Zum Einfluss geschlechtsspezifischer Asymmetrien auf die schulische Erziehung von Mädchen und Jungen Magisterarbeit im Rahmen der Magisterabschlussprüfung am Fachbereich Erziehungs-, Sozial- und Geisteswissenschaften der FernUniversität Gesamthochschule Hagen Lehrstuhl Prof. Dr. H. Dichanz vorgelegt von Sabine Neumann Achtumer Winkel 9 31135 Hildesheim am 20.8.2002 Ich versichere, dass ich die Arbeit selbstständig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe. Alle Stellen, die wörtlich oder sinngemäß aus Veröffentlichungen und anderen Quellen entnommen sind, sind als solche kenntlich gemacht. Hildesheim, den 20. August 2002 Sabine Neumann Inhaltsverzeichnis Seite Einleitung 1 Definitionen............................................................................. 1 1.1 Koedukation .......................................................................... 1 1.2 Sozialisation.......................................................................... 1 2 Ergebnisse der PISA Studie .................................................. 2 2.1 Geschlechtsspezifische Unterschiede bei den Schülerleistungen ........................................................................ 5 2.2 Lesekompetenz .................................................................... 6 2.3 Leistungen in Mathematik und Naturwissenschaften .......... 11 2.4 Geschlechtsspezifische Unterschiede bei Selbstkonzept und Lernstrategien ............................................................................ 13 2.5 Leistungsschwache Schülerinnen und Schüler ................... 13 3 Sozialisation von Jungen und Mädchen ............................ 16 3.1 Außerschulische Jungensozialisation ................................. 16 3.1.1 Jungen und ihre Mütter ................................................17 3.1.2 Die Bedeutung des Vaters für die Sozialisation von Jungen ....................................................................................19 3.1.3 „Der Mythos der männlichen Überlegenheit“ ...............23 3.1.4 Die physische und psychische Verfassung von Jungen ..................................................................................26 3.2 Jungen und Mädchen im Kindergarten ............................... 31 3.2.1 Studie von Lilian Fried .................................................31 3.2.2 Verbale Kommunikation im Vorschulalter ....................33 3.3 Jungen in der Schule .......................................................... 34 3.3.1 Vorbilder in der Schule .................................................35 3.3.2 Anteil von Jungen und Mädchen in verschiedenen Schularten ..............................................................................37 4 Ergebnisse der Koedukationsforschung ........................... 39 4.1 Lob und Tadel ..................................................................... 41 4.2 Aufmerksamkeit .................................................................. 42 4.3 Sprachverhalten von SchülerInnen und LehrerInnen .......... 43 5 Sexismus in der Schule ....................................................... 43 5.1 Schulorganisation ............................................................... 44 5.2 Lehrmaterialien ................................................................... 47 6 Interessen und Begabungen von SchülerInnen ................ 60 6.1 Das Interesse der Mädchen und Jungen an naturwissenschaftlichen Fächern am Beispiel Physik ................ 60 6.2 Notenvergleich in naturwissenschaftlichen Fächern mit Schwerpunkt Mathematik ........................................................... 63 6.3 Naturwissenschaftliche Leistungskurse .............................. 65 6.4 Wer wählt schon Informatik?............................................... 66 6.5 Schulversuch Physik ........................................................... 68 7 Mädchenschulen - Jungenschulen - Koedukationsschulen 71 7.1 Mädchen in verschiedenen Schultypen .............................. 71 7.2 Eine Untersuchung aus den 50er Jahren ........................... 74 7.3 Geschlechtsspezifische Meinungsbilder zur Koedukation .. 75 7.4 Zur Bedeutung der Koedukation für Jungen ....................... 80 8 Schlussbemerkung .............................................................. 85 9 Anhang .................................................................................. 87 Einleitung Nicht erst seit Vorlage der Ergebnisse aus der jüngsten PISAStudie wird die schulische Erziehung von Mädchen und Jungen und deren schulische Leistungen kontrovers diskutiert. Allzu oft war die Diskussion über Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen bei der schulischen Erziehung in der Vergangenheit ausschließlich geprägt von der Betrachtung möglicher Benachteiligungen von Mädchen. In der vorliegenden Arbeit wird der Versuch unternommen, Einflüsse aufzuzeigen, die geschlechtsspezifische Besonderheiten und Unterschiedlichkeiten zwischen Mädchen und Jungen auf deren schulische Erziehung haben. Dabei sollen Schlaglichter aus verschiedenen Perspektiven auf das Gesamtbild geworfen werden, das sich dem wissenschaftlichen Beobachter bei der Betrachtung der schulischen Erziehung von Mädchen und Jungen bietet. In der täglichen Schulpraxis erleben LehrerInnen und SchülerInnen eine Gesamtsituation, die nicht zuletzt aufgrund der Komplexität ihrer Entstehungsgeschichte häufig zu (für alle Beteiligten) wenig befriedigenden Resultaten führt. Monokausale Erklärungsversuche führen dann – wie fast immer – zu bestenfalls kurzfristig tragfähigen Lösungen. Die Analyse geschlechtsspezifischer Unterschiede in der schulischen Entwicklung von Mädchen und Jungen kann zu einem besseren Verständnis der Lernsituation der Kinder und auch unterschiedlicher schulischer Leistungen beitragen. Bei der Frage, ob es eher die Mädchen sind, die aufgrund geschlechtsspezifischer Besonderheiten benachteiligt werden, oder – wie Studien jüngeren Datums zeigen – auch die Jungen unter derartigen Problemen leiden, darf „die Wahrheit“ nicht „in der Mitte“ gesucht werden. Wie der Philosoph und Auto-Manager Daniel Godeuvert einmal gesagt hat liegt die Wahrheit nie in der Mitte, sondern immer in der Tiefe! In diesem Sinne befasst sich die vorliegende Arbeit nach grundlegenden Definitionen (Kapitel eins) im zweiten Kapitel mit Ergebnissen der PISA-Studie, sofern sie für die Betrachtung unterschiedlicher Lernleistungen für Mädchen und Jungen relevant sind. Im Kapitel drei wird zunächst die außerschulische und dann die schulische Sozialisation von Mädchen und Jungen analysiert. Dabei werden Unterschiede herausgearbeitet, die für die spätere Entwicklung der Kinder prägend sind. Das vierte Kapitel befasst sich mit Ergebnissen der Koedukationsforschung, wie sie aus dem konkreten Schulalltag abgeleitet werden können. Kapitel fünf setzt sich kritisch mit Aspekten von Sexismus in der Schule auseinander und beleuchtet dabei sowohl die Schulorganisation als auch Lehrmaterialien. Es kann dabei gezeigt werden, wie sehr stereotype Rollenbilder auch in diesen formenden Elementen des schulischen Alltags auftreten. Im sechsten Kapitel geht es um Unterschiede bei schulischen Interessen und Begabungen von Mädchen und Jungen und wie sich diese in den Leistungen widerspiegeln. Das abschließende siebente Kapitel stellt verschiedene Studien dar, die sich mit Jungenschulen, Mädchenschulen und Koedukationsschulen befasst haben. 1 1 Definitionen 1.1 Koedukation Maria Anna Kreienbaum differenziert zwischen den Begriffen „Koedukation“ und „Koinstruktion“. „Wenn man Jungen und Mädchen lediglich gemeinsam in ein Klassenzimmer bringt, bedeutet dies erst mal nur Koinstruktion. Koedukation verlangt darüber hinaus ein gemeinsames Unterrichtskonzept, das die Gemeinsamkeiten wie die Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen fruchtbar macht.“1 „Koedukation“ ist somit ein idealtypisches Konzept einer gemeinsamen Erziehung und Unterrichtung von Schülerinnen und Schülern, die in unserem derzeitigem Schulalltag nur unzureichend umgesetzt ist. 1.2 Sozialisation „Sozialisation“ wird definiert als „der Prozeß der Entstehung und Entwicklung der Persönlichkeit in wechselseitiger Abhängigkeit von der gesellschaftlich vermittelten sozialen und materiellen Umwelt. Vorrangig thematisch ist dabei ....., wie sich der Mensch zu einem gesellschaftlich handlungsfähigen Subjekt bildet.“2 In der Sozialisationsforschung gilt diese Definition als konsensfähig. Laut Helga Bilden wird Sozialisation häufig als ein Prozess missverstanden, der ein eher passives Individuum formt. Jedes Kind sei, auch ein Neugeborenes, nur Objekt seines/ihres Sozialisationsprozesses. Zwar seien die von außen gesetzten 1 Kreienbaum, Maria Anna: Erfahrungsfeld Schule, Weinheim 1992, S. 23 2 Geulen, D. / Hurellmann, K.: Zur Programmatik einer umfassenden Sozialisationstheorie. In: Hurrelmann, K. / Ulrich, D. (Hrsg.): Handbuch der Sozialisationsforschung. 2. Auflage, Weinheim, Basel 1982, S. 51, zitiert von: Sauerwein, Ute: Internetseminar AG3 2 Bedingungen (Verhalten der Eltern, Nahrung, Anregung u.s.w.) zuerst übermächtig, doch wächst mit zunehmenden Handlungsund Reflexionsmöglichkeiten des Kindes sein/ihr eigener aktiver Anteil: „Es setzt sich mit der Umwelt handelnd, wahrnehmend, denkend, fantasierend auseinander.“3 Der Sozialisationsbegriff beschreibt also die Dialektik subjektiven Handelns und gesellschaftlicher Bedingungen.4 Somit werden (pädagogische) Eingriffsmöglichkeiten überhaupt erst eröffnet. 2 Ergebnisse der PISA Studie PISA (Programme for International Student Assessment) ist eine Studie, die Leistungen im Bildungssystem der 28 OECD-Länder (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung der Industrieländer) und vier weiteren Ländern vergleicht. Die Durchführung der Untersuchung erfolgte im Jahr 2000. Das Konzept für die Studie „wurde sowohl auf der politischen als auch auf der wissenschaftlichen Ebene in Kooperation und im Konsens der beteiligten Staaten entwickelt: Es sollen Grundkompetenzen erfasst werden, die für die aktive Teilnahme am gesellschaftlichen Leben und am Wirtschaftsprozess unabdingbar sind und die als Voraussetzung dafür gelten können, lebenslang eigenverantwortlich weiterlernen zu können.“5 Untersucht wurden Lesekompetenz, mathematische und naturwissenschaftliche Grundbildung und fächerübergreifende Fähigkeiten wie selbstreguliertes Lernen und Problemlösen. In Deutschland gibt es des weiteren eine Ergänzungsstudie, die Aspekte von Kommunikation und Kooperation prüft. 6 Schulanalysen v.a. waren in der Vergangenheit Input-Analysen, in denen die Investitionen in das Bildungssystem international 3 Bilden, Helga: Sozialisation und Geschlecht. In: Valentin, Renate und Ute Warm (Hg.): Frauen machen Schule, Frankfurt/M. 1985, S. 13 4 vgl. Kaiser, Astrid: Sozialisation von Lehrerstudenten, Frankfurt/M. 1982 5 http://www.lehrerinfo-bayern.de/info_lehrer/7_01_pisa_1.asp, vom 21.01.02. 6 vgl. ebenda 3 verglichen wurden und man davon ausging, dass es einen Zusammenhang zwischen Umfang der getätigten Investition und Leistung besteht. Neuere Analysen wie TIMSS und PISA sind hingegen vor allem Output-Analysen, d.h. im Mittelpunkt der Untersuchung steht die erbrachte Leistung. 7 Stichprobe: Getestet wurden 15-jährige Schülerinnen und Schüler, die in den 32 Staaten, welche an der Untersuchung teilnahmen, noch die Pflichtschule besuchen. In Deutschland waren 8.200 Jugendliche von insgesamt 219 Schulen an der Untersuchung beteiligt. Ergebnisse einer weiteren Untersuchung mit einer größeren Stichprobe, die zum Ziel hat, die Leistungen von Schülerinnen und Schüler innerhalb von Deutschland bezogen auf die verschiedenen Bundesländer zu vergleichen, werden in der zweiten Jahreshälfte 2002 veröffentlicht. Methoden: (Kurze Darstellung) Im Rahmen der Untersuchung mußten Schülerinnen und Schüler sowohl Multiple-Choice-Aufgaben beantworten, als auch Fragen, bei denen die Antwort frei zu formulieren war. Auch beantworteten die Schülerinnen und Schüler einen Hintergrundfragebogen zu Lernstrategien und zum Umgang mit dem Computer. Des weiteren beantworteten die Schulleitungen Fragen zur Schule. Bewertungskriterien der Lesekompetenz: PISA 2000 versuchte die Lesekompetenz von Schülerinnen und Schülern mit Hilfe eines umfangreichen Spektrums an Leseaufgaben zu erfassen. Untersucht wurden „die Aufgabenart, die Form und Struktur des Lesestoffs und der Zweck, für den der 7 Eubel, Klaus-Dieter: in Leverkusen 18.02.2002 4 Text geschrieben wurde.“8 Zwischen diesen drei untersuchten Kompetenzbereichen bestand keine hierarchische Beziehung und alle drei Bereiche setzten sich aus leichteren und schweren Aufgaben zusammen. Bewertet wurden die erbrachten Leistungen mit Hilfe von Punkten. Dabei bildeten 500 Punkte den Mittelwert. Etwa zwei Drittel der Leistungen lagen im Bereich zwischen 400 und 600 Punkten. Die zu erreichenden Punkte sind Kompetenzstufen zugeordnet. „Stufe 5 entspricht einer Punktzahl von über 625, Stufe 4 einer Punktzahl zwischen 553 und 625, Stufe 3 einer Punktzahl zwischen 481 und 552, Stufe 2 einer Punktzahl von 408 bis 480 und Stufe 1 einer Punktzahl von 335 bis 407.“9 Die Zuteilung zu einer bestimmten Kompetenzstufe erfolgte, wenn mindestens 50 % der gestellten Aufgaben auf dieser Stufe richtig beantwortet waren. Hatte jemand eine bestimmte Stufe erreicht, wurde davon ausgegangen, das er auch die Aufgaben der darunter liegenden Kompetenzstufen lösen kann. Bei Testergebnissen von weniger als 335 Punkten wurde die Kompetenzstufe 1 nicht erreicht. Ein derartig schlechtes Ergebnis deutet auf gravierende Leistungsdefizite hin. Bewertungskriterien der mathematischen Kompetenz: Bei der Untersuchung der mathematischen Kompetenz standen jene Fähigkeiten im Vordergrund, die für das spätere Leben der Schülerinnen und Schüler relevant sind. Untersucht wurden: 1) Anzahl und Komplexität der für die Bewältigung einer Aufgabe notwendigen Prozess- bzw. Rechenschritte. 2) Anforderungen in Bezug auf die Herstellung von Querverbindungen und Zusammenhängen und 3) Anforderungen an Darstellung und 8 Martin, John P. und Eugene Owen: Lernen für das Leben. ERSTE ERGEBNISSE DER INTERNATIONALEN SCHULVERGLEICHSSTUDIE PISA 2000, OECD 2001, S. 38 9 ebenda S. 38 5 Interpretation von Materialien sowie Reflexion über Situationen und Methoden.10 Wie bei der Beurteilung der Lesekompetenz wurde diese Kompetenz mit Hilfe einer Gesamtskala gemessen, deren Mittelwert bei 500 Punkten lag. Rund zwei Drittel der getesteten Schülerinnen und Schüler erreichten Ergebnisse zwischen 400 und 600 Punkten. „Die Skala misst die Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler, mathematische Probleme zu erkennen und zu interpretieren, denen sie in ihrem Umfeld begegnen, diese Probleme in mathematische Strukturen umzusetzen, mathematische Kenntnisse und Verfahren zur Lösung im Hinblick auf das Ausgangsproblem zu interpretieren, über die angewandte Methode zu reflektieren und die Ergebnisse zu formulieren und zu kommunizieren.“11 (Weitere Ausführungen siehe Anhang). Kompetenzstufen, wie im Bereich Lesekompetenz, wurden bei der Beurteilung der mathematischen Grundbildung nicht definiert. Jedoch ist es möglich, die erbrachten Leistungen ausführlich zu beschreiben und den zugrunde liegenden Skalen zuzuordnen. 2.1 Geschlechtsspezifische Unterschiede bei den Schülerleistungen „Da Bildung Auswirkungen auf die Arbeitsmarktbeteiligung, die berufliche Mobilität und die Lebensqualität hat, sind alle Länder nachdrücklich daran interessiert, Bildungsunterschiede zwischen Frauen und Männern abzubauen.“12 Zwar haben sich die Unterschiede zwischen Frauen und Männer inzwischen erheblich verringert, und die Wahrscheinlichkeit, dass jüngere Frauen heute studieren, ist sehr viel größer als noch vor 30 Jahren, doch liegt der Frauenanteil in naturwissenschaftlichen Studienbereichen nach wie vor weit unter dem der Männer. Der Anteil der Studienanfängerinnen im WS 1994/95 im Fach Chemie betrug zwar 10 vgl. ebenda S. 84 11 ebenda S. 84 12 ebenda S. 144 6 noch 33,8%, im Bereich Informatik lag der Frauenanteil hingegen lediglich bei 8%. Für das Studienfach Maschinenbau schrieben sich in dem genannten Jahr sogar nur 4,6 % Frauen ein.13 Auch wenn in naturwissenschaftlichen Lern- und Studienbereichen noch nicht von einem ausgeglichenem Geschlechterverhältnis gesprochen werden kann, kann festgestellt werden, dass Mädchen ihren in der Vergangenheit vorhandenen Bildungsrückstand nicht nur inzwischen wettgemacht haben, sondern die Jungen in verschiedenen Bildungsbereichen inzwischen überflügeln. So lag beispielsweise die Abiturientenquote in NRW im Jahr 1996/1997 bei 46,9 % männlichen und 54,1 % weiblichen Abiturienten. In Bayern erreichten 1997 die Mädchen im Abitur eine Durchschnittsnote von 2,35. Die Durchschnittsnote der Jungen lag hingegen bei 2,48.14 Machte man sich in der Vergangenheit Sorgen um die schwächeren Leistungen der Mädchen, wird die Zukunft mehr Aufmerksamkeit auf die zunehmenden Leistungsdefizite der Jungen verlangen. In diesem Kapitel werden die in der PISA-Studie festgestellten geschlechtsspezifische Leistungsunterschiede von Mädchen und Jungen dargestellt, sowie Unterschiede im Bezug auf Selbstkonzept, Motivation und Lernkonzept. 2.2 Lesekompetenz PISA 2000 zeigt geschlechtsspezifische Leistungsunterschiede im Bereich Lesekompetenz, die länderübergreifend festgestellt wurden. So liegt das Leistungsniveau der Mädchen in diesem Bereich über dem der Jungen. Der durchschnittliche Vorsprung der Mädchen ist mit 32 Punkten, was fast einer halben Kompetenzstufe entspricht, bezogen auf die Lesekompetenz durchaus erheblich. (35 Punkte in Deutschland). Betrachtet man die Ergebnisse einzelner 13 vgl. Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft 13 (1987) 8, S. 1; Statistisches Bundesamt 1997 S. 399 14 vgl. Kraus, Josef 1998: Flexible Koedukation an den Schulen? Zeitschrift für Pädagogik 44 (1998) 2, S. 263 - 271 7 Länder fällt jedoch auf, dass dieser durchschnittliche Wert sehr unterschiedlich sein kann. Diese unterschiedlichen Ergebnisse legen die Vermutung nahe, „dass die Länder bei der Beseitigung geschlechtsspezifischer Unterschiede unterschiedlich erfolgreich waren und dass Mädchen nach wie vor im Bereich Lesekompetenz und Jungen im Bereich Mathematik besser abschneiden.“15 Geringe geschlechtsspezifische Unterschiede, gekoppelt mit einem hohen Leistungsniveau, bezogen auf die Lesekompetenz von Schülerinnen und Schülern, konnten beispielsweise in Korea festgestellt werden. Offenbar bietet Korea Schülerinnen und Schülern ein Lernumfeld, was für beide 15 Martin, John P. und Eugene Owen: a. a. O. S.147 8 Geschlechter, zumindest bezogen auf die Lesekompetenz, vorteilhaft ist. Vermutlich ist dies mit bildungspolitischen Maßnahmen oder mit einem anderen gesellschaftlichem Umfeld im Zusammenhang zu sehen. Betrachtet man die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei der Lesekompetenz genauer, ist festzustellen, dass der Abstand zwischen Mädchen und Jungen auf der Skala „Reflektieren und Bewerten“ größer ist, als auf der Skala „Textbezogenes Interpretieren“. Aufgaben aus dem Bereich „Reflektieren und Bewerten“ erfordern eine kritische Einschätzung. Bei diesen Aufgaben geht es darum, Texte mit eigenen „Erfahrungen, Kenntnissen und Vorstellungen zu verknüpfen.