Die Bildung des Gesamturteils Nadine Cahsun Die Bildung des Gesamturteils Lehrveranstaltung: Finanzcontrolling einschließlich Finanzanalyse und Finanzplanung Dozent: Prof. Dr. W. Schmeisser Datum: 05. November 2004 Inhalt: 1. Vorstellung des Themas 2. Prinzipien bei der Urteilsbildung 2.1 Probleme bei der Urteilsbildung 3. Die Kennzahlensysteme 3.1 Traditionelle Kennzahlensysteme 4. Rechensystem 4.1 ROI-System 4.2 Kennzahlensystem auf Basis empirischer Bilanzforschung 5. Ordnungssysteme 5.1 Das RL-Kennzahlensystem 6. Quasi-objektive Gesamturteilungsbildung mit Scoring-Modellen 6.1.1 Quantitative Bilanzanalyse 6.1.2 Qualitative Bilanzanalyse 7. Das RSW-Verfahren 7.1 Die Fundamentalanalyse 7.2 Analyse der Börsenperformance 7.3 Gesamtbeurteilung Anhang: Beispiel zu ROI-System und das RL-Kennzahlensystem 1 Die Bildung des Gesamturteils Nadine Cahsun 1. Vorstellung des Themas Der Bilanzanalytiker fasst die durch die Bildung und Interpretation von einzelnen Kennzahlen gewonnenen Teilurteile zu einem Gesamturteil über die wirtschaftliche Lage des zu analysierenden Unternehmens zusammen. Er hat dabei zu beurteilen, wieweit das Unternehmen das finanzielle Ziel, die Verdienstquelle zu sichern, realisieren konnte und wie die Erfolgsaussichten für die Zukunft auf Basis von JA zu beurteilen sind (Ziel: Geld verdienen). 2. Prinzipien bei der Urteilsbildung Ganzheitlichkeitsprinzip Es müssen alle relevanten Kennzahlen aus der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage für die Beurteilung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens herangezogen werden. Neutralisierungsprinzip Die bilanzpolitischen Maßnahmen, die dem Bilanzierenden eingeräumten Wahlrechte und Ermessenspielräume ermöglichen, sollen bei diesem Prinzip eliminiert werden. Dadurch können die errechneten Kennzahlen besser mit andere Unternehmen verglichen werden. Objektivierungsprinzip Darunter ist die Objektivierung des Weges und das Objektive Verfahren zu verstehen. Die Objektivierung des Weges ist die Vorgehensweise des Analytikers bei der Urteilsbildung, welche von einem Dritten nachvollziehbar sein sollte. Das Objektives Verfahren bestimmt die Auswahl, die Gewichtung und die Zusammenfassung der Urteilskriterien, die unabhängig von subjektiven Empfindungen und Erfahrungen des Analytikers sein muss. 2.1 Probleme bei der Urteilsbildung Bestimmte wirtschaftliche Aktivitäten und Merkmale des Unternehmens schlagen sich nicht oder nur indirekt in Finanzbuchführung nieder (z.B. Qualität der Personals). Bei der Erstellung des Jahresabschlusses werden Geschäftsvorfälle bereits verdichtet. Außerdem stellt der Jahresabschluss eine vergangenheitsbezogene Rechnung dar und bilanzpolitisch motivierte Sachverhaltsgestaltungen müssen bereinigt werden. Die relevanten Kennzahlen sollen unter zahlreichen Möglichkeiten ausgewählt werden. Dabei können verschiedene Kennzahlen zu widersprüchlichen Urteilen führen. 1 Bildung des Gesamturteils Nadine Cahsun, Bianca Widew 3. Die Kennzahlensysteme Kennzahlensysteme ermöglichen dem Analytiker trotz genannter Probleme die Bildung eines Gesamturteils. Kennzahlensysteme werden nach dem Grad der Objektivität der Urteils unterteilt. Subjektives Urteil traditionelle Kennzahlensysteme Quasi-objektives Urteil Scoring Modelle Objektives Urteil moderne Verfahren 3.1 Traditionelle Kennzahlensysteme Traditionelle Kennzahlensysteme verdichten Kennzahlen zu einer Spitzenkennzahl. Die Auswahl der Kennzahlen erfolgt quasi-objektiv, aber die Interpretation der Kennzahlen ist subjektiv. Abhängig von der Art des Aufbaus des Kennzahlensystems gliedert man in Rechensystem und Ordnungssystem 4. Das Rechensystem In einem Rechensystem wird eine Spitzenkennzahl durch Addition, Subtraktion, Multiplikation oder Division in Unterkennzahlen zerlegt. Beispiele für Rechensysteme sind das ROI-System und das Kennzahlensystem auf Basis empirischer Bilanzforschung. 