2.4 Geschlechtsspezifische Unterschiede bei Selbstkonzept und

Werbung
Zum Einfluss geschlechtsspezifischer
Asymmetrien auf die schulische
Erziehung von Mädchen und Jungen
Magisterarbeit im Rahmen der Magisterabschlussprüfung
am Fachbereich Erziehungs-,
Sozial- und Geisteswissenschaften
der FernUniversität Gesamthochschule Hagen
Lehrstuhl Prof. Dr. H. Dichanz
vorgelegt von Sabine Neumann
Achtumer Winkel 9
31135 Hildesheim
am 20.8.2002
Ich versichere, dass ich die Arbeit selbstständig und ohne
Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt
habe. Alle Stellen, die wörtlich oder sinngemäß aus
Veröffentlichungen und anderen Quellen entnommen sind, sind als
solche kenntlich gemacht.
Hildesheim, den 20. August 2002
Sabine Neumann
Inhaltsverzeichnis
Seite
Einleitung
1
Definitionen............................................................................. 1
1.1 Koedukation .......................................................................... 1
1.2 Sozialisation.......................................................................... 1
2
Ergebnisse der PISA Studie .................................................. 2
2.1 Geschlechtsspezifische Unterschiede bei den
Schülerleistungen ........................................................................ 5
2.2 Lesekompetenz .................................................................... 6
2.3 Leistungen in Mathematik und Naturwissenschaften .......... 11
2.4 Geschlechtsspezifische Unterschiede bei Selbstkonzept und
Lernstrategien ............................................................................ 13
2.5 Leistungsschwache Schülerinnen und Schüler ................... 13
3
Sozialisation von Jungen und Mädchen ............................ 16
3.1 Außerschulische Jungensozialisation ................................. 16
3.1.1 Jungen und ihre Mütter ................................................17
3.1.2 Die Bedeutung des Vaters für die Sozialisation von
Jungen ....................................................................................19
3.1.3 „Der Mythos der männlichen Überlegenheit“ ...............23
3.1.4 Die physische und psychische Verfassung von
Jungen ..................................................................................26
3.2 Jungen und Mädchen im Kindergarten ............................... 31
3.2.1 Studie von Lilian Fried .................................................31
3.2.2 Verbale Kommunikation im Vorschulalter ....................33
3.3 Jungen in der Schule .......................................................... 34
3.3.1 Vorbilder in der Schule .................................................35
3.3.2 Anteil von Jungen und Mädchen in verschiedenen
Schularten ..............................................................................37
4
Ergebnisse der Koedukationsforschung ........................... 39
4.1 Lob und Tadel ..................................................................... 41
4.2 Aufmerksamkeit .................................................................. 42
4.3 Sprachverhalten von SchülerInnen und LehrerInnen .......... 43
5
Sexismus in der Schule ....................................................... 43
5.1 Schulorganisation ............................................................... 44
5.2 Lehrmaterialien ................................................................... 47
6
Interessen und Begabungen von SchülerInnen ................ 60
6.1 Das Interesse der Mädchen und Jungen an
naturwissenschaftlichen Fächern am Beispiel Physik ................ 60
6.2 Notenvergleich in naturwissenschaftlichen Fächern mit
Schwerpunkt Mathematik ........................................................... 63
6.3 Naturwissenschaftliche Leistungskurse .............................. 65
6.4 Wer wählt schon Informatik?............................................... 66
6.5 Schulversuch Physik ........................................................... 68
7
Mädchenschulen - Jungenschulen - Koedukationsschulen
71
7.1 Mädchen in verschiedenen Schultypen .............................. 71
7.2 Eine Untersuchung aus den 50er Jahren ........................... 74
7.3 Geschlechtsspezifische Meinungsbilder zur Koedukation .. 75
7.4 Zur Bedeutung der Koedukation für Jungen ....................... 80
8
Schlussbemerkung .............................................................. 85
9
Anhang .................................................................................. 87
Einleitung
Nicht erst seit Vorlage der Ergebnisse aus der jüngsten PISAStudie wird die schulische Erziehung von Mädchen und Jungen
und deren schulische Leistungen kontrovers diskutiert. Allzu oft war
die Diskussion über Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen
bei der schulischen Erziehung in der Vergangenheit ausschließlich
geprägt von der Betrachtung möglicher Benachteiligungen von
Mädchen. In der vorliegenden Arbeit wird der Versuch
unternommen, Einflüsse aufzuzeigen, die geschlechtsspezifische
Besonderheiten und Unterschiedlichkeiten zwischen Mädchen und
Jungen auf deren schulische Erziehung haben. Dabei sollen
Schlaglichter aus verschiedenen Perspektiven auf das Gesamtbild
geworfen werden, das sich dem wissenschaftlichen Beobachter bei
der Betrachtung der schulischen Erziehung von Mädchen und
Jungen bietet.
In der täglichen Schulpraxis erleben LehrerInnen und SchülerInnen
eine Gesamtsituation, die nicht zuletzt aufgrund der Komplexität
ihrer Entstehungsgeschichte häufig zu (für alle Beteiligten) wenig
befriedigenden Resultaten führt. Monokausale Erklärungsversuche
führen dann – wie fast immer – zu bestenfalls kurzfristig tragfähigen
Lösungen. Die Analyse geschlechtsspezifischer Unterschiede in der
schulischen Entwicklung von Mädchen und Jungen kann zu einem
besseren Verständnis der Lernsituation der Kinder und auch
unterschiedlicher schulischer Leistungen beitragen.
Bei der Frage, ob es eher die Mädchen sind, die aufgrund
geschlechtsspezifischer Besonderheiten benachteiligt werden, oder
– wie Studien jüngeren Datums zeigen – auch die Jungen unter
derartigen Problemen leiden, darf „die Wahrheit“ nicht „in der Mitte“
gesucht werden. Wie der Philosoph und Auto-Manager Daniel
Godeuvert einmal gesagt hat liegt die Wahrheit nie in der Mitte,
sondern immer in der Tiefe!
In diesem Sinne befasst sich die vorliegende Arbeit nach
grundlegenden Definitionen (Kapitel eins) im zweiten Kapitel mit
Ergebnissen der PISA-Studie, sofern sie für die Betrachtung
unterschiedlicher Lernleistungen für Mädchen und Jungen relevant
sind. Im Kapitel drei wird zunächst die außerschulische und dann
die schulische Sozialisation von Mädchen und Jungen analysiert.
Dabei werden Unterschiede herausgearbeitet, die für die spätere
Entwicklung der Kinder prägend sind. Das vierte Kapitel befasst
sich mit Ergebnissen der Koedukationsforschung, wie sie aus dem
konkreten Schulalltag abgeleitet werden können. Kapitel fünf setzt
sich kritisch mit Aspekten von Sexismus in der Schule auseinander
und beleuchtet dabei sowohl die Schulorganisation als auch
Lehrmaterialien. Es kann dabei gezeigt werden, wie sehr stereotype
Rollenbilder auch in diesen formenden Elementen des schulischen
Alltags auftreten. Im sechsten Kapitel geht es um Unterschiede bei
schulischen Interessen und Begabungen von Mädchen und Jungen
und wie sich diese in den Leistungen widerspiegeln. Das
abschließende siebente Kapitel stellt verschiedene Studien dar, die
sich mit Jungenschulen, Mädchenschulen und
Koedukationsschulen befasst haben.
1
1 Definitionen
1.1 Koedukation
Maria Anna Kreienbaum differenziert zwischen den Begriffen
„Koedukation“ und „Koinstruktion“. „Wenn man Jungen und
Mädchen lediglich gemeinsam in ein Klassenzimmer bringt,
bedeutet dies erst mal nur Koinstruktion. Koedukation verlangt
darüber hinaus ein gemeinsames Unterrichtskonzept, das die
Gemeinsamkeiten wie die Unterschiede zwischen Mädchen und
Jungen fruchtbar macht.“1
„Koedukation“ ist somit ein idealtypisches Konzept einer
gemeinsamen Erziehung und Unterrichtung von Schülerinnen und
Schülern, die in unserem derzeitigem Schulalltag nur unzureichend
umgesetzt ist.
1.2 Sozialisation
„Sozialisation“ wird definiert als „der Prozeß der Entstehung und
Entwicklung der Persönlichkeit in wechselseitiger Abhängigkeit von
der gesellschaftlich vermittelten sozialen und materiellen Umwelt.
Vorrangig thematisch ist dabei ....., wie sich der Mensch zu einem
gesellschaftlich handlungsfähigen Subjekt bildet.“2 In der
Sozialisationsforschung gilt diese Definition als konsensfähig.
Laut Helga Bilden wird Sozialisation häufig als ein Prozess
missverstanden, der ein eher passives Individuum formt. Jedes
Kind sei, auch ein Neugeborenes, nur Objekt seines/ihres
Sozialisationsprozesses. Zwar seien die von außen gesetzten
1
Kreienbaum, Maria Anna: Erfahrungsfeld Schule, Weinheim 1992, S. 23
2
Geulen, D. / Hurellmann, K.: Zur Programmatik einer umfassenden
Sozialisationstheorie. In: Hurrelmann, K. / Ulrich, D. (Hrsg.): Handbuch der
Sozialisationsforschung. 2. Auflage, Weinheim, Basel 1982, S. 51, zitiert von:
Sauerwein, Ute: Internetseminar AG3
2
Bedingungen (Verhalten der Eltern, Nahrung, Anregung u.s.w.)
zuerst übermächtig, doch wächst mit zunehmenden Handlungsund Reflexionsmöglichkeiten des Kindes sein/ihr eigener aktiver
Anteil: „Es setzt sich mit der Umwelt handelnd, wahrnehmend,
denkend, fantasierend auseinander.“3
Der Sozialisationsbegriff beschreibt also die Dialektik subjektiven
Handelns und gesellschaftlicher Bedingungen.4 Somit werden
(pädagogische) Eingriffsmöglichkeiten überhaupt erst eröffnet.
2 Ergebnisse der PISA Studie
PISA (Programme for International Student Assessment) ist eine
Studie, die Leistungen im Bildungssystem der 28 OECD-Länder
(Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
der Industrieländer) und vier weiteren Ländern vergleicht. Die
Durchführung der Untersuchung erfolgte im Jahr 2000. Das
Konzept für die Studie „wurde sowohl auf der politischen als auch
auf der wissenschaftlichen Ebene in Kooperation und im Konsens
der beteiligten Staaten entwickelt: Es sollen Grundkompetenzen
erfasst werden, die für die aktive Teilnahme am gesellschaftlichen
Leben und am Wirtschaftsprozess unabdingbar sind und die als
Voraussetzung dafür gelten können, lebenslang eigenverantwortlich
weiterlernen zu können.“5
Untersucht wurden Lesekompetenz, mathematische und
naturwissenschaftliche Grundbildung und fächerübergreifende
Fähigkeiten wie selbstreguliertes Lernen und Problemlösen. In
Deutschland gibt es des weiteren eine Ergänzungsstudie, die
Aspekte von Kommunikation und Kooperation prüft. 6
Schulanalysen v.a. waren in der Vergangenheit Input-Analysen, in
denen die Investitionen in das Bildungssystem international
3
Bilden, Helga: Sozialisation und Geschlecht. In: Valentin, Renate und Ute Warm
(Hg.): Frauen machen Schule, Frankfurt/M. 1985, S. 13
4
vgl. Kaiser, Astrid: Sozialisation von Lehrerstudenten, Frankfurt/M. 1982
5
http://www.lehrerinfo-bayern.de/info_lehrer/7_01_pisa_1.asp, vom 21.01.02.
6
vgl. ebenda
3
verglichen wurden und man davon ausging, dass es einen
Zusammenhang zwischen Umfang der getätigten Investition und
Leistung besteht. Neuere Analysen wie TIMSS und PISA sind
hingegen vor allem Output-Analysen, d.h. im Mittelpunkt der
Untersuchung steht die erbrachte Leistung. 7
Stichprobe:
Getestet wurden 15-jährige Schülerinnen und Schüler, die in den 32
Staaten, welche an der Untersuchung teilnahmen, noch die
Pflichtschule besuchen. In Deutschland waren 8.200 Jugendliche
von insgesamt 219 Schulen an der Untersuchung beteiligt.
Ergebnisse einer weiteren Untersuchung mit einer größeren
Stichprobe, die zum Ziel hat, die Leistungen von Schülerinnen und
Schüler innerhalb von Deutschland bezogen auf die verschiedenen
Bundesländer zu vergleichen, werden in der zweiten Jahreshälfte
2002 veröffentlicht.
Methoden: (Kurze Darstellung)
Im Rahmen der Untersuchung mußten Schülerinnen und Schüler
sowohl Multiple-Choice-Aufgaben beantworten, als auch Fragen,
bei denen die Antwort frei zu formulieren war. Auch beantworteten
die Schülerinnen und Schüler einen Hintergrundfragebogen zu
Lernstrategien und zum Umgang mit dem Computer. Des weiteren
beantworteten die Schulleitungen Fragen zur Schule.
Bewertungskriterien der Lesekompetenz:
PISA 2000 versuchte die Lesekompetenz von Schülerinnen und
Schülern mit Hilfe eines umfangreichen Spektrums an
Leseaufgaben zu erfassen. Untersucht wurden „die Aufgabenart,
die Form und Struktur des Lesestoffs und der Zweck, für den der
7
Eubel, Klaus-Dieter: in Leverkusen 18.02.2002
4
Text geschrieben wurde.“8 Zwischen diesen drei untersuchten
Kompetenzbereichen bestand keine hierarchische Beziehung und
alle drei Bereiche setzten sich aus leichteren und schweren
Aufgaben zusammen. Bewertet wurden die erbrachten Leistungen
mit Hilfe von Punkten. Dabei bildeten 500 Punkte den Mittelwert.
Etwa zwei Drittel der Leistungen lagen im Bereich zwischen 400
und 600 Punkten. Die zu erreichenden Punkte sind
Kompetenzstufen zugeordnet. „Stufe 5 entspricht einer Punktzahl
von über 625, Stufe 4 einer Punktzahl zwischen 553 und 625, Stufe
3 einer Punktzahl zwischen 481 und 552, Stufe 2 einer Punktzahl
von 408 bis 480 und Stufe 1 einer Punktzahl von 335 bis 407.“9 Die
Zuteilung zu einer bestimmten Kompetenzstufe erfolgte, wenn
mindestens 50 % der gestellten Aufgaben auf dieser Stufe richtig
beantwortet waren.
Hatte jemand eine bestimmte Stufe erreicht, wurde davon
ausgegangen, das er auch die Aufgaben der darunter liegenden
Kompetenzstufen lösen kann. Bei Testergebnissen von weniger als
335 Punkten wurde die Kompetenzstufe 1 nicht erreicht. Ein
derartig schlechtes Ergebnis deutet auf gravierende
Leistungsdefizite hin.
Bewertungskriterien der mathematischen Kompetenz:
Bei der Untersuchung der mathematischen Kompetenz standen
jene Fähigkeiten im Vordergrund, die für das spätere Leben der
Schülerinnen und Schüler relevant sind. Untersucht wurden: 1)
Anzahl und Komplexität der für die Bewältigung einer Aufgabe
notwendigen Prozess- bzw. Rechenschritte. 2) Anforderungen in
Bezug auf die Herstellung von Querverbindungen und
Zusammenhängen und 3) Anforderungen an Darstellung und
8
Martin, John P. und Eugene Owen: Lernen für das Leben. ERSTE
ERGEBNISSE DER INTERNATIONALEN SCHULVERGLEICHSSTUDIE PISA
2000, OECD 2001, S. 38
9
ebenda S. 38
5
Interpretation von Materialien sowie Reflexion über Situationen und
Methoden.10 Wie bei der Beurteilung der Lesekompetenz wurde
diese Kompetenz mit Hilfe einer Gesamtskala gemessen, deren
Mittelwert bei 500 Punkten lag. Rund zwei Drittel der getesteten
Schülerinnen und Schüler erreichten Ergebnisse zwischen 400 und
600 Punkten. „Die Skala misst die Fähigkeiten der Schülerinnen
und Schüler, mathematische Probleme zu erkennen und zu
interpretieren, denen sie in ihrem Umfeld begegnen, diese
Probleme in mathematische Strukturen umzusetzen,
mathematische Kenntnisse und Verfahren zur Lösung im Hinblick
auf das Ausgangsproblem zu interpretieren, über die angewandte
Methode zu reflektieren und die Ergebnisse zu formulieren und zu
kommunizieren.“11 (Weitere Ausführungen siehe Anhang).
Kompetenzstufen, wie im Bereich Lesekompetenz, wurden bei der
Beurteilung der mathematischen Grundbildung nicht definiert.
Jedoch ist es möglich, die erbrachten Leistungen ausführlich zu
beschreiben und den zugrunde liegenden Skalen zuzuordnen.
2.1 Geschlechtsspezifische Unterschiede bei den
Schülerleistungen
„Da Bildung Auswirkungen auf die Arbeitsmarktbeteiligung, die
berufliche Mobilität und die Lebensqualität hat, sind alle Länder
nachdrücklich daran interessiert, Bildungsunterschiede zwischen
Frauen und Männern abzubauen.“12 Zwar haben sich die
Unterschiede zwischen Frauen und Männer inzwischen erheblich
verringert, und die Wahrscheinlichkeit, dass jüngere Frauen heute
studieren, ist sehr viel größer als noch vor 30 Jahren, doch liegt der
Frauenanteil in naturwissenschaftlichen Studienbereichen nach wie
vor weit unter dem der Männer. Der Anteil der
Studienanfängerinnen im WS 1994/95 im Fach Chemie betrug zwar
10
vgl. ebenda S. 84
11
ebenda S. 84
12
ebenda S. 144
6
noch 33,8%, im Bereich Informatik lag der Frauenanteil hingegen
lediglich bei 8%. Für das Studienfach Maschinenbau schrieben sich
in dem genannten Jahr sogar nur 4,6 % Frauen ein.13
Auch wenn in naturwissenschaftlichen Lern- und Studienbereichen
noch nicht von einem ausgeglichenem Geschlechterverhältnis
gesprochen werden kann, kann festgestellt werden, dass Mädchen
ihren in der Vergangenheit vorhandenen Bildungsrückstand nicht
nur inzwischen wettgemacht haben, sondern die Jungen in
verschiedenen Bildungsbereichen inzwischen überflügeln. So lag
beispielsweise die Abiturientenquote in NRW im Jahr 1996/1997 bei
46,9 % männlichen und 54,1 % weiblichen Abiturienten. In Bayern
erreichten 1997 die Mädchen im Abitur eine Durchschnittsnote von
2,35. Die Durchschnittsnote der Jungen lag hingegen bei 2,48.14
Machte man sich in der Vergangenheit Sorgen um die schwächeren
Leistungen der Mädchen, wird die Zukunft mehr Aufmerksamkeit
auf die zunehmenden Leistungsdefizite der Jungen verlangen.
In diesem Kapitel werden die in der PISA-Studie festgestellten
geschlechtsspezifische Leistungsunterschiede von Mädchen und
Jungen dargestellt, sowie Unterschiede im Bezug auf
Selbstkonzept, Motivation und Lernkonzept.
2.2 Lesekompetenz
PISA 2000 zeigt geschlechtsspezifische Leistungsunterschiede im
Bereich Lesekompetenz, die länderübergreifend festgestellt
wurden. So liegt das Leistungsniveau der Mädchen in diesem
Bereich über dem der Jungen. Der durchschnittliche Vorsprung der
Mädchen ist mit 32 Punkten, was fast einer halben Kompetenzstufe
entspricht, bezogen auf die Lesekompetenz durchaus erheblich. (35
Punkte in Deutschland). Betrachtet man die Ergebnisse einzelner
13
vgl. Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft 13 (1987) 8, S. 1;
Statistisches Bundesamt 1997 S. 399
14
vgl. Kraus, Josef 1998: Flexible Koedukation an den Schulen? Zeitschrift für
Pädagogik 44 (1998) 2, S. 263 - 271
7
Länder fällt jedoch auf, dass dieser durchschnittliche Wert sehr
unterschiedlich sein kann.
Diese unterschiedlichen Ergebnisse legen die Vermutung nahe,
„dass die Länder bei der Beseitigung geschlechtsspezifischer
Unterschiede unterschiedlich erfolgreich waren und dass Mädchen
nach wie vor im Bereich Lesekompetenz und Jungen im Bereich
Mathematik besser abschneiden.“15 Geringe geschlechtsspezifische
Unterschiede, gekoppelt mit einem hohen Leistungsniveau,
bezogen auf die Lesekompetenz von Schülerinnen und Schülern,
konnten beispielsweise in Korea festgestellt werden. Offenbar bietet
Korea Schülerinnen und Schülern ein Lernumfeld, was für beide
15
Martin, John P. und Eugene Owen: a. a. O. S.147
8
Geschlechter, zumindest bezogen auf die Lesekompetenz,
vorteilhaft ist. Vermutlich ist dies mit bildungspolitischen
Maßnahmen oder mit einem anderen gesellschaftlichem Umfeld im
Zusammenhang zu sehen.
Betrachtet man die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei der
Lesekompetenz genauer, ist festzustellen, dass der Abstand
zwischen Mädchen und Jungen auf der Skala „Reflektieren und
Bewerten“ größer ist, als auf der Skala „Textbezogenes
Interpretieren“. Aufgaben aus dem Bereich „Reflektieren und
Bewerten“ erfordern eine kritische Einschätzung. Bei diesen
Aufgaben geht es darum, Texte mit eigenen „Erfahrungen,
Kenntnissen und Vorstellungen zu verknüpfen.“16 In diesem Bereich
verzeichnen die Mädchen einen Vorsprung von 45 Punkten
gegenüber den Jungen. Auf der Skala „Textbezogenes
Interpretieren“ verzeichnen die Schülerinnen einen
Punktevorsprung von 29, sowie 24 Punkte auf der Skala
„Informationen ermitteln“ gegenüber den Schülern.
Geschlechtsspezifische Leistungsunterschiede in dem Bereich
Lesekompetenz lassen sich eventuell mit der Art des Lesestoffes
erklären, der Mädchen und Jungen in unterschiedlicher Weise
anspricht.
Vergleicht man die Leistungsunterschiede von Schülerinnen und
Schülern in verschiedenen Schultypen, so kann festgestellt werden,
dass in Schulen, die zur Hochschulreife führen,
geschlechtsspezifische Leistungsunterschiede im Bereich
Lesekompetenz zwar noch bestehen, aber weniger stark
ausgeprägt sind.
16
ebenda S. 148
9
Interesse am Lesen und Freude am Lesen:
Das Interesse am Lesen ist bei Mädchen in der Regel wesentlich
ausgeprägter als bei Jungen. Sie lesen häufiger in ihrer Freizeit und
bekunden, dass ihnen das Lesen sehr wichtig ist und sie dieses
Freizeitvergnügen nur ungern aufgeben würden. Mädchen suchen
häufiger Bibliotheken und Buchhandlungen auf und sprechen im
Vergleich zu Jungen häufiger mit anderen Leuten über Bücher.
Dieses Interesse spiegelt sich deutlich in den guten Leseleistungen
der Schülerinnen wieder. Bezogen auf das Lesen ist dieser
Gesamtzusammenhang für alle untersuchten Länder nachweisbar.
