichen zugeschoben werden. Im schlimmsten Fall tritt der Zustand der „organisierten Unverantwortlichkeit“ ein, in dem sich niemand gegenüber den Kunden verantwortlich fühlt. Bei einem diversifizierten Leistungsprogramm ist die Funktionalorganisation anderen Organisationsformen in Bezug auf die Realisierung von Synergien unterlegen, welche alle die für die Verwirklichung eines Auftrages notwendigen Entscheidungskompetenzen in einem organisatorischen Bereich vereinen. Board of Directors Secretary of the Board CEO Aeropolitical Affairs Environmental & Public Affairs Corporate Communications Secretary General Technical Development Flight Operations Strategy & Network Sales & Marketing Products & Services Human Resources Finance Corporate Services Abbildung 17: Beispiel einer funktionalen Organisation: Organigramm der Swiss per 2002 5.2 Die produktorientierte Organisation In der produktorientierten Organisation sind die organisatorischen Einheiten nach produktbezogenen Teilbereichen (Objekten) gegliedert. Alle Verrichtungen, die zu einer Produktgruppe oder Dienstleistungsart gehören, werden als eigenständige Division, Sparte oder als eigenständiger Geschäftsbereich geführt. In seiner historischen Analyse konnte Chandler (1962) am Beispiel der amerikanischen Unternehmen DuPont und General Motors zeigen, dass die produktorientierte Organisation als Folge einer Strategie der Diversifikation in neue Produkte und Märkte entstand. Die traditionelle Funktionalorganisation genügte den Koordinationsanforderungen eines Unternehmens mit diversifiziertem Mehrproduktprogramm nicht mehr. Die Produkt- bzw. Spartengliederung befindet sich auf der zweiten Ebene, d.h. unmittelbar unterhalb der Unternehmensleitung. Dadurch entstehen kundenorientierte Kompetenzbündel für die jeweilige Spartenleitung. Die darauffolgenden Ebenen innerhalb der Sparten sind jedoch häufig wieder funktional gegliedert. 24 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Organisationslehre Lektorat Belletristik Sachbücher Zeitungen Zeitschriften Abbildung 18: Produktorientierte Organisation Abb. : Produktorientierte Organisation Der Vorteil der produktorientierten Organisationsstruktur besteht darin, dass bei einer Verwirklichung des Konzepts in reiner Form alle für ein Objekt notwendigen Kompetenzen in einer Entscheidungseinheit vereint sind, so dass „economies of scope“ oder Breiteneffekte realisiert werden können. Die einzelnen Sparten sind für ihren Erfolg verantwortlich und können als Profit Center ausgestaltet werden (vgl. Kapitel 6.3). Gegenüber der funktionalen Organisation besteht eine wesentlich stärkere Kundenorientierung sowie die Fähigkeit, schnell und flexibel auf Marktänderungen reagieren zu können. Allerdings hat die produktorientierte Organisation auch Nachteile: Bei einer konsequenten Spartengliederung wird auf die Ausnutzung von Grössenvorteilen („economies of scale“) verzichtet. Sind bestimmte Funktionsbereiche - wie beispielsweise die Absatztätigkeiten - in mehreren Sparten parallel vorhanden, kommt es zu ineffizienten Doppelspurigkeiten. Chairman, President and Chief Chairman, President and Chief Executive Officer Executive Officer Finance/AdFinance/Administration ministration Controlling Corporate Developm. Human Resources Treasury Real Estate Tax, Liccensing, Customs Information Systems Measurement Measurement Components Medical Chemical Analysis HP Prod. Processes Test & Measurement Inkjet Inkjet Products Products Inkjet Technol. Home Solutions Office Solutions CPG Operations WW Consumer Sales Laserjet Laserjet Solutions Solutions Personal Laserjets Commerc. Laserjets Hardcopy Solution Services Appliances & Scanner Commerc. Channels Personal Personal Systems Systems Information Storage Business PC Organisation Home Products Workstation Systems Commeric. Channels Enterprise Enterprise Computing Computing Solutions Solutions Enterprise Systems & Software Enterprise Marketing Financing & Complements Customer Service & Support Abbildung 19: Beispiel einer überwiegend produktorientierten Organisation: Organigramm Hewlett Packard Company per 22.3.1999 25 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre 5.3 Organisationslehre Die Regionalorganisation Die zunehmende Multinationalität vieler Unternehmen hat die Regionalorganisation zu einer wichtigen Organisationsform werden lassen. Die Regionalorganisation ist ein divisionales Strukturkonzept, bei der die organisatorischen Teileinheiten nach geographisch oder regional abgrenzbaren Merkmalen gebildet werden. Jede Einheit trifft Entscheidungen über den Einsatz von Ressourcen für sämtliche Funktionen eines bestimmten Regionalbereichs (Frese 2000). In der Unternehmenspraxis erweist sich eine regionale Differenzierung häufig als historisch gewachsen und wird oft mit einer produktoder funktionalbezogenen Spezialisierung zu einer zweidimensionalen Organisationsstruktur kombiniert (vgl. Kapitel 4.1) Logistik Schweiz EU Amerika Asien Abbildung 20: Regionalorganisation Die Vorteile der Regionalorganisation ergeben sich durch das einheitliche, koordinierte Auftreten auf einem regional abgegrenzten Markt. Dies ist vorteilhaft, wenn zum Einen unterschiedliche räumliche Märkte eine differenzierte Produktpolitik erfordern und zum Anderen standortgebundene Aktivitäten erforderlich sind. So erfordert beispielsweise die Realisierung grosser Bauvorhaben den ständigen Kontakt mit Marktpartnern vor Ort. Ihre hohe Autonomie wirkt sich positiv auf die Motivation der regionalen Einheiten aus. Wie alle divisionalen Organisationsformen kann die regionale Organisation als Profit Center ausgestaltet werden. Die Nachteile der Regionalorganisation bestehen ebenso wie in der produktorientierten Organisation darin, dass eine Gliederung nach dem Regionalprinzip die Realisierung von Spezialisierungsvorteilen verhindert. 26 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Organisationslehre Winterthur Gruppe CFO Schweiz Deutschland CIO Europa Nordam., Asien, Pazifik Winterthur Int. Private und berufliche Vorsorge Abb. : Organigramm der Winterthur Versicherungen Abbildung 21: Beispiel einer regionalorientierten Organisation: Organigramm der Winterthur Gruppe per Mai 1999 5.4 Die Projektorganisation Projekte sind „Unternehmen auf Zeit“. Daraus leiten sich die Hauptaufgaben der Projektorganisation ab: die Bewältigung von Singularität (Einzigartigkeit), Komplexität und relativer Neuartigkeit, zeitliche Befristung sowie ein funktionsübergreifender Aufgabenumfang. Der entscheidende Vorteil von Projektorganisationen besteht darin, dass sie ein hohes Mass an Flexibilität bieten und damit besonders für die Bearbeitung von innovativen Aufgaben geeignet sind. Daraus resultiert aber zugleich auch ein Nachteil: Projektaufgaben bringen „ein instabiles Element in ein auf Dauer angelegtes organisatorisches System“ (Frese 2000, S. 500). Je höher dabei der Anteil an mitwirkenden Unternehmensbereichen ist, desto aufwendiger wird die Koordination. Es gibt viele verschiedene Varianten der Projektorganisation, die sich jedoch alle in dem Spannungsfeld zwischen der Ausrichtung der Gesamtorganisation auf die Projekterfordernisse einerseits und der Abwicklung von Projektaufgaben im Rahmen der bestehenden Organisation andererseits bewegen. Die drei bekanntesten Varianten sind die Projekt-Stabs-Organisation, die Matrix-Projekt-Organisation und die reine Projektorganisation. Alle drei Varianten sind Beispiele für unterschiedliche Leitungsbeziehungen (vgl. Kapitel 4.1) 27 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Organisationslehre Unternehmensleitung Unternehmensleitung Projekt ProjektAA Projekt ProjektBB Beschaffung Beschaffung Produktion Produktion Marketing Marketing Verwaltung Verwaltung Abbildung 22: Projekt-Stabs-Organisation Die Projekt-Stabs-Organisation wird häufig auch als Einfluss-Projektorganisation oder Projektkoordination bezeichnet. Die Projektaufgaben werden wie Stabsaufgaben von einem Projektteam wahrgenommen. Dieses ist hauptsächlich mit der Informationssuche und bearbeitung sowie der Entscheidungsvorbereitung beschäftigt, da die Projektstäbe gegenüber der Linie nicht weisungsbefugt sind. Wichtige Projektentscheidungen werden von den übergeordneten Instanzen getroffen. Aufgrund seiner Fachkompetenz und seines hohen Informationsstandes hat ein Projektstab aber häufig die Möglichkeit der informellen Koordination, das heisst er hat faktisch einen stärkeren Einfluss auf die Projekte als es der eigentlichen Stabskonzeption entspricht. Bei der Matrix-Projekt-Organisation werden die Projekte als gleichberechtigte Dimensionen dem funktions- oder objektbezogenen Entscheidungssystem hinzugefügt. Damit wird eine Kompetenzaufteilung zwischen der Linie, die für die Erfüllung permanenter Aufgaben zuständig ist, und dem projektbezogenen Leitungssystem vollzogen. Die Projektleiter sind für die Definition und Ausgestaltung der erhaltenen Leistungsaufträge zuständig. Das bedeutet, dass die Mitglieder eines Projektteams gleichzeitig von zwei Instanzen Anweisungen erhalten. Der Vorteil besteht darin, dass diese Schnittstellen als Basis für eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Projektteam und Mitarbeitern der übrigen Instanzen wirken können. Dadurch lassen sich Abstimmungsschwierigkeiten zwischen den Projekt- und Linienaufgaben verhindern. Andererseits sind die Schnittstellen zwischen den horizontalen Kompetenzlinien des Projektteams und den vertikalen der übrigen Instanzen immer wieder Ursache für Konflikte, weil zwischen den auf die Ideenfindung spezialisierten Projektteams und den auf die Implementierung dieser Ideen spezialisierten Linienfunktionen organisatorisch getrennt wird. 28 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Organisationslehre Unternehmensleitung Beschaffung Produktion Marketing Projekt A Projektbezogenes Entscheidungssystem Projekt B Projekt C Funktionsbezogenes Entscheidungssystem Abbildung 23: Matrix-Projekt-Organisation Die reine Projektorganisation hat den nachhaltigsten Einfluss auf die bestehende Organisation. Es werden zeitlich befristete Organisationseinheiten (Task Forces) für die ausschliessliche Erfüllung der Projektaufgaben geschaffen. Diese sind ausschliesslich für die Erfüllung von Projektaufgaben zuständig. Dabei greifen die Projektteams auf eigene projektspezifische Ressourcen zurück. