KAPITEL 3 EXTRAZELLULÄRER RAUM ___________________________________________________________________________ 3.1. 3.1.1. 3.1.2. 3.1.3. 3.1.3.1. 3.1.3.2. 3.1.4. 3.1.5. 3.1.6. 3.2. 3.2.1. 3.2.2. ZUSAMMENFASSUNG 1 DIE EXTRAZELLULÄRE MATRIX (ECM) IST DIE FORMGEBENDE MATRIX FÜR ZELLEN UND GEWEBE. 2 Die Kollagene machen den grössten Teil der extrazellulären Matrix aus. 2 Elastin, das zweite Fibrillen-bildende Protein der ECM, ist - wie Kollagen - vernetzt und wird ebenfalls unter Mitwirkung der Lysyl-Oxidase synthetisiert. 6 Die Glykoproteine der ECM haben eine Doppelfunktion: Sie sind Informationsträger und wirken als molekularer Leim. 7 Fibronectin funktioniert als molekularer Leim und Opsonin. Tenascin kann zwischen einzelnen Zellen eine Adhäsion induzieren, aber auch eine Abstossung. 7 8 Die Proteoglykane sichern den Turgor und die Elastizität der Gewebe. 9 Lysosomale Speicherkrankheiten sind Folge eines Abbaudefektes der Proteoglykane. 11 Die Hyaluronsäure der ECM erleichtert die Wanderung von Zellen bei der Morphogenese und Reparatur von Geweben. 12 DIE BASALMEMBRANEN SIND GERÜST FÜR DIE IHNEN AUFLIEGENDEN ZELLEN UND SICHERN DIE GEWEBESTRUKTUR. 12 Die Basalmembranen sind Lichtmikroskopisch als zarte subepitheliale Linien zu erkennen. 13 Eine Verdickung der Basalmembranen ist eine wichtige Ursache für eine Störung ihrer Funktion als Filter. 14 ZUSAMMENFASSUNG Der extrazelluläre Raum kann unterteilt werden in die extrazelluläre Matrix (ECM) und in die Basalmembranen. Die ECM ist ein stabiler Komplex von selbst-aggregierenden Makromolekülen. Sie gleicht einerseits einer Art Baugerüst aus vorfabrizierten Fertigelementen mit Stützfunktion, andererseits einer wichtigen Informationszentrale für Wachstum, Differenzierung und Migration der Zellen. Sie besteht im wesentlichen aus Fasern (Kollagene, Elastin), Glykoproteinen (Fibronectin und Tenascin) sowie aus der Zwischensubstanz (Proteoglykane und Hyaluronsäure). Die Kollagene dienen der Zug- und Reissfestigkeit der Gewebe. Die wichtigsten zwei Aminosäuren in den Kollagenmolekülen sind Hydroxyprolin und Hydroxylysin. Kollagene können von Fibroblasten, glatten Muskelzellen, Endothelzellen, aber auch von Epithelzellen synthetisiert werden. Pathologische Veränderungen der ECM sind grösstenteils erworben, können aber auch durch Gendefekte bedingt und angeboren sein. Hauptursachen für die erworbenen Defekte der Kollagensynthese sind Fehlernährung oder toxische Stoffe. Ein verstärkter Kollagenabbau kommt durch eine erhöhte Aktivität von Kollagenasen zustande. Elastin weist (wie Kollagen) eine vernetzte Struktur auf und wird ebenfalls unter Mitwirkung der Lysyl-Oxidase synthetisiert. Das Elastinmolekül besteht aus Tropo-Elastin mit reichlich Lysin und Desmosin. Die häufigste der angeborenen Krankheiten des Bindegewebes, das Marfan-Syndrom, beruht auf einem Elastindefekt. Elastin ist resistenter gegenüber Elastasen als Kollagen gegenüber Kollagenasen. Die Glykoproteine der ECM sind Informationsträger und molekularer Leim zugleich. Die wichtigsten Glykoproteine der ECM sind Fibronectin und Tenascin. Fibronectin kommt nicht nur in der ECM, sondern auch im Blutplasma vor. Fibronectin und Tenascin fördern beide die Adhäsion, Beweglichkeit und damit das Wachstum der Nervenfasern, Tenascin hindert aber die Bewegung der neuralen Satellitenzellen. Tenascin hat zusätzlich immunsuppressive Eigenschaften. Die Hauptaufgabe der Proteoglykane in der ECM ist die Aufrechterhaltung des Gewebeturgors. Dies ist möglich, weil die Glykosaminoglykan-Komponente des Moleküls hydrophil ist und negative Ladungen aufweist. Da sich die