46 % der 15-jährigen Jungen lesen nur, wenn sie unbedingt
müssen (Durchschnittswert aller OECD-Länder). Bei den Mädchen
liegt der Vergleichswert lediglich bei 26 %. „Außerdem geben 58 %
der Jungen (gegenüber 33 % der Mädchen) an, dass sie nur lesen,
um die von ihnen benötigten Informationen zu bekommen, und
dieser Wert steigt in der Tschechischen Republik, Deutschland,
Irland und Mexiko sogar auf über zwei Drittel der Jungen.
Analog geben 45 % der Mädchen an, Lesen sei eines ihrer größten
Hobbys.“17 Diese unterschiedlichen Lesegewohnheiten von Jungen
und Mädchen scheinen für den Lernprozess weitreichende
Konsequenzen zu haben.
17
ebenda S. 154
10
Arten des Lesestoffes:
15-jährige Mädchen investieren nicht nur mehr Zeit für das Lesen
als Jungen, sie unterscheiden sich auch hinsichtlich der Wahl des
Lesestoffs. So lesen Mädchen häufiger Bücher mit
anspruchsvollem Inhalt. Sie bevorzugen zum Lesen Romane,
Erzählungen und Geschichten. Jungen lesen, mit 68 % zu 60 %,
etwas häufiger Tageszeitungen als Mädchen. Auch Comic-Hefte
werden von Jungen öfter als von Mädchen gelesen (35 % der
Jungen lesen mehrmals im Monat oder in der Woche diese Hefte,
im Vergleich zu 24 % der Mädchen). Sachbücher und Zeitschriften
werden von Jungen und Mädchen gleich häufig gelesen.18
18
vgl. ebenda S. 156
11
2.3 Leistungen in Mathematik und
Naturwissenschaften
PISA 2000 zeigt statistisch signifikante geschlechtsspezifische
Leistungsunterschiede im Bereich mathematische Grundbildung in
etwa der Hälfte der untersuchten Länder. In diesem Bereich weisen
die Jungen durchweg bessere Ergebnisse auf als die Mädchen. Der
Durchschnittsabstand fällt jedoch mit 11 Punkten, zu Gunsten der
Jungen, wesentlich geringer aus, als der Abstand zwischen
Mädchen und Jungen im Bereich Lesekompetenz. Im Bereich
Lesekompetenz konnten die Mädchen einen durchschnittlichen
Punktevorsprung von 32 gegenüber den Jungen verzeichnen. Die
besseren durchschnittlichen Ergebnisse in Mathematik sind jedoch
auf die hervorragenden Leistungen einiger weniger Schüler
zurückzuführen.
In Deutschland ist der festgestellte Leistungsabstand mit 15
Punkten im Bereich mathematische Grundbildung zwischen
Mädchen und Jungen etwas größer als in den anderen
untersuchten Ländern. Bezogen auf die naturwissenschaftliche
Grundbildung verzeichnen die Jungen in Deutschland 3 Punkte
Vorsprung gegenüber den Mädchen. Dieser relativ geringe
geschlechtsspezifische Leistungsabstand bei der
naturwissenschaftlichen Grundbildung läßt sich vermutlich dadurch
erklären, dass in der PISA Untersuchung den Biowissenschaften
ein großes Gewicht beigemessen wurde. Die Biowissenschaften
sind in der Regel ein Sektor, in dem Mädchen gut abschneiden. In
der TIMSS Studie (3. Internationale Mathematik – und
Naturwissenschaftliche Studie, 1994/1995, mit 16 teilnehmenden
Ländern) standen hingegen Aufgaben aus dem Bereich Physik im
Vordergrund. Dies ist wiederum ein Bereich, in dem Jungen häufig
bessere Leistungen als Mädchen erbringen. Darum verwundert es
nicht, dass der Abstand zwischen Mädchen und Jungen im
12
naturwissenschaftlichem Sektor in der TIMSS Untersuchung größer
ist als in der PISA Untersuchung.19
Betrachtet man die Art der Aufgabenstellung, kann festgestellt
werden, dass Jungen häufig bei Multiple-Choice-Aufgaben besser
abschneiden als Mädchen. In der PISA Untersuchung gab es
jedoch nicht nur Multiple-Choice-Aufgaben, sondern auch einen
größeren Anteil von Aufgaben, die offen und kontextbezogen waren
und bei denen Wissen angewendet werden mußte. Bei derartigen
Fragestellungen schneiden Mädchen in der Regel besser als
Jungen ab. Dies kann unter anderem ein Grund dafür sein, dass
der geschlechtsspezifische Leistungsabstand in der PISA
Untersuchung im Vergleich zur TIMSS Studie nicht so groß
ausfiel.20
Im Bereich der mathematischen Grundbildung sind
Leistungsunterschiede zwischen Mädchen und Jungen in
Schulzweigen, die zur Hochschulreife führen, im Vergleich zur allen
untersuchten 15-jährigen Schülern doppelt so groß.
Interesse an Mathematik:
Jungen interessieren sich mehr für Mathematik als Mädchen. Auch
hier spiegeln sich die Interessen in den Fachleistungen wider.
Lediglich in Portugal bekunden Mädchen ein höheres Interesse an
Mathematik als Jungen. Diese geschlechtsspezifischen Interessen
lassen vermuten, dass Mädchen und Jungen im schulischen und
außerschulischen Bereich unterschiedlich motiviert werden.
19
vgl. ebenda S. 149
20
vgl. ebenda
13
2.4 Geschlechtsspezifische Unterschiede bei
Selbstkonzept und Lernstrategien
Hinsichtlich der Lernstrategien sind signifikante Unterschiede
zwischen Schülerinnen und Schülern feststellbar. Mädchen legen in
der Regel mehr Wert auf Memorierstrategien als Jungen. Nur für
drei der untersuchten Länder trifft diese Aussage nicht zu. Auch
wenden Mädchen häufiger Kontrollstrategien an. Das heißt, dass
Mädchen ihr Lernen häufiger überprüfen. Elaborationsstrategien
werden hingegen häufiger von Jungen eingesetzt.
Da Selbstvertrauen eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiches
Lernen ist, wurde im Rahmen von PISA 2000 das „Selbstkonzept“
von Mädchen und Jungen im Bereich Lesen und Mathematik
untersucht. Dabei konnte festgestellt werden, dass das
Selbstvertrauen im wesentlichen den erbrachten Leistungen in den
jeweiligen Bereichen entspricht. So geben Mädchen häufig an, in
sprachlichen Fächern schnell zu lernen und gut abzuschneiden.
Jungen haben hingegen ein hohes Selbstkonzept in Mathematik.
Dies ist in Deutschland, Norwegen und der Schweiz besonders
ausgeprägt. Der positive Zusammenhang, der zwischen
Selbstkonzept und Schülerleistungen besteht, ist in Mathematik
noch stärker ausgeprägt als beim Lesen.21
2.5 Leistungsschwache Schülerinnen und Schüler
PISA 2000 stellt unmißverständlich fest, dass der Anteil der Jungen
an den leistungsschwächsten Schülern (das heißt Leistungsstufe 1)
über alle OECD-Länder hinweg weit über dem der Mädchen liegt.
Jedoch ist der prozentuale Anteil der Jungen, die sich auf dieser
Leistungsstufe befinden in den verschiedenen Ländern
unterschiedlich. „So liegen in Kanada, Finnland, Japan und Korea 6
% oder weniger der Mädchen auf Leistungsstufe 1 oder darunter,
gegenüber einem Anteil von 7 % bis 14 % bei den Jungen. Selbst in
14
Finnland, dem Land mit den besten Ergebnissen, liegen lediglich 3
% der Mädchen auf Leistungsstufe 1 oder darunter, im Vergleich zu
11 % der Jungen.“22
Der Anteil der leistungsschwächsten Schüler liegt in Deutschland
bei ca. 26 % gegenüber einem Mädchenanteil von 18 %. Die
Autoren stellen fest, dass die Selektions- und
Autoselektionsmechanismen in stark gegliederten
21
22
vgl. ebenda
ebenda S. 150
15
Bildungssystemen möglicherweise für die Leistungsunterschiede
von Mädchen und Jungen mit verantwortlich sind.23 Diese hohen
geschlechtsspezifischen Leistungsunterschiede geben Anlass zur
Besorgnis und verlangen nach veränderten politischen Konzepten.
Schlussbemerkung zur geschlechtsspezifischen Betrachtungsweise
der PISA-Untersuchung:
Die PISA-Untersuchung zeigt, dass das Ausmaß
geschlechtsspezifischer Unterschiede in den einzelnen Ländern
durchaus unterschiedlich ausgeprägt ist. Aus diesem Ergebnis läßt
sich folgern, dass mit entsprechenden Maßnahmen Nachteile für
Mädchen und Jungen abgebaut werden können. Einigen Ländern
ist es scheinbar gelungen, Schülerinnen und Schülern ein
Lernumfeld zu bieten, welches beide Geschlechter gleichermaßen
fördert.24
Gleichzeitig wurde in der Untersuchung deutlich, dass Mädchen
zwar im mathematischen Bereich im Durchschnitt nicht ganz so gut
wie die Jungen abschneiden, aber dass das schlechte Abschneiden
der Jungen im Bereich Lesekompetenz und die festgestellte
Leistungsschwäche der Jungen wirklich besorgniserregend ist. Hier
sind die politischen Entscheidungsträger gefragt entsprechende
Konzepte zu erstellen, welche darauf zielen, die Differenzen
zwischen den Geschlechtern zu überwinden. „Eine Erhöhung der
Freude am Lesen bei Jungen und der Förderung des
Selbstkonzeptes in Mathematik bei Mädchen bleiben unerlässlich,
wenn gewährleistet werden soll, dass alle Schülerinnen und
Schüler ihr Potential voll ausschöpfen.“25
23
vgl. ebenda S. 151
24
vgl. S. 159 f.
25
ebenda S. 160
16
3 Sozialisation von Jungen und Mädchen
Die Sozialerziehung von Jungen und Mädchen erfolgt primär in der
Familie. In diesem Erfahrungsumfeld wird vorgelebtes
Rollenverhalten modellhaft erlebt und erlernt. „Die Eindrücke der
Kindheit sind von besonderer Intensität und daher entscheidend für
alle späteren Interaktionsprozesse, also auch für das Verhalten von
Mann und Frau, bzw. zwischen Mann und Frau.“26
3.1 Außerschulische Jungensozialisation
Seit fast 20 Jahren stehen Mädchen und ihre Lebensumstände im
Mittelpunkt geschlechtsdifferenter Forschung, insbesondere
geschlechtsdifferenter Schulforschung. Nun werden die Stimmen
lauter, die auch auf die Sorgen, Nöte und Probleme in der
Sozialisation von Jungen hinwiesen. In diesem Zusammenhang
stellt Penelope Leach, britische Entwicklungspsychologin fest, dass
Mädchen früher in fast allen Bereichen die Benachteiligten waren.
Diese Situation habe sich aber inzwischen umgekehrt.27 Barney
Brawer, Leiter des Projektes „Frauen-Psychologie, Jungen
Sozialisation und Kultur der Männlichkeit“ sieht die Jungen in einer
Krise und kommentiert diese folgendermaßen: „Vor unseren Augen
spielt sich eine ungeheure Krise von Männern und Jungen ab, ohne
dass wir sie sehen. Es hat weitreichende Verschiebungen in der
Plattentektonik der Geschlechter gegeben; alles, was wir für wahr
gehalten haben, muss überprüft werden.“28
Einen Ausschnitt dessen, was Jungen während der Zeit des
Heranwachsens erleben und mit welchen Dingen sie sich unter
26
Emrich, Franziska: Reflexive Koedukation im Projekt „Soziales Lernen“ an
einer Schule mit dem Förderschwerpunkt lernen; Internetseminar, AG 3
27
vgl. Geliebte Jungs? http//www. pappa. com/emanzi/foccb 98.htm vom
02.11.2001
28
Kucklick, Christoph: Neuer Mann - Was nun? In: GEO Wissen, August 2000,
S. 46
17
Umständen auseinandersetzen müssen, werde ich in diesem
Kapitel darstellen.
3.1.1 Jungen und ihre Mütter
Für Jungen wie für Mädchen ist das erste Liebesobjekt29 im Leben
die Mutter. In der ersten Zeit des Lebens werden Lustgefühle aber
auch Enttäuschungen mit ihr verbunden. Die Beziehung zwischen
Mutter und Kind ist durch Schwangerschaft, Geburt und eventuelles
Stillen leiblich begründet. Selbst wenn sich Väter sehr um die
Beziehung zu ihrem Kind bemühen, bleibt die frühe Mutter-KindBeziehung etwas Besonderes. Diese Liebe, die der tiefen
Sehnsucht des Kindes entspricht, ist an keine Bedingungen
geknüpft. „Eine Mutter liebt ihr Kind, allein weil es ihr Kind ist, und
nicht weil es bestimmten Voraussetzungen entspricht oder
bestimmte Erwartungen erfüllt.“30 Wenn Fromm hier von der
mütterlichen Liebe spricht, so spricht er von „Idealtypen“ im Sinn
von Max Weber oder von Archetypen im Jung´schen Sinn. Er will
damit nicht behaupten, dass alle Mütter auf diese Weise lieben. Ist
das Kind in dem Alter der Loslösung von der Mutter, verläuft dieser
Prozeß geschlechtsspezifisch.
Jungen stellen während des Loslösungsprozesses fest, dass sie
anders als ihre Mütter sind. Laut Sigrid Günzel bedeutet das Ende
der symbiotischen Phase für einen Jungen, „dass er im zarten Alter
einem Identitätsbruch ausgesetzt ist und sich genötigt sieht, alle
29
Anmerkung: Gegen Ende des 1. Jahres trifft das Kind „eine gefühlsbetonte
Objektwahl“ (Freud), d.h. das Kind wendet seine Gefühle solchen Menschen zu,
die ihm wegen ihrer Führsorge u.s.w. angenehm sind. Von unangenehmen
Furcht und Unlust erregenden Menschen wendet es sich ab. In dieser Phase
beginnt das Kind auch, sich selbst als Ursache von Erfolg und Misserfolg zu
empfinden. Vgl. Dorsch, Friedrich: Psychologisches Wörterbuch/Dorsch,11.
Ergänzte Auflage. Bern; Stuttgart; Toronto, Huber 1987
30
Fromm, Erich: Die Kunst des Liebens, Frankfurt/M. 1981; S. 52
18
seine Energie zum Aufbau einer neuen Identität zu verwenden.“31
Mädchen hingegen verändern ihre enge Beziehung zur Mutter,
indem sie sich mit ihr identifizieren. Mädchen stellen fest, dass sie
wie ihre Mütter sind. Laut Carol Hagemann-White findet der Junge
seine geschlechtliche Identität durch die Abgrenzung von seiner
Mutter. „Diese ihm am nächsten stehende Erwachsene ist das, was
er nicht sein darf, um ein Mann zu werden. So wird sein Geschlecht
als Nicht-nicht-Mann bestimmt.“32 Um sich selbst zu definieren,
versucht sich der Junge von seiner Mutter abzugrenzen. Da die
Mutter viel mächtiger ist als ihr Sohn, stürzt sich dieser „auf die
wahrhaften Rollenangebote einer patriarchalischen Gesellschaft
und verwandelt sich in einen Polizisten, einen Soldaten oder einen
Cowboy. Je weniger ihm einfällt, sich gegen seine Mutter zu
behaupten und je weniger Möglichkeiten er weiß, um sich in seiner
Geschlechtlichkeit zu empfinden, um so eher wird er auf die Idee
kommen, seine Mutter und das Weibliche überhaupt abzuwerten.“33
Die engste Beziehung, die ein Junge zu einer Frau hat, ist in der
Regel die Mutter. So glaubt er, dass andere Frauen auch so seien
wie sie und sich ebenso behandeln lassen wie die Mutter. Vor
diesem Hintergrund weißt Astrid Kaiser (Professorin am Institut für
Erziehungswissenschaften in Oldenburg) darauf hin, dass Mütter
sich gegenüber ihren Söhnen Achtung verschaffen müssen, um
damit einen Grundstein für ein positives Verhältnis des Jungen zum
weiblichen Geschlecht zu legen.34 Zwangsläufig ist damit die
Selbstachtung der Mutter verbunden. Hat eine Mutter ein negatives
Selbstbild, wird auch ihr Sohn sie vermutlich nicht sehr achten.
31
Günzel, Sigrid: Ava und Edam. In: Psyche 3/1989, S. 223; zitiert nach:
Schnack, Dieter und Rainer Neutzling: Kleine Helden in Not, Reinbek 2. Auflage
2001, S. 18
32
Hagemann-White, Carol, In: Sozialisation Weiblich-männlich?, Opladen 1984,
S. 92
33
Schnack, Dieter /Neutzling, Rainer. In: Kleine Helden in Not, Reinbeck 2.
Auflage Oktober 2001, S. 18/19
34
vgl. Kaiser, Astrid: Hilfe mein Sohn soll kein Macho werden, München 1999,
S. 10
19
3.1.2 Die Bedeutung des Vaters für die Sozialisation von
Jungen
Die Beziehung eines Kindes zum Vater ist von einer anderen Art als
die Mutter-Kind-Beziehung. Da sie nicht leiblich begründet ist,
verkörpert der Vater nicht solch eine „natürliche Heimat“, wie Erich
Fromm sie nennt. Der Vater verkörpert die Welt von draußen, wo
wichtige Aufgaben auf ihn warten. „Aber während der Vater die
natürliche Welt nicht repräsentiert, verkörpert er den anderen Pol
der menschlichen Existenz: die Welt des Denkens, die Welt der von
Menschen geschaffenen Dinge, Gesetz, Ordnung und Disziplin,
und die Welt der Reisen und Abenteuer. Der Vater ist derjenige, der
das Kind lehrt, der ihm den Weg in die Welt weist.“35
Im Zuge steigender Ehescheidungszahlen wachsen mehr und mehr
Kinder vaterlos auf; denn in der Regel leben nach der Trennung die
Kinder fortan bei der Mutter. Da sich Jungen mit ihrem Vater
identifizieren wollen, um ihre eigene Männlichkeit zu erfahren,
verlieren Jungen mit einer Ehetrennung nicht nur einen geliebten
Menschen, sondern auch ein wichtiges männliches Vorbild. Die
positive Bedeutung des Vaters für das Gefühlsleben von Kindern ist
inzwischen unumstritten. Jedoch gibt es unterschiedliche Ansichten
darüber, von welchem Kindesalter an der Vater für das Kind
bedeutungsvoll wird und wieviel Väterlichkeit das Kind für ein
gesundes und glückliches Heranwachsen benötigt.
Laut klassischer Analyse gewinnt der Vater erst im dritten
Lebensjahr seines Kindes an Bedeutung. In den Augen der
Psychoanalyse dient er dann nicht nur als Identifikationsobjekt,
sondern wird auch als Rivale um die Gunst der Mutter empfunden.
Steve Biddulph (australischer Psychologe und Familientherapeut)
räumt hingegen den Jahren vom sechsten bis zum dreizehnten
Lebensjahr eine besondere Bedeutung ein. In diesen Jahren
35
Fromm, Erich: die Kunst des Liebens, Frankfurt/M. 1981, S. 53-54
20
würden Jungen ein starkes Interesse am Mannsein zeigen,
wodurch der Vater zur Identifikationsfigur wird. Zwar kann er in den
Jahren zuvor durchaus auch schon viele Funktionen übernehmen,
wichtigste Bezugsperson sei er jedoch, so Biddulph, im Alter vom
sechsten bis zum dreizehnten Lebensjahr seines Sohnes.36
Auch Erich Fromm räumt dem Vater nach dem sechsten
Geburtstag seines Kindes zunehmende Bedeutung ein. „Nachdem
es sechs Jahre alt geworden ist, braucht es allmählich auch die
Liebe des Vaters, seine Autorität und Lenkung. Die Mutter hat die
Funktion, ihm die Sicherheit im Leben zu geben, der Vater hat die
Funktion, es zu lehren und anzuleiten, damit es mit den Problemen
fertig wird, mit denen die Gesellschaft, in die das Kind
hineingeboren wurde, es konfrontiert.“37
Andere Ansätze zeigen, dass Väter schon sehr viel früher für ihre
Kinder wichtig sind. Schon früh können Säuglinge zwischen Vater
und Mutter unterscheiden, und ein Vater, welcher sich sehr um sein
Kind bemüht, wird schon in den erste Monaten eine enge
Beziehung zu seinem Kind aufbauen können. Doch wie steht es um
die Zeit, die sich Väter für ihre Kinder in unserer Gesellschaft
nehmen? Alexander Mitscherlich warnte Anfang der sechziger
Jahre vor dem „Weg in die vaterlose Gesellschaft.“38 Seither hat
sich zwar die Regelarbeitszeit drastisch verringert, doch nach wie
vor konzentrieren sich Väter in Deutschland im wesentlichen auf
ihren Beruf. Die Zahl der Männer, die den Erziehungsurlaub
wahrnehmen, hat sich zwar von 1,5 % in 1987 inzwischen
verdoppelt, doch immer noch ist diese Zahl verschwindend gering.
Anders ist dies beispielsweise in Norwegen. Dort nehmen 80 %
36
vgl. Biddulph, Steve: Jungen! Wie sie glücklich heranwachsen, München 4.
Auflage 2001, S. 19/20
37
Fromm, Erich: ebenda, S. 54-55
38
Mitscherlich, Alexander: Auf dem Weg in die vaterlose Gesellschaft. Piper-
Verlag 1963
21
aller Väter mindestens vier Wochen Kinderpause und 13 % aller
Norweger gehen in einen längeren Erziehungsurlaub, mit
steigender Tendenz.39
Fragt man Jugendliche nach ihren Zukunftsplänen, kommt in der
Lebensplanung männlicher Jugendlicher der Berufswunsch
„Hausmann“ so gut wie nie vor. Die Tatsache, dass Väter in ihren
Familien nur selten präsent sind, und somit für ihre Söhne nicht
greifbar zur Verfügung stehen, ist für Jungen besonders
problematisch, da sie ihren Vater zur Identifikation brauchen, um ihr
eigenes Geschlecht zu finden und um die enge Beziehung zur
Mutter mit seiner Hilfe leichter lösen zu können.40 Ist jedoch kein
Vater verfügbar, sucht sich der Junge andere männliche Vorbilder.
Nicht selten sind diese Vorbilder dann Fernsehhelden. Dies bringt
jedoch durchaus Gefahren mit sich. In diesem Zusammenhang
schreibt Astrid Kaiser: „Fernsehhelden sind meist recht
eindimensional gezeichnet. Sie haben wenige, aber dafür markante
Charakterzüge und selten die Schwächen eines Menschen aus
Fleisch und Blut. Es sind Idealbilder, denen nachzueifern meist nur
Frust und Realitätsverlust bringt.“41 Auch vermitteln Film und
Fernsehen in der Regel althergebrachte Geschlechterrollen.
Mädchen in Hauptrollen sind dort selten zu finden. „Die wahren
Abenteuer, die Schwierigkeiten, aber auch der Erfolg sind für die
Jungen reserviert.“42 Dazu kommt, dass für Kinder bis zum
Grundschulalter nicht klar erkennbar ist, was im Fernsehen Realität
ist und was Fiktion sein soll.
