Aktiengesellschaft für Dienstleistungen in der Schweineproduktion Geschäftsbereich SGD-SSP Literaturrecherche Postpartales Dysgalaktie-Syndrom der Sau – eine Übersicht mit besonderer Berücksichtigung der Pathogenese G. Reiner et al. Tierärztliche Praxis Grosstiere 2009; 37 (G): 305-318 Erkrankungen der Sau im Puerperium verlaufen nicht unter einem einheitlichen klinischen Bild. Die Bezeichnung MMA (Mastitis-Metritis-Agalaktie-Syndrom) ist daher unzutreffend. Bakterielle Endotoxine induzieren die für das Krankheitsbild wesentlichen pathophysiologischen Abläufe. Die Bildung der zur Auslösung des Krankheitsbildes erforderlichen Endotoxinmenge wird in entscheidendem Masse von begünstigenden Management-, Haltungs- und Fütterungsbedingungen beeinfluss. Unabhängig von den an der Krankheitsgenese beteiligten Organsystemen stellt der Milchmangel das produktionsbeeinträchtigende Kardinalsymptom dar. Diagnostisch muss deshalb frühzeitig eine Risikoanalyse für die Sauen mit besonderer Berücksichtigung des Wurfes (Saugverhalten, Gewichtsentwicklung) erstellt werden. Bei der Diagnostik ist immer zwischen Fieber und Hyperthermie zu differenzieren. Da mehrere Krankheitsprozesse zur Laktationsstörung beitragen, die in ihren ökonomischen Auswirkungen das Gesamtsyndrom dominiert, steht die Hypogalaktie im Vordergrund. Hieraus wurde der Begriff „puerperales Hypogalaktie-Syndrom“ abgeleitet. Als verwandter Begriff hat sich auch die Bezeichnung „postpartales Dysgalaktie-Syndrom“ (PPDS) durchgesetzt, welche im Folgenden auch verwendet wird. Faktoren für das PPDS: Beim PPDS handelt es sich zweifellos um eine Faktorenkrankheit. Zu den wichtigsten Faktoren gehören: - Parität - Urogenitale Infektionen - Retentio secundinarum - Retention der Lochialflüssigkeit - Hypotonie des Myometriums intra oder post partum - Genetische Disposition - Geburtszeitverzögerungen und Dystokien → Notwendigkeit von manuellen Eingriffen, Schleimhautverletzungen und hygienische Belastung der Geburtswege - Peripartale Immunsuppression, beding durch fieberhafte Zustände ausgelöst durch Eintrag von gram-negativen Keimen - Verlängerung der Austreibungsphase: Wehenschwäche infolge von Stresszuständen, Hypokalzämie, mechanische Hindernisse - Hoher Infektionsdruck (kont. Belegung, ungenügende Reinigung und Desinfektion, ständiger Kotkontakt der Sau) - Mangelnde Erregerabwehrbereitschaft (Mykotoxine, Stress) - Fütterungsfehler (zu geringes/hohes Sauengewicht, keine ausreichende Rückenspeckdicke, ungenügende Wasserversorgung) - Haltungsmängel (Bodenbeschaffenheit, Raumtemperatur, Platzangebot und Bewegungsmöglichkeit) Klinische Symptomatik: Obwohl die Körperinnentemperatur als diagnostisch wertvoll angesehen werden kann, zeigt sich ein sehr loser Zusammenhang mit den übrigen das Krankheitsbild bestimmenden Symptomen (Apathie, Hyporexie, Oligodipsie, Gesäugeveränderungen, gesteigerte Lochialsekretmenge, feste Kotkonsistenz). Vor allem Temperaturen im Bereich zwischen 39.3°C und 39.7°C sind schwierig zu interpretieren. Auch bei gesunden Tieren kann es unmittelbar nach der Geburt, als Ausdruck der geburtsbedingten körperlichen Belastung, zu einem Temperaturanstieg kommen. Mehrfachmessungen können hilfreich sein. Aufgrund laktationsbedingter kataboler Ersteller : Riccarda Ursprung Datum : 30.11.2009 Seite 1 von 4 Stoffwechselvorgänge oder im Fall deutlich erhöhter Umgebungstemperatur kann sich bei gesunden Sauen ebenfalls eine Köpertemperatur von bis zu 41.4°C einstellen. Es handelt sich dabei um die so genannte Laktationshyperthermie. Endometritis: Die Entzündung der Gebärmutter ist auf die