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eines Projektes werden von ihren bisherigen Linienfunktionen freigestellt und diesen selbständigen Projektbereichen zugeteilt. Die Projekt-Koordinatoren haben volle Weisungsbefugnis gegenüber diesen Mitarbeitern. Häufig werden für die Bearbeitung der Projektaufgabe auch noch Unternehmensexterne hinzugezogen. Die Mitarbeit in einem solchen Projektteam ist häufig anspruchsvoll, weil ein hoher Grad an Eigenverantwortlichkeit notwendig ist. Andererseits kann die Unsicherheit der beteiligten Projektteammitglieder über ihren Status nach Abschluss des Projektes Motivationsprobleme mit sich bringen. So kann die mangelnde Kontinuität der Arbeitsbedingungen zu der Befürchtung führen, Nachteile bei der Eingliederung in die Linienorganisation in Kauf nehmen zu müssen. Unternehmensleitung Projekt B Projekt A Projekt-Managerin A Projekt-Manager B Abbildung 24: Reine Projektorganisation 29 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre 5.5 Organisationslehre Die Prozessorganisation Die Prozessorganisation ist noch ein sehr junges Organisationskonzept, das im Zuge der „Business-Reengineering-Welle“ grosse Popularität erlangt hat (Hammer/Champy 1994). Grundidee ist, Prozesse als organisatorisches Strukturierungs- oder Segmentierungskriterium heranzuziehen (Osterloh/Frost 2003). Organisatorische Prozesse bilden inhaltlich abgeschlossene Erfüllungsvorgänge und umfassen (im Idealfall) alle für die Erbringung einer Leistung notwendigen Aktivitäten (Gaitanides 1983). Insofern stellt die Prozessorganisation eine besondere Form der Profit Center-Organisation dar. Sie setzt ebenfalls eine divisionale Gliederung voraus. Die unternehmensinterne Wertschöpfungskette ist nicht mehr auf mehrere organisatorische Einheiten oder Profit Centers aufgeteilt. Vielmehr wird sie so gestaltet, dass eigenständige Zuständigkeitsbereiche ohne (oder mit möglichst wenig) Schnittstellen entstehen. Organisationale Schnittstellen bedeuten nämlich immer eine Unterbrechung des ganzheitlichen Aufgabenzusammenhangs. Jede Schnittstelle ist erstens eine Liegestelle, weil zeitliche Abstimmungsprobleme bei der Übergabe entstehen, zweitens eine Irrtumsquelle, weil Informationsverluste über den gesamten Aufgabenzusammenhang entstehen und drittens eine Quelle der organisatorischen Unverantwortlichkeit, weil Fehler und Unzulänglichkeiten nur noch schwer zurechenbar sind. Die Folge ist eine aufwendige Abstimmung über Stellen, Abteilungen und Unternehmensbereiche hinweg. Ziel der Prozessorganisation ist die Schaffung möglichst durchgängiger Prozesse vom Kunden bis zum Lieferanten als „kundenorientierte Rundumbearbeitung“. Damit wird der Kunde sozusagen ins Organigramm hineingeholt, weil eine unmittelbare Rückkoppelung möglich ist. Die Prozessorganisation ist durch drei wichtige organisatorische Elemente gekennzeichnet (Osterloh/Frost 2003): Kernprozesse, Supportprozesse und Kompetenzzentren. Jeder Prozess soll einem Team zugewiesen werden, das sich partizipativ organisiert. Kernprozesse sind strategisch relevante Wertschöpfungsprozesse, die aus den Kernkompetenzen des Unternehmens abgeleitet werden. Kernprozesse sollten immer einen externen Marktkontakt haben, weil sie alle Aktivitäten umfassen, die zur Erfüllung eines Kundenauftrags benötigt werden. Sind einzelne Kernprozesse zu umfangreich für ein Team, so kann eine weitere horizontale Aufteilung nach Komplexität der Teilprozesse oder nach Kundengruppen erfolgen. Supportprozesse erfüllen unterstützende Aufgaben und haben eine Zulieferfunktion für die Kernprozesse. Dies bedeutet, dass die Leistungsverflechtung zwischen Kern- und Supportprozess so gering ist, dass der Supportprozess als eigenständige Leistung in Form eines Profit Centers separierbar ist. Kompetenzzentren sind nach dem Funktionsprinzip gegliederte Abteilungen. Sie bieten spezifische Fachkenntnisse an, die aufgrund der Realisierung von Spezialisierungsvorteilen nicht in die Kernprozesse eingegliedert sind (z.B. Finanzabteilung, Controlling, Recht). Wichtig ist, dass Kompetenzzentren ebenso wie die Kernprozesse zum Wettbewerbsvorteil des Unternehmens beitragen. Im Unterschied zu den Kernprozessen haben sie jedoch keinen direkten Kundenkontakt. 30 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Organisationslehre Abbildung 25: Prozessorganisation Der Vorteil der Prozessorganisation liegt darin, dass sie die Koordinationsaufgaben besonders gut erfüllt, weil sie die Schnittstellenproblematik besser löst als die meisten herkömmlichen Organisationskonzepte. Verschiedene Tätigkeiten werden funktionsübergreifend verzahnt. Dies ermöglicht die Realisierung hoher Synergien. Dadurch wird der Koordinationsaufwand auf ein Minimum reduziert, weil die Abhängigkeit von Leistungen anderer Organisationseinheiten aufgrund unterschiedlicher Aufgaben, Zeit- und Zielprioritäten abnimmt. Nachteile könnten bezüglich der Realisierung von Spezialisierungsvorteilen entstehen, wenn lediglich Prozesse betrachtet werden, weil die Spezialisten auf die einzelnen Prozesse verteilt wären. Durch die Gestaltung von Kompetenzzentren können aber auch in der Prozessorganisation Spezialisierungsvorteile realisiert werden. Allerdings treten dann wieder Schnittstellen auf. 31 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Organisationslehre Das Catering - Unternehmen Gate Gourmet Genf Unternehmen und Umfeld Gate Gourmet ist das zweitgrösste Airline-Catering-Unternehmen der Welt. Das Unternehmen bedient pro Jahr 300 Millionen Passagiere aller grossen Airlines. Gate Gourmet umfasst 152 Betriebe in 33 Ländern auf sechs Kontinenten und beschäftigt rund 26'000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Am 4. Februar 2002 wurde Gate Gourmet von der Swissair Gruppe an die Texas Pacific Group verkauft. Früher waren die Catering-Aktivitäten meist eine Abteilung innerhalb der Fluggesellschaften. Heute konzentrieren sich die Fluggesellschaften mehrheitlich auf ihr Kerngeschäft: den Transport in der Luft. Die Bereiche, die nicht zu diesem Kerngeschäft gehören, sind als eigenständige Tochterunternehmen im Wege des Outsourcing verselbständigt worden. So hat auch Swissair 1992 die Cateringabteilung in der Schweiz ausgegliedert. Das Ziel der wirtschaftlichen Unabhängigkeit von der Swissair wurde durch die juristische Verselbständigung mit der Bildung einer eigenen Holding bekräftigt. Die aktuelle Situation auf dem Airline-Catering-Markt ist gekennzeichnet durch: - Zunehmenden Kostendruck aufgrund der Deregulierung im Fluggeschäft. - Globalisierung und Konzentration auf wenige Unternehmen: Einzelne regional operierende Catering-Betriebe sind gegenüber ‘global players’ im Alleingang nicht mehr konkurrenzfähig, weil viele international operierende Airlines rund um den Erdball dasselbe Catering-Unternehmen engagieren wollen (‘single sourcing’). - Ebenso wie in den USA wird auch in Europa im Kurzstreckenbereich das Angebot an Mahlzeiten immer mehr reduziert. - Zunehmende Bedeutung der ökologischen Aspekte, d.h. steigende Entsorgungs- und Recyclingkosten bei einigen Destinationen. - Verschärfung der Konkurrenz durch Return-Catering: Den Airlines gelingt es zunehmend, ihre Flugrouten so zu koordinieren, dass die Flugzeuge fast nonstop in der Luft sind. Verlässt beispielsweise ein Flugzeug von British Airways morgens um halb acht London Richtung Genf, um etwa gegen 11.00 Uhr wieder zurück nach London zu fliegen, so kann bereits in London für beide Flüge vorgesorgt werden. Mit dem Return-Catering erhöht sich die Anzahl der Konkurrenten schlagartig, weil jedes europäische Catering-Unternehmen zum unmittelbaren Konkurrenten werden kann. Im Folgenden konzentrieren wir uns auf den Catering-Betrieb Gate Gourmet Genf, der für das Reengineering-Pilotprojekt von der Geschäftsleitung ausgewählt wurde. Im Betrieb Genf werden täglich 6‘350 Mahlzeiten mit rund 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern produziert. Damit ist Gate Gourmet Genf eine mittelgrosse ‘Flight Kitchen’. Täglich werden rund 111 Flüge ‘abgewickelt’, d.h. mit Mahlzeiten und sonstiger Ausrüstung versorgt. Eine 32 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Organisationslehre Besonderheit des Genfer Flughafen sind zahlreiche VIP-Flüge von Fluggästen der internationalen