39
vgl. Kucklick, Christoph: Neuer Mann – was nun? In: GEO-Wissen, August
2000, S. 50
40
vgl. Schnack, Dieter und Rainer Neutzling: Kleine Helden in Not, Reinbek
2001, S. 34
41
Kaiser, Astrid. In: Mein Sohn soll kein Macho werden, München 1999, S. 37
42
Fröhlich, Linde: Die wahren Abenteuer erleben die Jungen. In: Brenner, Gerd
und Franz Grubauer (Hrsg.): Typisch Mädchen? Typisch Junge?, Weinheim
1991, S. 120
22
Auch Walter Rustika, Schulpsychologe an einer Bremer
Grundschule, betont die Bedeutung der Vaterfigur für Jungen, an
der diese sich „abarbeiten“ können. Müssen Fernsehhelden als
männliches Vorbild dienen, berge das, so Rustika, möglicherweise
Probleme von Gewalt und Aggression.43 Dabei bedarf es gar nicht
viel Bevaterung um eine positive Wirkung auf das Kind
festzustellen. Laut Michael Rotmann braucht der Vater „nur minimal
im Alltagsleben des Kleinkindes und nur minimal an der direkten
Pflege beteiligt zu sein, um doch ein spezifisches Bindungsobjekt
für das Kind zu werden.“44 Für das Fehlen des Vaters gibt es
inzwischen einige wissenschaftliche Beweise. „Jungen, die ohne
Vater aufwachsen, sind – statistisch betrachtet - häufiger
gewalttätig, geraten öfter in Schwierigkeiten, fallen in der Schule
durch schlechtere Leistungen auf und schließen sich häufiger
Teenagergangs an.“45 Auch William Galston und Elaine Kamarck,
zwei amerikanische Soziologen, die unter anderem für Bill Clinton
tätig waren, heben die Bedeutung der Anwesenheit des
(vorzugsweise) biologischen Vaters hervor. So behaupten sie, „die
Beziehung zwischen Vater im Haus und Verbrechen ist so stark,
daß sie die Beziehung zwischen Rasse und Verbrechen und
niedrigem Einkommen und Verbrechen auslöscht.“46 Galton und
Kamarck sehen in der „Zwei-Eltern-Familie“ die effektivste Form
Jungen zu stärken und jungenspezifischen Problemen
entgegenzuwirken.
Selbst auf den Verlauf von Krankheiten soll die Anwesenheit des
Vaters Einfluß haben. So beschreibt Steve Biddulph den Fall eines
43
vgl. taz-Bremen: Die Schulhofsattraktion, Nr. 5930 vom 4.9.1999, S. 31
44
Rotmann, Michael: Die Rolle des Vaters im Leben des kleinen Kindes. In:
Schnack, Dieter/ Neutzling, Rainer (Hrsg.): Kleine Helden in Not, Reinbeck
2. Auflage, Oktober 2001, S. 28
45
Biddulph, Steve: Jungen! Wie sie glücklich heranwachsen. München 2000,
S. 110
46
Focus: Der Geschlechterkampf 27.07.1998, S. 134-137
23
achtjährigen Jungen der an dem Hyperkinetischen Syndrom litt.
Sein Vater, der Lastwagenfahrer war, war ständig unterwegs und
hatte wenig Zeit für seinen Sohn. Mit der Krankheit des Jungen
änderte sich die Einstellung des Vaters zu diesem. Wann immer es
möglich war, begleitete der Sohn seinen Vater bei der Arbeit. Auch,
wenn der Vater am Wochenende seine Freunde traf, nahm er fortan
immer seinen Sohn mit. Nach wenigen Monaten wurde der Junge
ruhiger, entspannter und seine Konzentrationsstörungen
verschwanden. Die medikamentöse Behandlung mit dem
Psychopharmakon Ritalin konnte abgesetzt werden. Biddulph will
mit dieser Fallbeschreibung nicht behaupten, dass sämtliche Fälle
des Hyperkinetischen Syndroms auf mangelnde Bevaterung
zurückzuführen sind, doch teilweise sei dies tatsächlich der Fall.47
Auch berichtet Biddulph von einem Jungen, dessen Vater acht
Monate im Jahr beruflich unterwegs war. Der Junge wurde mit
Abwesenheit des Vaters regelmäßig aus unersichtlichen Gründen
krank und wurde infolge dessen sogar auf Intensivstationen
eingewiesen. Kam sein Vater überstürzt zurück, wurde der Sohn
schnell wieder gesund. Der Vater änderte nun sein Leben, mit dem
Erfolg, dass sein Sohn nicht mehr psychosomatisch erkrankte.48
3.1.3 „Der Mythos der männlichen Überlegenheit“49
Erziehung geschieht in der Regel unbewußt. So werden viele
Verhaltensweisen von Generation zu Generation weiter gegeben.
Auf diese Weise verfestigen sich Rollen- und Geschlechterbilder in
den Köpfen der Menschen. Zwar gibt es in der ersten Lebenszeit
keine geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Entwicklung von
Kindern, doch Interpretationen, die ein Verhalten des Kindes mit
seinem Geschlecht in Verbindung bringen, sind allgegenwärtig. Je
47vgl.
Biddulph, Steve: Jungen! Wie sie glücklich heranwachsen. München 2000,
S. 28/29
48
vgl. ebenda, S. 20
49
Schnack, Dieter und Rainer Neutzling: Kleine Helden in Not, Reinbek 2001, S.
38
24
nach dem welchem Geschlecht ein Säugling angehört und was
Eltern von diesem Geschlecht erwarten, wird das Kind schon in den
ersten Lebensmonaten von seinen Eltern entsprechend behandelt.
„Eltern verstärken meist automatisch die Handlungen bei ihren
Kleinkindern, die sie für gut und entwicklungsgerecht halten. Wenn
sie sich unter einem Mann immer noch den starken Helden
vorstellen, werden sie ihren Sohn zumindest unbewußt mit dieser
Erwartung prägen. Gerade Väter haben die Tendenz, von ihren
Söhnen ein besonders klares geschlechtsspezifisches Verhalten zu
verlangen. Sie sind stolz darauf, wenn ihr Sohn eigensinnig, ja
sogar trotzig ist und werten das als Zeichen männlichen
Selbstbewußtseins.“50
Insofern hat Erziehung auch etwas „unzeitgemäßes“, wie Dieter
Schnack und Rainer Neutzling feststellten. Eltern erziehen ihre
Kinder nicht nur auf der Grundlage neuester Erziehungsbücher,
sondern in erster Linie nach Erziehungsmustern, die ihnen bereits
ihre Eltern und Großeltern vermittelten. Nach wie vor müssen
Jungen überlegen sein und sich durchsetzen können. Ängste
dürfen sie nicht zeigen und ein zaghaft vorsichtiges Verhalten
erwartet man von ihnen nicht. Für den Berufsweg erwarten sich
Eltern von ihren Söhnen nach wie vor mehr als von ihren Töchtern.
Auch soll der Junge in den Augen der Eltern nicht zu weich sein,
denn sonst würde er im erwachsenen Alter u.U. in der Männerwelt
nicht bestehen.51 Zwar sind auch die Zukunftspläne der Eltern
bezogen auf ihre Töchter in den letzten Jahrzehnten umfangreicher
geworden, doch wenn diese Pläne, aus welchen Gründen auch
immer, nicht umgesetzt werden können, steht den Mädchen noch
immer die Mutterrolle zur Verfügung. Jungen werden auch in der
heutigen Zeit auf ein Leben als allein verdienendes
Familienoberhaupt vorbereitet. Sie sollen möglichst auch dafür
sorgen, dass die Familie sozial aufsteigt, oder zumindest den
50
Kaiser, Astrid: Mein Sohn soll kein Macho werden, München 1999, S. 21-22
51
vgl. Schnack, Dieter und Rainer Neutzling: Kleine Helden in Not, Reinbek 2001
25
sozialen Standard hält. Um ein „richtiger Mann“ zu werden, müssen
Jungen Schwächen verdrängen. „Die Überkompensation von
Schwächegefühlen wird als normales männliches Verhalten
dargestellt. ( ... ) Schon früh lernen Jungen, Angst zu vermeiden, zu
verdrängen und zu überspielen. Der Mythos des angstfreien Helden
gehört schon unter Vierjährigen zum gesicherten Wissen über das
Wesen des Mannes. Viele Jungen sind mit diesem Konzept von
Männlichkeit überfordert.“52 Anstatt Jungen beizubringen wie man
Schwächen, Ängsten und Unzulänglichkeiten sinnvoll begegnen
kann, lernen Jungen Sorgen und Probleme zu überspielen und
Ängste zu verstecken. Laut Ulrike Schmauch fangen Jungen mit
ungefähr drei Jahren an, wildes und aggressives Verhalten an den
Tag zu legen. Dabei Bewegen sie sich mehr und mehr
raumgreifend.53 Traurige und ängstliche Gefühle werden hier in
Bewegung und Aktivität umgewandelt. Hinter dem
raumbeherrschenden Verhalten der Jungen steckt also in
Wirklichkeit eine Angstreaktion. Haben Jungen in einer
Gruppensituation Angst, laufen sie viel herum und machen Lärm.
Mädchen hingegen verhalten sich in vergleichbaren Situationen
ruhig und zurückhaltend. „Jungen treten nach außen hin forsch auf,
um ihre Angst zu verbergen. Erst wenn jemand eindeutig der Chef
ist, können sie sich entspannen.“54 Tritt der Erzieher freundlich auf,
wird das „Machogehabe“ abgelegt und bereitwillig gelernt.
Jungen und Mädchen gehen mit ängstlichen und hilflosen Gefühlen
unterschiedlich um. Während Mädchen um Hilfe bitten und
ängstliche Gefühle artikulieren können, tun Jungen ihre
Hilfsbedürftigkeit durch disziplinloses Verhalten kund. In der Praxis
52
Neutzling, Rainer und Dieter Schnack: Jungs sind halt so! Wirklich? In:
Brenner, Gerd und Franz Grubauer (Hrsg.), Typisch Mädchen? Typisch Junge?,
Weinheim und München, 1991, S. 134
53
vgl. Schmauch, Ulrike: Anatomie und Schicksal- Zur Psychoanalyse der frühen
Geschlechtersozialisation. Frankfurt/M. 1987
54
Biddulph, Steve, 2001, S. 57
26
werden Jungen, die undiszipliniertes Verhalten an den Tag legen,
häufig mit Distanz behandelt und isoliert. Die Hilfe, die sie dringend
bräuchten, wird ihnen nur selten geboten. Männliche Vorbilder wie
Väter, aber auch männliche Lehrer oder Sporttrainer könnten durch
einfühlsames Verhalten für viele „schwierige“ Jungen eine große
Hilfe darstellen.55
3.1.4 Die physische und psychische Verfassung von
Jungen
In unserer Gesellschaft hat das Bild vom starken, gesunden,
durchsetzungsfähigen und unverwüstlichen Jungen nach wie vor
bestand. Dieses Bild steht jedoch häufig mit der Realität nicht im
Einklang. Durch ihren Reifevorsprung um durchschnittlich zwei bis
drei Wochen zum Zeitpunkt der Geburt, sind die
Überlebenschancen für Mädchen in der ersten Lebenswoche ca. 30
% höher als die der Jungen. Auch bei der Beurteilung der
Atembewegung, Pulsschlag, Grundtonus der Muskeln, Aussehen
und Reflexerregbarkeit mit Hilfe des APGAR-Schemas nach der
Geburt, erzielen Mädchen bessere Werte. Die Ursachen für diese
geschlechtspezifischen Unterschiede sind nach wie vor unklar.
Offensichtlich ist jedoch, dass Jungen größere Schwierigkeiten
haben, sich nach der Geburt an die neue Umgebung anzupassen.
Bis zum Jugendalter lässt sich klar feststellen, dass Jungen, im
Vergleich zu Mädchen, über eine deutlich schwächere körperliche
Konstitution verfügen. Dies belegen die Untersuchungen (U1-U9),
die bei Kindern von der Geburt an bis zum 64. Lebensmonat
durchgeführt werden. Bei den Krankenhausaufenthalten liegen
Jungen deutlich vor den Mädchen. So wurden 1997 rund 70.000
Jungen (bis 15 Jahre) mehr als Mädchen stationär behandelt.56
Dabei standen Verletzungen im Vordergrund. Die Sterblichkeitsrate
liegt bei Jungen deutlich höher als bei Mädchen.
55
vgl. Biddulph, Steve: Jungen wie sie glücklich heranwachsen, München 2001
56
vgl. Schnack, Dieter /Neutzling, Rainer: Kleine Helden in Not, Reinbek 2001,
S. 123
27
Todesursachen von Kindern und Jugendlichen bis 20 Jahre 1997
Todesursache
Jungen : Mädchen
Krankheiten der Atmungsorgane
1,5:1
Krankheiten des Kreislaufsystems
1,6:1
Psychiatrische Krankheiten und des Nervensystems 1,9:1
Bösartige Neubildungen
1,4:1
Verletzungen
2,6:1
Darunter:- Verbrennungen
2,7:1
- Selbstmord
3,8:1
- Unfälle
2,7:1
(Quelle: Bundesamt für Statistik- Jahrbuch 1999; in: Schnack,
Dieter / Neutzling, Rainer: Kleine Helden in Not, Reinbeck 2.
Auflage Oktober 2001, S. 124).
Jungen sind nicht nur konstitutionell schwächer als Mädchen,
sondern häufig auch leichtsinniger, wodurch sie oftmals in
gefährliche Situationen geraten. Ihr Unvermögen sich
beispielsweise angemessen im Straßenverkehr zu verhalten, kostet
vielen Jungen das Leben. So kamen beispielsweise 1997 in
Deutschland „im Vergleich zu 1.000 Jungen 380 Mädchen durch
Unfälle im Straßenverkehr ums Leben.“57 Auch die Selbstmordrate
liegt bei Jungen wesentlich höher als bei Mädchen. 1997 starben
265 Jungen an einem Suizid, im Vergleich zu 69 Mädchen. Jedoch
kommen auf einen vollendeten Suizid 10-40 Suizidversuche, die
häufig von Mädchen verübt werden.58 Diese geschlechtspezifische
Suizidrate bleibt im Erwachsenenalter nahezu konstant. Schulische
Probleme führten 1997 dazu, dass 40.701 Jungen im Vergleich zu
18.104 Mädchen im Alter von 6-18 Jahren in Kinder- und
Jugendberatungsstellen vorstellig wurden. Auch andere Ursachen
57
ebenda S. 125
58
vgl. ebenda S. 125
28
führten dazu, dass Jungen 1997 in Beratungsstellen deutlich
häufiger anzutreffen waren.
Jungen : Mädchen
Entwicklungsauffälligkeiten:
43.438 : 23.386
Beziehungsprobleme
46.318 : 35.732
Trennung der Eltern
25.557 : 20.511
Straftaten
3.463 :
921
( Kinder und Jugendliche von 12-18 Jahren)
(Quelle: ebenda S. 130).
Auffallend ist, dass 1997 zwar mehr Jungen in Kinder- und
Jugendberatungsstellen anzutreffen waren, eine Kontaktaufnahme
zur Beratungsstelle, wenn sie denn von dem Jugendlichen selbst
ausging, aber deutlich häufiger von Mädchen gesucht wurde. Erst
in der Altersgruppe von 15-18 Jahren sind Mädchen in Kinder- und
Jugendberatungsstellen in der Überzahl. Mit dem Gesetz geraten
Jungen häufiger als Mädchen in Konflikt. Dabei stehen Straftaten
im Straßenverkehr, insbesondere im Zusammenhang mit Alkohol
im Vordergrund. Auch schwere Straftaten mit körperlicher Gewalt
werden in der Regel von Jungen verübt. So kommt es, dass im
Jugendstrafvollzug vierzig mal mehr Jungen als Mädchen zu finden
sind.59
Auch wenn Jungen von vielen Erkrankungen und
Verhaltensauffälligkeiten scheinbar häufiger betroffen sind, ist dies
noch kein Beleg dafür, dass es den Jungen in unserer Gesellschaft
grundsätzlich schlechter als den Mädchen geht. Unter Umständen
lässt sich dies jedoch als Zeichen werten, dass Mädchen und
Jungen unterschiedliche Bewältigungsstrategien für Konflikte
haben. So könnte man die Tatsache, dass Jungen und Männer
zwar häufiger an einem Selbstmordversuch sterben, Mädchen und
59
vgl. ebenda
29
Frauen aber wesentlich öfter einen Selbstmordversuch
unternehmen, als „Hilferuf“ von Seiten der Mädchen bzw. Frauen
interpretieren. Um Hilfe zu bitten ist mit dem weiblichen
Rollenverständnis eher zu vereinbaren als mit dem männlichen. Die
Tatsache, dass Mädchen häufiger von sich aus den Kontakt zu
Beratungsstellen suchen, könnte auch für diese These ein Beleg
sein.60
Jungen neigen eher zu auffälligen „extraversiven Störungen“
(beispielsweise Hyperaktivität und aggressives Sozialverhalten),
Mädchen hingegen zu unauffälligen „intraversiven Störungen“ (wie
Depressionen und Essstörungen).61 Manfred Laucht konnte bereits
bei zweijährigen eine geschlechtspezifische Konfliktverarbeitung
feststellen. So trugen zweijährige Jungen ihre Konflikte häufiger
„nach außen“, Mädchen hingegen eher „nach innen.“62 Ab dem
fünfzehnten Lebensjahr verfügen laut Gesundheitsstatistik die
Jungen, im Vergleich zu den Mädchen über eine stärkere
körperliche Konstitution. Von nun an tauchen Mädchen auf Grund
von Essstörungen, Depressionen und emotionalen Störungen, wie
Ängstlichkeit und Kontaktscheu, häufiger in der Gesundheitsstatistik
auf. Bei den männlichen Jugendlichen werden die emotionalen
Störungen seltener. Statt dessen kommt es von nun an bei ihnen
vermehrt zu Alkoholmissbrauch und Gewalttätigkeiten.63 In diesen
60
vgl. ebenda
61
vgl. Döpfner, Manfred u.a.: Die psychopathologische Beurteilung von Kindern
und Jugendlichen in vier kinder- und jugendpsychiatrischen
Inanspruchnahmeproben. In: Praxis der Kinderpsychiatrie; Nr. 46, S. 548-565,
1997
62 Laucht,
Manfred u.a.: Verhaltensauffälligkeiten bei Säuglingen und
Kleinkindern. In: Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Nr. 20, S. 28,
1992, zitiert nach: Schnack, Dieter und Rainer Neutzling: Kleine Helden in Not,
Reinbek 2. Auflage 2001, S. 136
63
vgl. Schepank, Heinz: Psychogene Erkrankungen der Stadtbevölkerung, Berlin
1987, S. 182 f.
30
Auffälligkeiten zeigt sich auch eine Hinwendung zum
„Männlichkeitsmythos“, denn Alkoholkonsum und Gewalt gehören
unter anderem auch zu diesem Mythos.
Fraglich ist jedoch, ob Gesundheitsstatistiken den tatsächlichen
Gesundheitszustand von Männern und Frauen in unserer
Gesellschaft widerspiegeln. So könnte es beispielsweise sein, dass
Männer weniger bereit sind Hilfe beim Arzt in Anspruch zu nehmen
und erst mit fortgeschrittenem Krankheitszustand einen Arzt
aufsuchen.
„Wenn Männer einen Arzt aufsuchen, dann nur mit einem klar
umrissenen Organbefund. Bei „Befindlichkeitsstörungen“ wie
Ungeduld Hast, Ruhelosigkeit, Anspannung, Gereiztheit und
Aggressivität, wenden sie sich eher an ihre Frau als an eine
medizinische Einrichtung.“64 Jörg Kupfer, Hildegard Felder und
Elmar Brähler konnten feststellen, dass sich bei jugendlichen
Jungen das Verhältnis zu ihrem Körper ändert und zwar „weg vom
Gefühl hin zur Versachlichung:“65
Die Autoren stellten unter anderem fest, dass Jungen bis zum elften
Lebensjahr fast genauso viel weinen wie Mädchen. Dies ändert sich
jedoch bis zum erwachsenen Alter enorm. Es ist anzunehmen, dass
Jungen in diesen Lebensjahren lernen, dass Weinen nicht mit ihrem
männlichen Rollenverständnis zu vereinbaren ist. Da Jungen in
ihrer Jugend vermutlich nicht weniger Probleme haben als
Mädchen, ist es naheliegend, dass sie mit Sorgen und Nöten fortan
anders umgehen als Mädchen dies tun.66
64
Schnack, Dieter / Neutzling, Rainer: Kleine Helden in Not, Reinbek 2001, S.
137
65
Kupfer, Jörg / Felder, Hildegard / Brähler, Elmar: Zur Genese
geschlechtsspezifischer Somatisierung. In: Brähler, Elmar u. a. (Hg.):
Weiblichkeit, Männlichkeit und Gesundheit. Medizinpsychologische und
psychosomatische Untersuchungen. Opladen 1992, S. 170 f.
66
vgl. ebenda
31
3.2 Jungen und Mädchen im Kindergarten
3.2.1 Studie von Lilian Fried
Wie werden Jungen und Mädchen in vorschulischen Institutionen
erzogen? Trifft die Behauptung, dass Jungen gegenüber Mädchen
begünstigt werden, wie dies im schulischen Bereich sein soll,
bereits auf den Kindergarten zu? Diese Frage stellte sich Lilian
Fried, als sie die Stuhlkreisgespräche zwischen drei Erzieherinnen
und 78 Kindergartenkindern in einem Landkindergarten analysierte.
Lilian Fried zeichnete die Gespräche mit der Videokamera auf und
verschriftlichte sie. Die Gesprächstexte wurden unter anderem
unter folgenden sprachentwicklungsbedeutsamen Aspekten
analysiert: Modell und Chancen. Im Mittelpunkt der Gespräche
standen Bilderbuchbetrachtungen oder Sprachspiele.
Nach der ersten groben Analyse wurde festgestellt, dass die
Erzieherinnen die Gespräche stark lenkten und dabei die Jungen
und Mädchen in gleicher Weise behandelten. Mädchen und Jungen
wurden genauso häufig angesprochen und sie trugen genauso viel
zum Gespräch bei.
Sprechchancen:
Nachdem die Daten nochmals mit feineren Analysemethoden
geprüft wurden, stellte Lilian Fried fest, dass es durchaus
Teilgruppen von Mädchen oder Jungen gab, deren Sprechchancen
nicht denen anderer Kinder entsprachen. So stellten beispielsweise
Mädchen aus der Unterschicht eine Subgruppe dar. Sie wurden
seltener in das Gespräch eingebunden, da sie vermutlich sprachlich
weniger kompetent waren. Nachdem eine quantitative Analyse von
32
Gesprächen nicht alle Strukturen enthüllen kann, wurden die
Aufzeichnungen qualitativ untersucht. Zu diesem Schritt wurde
Fried durch amerikanische Untersuchungsergebnisse animiert, die
feststellten, dass schon in Gesprächen im Kindergarten Jungen
mehr Beachtung geschenkt wird als Mädchen. Nun wurden die
Stuhlkreisgespräche inhaltlich betrachtet. „Es wurde also ganz
konkret geprüft, ob in den auf Kinder bezogenen
Sprachäußerungen Mädchen und Jungen verschieden oft
angeredet bzw. zum Gesprächsinhalt gemacht werden.“67 Bei der
Analyse der Gespräche fiel auf, dass Jungen vier längere
Gesprächsphasen hatten, hingegen nur einem Mädchen ein
größerer Gesprächsabschnitt zukam. Lilian Fried bekam den
Eindruck dass, „wenn erst einmal ein Junge im Mittelpunkt des
Gesprächs steht, die Chance für die anderen Jungen wächst, die
Aufmerksamkeit der Erzieherinnen auf sich zu ziehen. (.....) Sobald
ein Junge im „Scheinwerferlicht“ des Gespräches steht, scheinen
die Mädchen für die Erzieher eher in den Schatten zu treten.68 Von
den Erziehern wurden die Jungen in den Gesprächskreisen weitaus
häufiger als Referenz gewählt, was eindeutig zu Lasten der
Mädchen ging.