Schleimhautschichten begrenzt. Bei geöffneter Zervix kommt es durch Exsudation des Endometriums zu seromukösem bis purulentem Fluor vaginalis. Differenzialdiagnostisch müssen Vaginitiden und Zystitiden abgegrenzt werden. Die Endometritis kann mit einer fieberhaften Allgemeinerkrankung und Hypogalaktie einhergehen, doch ist auch ein mehr oder weniger subklinischer Verlauf möglich. E. coli spielt die Vorreiterrolle bei den puerperalen Endometritiden. Ferner können Streptokokken, Mikrokokken und Staphylokokken beteiligt sein. Die potenziellen Folgen von Endometritiden sind Salpingitis und Eileiterverschluss, aber auch chronische Endometritiden, selten zudem Pyometra. Bei chronischer Endometritis ist die Schleimhaut des Uterus nicht mehr in der Lage, die entsprechenden Stoffe für das histiotrophe Milieu zu sezernieren, auf das der Embryo angewiesen ist. Bei schwächerem Verlauf zeigen sich dann lediglich Auswirkungen auf die Wurfgrösse, stärkere Verläufe können zur Sterilität führen. Da auch bei gesunden Sauen postpartal pathogene Keime in Zervix und Vagina vorliegen, sind Zervixtupferproben nur bei gleichzeitigem Bestehen einer klinischen Symptomatik aussagekräftig. Mastitis: Bei der Mehrzahl der an PPDS erkrankten Sauen besteht auch eine Mastitis, die durch Ansiedlung von Keimen aus Darm oder Uterus sowie galaktogen über die Zitze zustande kommen kann. Die Mastitis muss als getrenntes Krankheitsbild aufgefasst werden. Die Mastitisgefahr steigt von den kranialen Gesäugekomplexen zu den kaudalen an. Klinisch zeigen sich diffuse oder umschriebene Rötungen, Ödeme eines oder mehrer Komplexe, eventuell des gesamten Gesäuges, Verhärtungen und Schmerzen. Vermehrte Wärme tritt bei etwa 50 % der Sauen auf. Der Funktionsverlust zeigt sich in Form von Hypogalaktie. Betroffene Tiere weisen oft ein gestörtes Allgemeinbefinden und eine Rektaltemperatur von bis zu 42 °C auf. Vielfach nehmen sie die Brust-Bauch-Lage ein, um den Ferkeln die Zitzen zu verweigern. Das Gesamtbild der Mastitis wird damit insbesondere auch durch die Unruhe der Ferkel geprägt, die nicht genügend Milch aufnehmen können. Es spielen sowohl grampositive Bakterien (Mikrokokken, Streptokokken) als auch gramnegative Bakterien eine wichtige Rolle. Prädisponierend wirken: - Hoher Infektionsdruck (Hygiene, Fliegenbekämpfung, hohe Erkrankungsrate) - Feuchte Liegeflächen - Zitzenverletzungen - Mangelnde Abwehrleistung (Stress, Mykotoxine) - Endometritiden (Kontamination der Umgebung durch Ausfluss, hämatogene Besiedlung) Die Folgen wiederholter akuter Mastitiden sind chronisch indurierende Mastitiden. Sie führen zu schlechter Ferkelentwicklung und erhöhter Ferkelsterblichkeit. Harnwegsinfektion: Harnwegsinfektionen gehen insbesondere auf Haltungs- und Fütterungsfehler, auf Bewegungsstörungen und Verletzungen der Vulva zurück. Klinisch zeigen sich Zystitiden durch häufigen Absatz kleiner Mengen Harns, der oft geringgradig verändert ist: dunkler gefärbt, oft getrübt oder flockig, eventuell schleimig, seltener auch blutig. Beimengungen müssen differenzialdiagnostisch von Vaginalfluor abgegrenzt werden. Die Fresslust kann kurzfristig, bei ansonsten meist ungestörtem Allgemeinbefinden, eingeschränkt sein. Bei Pyelonephritis findet sich ein wechselndes Harnabsatzverhalten. Der Harn weist hochgradige Veränderungen auf, oft mit Blutbeimengungen, die zu Anämie führen können. Die Fressunlust zeigt sich deutlich und hat ein Abmagern der Sauen zur Folge. Die Körpertemperatur sinkt bis unterhalb der physiologischen Grenzen ab. Mit der Zeit entwickelt sich eine Urämie und es kommt zu Tierverlusten. Beteiligt