Glykosaminoglykan-Ketten in den Proteoglykanen nicht falten können, haben die Proteoglykane auch eine Funktion als molekulares Sieb. Die Hyaluronsäure, ein Glykosaminoglykan, ist ein wichtiges Molekül der «Zwischensubstanz». Es ist vor allem die Wanderung der Zellen in der ECM verantwortlich. Basalmembranen sind dünne, flache Strukturen aus spezialisierter extrazellulärer Matrix. Die wichtigste Aufgaben der Basalmembranen ist die Bildung des Gerüst für die ihnen aufliegenden Zellen und damit die Aufrechterhaltung der Gewebestruktur. Eine Verdickung der Basalmembranen ist eine wichtige Ursche für eine Störung ihrer Funktion als Filter. Eine solche Verdickung liegt beim Diabetes mellitus vor . Ursache dafür ist eine vermehrte Glykosylierung der Basalmembran-Proteine. Der extrazelluläre Raum besteht aus der extrazellulären Matrix (ECM) und den Basalmembranen. 3.1. DIE EXTRAZELLULÄRE MATRIX (ECM) IST FORMGEBENDE MATRIX FÜR ZELLEN UND GEWEBE. DIE Die ECM ist ein stabiler Komplex von selbst-aggregierenden Makromolekülen (Abb.3-1) mit den Aufgaben, (1) zur Aufrechterhaltung der Struktur der Gewebe ein «Skelett» oder «Gerüst» zu bilden, (2) durch Sicherung des Turgors und der Gewebeelastizität die Funktionalität der Gewebe aufrechtzuerhalten sowie (3) im Dienste des Wachstums, der Differenzierung und der Motilität der Zellen Signale zu übermitteln. Die ECM umgibt die Zellen des Mesenchyms oder Parenchyms. Die ECM kann auch bezeichnet werden als das, was bleibt, wenn die mesenchymalen und parenchymatösen zellulären Elemente aus einem Gewebe entfernt worden sind. Die ECM gleicht einerseits einer Art Baugerüst aus vorfabrizierten Fertigelementen mit Stützfunktion, andererseits einer wichtigen Informationszentrale für Wachstum, Differenzierung und Migration der Zellen. Die ECM setzt sich im wesentlichen aus (1) Fasern (Kollagene, Elastin), (2) Glykoproteinen (Fibronectin, Tenascin) und der Zwischensubstanz (Proteoglykane, Hyaluronsäure) zusammen (Abb.3-1). 3.1.1. Die Kollagene machen den grössten Teil der extrazellulären Matrix (ECM) aus. Die Kollagene bilden eine Familie von Proteinen mit gemeinsamen Eigenschaften, die der Zug- und Reissfestigkeit der Gewebe dienen (Tab.3-1). Sie weisen eine Tripel-Helix-Struktur auf und bestehen aus drei -Ketten verschiedenen Typs. Die wichtigsten zwei Aminosäuren in den Kollagenmolekülen sind Hydroxyprolin und Hydroxylysin. Abb.3-1 Die ECM ist ein stabiler Komplex von selbst-aggregierenden Makromolekülen. Die wichtigsten sind Kollagene, Elastin und Fibronectin. Laminin, Entactin und Kollagen Typ IV sind Bestandteile der Basalmembranen. Roman J., Limper AH., McDonald GA.: Lung extracellular matrix: Physiology and Pathophysiology. Hospital Practice 25, November 15: 125-140, 1990 Tab.3-1 Die verschiedenen Kollagen-Typen und ihre Eigenschaften. ___________________________________________________________________________ Eigenschaft Typ Polymerisierte Form Vorkommen in ___________________________________________________________________________ Fibrillen-bildend I Fibrillen II III V XI Fibrillen-assoziiert IX XII Knochen, Haut, Sehnen, Ligamente, Hornhaut, Innere Organe, reifes Narbengewebe (gesamthaft 90% des Kollagens des Organismus') Fibrillen Knochen, Knorpel, Zwischenwirbelscheiben, Glaskörper des Auges Fibrillen Haut, Blutgefässe, Innere Organe (Uterus, Gastrointestinaltrakt), embryonales Gewebe, junges Narbengewebe Fibrillen mit Typ I wie Typ I Fibrillen mit Typ II wie Typ II seitliche Verbindung mit Fibrillen des Typs II seitliche Verbindung mit manchen Fibrillen des Typs I Knorpel Sehnen, Bänder Geflecht bildend