Sprachmodell:
Der Spracherwerb eines Kindes wird durch ein erwachsenes
Sprachmodell, welches auf die Sprachfähigkeit eines Kindes
abgestimmt ist, begünstigt. Vor diesem Wissenshintergrund
untersuchte Fried, ob die drei Erzieherinnen ihre Sprache im
Umgang mit den Kindergartenkindern veränderten. Es konnte
festgestellt werden, dass die Erzieherinnen im Gespräch mit
Erwachsenen längere Sätze sprachen. Die Sätze, die sie an den
Kindergartenkindern richteten, waren durchschnittlich um vier
Wörter kürzer. Nun wurde überprüft, ob eine
67
Fried, Lilian: Werden Mädchen im Kindergarten anders behandelt als Jungen?
In: Zeitschrift für Pädagogik, Heft Nr. 4, 1989, S. 478
68
vgl. ebenda S. 478
33
geschlechtsdifferentielle Vereinfachung der Sprache festzustellen
war. Hierbei zeigte sich, dass die Jungen mit einer Sprache
konfrontiert wurden, die leicht über ihrem eigenen Niveau lag, die
Sprache gegenüber den Mädchen war hingegen weniger komplex
und lag unter dem Sprachniveau der von den Mädchen selbst
geäußerten Sprache. „Den Jungen werden also günstigere
Sprachlernbedingungen bereitet. Dagegen wird den Mädchen mit
einer Sprache begegnet, die unter ihrem eigenem
Komplexitätsniveau lag. Diese unterfordernden
Spracherziehungsprozesse dürfen deshalb kaum die geeigneten
Sprachlernanreitze bieten.69 Die Sprache der untersuchten Jungen
war etwas komplexer als die Sprache der untersuchten Mädchen.
Jedoch lässt sich daraus nicht automatisch schlußfolgern, dass dies
bereits ein Resultat der geschlechtspezifischen Behandlung der
Erzieherinnen ist.
3.2.2 Verbale Kommunikation im Vorschulalter
Schon früh lernen Kinder entsprechend ihres Geschlechtes
unterschiedliche Interaktionsregeln. Im Zusammenhang mit der
verbalen Kommunikation konnte Marianne Engle (1980) feststellen,
dass Kinder beim Sprechen häufiger von ihren Vätern unterbrochen
werden, als von ihren Müttern. Simultan sprechen beide Eltern
häufiger mit ihren Töchtern als mit ihren Söhnen.70 In ihren
Spielgruppen zeigen und lernen Jungen und Mädchen ein
unterschiedliches sprachliches Verhalten. Jungen lernen in
Konkurrenz mit anderen Jungen, in der häufig hierarchisch
strukturierten Spielgruppe, ihren Status mit Hilfe verbaler Mittel zu
erhalten, zu sichern und auszubauen. Häufig verwenden Jungen
69
ebenda S. 481
70
vgl. Engle, Marianne: Family Influences on the Language Development of
Young Children, zitiert nach: Enders-Dragässer, Uta und Claudia Fuchs: Der
heimliche Lehrplan der Geschlechtererziehung in der Schule: am Beispiel der
Interaktionen. In: Prengel, Annedore u.a. (Hg.): Schulbildung und
Gleichberechtigung. Frankfurt/M.: Frauenliteraturvertrieb 1987, S. 192).
34
Handlungsanweisungen wie beispielsweise „Geh weg hier!“ oder
„Halt dein Maul“. Werden in der Gruppe Geschichten erzählt, treten
Jungen bereits sehr dominant auf und erobern das Rederecht.71
Mädchen legen wenig Wert darauf, mit Hilfe von sprachlichen
Äußerungen in ihrer Spielgruppe eine hierarchische Struktur zu
schaffen. Sie sind darauf bedacht gleichberechtigte Beziehungen in
ihrer Gruppe zu schaffen. Handlungsanweisungen sind bei ihnen
selten. Für Aktivitäten machen sie Vorschläge, wobei sie sich dabei
selbst mit einbeziehen. Mädchen sagen zum Beispiel: „Wir können
verstecken spielen“ oder „Laßt uns mit dem Hund spazieren
gehen“. Konflikte werden von ihnen gelöst, ohne dirigierend oder
autoritär zu wirken. Handlungsanweisungen begründen sie mit Hilfe
von sachlichen Kriterien, wobei die Vorteile für die gesamte Gruppe
dargestellt werden. Üben sie Kritik an Gruppenmitgliedern,
versuchen sie diese akzeptabel zu vermitteln. Bei einer
gemeinsamen Aufgabe versuchen sie diese gemeinsam zu lösen
und nicht untereinander zu konkurrieren, wie Jungen dies häufig
tun.72
3.3 Jungen in der Schule
Die Disziplinlosigkeit von Jungen im Unterricht bereitet vielen
Lehrern und Lehrerinnen Kopfzerbrechen. Franz Frimmersdorf
(Berufsschullehrer und Mitarbeiter der Arbeitsstelle „Erziehung zur
Gleichberechtigung“ im Hessischen Landesinstitut für Pädagogik)
klagt beispielsweise, dass Jungen häufig das Sozialklima stören
und durch „negative Kommentare zu den Beiträgen anderer“
auffallen.73 Für interessierte Lehrerkollegen hat Frimmersdorf einen
„Arbeitskreis Jungen“ ins Leben gerufen. Auch seine Kolleginnen
71
vgl. Goodwin, Majorie, H.: Directive-Response Speech Sequences in Girl’s and
Boy’s Task Activities, zitiert nach: ebenda S. 192
72
vgl. Enders-Dragässer, Uta und Claudia Fuchs 1987, S. 192/193
73
Tocher, Wigbert: Von „Power Girls“ und „armen Kerlen“. Frankfurter
Rundschau 22.07.1999
35
und Kollegen aus dem Arbeitskreis sind sich einig. Aggression,
Belästigungen und Grenzüberschreitungen gehen meistens von
den Jungen aus. Zwar gäbe es, sagt Fimmersdorf, auch den Typus
des introvertierten Jungen, aber der sei eher ein Außenseiter mit
„atypischem Jugend- und Jungenverhalten.“74
3.3.1 Vorbilder in der Schule
Kinder wachsen zu 30 bis 40 % bei alleinerziehenden Müttern auf.
Viele von jenen Kindern, die mit beiden Elternteilen aufwachsen
erleben ihren Vater häufiger nur als randständige Person, der viel
außer Haus arbeitet. Daraus folgt für Kinder ein Defizit eines
männlichen Vorbildes. Dieses Defizit des männlichen Vorbildes
kann auch vom Kindergarten und der Grundschule nicht
kompensiert werden, da in diesen Institutionen männliche
Pädagogen nur spärlich vertreten sind. An der Bremer
Grundschule, Stader Straße unterrichten beispielsweise 17 Frauen
und ein Mann. Auf dem Schulhof sei dieser Lehrer eine große
Attraktion. Die Lehrerin Christa Bauer erzählt, dass vor allem die
Jungen sich immer wieder an diesen Lehrer „hängen“ und auch
Körperkontakt zu ihm suchen.75 Andrea Hartmann, Lehrerin an der
Bremer Grundschule Stichnathstraße berichtet von der
überdurchschnittlichen Männerquote an ihrer Schule. Von 30
KollegInnen waren immerhin fünf männlich.76 Auch in Zukunft
werden männliche Lehrer zumindest in der Grundschule
Mangelware bleiben. Für das Lehramtsstudium Primarstufe an der
Universität Bremen kommen auf sieben Studentinnen ein Student.
Auch die Zahlen der Referendare weisen kein anderes Bild auf. Im
Land Bremen sind beispielsweise von 110 Referendaren 95
Frauen.77 Eindeutig fehlen den Jungen im Schulalltag männliche
Vorbilder. Da Jungen aber insbesondere im Alter von sechs bis
74
ebenda
75
vgl. Die Schulhofsattraktion, taz Bremen Nr. 5930 vom 04.09.1999, S. 31
76
vgl. ebenda
77
vgl. ebenda
36
vierzehn Jahren auf männliche Rollenvorbilder angewiesen seien,
so Biddulph,78 ist es besonders tragisch, dass die im Lehrdienst
tätigen Männer in der Grundschule Mangelware sind.
Die Forderung nach mehr männlichen Lehrern, insbesondere für
die Grundschule, liegt zwar auf der Hand und würde, wenn sie denn
politisch gewollt und mit entsprechenden Anreizen ausgestattet
wäre, unter Umständen auch etwas bringen, führt jedoch in der
momentanen Situation kurzfristig nicht weiter. Was aber weiter
helfen könnte, wäre eine stärkere Sensibilisierung der Lehrkräfte für
die Sorgen, Nöte und Probleme der Jungen.
Wie oben erwähnt weist Astrid Kaiser auf die Bedeutung hin, dass
sich Mütter vor ihren Söhnen Achtung verschaffen müssen, um
damit einen Grundstein für ein positives Verhältnis des Jungen zum
weiblichen Geschlecht zu legen. Eigentlich sollte es
selbstverständlich sein, dass sich nicht nur Mütter, sondern auch
Kindergärtnerinnen und Lehrerinnen vor dem männlichen
Nachwuchs Achtung verschaffen und die Jungen in ihre Grenzen
weisen, denn auch Kindergärtnerinnen und Lehrerinnen fungieren
als weibliches Vorbild. Dies scheint jedoch nicht immer zu gelingen.
So konnten Uta Enders-Dragässer und Claudia Fuchs feststellen,
dass Lehrerinnen darauf verzichten, „den Jungen in eindeutiger
Weise Grenzen zu setzen und sie mit ihrer Verantwortung für das
Lernklima der Gruppe zu konfrontieren. Sie verschonen die
„starken“ Jungen vor der Auseinandersetzung mit den Folgen ihres
„männlichen“ Verhaltens in intellektueller und sozialer Hinsicht und
sie perpetuieren die Probleme mit der „Disziplin“. Sie weichen aber
auch, soweit sie männlich sind, damit der Frage danach aus,
welches Vorbild sie selbst für die Jungen abgeben.“79 Da Schule
78
vgl. Biddulph, Steve 2001, S. 173
79
Enders-Dragässer, Uta / Fuchs, Claudia: Eine Expertise im Auftrag der
Gemeindedienste und Männerarbeit der evangelischen Kirche Hessen und
Nassau, Darmstadt, 1988a.
37
nicht in einem gesellschaftsfreien Raum stattfindet und Lehrkräfte
nicht nur Wissensvermittler sind, sondern auch als
Geschlechtsrollenvorbilder fungieren, wäre eine
Auseinandersetzung der Lehrerinnen und Lehrer mit ihrem
weiblichen bzw. männlichen Rollenverständnis z.B. auf
Fortbildungsveranstaltungen sinnvoll. Auch wäre es
wünschenswert, wenn es zu einer Thematisierung dieser
Problematik bereits während der Lehrerausbildung kommen würde.
3.3.2 Anteil von Jungen und Mädchen in verschiedenen
Schularten
Wenn man sich Statistiken anschaut, aus denen hervor geht, wie
viele Mädchen beziehungsweise Jungen in den einzelnen
Schultypen vertreten sind fällt auf, dass die Mädchen in den
weiterführenden Schulen zahlenmäßig den Jungen überlegen sind.
Beispielsweise besuchten 1995 32 % der sechzehnjährigen
Mädchen, aber nur 24 % der gleichaltrigen Jungen das
Gymnasium. 13 % der Mädchen, jedoch 16 % der Jungen waren
Hauptschüler. Auf der Sonderschule waren 1995 zwei Drittel
Jungen, aber nur ein Drittel Mädchen anzutreffen.80 Bereits im
Vorschulkindergarten, in dem Kinder sind, die zwar vom Alter her
bereits eine Grundschule besuchen könnten, aber noch nicht für
schulreif eingestuft wurden, zeigt sich, dass Jungen deutlich
häufiger einer vorschulischen Förderung bedürfen.
80
vgl. Faulstich- Wieland, H. / Nyssen, E.: Geschlechterverhältnisse im
Bildungssystem - Eine Zwischenbilanz. In: Rolff, H.-G. u.a. (Hrsg.) Jahrbuch der
Schulentwicklung Bd. 10, Weinheim und München 1998, S. 163-200
38
Anteil von Schülern und Schülerinnen in verschiedenen Schularten
1997/98
Schularten
Jungen : Mädchen
Schulkindergarten
1,8 :
1
Sonderschulen
1,7 :
1
Hauptschulen
1,3 :
1
Realschulen
1
:
1,04
Gymnasien
1
:
1,2
Ohne Hauptschulabschluss
1,9 :
1
Allgemeine Hochschulreife
1
1,2
:
(Quelle: 81)
Besonders hoch ist der Anteil der Jungen mit 86 % an den
Sonderschulen für Verhaltensauffällige. Aber auch an anderen
Sonderschulen sind die Jungen überdurchschnittlich vertreten
(Sonderschule für Sprachbehinderte 72 %, Sonderschule für
Körperbehinderte 60 %).82 Vor dem Hintergrund der
Geschlechterverteilung in unseren Schulen kann festgestellt
werden, dass es die Jungen sind, die in unseren Schulen geringere
Leistungen erbringen als Mädchen. Sie sind es, die vor allem das
Versagen in der Schule betrifft. Scheinbar werden im Unterricht
nicht nur die Mädchen unzureichend gefördert und gefordert, wie
oftmals festgestellt wurde, sondern auch die Jungen.
Uta Engers-Dragässer und Claudia Fuchs untersuchten die
schulische Jungensozialisation in Deutschland und stellten dabei
folgendes fest: „Die schulische Sozialisation beider Geschlechter ist
in unserer Gesellschaft an Mittelschichtnormen orientiert, die ein mit
81
Bundesamt für Statistik, Fachserie 11, Reihe 1, Allgemeinbildende Schulen
1999, in: Schnack, Dieter / Neutzling, Rainer: Kleine Helden in Not. Reinbeck 2.
Auflage Oktober 2001, S. 179).
82
vgl. ebenda S. 180
39
Autonomie, Überlegenheit und Objektivität verbundenes
Männlichkeitsideal und ein mit Subjektivität, Emotionalität, Bindung
und Unterlegenheit verbundenes Weiblichkeitsideal zum
Ausgangspunkt haben.“83 So werden durch die tägliche
Reproduktion von Rollenstereotypen, nicht nur im außerschulischen
Bereich sondern auch im Unterricht, Jungen einerseits sozial
unterfordert, andererseits durch den gesellschaftlichen Anspruch
stark, überlegen und erfolgreich sein zu müssen, überfordert.
Könnte man den Jungen den Druck nehmen immer dominant sein
zu müssen, und würde man den Jungen mehr Verständnis für ihre
Nöte und Probleme entgegenbringen, wäre es ihnen vielleicht
verstärkt möglich, sich auf Unterrichtsinhalte einzulassen und so
auch bessere Schulleistungen zu erzielen.
Die Unterschiedliche Behandlung von Mädchen und Jungen im
Unterricht führt also zu Verlierern auf beiden Seiten. Die Mädchen
verlieren, trotz guter Schulleistungen, auf dem Weg zum
Schulabschluss (unter anderem vermittelt durch die
Ungleichbehandlung der Lehrkräfte und dem dominantem Gebaren
ihrer männlichen Mitschüler) an Selbstbewusstsein und
Selbstwertgefühl. Den Jungen ist es hingegen kaum möglich den
Anforderungen des „Männlichkeitsideals“ gerecht zu werden.
4 Ergebnisse der Koedukationsforschung
Lange glaubten viele Vertreterinnen der Frauenbewegung, dass die
Einführung der Koedukation zum Abbau der bestehenden
Geschlechterhierarchie führen würde, und so der Weg hin zu
gleichen Lebenschancen für Jungen und Mädchen frei sei.84
83
Enders-Dragässer, Uta / Fuchs, Claudia: Eine Expertise im Auftrag der
Gemeindedienste und Männerarbeit der evangelischen Kirche Hessen und
Nassau, Darmstadt 1988a, S. 34
84
vgl. Seeber-Rössler, E.: Non scolae, sed vitae discimus.... . Der heimliche
Lehrplan „Koedukation“. In: Erziehung heute, 4, S. 16-21, 1992
40
„Die Einführung der Koedukation als „stille Revolution im
Bildungssystem“ wurde wissenschaftlich kaum diskutiert oder gar
begleitet. Man ging davon aus, dass mit dem koedukativen Prinzip
eine gleiche Unterrichtung der Geschlechter – und damit
Chancengleichheit und Gleichberechtigung – erreicht würde.
Faktisch wurden Mädchen jedoch der Jungenbildung angepasst.
(...) Koedukation hat sich bisher nur als formales, nicht aber als
inhaltliches Prinzip erwiesen. Bildungsforscherinnen bezeichnen
den gegenwärtigen koedukativen Unterricht als „Koinstruktion“, d.h.
als parallele Unterrichtung von Mädchen und Jungen im selben
Raum mit derselben Lehrperson.“85 Auf kommunaler Ebene brachte
die Einführung der Koedukation jedoch organisatorische und
finanzielle Erleichterungen. Die männliche Dominanz des
Schulsystems brachte Hurrelmann dadurch zum Ausdruck, dass er
die koedukative Schule als eine „Jungenschule auch für Mädchen“
bezeichnete.86
In den 80er Jahren führten jedoch Forschungsergebnisse von
unterschiedlichen feministischen Wissenschaftlerinnen dazu, dass
eine Koedukationsdebatte ausgelöst wurde, in deren Mittelpunkt die
Frage stand, in wie weit Mädchen im gemeinsamen Unterricht
benachteiligt werden. Einige von diesen Forschungsergebnisse
werde ich hier darstellen.
Interaktionen im Schulalltag:
Im koedukativen Unterricht werden Schülerinnen und Schüler
unterschiedlich behandelt. Auf der Grundlage dieser
85
Brück, B. u.a.: Feministische Soziologie. Eine Einführung. Frankfurt/M., 1997,
S. 184f., zitiert nach: Dür, Mariette: Geschlechtssensible Schule in Österreich,
Hausarbeit vom 8. Juli 2001
86
vgl. Hurrelmann, Klaus u.a.: Koedukation – Jungenschule auch für Mädchen?
Opladen 1986
41
unterschiedlichen Behandlung werden Mädchen und Jungen auf
Rollenstereotypen in unterschiedlicher Weise eingeschränkt.87
4.1 Lob und Tadel
1985 fand Hagemann-White heraus, dass Mädchen öfter wegen
schlechter Leistungen getadelt werden, jedoch seltener für gute
Leistungen Lob erhalten. Gelobt werden sie hingegen für
Wohlverhalten, Sauberkeit und Fleiß, sowie für ordentliches
Arbeiten. Auf diese Weise wird „hilfloses“ Verhalten gelernt. Erfolge
werden also dem Glück zugeschrieben, jedoch nicht den eigenen
Fähigkeiten. Jungen werden hingegen für Disziplinlosigkeit und
mangelnde Ordnung getadelt, erhalten aber Lob für gute Ideen und
intellektuelle Leistungen. Auf der Grundlage derartiger
Verhaltensweisen lernen Jungen, dass sie sich bei Erfolglosigkeit
zu wenig angestrengt haben oder einfach zu undiszipliniert waren.
Erfolge leiten männliche Schüler jedoch aus der eigenen
Leistungsfähigkeit ab.88 Inwieweit die unterschiedliche Behandlung
von Mädchen und Jungen „durch geschlechtsstereotype
Erwartungen und Wahrnehmungen gesteuert wird oder vielmehr
Reaktion auf Schülerverhalten ist, das Mädchen ebenfalls,
allerdings seltener, zeigen, ist eine offene Frage.“89
Hierzu wendet jedoch Elisabeth Frank ein, dass allein aus der
Quantität des „Aufgerufen-Werdens“ keine generelle Bevorzugung
abgeleitet werden kann. „Meldet sich ein Junge häufig, sind seine
Antworten meist richtig und er erhält dafür Lob, dann bedeutet dies
mit Sicherheit Förderung. Ein anderer Junge ist oft unaufmerksam,
seine Antworten sind selten zufriedenstellend, er erfährt
überwiegend Tadel, dann erweist sich Schule als eine
87
vgl. Frank, Elisabeth: Schule der Chancengleichheit, Stuttgart 1997, S. 51
88
vgl. Faulstich-Wieland, Hannelore: Koedukation und Utopie. In: Hansmann,
Otto / Winfried Marotzki (Hg.): Diskurs Bildungstheorie II. Problemgeschichtliche
Orientierung. Weinheim, 1989, S. 562
89
Baumert, Jürgen: Koedukation und Geschlechtertrennung. In: Zeitschrift für
Pädagogik, 38, 1992, S. 85
42
Aneinanderreihung von Niederlagen. Weniger beachtet werden,
kann auch weniger Druck bedeuten.“90 Ihrer Meinung nach ist die
andersartige Qualität von Zuwendung für die Benachteiligung der
Mädchen ausschlaggebend. Andere Autoren beschreiben Tadel als
eine Form von negativer Zuwendung, die insbesondere von Jungen
durch undiszipliniertes und aggressives Verhalten oftmals
erzwungen wird.91
4.2 Aufmerksamkeit
Bei einer Untersuchung von 35 Grundschulklassen mit insgesamt
1.082 Mädchen und Jungen stellten Heidi Frasch und Angelika
Wagner (1982) fest, dass Mädchen signifikant weniger aufgerufen
werden, und zwar sowohl relativ zu ihrer Zahl in der Klasse, als
auch relativ zur Häufigkeit mit der sie sich melden. Auch sprechen
Lehrkräfte bei Einzel- und Gruppenarbeiten Mädchen signifikant
seltener an, als Jungen. Dies ist besonders ausgeprägt in Fächern
wie Sachkunde und Mathematik. Im Fach Deutsch ist derartiges
Verhalten hingegen wenig ausgeprägt.92
Auch Enders-Dragässer und Fuchs stellten 1988 bei der
Beobachtung des Physikunterrichts einer 8. Klasse fest, dass den
aufgerufenen Jungen mehr Hilfen von Seiten der Lehrkraft gegeben
wurde, als den zum gleichen Thema aufgerufenen Mädchen.93
Derartige Verhaltensweisen von LehrerInnen sind scheinbar dafür
mit verantwortlich, dass Mädchen ein sehr viel niedrigeres
Selbstbewußtsein im Vergleich zu Jungen haben. Dies belegt
Marianne Horstkemper in einer Längsschnittuntersuchung. „Obwohl
die Mädchen schulisch deutlich erfolgreicher sind als die Jungen
90
Frank, Elisabeth: Schule der Chancengleichheit, Stuttgart 1997, S. 51
91
Rausch, Judith: K.O.edukation, Frauenmagazin Emma, 1989, Heft Nr.1
92
vgl. Frank, Elisabeth: Schule der Chancengleichheit, Stuttgart 1997, S.42
93
vgl. Enders- Dragässer, Uta und Claudia Fuchs: Frauensache Schule. Aus
dem deutschen Schulalltag: Erfahrungen, Analysen, Alternativen. Frankfurt/M.