Organisationen wie der UNO sowie Privatflüge. Ausgangslage: Das Catering Geschäft von Gate Gourmet Das Produkt Was genau ist die Aufgabe eines Catering-Unternehmens? Kunden sind die Fluggesellschaften und nicht die Flugpassagiere. Bei den meisten Fluggesellschaften gibt es innerhalb der Marketingabteilung einen Bereich, der für die ‘Verpflegung der Passagiere an Bord’ zuständig ist. Der Servicebereich an Bord einer Maschine gilt im Fluggeschäft als eine der wenigen Möglichkeiten zur Angebotsdifferenzierung und Imagepflege. Deshalb wird die Gestaltung der Verpflegung und des sonstigen Serviceangebotes als wichtiges Marketinginstrument von den Fluggesellschaften selbst geplant. Die Catering-Betriebe arbeiten streng nach deren Vorgabe: Die MahlzeitenSpezifikationen halten beispielsweise fest, auf welcher Seite des Tabletts der Orangensaft zu platzieren ist und dass 40 Gramm Pouletsalat pro Teller mit dem Viertel einer 30 Gramm Tomate zu garnieren ist. Das Ganze ist schliesslich noch auf dem Geschirr der Fluggesellschaft anzurichten, wobei Economy-, Business- und First Class unterschiedliches Geschirr und Besteck haben. Darüber hinaus ist der Catering-Betrieb zuständig für die Zusammenstellung aller Gegenstände, die an Bord benötigt werden: für Handtücher, Zeitungen, Einreiseformulare, bis hin zu Zahnstochern und zollfreien Artikeln. Für einen Langstreckenflug summiert sich das auf über 20’000 Artikel, die in kleinen Metallwagen (Trolleys) verstaut werden. Ein Catering-Betrieb muss deshalb eine umfangreiche Lagerhaltung und Logistik steuern, um den Differenzierungswünschen der einzelnen Fluggesellschaften gerecht zu werden. Aufgabe des Catering-Unternehmens ist es, eine den Passagieren entsprechende Anzahl Mahlzeiten und Zubehör rechtzeitig vor Abflug an Bord zu liefern. Einige Fluggesellschaften bezahlen nur so viele Mahlzeiten, wie sich tatsächlich Passagiere an Bord befinden. Reservemahlzeiten gehen dann zu Lasten des Catering-Betriebes. Da sich die Anzahl der Passagiere häufig bis kurz vor dem Abflug ändert, steht der CateringBetrieb vor dem Problem, entweder eine Reserveproduktion für alle Fälle bereitzuhalten, die dann im Zweifelsfall nicht bezahlt wird oder aber wenige ‘last minute-Mahlzeiten’ teuer nachzuproduzieren. 33 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Organisationslehre Die Organisationsstruktur Abbildung 18 zeigt das alte Organigramm des Genfer Betriebes von Gate Gourmet: General Management Human Ressourcen Organisation / Koordination Qualität / Hygiene Einkauf/Logistik Bestellungen Lagerwesen Rechnungswesen Informatik Controlling Food Production Kalte Küche Warme Küche Bäckerei Patisserie Tray Setting Portioning Operations Transport Kabinenausrüstung Geschirr Abwäscherei Getränke sales on board Abbildung 26: Das alte Organigramm von Gate Gourmet Genf Es gibt vier funktionale Bereiche: Einkauf und Lagerhaltung, Rechnungswesen und Informatik, Produktion von Mahlzeiten (Food Production) sowie ‘Operations’ (Be- und Entladung der Flugzeugkabinen). Als Zentralbereiche sind ausgegliedert: Personalwesen, Hygiene- und Qualitätsprüfung sowie Organisation. Die Produktion der Mahlzeiten hat im Betrieb einen wichtigen Stellenwert. Kein Wunder, ist doch hier alles untergebracht, was zu einer professionellen Küche gehört: ein Rüstbereich (Salatwaschen usw.), kalte Küche, warme Küche, Fischküche, Bäckerei, Patisserie und schliesslich Anrichte (Portioning) sowie Bestückung der Tabletts (Tray-setting). Im Portioning-Bereich werden die verschiedenen vorbereiteten Gerichte auf den Tellern platziert. Der Tray-Setting-Bereich ist dafür zuständig, die Tabletts anzurichten. Der Bereich ‘Operations’ ist für alle Getränke und die Standardausrüstung zuständig. Diese werden ebenfalls in Trolleys oder Boxen verstaut. Aufgabe dieses Bereichs ist ausserdem die gesamte Entsorgung des Flugzeugs: Ausräumen der gebrauchten Trolleys, Müllentsorgung, Abwaschen der Trolleys, des Geschirrs und des Bestecks in riesigen Waschstrassen, wobei Trolleys, Besteck, Gläser sowie Geschirr in je eigenen Waschanlagen gereinigt werden. Am Ende eines jeden Waschganges wird das Besteck automatisch sortiert, das Geschirr nach Gläsern, Tellern, Tassen, Schälchen geordnet, verpackt und ins Lager zurückbefördert. Später holen sich Mitarbeiter der Abteilung ‘Food Production’ das Geschirr zurück, wenn die Tabletts erneut vor einem Abflug bestückt werden müssen. Hier beginnt der Aufgabenkreislauf wieder von vorne. Die MahlzeitenTrolleys werden vor dem Abflug in Kühlräumen mehrere Stunden auf 6 C gekühlt, bevor sie zusammen mit den Trolleys für Getränke- und Standardausrüstung wieder an Bord transportiert werden. 34 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Organisationslehre Diskussionsfragen: Angesichts des immer härteren Wettbewerbs gerät Gate Gourmet in Handlungszwang. Sie werden als Berater beigezogen! Skizzieren Sie kurz die Wettbewerbssituation! Wie soll die strategische Neuausrichtung von Gate Gourmet aussehen? Eine strategische Neuausrichtung erfordert auch Anpassungen in der Struktur. Beurteilen Sie die bisherige Struktur von Gate Gourmet! Schlagen Sie der Geschäftsleitung eine neue Struktur vor, die der Neuausrichtung entspricht! Sie sollen jedoch die Geschäftsleitung auch über Nachteile der neuen Struktur aufklären! 5.6 Holding Die Holdingorganisation ist eine spezifische Form der Profit-Center-Organisation, bei der diese rechtlich verselbständigt sind. Im Schwerpunkt geht es um die Rolle der Gesamtleitung in der Unternehmensstruktur. Das Unternehmen wird in zwei oder mehr unternehmerische Ebenen aufgeteilt: Die Mutter- oder Obergesellschaft bildet die erste Ebene (Konzernspitze), die jedoch keine operativen Tätigkeiten ausführt, sondern sich auf die einheitliche Leitung des Konzerns konzentriert. Ihre wichtigste Aufgabe besteht in der konzernweiten Finanzierungspolitik, das heißt Kapital-, Liquiditäts- und Erfolgsplanung. Die zweite Ebene beinhaltet die wirtschaftlich-rechtlich selbständigen Geschäftsbereiche als Tochtergesellschaften. Die Transparenz wird gegenüber der Profit-Center-Organisation erhöht, weil die rechtliche Verselbständigung zu einer eindeutigeren Erfolgszurechnung führt. Holding (Konzernmutter) AG Tochtergesellschaft AG Tochtergesellschaft AG Tochtergesellschaft AG Abbildung 27: Grundstruktur eines Holdingkonzerns 35 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Organisationslehre Holdingorganisationen werden gebildet, um die Vorteile großer Unternehmenseinheiten wie finanzielle Stärke, Marktmacht und “economies of scale” mit denen kleiner (mittelständischer) Einheiten wie Flexibilität, Kooperationsfähigkeit und Marktnähe zu kombinieren So sind die dezentralen Tochtergesellschaften beweglicher, weil sie eigenständige Entscheidungen treffen, die im Unterschied zu den Profit Centers auch den strategischen Bereich umfassen können, zum Beispiel Joint Ventures, Kooperationen, Kauf und Verkauf von Unternehmensbereichen. Da die einzelnen Holdinggesellschaften anhand des von ihnen erwirtschafteten Gewinns beurteilt werden, können Quersubventionierungen schlecht rentierender durch die ertragreichen Gesellschaften offengelegt werden. Einzelne Gesellschaften können leichter ge- oder verkauft werden. In einigen Ländern machen zudem steuerliche Privilegien die Holdingorganisation attraktiv. Trotz der rechtlichen Selbständigkeit, werden in der Holdingorganisation - ähnlich wie bei der Profit-Center-Organisation - einzelne Funktionen zentralisiert und in die Obergesellschaft eingegliedert, um Größeneffekte und Spezialisierungsvorteile ausnutzen zu können. Beispiele sind das Controlling sowie die Steuer- und Rechtsabteilung. Je nach Autonomiegrad der Tochtergesellschaften können verschiedene Holdingformen unterschieden werden, die in Abbildung 20 im Verhältnis zur Profit-Center- und Geschäftsbereichsorganisation dargestellt sind. Mit zunehmendem Autonomiegrad sinken die Synergien zwischen den verschiedenen Divisionen oder Bereichen des Gesamtunternehmens (vgl. Abb. 28). Abbildung 28: Autonomie versus Synergien Eine Management-Holding entsteht durch die vermehrte Übernahme von Managementfunktionen durch die Obergesellschaft. So werden viele Aktivitäten beispielsweise im Marketing oder in der Forschung & Entwicklung zentral koordiniert. Die Beteiligungsgesellschaften sollen zu einer wirtschaftlichen Einheit zusammengeführt werden, um Synergievorteile realisieren zu können. 36 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Organisationslehre In der Strategie-Holding nimmt die Obergesellschaft die strategische Ausrichtung der gesamten Unternehmensgruppe sowie das strategische Controlling vor. In der Finanz-Holding übernimmt die Obergesellschaft die Planung, Steuerung und Kontrolle der Finanzströme des Beteiligungsportfolios. Bezweckt wird eine angemessene Gestaltung der Eigentumsverhältnisse und eine Optimierung der Steuerbelastung. In der Beteiligungs-Holding beschränkt sich die Obergesellschaft darauf, Beteiligungen zu halten und zu verwalten. In das Management der einzelnen Beteiligungsgesellschaften wird nicht eingegriffen. Die Koordination zwischen den Tochtergesellschaften sowie zwischen Tochter- und Muttergesellschaft wird hauptsächlich durch Märkte und Preise wahrgenommen. Je autonomer die Tochtergesellschaften sind, desto mehr ist dies der Fall. Sollen Synergieeffekte erzielt werden, muß die marktliche Beziehung abgeschwächt und durch administrative Maßnahmen ersetzt werden, zum Beispiel durch Richtlinien oder personelle Verflechtungen. 