“16 In diesem Bereich verzeichnen die Mädchen einen Vorsprung von 45 Punkten gegenüber den Jungen. Auf der Skala „Textbezogenes Interpretieren“ verzeichnen die Schülerinnen einen Punktevorsprung von 29, sowie 24 Punkte auf der Skala „Informationen ermitteln“ gegenüber den Schülern. Geschlechtsspezifische Leistungsunterschiede in dem Bereich Lesekompetenz lassen sich eventuell mit der Art des Lesestoffes erklären, der Mädchen und Jungen in unterschiedlicher Weise anspricht. Vergleicht man die Leistungsunterschiede von Schülerinnen und Schülern in verschiedenen Schultypen, so kann festgestellt werden, dass in Schulen, die zur Hochschulreife führen, geschlechtsspezifische Leistungsunterschiede im Bereich Lesekompetenz zwar noch bestehen, aber weniger stark ausgeprägt sind. 16 ebenda S. 148 9 Interesse am Lesen und Freude am Lesen: Das Interesse am Lesen ist bei Mädchen in der Regel wesentlich ausgeprägter als bei Jungen. Sie lesen häufiger in ihrer Freizeit und bekunden, dass ihnen das Lesen sehr wichtig ist und sie dieses Freizeitvergnügen nur ungern aufgeben würden. Mädchen suchen häufiger Bibliotheken und Buchhandlungen auf und sprechen im Vergleich zu Jungen häufiger mit anderen Leuten über Bücher. Dieses Interesse spiegelt sich deutlich in den guten Leseleistungen der Schülerinnen wieder. Bezogen auf das Lesen ist dieser Gesamtzusammenhang für alle untersuchten Länder nachweisbar. 46 % der 15-jährigen Jungen lesen nur, wenn sie unbedingt müssen (Durchschnittswert aller OECD-Länder). Bei den Mädchen liegt der Vergleichswert lediglich bei 26 %. „Außerdem geben 58 % der Jungen (gegenüber 33 % der Mädchen) an, dass sie nur lesen, um die von ihnen benötigten Informationen zu bekommen, und dieser Wert steigt in der Tschechischen Republik, Deutschland, Irland und Mexiko sogar auf über zwei Drittel der Jungen. Analog geben 45 % der Mädchen an, Lesen sei eines ihrer größten Hobbys.“17 Diese unterschiedlichen Lesegewohnheiten von Jungen und Mädchen scheinen für den Lernprozess weitreichende Konsequenzen zu haben. 17 ebenda S. 154 10 Arten des Lesestoffes: 15-jährige Mädchen investieren nicht nur mehr Zeit für das Lesen als Jungen, sie unterscheiden sich auch hinsichtlich der Wahl des Lesestoffs. So lesen Mädchen häufiger Bücher mit anspruchsvollem Inhalt. Sie bevorzugen zum Lesen Romane, Erzählungen und Geschichten. Jungen lesen, mit 68 % zu 60 %, etwas häufiger Tageszeitungen als Mädchen. Auch Comic-Hefte werden von Jungen öfter als von Mädchen gelesen (35 % der Jungen lesen mehrmals im Monat oder in der Woche diese Hefte, im Vergleich zu 24 % der Mädchen). Sachbücher und Zeitschriften werden von Jungen und Mädchen gleich häufig gelesen.18 18 vgl. ebenda S. 156 11 2.3 Leistungen in Mathematik und Naturwissenschaften PISA 2000 zeigt statistisch signifikante geschlechtsspezifische Leistungsunterschiede im Bereich mathematische Grundbildung in etwa der Hälfte der untersuchten Länder. In diesem Bereich weisen die Jungen durchweg bessere Ergebnisse auf als die Mädchen. Der Durchschnittsabstand fällt jedoch mit 11 Punkten, zu Gunsten der Jungen, wesentlich geringer aus, als der Abstand zwischen Mädchen und Jungen im Bereich Lesekompetenz. Im Bereich Lesekompetenz konnten die Mädchen einen durchschnittlichen Punktevorsprung von 32 gegenüber den Jungen verzeichnen. Die besseren durchschnittlichen Ergebnisse in Mathematik sind jedoch auf die hervorragenden Leistungen einiger weniger Schüler zurückzuführen. In Deutschland ist der festgestellte Leistungsabstand mit 15 Punkten im Bereich mathematische Grundbildung zwischen Mädchen und Jungen etwas größer als in den anderen untersuchten Ländern. Bezogen auf die naturwissenschaftliche Grundbildung verzeichnen die Jungen in Deutschland 3 Punkte Vorsprung gegenüber den Mädchen. Dieser relativ geringe geschlechtsspezifische Leistungsabstand bei der naturwissenschaftlichen Grundbildung läßt sich vermutlich dadurch erklären, dass in der PISA Untersuchung den Biowissenschaften ein großes Gewicht beigemessen wurde. Die Biowissenschaften sind in der Regel ein Sektor, in dem Mädchen gut abschneiden. In der TIMSS Studie (3. Internationale Mathematik – und Naturwissenschaftliche Studie, 1994/1995, mit 16 teilnehmenden Ländern) standen hingegen Aufgaben aus dem Bereich Physik im Vordergrund. Dies ist wiederum ein Bereich, in dem Jungen häufig bessere Leistungen als Mädchen erbringen. Darum verwundert es nicht, dass der Abstand zwischen Mädchen und Jungen im 12 naturwissenschaftlichem Sektor in der TIMSS Untersuchung größer ist als in der PISA Untersuchung.19 Betrachtet man die Art der Aufgabenstellung, kann festgestellt werden, dass Jungen häufig bei Multiple-Choice-Aufgaben besser abschneiden als Mädchen. In der PISA Untersuchung gab es jedoch nicht nur Multiple-Choice-Aufgaben, sondern auch einen größeren Anteil von Aufgaben, die offen und kontextbezogen waren und bei denen Wissen angewendet werden mußte. Bei derartigen Fragestellungen schneiden Mädchen in der Regel besser als Jungen ab. Dies kann unter anderem ein Grund dafür sein, dass der geschlechtsspezifische Leistungsabstand in der PISA Untersuchung im Vergleich zur TIMSS Studie nicht so groß ausfiel.20 Im Bereich der mathematischen Grundbildung sind Leistungsunterschiede zwischen Mädchen und Jungen in Schulzweigen, die zur Hochschulreife führen, im Vergleich zur allen untersuchten 15-jährigen Schülern doppelt so groß. Interesse an Mathematik: Jungen interessieren sich mehr für Mathematik als Mädchen. Auch hier spiegeln sich die Interessen in den Fachleistungen wider. Lediglich in Portugal bekunden Mädchen ein höheres Interesse an Mathematik als Jungen. Diese geschlechtsspezifischen Interessen lassen vermuten, dass Mädchen und Jungen im schulischen und außerschulischen Bereich unterschiedlich motiviert werden. 19 vgl. ebenda S. 149 20 vgl. ebenda 13 2.4 Geschlechtsspezifische Unterschiede bei Selbstkonzept und Lernstrategien Hinsichtlich der Lernstrategien sind signifikante Unterschiede zwischen Schülerinnen und Schülern feststellbar. Mädchen legen in der Regel mehr Wert auf Memorierstrategien als Jungen. Nur für drei der untersuchten Länder trifft diese Aussage nicht zu. Auch wenden Mädchen häufiger Kontrollstrategien an. Das heißt, dass Mädchen ihr Lernen häufiger überprüfen. Elaborationsstrategien werden hingegen häufiger von Jungen eingesetzt. Da Selbstvertrauen eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiches Lernen ist, wurde im Rahmen von PISA 2000 das „Selbstkonzept“ von Mädchen und Jungen im Bereich Lesen und Mathematik untersucht. Dabei konnte festgestellt werden, dass das Selbstvertrauen im wesentlichen den erbrachten Leistungen in den jeweiligen Bereichen entspricht. So geben Mädchen häufig an, in sprachlichen Fächern schnell zu lernen und gut abzuschneiden. Jungen haben hingegen ein hohes Selbstkonzept in Mathematik. Dies ist in Deutschland, Norwegen und der Schweiz besonders ausgeprägt. Der positive Zusammenhang, der zwischen Selbstkonzept und Schülerleistungen besteht, ist in Mathematik noch stärker ausgeprägt als beim Lesen.21 2.5 Leistungsschwache Schülerinnen und Schüler PISA 2000 stellt unmißverständlich fest, dass der Anteil der Jungen an den leistungsschwächsten Schülern (das heißt Leistungsstufe 1) über alle OECD-Länder hinweg weit über dem der Mädchen liegt. Jedoch ist der prozentuale Anteil der Jungen, die sich auf dieser Leistungsstufe befinden in den verschiedenen Ländern unterschiedlich. „So liegen in Kanada, Finnland, Japan und Korea 6 % oder weniger der Mädchen auf Leistungsstufe 1 oder darunter, gegenüber einem Anteil von 7 % bis 14 % bei den Jungen. Selbst in 14 Finnland, dem Land mit den besten Ergebnissen, liegen lediglich 3 % der Mädchen auf Leistungsstufe 1 oder darunter, im Vergleich zu 11 % der Jungen.“22 Der Anteil der leistungsschwächsten Schüler liegt in Deutschland bei ca. 26 % gegenüber einem Mädchenanteil von 18 %. Die Autoren stellen fest, dass die Selektions- und Autoselektionsmechanismen in stark gegliederten 21 22 vgl. ebenda ebenda S. 150 15 Bildungssystemen möglicherweise für die Leistungsunterschiede von Mädchen und Jungen mit verantwortlich sind.23 Diese hohen geschlechtsspezifischen Leistungsunterschiede geben Anlass zur Besorgnis und verlangen nach veränderten politischen Konzepten. Schlussbemerkung zur geschlechtsspezifischen Betrachtungsweise der PISA-Untersuchung: Die PISA-Untersuchung zeigt, dass das Ausmaß geschlechtsspezifischer Unterschiede in den einzelnen Ländern durchaus unterschiedlich ausgeprägt ist. Aus diesem Ergebnis läßt sich folgern, dass mit entsprechenden Maßnahmen Nachteile für Mädchen und Jungen abgebaut werden können. Einigen Ländern ist es scheinbar gelungen, Schülerinnen und Schülern ein Lernumfeld zu bieten, welches beide Geschlechter gleichermaßen fördert.24 Gleichzeitig wurde in der Untersuchung deutlich, dass Mädchen zwar im mathematischen Bereich im Durchschnitt nicht ganz so gut wie die Jungen abschneiden, aber dass das schlechte Abschneiden der Jungen im Bereich Lesekompetenz und die festgestellte Leistungsschwäche der Jungen wirklich besorgniserregend ist. Hier sind die politischen Entscheidungsträger gefragt entsprechende Konzepte zu erstellen, welche darauf zielen, die Differenzen zwischen den Geschlechtern zu überwinden. „Eine Erhöhung der Freude am Lesen bei Jungen und der Förderung des Selbstkonzeptes in Mathematik bei Mädchen bleiben unerlässlich, wenn gewährleistet werden soll, dass alle Schülerinnen und Schüler ihr Potential voll ausschöpfen.“25 23 vgl. ebenda S. 151 24 vgl. S. 159 f. 25 ebenda S. 160 16 3 Sozialisation von Jungen und Mädchen Die Sozialerziehung von Jungen und Mädchen erfolgt primär in der Familie. In diesem Erfahrungsumfeld wird vorgelebtes Rollenverhalten modellhaft erlebt und erlernt. „Die Eindrücke der Kindheit sind von besonderer Intensität und daher entscheidend für alle späteren Interaktionsprozesse, also auch für das Verhalten von Mann und Frau, bzw. zwischen Mann und Frau.“26 3.1 Außerschulische Jungensozialisation Seit fast 20 Jahren stehen Mädchen und ihre Lebensumstände im Mittelpunkt geschlechtsdifferenter Forschung, insbesondere geschlechtsdifferenter Schulforschung. Nun werden die Stimmen lauter, die auch auf die Sorgen, Nöte und Probleme in der Sozialisation von Jungen hinwiesen. In diesem Zusammenhang stellt Penelope Leach, britische Entwicklungspsychologin fest, dass Mädchen früher in fast allen Bereichen die Benachteiligten waren. Diese Situation habe sich aber inzwischen umgekehrt.27 Barney Brawer, Leiter des Projektes „Frauen-Psychologie, Jungen Sozialisation und Kultur der Männlichkeit“ sieht die Jungen in einer Krise und kommentiert diese folgendermaßen: „Vor unseren Augen spielt sich eine ungeheure Krise von Männern und Jungen ab, ohne dass wir sie sehen. Es hat weitreichende Verschiebungen in der Plattentektonik der Geschlechter gegeben; alles, was wir für wahr gehalten haben, muss überprüft werden.“28 Einen Ausschnitt dessen, was Jungen während der Zeit des Heranwachsens erleben und mit welchen Dingen sie sich unter 26 Emrich, Franziska: Reflexive Koedukation im Projekt „Soziales Lernen“ an einer Schule mit dem Förderschwerpunkt lernen; Internetseminar, AG 3 27 vgl. Geliebte Jungs? http//www. pappa. com/emanzi/foccb 98.htm vom 02.11.2001 28 Kucklick, Christoph: Neuer Mann - Was nun? In: GEO Wissen, August 2000, S. 46 17 Umständen auseinandersetzen müssen, werde ich in diesem Kapitel darstellen. 3.1.1 Jungen und ihre Mütter Für Jungen wie für Mädchen ist das erste Liebesobjekt29 im Leben die Mutter. In der ersten Zeit des Lebens werden Lustgefühle aber auch Enttäuschungen mit ihr verbunden. Die Beziehung zwischen Mutter und Kind ist durch Schwangerschaft, Geburt und eventuelles Stillen leiblich begründet. Selbst wenn sich Väter sehr um die Beziehung zu ihrem Kind bemühen, bleibt die frühe Mutter-KindBeziehung etwas Besonderes. Diese Liebe, die der tiefen Sehnsucht des Kindes entspricht, ist an keine Bedingungen geknüpft. „Eine Mutter liebt ihr Kind, allein weil es ihr Kind ist, und nicht weil es bestimmten Voraussetzungen entspricht oder bestimmte Erwartungen erfüllt.“30 Wenn Fromm hier von der mütterlichen Liebe spricht, so spricht er von „Idealtypen“ im Sinn von Max Weber oder von Archetypen im Jung´schen Sinn. Er will damit nicht behaupten, dass alle Mütter auf diese Weise lieben. Ist das Kind in dem Alter der Loslösung von der Mutter, verläuft dieser Prozeß geschlechtsspezifisch. Jungen stellen während des Loslösungsprozesses fest, dass sie anders als ihre Mütter sind. Laut Sigrid Günzel bedeutet das Ende der symbiotischen Phase für einen Jungen, „dass er im zarten Alter einem Identitätsbruch ausgesetzt ist und sich genötigt sieht, alle 29 Anmerkung: Gegen Ende des 1. Jahres trifft das Kind „eine gefühlsbetonte Objektwahl“ (Freud), d.h. das Kind wendet seine Gefühle solchen Menschen zu, die ihm wegen ihrer Führsorge u.s.w. angenehm sind. Von unangenehmen Furcht und Unlust erregenden Menschen wendet es sich ab. In dieser Phase beginnt das Kind auch, sich selbst als Ursache von Erfolg und Misserfolg zu empfinden. Vgl. Dorsch, Friedrich: Psychologisches Wörterbuch/Dorsch,11. Ergänzte Auflage. Bern; Stuttgart; Toronto, Huber 1987 30 Fromm, Erich: Die Kunst des Liebens, Frankfurt/M. 1981; S. 52 18 seine Energie zum Aufbau einer neuen Identität zu verwenden.“31 Mädchen hingegen verändern ihre enge Beziehung zur Mutter, indem sie sich mit ihr identifizieren. Mädchen stellen fest, dass sie wie ihre Mütter sind. Laut Carol Hagemann-White findet der Junge seine geschlechtliche Identität durch die Abgrenzung von seiner Mutter. „Diese ihm am nächsten stehende Erwachsene ist das, was er nicht sein darf, um ein Mann zu werden. So wird sein Geschlecht als Nicht-nicht-Mann bestimmt.“32 Um sich selbst zu definieren, versucht sich der Junge von seiner Mutter abzugrenzen. Da die Mutter viel mächtiger ist als ihr Sohn, stürzt sich dieser „auf die wahrhaften Rollenangebote einer patriarchalischen Gesellschaft und verwandelt sich in einen Polizisten, einen Soldaten oder einen Cowboy. Je weniger ihm einfällt, sich gegen seine Mutter zu behaupten und je weniger Möglichkeiten er weiß, um sich in seiner Geschlechtlichkeit zu empfinden, um so eher wird er auf die Idee kommen, seine Mutter und das Weibliche überhaupt abzuwerten.“33 Die engste Beziehung, die ein Junge zu einer Frau hat, ist in der Regel die Mutter. So glaubt er, dass andere Frauen auch so seien wie sie und sich ebenso behandeln lassen wie die Mutter. Vor diesem Hintergrund weißt Astrid Kaiser (Professorin am Institut für Erziehungswissenschaften in Oldenburg) darauf hin, dass Mütter sich gegenüber ihren Söhnen Achtung verschaffen müssen, um damit einen Grundstein für ein positives Verhältnis des Jungen zum weiblichen Geschlecht zu legen.34 Zwangsläufig ist damit die Selbstachtung der Mutter verbunden. Hat eine Mutter ein negatives Selbstbild, wird auch ihr Sohn sie vermutlich nicht sehr achten. 31 Günzel, Sigrid: Ava und Edam. In: Psyche 3/1989, S. 223; zitiert nach: Schnack, Dieter und Rainer Neutzling: Kleine Helden in Not, Reinbek 2. Auflage 2001, S. 18 32 Hagemann-White, Carol, In: Sozialisation Weiblich-männlich?, Opladen 1984, S. 92 33 Schnack, Dieter /Neutzling, Rainer. In: Kleine Helden in Not, Reinbeck 2. Auflage Oktober 2001, S. 18/19 34 vgl. Kaiser, Astrid: Hilfe mein Sohn soll kein Macho werden, München 1999, S. 10 19 3.1.2 Die Bedeutung des Vaters für die Sozialisation von Jungen Die Beziehung eines Kindes zum Vater ist von einer anderen Art als die Mutter-Kind-Beziehung. Da sie nicht leiblich begründet ist, verkörpert der Vater nicht solch eine „natürliche Heimat“, wie Erich Fromm sie nennt. Der Vater verkörpert die Welt von draußen, wo wichtige Aufgaben auf ihn warten. „Aber während der Vater die natürliche Welt nicht repräsentiert, verkörpert er den anderen Pol der menschlichen Existenz: die Welt des Denkens, die Welt der von Menschen geschaffenen Dinge, Gesetz, Ordnung und Disziplin, und die Welt der Reisen und Abenteuer. Der Vater ist derjenige, der das Kind lehrt, der ihm den Weg in die Welt weist.“35 Im Zuge steigender Ehescheidungszahlen wachsen mehr und mehr Kinder vaterlos auf; denn in der Regel leben nach der Trennung die Kinder fortan bei der Mutter. Da sich Jungen mit ihrem Vater identifizieren wollen, um ihre eigene Männlichkeit zu erfahren, verlieren Jungen mit einer Ehetrennung nicht nur einen geliebten Menschen, sondern auch ein wichtiges männliches Vorbild. Die positive Bedeutung des Vaters für das Gefühlsleben von Kindern ist inzwischen unumstritten. Jedoch gibt es unterschiedliche Ansichten darüber, von welchem Kindesalter an der Vater für das Kind bedeutungsvoll wird und wieviel Väterlichkeit das Kind für ein gesundes und glückliches Heranwachsen benötigt. Laut klassischer Analyse gewinnt der Vater erst im dritten Lebensjahr seines Kindes an Bedeutung. In den Augen der Psychoanalyse dient er dann nicht nur als Identifikationsobjekt, sondern wird auch als Rivale um die Gunst der Mutter empfunden. Steve Biddulph (australischer Psychologe und Familientherapeut) räumt hingegen den Jahren vom sechsten bis zum dreizehnten Lebensjahr eine besondere Bedeutung ein. In diesen Jahren 35 Fromm, Erich: die Kunst des Liebens, Frankfurt/M. 1981, S. 53-54 20 würden Jungen ein starkes Interesse am Mannsein zeigen, wodurch der Vater zur Identifikationsfigur wird. Zwar kann er in den Jahren zuvor durchaus auch schon viele Funktionen übernehmen, wichtigste Bezugsperson sei er jedoch, so Biddulph, im Alter vom sechsten bis zum dreizehnten Lebensjahr seines Sohnes.36 Auch Erich Fromm räumt dem Vater nach dem sechsten Geburtstag seines Kindes zunehmende Bedeutung ein. „Nachdem es sechs Jahre alt geworden ist, braucht es allmählich auch die Liebe des Vaters, seine Autorität und Lenkung. Die Mutter hat die Funktion, ihm die Sicherheit im Leben zu geben, der Vater hat die Funktion, es zu lehren und anzuleiten, damit es mit den Problemen fertig wird, mit denen die Gesellschaft, in die das Kind hineingeboren wurde, es konfrontiert.“37 Andere Ansätze zeigen, dass Väter schon sehr viel früher für ihre Kinder wichtig sind. Schon früh können Säuglinge zwischen Vater und Mutter unterscheiden, und ein Vater, welcher sich sehr um sein Kind bemüht, wird schon in den erste Monaten eine enge Beziehung zu seinem Kind aufbauen können. Doch wie steht es um die Zeit, die sich Väter für ihre Kinder in unserer Gesellschaft nehmen? Alexander Mitscherlich warnte Anfang der sechziger Jahre vor dem „Weg in die vaterlose Gesellschaft.“38 Seither hat sich zwar die Regelarbeitszeit drastisch verringert, doch nach wie vor konzentrieren sich Väter in Deutschland im wesentlichen auf ihren Beruf. Die Zahl der Männer, die den Erziehungsurlaub wahrnehmen, hat sich zwar von 1,5 % in 1987 inzwischen verdoppelt, doch immer noch ist diese Zahl verschwindend gering. Anders ist dies beispielsweise in Norwegen. Dort nehmen 80 % 36 vgl. Biddulph, Steve: Jungen! Wie sie glücklich heranwachsen, München 4. Auflage 2001, S. 19/20 37 Fromm, Erich: ebenda, S. 54-55 38 Mitscherlich, Alexander: Auf dem Weg in die vaterlose Gesellschaft. Piper- Verlag 1963 21 aller Väter mindestens vier Wochen Kinderpause und 13 % aller Norweger gehen in einen längeren Erziehungsurlaub, mit steigender Tendenz.39 Fragt man Jugendliche nach ihren Zukunftsplänen, kommt in der Lebensplanung männlicher Jugendlicher der Berufswunsch „Hausmann“ so gut wie nie vor. Die Tatsache, dass Väter in ihren Familien nur selten präsent sind, und somit für ihre Söhne nicht greifbar zur Verfügung stehen, ist für Jungen besonders problematisch, da sie ihren Vater zur Identifikation brauchen, um ihr eigenes Geschlecht zu finden und um die enge Beziehung zur Mutter mit seiner Hilfe leichter lösen zu können.40 Ist jedoch kein Vater verfügbar, sucht sich der Junge andere männliche Vorbilder. Nicht selten sind diese Vorbilder dann Fernsehhelden. Dies bringt jedoch durchaus Gefahren mit sich. In diesem Zusammenhang schreibt Astrid Kaiser: „Fernsehhelden sind meist recht eindimensional gezeichnet. Sie haben wenige, aber dafür markante Charakterzüge und selten die Schwächen eines Menschen aus Fleisch und Blut. Es sind Idealbilder, denen nachzueifern meist nur Frust und Realitätsverlust bringt.