1990. In: Frank, Elisabeth: Schule der Chancengleichheit, Stuttgart, 1997, S. 52.
43
(sie sitzen häufiger im oberen Leistungsniveau und erhalten
tendenziell die besseren Noten), und obwohl für die Mädchen
dieser Leistungserfolg eine stärkere Quelle des Selbstvertrauens
darstellt, vergrößert sich der Selbstvertrauens-Abstand zwischen
den Geschlechtern im Laufe der Sekundarschule sogar noch.“94
4.3 Sprachverhalten von SchülerInnen und
LehrerInnen
Bei einer US-amerikanischen Untersuchung von Collegeklassen
konnte festgestellt werden, dass es eine unterschiedliche
Beteiligung der Studentinnen und Studenten in Abhängigkeit von
dem Geschlecht der Lehrperson gab. Bei weiblichen Lehrpersonen
war die Beteiligung höher. Im Vergleich zu den Klassen männlicher
Professoren waren die StudentInnen bei Professorinnen
diskussionsorientierter. Anscheint lassen sich Professorinnen
stärker auf Diskussionen ein und akzeptieren auch eher die
Aussagen von Lernenden. Professoren haben scheinbar eine
Tendenz Studentinnen und Studenten zu korrigieren und
zurechtzuweisen. Auch war die Beteiligung der Studentinnen bei
den Professorinnen höher als bei den Professoren. Jedoch lag sie
in beiden Fällen unter denen der Studenten.95
5 Sexismus in der Schule
Seit über 50 Jahren ist die Gleichberechtigung der Geschlechter im
Grundgesetz verankert.
„Artikel 3 (Gleichheit vor dem Gesetz )
94
Horstkemper, Marianne: Schule, Geschlecht und Selbstvertrauen. Weinheim,
1987 S. 216
95
vgl. Karp/Yoels: The College Classroom: Some Observations on the Meanings
of Student Participation“. In: Sociology and Social Research, 1976, 60: 421-39;
zitiert nach: Enders-Dragässer, Uta und Claudia Fuchs: Der Heimliche Lehrplan
der Geschlechtererziehung in der Schule: am Beispiel der Interaktion. In:
Prengel, Annedore u.a. (Hg.): Schulbildung und Gleichberechtigung. Frankfurt/M.:
Frauenliteraturvertrieb 1987, S. 193
44
(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die
tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen
und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender
Nachteile hin.
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung,
seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft,
seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen
Anschauungen benachteiligt werden.“96
Zwischen unserem Verfassungsanspruch und der
gesellschaftlichen Realität besteht jedoch eine Diskrepanz, die sich
unter anderem in unserem Schulalltag widerspiegelt. Sexismus in
der Schule, das heisst eine Benachteiligung aufgrund des
Geschlechts, ist in unserem Schulalltag nach wie vor
allgegenwärtig. In diesem Kapitel werde ich versuchen dies mit
Hilfe von einigen Beispielen darzustellen.
5.1 Schulorganisation
Schulische Führungsaufgaben
Vor Einführung der Koedukation wurden Mädchenschulen in
Deutschland normalerweise von Schulleiterinnen geführt. Diese
Mädchenschulen bekamen nach Einführung der Koedukation
überwiegend eine männliche Führung. 1992 wurden lediglich 4 %
der Gymnasien in Baden-Württemberg von Frauen geleitet. In
Hamburg waren es immerhin 14 %. Lediglich in den neuen
Bundesländern sind weibliche Schulleiterinnen zahlenmäßig stärker
vertreten.97
Amtssprache in der Schule
96
Grundgesetz Art. 3 http://www. jura.uni-sb.de/BIJUS/grundgesetz/art3.htm
97
vgl. Frank, Elisabeth: Schule der Chancengleichheit, Stuttgart 1997, S. 47
45
Obwohl insgesamt mehr Frauen in der Schule unterrichten, ist die
schulische Amtssprache männlich. Dies zeigt sich zum Beispiel in
Schulrechtstexten und Verordnungen, in denen dann vom
Klassenlehrer, Tutor, Drittkorrektor, Referent, Fachleiter usw. die
Rede ist. Immerhin werden Schülerinnen und Schüler in
Bildungsplänen inzwischen getrennt erwähnt. Finden jedoch
Nobelpreisträger Erwähnung, sind diese wieder männlich.
Weibliche Nobelpreisträgerinnen wie beispielsweise Marie Curie
oder Maria Goeppert-Mayer geraten auf diese Weise schnell in
Vergessenheit.98
Mir persönlich ist die männliche Amtssprache in der Schule erst
aufgefallen, als ich ein Frageblatt ausfüllen mußte, um meine
Tochter für den Sommer 2002 in einer bayerische Grundschule
anzumelden. Auch in diesem „Frageblatt zur Schulanmeldung“ fand
der Schüler, sowie der Lehrer lediglich in der männlichen Person
Erwähnung. Vor dem Hintergrund, dass es in dieser Schule gar
keine männlichen Lehrkräfte gibt, die für die jüngeren Schülerinnen
und Schüler zuständig sind, ist dies besonders bemerkenswert!
(Siehe Anhang).
Lehrerbild
Das LehrerInnenbild ist traditionell männlich geprägt mit männlich
zugeschriebenen Attributen, wie z.B., dass eine Klassenleitung
Durchsetzungsvermögen zeigt, laut spricht und entschlossen
auftritt. Diese Bewertungsmaßstäbe werden mit Männlichkeit in
Verbindung gebracht.99
Beurteilungen der Lehrkräfte
Laut Elisabeth Frank werden Lehrerinnen und Lehrer zumindest in
Baden-Württemberg nach männlichen Qualitäten, wie
Entschlusskraft, Initiative, Fähigkeit zur Menschenführung als
98
vgl. ebenda
99
vgl. Martial, Ingbert von: Koedukation und getrennte Erziehung, Päd. Reihe,
Heft 51, Köln 1998, S.16 ff.
46
Vorgesetzte beurteilt. „Weibliche Eigenschaften wie freundlicher
Umgang mit Kindern und Jugendlichen, Herzlichkeit, Empathie,
außerunterrichtliches Engagement“ sind keine Beurteilungskriterien.
100
Lehrpläne
Lehrpläne werden in Baden-Württemberg vorwiegend von Männern
gemacht. In der Lehrplankommission für das Gymnasium waren
1994 Frauen lediglich zu 8 % vertreten. Die Lehrplankommissionen
Mathematik, Physik, Chemie und Informatik waren zu 100 %
männlich. 101 Aufgrund der Tatsache, dass es in manchen
Bundesländern möglich ist, sich für die Lehrplankommission frei zu
bewerben, liegt hier der Frauenanteil in dieser Kommission höher.
In Bremen gibt es sogar die Verordnung, die eine mindestens
40%ige Vertretung beider Geschlechter vorsieht.
Fortbildungen für Lehrerinnen und Lehrer
Frauen sind als Fortbildnerinnen im schulischen Bereich selten zu
finden. Frau Frank, Lehrerin für Physik und Mathematik am OttoHahn-Gymnasium in Ostfildern, berichtet beispielsweise, dass von
den angebotenen Fortbildungen ihrer Schule unter 43 Referenten
genau eine Referentin zu finden war (Stand Februar 1996).
Kirchliche Träger scheinen mancherorts auf ein ausgeglicheneres
Geschlechterverhältnis bei den Referierenden von Fortbildungen zu
achten. So waren beispielsweise beim Stuttgarter Lehrerinnen-Tag
1996 Frauen und Männer als Vortragende gleich häufig vertreten.
Elisabeth Frank stellt fest: „Wo Frauen an Fortbildungen beteiligt
sind, wird auch das Thema „Schule der Chancengleichheit“
thematisiert.“102 Auch wenn diese Tagungen an Wochenenden
stattfinden und mit privaten Kosten verbunden sind, seien
Fortbildungen zu diesem Thema sehr gefragt.
100
vgl. Frank, Elisabeth: Schule der Chancengleichheit, Stuttgart 1997, S. 48
101
vgl. ebenda S. 48
102
ebenda S. 49
47
Vorgelebte Lebensentwürfe von Lehrerinnen und Lehrern
In kaum einem anderen Beruf ist es so leicht möglich Arbeit und
Familie zu vereinen wie im Lehrberuf. Der Staat als Arbeitgeber
bietet Teilzeitarbeit, passend für die jeweilige Lebenssituation an.
Auch wenn Lehrerehepaare überdurchschnittlich häufig gleich gut
ausgebildet sind und den gleichen Beruf ausüben, ist es nach wie
vor zu beobachten, dass es fast ausschließlich die Frauen sind, die
im Falle von Familienzuwachs ihre Arbeitsstunden reduzieren. Nur
wenige Paare entscheiden sich für eine ausgeglichene
Arbeitsstundenreduzierung. Den Fall, dass die Frau Vollzeit arbeitet
und der Mann Teilzeit beschäftigt ist, gibt es so gut wie nicht.
Naturwissenschaftliche Unterrichtsfächer
Naturwissenschaftliche Fächer werden wesentlich häufiger von
Männern unterrichtet als von Frauen. Die Fächer Informatik sowie
Astronomie vermitteln fast ausschließlich Männer. Eine
Längsschnittuntersuchung an Gymnasien in Baden-Württemberg
ergab, dass nur jede 13. Physikstunde und jede 4.
Mathematikstunde von einer Frau gehalten wurde. Ebenso ist im
Kanton Bern, in der Schweiz, die Zahl der von Frauen gehaltenen
Physikstunden fast nicht mehr meßbar. Anders war dies jedoch in
der ehemaligen DDR. Dort gab es in diesem Fachbereich deutlich
mehr weibliche Unterrichtskräfte.103 Auch ein solcher Sachverhalt
vermittelt unserem Nachwuchs ohne Zweifel die Botschaft, die da
lautet: Naturwissenschaften sind Männersache.
5.2 Lehrmaterialien
Laut Ulla Ohlms dienen Schulbücher nicht nur der „Aneignung von
Kulturtechniken und der Wissensvermittlung, sondern auch der
Affirmation gesellschaftlicher Zustände.“104
103
vgl. ebenda
104
Ohlms, Ulla: Und drinnen waltet die züchtige Hausfrau...“ In: Arbeitsgruppe
Elternarbeit (Hg.): Die Schule lebt - Frauen bewegen die Schule, S. 131
48
Auch wenn nicht sämtliche Seiten eines Schulbuches bearbeitet
werden, sind sie für Lehrerinnen und Lehrer oftmals Grundlage
selbst entworfener Unterrichtsmaterialien. Sie sind Leitlinien im
Unterrichtsgeschehen. Dadurch, dass ihre Bilder und die Texte, von
beispielsweise mathematischen Aufgaben, normalerweise nicht
gesondert besprochen werden, wirken sie unbewußt und
unkontrolliert auf die Lernenden ein. Vor diesem Hintergrund
verwundert es nicht, dass das traditionelle Frauenbild welches unter
anderem mit Hilfe von Lehrmaterialien vermittelt wird, seit mehr als
20 Jahren im Blickpunkt wissenschaftlicher Diskussion steht. Zwar
zeigen die Texte und Bildmaterialien von Schulbüchern inzwischen
Mädchen, die auf Bäume klettern, dennoch vermitteln zahlreiche
Buchinhalte nach wie vor Geschlechterstereotypen. Schon die
Tatsache, dass solche Inhalte wie: „Mädchen klettert auf einen
Baum“ als besonders positiv hervorgehoben werden zeigt, dass die
im Grundgesetz fixiert Gleichberechtigung von Mann und Frau in
bundesdeutschen Schulbüchern noch nicht vollständig umgesetzt
wurde.
Im folgenden werde ich Kriterien darstellen, auf deren Grundlage
Schulbücher im Hinblick auf vermittelte Weiblichkeits- und
Männlichkeitsbilder untersucht werden können. Dieser
Kriterienkatalog wurde dem Buch: „Schule der Chancengleichheit“
von Elisabeth Frank (1997) entnommen und stützt sich auf die
Veröffentlichung des Bundesministeriums für Bildung und
Wissenschaft („Schule dreht da ganz schön mit“), sowie
Ergänzungen von Frau Frank. Differenziert wird zwischen
qualitativen und quantitativen Schulbuchinhalten.
Quantitative Analyse:
49
1. Frauen sind bei der Herstellung der Bücher als Autorinnen, als
Bildherstellerinnen, als Herausgeberinnen, als Verlegerinnen
unterrepräsentiert.105
Zu diesem Kriterium untersuchte Frau Frank neun Lesebücher der
Klassen 5 und 6, die zwischen 1992 und 1995 erschienen sind. Bei
diesen Büchern gab es immerhin 11 % Herausgeberinnen, 35 %
Autorinnen und 33 % Illustratorinnen. Anders sah das hingegen bei
Mathematik- und Physikbüchern aus. Bei den 14 von ihr
untersuchten Büchern gab es im Bereich Mathematik 0 %
Herausgeberinnen, 2,5 % Autorinnen und 10 % Illustratorinnen. Die
Physikbücher wiesen 0 % Herausgeberinnen, 7 % Autorinnen und 9
% Illustratorinnen auf.106
2. Frauen und Mädchen sind bei Abbildungen und Texten weit
unterrepräsentiert, noch mehr, wenn man Größe der Bilder, Art der
Darstellung, Empathiezentrum mit berücksichtigt.
3. Weibliche Wesen sind überwiegend Kleinkinder und Kinder,
männliche Wesen überwiegend erwachsen.
4. Abbildungen, die beide Geschlechter zeigen, sind
unterrepäsentiert.
Gabriele Karsten stellte bei der Begutachtung von
Grundschulbüchern 1976 fest, dass der Frauen und Mädchenanteil
in den von ihr untersuchten Büchern gerade mal 30 %
105
Anmerkung hierzu von Herrn Dr. Eubel auf der Präsenzveranstaltung in
Leverkusen 18.02.2002: Auch wenn Frauen häufig nur in Danksagungen von
Veröffentlichungen oder als Mitautorinnen auftauchen, haben sie nicht selten
wissenschaftliche Texte und Ausarbeitungen erstellt.
106
vgl. Frank, Elisabeth: Schule der Chancengleichheit, Stuttgart 1997, S. 68
50
ausmachte.107 Nach all den Jahren Koedukationsdebatte sollte man
annehmen, dass derartige Diskriminierungen inzwischen längst
überholt sind. Doch selbst in Mathematikbüchern die erst 1994 neu
auf den Markt kamen ist festzustellen, dass weibliche Personen
unterrepräsentiert sind. So enthält das Mathematikbuch
„Lambacher Schweizer 5“ (Klett 1994) „5 Abbildungen von Jungen
und 41 Abbildungen von Männern, dagegen stehen 11 Abbildungen
weiblicher Wesen (5 Mädchen, 2 reale Frauen, 4 Frauen auf
Geldscheinen, Briefmarken oder Spielkarten), 11 Abbildungen
beider Geschlechter. In „Lambacher Schweitzer 8“, Klett Juli 1995
sind 19 Jungen und 49 Männer (ohne den Männergesangsverein
Gaudamus mit 38 Mitgliedern) abgebildet, darunter 7
Mathematikerportraits mit Lebensdaten. Dem demgegenüber
stehen die Abbildungen von einer erwachsenen Frau (Mutter), 4
jungen Frauen beim Sport und 12 weiblichen Kindern und
Kleinkindern, 5 Abbildungen zeigen beide Geschlechter.“108
Dass Frauen nicht nur in Mathematikbüchern wenig Platz finden,
sondern auch in anderen Fachbüchern unterrepäsentiert sind,
offenbarte ein saarländisches Gutachten, welches 1991 vom
Ministerium für Frauen in Auftrag gegeben wurde. Untersucht
wurden 18 Lesebücher der Klassen 5 bis 10. Bei der Analyse dieser
Bücher zeigte sich, dass der dargestellte Frauenanteil lediglich in
einem Buch über einem Drittel lag. In nicht wenigen Lesebüchern
lag ihr Anteil sogar unter 20 %.109
Bei der Durchsicht des Personenregisters des Lehrbuches „Unsere
Geschichte – Von der Zeit des Imperialismus bis zur Gegenwart“
107
Karsten, Gabriele: Mariechens Weg ins Glück? Die Diskriminierung von
Mädchen in Grundschulbüchern, Berlin 1976, S. 30
108
Frank, Elisabeth: Schule der Chancengleichheit, Stuttgart 1997, S. 69
109
vgl. ebenda S. 68
51
fand Ilse Bremer 365 Männer und 10 Frauen, was weniger als 3 %
ausmacht.110
Obwohl in Deutschland 52 % der Bevölkerung Frauen sind, müssen
Schülerinnen und Schüler den Eindruck bekommen, dass es keine
weiblichen Wissenschaftlerinnen gibt und Frauen in unserer
Gesellschaft nur als Mütter vorhanden sind. Auch Constanze
Lopatecki (1991) stellte bei der Analyse von dem in Bremen
zugelassenen Mathematikbuch („Welt der Mathematik“ 7.
Hauptschuljahr) fest, dass der Frauenanteil in diesem Buch 29 %
beträgt. In dem Buch „Gramma“ (10 Klasse Realschule) traten
neben 36 männlichen Personen lediglich eine Frau und ein
Mädchen auf.111
Die dargestellten Beispiele zeigen, dass sich die Diskriminierung
von weiblichen Personen in deutschen Schulbüchern nicht auf die
Lehrbücher einzelner Fächer und die Bücher einzelner
Bundesländer beschränken lässt. Anders scheint dies in Frankreich
zu sein. So werden in dem französischen Physikbuches „Sciences
Physiques“, Nathan 1986, beispielsweise Frauen und Männer auf
Bildern als Wissenschaftlerinnen gleich häufig dargestellt. Auch
kommt in dem Buch eine seitenfüllende Fotografie von Marie Curie,
auf der sie als junge Wissenschaftlerin in ihrem Labor abgebildet
ist, vor. Die Illustrationen für dieses Physikbuch wurden von einer
Frau gemacht. Auch war die Herausgeberin, sowie eine Autorin des
Buches weiblich.112 Nun muss dieses französische Schulbuch nicht
repräsentativ für alle französischen Schulbücher sein, dennoch ist
es ein bemerkenswertes Beispiel. Die Tatsache, dass sich in
Frankreich überhaupt Frauen als Autorinnen, Illustratorinnen und
Herausgeberinnen von Physikbüchern betätigen, hängt unter
110
vgl. Bremer, Ilse: Schule im Patriarchat - Schulung fürs Patriarchat?
Weinheim, 1991
111
vgl. Frank, Elisabeth, Schule der Chancengleichheit, Stuttgart 1997, S. 68
112
vgl. ebenda S. 69
52
Umständen auch damit zusammen, dass der Frauenanteil an
französischen Physikfakultäten bei 17 %, im Gegensatz zu 2 % in
Deutschland liegt. Selbst in Ländern wie China, der Türkei, Italien
und Thailand liegt der Frauenanteil an den Physikfakultäten
zwischen 20 % und 30 %, in Ungarn sogar bei fast 50 % (Stand
1990).113 Diese Zahlen belegen, dass in anderen Ländern die
weibliche Akzeptanz für das Fach Physik sehr viel höher ist als in
der Bundesrepublik.
Qualitative Aspekte:
5. Frauen sind entweder nicht erwerbstätig oder werden in
traditionellen Berufen der weiblichen Erwerbstätigkeit dargestellt.
Männer üben nicht nur vielfältigere, sondern auch
prestigeträchtigere und statushöhere Tätigkeiten aus. Dabei bleibt
die Darstellung der Frauen weit hinter dem bisher Erreichten
zurück. Somit bieten diese Bücher Mädchen keine positiven
Identifikationsmodelle für ein erweitertes Berufsspektrum.
6. Die Tätigkeiten im Haushalt und bei der Kindererziehung werden
fast ausschließlich von Frauen erledigt. Jungen erleben somit keine
positiven Identifikationsmodelle für eine partnerschaftliche
Zusammenarbeit in sämtlichen Lebensbereichen.
7. Die Doppelqualifikation Familie – Beruf vieler Frauen bleibt
unerwähnt und wird so gut wie nie als ein auch für Männer
erstrebenswertes Lebensmodell vorgeführt.
Wenn die Frauen, die in Schulbüchern dargestellt werden,
überhaupt erwerbstätig sind, üben sie in der Regel frauentypische
Berufe aus. Häufig sind sie Krankenschwester, Kindermädchen,
Verkäuferin, Putzfrau, Tänzerin, Sekretärin, Lehrerin oder Bäuerin.
Weit überproprotional findet man Frauen in Schulbüchern jedoch
113
vgl. ebenda S. 29
53
auf den häuslich-familiären Bereich beschränkt. Da die
Erwerbstätigenquote von Frauen in Deutschland mit Kindern unter
6 Jahren laut Mikrozensus im Jahr 2000 bei 51,8 % lag, und 63,3 %
der Frauen mit Kindern unter 18 Jahren berufstätig waren, wird
deutlich, dass Schülerinnen und Schüler in Schulbüchern eine
Lebenswelt vorfinden, die so in der Realität gar nicht existent ist.114
In dem von Frau Lopatecki untersuchtem Mathematikbuch („Welt
der Mathematik“, für die Sekundarstufe 1 in Hauptschulen) waren
nur 2 -12 % der ohnehin unterrepäsentierten Frauen berufstätig.
Auch das bereits erwähnte Mathematikbuch „Lambacher Schweizer
5“, (Klett 1989) weißt in dieser Hinsicht keine wesentlichen anderen
Inhalte auf. So werden in diesem Buch „in 120 Aufgaben Männer
mit Namen oder Beruf erwähnt, 22 erwähnte Frauen haben einen
Namen. Während Männer in 30 erwähnten Berufen vorkommen,
gibt es keine einzige berufstätige Frau. In „Lambacher Schweizer 6“
finden Kinder über 20 verschiedene Männerberufe, bei Frauen
werden erwähnt: Bäuerin, Eierfrau, Verkäuferin, Sekretärin.“115
8. Eigenschaften und Tätigkeiten von Mädchen und Frauen sind im
emotionalen, privaten Bereich verhaftet. Frauen und Mädchen
werden kaum in aktiven, handlungstragenden Rollen dargestellt.
Fürsorgliche Männer und Jungen mit Einfühlungsvermögen und
Sozialkompetenz fehlen völlig. Die Darstellung von Interaktionen
und Beziehungsstrukturen suggerieren die Dominanz des
männlichen Geschlechts. Die Jungen werden durch die von ihnen
erwartete Stärke und Dominanz unter einen ungeheuren Druck
gesetzt. Mädchen und noch mehr Jungen wird das Potenzial der
Vielfalt an menschlichen Entfaltungsmöglichkeiten verweigert.