sind: E. coli, Streptokokken, Staphylokokken, Proteus u.a. Aus akuten Infektionen können sich chronische Harnwegsinfektionen und Nephritiden entwickeln. Beide können aufgrund des engen Bezugs zwischen Harn- und Geschlechtsapparat prädisponierend auf Endometritiden wirken. Auch die Gefahr für die Sauen, galaktogen oder hämatogen an Mastitis zu erkranken, nimmt zu. Harnwegsinfektionen als Bestandsproblem sind ein Indikator für die Kumulation fakultativ pathogener Keim. Pathogenese des PPDS: Ersteller : Riccarda Ursprung Datum: 30.11.2009 Seite 2 von 4 Eine herausragende Rolle in der Pathogenese von PPDS spielen bakterielle Endotoxine. Ausgangspunkt für die Entwicklung des Krankheitsbildes ist die bakterielle Besiedlung des koprostatischen Darms, des postpartalen Endometriums des Harntrakts und/oder des Gesäuges aber auch Sepsis oder Laminitis. Endotoxine: Endotoxine entstehen aus Lipopolysacchariden der äusseren Membran gramnegativer Bakterien. Bereits im Darm erfolgt ein teilweiser Abbau von Endotoxinen. Unter physiologischen Bedingungen fluten dennoch stets Endotoxine aus dem Darmtrakt zur Leber, wo sie inaktiviert werden, so dass die Endotoxinmengen normalerweise restlos beseitigt werden kann. Die überschiessende Vermehrung gramnegativer Bakterien stellt den wichtigsten Faktor gesteigerter Endotoxinanflutung dar. Sie kann aus einer Stase resultieren, die als Folge von Fieber, Überfütterung oder zu niedriger UmgebungsTemperatur auftritt. Endotoxine gelangen aber auch von anderen Organsystemen ausgehend ins Blutsystem. Die Besiedlung des Urogenitaltrakts und des Gesäuges mit gramnegativen Bakterien spielt dabei eine ganz besondere Rolle. Die Pathogenität der Endotoxine im Tier entsteht in erster Linie durch die Freisetzung körpereigener Mediatoren und damit sekundär. Ziel dieses Mechanismus ist die Eingrenzung, Bekämpfung und Elimination der Bakterien. Bei überschiessender oder systemischer Aktivierung der Mediatoren durch Endotoxine kann es allerdings infolge der Mediatorenwirkung zu schweren Krankheitsbildern, eventuell sogar zum Tod des Tieres kommen. Zielzellen für Endotoxine sind Neutrophile, Makrophagen und Blutplättchen. Diagnose des PPDS: Die Diagnose des PPDS wird dadurch erschwert, dass sich kein einheitliches klinisches Bild definieren lässt. Im Vordergrund steht historisch gesehen und aufgrund ihrer leichten Erfassbarkeit die meist erhöhte Körpertemperatur der betroffenen Sau. Die Güte dieses Kriteriums wird allerdings durch Einflüsse des Lebensalters, der Umgebungstemperatur und anderer, nicht bekannter Einflüsse empfindlich reduziert. Die erhöhte Körpertemperatur muss daher immer im Zusammenhang mit anderen Symptomen wie Hyporexie, Oligodipsie, Apathie, Ausfluss, Gesäugeveränderungen, Harnveränderungen und der Kotkonsistenz sowie im Kontext mit den Umweltbedingungen gesehen werden. Besonders wichtig ist die Einbeziehung der Ferkelentwicklung und der aktuellen Verlustraten. Eine Endometritis zeigt sich mit mukoserösem bis purulentem Ausfluss. Zur Abklärung einer spezifischen Keimbesiedlung sind Zervixtupfer heranzuziehen und bakteriologisch zu untersuchen. Eine Mastitis zeigt sich mit diffusen oder umschriebenen Rötungen, Verhärtungen und Ödemen, bei 50 % der Sauen mit Wärme, ausserdem Schmerzhaftigkeit und Funktionsverlust. Bei der Entnahme von Milchproben ist daran zu denken, dass Gesäugekomplexe der Sau pro Mamma aus mindestens zwei Subkomplexen bestehen und die Milch meistens aus dem gesunden der beiden Komplexe austritt. In den ersten drei Tagen post partum erreicht das Sekret physiologischerweise einen pH-Wert