Alpen-Adria Universität Klagenfurt Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft Die Herausbildung des gängigen Fahrraddesigns PS 816.008: Einführung in die Technik- und Wissenschaftsforschung Dr. Oana Stefana Mitrea Mag. Matthias Werner Sommersemester 2011 Christina Steinkellner Klagenfurt, 10. Juli 2011 0760257 Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis ....................................................................................................................... 1 I Ehrenwörtliche Erklärung ........................................................................................................ 2 II Abbildungsverzeichnis ....................................................................................................... 3 1. Einleitung ............................................................................. Error! Bookmark not defined. 2. Techniksoziologie ................................................................ Error! Bookmark not defined. 3. SCOT – The Social Construction of Technology .................................................................. 6 4. Beispiel: Die soziale Konstruktion des Fahrrads ................................................................... 9 5. Kritik am SCOT-Ansatz ....................................................................................................... 13 6. Resumée ............................................................................................................................... 16 III Literaturverzeichnis .......................................................................................................... 17 1 I Ehrenwörtliche Erklärung Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende wissenschaftliche Arbeit selbstständig angefertigt und die mit ihr unmittelbar verbundenen Tätigkeiten selbst erbracht habe. Ich erkläre weiters, dass ich keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe. Alle aus gedruckten, ungedruckten oder dem Internet im Wortlaut oder im wesentlichen Inhalt übernommenen Formulierungen und Konzepte sind gemäß den Regeln für wissenschaftliche Arbeiten zitiert und durch Fußnoten bzw. durch andere genaue Quellenangaben gekennzeichnet. Die während des Arbeitsvorganges gewährte Unterstützung einschließlich signifikanter Betreuungshinweise ist vollständig angegeben. Die wissenschaftliche Arbeit ist noch keiner anderen Prüfungsbehörde vorgelegt worden. Diese Arbeit wurde in gedruckter Form abgegeben. Ich bin mir bewusst, dass eine falsche Erklärung rechtliche Folgen haben wird. Unterschrift: Ort/Datum: Klagenfurt, 30. September 2011 2 II Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Beispiel für ein 6-stufiges lineares Modell; Quelle: Bijker, Pinch, Hughes 1989: 23 ................................................................................................................................................ 6 Abbildung 2: Multidirektionales Modell der Entwicklung des Fahrrads; Quelle: Bijker/Pinch/Hughes 1989: 29 ................................................................................................... 9 Abbildung 3: Abbildung der relevanten sozialen Gruppen, Probleme und Lösungen im Innovationsprozess des "Penny Farthing", Quelle: Bijker, Pinch, Hughes 1989: 37 ............... 10 Abbildung 4: Lawsons's Bicyclette 1879; Quelle: Bijker/Pinch/Hughes 1989: 39 ................. 11 3 1. Einleitung Das Thema dieser Arbeit im Rahmen der Lehrveranstaltung Einführung in die Technik- & Wissenschaftsforschung ist die soziale Konstruktion von Technik am Beispiel des Fahrrads. Zur Einführung in den Themenbereich wird zuerst auf die Techniksoziologie allgemein eingegangen. Texte von Nina Degele und Werner Rammert helfen den Bereich genauer zu beschreiben und zu konkretisieren. Anschließend wird näher auf die konstruktivistische Perspektive der Techniksoziologie eingegangen, und in diesem Sinne auch auf das SCOT-Modell (Social Construction Of Technology), das dem darauffolgenden Beispiel der sozialen Konstruktion des Fahrrads nach Bijker und Pich zugrunde liegt. Daraufhin wird die Kritik am SCOT-Ansatz anhand von Aufsätzen von Langdon Winner und Klein und Kleinmann besprochen. Beide haben berechtigte Kritik vorzubringen. 4 2. Techniksoziologie Die Techniksoziologie ist eine junge sozialwissenschaftliche Disziplin, deren Profil ein sozialwissenschaftlicher Zugang mit gleichzeitiger Abgrenzung zu den Geistes- und Naturwissenschaften ist. Ihr Anspruch ist es, Soziales durch Soziales zu erklären. (Vgl. Degele 2002: 7) Wobei zu beachten ist, dass die Techniksoziologie „keine isolierte, aus sich zu begründende Spezialisierung einer sich professionalisierenden Disziplin“ (Ebenda: 8) ist. Techniksoziologie entwickelte sich aus klassischen sozialtechnischen Überlegungen zu Technik und Gesellschaft, formuliert unter anderem von Karl Marx, Max Weber und Émile Durkheim. (Vgl. Ebenda) Die grundsätzliche These der Techniksoziologie lautet: Technik „ist ein gesellschaftliches Produkt, das Sozialität entscheidend mitprägt.