114
http://www.destatis.de/presse/deutsch/pk/2001/mikro2000b:htm
vom 10.04.2002
115
vgl. Frank, Elisabeth: Schule der Chancengleichheit, Stuttgart 1997, S. 70
54
Gefühlsäußerungen wie Weinen, Ängstlichkeit und Liebkosungen
werden in Unterrichtsmaterialien in der Regel der weiblichen
Existenz zugeordnet. Sicher wäre es auch für Jungen positiv einen
ängstlichen Jungen, sowie ein mutiges Mädchen in Schulbüchern
entdecken zu können. Zwar lassen sich in fortschrittlichen und
modernen Schulbüchern inzwischen auch weinende Jungen finden,
doch wird ihr Verhalten häufig mit einer längeren Erklärung
gerechtfertigt, Mädchen hingegen weinen offensichtlich
„grundlos“.116 Scheinbar sind Schulbuchautorenteams inzwischen
durchaus bemüht geschlechterstereotypes Verhalten in
Lehrmaterialien zu reduzieren, wie dieses Beispiel zeigt, doch
eigenes Rollenverständnis auf Seiten der Buchautoren scheint so
sehr verinnerlicht zu sein, das zwar Veränderungen zu Gunsten des
weiblichen Geschlechtes sichtbar sind, von Gleichbehandlung kann
aber noch nicht gesprochen werden.
Zu diesem Ergebniss kommt auch Gabriele Behler (Ministerin für
Schule und Weiterbildung, Düsseldorf) in ihrem Vortrag:
„Geschlechterkampf - Geschlechterkampf in der Schule?“ auf der
Fachtagung „Zukunft der Bildung - Schule der Zukunft“ (März
1997). Frau Behler sagt: Ich weiss, „dass es Verlagen und
Herausgebergremien unglaublich schwer fällt, jeweils fachbezogen
die Spezifika und die Anforderungen dann auch umzusetzen. Es
scheitert inzwischen meines Erachtens häufiger nicht mehr an dem
guten Willen, sondern an den Schwierigkeiten der Umsetzung. Das
war Anfang der 80er Jahre ja nun anders, da wurde negiert, dass
es solche Probleme gab.“117
Die Richtigkeit dieser These wird auch bei der Beschreibung eines
Experimentes in dem Physikbuch „Dorn-Bader MS“ für die Klasse
11 deutlich. In dem Versuch werden zwei mutige Mädchen
116
vgl. Ohlms, Ulla: Und drinnen waltet die züchtige Hausfrau...“ S. 150
117
Behler, Gabriele: Geschlechterkampf - Geschlechterkampf in der Schule?, in:
Neue Wege zur Gestaltung der koedukativen Schule, Bönen 1998, S. 16
55
dargestellt, die von einem 5m-Turm springen. Die Beschreibung
des Experimentes klingt jedoch nicht sonderlich fortschrittlich. So
wird das 5m-Brett beispielsweise als „Laufsteg“ bezeichnet. Ein
Mädchen wagt es jedoch nur mit zugehaltener Nase zu springen.
Das andere Mädchen springt in der Hocke.118 Zwar ist
Turmspringen auch eine Disziplin für Frauen, aber Kopfsprünge
werden eben doch nach wie vor männlichen Personen zugeordnet.
9. Weder die weibliche Lebenskultur matrizentrierter Gesellschaften
der Vergangenheit und anderer nicht abendländischer Kulturen
noch Leistungen von Frauen in den letzten Jahrhunderten samt den
patriarchalen Randbedingungen, unter denen diese Leistungen
erbracht wurden, sind Thema in den Schulbüchern. Hier muß von
historischer Verfälschung gesprochen werden, die den Mädchen
Identifikationsmöglichkeiten bewußt vorenthält und Jungen glauben
macht, Frauen wären als Kulturträgerinnen oder
Wissenschaftlerinnen nicht vorhanden.
So gibt es in Geschichtsbüchern kaum Hinweise auf die Leistungen
von Frauen als Sammlerinnen und Jägerinnen. Auch weibliche
Gottheiten, welche aus anderen Kulturen bekannt sind, finden nur
selten Erwähnung. Die Herstellung von Kunst und Artefakten, sowie
die Nahrungsbeschaffung wird in der Regel mit Männern in
Verbindung gebracht. Statt dessen stehen Abbildungen von
männlichen Jagdszenen im Vordergrund.119 In Geschichtsbüchern
werden Frauen, wenn sie denn überhaupt vorkommen, über ihre
Rolle in der Familie definiert. Dies trifft selbst auf bedeutenden
Frauen, wie Maria Theresia zu. Es ist festzustellen, dass die
Beschreibung ihres Familienlebens in manchen Geschichtsbüchern
ausführlicher ist, als die Darstellung ihr politischen Tätigkeiten.
118
vgl. Frank, Elisabeth: Schule der Chancengleichheit, Stuttgart 1997, S. 70
119
vgl. ebenda S. 71
56
Wie wenig Frauen auch in neueren Unterrichtsmaterialien
gewürdigt werden, verdeutlicht Elisabeth Frank an einem Beispiel:
„Meine Schule erhielt am 10. Mai 1995 Materialien des Ministeriums
für Kultus und Sport B. W. zur Würdigung des 8. Mai 1945 („8. Mai
1945 – Stunde Null?“ Materialien für fächerverbindenden Unterricht,
Autoren sind 11 Männer)..... In derselben Veröffentlichung werden
etwa 170 Männer (ohne Mehrfachnennungen) mit ihren Leistungen
für die Bundesrepublik nach 1945 genannt. Demgegenüber stehen
8 Frauen, davon zwei Negativbeispiele...“120 Kriegerwitwen,
Trümmerfrauen, Politikerinnen, Schriftstellerinnen sowie
Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen bleiben unerwähnt.
10. Männer verfügen über Macht, gesellschaftliche Anerkennung,
Besitz, Geld und Freizeit, Frauen sind abhängig und extrem
bedürfnislos.
Besonders in Mathematikbüchern, in denen es in Textaufgaben
häufig um finanzielle Transaktionen geht, sind es in der Regel die
Männer die Kredit-, Miet- und Versicherungsabschlüsse tätigen.
Auch sind sie es die üblicherweise die Rechnungen begleichen.
Selbstverständlich sind sie auch die Besitzer von
Immobilienobjekten. Folgende Objekte besitzen Männer in dem
Buch : „Mathematik Heute 6“: „Wiese B, Garten,
Flachdachbungalow, Haus, Heizöltank. Was Frauen besitzen: Frau
Tüchtig „einen Geldschein zu je 100 DM, 50 DM, 20 DM, 10 DM.“121
Auch der dargestellte Aktionsradius in Schulbüchern von Mädchen
und Frauen gegenüber dem von Jungen und Männern ist erheblich
geringer. Frauen fahren ihre Kleinkinder im Kinderwagen spazieren,
gehen zu Fuß zum Einkaufen oder beschäftigen sich im Haushalt.
Männer hingegen fahren mit dem Auto oder der Eisenbahn, treiben
Sport, gehen ins Kino und sind unternehmungslustig. Im Gegensatz
120
ebenda S. 72
121
ebenda S. 72
57
zu Mädchen, die häufig eher introvertiert dargestellt werden und
sich ruhig mit ihren Puppen beschäftigen, sind Jungen wesentlich
häufiger auf der Suche nach Abenteuern. Sie werden häufig in
Unterrichtsmaterialien als sehr viel raumgreifender dargestellt.
Bei all der Kritik soll jedoch auch erwähnt werden, dass sich in den
letzten Jahren bei den Darstellungen von weiblichen Wesen in
Schulbüchern durchaus auch was geändert hat. So ist
beispielsweise inzwischen in Baden-Württemberg die Zulassung
von Lernmitteln zum Gebrauch an öffentlichen Schulen in der
Schulbuchzulassungsverordnung geregelt. „Demnach werden
Schulbücher nur dann zugelassen, wenn sie mit den durch
Grundgesetz, Landesverfassung und Schulgesetz vorgegebenen
Erziehungszielen sowie mit den Zielen und verpflichtenden Inhalten
des Bildungsplans der jeweiligen Schulart übereinstimmen.
Schulbücher werden daher selbstverständlich auch in BadenWürttemberg ebenso darauf geprüft, ob sie der Gleichberechtigung
der Geschlechter entsprechen und in Texten sowie in Bildern
Frauen und Männer, Mädchen und Jungen gleichwertig
darstellen.“122
Auch Jürgen Kriege, der seit über 20 Jahren Mitglied eines
Schulbuchautorenteams für Mathematikbücher ist, machte die
Erfahrung, dass Schulbücher inzwischen, bezogen auf die
gleichwertige Darstellung von männlichen und weiblichen Wesen,
gründlicher begutachtet werden. So wurde eines seiner
Mathematikbücher in Rheinland-Pfalz abgelehnt. Die Begründung:
„Das Buch stimme nicht mit dem Grundgesetz überein.“123 Die
Ablehnung wurde mit der Darstellung der weiblichen Personen in
122
Schule der Gleichberechtigung – Eine Handreichung für Lehrerinnen und
Lehrer in Baden-Württemberg zum Thema „Koedukation“, Hg. vom Ministerium
für Kultus und Sport, Stuttgart 1995
123
http://www.frauensprache.com/maedchen- schulbücher.htm vom 04.11.01
58
den Illustrationen, sowie in den Aufgaben begründet. Die
Gutachterin gab folgende Stellungnahme:
„Die Autoren sind ausschließlich Männer. Als Pädagogen haben sie
auch mit Schülerinnen zu tun. Wenn ihre Darstellung der Frau mit
ihren Erfahrungen im Unterricht konform geht, so liegt das gewiss
nicht an der unterschiedlichen Veranlagung und Begabung von
Mädchen und Jungen, und es ist ein Grund mehr für sie, Vorurteile
und Rollenklischees abbauen zu helfen. Es gilt, Mädchen nicht zu
entmutigen, sondern gerade zu mehr Selbstbewusstsein zu
ermutigen und auch für das Fach Mathematik neu zu motivieren.“124
Das Mathematikbuch wurde in dieser Form nicht genehmigt, „weil
es
-
einseitige Rollenbilder von Mann und Frau vorgibt,
-
und darum einer auf berufliche und private Partnerschaft
zielende Erziehung und Entwicklung von Jungen und Mädchen
entgegenwirkt,
-
Mädchen und Frauen insbesondere dadurch diskriminiert, dass
sie im Berufsleben nicht auftreten, und somit ein zeitgemäßes
Identifikationsangebot für Mädchen fehlt,
-
Und infolgedessen gegen den Grundsatz der
Gleichberechtigung und der Gleichheit von Mann und Frau
verstößt, die Bestandteil unserer Verfassung sind.......
-
Grundsätzlich erklärten Jungen den Mädchen mathematische
Probleme,
-
Stets waren Jungen den Mädchen bei der Lösung behilflich –
nie umgekehrt.“125
Wie die Gutachterin an zahlreichen Beispielen verdeutlicht, war
dieses Mathematikbuch ein Buch, welches fast sämtliche oben
genannte Kritikpunkte beinhaltete.
124
ebenda
125
ebenda
59
Sicher wäre es außerordentlich wünschenswert, wenn es
ausschließlich derartig kritische Gutachterinnen und Gutachter
gäbe, um auf diese Weise auf Ungleichbehandlungen von Jungen
und Mädchen aufmerksam zu machen. Denn auch bei
Autorenteams muss für solche Mißstände erst ein Bewußtsein
geschaffen werden. So schreibt Jürgen Kriege beispielsweise, dass
in seinem Team nach der Ablehnung dieses Schulbuches ein
„echter Sinneswandel stattgefunden“ habe.126 In der Folge wurde
das Buch überarbeitet und dann auch problemlos zugelassen.
An den Erfahrungen rund um das Autorenteam von Jürgen Kriege
ist erkennbar, dass sich in Sachen „Schulbuchprüfung“ durchaus
inzwischen etwas getan hat. Ein Problem sind jedoch die vielen
alten Schulbücher, die über Jahre hinweg in Schulen Verwendung
finden und erst sehr langsam ausgetauscht werden. Auf diesen
Punkt weißt auch Gabriele Behler, in ihrem oben genannten Vortrag
hin: „Es hat sich erhebliches geändert. Mein größtes Problem ist,
dass der Umschlag von Schulbüchern in den Schulen angesichts
der Finanzknappheit der öffentlichen Hände so langsam erfolgt.
Das, was tatsächlich von Autoren, Herausgebern und Verlagen
längst umgesetzt wird, wird nicht in der Breite wirksam, jedenfalls
nicht in den Zeiträumen, die ich mir wünsche.“127
Auch der WDR berichtete vor einiger Zeit in der Sendung: „Aktuelle
Stunde“, dass im Fach Geschichte teilweise noch Atlanten
verwendet werden, in denen die DDR noch existent ist. Dieses
Beispiel zeigt, dass vielleicht gute Vorsätze da sind, die finanzielle
Ausstattung aber dazu führt, dass weiterhin Lehrinhalte alter
Schulbücher vermittelt werden.
126
ebenda
127
Behler, Gabriele: a. a. O., S. 16
60
6 Interessen und Begabungen von
SchülerInnen
Bei der Beurteilung der Interessen von Schülerinnen unterliegen
Lehrkräfte offenbar häufig Fehleinschätzungen. Dass dies
besonders auf den naturwissenschaftlichen Unterricht zutrifft, ergab
die Befragung von LehrerInnen. Dabei konnten die Interessen der
Jungen sehr viel genauer vorhergesagt werden als die der
Mädchen.128
Auch eine englische Schuluntersuchung konnte belegen, dass
Lehrkräfte die Zukunftsinteressen von Schülerinnen oftmals falsch
einschätzen. So gingen die befragten Lehrer überwiegend davon
aus, dass „ihre Schülerinnen primär später Familie haben wollten
und als Berufe Sekretärin, Lehrerin oder Krankenschwester wählen
würden – wenn sie sich überhaupt ihre Schülerinnen in Berufen
vorstellen konnten. Diese Einschätzungen äußerten sie, obwohl sie
den betreffenden Schülerinnen hohe Schulabschlüsse zutrauten.
Die Mädchen selber hatten dagegen ganz andere, weit gestreutere
und auch hochgestecktere Berufswünsche.“129
6.1 Das Interesse der Mädchen und Jungen an
naturwissenschaftlichen Fächern am Beispiel
Physik
Viele Mädchen stellen ihre Begabung für das Fach Physik in Frage.
Das genaue Gegenteil gilt für Jungen. Sie sind von ihrer
Überlegenheit den Mädchen gegenüber in diesem Bereich
überzeugt. Durch ihr Dominanzverhalten behindern sie ihre
128
vgl. Weltner u. a. 1978, neuere Untersuchung: Hoffmann 1988, zitiert von:
Faulstich-Wieland, Hannelore: Koedukation und Utopie. In: Hausmann, Otto /
Winfried Marotzki (Hg.): Diskurs Bildungstheorie II. Problemgeschichtliche
Orientierung. Weinheim: Deutscher Studienverlag 1989, S. 561.
129
Stanworth, M. Gender and Schooling. London 1983, S. 28-33, zitiert von:
ebenda
61
Mitschülerinnen „beim Erwerb von Zutrauen in die eigene
Leistungsfähigkeit.“130
Das Institut der Pädagogik der Naturwissenschaften der Universität
Kiel führte in den Jahren 1984-1989 eine umfangreiche
Interessenstudie (IPN-Studie) durch. Aus 6 Bundesländern wurden
dazu
10.000 Mädchen und Jungen der Klassen 5-10 aus
Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien befragt. Diese Studie
kam unter anderem zu dem Ergebniss, dass das Interesse der
Mädchen an Physik von der 5. Klasse an deutlich geringer ist als
das Interesse der Jungen. Im Verlauf der Schuljahre nimmt dieses
Interesse weiter ab. Am Ende des 10. Schuljahres „sind 7 % der
Mädchen und 40 % der Jungen der Meinung, dass Physik für ihren
späteren Beruf wichtig sei.“131 Laut Elisabeth Frank klaffen bei
keinem anderen Schulfach „die dem Fach zugeschriebene hohe
gesellschaftliche Relevanz und die eigene Abwendung von Fach
derart auseinander.“132
Diese Aussage bestätigt auch eine im Bundesland BadenWürttemberg durchgeführte Studie aus den Jahren 1991 und 1994.
So wurde auch in dieser Untersuchung festgestellt, dass das
Interesse der Mädchen am Fach Physik gering ist. Für diese
Untersuchung wurden 800 Mädchen und Jungen von mehreren
Realschulen der Klassen 8, 9 und 10 nach den 3
beliebtesten/unbeliebtesten Schulfächern gefragt. Im Vergleich mit
12 anderen Schulfächern ist das Fach Physik das mit Abstand
unbeliebteste Fach. Den Physikunterricht erleben nur 3 % der
Schülerinnen positiv. Bei Jungen hingegen nimmt Physik einen
mittleren Rang ein.133
Notenunterschiede zwischen Mädchen und Jungen in
naturwissenschaftlichen Fächern:
130
Frank, Elisabeth: Schule der Chancengleichheit, Stuttgart 1997, S. 11.
131
ebenda, S. 2
132
ebenda S. 3
133
vgl. ebenda S. 2
62
In der gymnasialen Oberstufe wählen viele Schülerinnen
naturwissenschaftliche Fächer, insbesondere Physik, Informatik
und Mathematik ab. Als ein wichtiger Grund dafür wird häufig die
Angst vor einem schlechten Notendurchschnitt genannt. Um sich
einen Eindruck davon zu verschaffen wie sich die Noten bei
Schülerinnen und Schülern über einen Zeitraum von mehreren
Jahren in den Fächern Physik und Mathematik entwickeln führte
Elisabeth Frank in den Jahren 1990/91/92 eine
Längsschnittuntersuchung durch. Betrachtet wurde die
Schulnotenentwicklung (Klassenstufe 5-13) von 2000
Abiturientinnen und Abiturienten; d. h, die Schulnoten der gesamten
Gymnasialzeit wurden bei diesen SchülerInnen zurückverfolgt. Die
an der Untersuchung teilnehmenden Mädchen und Jungen kamen
aus 12 koedukativen, einem Mädchen- und einem
Jungengymnasium. Durchgeführt wurde die Studie im Großraum
Stuttgart. Erfaßt wurden für diese Untersuchung lediglich
SchülerInnen die das Abitur bestanden haben.134
Ergebnisse der Untersuchung:
Bei der Betrachtung der Notenentwicklung im Fach Physik von der
8. Klasse bis zur 11. Klasse fällt auf, dass die Mädchen über diesen
Zeitraum immer eine schlechtere Durchschnittsnote erhalten als die
Jungen. Dabei nehmen die Notenunterschiede zwischen beiden
Geschlechtern bis zur Klasse 11 zu. Dieser schlechtere
Notendurchschnittswert der Mädchen trifft auf jedes einzelne der 12
untersuchten Gymnasien zu. Besonders groß ist der
Notenunterschied zwischen Mädchen und Jungen im sprachlichem
Gymnasialzug.
Die Note „sehr gut“ wird fast ausschließlich von Jungen erreicht.
Von den 214 Physiknoten für Mädchen in der 12. Klasse gab es
lediglich 2 Mädchen, die „15 Punkte“ erhielten. Diese Note war bei
den Jungen anteilmäßig sechsmal so häufig. Im Gegensatz dazu
134
vgl. ebenda S. 4
63
erhalten Mädchen mehr als dreimal so häufig wie Jungen die Note
„mangelhaft“. Betrachtet man hingegen die Abiturzensuren, so
erhalten Mädchen in der anonymen Abiturarbeit gleich häufig wie
Jungen die Note „15 Punkte“. Damit verdoppelt sich der Anteil der
Mädchen mit der Note „sehr gut“ bei der Abiturklausur im Vergleich
zu den Noten vor der Prüfung. Die zur Abiturprüfung angemeldeten
Jungen mit der Note „sehr gut“ verschlechterten sich in der
schriftlichen Abiturarbeit im Vergleich zu den Mädchen mehr als
doppelt so häufig. In der Untersuchung wurde jedoch festgestellt,
dass lediglich die Mädchen mit den Noten „sehr gut“ und „gut“
unterbewertet wurden. Es ist davon auszugehen, dass
Physiklehrkräfte begabte Mädchen nicht mit böser Absicht
unterbewerten nur weil sie Mädchen sind, „sondern
Rollenstereotypen führen zu den entsprechenden
Wahrnehmungsstörungen samt negativen
Rückkopplungseffekten.“135
6.2 Notenvergleich in naturwissenschaftlichen
Fächern mit Schwerpunkt Mathematik
Im Fach Mathematik wurde In der oben genannten Untersuchung
festgestellt, dass Mädchen in den Klassen 5-8 eine geringfügig
schlechtere Durchschnittsnote erhalten. Der Notenabstand
vergrößert sich zunehmend in den Klassen 9-11. In diesen Jahren
halten die Jungen zwar ihr Notenniveau, die Mädchen hingegen
verschlechtern sich jedoch merklich. Der Notenunterschied beträgt
in der 11. Klasse eine Viertelnote im Fach Mathematik und eine
Halbenote im Fach Physik. Zwar gibt es in der Unterstufe weniger
Mädchen als Jungen mit der Note „mangelhaft“, dies ändert sich
jedoch in den höheren Klassen. „In Klasse 11 sind es knapp
doppelt so viele Mädchen als Jungen mit der Note „mgh“ (Physik
mehr als dreimal so viele).“136 Ebenso wie im Fach Physik erhalten
135
ebenda S. 4
136
ebenda S. 6
64
Jungen auch im Fach Mathematik häufiger die Note „sehr gut“. „In
Klasse 11 sind es doppelt so viele Jungen, im Sprachenzug sogar
dreimal so viele.“137
Da es eher selten ist, dass SchülerInnen die Note „sehr gut“
aufgrund schriftlicher Klausuren erhalten, ist die mündliche
Beurteilung durch die Lehrkraft für diese Endnote
ausschlaggebend. Traut die Lehrkraft Mädchen im
naturwissenschaftlichem Bereich jedoch weniger zu, kann dies ein
Grund dafür sein, dass Mädchen diese Note seltener als Jungen
erhalten.
Bei der Betrachtung der Note „sehr gut“ im Fach Mathematik der
Klassen 5-9 (Stichprobe 1.704 SchülerInnen und 25 Lehrerinnen,
sowie 75 Lehrer) fällt auf, dass der prozentuale Anteil der Jungen
die diese Note erreichen über die Jahre gleich bleibt. Der Anteil der
Mädchen, die in dem oben genannten Zeitraum die Note erreichen
schwankt hingegen zwischen 4,0 % in den Klassen 5,7 und 9 und
5,8 % in den Klassen 6 und 8.138 Frau Frank erklärt sich die
Notenschwankung der leistungsstarken Mädchen mit dem Wechsel
der Lehrkraft in den Klassen 5,7 und 9 in diesem Fachbereich. Ihrer
Vermutung nach unterliegt die Lehrkraft, die eine Klasse im Fach
Mathematik neu übernimmt, bezogen auf die leistungsstarken
Schülerinnen, einer geschlechtsspezifischen
„Wahrnehmungsstörung.“ Diese Wahrnehmungsstörung nimmt im
Verlauf der zwei Jahre ab. Besonders ausgeprägt ist dieser Effekt,
im sprachlichen Zug der Gymnasien (hoher Anteil begabter
Mädchen für dieses Fach). Im mathematischem Gymnasialzug
zeigt sich dieser Effekt, wenn die Schülerinnen mit der Note „gut“
mit in die Betrachtung einbezogen werden.139
137
ebenda
138
vgl. ebenda S. 7
139
vgl. ebenda
65
6.3 Naturwissenschaftliche Leistungskurse
In ihrer oben genannten Studie untersuchte Elisabeth Frank unter
anderem dass Wahlverhalten von naturwissenschaftlichen
Leistungskursen in Abhängigkeit von Geschlecht und Vornote.