“41 Auch vermitteln Film und Fernsehen in der Regel althergebrachte Geschlechterrollen. Mädchen in Hauptrollen sind dort selten zu finden. „Die wahren Abenteuer, die Schwierigkeiten, aber auch der Erfolg sind für die Jungen reserviert.“42 Dazu kommt, dass für Kinder bis zum Grundschulalter nicht klar erkennbar ist, was im Fernsehen Realität ist und was Fiktion sein soll. 39 vgl. Kucklick, Christoph: Neuer Mann – was nun? In: GEO-Wissen, August 2000, S. 50 40 vgl. Schnack, Dieter und Rainer Neutzling: Kleine Helden in Not, Reinbek 2001, S. 34 41 Kaiser, Astrid. In: Mein Sohn soll kein Macho werden, München 1999, S. 37 42 Fröhlich, Linde: Die wahren Abenteuer erleben die Jungen. In: Brenner, Gerd und Franz Grubauer (Hrsg.): Typisch Mädchen? Typisch Junge?, Weinheim 1991, S. 120 22 Auch Walter Rustika, Schulpsychologe an einer Bremer Grundschule, betont die Bedeutung der Vaterfigur für Jungen, an der diese sich „abarbeiten“ können. Müssen Fernsehhelden als männliches Vorbild dienen, berge das, so Rustika, möglicherweise Probleme von Gewalt und Aggression.43 Dabei bedarf es gar nicht viel Bevaterung um eine positive Wirkung auf das Kind festzustellen. Laut Michael Rotmann braucht der Vater „nur minimal im Alltagsleben des Kleinkindes und nur minimal an der direkten Pflege beteiligt zu sein, um doch ein spezifisches Bindungsobjekt für das Kind zu werden.“44 Für das Fehlen des Vaters gibt es inzwischen einige wissenschaftliche Beweise. „Jungen, die ohne Vater aufwachsen, sind – statistisch betrachtet - häufiger gewalttätig, geraten öfter in Schwierigkeiten, fallen in der Schule durch schlechtere Leistungen auf und schließen sich häufiger Teenagergangs an.“45 Auch William Galston und Elaine Kamarck, zwei amerikanische Soziologen, die unter anderem für Bill Clinton tätig waren, heben die Bedeutung der Anwesenheit des (vorzugsweise) biologischen Vaters hervor. So behaupten sie, „die Beziehung zwischen Vater im Haus und Verbrechen ist so stark, daß sie die Beziehung zwischen Rasse und Verbrechen und niedrigem Einkommen und Verbrechen auslöscht.“46 Galton und Kamarck sehen in der „Zwei-Eltern-Familie“ die effektivste Form Jungen zu stärken und jungenspezifischen Problemen entgegenzuwirken. Selbst auf den Verlauf von Krankheiten soll die Anwesenheit des Vaters Einfluß haben. So beschreibt Steve Biddulph den Fall eines 43 vgl. taz-Bremen: Die Schulhofsattraktion, Nr. 5930 vom 4.9.1999, S. 31 44 Rotmann, Michael: Die Rolle des Vaters im Leben des kleinen Kindes. In: Schnack, Dieter/ Neutzling, Rainer (Hrsg.): Kleine Helden in Not, Reinbeck 2. Auflage, Oktober 2001, S. 28 45 Biddulph, Steve: Jungen! Wie sie glücklich heranwachsen. München 2000, S. 110 46 Focus: Der Geschlechterkampf 27.07.1998, S. 134-137 23 achtjährigen Jungen der an dem Hyperkinetischen Syndrom litt. Sein Vater, der Lastwagenfahrer war, war ständig unterwegs und hatte wenig Zeit für seinen Sohn. Mit der Krankheit des Jungen änderte sich die Einstellung des Vaters zu diesem. Wann immer es möglich war, begleitete der Sohn seinen Vater bei der Arbeit. Auch, wenn der Vater am Wochenende seine Freunde traf, nahm er fortan immer seinen Sohn mit. Nach wenigen Monaten wurde der Junge ruhiger, entspannter und seine Konzentrationsstörungen verschwanden. Die medikamentöse Behandlung mit dem Psychopharmakon Ritalin konnte abgesetzt werden. Biddulph will mit dieser Fallbeschreibung nicht behaupten, dass sämtliche Fälle des Hyperkinetischen Syndroms auf mangelnde Bevaterung zurückzuführen sind, doch teilweise sei dies tatsächlich der Fall.47 Auch berichtet Biddulph von einem Jungen, dessen Vater acht Monate im Jahr beruflich unterwegs war. Der Junge wurde mit Abwesenheit des Vaters regelmäßig aus unersichtlichen Gründen krank und wurde infolge dessen sogar auf Intensivstationen eingewiesen. Kam sein Vater überstürzt zurück, wurde der Sohn schnell wieder gesund. Der Vater änderte nun sein Leben, mit dem Erfolg, dass sein Sohn nicht mehr psychosomatisch erkrankte.48 3.1.3 „Der Mythos der männlichen Überlegenheit“49 Erziehung geschieht in der Regel unbewußt. So werden viele Verhaltensweisen von Generation zu Generation weiter gegeben. Auf diese Weise verfestigen sich Rollen- und Geschlechterbilder in den Köpfen der Menschen. Zwar gibt es in der ersten Lebenszeit keine geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Entwicklung von Kindern, doch Interpretationen, die ein Verhalten des Kindes mit seinem Geschlecht in Verbindung bringen, sind allgegenwärtig. Je 47vgl. Biddulph, Steve: Jungen! Wie sie glücklich heranwachsen. München 2000, S. 28/29 48 vgl. ebenda, S. 20 49 Schnack, Dieter und Rainer Neutzling: Kleine Helden in Not, Reinbek 2001, S. 38 24 nach dem welchem Geschlecht ein Säugling angehört und was Eltern von diesem Geschlecht erwarten, wird das Kind schon in den ersten Lebensmonaten von seinen Eltern entsprechend behandelt. „Eltern verstärken meist automatisch die Handlungen bei ihren Kleinkindern, die sie für gut und entwicklungsgerecht halten. Wenn sie sich unter einem Mann immer noch den starken Helden vorstellen, werden sie ihren Sohn zumindest unbewußt mit dieser Erwartung prägen. Gerade Väter haben die Tendenz, von ihren Söhnen ein besonders klares geschlechtsspezifisches Verhalten zu verlangen. Sie sind stolz darauf, wenn ihr Sohn eigensinnig, ja sogar trotzig ist und werten das als Zeichen männlichen Selbstbewußtseins.“50 Insofern hat Erziehung auch etwas „unzeitgemäßes“, wie Dieter Schnack und Rainer Neutzling feststellten. Eltern erziehen ihre Kinder nicht nur auf der Grundlage neuester Erziehungsbücher, sondern in erster Linie nach Erziehungsmustern, die ihnen bereits ihre Eltern und Großeltern vermittelten. Nach wie vor müssen Jungen überlegen sein und sich durchsetzen können. Ängste dürfen sie nicht zeigen und ein zaghaft vorsichtiges Verhalten erwartet man von ihnen nicht. Für den Berufsweg erwarten sich Eltern von ihren Söhnen nach wie vor mehr als von ihren Töchtern. Auch soll der Junge in den Augen der Eltern nicht zu weich sein, denn sonst würde er im erwachsenen Alter u.U. in der Männerwelt nicht bestehen.51 Zwar sind auch die Zukunftspläne der Eltern bezogen auf ihre Töchter in den letzten Jahrzehnten umfangreicher geworden, doch wenn diese Pläne, aus welchen Gründen auch immer, nicht umgesetzt werden können, steht den Mädchen noch immer die Mutterrolle zur Verfügung. Jungen werden auch in der heutigen Zeit auf ein Leben als allein verdienendes Familienoberhaupt vorbereitet. Sie sollen möglichst auch dafür sorgen, dass die Familie sozial aufsteigt, oder zumindest den 50 Kaiser, Astrid: Mein Sohn soll kein Macho werden, München 1999, S. 21-22 51 vgl. Schnack, Dieter und Rainer Neutzling: Kleine Helden in Not, Reinbek 2001 25 sozialen Standard hält. Um ein „richtiger Mann“ zu werden, müssen Jungen Schwächen verdrängen. „Die Überkompensation von Schwächegefühlen wird als normales männliches Verhalten dargestellt. ( ... ) Schon früh lernen Jungen, Angst zu vermeiden, zu verdrängen und zu überspielen. Der Mythos des angstfreien Helden gehört schon unter Vierjährigen zum gesicherten Wissen über das Wesen des Mannes. Viele Jungen sind mit diesem Konzept von Männlichkeit überfordert.“52 Anstatt Jungen beizubringen wie man Schwächen, Ängsten und Unzulänglichkeiten sinnvoll begegnen kann, lernen Jungen Sorgen und Probleme zu überspielen und Ängste zu verstecken. Laut Ulrike Schmauch fangen Jungen mit ungefähr drei Jahren an, wildes und aggressives Verhalten an den Tag zu legen. Dabei Bewegen sie sich mehr und mehr raumgreifend.53 Traurige und ängstliche Gefühle werden hier in Bewegung und Aktivität umgewandelt. Hinter dem raumbeherrschenden Verhalten der Jungen steckt also in Wirklichkeit eine Angstreaktion. Haben Jungen in einer Gruppensituation Angst, laufen sie viel herum und machen Lärm. Mädchen hingegen verhalten sich in vergleichbaren Situationen ruhig und zurückhaltend. „Jungen treten nach außen hin forsch auf, um ihre Angst zu verbergen. Erst wenn jemand eindeutig der Chef ist, können sie sich entspannen.“54 Tritt der Erzieher freundlich auf, wird das „Machogehabe“ abgelegt und bereitwillig gelernt. Jungen und Mädchen gehen mit ängstlichen und hilflosen Gefühlen unterschiedlich um. Während Mädchen um Hilfe bitten und ängstliche Gefühle artikulieren können, tun Jungen ihre Hilfsbedürftigkeit durch disziplinloses Verhalten kund. In der Praxis 52 Neutzling, Rainer und Dieter Schnack: Jungs sind halt so! Wirklich? In: Brenner, Gerd und Franz Grubauer (Hrsg.), Typisch Mädchen? Typisch Junge?, Weinheim und München, 1991, S. 134 53 vgl. Schmauch, Ulrike: Anatomie und Schicksal- Zur Psychoanalyse der frühen Geschlechtersozialisation. Frankfurt/M. 1987 54 Biddulph, Steve, 2001, S. 57 26 werden Jungen, die undiszipliniertes Verhalten an den Tag legen, häufig mit Distanz behandelt und isoliert. Die Hilfe, die sie dringend bräuchten, wird ihnen nur selten geboten. Männliche Vorbilder wie Väter, aber auch männliche Lehrer oder Sporttrainer könnten durch einfühlsames Verhalten für viele „schwierige“ Jungen eine große Hilfe darstellen.55 3.1.4 Die physische und psychische Verfassung von Jungen In unserer Gesellschaft hat das Bild vom starken, gesunden, durchsetzungsfähigen und unverwüstlichen Jungen nach wie vor bestand. Dieses Bild steht jedoch häufig mit der Realität nicht im Einklang. Durch ihren Reifevorsprung um durchschnittlich zwei bis drei Wochen zum Zeitpunkt der Geburt, sind die Überlebenschancen für Mädchen in der ersten Lebenswoche ca. 30 % höher als die der Jungen. Auch bei der Beurteilung der Atembewegung, Pulsschlag, Grundtonus der Muskeln, Aussehen und Reflexerregbarkeit mit Hilfe des APGAR-Schemas nach der Geburt, erzielen Mädchen bessere Werte. Die Ursachen für diese geschlechtspezifischen Unterschiede sind nach wie vor unklar. Offensichtlich ist jedoch, dass Jungen größere Schwierigkeiten haben, sich nach der Geburt an die neue Umgebung anzupassen. Bis zum Jugendalter lässt sich klar feststellen, dass Jungen, im Vergleich zu Mädchen, über eine deutlich schwächere körperliche Konstitution verfügen. Dies belegen die Untersuchungen (U1-U9), die bei Kindern von der Geburt an bis zum 64. Lebensmonat durchgeführt werden. Bei den Krankenhausaufenthalten liegen Jungen deutlich vor den Mädchen. So wurden 1997 rund 70.000 Jungen (bis 15 Jahre) mehr als Mädchen stationär behandelt.56 Dabei standen Verletzungen im Vordergrund. Die Sterblichkeitsrate liegt bei Jungen deutlich höher als bei Mädchen. 55 vgl. Biddulph, Steve: Jungen wie sie glücklich heranwachsen, München 2001 56 vgl. Schnack, Dieter /Neutzling, Rainer: Kleine Helden in Not, Reinbek 2001, S. 123 27 Todesursachen von Kindern und Jugendlichen bis 20 Jahre 1997 Todesursache Jungen : Mädchen Krankheiten der Atmungsorgane 1,5:1 Krankheiten des Kreislaufsystems 1,6:1 Psychiatrische Krankheiten und des Nervensystems 1,9:1 Bösartige Neubildungen 1,4:1 Verletzungen 2,6:1 Darunter:- Verbrennungen 2,7:1 - Selbstmord 3,8:1 - Unfälle 2,7:1 (Quelle: Bundesamt für Statistik- Jahrbuch 1999; in: Schnack, Dieter / Neutzling, Rainer: Kleine Helden in Not, Reinbeck 2. Auflage Oktober 2001, S. 124). Jungen sind nicht nur konstitutionell schwächer als Mädchen, sondern häufig auch leichtsinniger, wodurch sie oftmals in gefährliche Situationen geraten. Ihr Unvermögen sich beispielsweise angemessen im Straßenverkehr zu verhalten, kostet vielen Jungen das Leben. So kamen beispielsweise 1997 in Deutschland „im Vergleich zu 1.000 Jungen 380 Mädchen durch Unfälle im Straßenverkehr ums Leben.“57 Auch die Selbstmordrate liegt bei Jungen wesentlich höher als bei Mädchen. 1997 starben 265 Jungen an einem Suizid, im Vergleich zu 69 Mädchen. Jedoch kommen auf einen vollendeten Suizid 10-40 Suizidversuche, die häufig von Mädchen verübt werden.58 Diese geschlechtspezifische Suizidrate bleibt im Erwachsenenalter nahezu konstant. Schulische Probleme führten 1997 dazu, dass 40.701 Jungen im Vergleich zu 18.104 Mädchen im Alter von 6-18 Jahren in Kinder- und Jugendberatungsstellen vorstellig wurden. Auch andere Ursachen 57 ebenda S. 125 58 vgl. ebenda S. 125 28 führten dazu, dass Jungen 1997 in Beratungsstellen deutlich häufiger anzutreffen waren. Jungen : Mädchen Entwicklungsauffälligkeiten: 43.438 : 23.386 Beziehungsprobleme 46.318 : 35.732 Trennung der Eltern 25.557 : 20.511 Straftaten 3.463 : 921 ( Kinder und Jugendliche von 12-18 Jahren) (Quelle: ebenda S. 130). Auffallend ist, dass 1997 zwar mehr Jungen in Kinder- und Jugendberatungsstellen anzutreffen waren, eine Kontaktaufnahme zur Beratungsstelle, wenn sie denn von dem Jugendlichen selbst ausging, aber deutlich häufiger von Mädchen gesucht wurde. Erst in der Altersgruppe von 15-18 Jahren sind Mädchen in Kinder- und Jugendberatungsstellen in der Überzahl. Mit dem Gesetz geraten Jungen häufiger als Mädchen in Konflikt. Dabei stehen Straftaten im Straßenverkehr, insbesondere im Zusammenhang mit Alkohol im Vordergrund. Auch schwere Straftaten mit körperlicher Gewalt werden in der Regel von Jungen verübt. So kommt es, dass im Jugendstrafvollzug vierzig mal mehr Jungen als Mädchen zu finden sind.59 Auch wenn Jungen von vielen Erkrankungen und Verhaltensauffälligkeiten scheinbar häufiger betroffen sind, ist dies noch kein Beleg dafür, dass es den Jungen in unserer Gesellschaft grundsätzlich schlechter als den Mädchen geht. Unter Umständen lässt sich dies jedoch als Zeichen werten, dass Mädchen und Jungen unterschiedliche Bewältigungsstrategien für Konflikte haben. So könnte man die Tatsache, dass Jungen und Männer zwar häufiger an einem Selbstmordversuch sterben, Mädchen und 59 vgl. ebenda 29 Frauen aber wesentlich öfter einen Selbstmordversuch unternehmen, als „Hilferuf“ von Seiten der Mädchen bzw. Frauen interpretieren. Um Hilfe zu bitten ist mit dem weiblichen Rollenverständnis eher zu vereinbaren als mit dem männlichen. Die Tatsache, dass Mädchen häufiger von sich aus den Kontakt zu Beratungsstellen suchen, könnte auch für diese These ein Beleg sein.60 Jungen neigen eher zu auffälligen „extraversiven Störungen“ (beispielsweise Hyperaktivität und aggressives Sozialverhalten), Mädchen hingegen zu unauffälligen „intraversiven Störungen“ (wie Depressionen und Essstörungen).61 Manfred Laucht konnte bereits bei zweijährigen eine geschlechtspezifische Konfliktverarbeitung feststellen. So trugen zweijährige Jungen ihre Konflikte häufiger „nach außen“, Mädchen hingegen eher „nach innen.“62 Ab dem fünfzehnten Lebensjahr verfügen laut Gesundheitsstatistik die Jungen, im Vergleich zu den Mädchen über eine stärkere körperliche Konstitution. Von nun an tauchen Mädchen auf Grund von Essstörungen, Depressionen und emotionalen Störungen, wie Ängstlichkeit und Kontaktscheu, häufiger in der Gesundheitsstatistik auf. Bei den männlichen Jugendlichen werden die emotionalen Störungen seltener. Statt dessen kommt es von nun an bei ihnen vermehrt zu Alkoholmissbrauch und Gewalttätigkeiten.63 In diesen 60 vgl. ebenda 61 vgl. Döpfner, Manfred u.a.: Die psychopathologische Beurteilung von Kindern und Jugendlichen in vier kinder- und jugendpsychiatrischen Inanspruchnahmeproben. In: Praxis der Kinderpsychiatrie; Nr. 46, S. 548-565, 1997 62 Laucht, Manfred u.a.: Verhaltensauffälligkeiten bei Säuglingen und Kleinkindern. In: Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Nr. 20, S. 28, 1992, zitiert nach: Schnack, Dieter und Rainer Neutzling: Kleine Helden in Not, Reinbek 2. Auflage 2001, S. 136 63 vgl. Schepank, Heinz: Psychogene Erkrankungen der Stadtbevölkerung, Berlin 1987, S. 182 f. 30 Auffälligkeiten zeigt sich auch eine Hinwendung zum „Männlichkeitsmythos“, denn Alkoholkonsum und Gewalt gehören unter anderem auch zu diesem Mythos. Fraglich ist jedoch, ob Gesundheitsstatistiken den tatsächlichen Gesundheitszustand von Männern und Frauen in unserer Gesellschaft widerspiegeln. So könnte es beispielsweise sein, dass Männer weniger bereit sind Hilfe beim Arzt in Anspruch zu nehmen und erst mit fortgeschrittenem Krankheitszustand einen Arzt aufsuchen. „Wenn Männer einen Arzt aufsuchen, dann nur mit einem klar umrissenen Organbefund. Bei „Befindlichkeitsstörungen“ wie Ungeduld Hast, Ruhelosigkeit, Anspannung, Gereiztheit und Aggressivität, wenden sie sich eher an ihre Frau als an eine medizinische Einrichtung.“64 Jörg Kupfer, Hildegard Felder und Elmar Brähler konnten feststellen, dass sich bei jugendlichen Jungen das Verhältnis zu ihrem Körper ändert und zwar „weg vom Gefühl hin zur Versachlichung:“65 Die Autoren stellten unter anderem fest, dass Jungen bis zum elften Lebensjahr fast genauso viel weinen wie Mädchen. Dies ändert sich jedoch bis zum erwachsenen Alter enorm. Es ist anzunehmen, dass Jungen in diesen Lebensjahren lernen, dass Weinen nicht mit ihrem männlichen Rollenverständnis zu vereinbaren ist. Da Jungen in ihrer Jugend vermutlich nicht weniger Probleme haben als Mädchen, ist es naheliegend, dass sie mit Sorgen und Nöten fortan anders umgehen als Mädchen dies tun.66 64 Schnack, Dieter / Neutzling, Rainer: Kleine Helden in Not, Reinbek 2001, S. 137 65 Kupfer, Jörg / Felder, Hildegard / Brähler, Elmar: Zur Genese geschlechtsspezifischer Somatisierung. In: Brähler, Elmar u. a. (Hg.): Weiblichkeit, Männlichkeit und Gesundheit. Medizinpsychologische und psychosomatische Untersuchungen. Opladen 1992, S. 170 f. 66 vgl. ebenda 31 3.2 Jungen und Mädchen im Kindergarten 3.2.1 Studie von Lilian Fried Wie werden Jungen und Mädchen in vorschulischen Institutionen erzogen? Trifft die Behauptung, dass Jungen gegenüber Mädchen begünstigt werden, wie dies im schulischen Bereich sein soll, bereits auf den Kindergarten zu? Diese Frage stellte sich Lilian Fried, als sie die Stuhlkreisgespräche zwischen drei Erzieherinnen und 78 Kindergartenkindern in einem Landkindergarten analysierte. Lilian Fried zeichnete die Gespräche mit der Videokamera auf und verschriftlichte sie. Die Gesprächstexte wurden unter anderem unter folgenden sprachentwicklungsbedeutsamen Aspekten analysiert: Modell und Chancen. Im Mittelpunkt der Gespräche standen Bilderbuchbetrachtungen oder Sprachspiele. Nach der ersten groben Analyse wurde festgestellt, dass die Erzieherinnen die Gespräche stark lenkten und dabei die Jungen und Mädchen in gleicher Weise behandelten. Mädchen und Jungen wurden genauso häufig angesprochen und sie trugen genauso viel zum Gespräch bei. Sprechchancen: Nachdem die Daten nochmals mit feineren Analysemethoden geprüft wurden, stellte Lilian Fried fest, dass es durchaus Teilgruppen von Mädchen oder Jungen gab, deren Sprechchancen nicht denen anderer Kinder entsprachen. So stellten beispielsweise Mädchen aus der Unterschicht eine Subgruppe dar. Sie wurden seltener in das Gespräch eingebunden, da sie vermutlich sprachlich weniger kompetent waren. Nachdem eine quantitative Analyse von 32 Gesprächen nicht alle Strukturen enthüllen kann, wurden die Aufzeichnungen qualitativ untersucht. Zu diesem Schritt wurde Fried durch amerikanische Untersuchungsergebnisse animiert, die feststellten, dass schon in Gesprächen im Kindergarten Jungen mehr Beachtung geschenkt wird als Mädchen. Nun wurden die Stuhlkreisgespräche inhaltlich betrachtet. „Es wurde also ganz konkret geprüft, ob in den auf Kinder bezogenen Sprachäußerungen Mädchen und Jungen verschieden oft angeredet bzw. zum Gesprächsinhalt gemacht werden.