6 Gruppen in Organisationen Gruppen sind heute wichtiger Bestandteil von Organisationen. Spezielles Merkmal der Abstimmung in Gruppen ist, dass bei der Erfüllung der Koordinationsaufgabe die Selbstabstimmung (Partizipation) eine prominente Stellung einnimmt. Zwischen Gruppen ist hingegen Koordination durch Weisung die am häufigsten verwendete Koordinationsform. 6.1 Abstimmung in Gruppen Eine Gruppe oder ein Team ist mehr als eine Ansammlung von Personen zur gleichen Zeit am gleichen Ort. Vielmehr ist das Team eine kleine Anzahl von Personen mit unterschiedlichen Fähigkeiten, häufigen „face to face“ Kontakten, einem gemeinsamen Ziel, einem Zusammengehörigkeitsgefühl (Teamgeist, esprit de corps, Wir-Gefühl), eigenen Gruppennormen, wechselseitiger (statt hierarchischer) Kontrolle und partizipativer Kooperation (Selbstabstimmung), die über einen längeren Zeitraum hinweg zusammenarbeiten. Sie haben einen Gruppensprecher oder eine Gruppensprecherin, die nach aussen hin die Gruppe vertritt. Im Innenverhältnis haben diese jedoch keine Vorgesetzten-, sondern eine Moderatorenfunktion. 37 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Organisationslehre Gruppen oder Teams sind nicht umsonst zum Schlüsselbegriff aller modernen Organisationskonzepte geworden, haben sie doch eine Reihe von entscheidenden Vorteilen gegenüber der klassischen hierarchischen Struktur. Erstens erhöhen die unterschiedlichen Fähigkeiten der Teammitglieder die Qualität der Entscheidungen. Zweitens bewirkt ein Zusammengehörigkeitsgefühl eine höhere Arbeitszufriedenheit, geringere Fehlzeiten und niedrigere Fluktuation. Drittens ersparen die gemeinsamen Gruppennormen Einigungskosten. Viertens verringert die partizipative Entscheidungsfindung die Widerstände bei der Umsetzung, weil die verschiedenen Interessen schon in die Entscheidungsfindung Eingang gefunden haben: Betroffene sind zu Beteiligten geworden. Fünftens wird die Entscheidungsunsicherheit bei komplexen Aufgaben durch die „face-to-face“-Kommunikation reduziert. Wissen (insbesondere implizites Wissen) kann leichter übertragen werden. Sechstens erschwert die in Teams leichter mögliche wechselseitige Kontrolle das Trittbrettfahren im Sinne des: „Toll, ein anderer machts“. Allerdings weist Teamarbeit auch Nachteile auf: Erstens besteht bei Teams auch bei wechselseitiger Kontrolle die Gefahr des Trittbrettfahrens. Dies ist immer dann der Fall, wenn die Teamergebnisse (Outputs) nicht auf die Inputs der einzelnen Teammitglieder zugerechnet werden können. Beispiele sind Synergieeffekte durch funktionale Arbeitsteilung (vgl. das Stecknadelbeispiel in Kapitel 1.1.1), aber auch Beiträge zum guten Gruppenklima, zur Reputation oder zu einer gemeinsamen Projektidee. Zweitens tendieren Teams zum Gruppendenken. Damit ist die Neigung gemeint, vorschnell Einmütigkeit herzustellen, indem das autonome und kritische Denken dem Harmoniebedürfnis geopfert wird. Gruppendenken kann man aber wirkungsvoll entgegentreten, indem man gezielt für eine Meinungsvielfalt im Team sorgt. Gut geeignet sind: hohe Diversität der Gruppenmitglieder, beispielsweise nach Geschlecht oder fachlichem Hintergrund, Bildung von Parallelgruppen, Mitgliedschaft in verschiedenen Gruppen sowie Ernennung eines advocatus diaboli. Alle diese Massnahmen sind zugleich Voraussetzungen für wirkungsvolles organisationales Lernen. Drittens beanspruchen partizipative Konsensbildungsprozesse viel mehr Zeit als das Erteilen von Weisungen. Dieser Nachteil wird aber in den meisten Fällen durch die höhere Entscheidungsqualität und die niedrigeren Widerstände bei der Umsetzung mehr als ausgeglichen. Viertens macht die enge wechselseitige Abhängigkeit innerhalb eines Teams empfindlich gegenüber Gruppenmitgliedern, die nicht den Gruppennormen entsprechen. Dies kann zur Folge haben, dass diese Gruppenmitglieder systematisch belästigt und von wichtigen Gruppenentscheidungen ausgeschlossen werden. Es kommt zum „Mobbing“. Die Integration durch Selbstabstimmung innerhalb von Teams oder Gruppen ist um so wirkungsvoller, je mehr folgende Kriterien erfüllt sind: 38 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Organisationslehre Purposing: Erfolgreiche Teams verwenden viel Zeit damit, sich über die Ziele klar zu werden und zu einigen. Darüber hinaus formulieren sie konkrete Zielvorgaben wie beispielsweise „Senkung der Durchlaufzeit um 40%“. Timing: Besonders hohe Leistungen werden bei einer Zusammenarbeit von einem bis fünf Jahren erzielt. Die Gruppe muss nämlich zuerst die Phasen des „Forming, Storming, Norming“ bewältigen, bevor sie für das eigentliche „Performing“ fit ist. Dies bedeutet, dass jede Gruppe die Phasen der Gruppenbildung, des „Zusammenraufens“ und der Formulierung von Gruppennormen durchlaufen muss, bevor eine hohe Leistung erzielt werden kann. Right mix: Das Team sollte aus weniger als zehn Mitgliedern bestehen. Diese sollten nicht nur einen heterogenen fachlichen Hintergrund haben, sondern eine gute Mischung aus funktionalem Expertenwissen, Problemlösungswissen und sozialer Kompetenz bilden. 6.2 Abstimmung zwischen Gruppen Für die Abstimmung zwischen Gruppen stehen die drei Entscheidungsverfahren zur Verfügung (Osterloh 1997), welche in Kapitel sechs behandelt wurden: Selbstabstimmung, Weisungen oder interne Preise. In der Unternehmenspraxis existieren daneben zahlreiche Übergangsformen. 6.2.1 Selbstabstimmung Die Koordination durch Selbstabstimmung zwischen Gruppen ist im Konzept der überlappenden Gruppen von Likert (1967) ausformuliert worden. Die verschiedenen Gruppen sind horizontal und vertikal miteinander durch ein gemeinsames Gruppenmitglied („linking pin“) verknüpft. . . . . . . . . . . Abbildung 29: Linking-Pin-Modell (Quelle: Likert 1967) 39 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre 6.2.2 Organisationslehre Weisungen Die Koordination durch Weisungen ist die am häufigsten verwendete Koordinationsform. Sie entspricht dem traditionellen bürokratischen Modell. Eine moderne Ausprägung ist der Toyotismus. Beim Toyotismus herrscht zwischen den Gruppen das Weisungsprinzip, innerhalb der Gruppen treten Elemente der partizipativen Selbstabstimmung auf. Weisungen liegen auch vor, wenn die Koordination der Gruppen über kostenorientierte Verrechnungspreise erfolgt. 6.2.3 Verrechnungspreise: Profit Centers Bei der Koordination durch interne Verrechnungspreise ist jede Gruppe als ein eigenständiges Profit oder Investment Center ausgestaltet (vgl. Kapitel 4.2.3). Dadurch wird die Flexibilität der Entscheidungsfindung erhöht. Allerdings ist dieses Entscheidungsverfahren nur sinnvoll bei: klar zurechenbaren Leistungen und Gegenleistungen, Transferautonomie, d.h. keinem internen Bezugszwang. Es ist problematisch, sobald Synergieeffekte auftreten, deren Nutzen und Kosten nicht mehr eindeutig den einzelnen organisatorischen Bereichen zurechenbar sind (vgl. Kapitel 1.1.1). In diesen Fällen werden Profit Centers durch Cost Centers ersetzt oder marktorientierte interne Verrechnungspreise Verrechnungspreise ersetzt. werden durch kostenorientierte In beiden Fällen wird der Preismechanismus um die Entscheidungsverfahren „Weisungen“ oder „Selbstabstimmung“ ergänzt (vgl. Kapitel 4.2). Welche Form des Entscheidungsverfahrens zwischen Gruppen (vgl. Kapitel 6.2) wie auch zwischen Abteilungen (vgl. Kapitel 4.2) zweckmässig ist, kann abschliessend nur beurteilt werden, wenn die Interdependenzen zwischen Koordination, Motivation und Orientierung (Wissensmanagement) berücksichtigt werden (vgl. Abb. 2 in Kapitel 1.1.3). Diese Interdependenzen sind vor allem Gegenstand der Vorlesungen „Organisation“ im Hauptstudium. 40 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre 7 Organisationslehre Literaturverzeichnis Bleicher, Knut (1991): Organisation, Strategien, Strukturen, Kulturen, 2. vollst. überarb. und erw. Auflage, Wiesbaden. Chandler, Alfred (1962): Strategy and Structure, Cambridge Mass. Fayol, Henri (1916): Administration industrielle et générale, Paris. Frese, Erich (2000): Grundlagen der Organisation, Konzept, Prinzipien, Strukturen, 8. überarb. Auflage, Wiesbaden. Frey, Bruno S./Osterloh, Margit (2002): Managing Motivation, 2. Auflage, Wiesbaden. Frost, Jetta/Osterloh, Margit (2002): Motivation und Organisationsstrukturen, in: Frey, Bruno S./Osterloh, Margit (Hrsg.): Managing Motivation, 2. Auflage, Wiesbaden, S. 163-190. Gaitanides, Michael (1983): Prozessorganisation, München. Hammer, Michael/Champy, James (1994): Business Reengineering – Radikalkur für das Unternehmen, Frankfurt a. M. Hill, Wihelm/Fehlbaum, Raymond/Ulrich, Peter (1994): Organisationslehre 1, 5. überarb. Auflage, Bern. Kieser, Alfred/Kubicek, Herbert (1992): Organisation, 3. überarb. Auflage, Berlin. Kosiol, Erich (1978): Aufgabenanalyse und Aufgabensynthese, in: Grochla, E. (Hrsg.), Elemente der organisatorischen Gestaltung, Reinbek, S. 66-84. Kosiol, Erich (1962): Organisation der Unternehmung, Wiesbaden. Likert, Rensis (1967): The Human Organization, New York. Martin, Irle (1971): Macht und Entscheidungen in Organisationen. Studien gegen das