IV flächenhaftes Netz Basalmembranen VII Verankerungsfibrillen unter den Plattenepithelien ___________________________________________________________________________ Kollagene können von Fibroblasten, glatten Muskelzellen, Endothelzellen, aber auch von Epithelzellen synthetisiert werden. Zum Verständnis der verschiedenen krankhaften Veränderungen der ECM ist es wichtig, die einzelnen Syntheseschritte zu kennen (Tab.3-2). Tab.3-2 Die Synthese der Kollagene erfolgt hauptsächlich intrazellulär, wird aber extrazellulär abgeschlossen. ___________________________________________________________________________ Lokalisation Prozess Produkt Enzyme/Co-Enzyme ___________________________________________________________________________ Endoplasmatisches Retikulum und Golgi-Apparat Synthese der Pro--Ketten mit terminalen Polypeptidketten Hydroxylierung von Protein-, Serin- und Lysinresten Vitamin C Glykosylierung von HydroxyLysinresten Bildung von Disulfidbrücken ___________________________________________________________________________ Tab.3-2 (Fortsetzung) ___________________________________________________________________________ Lokalisation Prozess Produkt Enzyme/Co-Enzyme ___________________________________________________________________________ Selbstaggregation Sekretorische Vesikel Extrazellulärraum PROKOLLAGEN mit Polypeptidketten PROKOLLAGEN mit Polypeptid-Ketten Abspaltung der Polypeptidketten TROPOKOLLAGEN Anordnung in MIKROFIBRILLEN Vernetzung durch oxydative Deaminierung von Lysin- und Hydroxilinresten FIBRILLEN Peptidasen Lysyl-Oxidase, Cu2+-Ionen, Vitamin C Bündelung der Fibrillen FASERN ___________________________________________________________________________ Pathologische Veränderungen der ECM sind grösstenteils erworben, können aber auch durch Gendefekte bedingt und angeboren sein. Als Ursache kongenitaler Kollagendefekte kommen in Frage: (1) Veränderungen von Genen, welche die Pro--Ketten kodieren und (2) Veränderungen von Genen, welche die für die Vernetzung benötigten Enzyme steuern. Die Symptome, welche mit Vernetzungsstörungen einhergehen, äussern sich in erster Linie an Knochen, Gelenken, Haut, grossen Arterien, Mitralklappen und Augenlinsen. Die kongenitalen Störungen der Kollagene können sich in in Form einer Osteogenesis imperfecta und eines Ehlers-Danlos Syndrom manifestieren. Das Ehlers-Danlos-Syndrom geht vor allem mit einer Dysfunktion der Mitralklappe, mit einem Aortenaneurysma und einer Osteoarthritis einher. Hauptursachen für die erworbenen Defekte der Kollagensynthese sind Fehlernährung oder toxische Stoffe. Eine toxische Wirkung kommt dem Penicillamin zu, weil es die Cu2+Ionen kompetitiv bindet. Cu2+-Ionen werden aber für den Schritt der Vernetzung benötigt. Bei der Homocystinurie interagiert das akkumulierte Homocystein mit den Aldehyden der Fibrillen und bewirkt so eine Vernetzungsstörung. Eine Dysfunktion des Kollagens kann auch Folge eines verstärkten Abbaus der Kollagenfasern wegen einer gesteigerten Aktivität von Kollagenasen sein. So können endogene Kollagenasen die Knorpelmatrix aufbrechen. Resultat ist dann eine Osteoarthrose; Kollagenasen von Bakterien (z.B. von Clostridium histolyticum) können die Wundheilung verzögern. Hauptquellen von Kollagenasen sind: Fibroblasten, Makrophagen, neutrophile Granulozyten und Endothelzellen. Die Kollagenasen werden von den Zellen in einer inaktiven Form als Proenzyme (Zymogene) sezerniert. Aktivierte Kollagenasen werden durch Inhibitoren kontrolliert. Kollagene können sich gegen einen Abbau aber auch durch eine Bindung an Fibronectin schützen. 