4.1 ROI-System ROI=Erfolg/Gesamtkapital Der ROI gibt den Erfolg pro Einheit des gesamten investierten Kapitals des Unternehmens an. Grundsätzlich ist eine Erhöhung des ROI positiv zu bewerten. Aufgrund der in dem ROI verdichteten Informationen bezüglich der wirtschaftlichen Lage, vor allem der Ertragskraft, ist eine isolierte Interpretation wenig aussagefähig. Es bedarf einer Ursachenanalyse, bei der die Spitzenkennzahl ROI in weitere Einzelkennzahlen gegliedert wird. 2 Bildung des Gesamturteils Nadine Cahsun, Bianca Widew Die Kennzahlen EKR und EKQ spiegeln die zwei wesentliche monetären Ziele eines Unternehmens „Geld verdienen“ und „Verdienstquelle sichern“ wider. Die Zielerreichungen beider Kennzahlen stehen zum Teil konkurrierend zueinander. So führt eine Erhöhung des Eigenkapitals durch Einbehaltung des Jahresergebnisses in den Folgejahren zu einer Verringerung der EKR, aber gleichzeitig zu einer Erhöhung der EKQ. Die alleinige Angabe des ROI lässt somit einem Bilanzanalytiker nicht erkennen, in welcher Relation beide Kennzahlen zueinander stehen. Auf folgender Übersicht sind auf den beiden ROI-Isoquanten alle Kombinationen von EKR und EKQ dargestellt, die zu einem ROI von 5% bzw. 15% führen. (Abbildung schematisch) 3 Bildung des Gesamturteils Nadine Cahsun, Bianca Widew Erkennbar ist, dass unterschiedliche Strategien eines Unternehmens möglich sind. Die jeweilig verfolgte Strategie ist für den Bilanzanalytiker ablesbar. Folgende Strategien werden unterschieden: Sicherheitsstrategie: Steigerung des ROI durch Erhöhung der EKQ bei konstanter EKR Rendite-Risiko-Strategie: Steigerung des ROI durch Erhöhung der EKR, wobei EKQ auf niedrigem Niveau gehalten wird Rendite-Sicherheitsausgleichs-Strategie: Steigerung des ROI durch eine Erhöhung von EKR und EKQ gleichermaßen 4.2 Kennzahlensystem auf Basis empirischer Bilanzforschung Hier werden nur die Kennzahlen auserwählt, die aus empirisch nachgewiesenen Bilanzforschungen insbesondere zur Früherkennung von Unternehmenskrisen geeignet sind. 2 Kennzahlen haben sich dabei herausgefiltert: Zur Beurteilung der Ertragskraft („Geld verdienen“) dient die Kennzahl Cash-FlowRentabilität und die Modifizierte EKQ drückt die „Sicherung der Verdienstquelle“ aus. Durch die Verwendung des Cash Flows als Erfolgsindikator werden die für die Bilanzpolitik anfälligen Abschreibungen bzw. Zuschreibungen und Rückstellungsänderungen eliminiert. Durch die Multiplikation der beiden Kennzahlen erhält man eine Art ROI, aus dem durch weitere rechentechnische Aufspaltung eine Art Kapitalrückflussquote als Indikator für die Liquidität des Unternehmens ermittelt werden kann. 4 Bildung des Gesamturteils Nadine Cahsun, Bianca Widew 5. Ordnungssysteme In einem Ordnungssystem werden Kennzahlen verschiedener Gruppen ( z.B. Aufgabenbereiche) sachlogisch zugeordnet bzw. nach betriebswirtschaftlichen Zusammenhängen geordnet. Dabei sind die einzelnen Kennzahlen nicht rechentechnisch miteinander verknüpft. Die gegenseitige Abhängigkeit zwischen den einzelnen Kennzahlen ist daher auch nicht quantifizierbar. 5.1 Das RL-Kennzahlensystem Das Rentabilitäts-Liquiditäts-Kennzahlensystem stellt ein traditionelles Kennzahlensystem dar. Es besteht aus 2 Teilen: 1. Teil: Der Rentabilitätsteil mit der Spitzenkennzahl ordentliches Ergebnis 2. Teil: Der Liquiditätsteil mit der Spitzenkennzahl liquide Mittel Das Ziel des RL-Kennzahlensystems ist es Aussagen über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens treffen zu können und die einzelnen Kennzahlen mit anderen Unternehmen, anderen Branchen und anderen Wettbewerbern (Konkurrenten) zeitgleich vergleichen zu können. Dabei gibt das RL-Kennzahlensystem aber noch kein zusammengefasstes Gesamturteil ab. 5 Bildung des Gesamturteils Nadine Cahsun, Bianca Widew 6. Quasi-objektive Gesamturteilungsbildung mit Scoring-Modellen Scoring-Modelle werden auch als Nutzwertanalysen oder Punktbewertungsmodelle bezeichnet. Dieses Modell wird abgewendet, wenn mehrere Alternativen gleichzeitig bewertet werden sollen. Ein Scoring-Modell beinhaltet 6 Schritte: 1) Merkmalsauswahl 2) Gewichtung der Merkmale 3) Bestimmung der Merkmalsausprägungen 4) Bestimmung der Teilurteile 5) Ermittlung des Gesamturteils 6) Vergleichende Beurteilung 6.1 Das Saarbrücker Modell Das Saarbrücker Modell versucht die vorgenommene Bilanzpolitik in die Beurteilung des Unternehmens einzubeziehen. 