LinieStab-Prinzip, Frankfurt / Main. Miller, Garry.J. (1992): Managerial Dilemmas. The Political Economy of Hierarchy, Cambridge MA. Osterloh, Margit (1997): Selbststeuernde Gruppen in der Prozessorganisation, in: Scholz Ch. (Hrsg.): Individualisierung als Paradigma, Festschrift für Hans Jürgen Drumm, Stuttgart/Berlin/Köln, S. 179-199. Osterloh, Margit/Frost, Jetta (2003): Prozessmanagement als Kernkompetenz, 4. Auflage, Wiesbaden. Osterloh, Margit/Weibel, Antoinette (2005): Investition Vertrauen. Vertrauensentwicklung in Organisationen, Kapitel 3, Wiesbaden. Prozesse der Rühli, Edwin (1996): Unternehmungsführung und -politik (Band 1), 3. vollst. überarb. und erw. Auflage, Bern. 41 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Organisationslehre Schreyögg, Georg (2003): Organisation, Grundlagen moderner Organisationsgestaltung, 4. Auflage, Wiesbaden. Simon, Herbert A. (1991): Organizations and Markets, in: Journal of Economic Perspectives, 5. Jg., S. 25-44. Steinmann, Horst/Schreyögg, Georg (2005): Management, Grundlagen Unternehmensführung, Konzepte – Funktionen – Fallstudien, 6. Auflage, Wiesbaden. der Tannenbaum, Robert/Schmidt, Warren H. (1958): How to Choose a Leadership Pattern, in: Harvard Business Review 36, 2, S. 94-101. Taylor, Frederick W. (1911): The Principles of Scientific Management, New York. 8 Übungen zur Organisationslehre Aufgabe 1 Organisationsbegriffe (Genaueres folgt im Proseminar) Aufgabe 2 Der Schreinermeister Müller hat 15 Mitarbeiter. Sie sollen ihn bei der Organisation seines Betriebes beraten. Machen Sie ihm drei mögliche Vorschläge für eine Aufbauorganisation, indem Sie zuerst eine Differenzierungsanalyse mit anschliessender Integrationssynthese anfertigen. Aufgabe 3 Die zwei Unternehmen Organisationsformen. Sulzer und Geberit verfügen über unterschiedliche a) Beschreiben Sie die zwei Organisationsformen. Wie unterscheiden sie sich? b) Welche Gründe waren für die Wahl der betreffenden Organisationsstrukturen ausschlaggebend? Denken Sie an Vor- und Nachteile der einzelnen Organisationsformen. 42 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Organisationslehre Verwaltungsrat Konzernleitung Konzernkommunikation, Marktentwicklung Personal Controlling, Finanzen Qualitätsmanagement, Gruppen Produktmanagement, Beschaffung Umweltmanagement OEM, Marken-Entwicklung Logistik und Abbildung 30: Organigramm Geberit Abbildung 31: Organigramm Sulzer Aufgabe 4 Die BMW Steyr ist der grösste Motorenhersteller und -entwickler der BMW- Gruppe. Das 2500 Mitarbeiter zählende Werk vertreibt Diesel- und Benzinmotoren weltweit und hat gerade eine weitreichende Reorganisation erfolgreich beendet. a) Vor der Reorganisation war die BMW Steyr funktional organisiert. Zeichnen Sie ein mögliches Organigramm und erläutern Sie Vor- und Nachteile dieser Struktur für einen Motorenhersteller. b) Nach der Reorganisation ist die Steyr nach Prozessen organisiert. Zeichnen Sie auch für diesen Fall ein mögliches Organigramm. Welche Vorteile kann die BMW Steyr von dieser Reorganisation erwarten? 43 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Organisationslehre Aufgabe 5 Die Firma ABB hat seit der Fusion der Firmen BBC und Asea im Jahre 1988 90% der Stabstellen abgebaut. a) Welche Gründe könnten zu dieser dramatischen Reduktion der Stabstellen in der Organisation der Firma ABB geführt haben? b) Nach der Fusion änderte die Firma ABB ihre Organisationsstruktur in eine MatrixOrganisation (mit einer Länder- und einer Produktdimension). Heute besitzt die Firma ABB allerdings wieder eine eindimensionale Organisation (divisionale Strukturierung). Nennen Sie mögliche Gründe für die Einführung und die Abschaffung der MatrixOrganisation. Abbildung 32: Organigramm Sulzer Aufgabe 6 Ein Besuch bei McDonald: Bob und Anna, zwei deutsche Touristen, besuchen im südlichen Spanien zur Mittagszeit einen McDonald und bestellen zwei Big Mac, zwei kleine Pommes-Frites und zwei mittelgrosse Colas. Die Verkäuferin tippt die Bestellung in die Kasse ein und kassiert den Betrag. Den Bestellzettel reicht sie weiter. Ein Mitarbeiter nimmt gerade die Pommes-Frites aus dem Öl, ein anderer lädt die Hackplätzchen auf die Platte und lässt sie eine vorgegebene Zeit lang grillen. An einer anderen Station werden die Brote getoastet. Die gegrillten Burger sowie die getoasteten Brote gelangen zum nächsten Angestellten, der diese mit einer Scheibe Gurke, zwei Salatblätter und einer vorgegebene Menge Sauce belegt. Ein weiterer Angestellter füllt die Becher mit Cola und fügt eine standardisierte Menge Eiswürfel bei. Der Tütenrand der Pommes-Frites wird zweimal gefaltet. Jeder Mac erhält eine dafür vorgesehene Tüte. Nach drei Minuten steht das bestellte Menu an der Kasse und wird von Bob und Anna entgegengenommen. "Hmm, das schmeckt genau wie zu Hause", bemerkt Bob. 44 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Organisationslehre a) Inwiefern gleicht das System bei McDonald einer Maschine? b) Beschreiben Sie anhand des Beispiels den Zusammenhang von Integration und Differenzierung. c) Diskutieren Sie die Gründe, warum McDonald so erfolgreich ist. Aufgabe 7 Föderalismus ist ein Ordnungsgrundsatz für Gesellschaft und Staat, der grösstmögliche Vielfalt in einer verbindenden Einheit ermöglicht. Dabei müssen Bund und Glieder gleichberechtigt sein und sich verpflichten, sowohl die Selbständigkeit der Glieder als auch die Treue zum Bund zu wahren. Ausserdem darf der Bund nur die Aufgaben übernehmen, die von den Gliedern nicht erfüllt werden können (Subsidiaritätsprinzip). Der Bundesstaat ist die staatsrechtliche Verwirklichung des Föderalismus. a) In der Schweiz ist der Föderalismus der wichtigste Ordnungsgrundsatz. Diskutieren Sie die Vor- und Nachteile des Föderalismus. b) Föderalismus beruht in erster Linie auf dem Integrationsmechanismus „Delegation“. Allerdings wird betont, dass die Teileinheiten „auch die Treue zum Bund“ wahren sollen. Im Unternehmen bedeutet dies, dass die Abteilungen sich den Unternehmenszielen verpflichtet fühlen sollen. Wie würden Sie diese Verpflichtung „organisieren“? Aufgabe 8 Die Firma DEC experimentierte in den 80er Jahren mit neuen Formen der Arbeitsorganisation in der Produktion. In einer Fabrik in Enfield sollte die Produktion von Schaltkreisen neu durch sog. teilautonome Teams ausgeführt werden. In einem ersten Schritt wurden die Räumlichkeiten den neuen Anforderungen angepasst. Ein Journalist beschreibt die Halle folgendermassen: „Auf den ersten Blick wirkte alles etwas chaotisch. Ich sah zufällig gruppierte Werkbanken, Topfpflanzen und ein Basketballnetz. Wie kann man in einer solchen Unordnung arbeiten, fragte ich mich.“ Doch das Chaos hatte System. Man arbeitete mit flexiblen Elementen wie verschiedenen Konferenzeinheiten bestehend aus Stellwänden, Tischen, Stühlen, Flipchart u.ä., die je nach Bedarf in der Nähe von Säulen aufgestellt werden konnten, welche mit Steckern und Telefonleitungen versehen waren. Die Teams sollten selber bestimmen können, wie sie wo arbeiten. In einem nächsten Schritt bildete man 18-köpfige Teams, die fortan in Eigenregie Schaltkreise zusammenbauen sollten. Diese Teams: teilten die 20 notwendigen Tätigkeiten selber auf, lehrten sich gegenseitig, was sie wissen (es werden sogar Diplome vergeben), kontrollierten das Arbeitsergebnis selbst, 45 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Organisationslehre und waren als Gruppe verantwortlich. In der ganzen Fabrik gab es nebst den 180 Arbeitern nur noch 3 Vorgesetzte! Der Erfolg der Reorganisation war eindrücklich: die Durchlaufzeiten konnten um 40% verringert werden, die Abfallproduktion halbierte sich, es wurden doppelt so viele perfekt funktionierende Schaltkreise hergestellt wie vor der Reorganisation. Trotz der Erfolge wurde das Arbeitsgruppenmodell nicht in weiteren Fabriken übernommen. Ausserdem wurde in Enfield nach einem Wechsel im Topmanagement der DEC wieder die Arbeitsorganisation nach traditionellem Muster eingeführt. a) Wie erklären Sie sich den eindrücklichen Erfolg der Reorganisation? b) Warum konnte sich diese Art der Teamproduktion innerhalb der DEC nicht durchsetzen? Aufgabe 9 Im klassischen Toyotismus ist die Fliessbandarbeit keineswegs abgeschafft. Nach wie vor gibt es extrem kurze Taktzeiten und repetitive Arbeit. Zwar löst die Arbeitsgruppe die Probleme kooperativ im Sinne des Kaizen-Prinzips, dann aber müssen sich die Gruppenmitglieder strengstens an die erarbeitete Lösung halten. Das klare Ziel ist dabei die Beseitigung von „Muda“, das heisst von Vergeudung, an welchen Stellen und in welcher Form auch immer. Dies findet seinen Ausdruck im „Null-Fehler-Null-Puffer“-Prinzip, das zudem noch mit einem starken Gruppendruck verbunden ist: Wenn erkennbar wird, dass Teile nicht einwandfrei gefertigt werden können, sind die Arbeiter selbst aufgefordert, das Band zu stoppen. Alle schauen auf den verantwortlichen Bereich und vor allem auf den verantwortlichen Vorgesetzten. Dieses von Taiichi Ohno bei Toyota massgeblich geprägte Verfahren wird deshalb zutreffend als „motivation by embarassement“ oder noch drastischer als „Oh! No!-System“ gekennzeichnet. Die Produktion ist in 5er Teams organisiert, die verantwortlich sind: für die Qualitätsprüfung, für job-rotation-Pläne und für „angemessene“ Arbeitsmethoden. 