“67 Bei der Analyse der Gespräche fiel auf, dass Jungen vier längere Gesprächsphasen hatten, hingegen nur einem Mädchen ein größerer Gesprächsabschnitt zukam. Lilian Fried bekam den Eindruck dass, „wenn erst einmal ein Junge im Mittelpunkt des Gesprächs steht, die Chance für die anderen Jungen wächst, die Aufmerksamkeit der Erzieherinnen auf sich zu ziehen. (.....) Sobald ein Junge im „Scheinwerferlicht“ des Gespräches steht, scheinen die Mädchen für die Erzieher eher in den Schatten zu treten.68 Von den Erziehern wurden die Jungen in den Gesprächskreisen weitaus häufiger als Referenz gewählt, was eindeutig zu Lasten der Mädchen ging. Sprachmodell: Der Spracherwerb eines Kindes wird durch ein erwachsenes Sprachmodell, welches auf die Sprachfähigkeit eines Kindes abgestimmt ist, begünstigt. Vor diesem Wissenshintergrund untersuchte Fried, ob die drei Erzieherinnen ihre Sprache im Umgang mit den Kindergartenkindern veränderten. Es konnte festgestellt werden, dass die Erzieherinnen im Gespräch mit Erwachsenen längere Sätze sprachen. Die Sätze, die sie an den Kindergartenkindern richteten, waren durchschnittlich um vier Wörter kürzer. Nun wurde überprüft, ob eine 67 Fried, Lilian: Werden Mädchen im Kindergarten anders behandelt als Jungen? In: Zeitschrift für Pädagogik, Heft Nr. 4, 1989, S. 478 68 vgl. ebenda S. 478 33 geschlechtsdifferentielle Vereinfachung der Sprache festzustellen war. Hierbei zeigte sich, dass die Jungen mit einer Sprache konfrontiert wurden, die leicht über ihrem eigenen Niveau lag, die Sprache gegenüber den Mädchen war hingegen weniger komplex und lag unter dem Sprachniveau der von den Mädchen selbst geäußerten Sprache. „Den Jungen werden also günstigere Sprachlernbedingungen bereitet. Dagegen wird den Mädchen mit einer Sprache begegnet, die unter ihrem eigenem Komplexitätsniveau lag. Diese unterfordernden Spracherziehungsprozesse dürfen deshalb kaum die geeigneten Sprachlernanreitze bieten.69 Die Sprache der untersuchten Jungen war etwas komplexer als die Sprache der untersuchten Mädchen. Jedoch lässt sich daraus nicht automatisch schlußfolgern, dass dies bereits ein Resultat der geschlechtspezifischen Behandlung der Erzieherinnen ist. 3.2.2 Verbale Kommunikation im Vorschulalter Schon früh lernen Kinder entsprechend ihres Geschlechtes unterschiedliche Interaktionsregeln. Im Zusammenhang mit der verbalen Kommunikation konnte Marianne Engle (1980) feststellen, dass Kinder beim Sprechen häufiger von ihren Vätern unterbrochen werden, als von ihren Müttern. Simultan sprechen beide Eltern häufiger mit ihren Töchtern als mit ihren Söhnen.70 In ihren Spielgruppen zeigen und lernen Jungen und Mädchen ein unterschiedliches sprachliches Verhalten. Jungen lernen in Konkurrenz mit anderen Jungen, in der häufig hierarchisch strukturierten Spielgruppe, ihren Status mit Hilfe verbaler Mittel zu erhalten, zu sichern und auszubauen. Häufig verwenden Jungen 69 ebenda S. 481 70 vgl. Engle, Marianne: Family Influences on the Language Development of Young Children, zitiert nach: Enders-Dragässer, Uta und Claudia Fuchs: Der heimliche Lehrplan der Geschlechtererziehung in der Schule: am Beispiel der Interaktionen. In: Prengel, Annedore u.a. (Hg.): Schulbildung und Gleichberechtigung. Frankfurt/M.: Frauenliteraturvertrieb 1987, S. 192). 34 Handlungsanweisungen wie beispielsweise „Geh weg hier!“ oder „Halt dein Maul“. Werden in der Gruppe Geschichten erzählt, treten Jungen bereits sehr dominant auf und erobern das Rederecht.71 Mädchen legen wenig Wert darauf, mit Hilfe von sprachlichen Äußerungen in ihrer Spielgruppe eine hierarchische Struktur zu schaffen. Sie sind darauf bedacht gleichberechtigte Beziehungen in ihrer Gruppe zu schaffen. Handlungsanweisungen sind bei ihnen selten. Für Aktivitäten machen sie Vorschläge, wobei sie sich dabei selbst mit einbeziehen. Mädchen sagen zum Beispiel: „Wir können verstecken spielen“ oder „Laßt uns mit dem Hund spazieren gehen“. Konflikte werden von ihnen gelöst, ohne dirigierend oder autoritär zu wirken. Handlungsanweisungen begründen sie mit Hilfe von sachlichen Kriterien, wobei die Vorteile für die gesamte Gruppe dargestellt werden. Üben sie Kritik an Gruppenmitgliedern, versuchen sie diese akzeptabel zu vermitteln. Bei einer gemeinsamen Aufgabe versuchen sie diese gemeinsam zu lösen und nicht untereinander zu konkurrieren, wie Jungen dies häufig tun.72 3.3 Jungen in der Schule Die Disziplinlosigkeit von Jungen im Unterricht bereitet vielen Lehrern und Lehrerinnen Kopfzerbrechen. Franz Frimmersdorf (Berufsschullehrer und Mitarbeiter der Arbeitsstelle „Erziehung zur Gleichberechtigung“ im Hessischen Landesinstitut für Pädagogik) klagt beispielsweise, dass Jungen häufig das Sozialklima stören und durch „negative Kommentare zu den Beiträgen anderer“ auffallen.73 Für interessierte Lehrerkollegen hat Frimmersdorf einen „Arbeitskreis Jungen“ ins Leben gerufen. Auch seine Kolleginnen 71 vgl. Goodwin, Majorie, H.: Directive-Response Speech Sequences in Girl’s and Boy’s Task Activities, zitiert nach: ebenda S. 192 72 vgl. Enders-Dragässer, Uta und Claudia Fuchs 1987, S. 192/193 73 Tocher, Wigbert: Von „Power Girls“ und „armen Kerlen“. Frankfurter Rundschau 22.07.1999 35 und Kollegen aus dem Arbeitskreis sind sich einig. Aggression, Belästigungen und Grenzüberschreitungen gehen meistens von den Jungen aus. Zwar gäbe es, sagt Fimmersdorf, auch den Typus des introvertierten Jungen, aber der sei eher ein Außenseiter mit „atypischem Jugend- und Jungenverhalten.“74 3.3.1 Vorbilder in der Schule Kinder wachsen zu 30 bis 40 % bei alleinerziehenden Müttern auf. Viele von jenen Kindern, die mit beiden Elternteilen aufwachsen erleben ihren Vater häufiger nur als randständige Person, der viel außer Haus arbeitet. Daraus folgt für Kinder ein Defizit eines männlichen Vorbildes. Dieses Defizit des männlichen Vorbildes kann auch vom Kindergarten und der Grundschule nicht kompensiert werden, da in diesen Institutionen männliche Pädagogen nur spärlich vertreten sind. An der Bremer Grundschule, Stader Straße unterrichten beispielsweise 17 Frauen und ein Mann. Auf dem Schulhof sei dieser Lehrer eine große Attraktion. Die Lehrerin Christa Bauer erzählt, dass vor allem die Jungen sich immer wieder an diesen Lehrer „hängen“ und auch Körperkontakt zu ihm suchen.75 Andrea Hartmann, Lehrerin an der Bremer Grundschule Stichnathstraße berichtet von der überdurchschnittlichen Männerquote an ihrer Schule. Von 30 KollegInnen waren immerhin fünf männlich.76 Auch in Zukunft werden männliche Lehrer zumindest in der Grundschule Mangelware bleiben. Für das Lehramtsstudium Primarstufe an der Universität Bremen kommen auf sieben Studentinnen ein Student. Auch die Zahlen der Referendare weisen kein anderes Bild auf. Im Land Bremen sind beispielsweise von 110 Referendaren 95 Frauen.77 Eindeutig fehlen den Jungen im Schulalltag männliche Vorbilder. Da Jungen aber insbesondere im Alter von sechs bis 74 ebenda 75 vgl. Die Schulhofsattraktion, taz Bremen Nr. 5930 vom 04.09.1999, S. 31 76 vgl. ebenda 77 vgl. ebenda 36 vierzehn Jahren auf männliche Rollenvorbilder angewiesen seien, so Biddulph,78 ist es besonders tragisch, dass die im Lehrdienst tätigen Männer in der Grundschule Mangelware sind. Die Forderung nach mehr männlichen Lehrern, insbesondere für die Grundschule, liegt zwar auf der Hand und würde, wenn sie denn politisch gewollt und mit entsprechenden Anreizen ausgestattet wäre, unter Umständen auch etwas bringen, führt jedoch in der momentanen Situation kurzfristig nicht weiter. Was aber weiter helfen könnte, wäre eine stärkere Sensibilisierung der Lehrkräfte für die Sorgen, Nöte und Probleme der Jungen. Wie oben erwähnt weist Astrid Kaiser auf die Bedeutung hin, dass sich Mütter vor ihren Söhnen Achtung verschaffen müssen, um damit einen Grundstein für ein positives Verhältnis des Jungen zum weiblichen Geschlecht zu legen. Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, dass sich nicht nur Mütter, sondern auch Kindergärtnerinnen und Lehrerinnen vor dem männlichen Nachwuchs Achtung verschaffen und die Jungen in ihre Grenzen weisen, denn auch Kindergärtnerinnen und Lehrerinnen fungieren als weibliches Vorbild. Dies scheint jedoch nicht immer zu gelingen. So konnten Uta Enders-Dragässer und Claudia Fuchs feststellen, dass Lehrerinnen darauf verzichten, „den Jungen in eindeutiger Weise Grenzen zu setzen und sie mit ihrer Verantwortung für das Lernklima der Gruppe zu konfrontieren. Sie verschonen die „starken“ Jungen vor der Auseinandersetzung mit den Folgen ihres „männlichen“ Verhaltens in intellektueller und sozialer Hinsicht und sie perpetuieren die Probleme mit der „Disziplin“. Sie weichen aber auch, soweit sie männlich sind, damit der Frage danach aus, welches Vorbild sie selbst für die Jungen abgeben.“79 Da Schule 78 vgl. Biddulph, Steve 2001, S. 173 79 Enders-Dragässer, Uta / Fuchs, Claudia: Eine Expertise im Auftrag der Gemeindedienste und Männerarbeit der evangelischen Kirche Hessen und Nassau, Darmstadt, 1988a. 37 nicht in einem gesellschaftsfreien Raum stattfindet und Lehrkräfte nicht nur Wissensvermittler sind, sondern auch als Geschlechtsrollenvorbilder fungieren, wäre eine Auseinandersetzung der Lehrerinnen und Lehrer mit ihrem weiblichen bzw. männlichen Rollenverständnis z.B. auf Fortbildungsveranstaltungen sinnvoll. Auch wäre es wünschenswert, wenn es zu einer Thematisierung dieser Problematik bereits während der Lehrerausbildung kommen würde. 3.3.2 Anteil von Jungen und Mädchen in verschiedenen Schularten Wenn man sich Statistiken anschaut, aus denen hervor geht, wie viele Mädchen beziehungsweise Jungen in den einzelnen Schultypen vertreten sind fällt auf, dass die Mädchen in den weiterführenden Schulen zahlenmäßig den Jungen überlegen sind. Beispielsweise besuchten 1995 32 % der sechzehnjährigen Mädchen, aber nur 24 % der gleichaltrigen Jungen das Gymnasium. 13 % der Mädchen, jedoch 16 % der Jungen waren Hauptschüler. Auf der Sonderschule waren 1995 zwei Drittel Jungen, aber nur ein Drittel Mädchen anzutreffen.80 Bereits im Vorschulkindergarten, in dem Kinder sind, die zwar vom Alter her bereits eine Grundschule besuchen könnten, aber noch nicht für schulreif eingestuft wurden, zeigt sich, dass Jungen deutlich häufiger einer vorschulischen Förderung bedürfen. 80 vgl. Faulstich- Wieland, H. / Nyssen, E.: Geschlechterverhältnisse im Bildungssystem - Eine Zwischenbilanz. In: Rolff, H.-G. u.a. (Hrsg.) Jahrbuch der Schulentwicklung Bd. 10, Weinheim und München 1998, S. 163-200 38 Anteil von Schülern und Schülerinnen in verschiedenen Schularten 1997/98 Schularten Jungen : Mädchen Schulkindergarten 1,8 : 1 Sonderschulen 1,7 : 1 Hauptschulen 1,3 : 1 Realschulen 1 : 1,04 Gymnasien 1 : 1,2 Ohne Hauptschulabschluss 1,9 : 1 Allgemeine Hochschulreife 1 1,2 : (Quelle: 81) Besonders hoch ist der Anteil der Jungen mit 86 % an den Sonderschulen für Verhaltensauffällige. Aber auch an anderen Sonderschulen sind die Jungen überdurchschnittlich vertreten (Sonderschule für Sprachbehinderte 72 %, Sonderschule für Körperbehinderte 60 %).82 Vor dem Hintergrund der Geschlechterverteilung in unseren Schulen kann festgestellt werden, dass es die Jungen sind, die in unseren Schulen geringere Leistungen erbringen als Mädchen. Sie sind es, die vor allem das Versagen in der Schule betrifft. Scheinbar werden im Unterricht nicht nur die Mädchen unzureichend gefördert und gefordert, wie oftmals festgestellt wurde, sondern auch die Jungen. Uta Engers-Dragässer und Claudia Fuchs untersuchten die schulische Jungensozialisation in Deutschland und stellten dabei folgendes fest: „Die schulische Sozialisation beider Geschlechter ist in unserer Gesellschaft an Mittelschichtnormen orientiert, die ein mit 81 Bundesamt für Statistik, Fachserie 11, Reihe 1, Allgemeinbildende Schulen 1999, in: Schnack, Dieter / Neutzling, Rainer: Kleine Helden in Not. Reinbeck 2. Auflage Oktober 2001, S. 179). 82 vgl. ebenda S. 180 39 Autonomie, Überlegenheit und Objektivität verbundenes Männlichkeitsideal und ein mit Subjektivität, Emotionalität, Bindung und Unterlegenheit verbundenes Weiblichkeitsideal zum Ausgangspunkt haben.“83 So werden durch die tägliche Reproduktion von Rollenstereotypen, nicht nur im außerschulischen Bereich sondern auch im Unterricht, Jungen einerseits sozial unterfordert, andererseits durch den gesellschaftlichen Anspruch stark, überlegen und erfolgreich sein zu müssen, überfordert. Könnte man den Jungen den Druck nehmen immer dominant sein zu müssen, und würde man den Jungen mehr Verständnis für ihre Nöte und Probleme entgegenbringen, wäre es ihnen vielleicht verstärkt möglich, sich auf Unterrichtsinhalte einzulassen und so auch bessere Schulleistungen zu erzielen. Die Unterschiedliche Behandlung von Mädchen und Jungen im Unterricht führt also zu Verlierern auf beiden Seiten. Die Mädchen verlieren, trotz guter Schulleistungen, auf dem Weg zum Schulabschluss (unter anderem vermittelt durch die Ungleichbehandlung der Lehrkräfte und dem dominantem Gebaren ihrer männlichen Mitschüler) an Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl. Den Jungen ist es hingegen kaum möglich den Anforderungen des „Männlichkeitsideals“ gerecht zu werden. 4 Ergebnisse der Koedukationsforschung Lange glaubten viele Vertreterinnen der Frauenbewegung, dass die Einführung der Koedukation zum Abbau der bestehenden Geschlechterhierarchie führen würde, und so der Weg hin zu gleichen Lebenschancen für Jungen und Mädchen frei sei.84 83 Enders-Dragässer, Uta / Fuchs, Claudia: Eine Expertise im Auftrag der Gemeindedienste und Männerarbeit der evangelischen Kirche Hessen und Nassau, Darmstadt 1988a, S. 34 84 vgl. Seeber-Rössler, E.: Non scolae, sed vitae discimus.... . Der heimliche Lehrplan „Koedukation“. In: Erziehung heute, 4, S. 16-21, 1992 40 „Die Einführung der Koedukation als „stille Revolution im Bildungssystem“ wurde wissenschaftlich kaum diskutiert oder gar begleitet. Man ging davon aus, dass mit dem koedukativen Prinzip eine gleiche Unterrichtung der Geschlechter – und damit Chancengleichheit und Gleichberechtigung – erreicht würde. Faktisch wurden Mädchen jedoch der Jungenbildung angepasst. (...) Koedukation hat sich bisher nur als formales, nicht aber als inhaltliches Prinzip erwiesen. Bildungsforscherinnen bezeichnen den gegenwärtigen koedukativen Unterricht als „Koinstruktion“, d.h. als parallele Unterrichtung von Mädchen und Jungen im selben Raum mit derselben Lehrperson.“85 Auf kommunaler Ebene brachte die Einführung der Koedukation jedoch organisatorische und finanzielle Erleichterungen. Die männliche Dominanz des Schulsystems brachte Hurrelmann dadurch zum Ausdruck, dass er die koedukative Schule als eine „Jungenschule auch für Mädchen“ bezeichnete.86 In den 80er Jahren führten jedoch Forschungsergebnisse von unterschiedlichen feministischen Wissenschaftlerinnen dazu, dass eine Koedukationsdebatte ausgelöst wurde, in deren Mittelpunkt die Frage stand, in wie weit Mädchen im gemeinsamen Unterricht benachteiligt werden. Einige von diesen Forschungsergebnisse werde ich hier darstellen. Interaktionen im Schulalltag: Im koedukativen Unterricht werden Schülerinnen und Schüler unterschiedlich behandelt. Auf der Grundlage dieser 85 Brück, B. u.a.: Feministische Soziologie. Eine Einführung. Frankfurt/M., 1997, S. 184f., zitiert nach: Dür, Mariette: Geschlechtssensible Schule in Österreich, Hausarbeit vom 8. Juli 2001 86 vgl. Hurrelmann, Klaus u.a.: Koedukation – Jungenschule auch für Mädchen? Opladen 1986 41 unterschiedlichen Behandlung werden Mädchen und Jungen auf Rollenstereotypen in unterschiedlicher Weise eingeschränkt.87 4.1 Lob und Tadel 1985 fand Hagemann-White heraus, dass Mädchen öfter wegen schlechter Leistungen getadelt werden, jedoch seltener für gute Leistungen Lob erhalten. Gelobt werden sie hingegen für Wohlverhalten, Sauberkeit und Fleiß, sowie für ordentliches Arbeiten. Auf diese Weise wird „hilfloses“ Verhalten gelernt. Erfolge werden also dem Glück zugeschrieben, jedoch nicht den eigenen Fähigkeiten. Jungen werden hingegen für Disziplinlosigkeit und mangelnde Ordnung getadelt, erhalten aber Lob für gute Ideen und intellektuelle Leistungen. Auf der Grundlage derartiger Verhaltensweisen lernen Jungen, dass sie sich bei Erfolglosigkeit zu wenig angestrengt haben oder einfach zu undiszipliniert waren. Erfolge leiten männliche Schüler jedoch aus der eigenen Leistungsfähigkeit ab.88 Inwieweit die unterschiedliche Behandlung von Mädchen und Jungen „durch geschlechtsstereotype Erwartungen und Wahrnehmungen gesteuert wird oder vielmehr Reaktion auf Schülerverhalten ist, das Mädchen ebenfalls, allerdings seltener, zeigen, ist eine offene Frage.“89 Hierzu wendet jedoch Elisabeth Frank ein, dass allein aus der Quantität des „Aufgerufen-Werdens“ keine generelle Bevorzugung abgeleitet werden kann. „Meldet sich ein Junge häufig, sind seine Antworten meist richtig und er erhält dafür Lob, dann bedeutet dies mit Sicherheit Förderung. Ein anderer Junge ist oft unaufmerksam, seine Antworten sind selten zufriedenstellend, er erfährt überwiegend Tadel, dann erweist sich Schule als eine 87 vgl. Frank, Elisabeth: Schule der Chancengleichheit, Stuttgart 1997, S. 51 88 vgl. Faulstich-Wieland, Hannelore: Koedukation und Utopie. In: Hansmann, Otto / Winfried Marotzki (Hg.): Diskurs Bildungstheorie II. Problemgeschichtliche Orientierung. Weinheim, 1989, S. 562 89 Baumert, Jürgen: Koedukation und Geschlechtertrennung. In: Zeitschrift für Pädagogik, 38, 1992, S. 85 42 Aneinanderreihung von Niederlagen. Weniger beachtet werden, kann auch weniger Druck bedeuten.“90 Ihrer Meinung nach ist die andersartige Qualität von Zuwendung für die Benachteiligung der Mädchen ausschlaggebend. Andere Autoren beschreiben Tadel als eine Form von negativer Zuwendung, die insbesondere von Jungen durch undiszipliniertes und aggressives Verhalten oftmals erzwungen wird.91 4.2 Aufmerksamkeit Bei einer Untersuchung von 35 Grundschulklassen mit insgesamt 1.082 Mädchen und Jungen stellten Heidi Frasch und Angelika Wagner (1982) fest, dass Mädchen signifikant weniger aufgerufen werden, und zwar sowohl relativ zu ihrer Zahl in der Klasse, als auch relativ zur Häufigkeit mit der sie sich melden. Auch sprechen Lehrkräfte bei Einzel- und Gruppenarbeiten Mädchen signifikant seltener an, als Jungen. Dies ist besonders ausgeprägt in Fächern wie Sachkunde und Mathematik. Im Fach Deutsch ist derartiges Verhalten hingegen wenig ausgeprägt.92 Auch Enders-Dragässer und Fuchs stellten 1988 bei der Beobachtung des Physikunterrichts einer 8. Klasse fest, dass den aufgerufenen Jungen mehr Hilfen von Seiten der Lehrkraft gegeben wurde, als den zum gleichen Thema aufgerufenen Mädchen.93 Derartige Verhaltensweisen von LehrerInnen sind scheinbar dafür mit verantwortlich, dass Mädchen ein sehr viel niedrigeres Selbstbewußtsein im Vergleich zu Jungen haben. Dies belegt Marianne Horstkemper in einer Längsschnittuntersuchung. „Obwohl die Mädchen schulisch deutlich erfolgreicher sind als die Jungen 90 Frank, Elisabeth: Schule der Chancengleichheit, Stuttgart 1997, S. 51 91 Rausch, Judith: K.O.edukation, Frauenmagazin Emma, 1989, Heft Nr.1 92 vgl. Frank, Elisabeth: Schule der Chancengleichheit, Stuttgart 1997, S.42 93 vgl. Enders- Dragässer, Uta und Claudia Fuchs: Frauensache Schule. Aus dem deutschen Schulalltag: Erfahrungen, Analysen, Alternativen. Frankfurt/M. 1990. In: Frank, Elisabeth: Schule der Chancengleichheit, Stuttgart, 1997, S. 52. 