6.1.1 Quantitative Bilanzanalyse Auf Basis von vier Kennzahlen wird die Ertragskraft eines Unternehmens beurteilt. Eigenkapitalquote (EQ) = Eigenkapital Gesamtkapital Return On Investment (ROI) = Korrigierter Jahresüberschuss Gesamtkapital Cashflow zu Umsatz (CFU) = Cashflow Nettoumsatzerlöse Cashflow zu Gesamtkapital (CFK) = Cashflow Gesamtkapital Anhand des Gesamtscores wird von außergewöhnlich hohe Ertragskraft bis außergewöhnlich geringen Ertragskraft ein Unternehmen beurteilt. 6.1.2 Qualitative Bilanzanalyse Die qualitative Bilanzanalyse ist die Analyse der Bilanzpolitik, welche die Bilanzierungsart des UN feststellt. Um eine Aussage über die Bilanzierungsart eines Unternehmens treffen zu können, wird das Bilanzierungsverhalten mit anderen deutschen Unternehmen verglichen. Weicht ein Unternehmen von dem typischen Bilanzierungsverhalten ab, weist dieses entweder ein konservatives oder ein progressives Bilanzierungsverhalten auf. 6 Bildung des Gesamturteils Nadine Cahsun, Bianca Widew 7. Das RSW-Verfahren Das RSW-Verfahren beurteilt UN nach 3 Bereichen: Rendite, Sicherheit und Wachstum. Dabei wird eine Kennzahl aus dem jeweiligen Bereich und eine branchenspezifische Kennzahl berechnet. Das Ziel ist es, aus der Sicht des Aktionärs zu beurteilen, das heißt Anlageentscheidungen sollen mit Hilfe des Modells unterstützt werden. 7.1 Die Fundamentalanalyse Die Werte der Kennzahlen werden standardisiert, gewichtet und addiert. Das daraus ergebene Ergebnis stellt den Fundamentalscore dar. Der Fundamentalscore gibt die Abweichung eines Unternehmens vom Durchschnitt der sich in den Vergleichsgruppen befindenden UN an. 7.2 Analyse der Börsenperformance Unternehmen werden aufgrund der Kennzahlen Rendite, Sicherheit und Wachstum beurteilt. Hier wird jeweils eine Kennzahl ermittelt. Die Werte der Kennzahlen werden indexbereinigt, standardisiert, gewichtet und addiert. Dieser Wert gibt den Börsenscore an. Anschließend werden sie in eine Rangfolge gebracht durch die Zuordnung von bestimmten Ratingwerten. 7.3 Gesamtbeurteilung Der Gesamtscore berechnet sich als arithmetisches Mittel aus dem Fundamentalscore und dem Börsenscore. Der Gesamtscore bestimmt die Abweichung eines Unternehmen vom Durchschnitt aller Unternehmen. Ein Unternehmen mit einem positiven Gesamtscore hat eine überdurchschnittliche Gesamt-Performance und ein UN mit einem negativen Gesamtscore hat eine unterdurchschnittliche Gesamt-Performance. Literatur Baetke, J.: Bilanzanalyse, IDW, Düsseldorf, 1998 Küting, K./ Weber, C.-P.: Die Bilanzanalyse, Schäffer-Poeschel, Stuttgart, 2000 Born, K.: Unternehmensanalyse und Unternehmensbewertung, Stuttgart, 1995 7 Bildung des Gesamturteils Nadine Cahsun, Bianca Widew Anhang 1 Beispiel zu ROI-System 8 Bildung des Gesamturteils Nadine Cahsun, Bianca Widew Anhang 2 Das RL-Kennzahlensystem Rentabilitätsteil Ordentliches Ergebnis Ordentliches Betriebsergebnis + Ordentliches Finanzergebnis Finanzergebnis Gesamtkapital- Return On rentabilität Investment Beteiligungsertrag + Zinsertrag Gesamtgewinn + Zinsaufwand ./. Beteiligungsaufwand Gesamtkapital * 100 Außerordentliches Ergebnis EigenkapitalRentabiliät Außerord. Ertrag Gesamtkapital ./. Eigenkapital * 100 Außerord. Aufwand Kapitalumschlags- Umsatzhäufigkeit Rentabilität Betriebsergebnis Umsatz ./. Gesamtkapital * 100 Gesamtkapital Betriebsergebnis ./. Umsatz * 100 9 Bildung des Gesamturteils Nadine Cahsun, Bianca Widew Anhang 3 Das RL-Kennzahlensystem Liquiditätsteil Liquide Mittel Anfangsbestand an liquiden Mitteln + Ges.-Einzahlungen ./. Ges.-Auszahlungen Cashflow Working Capital Jahresüberschuss/Jahresfehlbetrag + Abschreibungen +/- Veränderungen der Rückstellungen Umlaufvermögen ./. kurzfristige Verbindlichkeiten Dynanischer Verschuldungsgrad LiquiditätsKoeffizient Anlagendeckung Gesamte Verblk. ./. Casflow Liquide Mittel ./.kurzfr.Verblk. * 100 Eigenkapital + langfr. FK ./. AV * 100 Verschuldungsgrad Fremdkapital ./. Gesamtkapital * 100 10