3.1.2. Elastin, das zweite Fibrillen-bildende Protein der ECM, ist - wie Kollagen - vernetzt und wird ebenfalls unter Mitwirkung der LysylOxidase synthetisiert. Elastische Fasern weisen folgende Charakteristika auf: (1) Sie können bis zu 140% gedehnt werden (Kollagen nur bis zu 2%); (2) sie sind in der ECM um Kollagenfasern gewunden; (3) sie können Lipide und Fettsäuren binden und (4) sie werden durch Elastasen abgebaut. Das Elastinmolekül besteht aus Tropo-Elastin mit reichlich Lysin und Desmosin. Ein Marker für die Intensität des Elastinabbaus ist die Urinkonzentration des Desmosins, vergleichbar mit der Prolinkonzentration als Marker für den Kollagenabbau. Synthetisiert wird Elastin in Fibrozyten, Chondrozyten und glatten Muskelzellen. Das Elastinmolekül enthält plastische Abschnitte, welche nicht polar und hydrophob sind, sowie nicht elastische Abschnitte, welche polar und hydrophil sind. Die einzelnen ElastinMoleküle liegen in zufällig geknäuelter Form vor. Sie werden durch kovalente Bindungen über Desmosin zu einem elastischen Netzwerk verknüpft. Störungen des Elastins können wie jene des Kollagens angeboren oder erworben sein. Eine der häufigsten angeborenen Elastindefekte verbirgt sich hinter dem Marfan-Syndrom. An einem Marfan-Syndrom haben sehr wahrscheinlich der amerikanische Präsident Lincoln (18091865) sowie der Geigenvirtuose und Komponist Paganini (1782-1840) gelitten. Klinisch kann sich das Syndrom durch Schlottergelenke, Dislokationen der Augenlinse, Mitralklappenstörungen und ein Aortenaneurysma manifestieren. Ursache der Krankheit ist ein Defekt des Gens, welches das Glycoprotein Fibrillin kodiert, eine Komponente der Mikrofibrillen des Elastins. Häufiger als angeborene sind erworbene Defekte des Elastins: So nimmt die Vernetzung der Elastin-Mikrofibrillen und die Fähigkeit des Elastins, Ca2+-Ionen zu binden, im Alter zu. Folge davon ist eine Versteifung der elastischen Fasern. Auch ultraviolette Strahlen verändern die elastischen Fasern und können zur Elastose der Haut führen. Elastin ist resistenter gegenüber Elastasen als Kollagen gegenüber Kollagenasen. Elastasen sind vor allem in den Granula der neutrophilen Granulozyten, in Fibrozyten, Thrombozyten, glatten Muskelzellen und Makrophagen vorhanden. Sie können auch von Bakterien (z.B. Pseudomonas) sezerniert werden. Die wichtigste Anti-Elastase ist die 1Proteinase (1-Antitrypsin). 3.1.3. Die Glykoproteine der ECM haben eine Doppelfunktion: Sie sind Informationsträger und wirken als molekularer Leim. Die ECM ist vollgepackt mit molekular verschlüsselter Information, welche von den Zellen in der ECM über Adhäsionsmoleküle (siehe Kapitel 4: ADHÄSIONSMOLEKÜLE) empfangen wird. Die Interaktion der Zellen mit der ECM ist nicht nur für die Embryonalentwicklung wichtig, sondern auch für das Zellwachstum, die Zelldifferenzierung, die Wundheilung und die Nervenregeneration. Für den Signalaustausch zwischen den Zellen und den Glykoproteinen der ECM sind auf den Glykoproteinen Erkennungsmarken vorhanden. Diese Erkennungsmarken werden durch Aminosäure-Sequenzen in einer definierten Reihenfolge der Aminosäuren gebildet. Die wichtigsten Glykoproteine im Dienste der Beziehung zwischen der ECM und den Zellen sind Fibronectin und Tenascin. 