Dabei stellte sie fest, dass sich mit 53 % fast doppelt so viele
Jungen wie Mädchen (28 %) für den Leistungskurs Mathematik
entschieden. Den Leistungskurs Physik belegten sogar neunmal
mehr Jungen als Mädchen; d. h. lediglich 10 % der Mädchen
entschieden sich für dieses Fach als Leistungskurs. Die
Untersuchung zeigte, dass eine derart schwache Beteiligung der
Mädchen an dem Fach Physik häufig dazu führt, dass Mädchen in
diesem Kurs manchmal gar nicht repräsentiert sind oder als
einziges Mädchen diesen Kurs besuchen. Der Grundkurs Physik in
der 12. Jahrgangsstufe wurde von 24 % der Mädchen gewählt.
Dreimal so viele Jungen belegten hingegen den Grundkurs Physik
in der 12. Jahrgangsstufe und Viermal so viele Jungen wie
Mädchen entschieden sich für den Grundkurs Physik in der 13.
Jahrgangsstufe. Damit reduzierte sich der Mädchenanteil in der 13.
Jahrgangsstufe in diesem Fach weiter auf
18 %.140
Dass die Fächerwahl in der gymnasialen Oberstufe nicht nur von
geschlechtsspezifischen Interessen beeinflußt wird, ist in „Mädchen
auf dem Weg zum Abitur 6/90“ nachzulesen. Bei der
Gegenüberstellung von Fachinteresse und Abiturfachwahl wurde
festgestellt, dass Abiturientinnen mit großem Interesse an
Mathematik, in erheblich geringerem Maße als Abiturenten
Mathematik als Leistungskurs belegten (59 % gegenüber 71 %).
„Abiturienten mit großem Interesse an Literatur/Sprachen haben
deutlich seltener als die vergleichbare Gruppe der Abiturientinnen
sprachliche Fächer als Leistungskurse gewählt. (Deutsch: 18 % zu
39 %, Englisch: 34 % zu 41 %). Dafür haben Männer mit geringen
Neigungen auf mathematisch-naturwissenschaftlichem Gebiet noch
140
vgl. ebenda S. 14
66
relativ häufig Mathematik, Physik oder Chemie als Leistungskurs
gewählt.141 Dieses Wahlverhalten bei beiden Geschlechtern wurde
mit dem sozialen Druck zur Anpassung an die Geschlechterrolle
erklärt. „Dieser Druck scheint bei Jungen stark von der männlichen
Peer-group auszugehen, bei den Mädchen eher vom
Elternhaus.“142
Die berufliche Verwertbarkeit bei der Wahl bestimmter Kurse spielt
bei Mädchen eine wesentlich geringere Rolle als bei Jungen. So
wurde im HIS-Studierfähigkeits-Projekt festgestellt, dass 53 % der
Abiturienten im Vergleich zu 38 % der Abiturientinnen, die sich in
zwei mathematisch- naturwissenschaftlichen Fächern prüfen ließen,
die Studien- und Berufspläne für die Wahl der Abiturfächer wichtig
waren.143 Eine zentrale Rolle für die Wahl bestimmter
Leistungskurse scheinen die erreichten Noten in der 11
Jahrgangsstufe zu sein. Bei einer Befragung unter 200
Schülerinnen und Schüler stellte Frau Frank 1990 fest, dass
Jungen mit der Note „sehr gut“ in Mathematik fast immer den
Leistungskurs Mathematik wählen. Erreichen Mädchen hingegen in
diesem Fach die Note „sehr gut“, haben diese in der Regel auch in
anderen Fächern sehr gute Noten was dazu führt, dass sie
Mathematik nicht automatisch als Leistungskurs wählen.
Mathematisch hochbegabte Mädchen haben im Vergleich zu
mathematisch hochbegabten Jungen ein wesentlich breiteres
Interessenspektrum.144
6.4 Wer wählt schon Informatik?
Grundlage für das Fach Informatik ist ein mathematisches
Interesse. Aus diesem Grund ist die Wahl dieses Faches durchaus
141
.“ Mädchen auf dem Weg zum Abitur 6/90, Quelle: HIS- Ingenieurprojekt,
zitiert von: Frank, Elisabeth: Schule der Chancengleichheit, Stuttgart: 1997, S. 15
142
ebenda
143
vgl. ebenda
144
vgl. ebenda
67
in Abhängigkeit mit der erreichten Mathematiknote in der 11 Klasse
zu sehen. Jedoch stellte Frau Frank in der oben beschriebenen
Untersuchung, bei der sie die Notenentwicklung von knapp 2.000
SchülerInnen von der 5. bis zur 13. Klasse untersuchte fest, dass
Mädchen auch dann nicht das Fach Informatik wählen, wenn sie
sehr gute Mathematiknoten erzielen. „Mädchen wählen Informatik
auch nicht bei sehr guten Mathematiknoten. Während 56 % der
Physik-sgt-Mädchen Physik wählen und 77 % der Mathematik-sgtMädchen den LK-Mathematik wählen, sind es bei Informatik nur 24
%. Entsprechendes gilt für die guten Mädchen. Mädchen mit den
Mathematiknoten „bfr“ oder „ar“ sind in Informatik 13 nicht mehr
vorhanden. Jungen dagegen mit den Mathematiknoten „sgt“ und
„gut“ wählen in fast so hohem Maße Informatik wie Physik oder den
Leistungskurs Mathematik.“145 In Deutschland ist Informatik nach
wie vor Männersache. Anders ist dies hingegen in den USA. Dort
haben mehr als ein Drittel aller High-School-Absolventinnen einen
Abschluß in Informatik als Hauptfach. Auch Indien hat in diesem
Studienfach einen Frauenanteil von über 30 %. In der
Bundesrepublik hingegen ging der Anteil der Informatikstudentinnen
in den vergangenen Jahren kontinuierlich zurück. Lag der
Frauenanteil in diesem Studienfach an der TU Dresden vor der
Wende noch bei 48 %, ist dieser Anteil inzwischen auf unter 10 %
gesunken.146
In Deutschland gibt es kein anderes Fach, in dem Mädchen derart
ausgegrenzt werden wie in dem Fach Informatik. Der Vergleich mit
anderen Ländern, bezogen auf dieses Fach zeigt, dass dies nicht
zwangsläufig so sein muss.
Diese Tendenz wird auch vom Ministerium für Schule und
Weiterbildung NRW 1998 bestätigt. Danach stellte sich das
Wahlverhalten in den Leistungskursen der gymnasialen Oberstufe
im Schuljahr 1996/97 folgendermaßen dar: Chemie: 63,7 % Jungen
zu 36,3 % Mädchen; Mathematik: 62,6 % Jungen zu 37,4 %
145
ebenda S. 21
146
vgl. ebenda S. 22
68
Mädchen; Physik: 84,0 % Jungen zu 16,0 % Mädchen; Informatik:
93,0 % Jungen zu 7,0 % Mädchen.147
6.5 Schulversuch Physik
Das scheinbare Desinteresse der Mädchen an
naturwissenschaftlichen Fächern und das im Vergleich zu Jungen
relativ schlechte Abschneiden der Schülerinnen in diesem Bereich
veranlaßte Frau Frank gemeinsam mit fünf Physiklehrerinnen und
sieben Physiklehrern einen Schulversuch im Unterrichtsfach Physik
der Klassen 10 und 11 an Gymnasien im Bundesland BadenWürttemberg durchzuführen. Dieser Schulversuch erstreckte sich
über die Jahre 1993/94 und 1994/95. Ziel dieses Unternehmens
war es, das Interesse der Mädchen am Fach Physik zu steigern.
Gleichzeitig sollte das Zutrauen in die eigene Leistungsfähigkeit bei
den Mädchen entwickelt werden. Das Notenniveau der
Schülerinnen sollte sich auf das Notenniveau der Schüler
verbessern. Begabte Schülerinnen in diesem Fach sollten zur
Weiterwahl von Physik ermutigt werden. Gleichzeitig war es
erklärtes Ziel, das Interesse der Jungen an diesem Fach zu
erhalten.148
Die am Schulversuch teilnehmenden Lehrpersonen versuchten sich
für die unterschiedlichen Interessen, Bedürfnisse, Stärken und
Schwächen von Schülerinnen und Schülern zu sensibilisieren. Es
wurde versucht Rollenklischees aufzubrechen. Leistungen von
Wissenschaftlerinnen wurden thematisiert. Besonders wurde auch
auf Interessenunterschiede von Mädchen und Jungen
eingegangen. Während der Zeit des Versuchs wurden einige
Gruppe von Mädchen und Jungen zeitweise getrennt unterrichtet,
andere hingegen wurden koedukativ unterrichtet. Geprägt war der
147
vgl. Martial von, Ingbert: Koedukation und getrennte Erziehung, Köln, 1998, S.
24-30
148vgl.
Frank, Elisabeth: Schule der Chancengleichheit, Stuttgart 1997,, S. 30 und
S. 104, sowie Internetseminar Büchel, Elke: Reflexive Koedukation in den
Naturwissenschaften, der Technik und der Mathematik, S. 42
69
Schulversuch durch einen laufenden Erfahrungsaustausch der
Lehrpersonen und durch die Entwicklung neuer Lehrmaterialien,
wodurch es zu einem fortschreitendem Lernprozess hinsichtlich der
Chancengleichheit von Mädchen und Jungen im Unterricht kam.149
Zu Beginn und am Ende des Schulversuchs wurden Interessen
verschiedener Schulfächer bei der Versuchsgruppe, sowie bei einer
Kontrollgruppe mit Hilfe eines Fragebogens ermittelt.
Ergebnisse des Schulversuchs:
Das Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit konnte bei den
Mädchen aller Schulversuchsgruppen gesteigert werden. Jedoch
sind in der monoedukativen Gruppe die Erfolge größer als in der
koedukativen Gruppe. Am Ende des Schulversuchs ist für die
Mädchen das Fach Physik nicht mehr das schwierigste Fach.
Mädchen und Jungen stufen Physik im Schwierigkeitsgrad gleich
ein. Die Leistungsunterschiede zwischen Mädchen und Jungen
reduzieren sich. Die Tatsache, dass alle drei monoedukativen
Gruppen beider Geschlechter einen identischen Kurvenverlauf
aufweisen lässt vermuten, dass das Geschlecht der Lehrkraft
keinen Einfluß auf die Ergebnisse hat. Auch bei den koedukativen
Gruppen konnte ein solcher Einfluß nicht ermittelt werden. Bei
einem Vergleich der Notenentwicklung wurde festgestellt, dass sich
die Noten bei den SchülerInnen aller Schulversuchsgruppen leicht
nach oben verrückt haben. Monoedukativ unterrichtete Mädchen
erreichen in den Klassen/Jahrgangsstufen 10/11 die gleichen Noten
auf gutem Niveau.150 „Erfolge bezüglich der Weiterwahl von Physik
konnten bei beiden Schulversuchsgruppen erzielt werden. In der
koedukativen Gruppe wählten 25% mehr Jungen Physik, der Anteil
der Mädchen verdoppelte sich. In der monoedukativen Gruppe
149
vgl. Frank, Elisabeth: Schule der Chancengleichheit, Stuttgart 1997, S. 103-
106
150
vgl. ebenda S. 138
70
wählten gleichviel Jungen wie in den Jahren zuvor Physik, der
Anteil der Mädchen verdreifachte sich."151
Fazit:
Die in diesem Kapitel dargestellten Ergebnisse verdeutlichen die
Bedeutung derartiger Schulversuche, wie sie Frau Frank mit ihrem
Team durchführte. Das Bemerkenswerte an diesem Versuch ist
meines Erachtens die Teamarbeit der Lehrpersonen und die damit
verbundene Selbstreflexion zum Thema Chancengleichheit in der
Schule. Gezeigt hat dieses Experiment, dass eine derartig
veränderte Unterrichtssituation nicht nur Vorteile für Mädchen
bringt, sondern dass sich auch die Jungen am Ende des Versuchs
für das Fach Physik vermehrt interessierten. Es ist davon
auszugehen, dass diese Art der Weiterqualifizierung
erfolgversprechender ist, als das alleinige Thematisieren von
Koedukation auf Lehrerfortbildungen. Die Selbstreflexion der
eigenen Geschlechtsrolle und die damit verbundenen
Auswirkungen auf den Unterricht lassen sich im Kontext eines
derartigen Versuchs, bei dem die Auseinandersetzung mit
KollegInnen gewährleistet ist und der sich über einen derartig
langen Zeitraum erstreckt, vermutlich positiver bearbeiten als bei
Versuchen die im Alleingang durchgeführt werden. Unterstützt
wurde der Prozeß der Selbstreflexion durch das Unterrichten von
reinen Mädchen- und Jungengruppen, denn alle Lehrerinnen und
Lehrer die an dem Schulversuch teilnahmen, hatten zuvor lediglich
koedukative Unterrichtserfahrungen. Gleichberechtigung, und
Gleichstellung lassen sich nicht verordnen. Um sie zu erreichen,
müssen sich die am Unterrichtsgeschehen beteiligten Personen auf
einen Prozess der Sensibilisierung einlassen, der meines
Erachtens im Kontext dieses Schulversuchs einen guten Rahmen
fand.
151
ebenda S. 139
71
7
Mädchenschulen - Jungenschulen Koedukationsschulen
Die scheinbare Benachteiligung der Mädchen durch die
Koedukation, wie sie in verschiedenen Studien festgestellt wurden,
führte dazu, dass einige Gegnerinnen der Koedukation, wie
beispielsweise D. Spender, die Wiedereinführung der
Mädchenschule forderten.
„In rein weiblichen Klassen brauchen die Mädchen nicht
zurückzustehen. Die Aufmerksamkeit und dass Interesse der
Lehrkraft muß sich den Mädchen zuwenden, sie müssen als
bessere Schülerinnen gesehen werden: bis zu einem gewissen
Grad kann auf ihre Interessen Rücksicht genommen werden (...):
wenn Führungspositionen zu besetzen sind, dann müssen
Mädchen dazu genommen werden (...). Durch Ausschluß der
Gruppe, die dominiert und die Erfahrung der Frauen ignoriert,
können rein weibliche Schulen den Frauen Gelegenheit geben, ihre
eigenen Erfahrungen zu äußern und bestätigt zu bekommen,
Autonomie zu entwickeln und ihr Selbstvertrauen zu festigen.“152
7.1 Mädchen in verschiedenen Schultypen
In einer empirischen Studie verglich Susanne Rohr 162
Schülerinnen von Mädchenschulen mit 94 Schülerinnen von
Koedukationsschulen. Bei ihrer Untersuchung legte die Forscherin
besonderen Wert auf vergleichbare Eingangsvoraussetzungen. So
waren nicht nur die Schultypen und Schulleistungen, sondern auch
die Sozialstruktur bezogen auf sozioökonomische Daten (Alter, Zahl
der Geschwister, Beruf des Vaters, Beruf der Mutter,
Wohnverhältnisse, Religion u.s.w.), sowie die Intelligenz der
152
Spender, D.: Frauen kommen nicht vor. Frankfurt 1982, zitiert von: Rohr,
Susanne, Brigitte Rollet: Die Koedukation und das Bildungsrecht der Mädchen.
In: Bildung und Erziehung, 45 (1992)
72
Mädchen, miteinander vergleichbar. Zu folgenden Teilgebieten
wurden Angaben mit Hilfe eines Fragebogens erfaßt: „1.
Persönliche Daten; 2. Schulleistungen, Selbsteinschätzungen der
eigenen Leistung, Motivation; 3. Freizeitgestaltung, Hobby; 4.
Umgang mit Computern; 5. Zukunftserwartungen hinsichtlich
Familie, Einstellung zum Verhältnis zwischen den Geschlechtern; 6.
Zukunftserwartungen hinsichtlich Beruf und Karriere; 7.
Schulzufriedenheit, Mitbestimmung in der Schule und Integration in
die Klassengemeinschaft.“153
Ergebnisse:
Bei der Befragung gaben 74,5 % der Schülerinnen aus
geschlechtshomogenen Schulen und 70,2 % der Mädchen aus
Koedukationsschulen an, ihre Freizeit gleich gern mit Jungen und
Mädchen zu verbringen. „Nur 11,2 % der Mädchen aus
Mädchenschulen gegenüber 9,6 % der Mädchen aus
Koedukationsschulen äußerten, dass sie ihre Freizeit lieber nur mit
Mädchen verbrächten.“154 Jedoch verbrachten die Schülerinnen von
Mädchenschulen ihre Freizeit zu 55,6 % mit Mädchen.
Schülerinnen von Koedukationsschulen sind hingegen in ihrer
Freizeit nur zu 39,4 % mit Mädchen zusammen. Vermutlich fällt es
Mädchen von koedukativen Schulen leichter auch außerhalb der
Schule einen natürlichen und freundschaftlichen Kontakt zu Jungen
herzustellen.
Beim Vergleich der Schulnoten wurde festgestellt, dass Mädchen
aus reinen Mädchenschulen signifikant bessere Noten in den
Fächern Geschichte, Chemie und Physik hatten. „Keine
Unterschiede ergaben sich in Mathematik, Deutsch und Englisch.
Diese Unterschiede sind auch nicht durch eine verschiedene
Bereitschaft, Arbeit für die Schule zu investieren, zu erklären, da
dieser Fragebogenteil keine abweichenden Ergebnisse bei
153
Rohr, Susanne, Brigitte Rollett: Die Koedukationsdebatte und das
Bildungsrecht der Mädchen. In: Bildung und Erziehung, 45 (1992) 1
154
ebenda S. 72
73
Versuchs- und Kontrollgruppe erbrachte; beide Gruppen
investierten außerdem gleich viel Arbeitszeit täglich und am
Wochenende für die Schule.“155 Auch der Computer wurde von
beiden Gruppen vergleichbar häufig genutzt.
Beim Thema der Mitsprache in der Schule wurde festgestellt, dass
es Mädchen in reinen Mädchenschulen eher möglich war,
Themenschwerpunkte im Unterricht mit zu beeinflussen.
Bezogen auf die Studienwünsche offerierte die Untersuchung keine
nennenswerten Unterschiede zwischen den beiden Gruppen.
Auch in der persönlichen Einschätzung der eigenen
Leistungsfähigkeit wurden keine Unterschiede registriert.
Hingegen sind Mädchen aus reinen Mädchenschulen signifikant
häufiger der Meinung, später tatsächlich in ihrem Traumberuf
arbeiten zu können als Mädchen von koedukativen Schulen.
Eine höhere Bereitschaft naturwissenschaftliche Fächer zu
studieren, wie Befürworterinnen der Segregation dies häufig von
Mädchen der Mädchenschulen vermuten, konnte nicht
nachgewiesen werden.
Besonders interessant waren die Antworten auf die Frage, für
welche Schulform sich die Schülerinnen entscheiden würden, wenn
sie die Möglichkeit hätten erneut zu wählen: „Mädchen aus
koedukativ geführten Schulen entschieden sich zu 96,8 % für
dieselbe Schulform. Ein völlig anderes Bild ergibt sich bei den
Mädchen aus Mädchenschulen: 82,9 % geben an, daß sie lieber
eine koedukativ geführte Schule besuchen würden.“156
Dieses Ergebnis ist insofern bedeutsam, da es zeigt, dass der
größte Teil der betroffenen Mädchen eine Segregation ablehnt. Vor
diesem Hintergrund sollte die Koedukation nicht grundsätzlich in
Frage gestellt werden.
155
ebenda S. 73
156
ebenda S. 76
74
7.2 Eine Untersuchung aus den 50er Jahren
Bei einer Befragung von gut 400 Schülerinnen und Schülern in den
50er Jahren stellte Hella Demant fest, dass sich gut zwei Drittel der
Mädchen für Koedukation aussprachen, hingegen nur ein Drittel der
Jungen die Koedukation befürworteten. Die befragten Mädchen und
Jungen besuchten Berliner Oberschulen des praktischen,
technischen und wissenschaftlichen Zweiges – die damals in etwa
unseren Schulformen Hauptschule, Realschule und Gymnasium
entsprachen.157 Das Besondere an der Untersuchung war, dass
Frau Demant „die Begründungen für oder gegen Koedukation auf
das Selbst- und Fremdbild der Jugendlichen bezogen hat und damit
ein Stück weit ihre Sichtweisen des Geschlechterverhältnisses
widerspiegeln konnte.“158 Mädchen wie Jungen hatten damals ein
überwiegend negatives Mädchen- und ein überwiegend positives
Jungenbild. Damals lehnten besonders die Jungen aus
Jungenschulen Koedukation vehement ab. Aber auch 50 % der
Schüler von koedukativen Schulen wünschten sich eine Erziehung
ohne die Mädchen. Die Mädchen hingegen sprachen sich für eine
gemeinsame Erziehung mit Jungen aus, und zwar unabhängig
davon, welchen Schultyp sie besuchten. In diesem Zusammenhang
stellt Hannelore Faulstich-Wieland fest, dass es hier offensichtlich
zu einer Stimmungsveränderung gekommen ist, denn wenn sich
heute jemand für eine Trennung ausspricht, dann sind es
wesentlich häufiger die Mädchen.159
157
vgl. Faulstich-Wieland und Horstkemper: Trennt uns bitte, bitte, nicht! Opladen
1995, S. 15
158
Demant, Hella: Koedukation oder getrennte Erziehung? Frankfurt/M. 1955,
zitiert nach: Faulstich- Wieland, Hannelore, Marianne Horstkemper: „Ohne Jungs
fehlt der Klasse der Pep!“ In: Die Deutsche Schule, o. Jg. (1992) 3, S. 348-351
159
vgl. ebenda S. 351
75
7.3 Geschlechtsspezifische Meinungsbilder zur
Koedukation
Hannelore Faulstich-Wieland und Marianne Horstkemper ging es in
dieser Studie nicht um die Frage, ob Mädchen oder Jungen von der
Koedukation profitieren, sondern in dieser Untersuchung ging es
um die Erarbeitung eines Meinungsbildes. Es interessierte die
Frage, was Schülerinnen und Schüler über gemeinsamen
Unterricht denken.
Untersuchungsmethode:
Um sich ein Bild von den differenzierten Meinungen der Kinder und
Jugendlichen zum Thema Koedukation zu machen, wurden 1.734
Aufsatzinhalte unter qualitativen Gesichtspunkten interpretiert. Die
Forscherinnen verzichteten auf standardisierte Befragungen um die
SchülerInnen nicht mit einer bereits bestehenden Hypothese zu
beeinflussen.160
Insgesamt war die Stichprobe mit 439 Mädchen eines
Mädchengymnasiums, 264 Jungen eines Jungengymnasiums und
1.031 SchülerInnen der Jahrgänge 3 bis 13 von koedukativen
Schulen (zwei Grundschulen, eine Orientierungsstufe, eine
Hauptschule, eine Realschule und ein Gymnasium), sehr groß. Im
Gegensatz zu der Studie von Susanne Rohr wurde in dieser
Untersuchung der soziale Kontext der befragten SchülerInnen nicht
erfaßt.