von > 6.8. Erst pH-Werte ab 7 können als pathologisch angesehen werden. Im späteren Verlauf der Laktation können höhere pH-Werte auch ohne entzündliche Vorgänge vorkommen. Der Zellgehalt in unveränderter Schweinemilch liegt stets unter 12 Mio./ml. Eine Unterscheidung zwischen Kolostralmilch und Mastitismilch lässt sich allerdings allein anhand der Zellzahl nicht treffen. Auch hier ist die Diagnostik mit dem Erregernachweis abzuschliessen. Harnwegsinfektionen sind durch ein qualitativ und quantitativ verändertes Harnabsatzverhalten gekennzeichnet. Das aussehen des Harns ist makroskopisch zu beurteilen. Die labordiagnostische Untersuchung umfassen pH-Wert, die Zellzahl sowie den Nachweis von Zellen, Kristallen oder sonstigen Bestandteilen sowie von Hämoglobin oder Blut. Auch die Untersuchung des Harns beinhaltet eine bakteriologische Untersuchung. Die klassische Manifestation mit dramatischen Symptomen findet sich in Herden mit gutem Gesundheitsstatus selten. Die Diagnostik muss daher auch die Intensität der Symptome berücksichtigen. Das Hauptproblem liegt in der Identifikation des Milchmangels. Die besten Indikatoren sind hier die Saugferkel, vor allem deren Gewichte und Gewichtsentwicklung und die Ausgeglichenheit der Würfe. Besonders wertvolle Hinweise liefert das Verhalten der Würfe in Ruhe (Unruhe) beim Saugakt: Die Massage der Gesäugekomplexe durch die Ferkel führt zu Oxytozinfreisetzung und in Koinzidenz zum Locken der Sau. Die Ferkel nehmen die Zitze auf und warten auf die Milchejektion. Kurze Massagezeiten während des eigentlichen Saugaktes können auf ein Sistieren des Milchflusses hinweisen. Der normale Saugakt findet 24-26 Mal pro Tag statt und dauert jeweils nur 10-20 Sekunden. Ein Saugverzug von nur 5 Sekunden führt daher zu einem Milchverlust von 25-50 %. Ersteller : Riccarda Ursprung Datum: 30.11.2009 Seite 3 von 4 Bei Hypogalaktie kommt es zu intensiveren und längeren Kämpfen um die Zitze. Die Ferkel liegen zwischen den Saugakten an der Sau, was ihre Überlebensstrategie gefährdet (Gefahr des Erdrückens, fehlende Wärme). Behandlung/Bekämpfung: Prophylaktische und metaphylaktische Behandlungen sind den therapeutischen vorzuziehen. Senkung der Geburtsdauer mittels Oxytocin, somit reduzierte Geburtshilfeinzidenz Infektionsdruck der Umgebung absenken (rein-raus, Reinigung und Desinfektion, Waschung der Sauen) Ausreichende Fütterung und Wassergabe Massnahmen zur Reduktion der beteiligten Keime in Chymus und Kot (Laxanzien, peripartale Fütterungsantibiose) Treten bei Sauen innerhalb von 2-3 Tagen post partum Zeichen für PPDS auf, muss allerdings sofort eine Therapie eingeleitet werden. Dabei gilt es, die Bakterien sowie die überschiessende Aktivierung der Abwehr zu reduzieren und den Milchfluss anzuregen. Antibiotika bei Fieber ab 39.5 °C, starken Störungen des Allgemeinbefindens oder bei Mastitis mit Milchmangel. Enrofloxacin hat den besonderen Vorteil, dass es keinen weiteren Anstieg der Endotoxinmenge provoziert. Die Behandlung sollte parenteral erfolgen. Die Instillation von Antibiotika oder von desinfizierenden Lösungen in den puerperalen Uterus ist wenig sinnvoll, da sie die Regenerationsvorgänge des Endometriums eher negativ beeinflussen. NSAIDs unterdrücken die Auswirkungen der Endotoxine und vermindern damit Schäden am Tier, die durch übersteigerte Entzündungsvorgängen in Gang kommen und erhalten bleiben. Für die Behandlung der Sau zugelassen sind Flunixin und Meloxicam. Die Applikation erfolgt am Tag der Geburt und eventuell ein zweites Mal am nächsten Tag. Ersteller : Riccarda Ursprung Datum: 30.11.2009 Seite 4 von 4