3.1.3.1. Fibronectin funktioniert als molekularer Leim und Opsonin. Das Gewebe-Fibronectin ist nur bei alkalischem pH löslich, das Plasma-Fibronectin dagegen unter den üblichen physiologischen Bedingungen. Die Bindungsstellen auf dem Fibronectin-Molekül (Abb.3-1) erlauben es ihm, an Kollagen, Proteoglykane, Komponenten der Basalmembran, Fibrinogen, Fibrin, Heparin, Zelloberflächen, Bakterienoberflächen und Desoxyribonucleinsäure (DNA) zu binden. Diese Bindungsfähigkeit spiegelt sich im Namen wider und entspricht schlussendlich der Eigenschaft eines «molekularen Leimes». Das Plasma-Fibronectin wird wie andere Plasmaproteine vorwiegend in den Hepatozyten synthetisiert, das Gewebe-Fibronectin vor allem in Fibroblasten, Endothelzellen und Monozyten. Das Gewebe-Fibronectin ist eines der ersten Makromoleküle, welches während der embryonalen Entwicklung erscheint: Es formt eine «primitive» Matrix, in der dann die Organbildung stattfinden kann. Bei der Wundheilung hat Fibronectin eine Doppelfunktionen: (1) Es ist chemotaktisch für Fibroblasten und (2) es wirkt als Opsonin. Opsonine sind körpereigene Moleküle, die durch eine Anlagerung an verschiedene Objekte (Mikroorganismen, Immunkomplexe, Fremdkörper) deren Phagozytose begünstigen. Fibronectin wird demzufolge auch als «2-opsonic glycoprotein» bezeichnet. Es erscheint bei der Wundheilung als eines der ersten Elemente der ECM nach zirka zwei Tagen und bereitet die Organisation des nachfolgenden Kollagens vor. Fibronectin und Laminin werden durch die Metalloproteinase Stromalysin abgebaut. 3.1.3.2. Tenascin kann zwischen einzelnen Zellen eine Adhäsion induzieren, aber auch eine Abstossung. Tenascin ist ein Glykoprotein mit sechs Armen, welches vor einigen Jahren entdeckt und vorerst als myotendinöses Antigen bezeichnet worden ist. Heute wird Tenascin der extrazellulären Matrix zugeordnet. Das Molekül ist primär während der embryonalen Morphogenese aktiv. Bei Erwachsenen erscheint es wieder im Stroma maligner Tumoren, während Entzündungsprozessen und bei der Wundheilung. Die Doppelfunktion des Tenascins wird vor allem bei der Genese des peripheren Nervengewebes manifest. Die peripheren Nerven entwickeln sich aus Bündeln von Nervenfasern und Satellitenzellen. Aus den Satellitenzellen entwickeln sich die isolierenden Gliazellen. Während des Auswachsens benutzen die Nervenfasern und Satellitenzellen die ECM als Unterlage zur Fortbewegung. Das Mesenchym, in welches die Nerven einwachsen, enthält viel Fibronectin; Tenascin wird von den Satellitenzellen gebildet. Fibronectin und Tenascin fördern beide die Adhäsion, Beweglichkeit und damit das Wachstum der Nervenfasern. Während die Satellitenzellen auf Fibronectin gut haften und sich fortbewegen, sind sie jedoch wie gelähmt, wenn sie in die Umgebung von Tenascin-Molekülen gelangen. In der ECM scheinen also Territorien zu existieren, welche durch unterschiedliche Konzentrationen der Glykoproteine der ECM gebildet werden. Die Randzonen dieser Territorien wirken als selektive Schranken («Leitplanken») für die Bewegungen der Zellen in der ECM. Tenascin ist auch in immunologische Prozesse involviert. Neben Rezeptoren für Adhäsionsmoleküle besitzen die T-Lymphozyten auch Rezeptoren für Proteine der ECM. Tenascin hemmt die Bindung von Monozyten an Fibronectin und die Aktivierung der T- Lymphozyten. Tenascin kann durch diese immunosuppressive Wirkung dazu beitragen, dass maligne Tumoren der Immunabwehr entgehen können. Tenascin unterdrückt auch die Bindung von Fibroblasten an Fibronectin und Laminin. 