46 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Organisationslehre Im Gegensatz zu dem in Aufgabe 9 besprochenen Beispiel DEC sind die Arbeitsgruppen jedoch an extrem kurze Taktzeiten gebunden, haben eine hohe Arbeitsteilung und unterstehen dem „Oh! No!-Management“. Auch dieses Modell ist sehr erfolgreich und ist für das „japanische Wirtschaftswunder“ der 80er Jahre mitverantwortlich. Toyota hingegen hat sich unterdessen dem sog. reflexiven Toyotismus zugewandt, der in gewissen Aspekten weniger radikal ist. So versucht man neuerdings bewusst, nicht alle Puffer zu eliminieren und belässt zeitliche Pufferzonen und andere Redundanzen. a) Erklären Sie, warum dieses Modell ähnliche Erfolgskennzahlen aufweist wie die Arbeitsorganisation nach teilautonomen Gruppen? b) Welche Probleme könnten langfristig auftreten? c) Wie unterscheidet sich der sog. „reflexive Toyotismus“ von obigem Modell? Aufgabe 10 Das Profit Center ist in der Praxis eine verbreitete Organisationsstruktur. a) Zeichnen Sie ein idealtypische Organigramm eines Profit Centers (nicht einer Profit Center-Organisation) und beschriften Sie in diesem Organigramm die wesentlichen Elemente. b) Nennen Sie drei wesentliche Voraussetzungen für eine Profit Center-Organisation. c) Sie beraten die Geschäftsleitung der Migros bei ihrer Reorganisation. Die Geschäftsleitung fragt Sie, ob Profit Centers eine sinnvolle Organisationsstruktur für die Migros seien oder nicht. Begründen Sie mit drei Argumenten, wieso die Geschäftsleitung diese Struktur einführen soll bzw. nicht einführen soll. Fallstudie zu modernen Organisationsformen Die Meister AG (aus: Thom/Wenger/Zaugg 1998, S. 65 – 81) Eine kurze Firmengeschichte Die Meister AG ist eine traditionsreiche Schweizer Maschinenbau-Unternehmung. Gegründet im Jahre 1845 kann der Konzern auf eine 150-jährige, vorwiegend erfolgreiche Geschichte zurückblicken. Ursprünglich zur Herstellung von Gussprodukten gegründet, diversifizierte die Firma schon bald über Heizungen und Haustechnik in den damaligen Kernbereich des Maschinenbaus, die Dampfmaschinenproduktion. Auch die weitere Entwicklung der Geschäftstätigkeit zeigt eine bemerkenswerte Konsistenz des schrittweisen Vordringens in verwandte Produktionsbereiche. Noch im letzten Jahrhundert erfolgte die Aufnahme der Pumpenbau-, Dampfschiff-, Kältemaschinen- und Dieselmotorenproduktion. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die Produktion von 47 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Organisationslehre Dampfturbinen, Turbokompressoren und Wärmepumpen aufgenommen, während die letzten 40 Jahre den Gasturbinen- und Projektilwebmaschinenbau hervorbrachten. Einzelne Aktivitätsfelder wurden im Laufe der Jahre auch wieder aufgegeben, wie z.B. die Dampfschiffproduktion. Entscheidend für die zukünftige Entwicklung des Konzerns könnte das Verlassen des traditionellen Maschinenbaus und das Vordringen in komplexe Technikbereiche während der letzten Jahre sein. Dazu gehören die Kerntechnik, die Verfahrenstechnik und insbesondere die Medizinaltechnik. Trotzdem präsentiert sich die Meister AG noch immer als klassischer Maschinenbaukonzern, da die Tätigkeit in den traditionellen Gebieten bei weitem überwiegt. Situation Mitte der 90er Jahre A. Kennzahlen, Geschäftsgang und Finanzen in Millionen sFr. 1993 1994 1995 1996 Umsatz 4’788 4’863 5’217 5’229 65 164 243 279 Reingewinn/verlust -118 -20 49 78 Eigenmittel 3’523 3’489 3’424 3’463 Personalbestand 39’021 35’888 34’546 31’721 Cash-Flow Abbildung 33. Kennzahlen der Meister AG Zu den präsentierten Zahlen ist folgendes anzufügen: Es muss davon ausgegangen werden, dass die ausgewiesen Gewinne und Verluste massiv durch „Bilanzkosmetik“ aufgebessert wurden (z.B. Auflösung stiller Reserven). Die Jahre 1993 und 1994 waren die ersten Verlustjahre seit den Krisenjahren in den 30er Jahren. Aus Aktionärssicht ist besonderes die sehr tiefe Eigenkapitalrendite als Folge der völlig unbefriedigenden Gewinnsituation zu beachten. Der seit 1993 erzielte Mehrumsatz bedeutet für den Konzern nur ein ungefähres Nullwachstum, da darin einerseits die Teuerung und andererseits Firmenübernahmen enthalten sind. 48 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Organisationslehre Den grossen Verlusten des Jahres 1993 versuchte die Geschäftsleitung mit Werkschliessungen, Kurzarbeit und Massenentlassungen beizukommen. Zusätzlich wurden verschiedene Rationaliserungs- und Reengineering-Projekte initiiert, die sich massgeblich auf den Personalbestand in den nachfolgenden Jahren auswirkten. Im Zuge der Verflachung von Hierarchien, dem Abbau von Stäben und der Straffung der Führungsstruktur verringerte sich die Zahl der Führungskräfte. Die Konzernleitung hatte aber trotz des unerfreulichen Geschäftsganges Mittel bereitgestellt, um die Freistellung von Fach- und Führungskräften durch angemessene personalwirtschaftliche Instrumente zu unterstützen. Ungeachtet der Ertragslosigkeit und des schlechten Geschäftsganges besteht ein hoher Bestand an flüssigen Mitteln als Folge einer gezielten Liquiditätspolitik, des Abbaus von Vorräten und der konsequenten Überprüfung der Zahlungsbedingungen. Resultat ist eine solide finanzielle Bilanz. B. Vision, Konzernstrategie Aufgrund der gültigen Konzernvision wird eine ausgeprägte Diversifikationsstrategie betrieben, die insbesondere zur Schaffung neuer Produkte und der Erschliessung neuer Teilmärkte in traditionell bereits bearbeiteten Märkten führt. Insgesamt entsteht aber der Eindruck, dass der Konzern ohne klare Stossrichtung agiert. Vorgegangen wird durch schrittweises Erproben neuer Technologien im eigenen Haus, durch organisches Wachstum und Beschleunigung durch entsprechende Akquisitionen, sobald eine eigene Grundlage existiert. Dabei herrscht eine starke Technik- und Produktorientierung bei mangelhafter Marketingorientierung vor, sowohl im Konzern als Ganzes als auch in den einzelnen Produktbereichen. Hoher Wert wird auf die Realisation von Synergien zwischen den ca. 30 Produktbereichen durch die Nutzung gleicher Lokalitäten im Rahmen gemeinsamer Werkstattkonzepte gelegt. Konzerne im wirtschaftlichen Umfeld Die Weltwirtschaft erlebte in den letzten Jahren z.T. dramatische Veränderungen, die sich für Konzerne generell in einer komplexeren und heterogeneren Unternehmungsumwelt, einer Dynamisierung des Wandels, einer gesteigerten Unsicherheit für die Unternehmungsplanung und damit einem erhöhten Anpassungsbedarf auf allen Ebenen äussern. Wichtige Kräfte, die auf die Konzerne einwirken und ihr Handeln bestimmen, sind u.a.: Globalisierung von bisher national geprägten Märkten durch gewaltige Fortschritte der Technologie im Transport- und Kommunikationsbereich sowie durch ausgeprägte Deregulierungsbestrebungen und die Beseitigung von Handelshemmnissen. Folgen für Konzerne sind dynamische Märkte durch eine grössere Anzahl Wettbewerber, ein härterer Wettbewerb um Kapital wegen globalen Investitionsmöglichkeiten der Kapitalgeber, ein Sourcing von Produktionsinputs und Absatz von Gütern und Dienstleistungen auf globaler Basis und die Realisierung von positiven Skalenerträgen auf einer globalen Basis durch Produktionsverlagerungen. 49 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Organisationslehre Regionalisierung der Weltwirtschaft durch die Entstehung regionaler Wirtschaftsblöcke in Amerika (NAFTA, Mercosur), Asien (ASEAN), und Europa (EU) mit z.T. protektionistischen Strömungen gegen aussen. Folge für Konzerne ist ein erschwerter Zugang zu wichtigen Absatz- und Beschaffungsmärkten durch rechtliche Schranken. Technologischer Fortschritt auf sehr hohem Niveau. Folgen für Konzerne sind in gewissen Branchen ein exponentieller Anstieg der notwendigen Investitionen für weitere Forschung und Entwicklung durch eine zunehmende Integration verschiedener Technologien, die Bearbeitung immer grösserer Märkte zur Amortisierung der Initialkosten sowie die Notwendigkeit von strategischen Allianzen zwischen Konzernen wegen höheren Kosten und kürzeren Produkt- und Technologiezyklen. Zunehmend gesättigte Märkte in den industrialisierten Ländern wegen der Ausweitung und Differenzierung des Angebots. Folgen für Konzerne sind: Wer in Qualität, Service und Produktvariationen nicht den gewachsenen Ansprüchen der Konsumenten genügt, wird rasch aus dem Markt verdrängt. In diesem Umfeld bestehen vor allem folgende strukturelle Schwächen Maschinenindustrie-Branche (insbesondere der Werkzeugmaschinen-Hersteller): der im Vergleich mit der ausländischen Konkurrenz sind die Schweizer Unternehmungen mehrheitlich zu klein, um positive Skalenerträge und Verbundvorteile zu realisieren. Eine traditionell sehr starke Technologieorientierung mit einem Hang zu Maximallösungen verhindert oft ein flexibles Eingehen auf Systemlösungen nach Kundenwünschen. Bei einer Exportquote der Branche zwischen 80 und 90% fehlt es den meisten Anbietern wegen schwachen Vertriebs- und Servicenetzen an globaler Präsenz, oft gerade in verheissungsvollen Zukunftsmärkten. Die Branche setzt daher seit Jahren tiefgreifende Rationalisierungsmassnahmen um, die zu beachtlichen Fortschritten geführt haben. Zwischen 1990 und 1997 konnte so bei sinkenden Lohnstückkosten die Arbeitsproduktivität durchschnittlich um rund einen Drittel gesteigert werden. Bei vielen Unternehmungen kommt zudem, nicht zuletzt auf