Was Mädchen und Jungen über gemeinsamen Unterricht denken:
In dieser Untersuchung sprechen sich 50 % der befragten Mädchen
und Jungen für gemeinsamen Unterricht aus; 24 % der
SchülerInnen sind für Trennung, weitere 26 % äußern sich
unentschieden. Betrachtet man die Geschlechterverteilung sind es
160
vgl. Faulstich-Wieland,H. / Horstkemper, M.: Trennt uns bitte, bitte nicht!,
Opladen 1995, S. 27
76
41 % der Mädchen und 60 % Jungen, die sich für die Koedukation
aussprechen. Mehr Mädchen (31 %) als Jungen (16 %) sehen in
einer völligen oder zeitweiligen Trennung Vorteile. Ambivalent
äußern sich 23 % der Jungen und 28 % der Mädchen.161
Differenziert man dieses Ergebnis nach SchülerInnen von
geschlechtshomogenen Schulen und koedukativen Schulen so fällt
auf, dass die Akzeptanz zur Koedukation in koedukativen Schulen
deutlich höher liegt als in geschlechtshomogenen Schulen. In
geschlechtshomogenen Schulen äußern sich 46 % der Mädchen
und 33 % der Jungen ambivalent. Immerhin sprechen sich 37,9 %
der Jungen vom Jungengymnasium für gemeinsamen Unterricht
aus. Jedoch nur 9,1 % der Mädchen vom Mädchengymnasium
sind für die Koedukation. 72,5 % der Jungen und 67,3 % der
Mädchen von koedukativen Schulen befürworten hingegen
gemeinsamen Unterricht.162
Dieses Ergebnis spricht zwar klar für die Koedukation, ist aber
längst nicht so eindeutig wie die über 80 %
KoedukationsbefürworterInnen in der Studie von Susanne Rohr
(siehe 7.1Error! Reference source not found.). Lediglich 9,1 %
der Mädchen von Mädchenschulen sprachen sich in der FaulstichWieland / Horstkemper Untersuchung eindeutig für Koedukation
aus. Der Vergleichswert in der Rohr Studie lag bei 82,9 %. Offenbar
differenzierte Susanne Rohr lediglich zwischen GegnerInnen und
BefürworterInnen der Koedukation. Ambivalente Aussagen, die in
der Faulstich-Wieland / Horstkemper-Untersuchung sehr zahlreich
sind, wurden vermutlich von Rohr in eine ihrer Kategorien
eingeordnet.
Auch die gewählte Aufsatzform, als Grundlage der Untersuchung in
der Faulstich-Wieland / Horstkemper-Studie, kann unter Umständen
zu differenzierteren Aussagen gegenüber der Rohr Studie geführt
haben.
161
vgl. ebenda S. 29
162
vgl. ebenda S. 32
77
Die Autorinnen geben an, dass es sich bei den Befragten nicht um
eine repräsentative Stichprobe handelt, sondern ein
überproportional großer Teil der Jugendlichen, die getrennt
unterrichtet werden, einen solchen Schultyp häufig bewusst
bevorzugen oder diesen im Einverständnis mit den Eltern gewählt
haben,163 wodurch sich die hohe Solidarität mit der gleichen
Schulform erklärt werden könnte. Dieser Sachverhalt lässt
vermuten, dass ein Großteil der monoedukativ unterrichteten
SchülerInnen den Besuch dieser Schulform als Privileg gegenüber
den öffentlichen Schulen ansehen.
Zustimmung zur Koedukation differenziert nach Alter:
Die Zustimmung zum gemeinsamen Unterricht von Jungen und
Mädchen ist in der Grundschule, mit über 70 %, sowie in der
koedukativ unterrichteten gymnasialen Oberstufe, mit fast 100 %,
am größten. In der Sekundarstufe 1 liegen die Werte zwischen 60
und 70 %. Der Anteil der SchülerInnen die sich ambivalent zur
Koedukation äußern nimmt in den Klassen 5 und 6 zu. Die
Forscherinnen weisen jedoch darauf hin, dass die Ergebnisse
„keine eindeutig lebensalterbezogene oder eindeutig
geschlechtstypische Interpretation“ zulassen.164 „Wir haben
gesehen, daß institutionelle Faktoren des schulischen Kontextes
offenbar ebenso eine Rolle spielen wie entwicklungspsychologische
Stadien des Identitätserwerbs.“165
Erkenntnisse aus der Befragung:
Die überwältigende Mehrheit der SchülerInnen sprechen sich
ausdrücklich für gemeinsames Lernen aus. Insbesondere gilt dies
für Kinder und Jugendliche aus koedukativen Schulen. Jedoch läßt
sich auch ein durchaus bemerkenswerter Anteil an
KoedukationsbefürworterInnen in geschlechtshomogenen Schulen
163
vgl. ebenda S. 30
164
ebenda S. 36
165
ebenda S. 36
78
finden. Mit gemeinsamen Unterricht verbinden viele Mädchen und
Jungen „Sicherheit und Unbefangenheit im Umgang mit dem
anderen Geschlecht.“166 Dies bedeutet für sie ein Stück
„Lebensqualität“ in der Schule.
Typisierungen werden durch eine institutionelle Trennung nach
Geschlecht eher gefördert, als das sie zur selbstbewußten
Kompetenzeinschätzung anregen. Basierend auf der Tatsache,
dass Jungen an Jungenschulen ihre Leistungen nicht mit den
Leistungen von Mädchen vergleichen können, kommt es zu einer
Verstärkung der Überlegenheitsannahme in bestimmten Bereichen.
In koedukativen Schulen gestehen Jungen den Mädchen vielfältige
und gleiche Fähigkeiten wie sich selbst zu. Auch sind
Abgrenzungsbedürfnisse gegenüber ihren Mitschülerinnen deutlich
seltener, als dies bei Jungen von geschlechtshomogenen Schulen
der Fall ist.
Bei den Mädchen von Mädchenschulen führt der mangelnde
Vergleich mit den Jungen zu einem Unterlegenheitsgefühl
gegenüber den angenommenen Leistungen der Jungen. Auch
waren sich manche Mädchen von Mädchenschulen unsicher
darüber, ob die Lerninhalte, die ihnen vermittelt werden,
gleichwertig zu den Lerninhalten zu sehen sind, die SchülerInnen
an anderen Schulen lernen.
Jungen wie Mädchen von geschlechtshomogenen Schulen
sprachen immer wieder über ihre Unsicherheit, die Situation in
einem gemeinsamen Unterricht nicht beurteilen zu können.
166
ebenda S. 255
79
Fazit:
Die große Stichprobe über alle Altersstufen hinweg, in der Studie
von Faulstich-Wieland und Horstkemper, gibt ein außerordentlich
umfangreiches und differenziertes Bild über das, was Mädchen
und Jungen über Koedukation denken. Jedoch konnte der immer
wieder angenommene Zusammenhang zwischen Schultyp
(koedukativ oder geschlechtshomogen) und Selbstkonzept der
Mädchen (zum Beispiel von Spender), in dieser Untersuchung nicht
bestätigt werden.
Bei Befragungen von SchülerInnen von geschlechtshomogenen
Schulen wird immer wieder bemängelt, dass es sich hierbei um
Schulen in kirchlicher Trägerschaft handelt, die ihre SchülerInnen in
der Regel aus der gehobenen Mittel- und Oberschicht beziehen.
Der familiäre Kontext dieser Kinder und Jugendlichen, der sich
durch ein hohes Interesse an einer sehr guten Ausbildung
auszeichnet, ist eher konservativ und traditionell christlich geprägt.
Dieses in der Familie vertretende Weltbild kann auf die Aussagen
der Heranwachsenden durchaus Einfluß haben.167 Da es aber nur
noch sehr wenige geschlechtshomogene Schulen gibt, und dies im
allgemeinen Gymnasien sind, kann hier leider kein differenzierteres
Bild dargestellt werden.
Bemerkenswert ist, dass sich in allen drei dargestellten
Untersuchungen die Mädchen mehrheitlich für gemeinsamen
Unterricht aussprechen. Lässt man die etwas ältere Studie von
Hella Demant außer Betracht, so scheint es, dass im derzeitigem
gesellschaftlichem Kontext auch die Jungen mehrheitlich für die
Koedukation sind. Die Studien von Susanne Rohr, sowie von
Faulstich-Wieland und Horstkemper lassen dies zumindest
annehmen.
167
vgl. ebenda S. 128
80
7.4 Zur Bedeutung der Koedukation für Jungen
Sind Jungen tatsächlich „Nutznießer“ der Koedukation, wie dies
oftmals behauptet wird? Diese Frage versuchten Friederike HolzEbeling (Universität Marburg), Janet Grätz-Tümmers
(Schulpsychologischer Dienst Fulda) und Christine Schwarz
(Erziehungsberatungsstelle Herborn) mit Hilfe einer empirischen
Studie zu beantworten.
Basierend auf der Grundüberlegung, dass Vorteile von Jungen,
Nachteile für Mädchen nach sich ziehen, verglichen die
Forscherinnen Jungen von geschlechtshomogenen Schulen mit
Jungen von koedukativen Schulen.168
Die These der „Nutznießerrolle“ der Jungen ließe sich lediglich
stützen, so das Autorenteam, wenn der Nachweis erbracht werden
könnte, dass Jungen aus koedukativen Schulen Vorteile gegenüber
Jungen aus Jungenschulen haben. Die Autorinnen Zweifeln die in
anderen Untersuchungen festgestellten Unterschiede zwischen
Mädchen und Jungen nicht an, doch meinen sie, dass aus
Nachteilen für Mädchen unter koedukativen Bedingungen nicht
automatisch Vorteile für Jungen abzuleiten seien. Auch der
Vergleich von Mädchen aus koedukativen Schulen und solchen aus
Mädchenschulen würde hier zu kurz greifen. Fänden sich bei dem
Vergleich von Jungen aus koedukativen Schulen und Jungen aus
Jungenschulen keine Unterschiede, so wäre die Koedukation für
Jungen kein relevanter Faktor.
168
vgl. Holz-Ebeling, Friederike, Grätz-Tümmers, Janet und Christine Schwarz:
Jungen als „Nutznießer“ der Koedukation?, Zeitschrift für
Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, Organ der Deutschen
Gesellschaft für Psychologie (DGPs) und der Fachgruppen
Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 32. Jahrgang 2000
81
Fragestellung:
Gibt es Unterschiede zwischen Jungen aus koedukativen Schulen
und Jungen aus Jungenschulen hinsichtlich
(1) der Zuwendung gegenüber Naturwissenschaften, Mathematik
und Technik,
(2) der Leistung und Leistungsorientierung,
(3) der schulischen und allgemeinen sozial – emotionalen
Befindlichkeit, sowie
(4) der Voraussetzung und Erfahrung bezogen auf
Liebesbeziehungen zu Mädchen?
Bei der Untersuchung dienen die Mädchen aus koedukativen
Schulen lediglich als Referenzgruppe, um die Ergebnisse bezogen
auf in der Untersuchung festgestellten Geschlechtsunterschiede
besser einordnen zu können. Es ging also nicht darum, ob
potentielle Vorteile der Jungen zu Nachteilen der Mädchen führen,
sondern lediglich um die Frage, ob Jungen von
Koedukationsschulen hinsichtlich der genannten Merkmale anders
abschneiden als Jungen von geschlechtshomogenen Schulen.
Stichprobe:
Untersuchungsteilnehmer waren Schüler von zwei
Jungengymnasien katholischer Trägerschaft, aus dem Bundesland
NRW: Als weitere Untersuchungsteilnehmer wurden dazu passend
zwei koedukativ geführte Gymnasien gewählt. Auch diese beiden
Schulen befanden sich in katholischer Trägerschaft und waren
ebenso Schulen aus dem Bundesland NRW. Untersucht wurden
jeweils die SchülerInnen der Klassenstufe 11. und 12. Die
Befragung der männlichen Schüler der 12. Jahrgangsstufe der
einen Jungenschule konnte leider aus schulinternen Gründen nicht
durchgeführt werden.
Durchführung:
82
Die Untersuchung wurde 1992, im Rahmen von zwei Schulstunden
durchgeführt. Vorwiegend wurden multiple-choice-Fragen gestellt.
Lediglich Berufswünsche waren offen zu beantworten, sowie
Angaben über die Berufe der Eltern. Abstufungsmöglichkeiten gab
es bei den Fragen zu folgenden Themen: (1) Hausaufgaben (2)
Liebesbeziehungen (diverse Items) und (3) Gottesdienstbesuche.
Ergebnisse:
Sozialstaus: Die Schüler einer Jungenschule hatten einen
signifikant niedrigeren Sozialstatus als die SchülerInnen der
anderen Gruppen.
Religiosität: Bezogen auf die Religiosität wurden keine
Unterschiede zwischen den Gruppen festgestellt.
Interessen: Interessenunterschiede wurden lediglich zwischen den
Geschlechtern, nicht aber zwischen den Jungengruppen
festgestellt. Jungen interessieren sich mehr für „Politik und
Wirtschaft“, „Technik und exakte Naturwissenschaften“ und
„Mathematik“. Einen leichten Schultypeffekt konnte lediglich bei
dem Thema „Sozialpflege und Erziehung“ festgestellt werden. Hier
zeigten Jungen koedukativer Schulen weniger Interesse.
Schulfächer: Beide Jungengruppen haben eine positivere
Einstellung zu den Fächern Physik und Mathematik als die
Mädchen. Auch bei der Wahl von Leistungskursen und bei
Berufswünschen finden sich Geschlechtsunterschiede wieder.
Jungen beider Schulen wählen häufiger Physik und Mathematik als
Leistungskurs und, bezogen auf den Berufsabsicht, äußerten die
Jungen häufiger den Wunsch Studienfächer im
naturwissenschaftlichen und ingenieurwissenschaftlichem Bereich
studieren zu wollen. Ein Studienfach aus dem
geisteswissenschaftlichem und künstlerischem Bereich wurden von
beiden Jungengruppen im Vergleich zu den Mädchen seltener
präferiert.
Leistungstestergebnisse und schulisches Selbstbild:
83
Jungen beider Jungengruppen erreichen im Leistungstest Physik
höhere Werte als die Mädchen. Im Fach Physik läßt sich auch ein
Schultypeffekt feststellen. Die besseren Physikkenntnisse haben
Jungen von koedukativen Schulen. Tendenziell verfügen Jungen
von koedukativen Schulen auch über bessere Englischkenntnisse.
Betrachtet man das schulische Selbstbild, so lassen sich lediglich
Geschlechtsunterschiede nachweisen. Die Jungengruppen sind
überzeugter von ihren eigenen Leistungen.
Zeit für Hausaufgaben: Die durchschnittliche Zeit, die Schüler und
Schülerinnen für Hausaufgaben investierten, differenziert je nach
Geschlecht, sowie nach Schultyp. Während nur 11 % der Mädchen
täglich im Durchschnitt weniger als 30 Minuten Hausaufgaben
machen, sind es 30 % der Jungen von koedukativen Schulen und
51 % der Jungen aus Jungenschulen. Auch die Differenzierung
nach Jahrgangsstufe ergibt ein vergleichbares Bild.
Sozial – emotionale Befindlichkeit:
In diesem Bereich läßt sich ein Schultypeffekt zugunsten der
Jungen von koedukativen Schulen feststellen. Zum Ausdruck
kommt dies bei Fragen nach „Leistungsdruck“, „Mangel an
Mitsprachemöglichkeiten“ u.a.. Einen Geschlechtsunterschied
zugunsten der Mädchen läßt sich im Bereich seelischer Gesundheit
verzeichnen. Jedoch klagen sie mehr über Schulangst und
psychosomatische Beschwerden als beide Jungengruppen.
Liebesbeziehungen:
Bei dem Thema Liebesbeziehungen wurde festgestellt, dass
Jungen von geschlechtshomogenen Schulen im Vergleich zu
Jungen koedukativer Schulen liebesfähiger seien. Sie haben zu 33
% feste Beziehungen, im Vergleich zu 26 % der befragten Jungen
koedukativer Schulen. Den höchsten Anteil an festen Beziehungen
haben jedoch mit 57 % die Mädchen.
84
Zusammenfassung:
Für die These der Nutznießerrolle der Jungen in koedukativen
Schulen konnte in dieser Studie kein Beweis gefunden werden.
Zwischen den beiden Jungengruppen lassen sich mehr
Gemeinsamkeiten als Unterschiede feststellen. Unterschiede
zwischen den beiden Jungengruppen gibt es nur wenige. Lediglich
bei den Schulleistungen lassen sich Unterschiede zugunsten der
Jungen koedukativer Schulen feststellen. Dies hängt vermutlich
damit zusammen, dass sie mehr Zeit für ihre Hausaufgaben
investieren, als die befragten Jungenschulschüler dies tun. Dieses
Ergebnis steht jedoch im Gegensatz zu den Ergebnissen anderer
Studien, die feststellen, dass Jungen von Jungenschulen einen
höheren Arbeitseinsatz erbringen.169 In den Bereichen
Befindlichkeit und Liebesbeziehungen zu Mädchen genießen die
Jungen geschlechtshomogener Schulen, im Vergleich zu den
Jungen koedukativer Schulen sogar Vorteile.
Die Forscherinnen stellen fest: „Eindeutig dominieren in dieser
Studie die Geschlechtsunterschiede. Von dieser Perspektive aus
beleuchtet wird noch einmal deutlich, wie wenig die Koedukation –
zumindest was die Seite der Jungen betrifft – zur Etablierung dieser
Unterschiede und damit zu einer geschlechtsbezogenen
Sozialisation beiträgt.“170
Da die Stichprobe dieser Untersuchung sehr klein ist und es sich
bei den Schulen um gymnasiale Privatschulen in katholischer
Trägerschaft handelt, lassen sich die Befunde nicht ohne weiteres
auf öffentliche Schulen und andere Schultypen übertragen.
Dennoch halte ich die Untersuchung für sehr interessant, da es
leider wenig Studien gibt, bei denen Jungen im Mittelpunkt des
schulischen Forschungsinteresses stehen.
169
vgl. ebenda
170
ebenda
85
8 Schlussbemerkung
„Verbinde das Männliche mit dem Weiblichen, und Du wirst finden,
was Du suchst.“171
Wie wir in der Untersuchung von Hannelore Faulstich-Wieland und
Marianne Horstkemper (Kapitel 7.3) gesehen haben, spricht sich
eine überwältigende Mehrheit der Mädchen und Jungen
ausdrücklich für gemeinsames Lernen aus. Für viele dieser
SchülerInnen bedeutet Koedukation ein Stück „Lebensqualität“172.
Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse stellt sich die Frage nach
einer Unterrichtsgestaltung, die Mädchen und Jungen darin
unterstützt, ihre „eigene Identität zu finden, ohne sich von
typisierenden Geschlechtsrollenmustern einengen zu lassen.“173 In
diesem Zusammenhang sind insbesondere die Lehrkräfte, aber
auch die Eltern gefordert, die den Heranwachsenden als
Verhaltensmodelle dienen und ihnen unbewußt Signale aussenden,
was als tolerierbares Mädchen- bzw. Jungenverhalten gilt.174
Wünschenswert ist, dass sich Lehrkräfte sowie Eltern mit ihren
persönlichen Geschlechtsrollenvorstellungen auseinandersetzen.
Auf der Basis reflektierter Geschlechtsrollenvorstellungen ist es
LehrerInnen eher möglich das Verhaltensspektrum von Mädchen
und Jungen zu vergrößern. Dies könnte unter anderem durch
171
Maria, die Jüdin, Naturwissenschaftlerin in Alexandria, 1. Jahrhundert n. Chr.,
zitiert von Frank, Elisabeth: Schule der Chancengleichheit, Stuttgart 1997
172
vgl. Faulstich-Wieland und Horstkemper: Trennt uns bitte, bitte, nicht! Opladen
1995, S.255
173
ebenda S. 254
174
vgl. Preuss-Lausitz, Ulf: Die Schule benachteiligt die Jungen!?, Zeitschrift der
Pädagogik, 1999, Heft 5, S. 13
86
gezielte Wertschätzung der Mädchen in Bezug auf erbrachte
Leistungen und nicht nur für soziale Kompetenz, geschehen. Auch
Jungen könnten davon profitieren. Sie würden mit ihren Sorgen und
Nöten z.B. „cool“ und witzig sein zu müssen, unsichere Gefühle
nicht zeigen zu dürfen und Trost nicht zu finden, besser
wahrgenommen. Da traditionelle Rollenbilder immer seltener als
eindeutige Verhaltensmodelle dienen, haben es Mädchen und
Jungen in der heutigen Zeit schwerer als früher sich hinsichtlich
geschlechtsspezifischer Rollenerwartungen zurechtzufinden.
Zudem vermischen sich, wie in Kapitel 3 beschrieben,
althergebrachte Rollenerwartungen mit zeitgemäßen Vorstellungen
über das Verhalten von Kindern. Besonders erfolgversprechend
scheinen längerfristig angelegte Schulversuche zu sein, wie sie
Elisabeth Frank im Unterrichtsfach Physik durchführte. Diese Art
von Weiterqualifizierung und Sensibilisierung von Lehrerinnen und
Lehrern bezogen auf die geschlechtsspezifischen Lernbedürfnisse
und Lerninhalte von Mädchen und Jungen ist nachhaltiger als rein
theoretische Fortbildungen zu diesem Thema. Denn eine solche
Weiterqualifizierung erstreckt sich über einen längeren Zeitraum,
bei dem auch die Schülerschaft in den Veränderungsprozeß mit
einbezogen wird. Verhaltensänderungen der Lehrpersonen sind für
die SchülerInnen in einem deratigen Kontext besser erklärbar.
87
9 Anhang
Weitere Ausführungen zu Seite 5:
„Anzahl und Komplexität der für die Bewältigung einer Aufgabe
notwendigen Prozess- bzw. Rechenschritte. Die Aufgaben reichen
von einschrittigen Problemen, bei denen von den Schülerinnen und
Schülern verlangt wird, grundlegendes mathematisches
Faktenwissen abzurufen oder einfache Rechenschritte
durchzuführen, bis hin zu mehrschichtigen Problemen, die
fortgeschrittenes mathematisches Wissen und komplexe
Entscheidungsprozesse, die Verarbeitung von Informationen sowie
Fähigkeiten zur mathematischen Problemlösung und Modellierung
voraussetzen.
Anforderungen in Bezug auf die Herstellung von Querverbindungen
und Zusammenhängen. Bei den einfachsten Aufgaben wird von
den Schülerinnen und Schülern generell verlangt, eine einzige
mathematische Darstellung oder Technik auf eine Einzelinformation
anzuwenden. Bei den komplizierteren Aufgaben wird von ihnen
erwartet, Querverbindungen zwischen verschiedenen
Einzelinformationen herzustellen und diese unter Verwendung
verschiedener mathematischer Darstellungen, Instrumente oder
Kenntnisse in einem mehrschrittigen Prozess zu verknüpfen.
Anforderungen an Darstellung und Interpretation von Materialien
sowie Reflexion über Situationen und Methoden. Die Aufgaben
reichen von der Erkennung und Anwendung bekannter Formeln bis
hin zur Formulierung, Übertragung oder Konzipierung eines
geeigneten Modells in einem ungewohnten Kontext sowie der
88
Verwendung eines tieferen mathematischen Verständnisses,
Beweisführens, Argumentierens und Verallgemeinerns.“175
175
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