43 (sie sitzen häufiger im oberen Leistungsniveau und erhalten tendenziell die besseren Noten), und obwohl für die Mädchen dieser Leistungserfolg eine stärkere Quelle des Selbstvertrauens darstellt, vergrößert sich der Selbstvertrauens-Abstand zwischen den Geschlechtern im Laufe der Sekundarschule sogar noch.“94 4.3 Sprachverhalten von SchülerInnen und LehrerInnen Bei einer US-amerikanischen Untersuchung von Collegeklassen konnte festgestellt werden, dass es eine unterschiedliche Beteiligung der Studentinnen und Studenten in Abhängigkeit von dem Geschlecht der Lehrperson gab. Bei weiblichen Lehrpersonen war die Beteiligung höher. Im Vergleich zu den Klassen männlicher Professoren waren die StudentInnen bei Professorinnen diskussionsorientierter. Anscheint lassen sich Professorinnen stärker auf Diskussionen ein und akzeptieren auch eher die Aussagen von Lernenden. Professoren haben scheinbar eine Tendenz Studentinnen und Studenten zu korrigieren und zurechtzuweisen. Auch war die Beteiligung der Studentinnen bei den Professorinnen höher als bei den Professoren. Jedoch lag sie in beiden Fällen unter denen der Studenten.95 5 Sexismus in der Schule Seit über 50 Jahren ist die Gleichberechtigung der Geschlechter im Grundgesetz verankert. „Artikel 3 (Gleichheit vor dem Gesetz ) 94 Horstkemper, Marianne: Schule, Geschlecht und Selbstvertrauen. Weinheim, 1987 S. 216 95 vgl. Karp/Yoels: The College Classroom: Some Observations on the Meanings of Student Participation“. In: Sociology and Social Research, 1976, 60: 421-39; zitiert nach: Enders-Dragässer, Uta und Claudia Fuchs: Der Heimliche Lehrplan der Geschlechtererziehung in der Schule: am Beispiel der Interaktion. In: Prengel, Annedore u.a. (Hg.): Schulbildung und Gleichberechtigung. Frankfurt/M.: Frauenliteraturvertrieb 1987, S. 193 44 (1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. (3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt werden.“96 Zwischen unserem Verfassungsanspruch und der gesellschaftlichen Realität besteht jedoch eine Diskrepanz, die sich unter anderem in unserem Schulalltag widerspiegelt. Sexismus in der Schule, das heisst eine Benachteiligung aufgrund des Geschlechts, ist in unserem Schulalltag nach wie vor allgegenwärtig. In diesem Kapitel werde ich versuchen dies mit Hilfe von einigen Beispielen darzustellen. 5.1 Schulorganisation Schulische Führungsaufgaben Vor Einführung der Koedukation wurden Mädchenschulen in Deutschland normalerweise von Schulleiterinnen geführt. Diese Mädchenschulen bekamen nach Einführung der Koedukation überwiegend eine männliche Führung. 1992 wurden lediglich 4 % der Gymnasien in Baden-Württemberg von Frauen geleitet. In Hamburg waren es immerhin 14 %. Lediglich in den neuen Bundesländern sind weibliche Schulleiterinnen zahlenmäßig stärker vertreten.97 Amtssprache in der Schule 96 Grundgesetz Art. 3 http://www. jura.uni-sb.de/BIJUS/grundgesetz/art3.htm 97 vgl. Frank, Elisabeth: Schule der Chancengleichheit, Stuttgart 1997, S. 47 45 Obwohl insgesamt mehr Frauen in der Schule unterrichten, ist die schulische Amtssprache männlich. Dies zeigt sich zum Beispiel in Schulrechtstexten und Verordnungen, in denen dann vom Klassenlehrer, Tutor, Drittkorrektor, Referent, Fachleiter usw. die Rede ist. Immerhin werden Schülerinnen und Schüler in Bildungsplänen inzwischen getrennt erwähnt. Finden jedoch Nobelpreisträger Erwähnung, sind diese wieder männlich. Weibliche Nobelpreisträgerinnen wie beispielsweise Marie Curie oder Maria Goeppert-Mayer geraten auf diese Weise schnell in Vergessenheit.98 Mir persönlich ist die männliche Amtssprache in der Schule erst aufgefallen, als ich ein Frageblatt ausfüllen mußte, um meine Tochter für den Sommer 2002 in einer bayerische Grundschule anzumelden. Auch in diesem „Frageblatt zur Schulanmeldung“ fand der Schüler, sowie der Lehrer lediglich in der männlichen Person Erwähnung. Vor dem Hintergrund, dass es in dieser Schule gar keine männlichen Lehrkräfte gibt, die für die jüngeren Schülerinnen und Schüler zuständig sind, ist dies besonders bemerkenswert! (Siehe Anhang). Lehrerbild Das LehrerInnenbild ist traditionell männlich geprägt mit männlich zugeschriebenen Attributen, wie z.B., dass eine Klassenleitung Durchsetzungsvermögen zeigt, laut spricht und entschlossen auftritt. Diese Bewertungsmaßstäbe werden mit Männlichkeit in Verbindung gebracht.99 Beurteilungen der Lehrkräfte Laut Elisabeth Frank werden Lehrerinnen und Lehrer zumindest in Baden-Württemberg nach männlichen Qualitäten, wie Entschlusskraft, Initiative, Fähigkeit zur Menschenführung als 98 vgl. ebenda 99 vgl. Martial, Ingbert von: Koedukation und getrennte Erziehung, Päd. Reihe, Heft 51, Köln 1998, S.16 ff. 46 Vorgesetzte beurteilt. „Weibliche Eigenschaften wie freundlicher Umgang mit Kindern und Jugendlichen, Herzlichkeit, Empathie, außerunterrichtliches Engagement“ sind keine Beurteilungskriterien. 100 Lehrpläne Lehrpläne werden in Baden-Württemberg vorwiegend von Männern gemacht. In der Lehrplankommission für das Gymnasium waren 1994 Frauen lediglich zu 8 % vertreten. Die Lehrplankommissionen Mathematik, Physik, Chemie und Informatik waren zu 100 % männlich. 101 Aufgrund der Tatsache, dass es in manchen Bundesländern möglich ist, sich für die Lehrplankommission frei zu bewerben, liegt hier der Frauenanteil in dieser Kommission höher. In Bremen gibt es sogar die Verordnung, die eine mindestens 40%ige Vertretung beider Geschlechter vorsieht. Fortbildungen für Lehrerinnen und Lehrer Frauen sind als Fortbildnerinnen im schulischen Bereich selten zu finden. Frau Frank, Lehrerin für Physik und Mathematik am OttoHahn-Gymnasium in Ostfildern, berichtet beispielsweise, dass von den angebotenen Fortbildungen ihrer Schule unter 43 Referenten genau eine Referentin zu finden war (Stand Februar 1996). Kirchliche Träger scheinen mancherorts auf ein ausgeglicheneres Geschlechterverhältnis bei den Referierenden von Fortbildungen zu achten. So waren beispielsweise beim Stuttgarter Lehrerinnen-Tag 1996 Frauen und Männer als Vortragende gleich häufig vertreten. Elisabeth Frank stellt fest: „Wo Frauen an Fortbildungen beteiligt sind, wird auch das Thema „Schule der Chancengleichheit“ thematisiert.“102 Auch wenn diese Tagungen an Wochenenden stattfinden und mit privaten Kosten verbunden sind, seien Fortbildungen zu diesem Thema sehr gefragt. 100 vgl. Frank, Elisabeth: Schule der Chancengleichheit, Stuttgart 1997, S. 48 101 vgl. ebenda S. 48 102 ebenda S. 49 47 Vorgelebte Lebensentwürfe von Lehrerinnen und Lehrern In kaum einem anderen Beruf ist es so leicht möglich Arbeit und Familie zu vereinen wie im Lehrberuf. Der Staat als Arbeitgeber bietet Teilzeitarbeit, passend für die jeweilige Lebenssituation an. Auch wenn Lehrerehepaare überdurchschnittlich häufig gleich gut ausgebildet sind und den gleichen Beruf ausüben, ist es nach wie vor zu beobachten, dass es fast ausschließlich die Frauen sind, die im Falle von Familienzuwachs ihre Arbeitsstunden reduzieren. Nur wenige Paare entscheiden sich für eine ausgeglichene Arbeitsstundenreduzierung. Den Fall, dass die Frau Vollzeit arbeitet und der Mann Teilzeit beschäftigt ist, gibt es so gut wie nicht. Naturwissenschaftliche Unterrichtsfächer Naturwissenschaftliche Fächer werden wesentlich häufiger von Männern unterrichtet als von Frauen. Die Fächer Informatik sowie Astronomie vermitteln fast ausschließlich Männer. Eine Längsschnittuntersuchung an Gymnasien in Baden-Württemberg ergab, dass nur jede 13. Physikstunde und jede 4. Mathematikstunde von einer Frau gehalten wurde. Ebenso ist im Kanton Bern, in der Schweiz, die Zahl der von Frauen gehaltenen Physikstunden fast nicht mehr meßbar. Anders war dies jedoch in der ehemaligen DDR. Dort gab es in diesem Fachbereich deutlich mehr weibliche Unterrichtskräfte.103 Auch ein solcher Sachverhalt vermittelt unserem Nachwuchs ohne Zweifel die Botschaft, die da lautet: Naturwissenschaften sind Männersache. 5.2 Lehrmaterialien Laut Ulla Ohlms dienen Schulbücher nicht nur der „Aneignung von Kulturtechniken und der Wissensvermittlung, sondern auch der Affirmation gesellschaftlicher Zustände.“104 103 vgl. ebenda 104 Ohlms, Ulla: Und drinnen waltet die züchtige Hausfrau...“ In: Arbeitsgruppe Elternarbeit (Hg.): Die Schule lebt - Frauen bewegen die Schule, S. 131 48 Auch wenn nicht sämtliche Seiten eines Schulbuches bearbeitet werden, sind sie für Lehrerinnen und Lehrer oftmals Grundlage selbst entworfener Unterrichtsmaterialien. Sie sind Leitlinien im Unterrichtsgeschehen. Dadurch, dass ihre Bilder und die Texte, von beispielsweise mathematischen Aufgaben, normalerweise nicht gesondert besprochen werden, wirken sie unbewußt und unkontrolliert auf die Lernenden ein. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass das traditionelle Frauenbild welches unter anderem mit Hilfe von Lehrmaterialien vermittelt wird, seit mehr als 20 Jahren im Blickpunkt wissenschaftlicher Diskussion steht. Zwar zeigen die Texte und Bildmaterialien von Schulbüchern inzwischen Mädchen, die auf Bäume klettern, dennoch vermitteln zahlreiche Buchinhalte nach wie vor Geschlechterstereotypen. Schon die Tatsache, dass solche Inhalte wie: „Mädchen klettert auf einen Baum“ als besonders positiv hervorgehoben werden zeigt, dass die im Grundgesetz fixiert Gleichberechtigung von Mann und Frau in bundesdeutschen Schulbüchern noch nicht vollständig umgesetzt wurde. Im folgenden werde ich Kriterien darstellen, auf deren Grundlage Schulbücher im Hinblick auf vermittelte Weiblichkeits- und Männlichkeitsbilder untersucht werden können. Dieser Kriterienkatalog wurde dem Buch: „Schule der Chancengleichheit“ von Elisabeth Frank (1997) entnommen und stützt sich auf die Veröffentlichung des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft („Schule dreht da ganz schön mit“), sowie Ergänzungen von Frau Frank. Differenziert wird zwischen qualitativen und quantitativen Schulbuchinhalten. Quantitative Analyse: 49 1. Frauen sind bei der Herstellung der Bücher als Autorinnen, als Bildherstellerinnen, als Herausgeberinnen, als Verlegerinnen unterrepräsentiert.105 Zu diesem Kriterium untersuchte Frau Frank neun Lesebücher der Klassen 5 und 6, die zwischen 1992 und 1995 erschienen sind. Bei diesen Büchern gab es immerhin 11 % Herausgeberinnen, 35 % Autorinnen und 33 % Illustratorinnen. Anders sah das hingegen bei Mathematik- und Physikbüchern aus. Bei den 14 von ihr untersuchten Büchern gab es im Bereich Mathematik 0 % Herausgeberinnen, 2,5 % Autorinnen und 10 % Illustratorinnen. Die Physikbücher wiesen 0 % Herausgeberinnen, 7 % Autorinnen und 9 % Illustratorinnen auf.106 2. Frauen und Mädchen sind bei Abbildungen und Texten weit unterrepräsentiert, noch mehr, wenn man Größe der Bilder, Art der Darstellung, Empathiezentrum mit berücksichtigt. 3. Weibliche Wesen sind überwiegend Kleinkinder und Kinder, männliche Wesen überwiegend erwachsen. 4. Abbildungen, die beide Geschlechter zeigen, sind unterrepäsentiert. Gabriele Karsten stellte bei der Begutachtung von Grundschulbüchern 1976 fest, dass der Frauen und Mädchenanteil in den von ihr untersuchten Büchern gerade mal 30 % 105 Anmerkung hierzu von Herrn Dr. Eubel auf der Präsenzveranstaltung in Leverkusen 18.02.2002: Auch wenn Frauen häufig nur in Danksagungen von Veröffentlichungen oder als Mitautorinnen auftauchen, haben sie nicht selten wissenschaftliche Texte und Ausarbeitungen erstellt. 106 vgl. Frank, Elisabeth: Schule der Chancengleichheit, Stuttgart 1997, S. 68 50 ausmachte.107 Nach all den Jahren Koedukationsdebatte sollte man annehmen, dass derartige Diskriminierungen inzwischen längst überholt sind. Doch selbst in Mathematikbüchern die erst 1994 neu auf den Markt kamen ist festzustellen, dass weibliche Personen unterrepräsentiert sind. So enthält das Mathematikbuch „Lambacher Schweizer 5“ (Klett 1994) „5 Abbildungen von Jungen und 41 Abbildungen von Männern, dagegen stehen 11 Abbildungen weiblicher Wesen (5 Mädchen, 2 reale Frauen, 4 Frauen auf Geldscheinen, Briefmarken oder Spielkarten), 11 Abbildungen beider Geschlechter. In „Lambacher Schweitzer 8“, Klett Juli 1995 sind 19 Jungen und 49 Männer (ohne den Männergesangsverein Gaudamus mit 38 Mitgliedern) abgebildet, darunter 7 Mathematikerportraits mit Lebensdaten. Dem demgegenüber stehen die Abbildungen von einer erwachsenen Frau (Mutter), 4 jungen Frauen beim Sport und 12 weiblichen Kindern und Kleinkindern, 5 Abbildungen zeigen beide Geschlechter.“108 Dass Frauen nicht nur in Mathematikbüchern wenig Platz finden, sondern auch in anderen Fachbüchern unterrepäsentiert sind, offenbarte ein saarländisches Gutachten, welches 1991 vom Ministerium für Frauen in Auftrag gegeben wurde. Untersucht wurden 18 Lesebücher der Klassen 5 bis 10. Bei der Analyse dieser Bücher zeigte sich, dass der dargestellte Frauenanteil lediglich in einem Buch über einem Drittel lag. In nicht wenigen Lesebüchern lag ihr Anteil sogar unter 20 %.109 Bei der Durchsicht des Personenregisters des Lehrbuches „Unsere Geschichte – Von der Zeit des Imperialismus bis zur Gegenwart“ 107 Karsten, Gabriele: Mariechens Weg ins Glück? Die Diskriminierung von Mädchen in Grundschulbüchern, Berlin 1976, S. 30 108 Frank, Elisabeth: Schule der Chancengleichheit, Stuttgart 1997, S. 69 109 vgl. ebenda S. 68 51 fand Ilse Bremer 365 Männer und 10 Frauen, was weniger als 3 % ausmacht.110 Obwohl in Deutschland 52 % der Bevölkerung Frauen sind, müssen Schülerinnen und Schüler den Eindruck bekommen, dass es keine weiblichen Wissenschaftlerinnen gibt und Frauen in unserer Gesellschaft nur als Mütter vorhanden sind. Auch Constanze Lopatecki (1991) stellte bei der Analyse von dem in Bremen zugelassenen Mathematikbuch („Welt der Mathematik“ 7. Hauptschuljahr) fest, dass der Frauenanteil in diesem Buch 29 % beträgt. In dem Buch „Gramma“ (10 Klasse Realschule) traten neben 36 männlichen Personen lediglich eine Frau und ein Mädchen auf.111 Die dargestellten Beispiele zeigen, dass sich die Diskriminierung von weiblichen Personen in deutschen Schulbüchern nicht auf die Lehrbücher einzelner Fächer und die Bücher einzelner Bundesländer beschränken lässt. Anders scheint dies in Frankreich zu sein. So werden in dem französischen Physikbuches „Sciences Physiques“, Nathan 1986, beispielsweise Frauen und Männer auf Bildern als Wissenschaftlerinnen gleich häufig dargestellt. Auch kommt in dem Buch eine seitenfüllende Fotografie von Marie Curie, auf der sie als junge Wissenschaftlerin in ihrem Labor abgebildet ist, vor. Die Illustrationen für dieses Physikbuch wurden von einer Frau gemacht. Auch war die Herausgeberin, sowie eine Autorin des Buches weiblich.112 Nun muss dieses französische Schulbuch nicht repräsentativ für alle französischen Schulbücher sein, dennoch ist es ein bemerkenswertes Beispiel. Die Tatsache, dass sich in Frankreich überhaupt Frauen als Autorinnen, Illustratorinnen und Herausgeberinnen von Physikbüchern betätigen, hängt unter 110 vgl. Bremer, Ilse: Schule im Patriarchat - Schulung fürs Patriarchat? Weinheim, 1991 111 vgl. Frank, Elisabeth, Schule der Chancengleichheit, Stuttgart 1997, S. 68 112 vgl. ebenda S. 69 52 Umständen auch damit zusammen, dass der Frauenanteil an französischen Physikfakultäten bei 17 %, im Gegensatz zu 2 % in Deutschland liegt. Selbst in Ländern wie China, der Türkei, Italien und Thailand liegt der Frauenanteil an den Physikfakultäten zwischen 20 % und 30 %, in Ungarn sogar bei fast 50 % (Stand 1990).113 Diese Zahlen belegen, dass in anderen Ländern die weibliche Akzeptanz für das Fach Physik sehr viel höher ist als in der Bundesrepublik. Qualitative Aspekte: 5. Frauen sind entweder nicht erwerbstätig oder werden in traditionellen Berufen der weiblichen Erwerbstätigkeit dargestellt. Männer üben nicht nur vielfältigere, sondern auch prestigeträchtigere und statushöhere Tätigkeiten aus. Dabei bleibt die Darstellung der Frauen weit hinter dem bisher Erreichten zurück. Somit bieten diese Bücher Mädchen keine positiven Identifikationsmodelle für ein erweitertes Berufsspektrum. 6. Die Tätigkeiten im Haushalt und bei der Kindererziehung werden fast ausschließlich von Frauen erledigt. Jungen erleben somit keine positiven Identifikationsmodelle für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit in sämtlichen Lebensbereichen. 7. Die Doppelqualifikation Familie – Beruf vieler Frauen bleibt unerwähnt und wird so gut wie nie als ein auch für Männer erstrebenswertes Lebensmodell vorgeführt. Wenn die Frauen, die in Schulbüchern dargestellt werden, überhaupt erwerbstätig sind, üben sie in der Regel frauentypische Berufe aus. Häufig sind sie Krankenschwester, Kindermädchen, Verkäuferin, Putzfrau, Tänzerin, Sekretärin, Lehrerin oder Bäuerin. Weit überproprotional findet man Frauen in Schulbüchern jedoch 113 vgl. ebenda S. 29 53 auf den häuslich-familiären Bereich beschränkt. Da die Erwerbstätigenquote von Frauen in Deutschland mit Kindern unter 6 Jahren laut Mikrozensus im Jahr 2000 bei 51,8 % lag, und 63,3 % der Frauen mit Kindern unter 18 Jahren berufstätig waren, wird deutlich, dass Schülerinnen und Schüler in Schulbüchern eine Lebenswelt vorfinden, die so in der Realität gar nicht existent ist.114 In dem von Frau Lopatecki untersuchtem Mathematikbuch („Welt der Mathematik“, für die Sekundarstufe 1 in Hauptschulen) waren nur 2 -12 % der ohnehin unterrepäsentierten Frauen berufstätig. Auch das bereits erwähnte Mathematikbuch „Lambacher Schweizer 5“, (Klett 1989) weißt in dieser Hinsicht keine wesentlichen anderen Inhalte auf. So werden in diesem Buch „in 120 Aufgaben Männer mit Namen oder Beruf erwähnt, 22 erwähnte Frauen haben einen Namen. Während Männer in 30 erwähnten Berufen vorkommen, gibt es keine einzige berufstätige Frau. In „Lambacher Schweizer 6“ finden Kinder über 20 verschiedene Männerberufe, bei Frauen werden erwähnt: Bäuerin, Eierfrau, Verkäuferin, Sekretärin.“115 8. Eigenschaften und Tätigkeiten von Mädchen und Frauen sind im emotionalen, privaten Bereich verhaftet. Frauen und Mädchen werden kaum in aktiven, handlungstragenden Rollen dargestellt. Fürsorgliche Männer und Jungen mit Einfühlungsvermögen und Sozialkompetenz fehlen völlig. Die Darstellung von Interaktionen und Beziehungsstrukturen suggerieren die Dominanz des männlichen Geschlechts. Die Jungen werden durch die von ihnen erwartete Stärke und Dominanz unter einen ungeheuren Druck gesetzt. Mädchen und noch mehr Jungen wird das Potenzial der Vielfalt an menschlichen Entfaltungsmöglichkeiten verweigert. 