Druck der Kapitalgeber und mit Hilfe leistungsfähiger Rechnungswesen, je länger je mehr ein ertragsorientiertes Denken zum Tragen. C. Forschung und Entwicklung, Innovationen In den vergangenen guten Geschäftsjahren, in denen die Webmaschinen alleine 80% des Gewinns brachten und sich die Meister AG einer kaum angefochtenen Marktposition erfreute, hatten es die Manager der Unternehmung versäumt, zukunftsträchtige Produkte zu entwickeln. Nebst dieser dämpfenden Wirkung des Erfolgs liegt ein möglicher Grund darin, dass die F&E bis heute sehr stark für die einzelnen Produkte instrumentalisiert wird: Anstelle 50 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Organisationslehre eines Innovationstransfers von der F&E zum Produkt werden im Auftrag der Produktmanager nur einzelne Aspekte der Produkte durch die F&E verbessert. Strukturell abgesichert wird diese Philosophie dadurch, dass die F&E-Einheiten den Produktbereichen untergeordnet sind. Als Beispiel kann die Abteilung Elektronik dienen, die an die Sparte Textilmaschinen (Maschinenbau Götschmann) gekoppelt ist. Die Dominanz traditioneller über neue Technologien (welche konsequent nur als Mittel zur Rationalisierung der Mechanik, anstatt zu deren Ersatz eingesetzt werden) wird im Konzern so strukturell abgesichert. Grundsätzlich verfügt der Konzern nach wie vor über hervorragende technische Kompetenzen. Die Mitarbeitenden sind gut qualifiziert, die Unternehmung verfügt über ein umfassendes Aus- und Weiterbildungsangebot. Im Zuge einer vermehrten Kostenkontrolle werden aber auch hier Dienstleistungen abgebaut. Der neu eingesetzte Konzernpersonalchef Kurt Feller weist in einem Grundsatzpapier u.a. auf die Bedeutung einer bedarfs- und bedürfnisgerechten Personalentwicklung hin. Obwohl im Bereich der Laufbahnplanung konzeptionelle Defizite bestehen, werden solche Projekte in der Konzernleitung als nicht unmittelbar priorität betrachtet und deshalb verschoben. Hohe technologische Leistungen und Innovationen erfolgen aber vorwiegend an Produkten, die sich in reifen und gesättigten Märkten befinden. Zudem wird mit zu grossem Perfektionsdrang zu lange an bewährter Technik festgehalten, was zu enorm hohen Fabrikationskosten führt. D. Schwerpunkte des Produktionsprogramms Das Abbild der Situation bei der F&E findet sich in den Hauptgeschäften: Insbesondere die Webmaschinen und die Heizungs- und Klimatechnik als traditionsreiche Sparten wurden gefördert (auch akquisitorisch), während zukunftsträchtige Geschäfte wie die Medizinaltechnik bis anhin nur sehr beschränkt und ohne klare Strategie vorangetrieben wurden. Ein Hauptproblem besteht darin, dass es bis jetzt noch nicht gelungen ist, wichtige Führungs- und Expertenpositionen angemessen zu besetzen. Da intern keine Kandidaten zur Verfügung stehen, entschliesst sich die Konzernleitung, extern nach geeigneten Personen zu suchen. Trotzdem nimmt die Medizinaltechnik bereits einen wichtigen und wachsenden Platz im Produkteportfolio ein. Dies im Gegensatz zur Sparte Anlagebau, die auch mit intensiven Förderungsmassnahmen seit Jahren stagniert und sich in einer eigentlichen Dauerkrise befindet. Das Vordringen in eigenständige (d.h. von den traditionellen Produkten unabhängige) Gebiete, wie z.B. die Verfahrens- und Oberflächentechnik, erfolgt nur sehr behutsam. Viel lieber werden die mit High-Tech aufgefrischten, angestammten Produkte verkauft. Das Produktionsprogramm ist aufgrund der betriebenen Diversifikationsstrategie sehr breitgefächert. Als Gemeinsamkeit aller Produkte der Meister AG kann ihr InvestitionsgüterCharakter hervorgehoben werden. 51 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Organisationslehre E. Marktposition Geographisch Die Meister AG führt ein internationales oder sogar globales Geschäft in praktisch allen Produktbereichen. Die grosse Ausnahme bildet die Konzerndivision Heizung und Klima, die gemäss der Konzernstrategie ein europäisches Geschäft ist und bleiben soll. Insgesamt wird nur ca. 17% des Konzernumsatzes im Inland realisiert. Demgegenüber sind ca. 45% der Beschäftigten in der Schweiz angestellt. Position am Markt Die Meister AG ist oft zu wenig stark auf den Markt fokussiert. Die persönlichen Kontakte und das Engagement beim Kunden sind vielfach ungenügend oder werden nicht ausreichend genutzt, um durch Kundenpflege eine hohe Markenbildung zu erreichen. Dazu kommt, dass eine systematische Marktkenntnis, z.B. durch Marktforschung, meist nicht vorhanden ist. Produktbezogen Die von der Meister AG bearbeiteten Märkte weisen grosse Unterschiede auf: Hergestellt werden Papiermaschinen, Dieselmotoren, Industriepumpen, Heizung/Lüftung/Klima, Textilmaschinen, Verfahrenstechnik etc. Die Absatzmärkte der traditionellen Produkte des Konzerns sind ganz besonders von Übersättigung betroffen. Als Folge davon entwickelten sich ruinöse Preiskämpfe, wodurch die Manager die Meister AG durch ihr glückloses Lavieren in eine völlige Ertragslosigkeit geführt haben. Diese konnte nur dank dem positiven Ersatzteilgeschäft durchgehalten werden. Nur einige wenige Produktbereiche mit vergleichsweise geringem Umsatz, wie z.B. die Medizinaltechnik, weisen eine genügende Rentabilität auf. Resultat: ein Milliardenumsatz ohne Gewinn. F. Unternehmungsstruktur Rahmenstruktur Bei der Meister AG handelt es sich um ein klassisches Stammhaus (siehe Abbildung 1), welches nach dem Objektprinzip gegliedert ist und im Wesentlichen quer durch die ganze Unternehmungslandschaft geht. Insgesamt bestehen fast 30 Produktbereiche (ein Produktbereich entspricht hier einem strategischen Geschäftsbereich), welche aber unterschiedlich gross sind (realisierter Umsatz pro Produktbereich zwischen 10 Mio. und 1 Mia. sFr.). Einige der Produktbereiche bilden wirtschaftlich selbständige Geschäftseinheiten im Sinne von Profit Centern (z.B. der Produktbereich Kälte) und sind als solche zum Teil auch rechtlich selbständig (z.B. die Medizinaltechnik bei Maschinenbau Oerlikon). Die Strukturen sind das Resultat der Unternehmungsgeschichte und weniger die Folge kohärenter organisatorischer Überlegungen. 52 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Organisationslehre Als Konzerndivisionen definiert sind: Konzerndivision Produkte % vom Umsatz Maschinenbau Götschmann Textil- und Webmaschinen 24% Heizung und Klima Gebäudetechnik 19% Anlagenbau Komplette Anlagen (z.B. im Umweltbereich) Energierückgewinnungssysteme 5% Maschinenbau Oerlikon Diverse Produktbereiche (z.B. Thermische Energiesysteme, Giessereien, Medizinaltechnik, Kolbenkompressoren, Lokomotiven & Getriebe etc.) 20% Maschinenbau TannerSchwarz Diverse Produktbereiche (z.B. Hydraulik, Thermische Turbomaschinen, Papiertechnik, Oberflächen- und Verfahrenstechnik etc.) 18% Abbildung 34. Die Konzerndivisionen der Meister AG Während die ersten drei Konzerndivisionen vom Produktionsprogramm her betrachtet in sich relativ homogen sind, handelt es sich bei den zwei letzten um bunt zusammengewürfelte, uneinheitliche Führungseinheiten, die z.T. rechtlich selbständig, z.T. dem Stammhaus zugeordnet sind. Durch das geltende Strukturkonzept sind die Abgrenzungen zwischen den betriebenen Konzerngeschäften der Meister AG aber allgemein eher unklar. Als rechtlich selbständiger Konzernbereich existiert zudem Meister International AG, welche mit der Führung praktisch aller Konzerngesellschaften im Ausland (Produktion und Verkauf) betraut ist (Ausnahme: Maschinenbau Tanner-Schwarz). Dabei hat dieser Bereich eine eigene Profitabilitätszielsetzung und agiert daher oft in eigenem Interesse. Produkte der Meister AG können nur über die in diesem Rahmen betriebenen eigenen Vertretungen verkauft werden, auf welche die Produktleiter keinen Zugriff haben. Haben letztere das Gefühl, ihr Produkt werde schlecht vermarktet, können sie nur über die Konzernleitung eingreifen. Diese ist aber meist überlastet und reagiert nur schleppend. Folge davon ist, dass viele Produkte nicht optimal vertrieben werden, d.h. die Leistungen der Meister International AG sind nicht immer marktgerecht. Der Konzernleitung sind mehr als zehn Stäbe zugeordnet (Planung, Finanzen, Personal, Recht, Informatik, Organisation, PR etc.), welche die Synergierealisation und Konzernführung 53 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Organisationslehre erleichtern sollen. Dies führt zu einem sehr grossen Gemeinkostenbereich, der unübersichtlich und schlecht zurechenbar ist. Nicht klar ist auch, ob wirklich alle durch die Stäbe erbrachten Leistungen den Bedürfnissen der untergeordneten Produktbereichen und Konzerndivisionen entsprechen, da für die Stäbe nicht einmal eine Kosten-Verantwortung definiert ist. Damit wird eine wirksame Analyse dieses Kostenblockes verhindert. Die aktuell gültige Organisationsstruktur der Meister AG verdeutlicht die folgende Abbildung: MEISTER AG KONZERNSTÄBE Planung, Finanzen, Personal, PR, Recht, Organisation, Informatik etc. KONZERNLEITUNG KONZERNBEREICH MEISTER INTERNATIONAL AG KONZERNDIVISION KONZERNDIVISION KONZERNDIVISION KONZERNDIVISION KONZERNDIVISION MASCHINEN-BAU GÖTSCHMANN HEIZUNG UND KLIMA ANLAGENBAU MASCHINEN-BAU OERLIKON MASCHINEN-BAU OERLIKON PB Thermische Energiesysteme PB Hydraulic PB Medizinaltechnik PB Oberflächen & Verfahren PB Kolbenkompressoren PB Thermische Turbomasch.kompressoren PB Lokomotiven & Getriebe PB PapierTechnik Andere Produktbereiche Andere Produktbereiche PB Kolbenkompressoren Andere Produktbereiche PB Neue Produkte Andere Produktbereiche STAMMHAUS FÜHRUNGSLINIEN PB PRODUKTBEREICH Abbildung 35: Die Rahmenstruktur der Meister AG vor der Reorganisation Gründerfamilie und Führungsstruktur Erschwerender Faktor war ohne Zweifel bis Mitte der 80er Jahre der grosse Einfluss der Gründerfamilie Meister, deren Mitglieder auf allen Entscheidungsebenen anzutreffen waren. Das vorrangige Ziel der Führungsstruktur war denn auch primär die Sicherung des Familieneinflusses. Die fachliche Kompetenz und die strategische Sensibilität der Konzernleitungsmitglieder sind entsprechend wenig ausgeprägt. Ausdruck davon war z.B., dass die vierköpfige Konzernleitung nur einstimmige Entscheide fällen konnte, obschon die Konzernleitungsmitglieder für bestimmte Sparten zuständig waren. So unselbständig das oberste Führungsgremium, so unselbständig waren auch dessen Untergebene. Tagelange Sitzungen waren keine Ausnahme, bei denen zuweilen sogar technische Einzelheiten einer Maschine diskutiert wurden. Eine bürokratische und unbewegliche Konzernverwaltung war die Folge, die sich sehr stark mit operativen Problemen befasste. 