3.1.4. Die Proteoglykane sichern den Turgor und die Elastizität der Gewebe. Die Proteoglykane sind wedelartige Moleküle (Abb.3-2). Der «Stiel» dieses Wedels wird durch die Hyaluronsäure (ein langes Glykosaminoglykan-Molekül) gebildet. An diese Hyaluronsäure sind über Verbindungsproteine weitere Proteine (die «Proteinkerne») gekoppelt, an welche kleinere Glykosaminoglykan-Moleküle (Chondroitinsulfat, Dermatansulfat, Heparansulfat, Keratansulfat) gebunden sind. Die Hauptaufgabe der Proteoglykane der ECM ist die Aufrechterhaltung des Gewebeturgors. Dies ist möglich, weil die Glykosaminoglykane hydrophil sind und negative Ladungen besitzen: Dadurch vermögen sie osmotisch aktive Kationen anzuziehen. Die Glykosaminoglykane - Moleküle der Proteoglykane - sind imstande, durch eine Änderung der Dichte ihrer negativen Ladungen die Wanderung von Molekülen und Zellen in der ECM mitzusteuern. Die Glykosaminoglykan-Ketten können sich in den Proteoglykanen nicht falten. Sie beanspruchen deshalb in Bezug auf ihre Masse sehr viel Raum. Dank dieses porösen Charakters der Glykosaminoglykane und ihrer Hydrophilie können sie einerseits als Flüssigkeitsspeicher funktionieren, andererseits - wie ein Sieb - wasserlöslichen Molekülen eine schnelle Diffusion in der ECM erlauben. Abb.3-2 Die Proteoglykane bestehen aus Hyaluronsäure und Glykosaminoglykan-Ketten. Die Glykosaminoglykane sind über Verbindungsproteine («Proteinkerne») an die Hyaluronsäure gebunden. Darnell J, Lodish H, Baltimore D: Molecular cell biology. Scientific American Books, New York, 1986 Die Proteoglykane binden über ihre Glykosaminoglykane verschiedene Makromoleküle, so z.B. Wachstumsfaktoren, Moleküle der Basalmembranen, Kollagen Typ I und Lipoproteine (Tab.3-3). Tab.3-3 Die Proteoglykane kommen hauptsächlich in der extrazellulären Matrix (ECM) vor, sind jedoch auch in Basalmembranen und Zellen anzutreffen. ___________________________________________________________________________ Proteoglykan Vorkommen in ... Glykosaminoglykan Bindung an ... ___________________________________________________________________________ Aggrecan Knorpel Chondroitinsulfat Keratansulfat Betaglycan ECM, Zelloberfläche Dermatansulfat TGF- Biglycan ECM Dermatansulfat Fibrillen der ECM Decorin ECM Chondroitinsulfat Kollagenfibrillen des Typs I und an Dermatansulfat TGF- Wachstumsfaktoren Perlecan Basalmembranen Heparansulfat Bestandteile der Basalmembranen Wachstumsfaktoren Serglycin Granula von neutroChondroitinsulfat Entzündungsmediatoren philen Granulozyten Dermatansulfat Syndecan-1 Fibroblasten Chondroitinsulfat Oberfläche von Fibroblasten- und Epithelzellen Heparansulfat Epithelzellen Fibroblasten-Wachstumsfaktor ___________________________________________________________________________ TGF- Transformierender Wachstumsfaktor ECM Extrazelluläre Matrix Proteoglykane kommen nicht nur in der ECM, sondern auch in Zellen (in sekretorischen Vesikeln und Zellmembranen) und in Basalmembranen vor. In den neutrophilen Granulozyten und Mastzellen halten sie die Entzündungsmediatoren in den Vesikeln fest. In den Zellmembranen wirken sie als als Co-Rezeptoren für die Bindung der Zellen an die ECM. Decorin wird während der Bildung von Granulationsgewebe exprimiert, Perlecan und Syndecan-1 erscheinen bei der Wundheilung während der Migration von Epithelzellen aus dem Wundrand in die geschädigte Gewebezone hinein. 3.1.5. Lysosomale Speicherkrankheiten sind Folge eines Abbaudefektes der Proteoglykane. Der Abbau der «Zwischensubstanz» der ECM erfolgt in den Fibrozyten über eine Pinozytose und hydrolytische Abspaltung der einzelnen Monosaccharide der Proteoglykane durch lysosomale Glykosidasen und Sulfatasen. Es sind genetische Defekte einzelner, am Abbau der Proteoglykane und Glykosaminoglykane beteiligter Enzyme bekannt. Diese Defekte bewirken eine Hemmung des physiologischen Katabolismus' der «Zwischensubstanz» der ECM und eine Speicherung von Metaboliten der Proteoglykane und anderer Makromoleküle in den Lysosomen der am Katabolismus beteiligten Zellen (siehe Kapitel 9: KOHLENHYDRATE). 