114 http://www.destatis.de/presse/deutsch/pk/2001/mikro2000b:htm vom 10.04.2002 115 vgl. Frank, Elisabeth: Schule der Chancengleichheit, Stuttgart 1997, S. 70 54 Gefühlsäußerungen wie Weinen, Ängstlichkeit und Liebkosungen werden in Unterrichtsmaterialien in der Regel der weiblichen Existenz zugeordnet. Sicher wäre es auch für Jungen positiv einen ängstlichen Jungen, sowie ein mutiges Mädchen in Schulbüchern entdecken zu können. Zwar lassen sich in fortschrittlichen und modernen Schulbüchern inzwischen auch weinende Jungen finden, doch wird ihr Verhalten häufig mit einer längeren Erklärung gerechtfertigt, Mädchen hingegen weinen offensichtlich „grundlos“.116 Scheinbar sind Schulbuchautorenteams inzwischen durchaus bemüht geschlechterstereotypes Verhalten in Lehrmaterialien zu reduzieren, wie dieses Beispiel zeigt, doch eigenes Rollenverständnis auf Seiten der Buchautoren scheint so sehr verinnerlicht zu sein, das zwar Veränderungen zu Gunsten des weiblichen Geschlechtes sichtbar sind, von Gleichbehandlung kann aber noch nicht gesprochen werden. Zu diesem Ergebniss kommt auch Gabriele Behler (Ministerin für Schule und Weiterbildung, Düsseldorf) in ihrem Vortrag: „Geschlechterkampf - Geschlechterkampf in der Schule?“ auf der Fachtagung „Zukunft der Bildung - Schule der Zukunft“ (März 1997). Frau Behler sagt: Ich weiss, „dass es Verlagen und Herausgebergremien unglaublich schwer fällt, jeweils fachbezogen die Spezifika und die Anforderungen dann auch umzusetzen. Es scheitert inzwischen meines Erachtens häufiger nicht mehr an dem guten Willen, sondern an den Schwierigkeiten der Umsetzung. Das war Anfang der 80er Jahre ja nun anders, da wurde negiert, dass es solche Probleme gab.“117 Die Richtigkeit dieser These wird auch bei der Beschreibung eines Experimentes in dem Physikbuch „Dorn-Bader MS“ für die Klasse 11 deutlich. In dem Versuch werden zwei mutige Mädchen 116 vgl. Ohlms, Ulla: Und drinnen waltet die züchtige Hausfrau...“ S. 150 117 Behler, Gabriele: Geschlechterkampf - Geschlechterkampf in der Schule?, in: Neue Wege zur Gestaltung der koedukativen Schule, Bönen 1998, S. 16 55 dargestellt, die von einem 5m-Turm springen. Die Beschreibung des Experimentes klingt jedoch nicht sonderlich fortschrittlich. So wird das 5m-Brett beispielsweise als „Laufsteg“ bezeichnet. Ein Mädchen wagt es jedoch nur mit zugehaltener Nase zu springen. Das andere Mädchen springt in der Hocke.118 Zwar ist Turmspringen auch eine Disziplin für Frauen, aber Kopfsprünge werden eben doch nach wie vor männlichen Personen zugeordnet. 9. Weder die weibliche Lebenskultur matrizentrierter Gesellschaften der Vergangenheit und anderer nicht abendländischer Kulturen noch Leistungen von Frauen in den letzten Jahrhunderten samt den patriarchalen Randbedingungen, unter denen diese Leistungen erbracht wurden, sind Thema in den Schulbüchern. Hier muß von historischer Verfälschung gesprochen werden, die den Mädchen Identifikationsmöglichkeiten bewußt vorenthält und Jungen glauben macht, Frauen wären als Kulturträgerinnen oder Wissenschaftlerinnen nicht vorhanden. So gibt es in Geschichtsbüchern kaum Hinweise auf die Leistungen von Frauen als Sammlerinnen und Jägerinnen. Auch weibliche Gottheiten, welche aus anderen Kulturen bekannt sind, finden nur selten Erwähnung. Die Herstellung von Kunst und Artefakten, sowie die Nahrungsbeschaffung wird in der Regel mit Männern in Verbindung gebracht. Statt dessen stehen Abbildungen von männlichen Jagdszenen im Vordergrund.119 In Geschichtsbüchern werden Frauen, wenn sie denn überhaupt vorkommen, über ihre Rolle in der Familie definiert. Dies trifft selbst auf bedeutenden Frauen, wie Maria Theresia zu. Es ist festzustellen, dass die Beschreibung ihres Familienlebens in manchen Geschichtsbüchern ausführlicher ist, als die Darstellung ihr politischen Tätigkeiten. 118 vgl. Frank, Elisabeth: Schule der Chancengleichheit, Stuttgart 1997, S. 70 119 vgl. ebenda S. 71 56 Wie wenig Frauen auch in neueren Unterrichtsmaterialien gewürdigt werden, verdeutlicht Elisabeth Frank an einem Beispiel: „Meine Schule erhielt am 10. Mai 1995 Materialien des Ministeriums für Kultus und Sport B. W. zur Würdigung des 8. Mai 1945 („8. Mai 1945 – Stunde Null?“ Materialien für fächerverbindenden Unterricht, Autoren sind 11 Männer)..... In derselben Veröffentlichung werden etwa 170 Männer (ohne Mehrfachnennungen) mit ihren Leistungen für die Bundesrepublik nach 1945 genannt. Demgegenüber stehen 8 Frauen, davon zwei Negativbeispiele...“120 Kriegerwitwen, Trümmerfrauen, Politikerinnen, Schriftstellerinnen sowie Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen bleiben unerwähnt. 10. Männer verfügen über Macht, gesellschaftliche Anerkennung, Besitz, Geld und Freizeit, Frauen sind abhängig und extrem bedürfnislos. Besonders in Mathematikbüchern, in denen es in Textaufgaben häufig um finanzielle Transaktionen geht, sind es in der Regel die Männer die Kredit-, Miet- und Versicherungsabschlüsse tätigen. Auch sind sie es die üblicherweise die Rechnungen begleichen. Selbstverständlich sind sie auch die Besitzer von Immobilienobjekten. Folgende Objekte besitzen Männer in dem Buch : „Mathematik Heute 6“: „Wiese B, Garten, Flachdachbungalow, Haus, Heizöltank. Was Frauen besitzen: Frau Tüchtig „einen Geldschein zu je 100 DM, 50 DM, 20 DM, 10 DM.“121 Auch der dargestellte Aktionsradius in Schulbüchern von Mädchen und Frauen gegenüber dem von Jungen und Männern ist erheblich geringer. Frauen fahren ihre Kleinkinder im Kinderwagen spazieren, gehen zu Fuß zum Einkaufen oder beschäftigen sich im Haushalt. Männer hingegen fahren mit dem Auto oder der Eisenbahn, treiben Sport, gehen ins Kino und sind unternehmungslustig. Im Gegensatz 120 ebenda S. 72 121 ebenda S. 72 57 zu Mädchen, die häufig eher introvertiert dargestellt werden und sich ruhig mit ihren Puppen beschäftigen, sind Jungen wesentlich häufiger auf der Suche nach Abenteuern. Sie werden häufig in Unterrichtsmaterialien als sehr viel raumgreifender dargestellt. Bei all der Kritik soll jedoch auch erwähnt werden, dass sich in den letzten Jahren bei den Darstellungen von weiblichen Wesen in Schulbüchern durchaus auch was geändert hat. So ist beispielsweise inzwischen in Baden-Württemberg die Zulassung von Lernmitteln zum Gebrauch an öffentlichen Schulen in der Schulbuchzulassungsverordnung geregelt. „Demnach werden Schulbücher nur dann zugelassen, wenn sie mit den durch Grundgesetz, Landesverfassung und Schulgesetz vorgegebenen Erziehungszielen sowie mit den Zielen und verpflichtenden Inhalten des Bildungsplans der jeweiligen Schulart übereinstimmen. Schulbücher werden daher selbstverständlich auch in BadenWürttemberg ebenso darauf geprüft, ob sie der Gleichberechtigung der Geschlechter entsprechen und in Texten sowie in Bildern Frauen und Männer, Mädchen und Jungen gleichwertig darstellen.“122 Auch Jürgen Kriege, der seit über 20 Jahren Mitglied eines Schulbuchautorenteams für Mathematikbücher ist, machte die Erfahrung, dass Schulbücher inzwischen, bezogen auf die gleichwertige Darstellung von männlichen und weiblichen Wesen, gründlicher begutachtet werden. So wurde eines seiner Mathematikbücher in Rheinland-Pfalz abgelehnt. Die Begründung: „Das Buch stimme nicht mit dem Grundgesetz überein.“123 Die Ablehnung wurde mit der Darstellung der weiblichen Personen in 122 Schule der Gleichberechtigung – Eine Handreichung für Lehrerinnen und Lehrer in Baden-Württemberg zum Thema „Koedukation“, Hg. vom Ministerium für Kultus und Sport, Stuttgart 1995 123 http://www.frauensprache.com/maedchen- schulbücher.htm vom 04.11.01 58 den Illustrationen, sowie in den Aufgaben begründet. Die Gutachterin gab folgende Stellungnahme: „Die Autoren sind ausschließlich Männer. Als Pädagogen haben sie auch mit Schülerinnen zu tun. Wenn ihre Darstellung der Frau mit ihren Erfahrungen im Unterricht konform geht, so liegt das gewiss nicht an der unterschiedlichen Veranlagung und Begabung von Mädchen und Jungen, und es ist ein Grund mehr für sie, Vorurteile und Rollenklischees abbauen zu helfen. Es gilt, Mädchen nicht zu entmutigen, sondern gerade zu mehr Selbstbewusstsein zu ermutigen und auch für das Fach Mathematik neu zu motivieren.“124 Das Mathematikbuch wurde in dieser Form nicht genehmigt, „weil es - einseitige Rollenbilder von Mann und Frau vorgibt, - und darum einer auf berufliche und private Partnerschaft zielende Erziehung und Entwicklung von Jungen und Mädchen entgegenwirkt, - Mädchen und Frauen insbesondere dadurch diskriminiert, dass sie im Berufsleben nicht auftreten, und somit ein zeitgemäßes Identifikationsangebot für Mädchen fehlt, - Und infolgedessen gegen den Grundsatz der Gleichberechtigung und der Gleichheit von Mann und Frau verstößt, die Bestandteil unserer Verfassung sind....... - Grundsätzlich erklärten Jungen den Mädchen mathematische Probleme, - Stets waren Jungen den Mädchen bei der Lösung behilflich – nie umgekehrt.“125 Wie die Gutachterin an zahlreichen Beispielen verdeutlicht, war dieses Mathematikbuch ein Buch, welches fast sämtliche oben genannte Kritikpunkte beinhaltete. 124 ebenda 125 ebenda 59 Sicher wäre es außerordentlich wünschenswert, wenn es ausschließlich derartig kritische Gutachterinnen und Gutachter gäbe, um auf diese Weise auf Ungleichbehandlungen von Jungen und Mädchen aufmerksam zu machen. Denn auch bei Autorenteams muss für solche Mißstände erst ein Bewußtsein geschaffen werden. So schreibt Jürgen Kriege beispielsweise, dass in seinem Team nach der Ablehnung dieses Schulbuches ein „echter Sinneswandel stattgefunden“ habe.126 In der Folge wurde das Buch überarbeitet und dann auch problemlos zugelassen. An den Erfahrungen rund um das Autorenteam von Jürgen Kriege ist erkennbar, dass sich in Sachen „Schulbuchprüfung“ durchaus inzwischen etwas getan hat. Ein Problem sind jedoch die vielen alten Schulbücher, die über Jahre hinweg in Schulen Verwendung finden und erst sehr langsam ausgetauscht werden. Auf diesen Punkt weißt auch Gabriele Behler, in ihrem oben genannten Vortrag hin: „Es hat sich erhebliches geändert. Mein größtes Problem ist, dass der Umschlag von Schulbüchern in den Schulen angesichts der Finanzknappheit der öffentlichen Hände so langsam erfolgt. Das, was tatsächlich von Autoren, Herausgebern und Verlagen längst umgesetzt wird, wird nicht in der Breite wirksam, jedenfalls nicht in den Zeiträumen, die ich mir wünsche.“127 Auch der WDR berichtete vor einiger Zeit in der Sendung: „Aktuelle Stunde“, dass im Fach Geschichte teilweise noch Atlanten verwendet werden, in denen die DDR noch existent ist. Dieses Beispiel zeigt, dass vielleicht gute Vorsätze da sind, die finanzielle Ausstattung aber dazu führt, dass weiterhin Lehrinhalte alter Schulbücher vermittelt werden. 126 ebenda 127 Behler, Gabriele: a. a. O., S. 16 60 6 Interessen und Begabungen von SchülerInnen Bei der Beurteilung der Interessen von Schülerinnen unterliegen Lehrkräfte offenbar häufig Fehleinschätzungen. Dass dies besonders auf den naturwissenschaftlichen Unterricht zutrifft, ergab die Befragung von LehrerInnen. Dabei konnten die Interessen der Jungen sehr viel genauer vorhergesagt werden als die der Mädchen.128 Auch eine englische Schuluntersuchung konnte belegen, dass Lehrkräfte die Zukunftsinteressen von Schülerinnen oftmals falsch einschätzen. So gingen die befragten Lehrer überwiegend davon aus, dass „ihre Schülerinnen primär später Familie haben wollten und als Berufe Sekretärin, Lehrerin oder Krankenschwester wählen würden – wenn sie sich überhaupt ihre Schülerinnen in Berufen vorstellen konnten. Diese Einschätzungen äußerten sie, obwohl sie den betreffenden Schülerinnen hohe Schulabschlüsse zutrauten. Die Mädchen selber hatten dagegen ganz andere, weit gestreutere und auch hochgestecktere Berufswünsche.“129 6.1 Das Interesse der Mädchen und Jungen an naturwissenschaftlichen Fächern am Beispiel Physik Viele Mädchen stellen ihre Begabung für das Fach Physik in Frage. Das genaue Gegenteil gilt für Jungen. Sie sind von ihrer Überlegenheit den Mädchen gegenüber in diesem Bereich überzeugt. Durch ihr Dominanzverhalten behindern sie ihre 128 vgl. Weltner u. a. 1978, neuere Untersuchung: Hoffmann 1988, zitiert von: Faulstich-Wieland, Hannelore: Koedukation und Utopie. In: Hausmann, Otto / Winfried Marotzki (Hg.): Diskurs Bildungstheorie II. Problemgeschichtliche Orientierung. Weinheim: Deutscher Studienverlag 1989, S. 561. 129 Stanworth, M. Gender and Schooling. London 1983, S. 28-33, zitiert von: ebenda 61 Mitschülerinnen „beim Erwerb von Zutrauen in die eigene Leistungsfähigkeit.“130 Das Institut der Pädagogik der Naturwissenschaften der Universität Kiel führte in den Jahren 1984-1989 eine umfangreiche Interessenstudie (IPN-Studie) durch. Aus 6 Bundesländern wurden dazu 10.000 Mädchen und Jungen der Klassen 5-10 aus Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien befragt. Diese Studie kam unter anderem zu dem Ergebniss, dass das Interesse der Mädchen an Physik von der 5. Klasse an deutlich geringer ist als das Interesse der Jungen. Im Verlauf der Schuljahre nimmt dieses Interesse weiter ab. Am Ende des 10. Schuljahres „sind 7 % der Mädchen und 40 % der Jungen der Meinung, dass Physik für ihren späteren Beruf wichtig sei.“131 Laut Elisabeth Frank klaffen bei keinem anderen Schulfach „die dem Fach zugeschriebene hohe gesellschaftliche Relevanz und die eigene Abwendung von Fach derart auseinander.“132 Diese Aussage bestätigt auch eine im Bundesland BadenWürttemberg durchgeführte Studie aus den Jahren 1991 und 1994. So wurde auch in dieser Untersuchung festgestellt, dass das Interesse der Mädchen am Fach Physik gering ist. Für diese Untersuchung wurden 800 Mädchen und Jungen von mehreren Realschulen der Klassen 8, 9 und 10 nach den 3 beliebtesten/unbeliebtesten Schulfächern gefragt. Im Vergleich mit 12 anderen Schulfächern ist das Fach Physik das mit Abstand unbeliebteste Fach. Den Physikunterricht erleben nur 3 % der Schülerinnen positiv. Bei Jungen hingegen nimmt Physik einen mittleren Rang ein.133 Notenunterschiede zwischen Mädchen und Jungen in naturwissenschaftlichen Fächern: 130 Frank, Elisabeth: Schule der Chancengleichheit, Stuttgart 1997, S. 11. 131 ebenda, S. 2 132 ebenda S. 3 133 vgl. ebenda S. 2 62 In der gymnasialen Oberstufe wählen viele Schülerinnen naturwissenschaftliche Fächer, insbesondere Physik, Informatik und Mathematik ab. Als ein wichtiger Grund dafür wird häufig die Angst vor einem schlechten Notendurchschnitt genannt. Um sich einen Eindruck davon zu verschaffen wie sich die Noten bei Schülerinnen und Schülern über einen Zeitraum von mehreren Jahren in den Fächern Physik und Mathematik entwickeln führte Elisabeth Frank in den Jahren 1990/91/92 eine Längsschnittuntersuchung durch. Betrachtet wurde die Schulnotenentwicklung (Klassenstufe 5-13) von 2000 Abiturientinnen und Abiturienten; d. h, die Schulnoten der gesamten Gymnasialzeit wurden bei diesen SchülerInnen zurückverfolgt. Die an der Untersuchung teilnehmenden Mädchen und Jungen kamen aus 12 koedukativen, einem Mädchen- und einem Jungengymnasium. Durchgeführt wurde die Studie im Großraum Stuttgart. Erfaßt wurden für diese Untersuchung lediglich SchülerInnen die das Abitur bestanden haben.134 Ergebnisse der Untersuchung: Bei der Betrachtung der Notenentwicklung im Fach Physik von der 8. Klasse bis zur 11. Klasse fällt auf, dass die Mädchen über diesen Zeitraum immer eine schlechtere Durchschnittsnote erhalten als die Jungen. Dabei nehmen die Notenunterschiede zwischen beiden Geschlechtern bis zur Klasse 11 zu. Dieser schlechtere Notendurchschnittswert der Mädchen trifft auf jedes einzelne der 12 untersuchten Gymnasien zu. Besonders groß ist der Notenunterschied zwischen Mädchen und Jungen im sprachlichem Gymnasialzug. Die Note „sehr gut“ wird fast ausschließlich von Jungen erreicht. Von den 214 Physiknoten für Mädchen in der 12. Klasse gab es lediglich 2 Mädchen, die „15 Punkte“ erhielten. Diese Note war bei den Jungen anteilmäßig sechsmal so häufig. Im Gegensatz dazu 134 vgl. ebenda S. 4 63 erhalten Mädchen mehr als dreimal so häufig wie Jungen die Note „mangelhaft“. Betrachtet man hingegen die Abiturzensuren, so erhalten Mädchen in der anonymen Abiturarbeit gleich häufig wie Jungen die Note „15 Punkte“. Damit verdoppelt sich der Anteil der Mädchen mit der Note „sehr gut“ bei der Abiturklausur im Vergleich zu den Noten vor der Prüfung. Die zur Abiturprüfung angemeldeten Jungen mit der Note „sehr gut“ verschlechterten sich in der schriftlichen Abiturarbeit im Vergleich zu den Mädchen mehr als doppelt so häufig. In der Untersuchung wurde jedoch festgestellt, dass lediglich die Mädchen mit den Noten „sehr gut“ und „gut“ unterbewertet wurden. Es ist davon auszugehen, dass Physiklehrkräfte begabte Mädchen nicht mit böser Absicht unterbewerten nur weil sie Mädchen sind, „sondern Rollenstereotypen führen zu den entsprechenden Wahrnehmungsstörungen samt negativen Rückkopplungseffekten.“135 6.2 Notenvergleich in naturwissenschaftlichen Fächern mit Schwerpunkt Mathematik Im Fach Mathematik wurde In der oben genannten Untersuchung festgestellt, dass Mädchen in den Klassen 5-8 eine geringfügig schlechtere Durchschnittsnote erhalten. Der Notenabstand vergrößert sich zunehmend in den Klassen 9-11. In diesen Jahren halten die Jungen zwar ihr Notenniveau, die Mädchen hingegen verschlechtern sich jedoch merklich. Der Notenunterschied beträgt in der 11. Klasse eine Viertelnote im Fach Mathematik und eine Halbenote im Fach Physik. Zwar gibt es in der Unterstufe weniger Mädchen als Jungen mit der Note „mangelhaft“, dies ändert sich jedoch in den höheren Klassen. „In Klasse 11 sind es knapp doppelt so viele Mädchen als Jungen mit der Note „mgh“ (Physik mehr als dreimal so viele).“136 Ebenso wie im Fach Physik erhalten 135 ebenda S. 4 136 ebenda S. 6 64 Jungen auch im Fach Mathematik häufiger die Note „sehr gut“. „In Klasse 11 sind es doppelt so viele Jungen, im Sprachenzug sogar dreimal so viele.“137 Da es eher selten ist, dass SchülerInnen die Note „sehr gut“ aufgrund schriftlicher Klausuren erhalten, ist die mündliche Beurteilung durch die Lehrkraft für diese Endnote ausschlaggebend. Traut die Lehrkraft Mädchen im naturwissenschaftlichem Bereich jedoch weniger zu, kann dies ein Grund dafür sein, dass Mädchen diese Note seltener als Jungen erhalten. Bei der Betrachtung der Note „sehr gut“ im Fach Mathematik der Klassen 5-9 (Stichprobe 1.704 SchülerInnen und 25 Lehrerinnen, sowie 75 Lehrer) fällt auf, dass der prozentuale Anteil der Jungen die diese Note erreichen über die Jahre gleich bleibt. Der Anteil der Mädchen, die in dem oben genannten Zeitraum die Note erreichen schwankt hingegen zwischen 4,0 % in den Klassen 5,7 und 9 und 5,8 % in den Klassen 6 und 8.138 Frau Frank erklärt sich die Notenschwankung der leistungsstarken Mädchen mit dem Wechsel der Lehrkraft in den Klassen 5,7 und 9 in diesem Fachbereich. Ihrer Vermutung nach unterliegt die Lehrkraft, die eine Klasse im Fach Mathematik neu übernimmt, bezogen auf die leistungsstarken Schülerinnen, einer geschlechtsspezifischen „Wahrnehmungsstörung.