54 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Organisationslehre Eine erste Reorganisation 1986 hatte zum Ziel, diesen Zustand zu beenden. Die Konzernleitung wurde auf sieben aufgestockt, aus deren Reihen jeweils der Präsident der Konzernleitung als primus inter pares gewählt wird. Vom Verständnis her war und ist die Konzernleitung ein Kollegialgremium mit Gesamtverantwortung gegenüber dem Verwaltungsrat. Die Führung erfolgt im Wesentlichen nach dem Kollegialprinzip, wobei die Konzernleitungsmitglieder Ressortverantwortung haben. Es kann daher immer noch nicht von einem entscheidungsfreudigen Gremium gesprochen werden, da es sich z.T. weiterhin mit operativen Aufgaben beschäftigt. Oft sind ungenügende Aktions- und Reaktionsfähigkeit und eine mangelnde Straffheit der Willensdurchsetzung feststellbar. Auf der Stufe Konzerndivisionen und Produktbereiche existiert wegen der fehlenden Einheitlichkeit der Geschäfte keine klare und eindeutige Zurechnung der Strategie- und Erfolgsverantwortung der Führungskräfte für die von ihnen geleiteten Einheiten. Dies hat zur Folge, dass die wahren Leistungen der einzelnen Bereiche oft miteinander saldiert werden, womit schlechte Resultate kaschiert werden können. G. Personalpolitik Oberstes Personalauswahlkriterium ist nur selten die Fähigkeit, dafür um so häufiger die Familiennähe. Selten mussten Manager darum die Verantwortung für Misserfolge tragen. In der Konzernleitung und im obersten Direktorium dominieren eindeutig Personen mit Familienbildung. Aufgrund immer deutlicher zutage tretender Mängel im Personalmanagement des Konzerns wurde der langjährige Personalchef frühzeitig pensioniert und durch eine wesentlich jüngere Nachwuchskraft ersetzt. Der neue Personalchef Feller konnte von einem grossen Dienstleistungsunternehmen abgeworben werden. Er hat es sich in den ersten 100 Tagen seiner Amtszeit zur Aufgabe gemacht, das Personalmanagement der Meister AG konzeptionell weiterzuentwickeln. Die neu erarbeiteten Personalmanagement-Grundsätze müssen auf eine Unternehmungssituation ausgelegt sein, die von häufigen und raschen Änderungen in den Strukturen und Prozessen gekennzeichnet ist. H. Unternehmungskultur/Klima Die Unternehmungskultur ist äusserst traditionsgeprägt. In den letzten Jahren haben sich zunehmend Unsicherheiten durch unbefriedigenden Geschäftsverlauf, Betriebsschliessungen und Kurzarbeit bei fehlenden zukunftsgerichteten Visionen und Strategien des Management bemerkbar gemacht. Nach wie vor besteht aber eine hohe Arbeitsmoral der Belegschaft wegen der sehr hohen Firmenverbundenheit und der Bereitschaft der heranwachsenden Führungsgeneration, positive Veränderungen durchzuführen. Diese starke kulturelle Identität hat aber auch zur Folge, dass notwendige organisatorische und personalwirtschaftliche Entscheidungen nicht oder nur halbherzig getroffen werden. Die mangelnde Dynamik und die 55 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Organisationslehre ungenügende Flexibilität der Konzernleitung lassen sich teilweise auf kulturelle Aspekte zurückführen. I. Image Die Meister AG hat das Image eines traditionsreichen, soliden, klassischen Maschinenbaukonzerns, der qualitative hochwertige und zuverlässige Produkte herstellt und auf dessen Service man sich verlassen kann. Neue Konstellation Ende 1996 Im Verlaufe des Jahres 1993 bricht aufgrund des massiven Konzernverlustes ein schon lange schwelender Konflikt zwischen zwei Hauptlinien der Gründerfamilie Meister aus. Die Nachfolgepolitik an der Spitze der Unternehmung scheint familienintern nicht mehr lösbar, der Konzern driftet praktisch führungslos vor sich hin. Schliesslich gelingt es einer Seite, sich durchzusetzen. Die unterlegene Linie verkauft darauf einen Grossteil ihres Aktienpakets an verschiedene Grossinvestoren, womit Dritte erstmals ein wirklich ernstzunehmendes Mitspracherecht in der Meister AG erhalten. Die neuen Aktionäre sind mit der aktuellen Ertragslage alles andere als zufrieden. Zusammen mit den veränderungswilligen Teilen der Familie Meister (unter anderem der Präsident des Verwaltungsrates, Georg Meister) setzen sie Anfangs 1996, unter Androhung des Verkaufs ihres Pakets an einen ungeliebten Konkurrenten, die Wahl von Thomas Burger, dem bisherigen Chef und erfolgreichen Sanierer der Konzerndivision Götschmann, zum neuen Konzernleitungspräsidenten durch. Auch drei andere Mitglieder der Konzernleitung werden ersetzt. Damit wird ein schrittweises Auswechseln der überalterten Führungskader eingeläutet. Burger löst mit der Unterstützung von Georg Meister nach seiner Wahl in einem Top-Down-Approach eine grundlegende Reorganisation der Meister AG aus. Als global verantwortliches und tragendes Gremium des Prozesses amtet die gesamte Konzernleitung. Oberster Grundsatz dieser Restrukturierung ist die konsequente Umsetzung des Leitsatzes „Structure follows strategy“. Ziel ist eine maximale Übereinstimmung von unternehmerischer Verantwortung und Struktur bei gleichzeitiger Reduktion der Anzahl Produktionsbereiche. Die neue Konzernvision und die zu deren Erreichung grob festgelegten Strategien lauten: Vision Mehrwerte schaffen für Aktionäre, Mitarbeitende und Kunden. Strategien Abschied von der Diversifikationspolitik zum Zweck der Steigerung der Profitabilität durch Fokussierung auf Kernbereiche sowie Definition und Aufbau zukunftsträchtiger Pfeilergeschäfte. Aufgabe des bisher praktizierten unbedingten Synergiestrebens auf allen Konzernebenen. Ziel ist die Transformation des Maschinenbauunternehmens in einen 56 Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Organisationslehre Technologiekonzern, der nicht nur von den Finanzen zusammengehalten wird, sondern auch durch sogenannte Kernfähigkeiten. Diese werden definiert als: Kernkompetenz Technologie, die als starke Klammer dienen soll Kernkompetenz Finanzen Kernkompetenz Human Resources Kernkompetenz Marktunterstützung/Marketing Zu dieser Transformation sollen insbesondere die Bereitstellung von Ressourcen für den Aufbau neuer erfolgversprechender Geschäftsfelder, wie z.B. der Medizinaltechnik, beitragen. Diese Geschäftsfelder sollen zu tragenden Unternehmungspfeilern ausgebaut werden, sei es durch Eigenentwicklungen oder strategiekonforme Akquisitionen. Es zeigt sich, dass die Marktanteile der verschiedenen Produktbereiche (z.B. Kolbenkompressoren) der Konzerndivisionen Maschinenbau Oerlikon und Maschinenbau Tanner-Schwarz, mit Ausnahme der Medizinaltechnik, zur Zeit noch nicht gross genug sind, um eigenständige Geschäftsbereiche zu bilden. Nebst der Förderung der potentiellen Zukunftsgeschäfte auf Konzernebene und dem Angebot eines Grund-know-hows für alle Konzernunternehmen, soll die F&E auch für Produkte, die in gesättigten Märkten abgesetzt werden, die Voraussetzungen für deren Überleben sichern. Dies nicht wie bis anhin nur produktbezogen, sondern nach den wandelnden Bedürfnissen des Marktes. So soll ein flexibles Nischenmanagement oder ein seitliches Ausweichen immer möglich bleiben. Der gesamte Reorganisationsprozess soll in Etappen verwirklicht werden, indem die rechtliche Struktur konzipiert und konsequent schrittweise umgesetzt wird. Aufgabenstellung Welche Neugestaltung der Rahmenstruktur würden Sie der Konzernleitung vorschlagen? Entscheiden Sie sich für ein Holdingkonzept. a) Begründen Sie Ihre Wahl. Erklären Sie, wie die von Ihnen Holdingausprägung Koordinations- und Motivationsaufgabe umsetzt. gewählte b) Stellen Sie die neue Einordnung der Produktbereiche graphisch dar. Bitte berücksichtigen Sie dabei folgende Punkte: Die strategisch festgelegten Massnahmen, wie z.B. der Verkauf von im Konzernverbund nicht mehr sinnvollen Geschäften, können nicht alle sofort realisiert werden. Auch haben nicht alle Zukunftsgeschäfte die notwendige Grösse, um sofort als unabhängige Profit-Center oder sogar als Pfeilergeschäfte definiert werden zu können. D.h., Ihre neue Konzernstruktur muss auch Raum für Übergangslösungen bieten. c) Wie ordnen sie die widerspenstige Meister International AG zu. Wählen Sie eine Center-Lösung und begründen Sie Ihre Wahl. 57