3.1.6. Die Hyaluronsäure der ECM erleichtert die Wanderung von Zellen bei der Morphogenese und Reparatur von Geweben. Die Hyaluronsäure, ein Glykosaminoglykan, macht die Hauptkomponente der «Zwischensubstanz» der ECM aus. Das Molekül ist von spezieller Bedeutung in Geweben mit starker Zellwanderung (Embryogenese, Morphogenese, Wundheilung). Eine vermehrte Synthese von Hyaluronsäure begünstigt die Zellwanderung, eine Degradation der Hyaluronsäure durch die Hyaluronidase stoppt sie. Der Abbau der Hyaluronsäure ist beim fortgeschrittenen Hypothyreoidismus (Unterfunktion der Schilddrüse) reduziert. Folge davon ist eine Veränderung der ECM. Diese Veränderung zeigt sich in einer Verdickung der Haut (Myxödem), einer heiseren Stimme und einer Schwellung der Zunge. Beim prätibialen Myxödem im Rahmen einer Hyperthyreose handelt es sich um eine gesteigerte Ablagerung von Glykosaminoglykanen im subkutanen Bindegewebe. 3.2. DIE BASALMEMBRANEN SIND GERÜST FÜR DIE IHNEN AUFLIEGENDEN ZELLEN UND SICHERN DIE GEWEBESTRUKTUR. Basalmembranen sind dünne, flache Strukturen aus spezialisierter extrazellulärer Matrix, auf denen die Epithelzellen, die meisten Endothelzellen und - in serösen Membranen die Mesothelzellen liegen (Abb.3-3). Keine Basalmembran besitzen die Endothelzellen der Sinusoide des Knochenmarks, der Milz, der Lymphknoten und der Leber. Basalmembranen umgeben auch Muskel- und Schwannzellen. Basalmembranen nur in Blutgefässen vor. 3.2.1. Im zentralen Nervensystem kommen Die Basalmembranen sind lichtmikroskopisch als zarte subepitheliale Linien zu erkennen. Die Beurteilung der Basalmembranen ist von grosser diagnostischer Bedeutung für die Unterscheidung zwischen einer Dysplasie oder einem Carcinoma in situ und einem bereits invasiven Karzinom. Ist die Basalmembran durch die dysplastischen Epithelzellen zerstört worden, und sind die dysplastischen Epithelzellen in die umliegende extrazelluläre Matrix eingedrungen, liegt ein invasives Karzinom vor. Die Regel «Durch die Basalmembran durchbrechende dysplastische Epithelzellen bedeuten invasives Karzinom» gilt nicht in der Kolonmucosa. Ein invasives Kolonkarzinom liegt erst dann vor, wenn die dysplastischen Epithelzellen in die Lamina muscularis mucosae infiltrieren. Ein Durchbruch durch die Basalmembran des Oberflächenepithels oder der Krypten in das Schleimhautstroma gilt im Colon - gemäss der Nomenklatur der World Health Organisation (WHO) - immer noch als schwere Dysplasie. Die Basalmembranen bestehen aus einem Netzwerk von Molekülen, von denen die meisten auch in der extrazellulären Matrix vorkommen: Kollagen Typ IV, Laminin, Entactin (stark sulfatiertes Glykoprotein), Perlecan (Heparansulfat-Proteoglykan) und Fibronektin. Laminin kommt praktisch ausschliesslich in den Basalmembranen vor. Es ist ein grosses Molekül aus drei kreuzförmig angeordneten Polypeptidketten. An jedes Lamininmolekül ist ein hantelförmiges Entactin-Molekül geheftet. Das Heparansulfat-Proteoglykan weist in seinem Proteinkern eine antigene Determinante auf. Zusätzlich besitzt es eine hohe Dichte negativer Ladungen. Es spielt deshalb für die Filtration von Molekülen durch die Basalmembran eine wichtige Rolle (siehe Kapitel 19: ÖDEME). Die einzelnen Komponenten der Basalmembranen werden hauptsächlich von den Zellen synthetisiert, welche den Basalmembranen aufliegen. Der Zusammenbau der einzelnen Komponenten in eine morphologische Struktur dürfte dann wahrscheinlich extrazellulär erfolgen. Viele dieser Zellen besitzen ein Membranprotein, welches spezifisch an Laminin und somit an die Basalmembran