“ Diese Wahrnehmungsstörung nimmt im Verlauf der zwei Jahre ab. Besonders ausgeprägt ist dieser Effekt, im sprachlichen Zug der Gymnasien (hoher Anteil begabter Mädchen für dieses Fach). Im mathematischem Gymnasialzug zeigt sich dieser Effekt, wenn die Schülerinnen mit der Note „gut“ mit in die Betrachtung einbezogen werden.139 137 ebenda 138 vgl. ebenda S. 7 139 vgl. ebenda 65 6.3 Naturwissenschaftliche Leistungskurse In ihrer oben genannten Studie untersuchte Elisabeth Frank unter anderem dass Wahlverhalten von naturwissenschaftlichen Leistungskursen in Abhängigkeit von Geschlecht und Vornote. Dabei stellte sie fest, dass sich mit 53 % fast doppelt so viele Jungen wie Mädchen (28 %) für den Leistungskurs Mathematik entschieden. Den Leistungskurs Physik belegten sogar neunmal mehr Jungen als Mädchen; d. h. lediglich 10 % der Mädchen entschieden sich für dieses Fach als Leistungskurs. Die Untersuchung zeigte, dass eine derart schwache Beteiligung der Mädchen an dem Fach Physik häufig dazu führt, dass Mädchen in diesem Kurs manchmal gar nicht repräsentiert sind oder als einziges Mädchen diesen Kurs besuchen. Der Grundkurs Physik in der 12. Jahrgangsstufe wurde von 24 % der Mädchen gewählt. Dreimal so viele Jungen belegten hingegen den Grundkurs Physik in der 12. Jahrgangsstufe und Viermal so viele Jungen wie Mädchen entschieden sich für den Grundkurs Physik in der 13. Jahrgangsstufe. Damit reduzierte sich der Mädchenanteil in der 13. Jahrgangsstufe in diesem Fach weiter auf 18 %.140 Dass die Fächerwahl in der gymnasialen Oberstufe nicht nur von geschlechtsspezifischen Interessen beeinflußt wird, ist in „Mädchen auf dem Weg zum Abitur 6/90“ nachzulesen. Bei der Gegenüberstellung von Fachinteresse und Abiturfachwahl wurde festgestellt, dass Abiturientinnen mit großem Interesse an Mathematik, in erheblich geringerem Maße als Abiturenten Mathematik als Leistungskurs belegten (59 % gegenüber 71 %). „Abiturienten mit großem Interesse an Literatur/Sprachen haben deutlich seltener als die vergleichbare Gruppe der Abiturientinnen sprachliche Fächer als Leistungskurse gewählt. (Deutsch: 18 % zu 39 %, Englisch: 34 % zu 41 %). Dafür haben Männer mit geringen Neigungen auf mathematisch-naturwissenschaftlichem Gebiet noch 140 vgl. ebenda S. 14 66 relativ häufig Mathematik, Physik oder Chemie als Leistungskurs gewählt.141 Dieses Wahlverhalten bei beiden Geschlechtern wurde mit dem sozialen Druck zur Anpassung an die Geschlechterrolle erklärt. „Dieser Druck scheint bei Jungen stark von der männlichen Peer-group auszugehen, bei den Mädchen eher vom Elternhaus.“142 Die berufliche Verwertbarkeit bei der Wahl bestimmter Kurse spielt bei Mädchen eine wesentlich geringere Rolle als bei Jungen. So wurde im HIS-Studierfähigkeits-Projekt festgestellt, dass 53 % der Abiturienten im Vergleich zu 38 % der Abiturientinnen, die sich in zwei mathematisch- naturwissenschaftlichen Fächern prüfen ließen, die Studien- und Berufspläne für die Wahl der Abiturfächer wichtig waren.143 Eine zentrale Rolle für die Wahl bestimmter Leistungskurse scheinen die erreichten Noten in der 11 Jahrgangsstufe zu sein. Bei einer Befragung unter 200 Schülerinnen und Schüler stellte Frau Frank 1990 fest, dass Jungen mit der Note „sehr gut“ in Mathematik fast immer den Leistungskurs Mathematik wählen. Erreichen Mädchen hingegen in diesem Fach die Note „sehr gut“, haben diese in der Regel auch in anderen Fächern sehr gute Noten was dazu führt, dass sie Mathematik nicht automatisch als Leistungskurs wählen. Mathematisch hochbegabte Mädchen haben im Vergleich zu mathematisch hochbegabten Jungen ein wesentlich breiteres Interessenspektrum.144 6.4 Wer wählt schon Informatik? Grundlage für das Fach Informatik ist ein mathematisches Interesse. Aus diesem Grund ist die Wahl dieses Faches durchaus 141 .“ Mädchen auf dem Weg zum Abitur 6/90, Quelle: HIS- Ingenieurprojekt, zitiert von: Frank, Elisabeth: Schule der Chancengleichheit, Stuttgart: 1997, S. 15 142 ebenda 143 vgl. ebenda 144 vgl. ebenda 67 in Abhängigkeit mit der erreichten Mathematiknote in der 11 Klasse zu sehen. Jedoch stellte Frau Frank in der oben beschriebenen Untersuchung, bei der sie die Notenentwicklung von knapp 2.000 SchülerInnen von der 5. bis zur 13. Klasse untersuchte fest, dass Mädchen auch dann nicht das Fach Informatik wählen, wenn sie sehr gute Mathematiknoten erzielen. „Mädchen wählen Informatik auch nicht bei sehr guten Mathematiknoten. Während 56 % der Physik-sgt-Mädchen Physik wählen und 77 % der Mathematik-sgtMädchen den LK-Mathematik wählen, sind es bei Informatik nur 24 %. Entsprechendes gilt für die guten Mädchen. Mädchen mit den Mathematiknoten „bfr“ oder „ar“ sind in Informatik 13 nicht mehr vorhanden. Jungen dagegen mit den Mathematiknoten „sgt“ und „gut“ wählen in fast so hohem Maße Informatik wie Physik oder den Leistungskurs Mathematik.“145 In Deutschland ist Informatik nach wie vor Männersache. Anders ist dies hingegen in den USA. Dort haben mehr als ein Drittel aller High-School-Absolventinnen einen Abschluß in Informatik als Hauptfach. Auch Indien hat in diesem Studienfach einen Frauenanteil von über 30 %. In der Bundesrepublik hingegen ging der Anteil der Informatikstudentinnen in den vergangenen Jahren kontinuierlich zurück. Lag der Frauenanteil in diesem Studienfach an der TU Dresden vor der Wende noch bei 48 %, ist dieser Anteil inzwischen auf unter 10 % gesunken.146 In Deutschland gibt es kein anderes Fach, in dem Mädchen derart ausgegrenzt werden wie in dem Fach Informatik. Der Vergleich mit anderen Ländern, bezogen auf dieses Fach zeigt, dass dies nicht zwangsläufig so sein muss. Diese Tendenz wird auch vom Ministerium für Schule und Weiterbildung NRW 1998 bestätigt. Danach stellte sich das Wahlverhalten in den Leistungskursen der gymnasialen Oberstufe im Schuljahr 1996/97 folgendermaßen dar: Chemie: 63,7 % Jungen zu 36,3 % Mädchen; Mathematik: 62,6 % Jungen zu 37,4 % 145 ebenda S. 21 146 vgl. ebenda S. 22 68 Mädchen; Physik: 84,0 % Jungen zu 16,0 % Mädchen; Informatik: 93,0 % Jungen zu 7,0 % Mädchen.147 6.5 Schulversuch Physik Das scheinbare Desinteresse der Mädchen an naturwissenschaftlichen Fächern und das im Vergleich zu Jungen relativ schlechte Abschneiden der Schülerinnen in diesem Bereich veranlaßte Frau Frank gemeinsam mit fünf Physiklehrerinnen und sieben Physiklehrern einen Schulversuch im Unterrichtsfach Physik der Klassen 10 und 11 an Gymnasien im Bundesland BadenWürttemberg durchzuführen. Dieser Schulversuch erstreckte sich über die Jahre 1993/94 und 1994/95. Ziel dieses Unternehmens war es, das Interesse der Mädchen am Fach Physik zu steigern. Gleichzeitig sollte das Zutrauen in die eigene Leistungsfähigkeit bei den Mädchen entwickelt werden. Das Notenniveau der Schülerinnen sollte sich auf das Notenniveau der Schüler verbessern. Begabte Schülerinnen in diesem Fach sollten zur Weiterwahl von Physik ermutigt werden. Gleichzeitig war es erklärtes Ziel, das Interesse der Jungen an diesem Fach zu erhalten.148 Die am Schulversuch teilnehmenden Lehrpersonen versuchten sich für die unterschiedlichen Interessen, Bedürfnisse, Stärken und Schwächen von Schülerinnen und Schülern zu sensibilisieren. Es wurde versucht Rollenklischees aufzubrechen. Leistungen von Wissenschaftlerinnen wurden thematisiert. Besonders wurde auch auf Interessenunterschiede von Mädchen und Jungen eingegangen. Während der Zeit des Versuchs wurden einige Gruppe von Mädchen und Jungen zeitweise getrennt unterrichtet, andere hingegen wurden koedukativ unterrichtet. Geprägt war der 147 vgl. Martial von, Ingbert: Koedukation und getrennte Erziehung, Köln, 1998, S. 24-30 148vgl. Frank, Elisabeth: Schule der Chancengleichheit, Stuttgart 1997,, S. 30 und S. 104, sowie Internetseminar Büchel, Elke: Reflexive Koedukation in den Naturwissenschaften, der Technik und der Mathematik, S. 42 69 Schulversuch durch einen laufenden Erfahrungsaustausch der Lehrpersonen und durch die Entwicklung neuer Lehrmaterialien, wodurch es zu einem fortschreitendem Lernprozess hinsichtlich der Chancengleichheit von Mädchen und Jungen im Unterricht kam.149 Zu Beginn und am Ende des Schulversuchs wurden Interessen verschiedener Schulfächer bei der Versuchsgruppe, sowie bei einer Kontrollgruppe mit Hilfe eines Fragebogens ermittelt. Ergebnisse des Schulversuchs: Das Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit konnte bei den Mädchen aller Schulversuchsgruppen gesteigert werden. Jedoch sind in der monoedukativen Gruppe die Erfolge größer als in der koedukativen Gruppe. Am Ende des Schulversuchs ist für die Mädchen das Fach Physik nicht mehr das schwierigste Fach. Mädchen und Jungen stufen Physik im Schwierigkeitsgrad gleich ein. Die Leistungsunterschiede zwischen Mädchen und Jungen reduzieren sich. Die Tatsache, dass alle drei monoedukativen Gruppen beider Geschlechter einen identischen Kurvenverlauf aufweisen lässt vermuten, dass das Geschlecht der Lehrkraft keinen Einfluß auf die Ergebnisse hat. Auch bei den koedukativen Gruppen konnte ein solcher Einfluß nicht ermittelt werden. Bei einem Vergleich der Notenentwicklung wurde festgestellt, dass sich die Noten bei den SchülerInnen aller Schulversuchsgruppen leicht nach oben verrückt haben. Monoedukativ unterrichtete Mädchen erreichen in den Klassen/Jahrgangsstufen 10/11 die gleichen Noten auf gutem Niveau.150 „Erfolge bezüglich der Weiterwahl von Physik konnten bei beiden Schulversuchsgruppen erzielt werden. In der koedukativen Gruppe wählten 25% mehr Jungen Physik, der Anteil der Mädchen verdoppelte sich. In der monoedukativen Gruppe 149 vgl. Frank, Elisabeth: Schule der Chancengleichheit, Stuttgart 1997, S. 103- 106 150 vgl. ebenda S. 138 70 wählten gleichviel Jungen wie in den Jahren zuvor Physik, der Anteil der Mädchen verdreifachte sich."151 Fazit: Die in diesem Kapitel dargestellten Ergebnisse verdeutlichen die Bedeutung derartiger Schulversuche, wie sie Frau Frank mit ihrem Team durchführte. Das Bemerkenswerte an diesem Versuch ist meines Erachtens die Teamarbeit der Lehrpersonen und die damit verbundene Selbstreflexion zum Thema Chancengleichheit in der Schule. Gezeigt hat dieses Experiment, dass eine derartig veränderte Unterrichtssituation nicht nur Vorteile für Mädchen bringt, sondern dass sich auch die Jungen am Ende des Versuchs für das Fach Physik vermehrt interessierten. Es ist davon auszugehen, dass diese Art der Weiterqualifizierung erfolgversprechender ist, als das alleinige Thematisieren von Koedukation auf Lehrerfortbildungen. Die Selbstreflexion der eigenen Geschlechtsrolle und die damit verbundenen Auswirkungen auf den Unterricht lassen sich im Kontext eines derartigen Versuchs, bei dem die Auseinandersetzung mit KollegInnen gewährleistet ist und der sich über einen derartig langen Zeitraum erstreckt, vermutlich positiver bearbeiten als bei Versuchen die im Alleingang durchgeführt werden. Unterstützt wurde der Prozeß der Selbstreflexion durch das Unterrichten von reinen Mädchen- und Jungengruppen, denn alle Lehrerinnen und Lehrer die an dem Schulversuch teilnahmen, hatten zuvor lediglich koedukative Unterrichtserfahrungen. Gleichberechtigung, und Gleichstellung lassen sich nicht verordnen. Um sie zu erreichen, müssen sich die am Unterrichtsgeschehen beteiligten Personen auf einen Prozess der Sensibilisierung einlassen, der meines Erachtens im Kontext dieses Schulversuchs einen guten Rahmen fand. 151 ebenda S. 139 71 7 Mädchenschulen - Jungenschulen Koedukationsschulen Die scheinbare Benachteiligung der Mädchen durch die Koedukation, wie sie in verschiedenen Studien festgestellt wurden, führte dazu, dass einige Gegnerinnen der Koedukation, wie beispielsweise D. Spender, die Wiedereinführung der Mädchenschule forderten. „In rein weiblichen Klassen brauchen die Mädchen nicht zurückzustehen. Die Aufmerksamkeit und dass Interesse der Lehrkraft muß sich den Mädchen zuwenden, sie müssen als bessere Schülerinnen gesehen werden: bis zu einem gewissen Grad kann auf ihre Interessen Rücksicht genommen werden (...): wenn Führungspositionen zu besetzen sind, dann müssen Mädchen dazu genommen werden (...). Durch Ausschluß der Gruppe, die dominiert und die Erfahrung der Frauen ignoriert, können rein weibliche Schulen den Frauen Gelegenheit geben, ihre eigenen Erfahrungen zu äußern und bestätigt zu bekommen, Autonomie zu entwickeln und ihr Selbstvertrauen zu festigen.“152 7.1 Mädchen in verschiedenen Schultypen In einer empirischen Studie verglich Susanne Rohr 162 Schülerinnen von Mädchenschulen mit 94 Schülerinnen von Koedukationsschulen. Bei ihrer Untersuchung legte die Forscherin besonderen Wert auf vergleichbare Eingangsvoraussetzungen. So waren nicht nur die Schultypen und Schulleistungen, sondern auch die Sozialstruktur bezogen auf sozioökonomische Daten (Alter, Zahl der Geschwister, Beruf des Vaters, Beruf der Mutter, Wohnverhältnisse, Religion u.s.w.), sowie die Intelligenz der 152 Spender, D.: Frauen kommen nicht vor. Frankfurt 1982, zitiert von: Rohr, Susanne, Brigitte Rollet: Die Koedukation und das Bildungsrecht der Mädchen. In: Bildung und Erziehung, 45 (1992) 72 Mädchen, miteinander vergleichbar. Zu folgenden Teilgebieten wurden Angaben mit Hilfe eines Fragebogens erfaßt: „1. Persönliche Daten; 2. Schulleistungen, Selbsteinschätzungen der eigenen Leistung, Motivation; 3. Freizeitgestaltung, Hobby; 4. Umgang mit Computern; 5. Zukunftserwartungen hinsichtlich Familie, Einstellung zum Verhältnis zwischen den Geschlechtern; 6. Zukunftserwartungen hinsichtlich Beruf und Karriere; 7. Schulzufriedenheit, Mitbestimmung in der Schule und Integration in die Klassengemeinschaft.“153 Ergebnisse: Bei der Befragung gaben 74,5 % der Schülerinnen aus geschlechtshomogenen Schulen und 70,2 % der Mädchen aus Koedukationsschulen an, ihre Freizeit gleich gern mit Jungen und Mädchen zu verbringen. „Nur 11,2 % der Mädchen aus Mädchenschulen gegenüber 9,6 % der Mädchen aus Koedukationsschulen äußerten, dass sie ihre Freizeit lieber nur mit Mädchen verbrächten.“154 Jedoch verbrachten die Schülerinnen von Mädchenschulen ihre Freizeit zu 55,6 % mit Mädchen. Schülerinnen von Koedukationsschulen sind hingegen in ihrer Freizeit nur zu 39,4 % mit Mädchen zusammen. Vermutlich fällt es Mädchen von koedukativen Schulen leichter auch außerhalb der Schule einen natürlichen und freundschaftlichen Kontakt zu Jungen herzustellen. Beim Vergleich der Schulnoten wurde festgestellt, dass Mädchen aus reinen Mädchenschulen signifikant bessere Noten in den Fächern Geschichte, Chemie und Physik hatten. „Keine Unterschiede ergaben sich in Mathematik, Deutsch und Englisch. Diese Unterschiede sind auch nicht durch eine verschiedene Bereitschaft, Arbeit für die Schule zu investieren, zu erklären, da dieser Fragebogenteil keine abweichenden Ergebnisse bei 153 Rohr, Susanne, Brigitte Rollett: Die Koedukationsdebatte und das Bildungsrecht der Mädchen. In: Bildung und Erziehung, 45 (1992) 1 154 ebenda S. 72 73 Versuchs- und Kontrollgruppe erbrachte; beide Gruppen investierten außerdem gleich viel Arbeitszeit täglich und am Wochenende für die Schule.“155 Auch der Computer wurde von beiden Gruppen vergleichbar häufig genutzt. Beim Thema der Mitsprache in der Schule wurde festgestellt, dass es Mädchen in reinen Mädchenschulen eher möglich war, Themenschwerpunkte im Unterricht mit zu beeinflussen. Bezogen auf die Studienwünsche offerierte die Untersuchung keine nennenswerten Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. Auch in der persönlichen Einschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit wurden keine Unterschiede registriert. Hingegen sind Mädchen aus reinen Mädchenschulen signifikant häufiger der Meinung, später tatsächlich in ihrem Traumberuf arbeiten zu können als Mädchen von koedukativen Schulen. Eine höhere Bereitschaft naturwissenschaftliche Fächer zu studieren, wie Befürworterinnen der Segregation dies häufig von Mädchen der Mädchenschulen vermuten, konnte nicht nachgewiesen werden. Besonders interessant waren die Antworten auf die Frage, für welche Schulform sich die Schülerinnen entscheiden würden, wenn sie die Möglichkeit hätten erneut zu wählen: „Mädchen aus koedukativ geführten Schulen entschieden sich zu 96,8 % für dieselbe Schulform. Ein völlig anderes Bild ergibt sich bei den Mädchen aus Mädchenschulen: 82,9 % geben an, daß sie lieber eine koedukativ geführte Schule besuchen würden.“156 Dieses Ergebnis ist insofern bedeutsam, da es zeigt, dass der größte Teil der betroffenen Mädchen eine Segregation ablehnt. Vor diesem Hintergrund sollte die Koedukation nicht grundsätzlich in Frage gestellt werden. 155 ebenda S. 73 156 ebenda S. 76 74 7.2 Eine Untersuchung aus den 50er Jahren Bei einer Befragung von gut 400 Schülerinnen und Schülern in den 50er Jahren stellte Hella Demant fest, dass sich gut zwei Drittel der Mädchen für Koedukation aussprachen, hingegen nur ein Drittel der Jungen die Koedukation befürworteten. Die befragten Mädchen und Jungen besuchten Berliner Oberschulen des praktischen, technischen und wissenschaftlichen Zweiges – die damals in etwa unseren Schulformen Hauptschule, Realschule und Gymnasium entsprachen.157 Das Besondere an der Untersuchung war, dass Frau Demant „die Begründungen für oder gegen Koedukation auf das Selbst- und Fremdbild der Jugendlichen bezogen hat und damit ein Stück weit ihre Sichtweisen des Geschlechterverhältnisses widerspiegeln konnte.“158 Mädchen wie Jungen hatten damals ein überwiegend negatives Mädchen- und ein überwiegend positives Jungenbild. Damals lehnten besonders die Jungen aus Jungenschulen Koedukation vehement ab. Aber auch 50 % der Schüler von koedukativen Schulen wünschten sich eine Erziehung ohne die Mädchen. Die Mädchen hingegen sprachen sich für eine gemeinsame Erziehung mit Jungen aus, und zwar unabhängig davon, welchen Schultyp sie besuchten. In diesem Zusammenhang stellt Hannelore Faulstich-Wieland fest, dass es hier offensichtlich zu einer Stimmungsveränderung gekommen ist, denn wenn sich heute jemand für eine Trennung ausspricht, dann sind es wesentlich häufiger die Mädchen.159 157 vgl. Faulstich-Wieland und Horstkemper: Trennt uns bitte, bitte, nicht! Opladen 1995, S. 15 158 Demant, Hella: Koedukation oder getrennte Erziehung? Frankfurt/M. 1955, zitiert nach: Faulstich- Wieland, Hannelore, Marianne Horstkemper: „Ohne Jungs fehlt der Klasse der Pep!“ In: Die Deutsche Schule, o. Jg. (1992) 3, S. 348-351 159 vgl. ebenda S. 351 75 7.3 Geschlechtsspezifische Meinungsbilder zur Koedukation Hannelore Faulstich-Wieland und Marianne Horstkemper ging es in dieser Studie nicht um die Frage, ob Mädchen oder Jungen von der Koedukation profitieren, sondern in dieser Untersuchung ging es um die Erarbeitung eines Meinungsbildes. Es interessierte die Frage, was Schülerinnen und Schüler über gemeinsamen Unterricht denken. Untersuchungsmethode: Um sich ein Bild von den differenzierten Meinungen der Kinder und Jugendlichen zum Thema Koedukation zu machen, wurden 1.734 Aufsatzinhalte unter qualitativen Gesichtspunkten interpretiert. Die Forscherinnen verzichteten auf standardisierte Befragungen um die SchülerInnen nicht mit einer bereits bestehenden Hypothese zu beeinflussen.160 Insgesamt war die Stichprobe mit 439 Mädchen eines Mädchengymnasiums, 264 Jungen eines Jungengymnasiums und 1.031 SchülerInnen der Jahrgänge 3 bis 13 von koedukativen Schulen (zwei Grundschulen, eine Orientierungsstufe, eine Hauptschule, eine Realschule und ein Gymnasium), sehr groß. Im Gegensatz zu der Studie von Susanne Rohr wurde in dieser Untersuchung der soziale Kontext der befragten SchülerInnen nicht erfaßt. Was Mädchen und Jungen über gemeinsamen Unterricht denken: In dieser Untersuchung sprechen sich 50 % der befragten Mädchen und Jungen für gemeinsamen Unterricht aus; 24 % der SchülerInnen sind für Trennung, weitere 26 % äußern sich unentschieden. Betrachtet man die Geschlechterverteilung sind es 160 vgl. Faulstich-Wieland,H. / Horstkemper, M.: Trennt uns bitte, bitte nicht!, Opladen 1995, S. 27 76 41 % der Mädchen und 60 % Jungen, die sich für die Koedukation aussprechen. Mehr Mädchen (31 %) als Jungen (16 %) sehen in einer völligen oder zeitweiligen Trennung Vorteile. Ambivalent äußern sich 23 % der Jungen und 28 % der Mädchen.161 Differenziert man dieses Ergebnis nach SchülerInnen von geschlechtshomogenen Schulen und koedukativen Schulen so fällt auf, dass die Akzeptanz zur Koedukation in koedukativen Schulen deutlich höher liegt als in geschlechtshomogenen Schulen. In geschlechtshomogenen Schulen äußern sich 46 % der Mädchen und 33 % der Jungen ambivalent. Immerhin sprechen sich 37,9 % der Jungen vom Jungengymnasium für gemeinsamen Unterricht aus. Jedoch nur 9,1 % der Mädchen vom Mädchengymnasium sind für die Koedukation. 