bilden kann. Abb.3-3 Basalmembran einer Kapillare. PAS-Färbung, Vergrösserung 800x. Die Basalmembran ist mit einem Strich markiert. Die wichtigsten Aufgaben der Basalmembranen sind die folgenden: (1) Bildung des Gerüsts für die ihnen aufliegenden Zellen und damit Beitrag an die Aufrechterhaltung der Gewebestruktur; (2) Bildung selektiver Barrieren (Filter) mit Hilfe der Dichte ihrer negativen Ladungen; (3) Prägung der Polarität der Zellen; (4) Organisation der Proteine in den Zellmembranen der ihr anliegenden Zellen; (5) Mitwirkung an der Zelldifferenzierung; (6) Bildung spezifischer Schienen für die Wanderung regenerierender Zellen und (7) Bindung von Wachstumsfaktoren und Ionen (Ca2+- und Ag2+-Ionen). 3.2.2. Eine Verdickung der Basalmembranen ist eine wichtige Ursache für eine Störung ihrer Funktion als Filter. Zu einer Verdickung von Basalmembranen kommt es vor allem in Kapillaren und in Schleimhäuten. In der Bronchialschleimhaut gehört eine Verdickung der Basalmembranen beim Asthma bronchiale zu den morphologischen Hauptsymptomen. Die Ursache dieser Verdickung ist jedoch nicht bekannt. Die kapillären Basalmembranen sind besonders beim Phenacetinabusus und beim Diabetes mellitus verdickt. Die biochemischen Veränderungen in den Basalmembranen beim Diabetes mellitus sind komplex. Einerseits ist bei dieser Krankheit die Heparansulfat-Komponente reduziert, andererseits sind in den Basalmembranen die «Advanced glycosylation end-products» (AGE) erhöht. Die Reduktion des Heparansulfats geht mit einer Verminderung der Dichte der negativen Ladungen einher und manifestiert sich in einer gesteigerten Permeabilität der glomerulären Kapillaren. Kollagene und Hämoglobin besitzen zwei Eigenschaften: (1) Es sind langlebige Moleküle mit einer Lebenszeit von ca. 4 Monaten und (2) sie können nicht-enzymatisch glykosyliert werden. Der Prozess der Glykosylierung beginnt damit, dass eine Aldehydgruppe der Glukose zufällig mit einer Aminogruppe eines Proteins reagiert. Diese Reaktion ist - im Gegensatz zur Bildung der AGE - noch reversibel. Das resultierende Produkt (Amadori-Produkt) kann dann langsam dehydrieren; dabei entstehen die instabilen AGE. Die AGE haben die Eigenschaft, Proteine in ihrer Nachbarschaft (z.B. Kollagene oder Lipoproteine) miteinander zu vernetzen. Dadurch kommt es zu einer Dysfunktion der betroffenen Moleküle. Es kommen verschiedene Krankheiten vor, an denen Veränderungen der Basalmembranen pathogenetisch beteiligt sind (Tab.3-4). Tab.3-4 Die wichtigsten Krankheiten, an denen Störungen der Funktion der Basalmembranen vorliegen sind der Diabetes mellitus und die Immunkomplex-Glomerulonephritis. ___________________________________________________________________________ Krankheit Typ der Krankheit Pathogenese Morphologie ___________________________________________________________________________ Alport-Syndrom (progressive Glomerulopathie) Hereditär Möglicherweise Defekt der Synthese der Basalmembranen Lamellierung, lokale Verdickung Diabetes mellitus Metabolisch Reduktion der Kollagensynthese Proteinvernetzung durch Glykosylierung Verdickung Amyloidose Metabolisch Einlagerung von Amyloid Verdickung ImmunkomplexGlomerulonephritis Immunologisch Hypersensitivitätsreaktion Typ 3 Immundepots Doppelkonturierung Goodpasture Syndrom (nekrotisierende Glomerulitis) Immunologisch Antibasalmembran-Antikörper Destruktion Bullöses Pemphigoid Immunologisch Antibasalmembran-Antikörper Destruktion Asthma bronchiale unbekannt Verdickung Maligne Tumoren Kollagenasen Destruktion ___________________________________________________________________________