72,5 % der Jungen und 67,3 % der Mädchen von koedukativen Schulen befürworten hingegen gemeinsamen Unterricht.162 Dieses Ergebnis spricht zwar klar für die Koedukation, ist aber längst nicht so eindeutig wie die über 80 % KoedukationsbefürworterInnen in der Studie von Susanne Rohr (siehe 7.1Error! Reference source not found.). Lediglich 9,1 % der Mädchen von Mädchenschulen sprachen sich in der FaulstichWieland / Horstkemper Untersuchung eindeutig für Koedukation aus. Der Vergleichswert in der Rohr Studie lag bei 82,9 %. Offenbar differenzierte Susanne Rohr lediglich zwischen GegnerInnen und BefürworterInnen der Koedukation. Ambivalente Aussagen, die in der Faulstich-Wieland / Horstkemper-Untersuchung sehr zahlreich sind, wurden vermutlich von Rohr in eine ihrer Kategorien eingeordnet. Auch die gewählte Aufsatzform, als Grundlage der Untersuchung in der Faulstich-Wieland / Horstkemper-Studie, kann unter Umständen zu differenzierteren Aussagen gegenüber der Rohr Studie geführt haben. 161 vgl. ebenda S. 29 162 vgl. ebenda S. 32 77 Die Autorinnen geben an, dass es sich bei den Befragten nicht um eine repräsentative Stichprobe handelt, sondern ein überproportional großer Teil der Jugendlichen, die getrennt unterrichtet werden, einen solchen Schultyp häufig bewusst bevorzugen oder diesen im Einverständnis mit den Eltern gewählt haben,163 wodurch sich die hohe Solidarität mit der gleichen Schulform erklärt werden könnte. Dieser Sachverhalt lässt vermuten, dass ein Großteil der monoedukativ unterrichteten SchülerInnen den Besuch dieser Schulform als Privileg gegenüber den öffentlichen Schulen ansehen. Zustimmung zur Koedukation differenziert nach Alter: Die Zustimmung zum gemeinsamen Unterricht von Jungen und Mädchen ist in der Grundschule, mit über 70 %, sowie in der koedukativ unterrichteten gymnasialen Oberstufe, mit fast 100 %, am größten. In der Sekundarstufe 1 liegen die Werte zwischen 60 und 70 %. Der Anteil der SchülerInnen die sich ambivalent zur Koedukation äußern nimmt in den Klassen 5 und 6 zu. Die Forscherinnen weisen jedoch darauf hin, dass die Ergebnisse „keine eindeutig lebensalterbezogene oder eindeutig geschlechtstypische Interpretation“ zulassen.164 „Wir haben gesehen, daß institutionelle Faktoren des schulischen Kontextes offenbar ebenso eine Rolle spielen wie entwicklungspsychologische Stadien des Identitätserwerbs.“165 Erkenntnisse aus der Befragung: Die überwältigende Mehrheit der SchülerInnen sprechen sich ausdrücklich für gemeinsames Lernen aus. Insbesondere gilt dies für Kinder und Jugendliche aus koedukativen Schulen. Jedoch läßt sich auch ein durchaus bemerkenswerter Anteil an KoedukationsbefürworterInnen in geschlechtshomogenen Schulen 163 vgl. ebenda S. 30 164 ebenda S. 36 165 ebenda S. 36 78 finden. Mit gemeinsamen Unterricht verbinden viele Mädchen und Jungen „Sicherheit und Unbefangenheit im Umgang mit dem anderen Geschlecht.“166 Dies bedeutet für sie ein Stück „Lebensqualität“ in der Schule. Typisierungen werden durch eine institutionelle Trennung nach Geschlecht eher gefördert, als das sie zur selbstbewußten Kompetenzeinschätzung anregen. Basierend auf der Tatsache, dass Jungen an Jungenschulen ihre Leistungen nicht mit den Leistungen von Mädchen vergleichen können, kommt es zu einer Verstärkung der Überlegenheitsannahme in bestimmten Bereichen. In koedukativen Schulen gestehen Jungen den Mädchen vielfältige und gleiche Fähigkeiten wie sich selbst zu. Auch sind Abgrenzungsbedürfnisse gegenüber ihren Mitschülerinnen deutlich seltener, als dies bei Jungen von geschlechtshomogenen Schulen der Fall ist. Bei den Mädchen von Mädchenschulen führt der mangelnde Vergleich mit den Jungen zu einem Unterlegenheitsgefühl gegenüber den angenommenen Leistungen der Jungen. Auch waren sich manche Mädchen von Mädchenschulen unsicher darüber, ob die Lerninhalte, die ihnen vermittelt werden, gleichwertig zu den Lerninhalten zu sehen sind, die SchülerInnen an anderen Schulen lernen. Jungen wie Mädchen von geschlechtshomogenen Schulen sprachen immer wieder über ihre Unsicherheit, die Situation in einem gemeinsamen Unterricht nicht beurteilen zu können. 166 ebenda S. 255 79 Fazit: Die große Stichprobe über alle Altersstufen hinweg, in der Studie von Faulstich-Wieland und Horstkemper, gibt ein außerordentlich umfangreiches und differenziertes Bild über das, was Mädchen und Jungen über Koedukation denken. Jedoch konnte der immer wieder angenommene Zusammenhang zwischen Schultyp (koedukativ oder geschlechtshomogen) und Selbstkonzept der Mädchen (zum Beispiel von Spender), in dieser Untersuchung nicht bestätigt werden. Bei Befragungen von SchülerInnen von geschlechtshomogenen Schulen wird immer wieder bemängelt, dass es sich hierbei um Schulen in kirchlicher Trägerschaft handelt, die ihre SchülerInnen in der Regel aus der gehobenen Mittel- und Oberschicht beziehen. Der familiäre Kontext dieser Kinder und Jugendlichen, der sich durch ein hohes Interesse an einer sehr guten Ausbildung auszeichnet, ist eher konservativ und traditionell christlich geprägt. Dieses in der Familie vertretende Weltbild kann auf die Aussagen der Heranwachsenden durchaus Einfluß haben.167 Da es aber nur noch sehr wenige geschlechtshomogene Schulen gibt, und dies im allgemeinen Gymnasien sind, kann hier leider kein differenzierteres Bild dargestellt werden. Bemerkenswert ist, dass sich in allen drei dargestellten Untersuchungen die Mädchen mehrheitlich für gemeinsamen Unterricht aussprechen. Lässt man die etwas ältere Studie von Hella Demant außer Betracht, so scheint es, dass im derzeitigem gesellschaftlichem Kontext auch die Jungen mehrheitlich für die Koedukation sind. Die Studien von Susanne Rohr, sowie von Faulstich-Wieland und Horstkemper lassen dies zumindest annehmen. 167 vgl. ebenda S. 128 80 7.4 Zur Bedeutung der Koedukation für Jungen Sind Jungen tatsächlich „Nutznießer“ der Koedukation, wie dies oftmals behauptet wird? Diese Frage versuchten Friederike HolzEbeling (Universität Marburg), Janet Grätz-Tümmers (Schulpsychologischer Dienst Fulda) und Christine Schwarz (Erziehungsberatungsstelle Herborn) mit Hilfe einer empirischen Studie zu beantworten. Basierend auf der Grundüberlegung, dass Vorteile von Jungen, Nachteile für Mädchen nach sich ziehen, verglichen die Forscherinnen Jungen von geschlechtshomogenen Schulen mit Jungen von koedukativen Schulen.168 Die These der „Nutznießerrolle“ der Jungen ließe sich lediglich stützen, so das Autorenteam, wenn der Nachweis erbracht werden könnte, dass Jungen aus koedukativen Schulen Vorteile gegenüber Jungen aus Jungenschulen haben. Die Autorinnen Zweifeln die in anderen Untersuchungen festgestellten Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen nicht an, doch meinen sie, dass aus Nachteilen für Mädchen unter koedukativen Bedingungen nicht automatisch Vorteile für Jungen abzuleiten seien. Auch der Vergleich von Mädchen aus koedukativen Schulen und solchen aus Mädchenschulen würde hier zu kurz greifen. Fänden sich bei dem Vergleich von Jungen aus koedukativen Schulen und Jungen aus Jungenschulen keine Unterschiede, so wäre die Koedukation für Jungen kein relevanter Faktor. 168 vgl. Holz-Ebeling, Friederike, Grätz-Tümmers, Janet und Christine Schwarz: Jungen als „Nutznießer“ der Koedukation?, Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, Organ der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs) und der Fachgruppen Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 32. Jahrgang 2000 81 Fragestellung: Gibt es Unterschiede zwischen Jungen aus koedukativen Schulen und Jungen aus Jungenschulen hinsichtlich (1) der Zuwendung gegenüber Naturwissenschaften, Mathematik und Technik, (2) der Leistung und Leistungsorientierung, (3) der schulischen und allgemeinen sozial – emotionalen Befindlichkeit, sowie (4) der Voraussetzung und Erfahrung bezogen auf Liebesbeziehungen zu Mädchen? Bei der Untersuchung dienen die Mädchen aus koedukativen Schulen lediglich als Referenzgruppe, um die Ergebnisse bezogen auf in der Untersuchung festgestellten Geschlechtsunterschiede besser einordnen zu können. Es ging also nicht darum, ob potentielle Vorteile der Jungen zu Nachteilen der Mädchen führen, sondern lediglich um die Frage, ob Jungen von Koedukationsschulen hinsichtlich der genannten Merkmale anders abschneiden als Jungen von geschlechtshomogenen Schulen. Stichprobe: Untersuchungsteilnehmer waren Schüler von zwei Jungengymnasien katholischer Trägerschaft, aus dem Bundesland NRW: Als weitere Untersuchungsteilnehmer wurden dazu passend zwei koedukativ geführte Gymnasien gewählt. Auch diese beiden Schulen befanden sich in katholischer Trägerschaft und waren ebenso Schulen aus dem Bundesland NRW. Untersucht wurden jeweils die SchülerInnen der Klassenstufe 11. und 12. Die Befragung der männlichen Schüler der 12. Jahrgangsstufe der einen Jungenschule konnte leider aus schulinternen Gründen nicht durchgeführt werden. Durchführung: 82 Die Untersuchung wurde 1992, im Rahmen von zwei Schulstunden durchgeführt. Vorwiegend wurden multiple-choice-Fragen gestellt. Lediglich Berufswünsche waren offen zu beantworten, sowie Angaben über die Berufe der Eltern. Abstufungsmöglichkeiten gab es bei den Fragen zu folgenden Themen: (1) Hausaufgaben (2) Liebesbeziehungen (diverse Items) und (3) Gottesdienstbesuche. Ergebnisse: Sozialstaus: Die Schüler einer Jungenschule hatten einen signifikant niedrigeren Sozialstatus als die SchülerInnen der anderen Gruppen. Religiosität: Bezogen auf die Religiosität wurden keine Unterschiede zwischen den Gruppen festgestellt. Interessen: Interessenunterschiede wurden lediglich zwischen den Geschlechtern, nicht aber zwischen den Jungengruppen festgestellt. Jungen interessieren sich mehr für „Politik und Wirtschaft“, „Technik und exakte Naturwissenschaften“ und „Mathematik“. Einen leichten Schultypeffekt konnte lediglich bei dem Thema „Sozialpflege und Erziehung“ festgestellt werden. Hier zeigten Jungen koedukativer Schulen weniger Interesse. Schulfächer: Beide Jungengruppen haben eine positivere Einstellung zu den Fächern Physik und Mathematik als die Mädchen. Auch bei der Wahl von Leistungskursen und bei Berufswünschen finden sich Geschlechtsunterschiede wieder. Jungen beider Schulen wählen häufiger Physik und Mathematik als Leistungskurs und, bezogen auf den Berufsabsicht, äußerten die Jungen häufiger den Wunsch Studienfächer im naturwissenschaftlichen und ingenieurwissenschaftlichem Bereich studieren zu wollen. Ein Studienfach aus dem geisteswissenschaftlichem und künstlerischem Bereich wurden von beiden Jungengruppen im Vergleich zu den Mädchen seltener präferiert. Leistungstestergebnisse und schulisches Selbstbild: 83 Jungen beider Jungengruppen erreichen im Leistungstest Physik höhere Werte als die Mädchen. Im Fach Physik läßt sich auch ein Schultypeffekt feststellen. Die besseren Physikkenntnisse haben Jungen von koedukativen Schulen. Tendenziell verfügen Jungen von koedukativen Schulen auch über bessere Englischkenntnisse. Betrachtet man das schulische Selbstbild, so lassen sich lediglich Geschlechtsunterschiede nachweisen. Die Jungengruppen sind überzeugter von ihren eigenen Leistungen. Zeit für Hausaufgaben: Die durchschnittliche Zeit, die Schüler und Schülerinnen für Hausaufgaben investierten, differenziert je nach Geschlecht, sowie nach Schultyp. Während nur 11 % der Mädchen täglich im Durchschnitt weniger als 30 Minuten Hausaufgaben machen, sind es 30 % der Jungen von koedukativen Schulen und 51 % der Jungen aus Jungenschulen. Auch die Differenzierung nach Jahrgangsstufe ergibt ein vergleichbares Bild. Sozial – emotionale Befindlichkeit: In diesem Bereich läßt sich ein Schultypeffekt zugunsten der Jungen von koedukativen Schulen feststellen. Zum Ausdruck kommt dies bei Fragen nach „Leistungsdruck“, „Mangel an Mitsprachemöglichkeiten“ u.a.. Einen Geschlechtsunterschied zugunsten der Mädchen läßt sich im Bereich seelischer Gesundheit verzeichnen. Jedoch klagen sie mehr über Schulangst und psychosomatische Beschwerden als beide Jungengruppen. Liebesbeziehungen: Bei dem Thema Liebesbeziehungen wurde festgestellt, dass Jungen von geschlechtshomogenen Schulen im Vergleich zu Jungen koedukativer Schulen liebesfähiger seien. Sie haben zu 33 % feste Beziehungen, im Vergleich zu 26 % der befragten Jungen koedukativer Schulen. Den höchsten Anteil an festen Beziehungen haben jedoch mit 57 % die Mädchen. 84 Zusammenfassung: Für die These der Nutznießerrolle der Jungen in koedukativen Schulen konnte in dieser Studie kein Beweis gefunden werden. Zwischen den beiden Jungengruppen lassen sich mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede feststellen. Unterschiede zwischen den beiden Jungengruppen gibt es nur wenige. Lediglich bei den Schulleistungen lassen sich Unterschiede zugunsten der Jungen koedukativer Schulen feststellen. Dies hängt vermutlich damit zusammen, dass sie mehr Zeit für ihre Hausaufgaben investieren, als die befragten Jungenschulschüler dies tun. Dieses Ergebnis steht jedoch im Gegensatz zu den Ergebnissen anderer Studien, die feststellen, dass Jungen von Jungenschulen einen höheren Arbeitseinsatz erbringen.169 In den Bereichen Befindlichkeit und Liebesbeziehungen zu Mädchen genießen die Jungen geschlechtshomogener Schulen, im Vergleich zu den Jungen koedukativer Schulen sogar Vorteile. Die Forscherinnen stellen fest: „Eindeutig dominieren in dieser Studie die Geschlechtsunterschiede. Von dieser Perspektive aus beleuchtet wird noch einmal deutlich, wie wenig die Koedukation – zumindest was die Seite der Jungen betrifft – zur Etablierung dieser Unterschiede und damit zu einer geschlechtsbezogenen Sozialisation beiträgt.“170 Da die Stichprobe dieser Untersuchung sehr klein ist und es sich bei den Schulen um gymnasiale Privatschulen in katholischer Trägerschaft handelt, lassen sich die Befunde nicht ohne weiteres auf öffentliche Schulen und andere Schultypen übertragen. Dennoch halte ich die Untersuchung für sehr interessant, da es leider wenig Studien gibt, bei denen Jungen im Mittelpunkt des schulischen Forschungsinteresses stehen. 169 vgl. ebenda 170 ebenda 85 8 Schlussbemerkung „Verbinde das Männliche mit dem Weiblichen, und Du wirst finden, was Du suchst.“171 Wie wir in der Untersuchung von Hannelore Faulstich-Wieland und Marianne Horstkemper (Kapitel 7.3) gesehen haben, spricht sich eine überwältigende Mehrheit der Mädchen und Jungen ausdrücklich für gemeinsames Lernen aus. Für viele dieser SchülerInnen bedeutet Koedukation ein Stück „Lebensqualität“172. Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse stellt sich die Frage nach einer Unterrichtsgestaltung, die Mädchen und Jungen darin unterstützt, ihre „eigene Identität zu finden, ohne sich von typisierenden Geschlechtsrollenmustern einengen zu lassen.“173 In diesem Zusammenhang sind insbesondere die Lehrkräfte, aber auch die Eltern gefordert, die den Heranwachsenden als Verhaltensmodelle dienen und ihnen unbewußt Signale aussenden, was als tolerierbares Mädchen- bzw. Jungenverhalten gilt.174 Wünschenswert ist, dass sich Lehrkräfte sowie Eltern mit ihren persönlichen Geschlechtsrollenvorstellungen auseinandersetzen. Auf der Basis reflektierter Geschlechtsrollenvorstellungen ist es LehrerInnen eher möglich das Verhaltensspektrum von Mädchen und Jungen zu vergrößern. Dies könnte unter anderem durch 171 Maria, die Jüdin, Naturwissenschaftlerin in Alexandria, 1. Jahrhundert n. Chr., zitiert von Frank, Elisabeth: Schule der Chancengleichheit, Stuttgart 1997 172 vgl. Faulstich-Wieland und Horstkemper: Trennt uns bitte, bitte, nicht! Opladen 1995, S.255 173 ebenda S. 254 174 vgl. Preuss-Lausitz, Ulf: Die Schule benachteiligt die Jungen!?, Zeitschrift der Pädagogik, 1999, Heft 5, S. 13 86 gezielte Wertschätzung der Mädchen in Bezug auf erbrachte Leistungen und nicht nur für soziale Kompetenz, geschehen. Auch Jungen könnten davon profitieren. Sie würden mit ihren Sorgen und Nöten z.B. „cool“ und witzig sein zu müssen, unsichere Gefühle nicht zeigen zu dürfen und Trost nicht zu finden, besser wahrgenommen. Da traditionelle Rollenbilder immer seltener als eindeutige Verhaltensmodelle dienen, haben es Mädchen und Jungen in der heutigen Zeit schwerer als früher sich hinsichtlich geschlechtsspezifischer Rollenerwartungen zurechtzufinden. Zudem vermischen sich, wie in Kapitel 3 beschrieben, althergebrachte Rollenerwartungen mit zeitgemäßen Vorstellungen über das Verhalten von Kindern. Besonders erfolgversprechend scheinen längerfristig angelegte Schulversuche zu sein, wie sie Elisabeth Frank im Unterrichtsfach Physik durchführte. Diese Art von Weiterqualifizierung und Sensibilisierung von Lehrerinnen und Lehrern bezogen auf die geschlechtsspezifischen Lernbedürfnisse und Lerninhalte von Mädchen und Jungen ist nachhaltiger als rein theoretische Fortbildungen zu diesem Thema. Denn eine solche Weiterqualifizierung erstreckt sich über einen längeren Zeitraum, bei dem auch die Schülerschaft in den Veränderungsprozeß mit einbezogen wird. Verhaltensänderungen der Lehrpersonen sind für die SchülerInnen in einem deratigen Kontext besser erklärbar. 87 9 Anhang Weitere Ausführungen zu Seite 5: „Anzahl und Komplexität der für die Bewältigung einer Aufgabe notwendigen Prozess- bzw. Rechenschritte. Die Aufgaben reichen von einschrittigen Problemen, bei denen von den Schülerinnen und Schülern verlangt wird, grundlegendes mathematisches Faktenwissen abzurufen oder einfache Rechenschritte durchzuführen, bis hin zu mehrschichtigen Problemen, die fortgeschrittenes mathematisches Wissen und komplexe Entscheidungsprozesse, die Verarbeitung von Informationen sowie Fähigkeiten zur mathematischen Problemlösung und Modellierung voraussetzen. Anforderungen in Bezug auf die Herstellung von Querverbindungen und Zusammenhängen. Bei den einfachsten Aufgaben wird von den Schülerinnen und Schülern generell verlangt, eine einzige mathematische Darstellung oder Technik auf eine Einzelinformation anzuwenden. Bei den komplizierteren Aufgaben wird von ihnen erwartet, Querverbindungen zwischen verschiedenen Einzelinformationen herzustellen und diese unter Verwendung verschiedener mathematischer Darstellungen, Instrumente oder Kenntnisse in einem mehrschrittigen Prozess zu verknüpfen. Anforderungen an Darstellung und Interpretation von Materialien sowie Reflexion über Situationen und Methoden. Die Aufgaben reichen von der Erkennung und Anwendung bekannter Formeln bis hin zur Formulierung, Übertragung oder Konzipierung eines geeigneten Modells in einem ungewohnten Kontext sowie der 88 Verwendung eines tieferen mathematischen Verständnisses, Beweisführens, Argumentierens und Verallgemeinerns.“175 175 Martin, John P. und Eugene Owen: Lernen für das Leben. ERSTE ERGEBNISSE DER INTERNATIONALEN SCULVERGLEICHSSTUDIE PISA 2000,OECD 2001, S.84 89 Literatur Arbeitsgruppe Elternarbeit (Hg.): Die Schule lebt - Frauen bewegen die Schule, bearbeitet von Ilse Bremer und Uta Enders-Dragässer, DJI Deutsches Jugendinstitut, München 1984 Baumert, Jürgen: Koedukation und Geschlechtertrennung. 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