“ (Ebenda) Daraus entwickelte sich die „harte“ Technikfolgenabschätzung. Sie ist ein politisch eingerichtetes Verfahren, das versucht „mit einer neuen Technik zu erwartende Folgeprobleme und Risiken mit wissenschaftlichen Methoden möglichst frühzeitig zu ermitteln.“ (Rammert 1993: 23) Ihre Trägheit stellte aber einen großen Schwachpunkt dar und ein Umdenken setzte ein. Das Ergebnis war die Technikgeneseforschung. In diesem Bereich wird die Entstehung von Technik behandelt. (Vgl. Ebenda: 19) Vor diesem Hintergrund haben sich daraufhin verschiedene Sichtweisen herauskristallisiert. Hier wären beispielsweise „feministische, konstruktivistische und postkonstruktivistische, system- und evolutionstheoretische, kulturtheoretische und realistische Ansätze“ (Degele 2002: 10) der Techniksoziologie der Gegenwart zu nennen. 5 3. SCOT – The Social Construction of Technology Die Social Construction of Technology, kurz SCOT, wurde von Pinch und Bijker eingeführt. Es ist ein techiksoziologisches Programm, das aus einer Reihe von „case studies“ entwickelt wurde. Das SCOT-Programm wurde in bewusster Anlehnung an das EPOR-Konzept der „Bath-School“ formuliert. Den beiden Konzepten sind drei Grundannahmen gemein. Erstens die interpretative Flexibilität, das Vorhandensein sozialer Mechanismen, die die Technik beeinflussen und das Auftreten von Schließungsmechanismen. (Vgl. Bammé 2009: 135) Die Funktion des SCOT-Ansatzes ist in erster Linie heuristisch und soll alle bis jetzt relevanten Aspekte einer Erfindung abbilden. Das SCOT-Modell tut schon mehr als nur technische Entwicklungen zu beschreiben. Es betont den multidirektionalen Charakter eines Artefakts und zeigt seine interpretative Flexibilität auf. Weiters zeigt es die Rolle, die verschiedene Schließmechanismen in der Stabilisierung eines Artefakts spielen können. (Vgl. Bijker/Pinch/Hughes 1989: 40) Unter SCOT versteht man die Entwicklung eines technischen Artefakts, welche als Wechsel von Änderungen und Selektion beschrieben wird. Es ist ein mulitdirektionales Modell, das nach Pinch und Bijker essentiell für jeden sozialkonstruktivistischen Blick auf Technologie ist. Abbildung 1: Beispiel für ein 6-stufiges lineares Modell; Quelle: Bijker, Pinch, Hughes 1989: 23 Ein lineares Modell wäre wohl auch möglich, hier werden aber die nicht erfolgreichen Erfindungen ausgeblendet. (Vgl. Bijker/Pinch/Hughes 1989: 28) Bammé bezeichnet das von Bijker und Pinch verwendete multidirektionale Modell als empirisch gehaltvoller als ein lineares Modell, das nur sechs aufeinanderfolgende Stufen beinhaltet. Nämlich zuerst die Basisforschung, die angewandte Forschung, die technische Entwicklung, Produktentwicklung, Produktion und schließlich Nutzung (Abb. 1) (Vgl. Bammé 2009: 138) Durch die Verwendung eines multidirektionalen Modells ist es möglich das Versagen einiger Erfindungen zu hinterfragen, und das Gelingen anderer auch. Dieser Schritt ist notwendig, um die interpretative Flexibilität eines technischen Artefakts zu zeigen. (Vgl. Ebenda: 29) 6 Grundlegende Annahmen des SCOT-Ansatzes sind zuerst einmal die Verwendung eines multidirektionalen Modells, wie schon beschrieben. Weiters sprechen Pinch und Bijker von relevanten sozialen Gruppen. Das sind für sie einerseits Institutionen und Organisationen wie beispielsweise das Militär oder industrielle Firmen, und andererseits organisierte und unorganisierte Gruppen von Individuen. Die einzige Voraussetzung für eine soziale Gruppe ist, dass alle Beteiligten gemeinsame Bedeutungen zu einem bestimmten Artefakt haben. (Vgl. Bijker/Pinch/Hughes 1989: 30) Pinch und Bijker definieren in ihren Ausführungen drei Stufen der sozialen Konstruktion von technischem Wissen. Erstens die interpretative Flexibilität. Damit ist gemeint, dass Technik keine inhärente Bedeutung mit fest gezogenen Grenzen hat. Unterschiedliche soziale Gruppen sehen verschiedene Dinge in einem Artefakt. (Vgl. Degele 2002: 101) Das zeigt, dass technische Artefakte kulturell konstruiert und interpretiert werden. Hier ist es wichtig nicht davon auszugehen, dass ein Weg der einzig richtige ist. Unterschiedliche soziale Gruppen können radikal unterschiedliche Interpretationen eines technischen Artefakts haben. (Vgl. Bijker/Pinch/Hughes 1989: 41) Es folgt die Einschränkung der interpretativen Flexibilität durch soziale Mechanismen. Sie nennen diese Phase Schließung bzw. Stabilisierung. Daraus kann eine wissenschaftliche Diskussion entstehen. Wobei sie zusätzlich zwischen dem Mechanismus der rhetorischen Schließung und der Schließung durch Redefinition des Problems unterscheiden. (Vgl. Ebenda entscheidenden Faktor in diesem Prozess nennen Bijker und Pinch den Einfluss der Werbung auf die Meinung einer sozialen Gruppe über ein Artefakt. 7 Ersterer, der Mechanismus der rhetorischen Schließung, bezeichnet die Stabilisierung eines Artefakts und das Verschwinden von Problemen. Um eine Diskussion zu schließen, müssen bestehende Probleme nicht wirklich gelöst werden, die relevanten sozialen Gruppen müssen das Problem lediglich als gelöst wahrnehmen. (Vgl. Ebenda: 44) Die Schließung durch Redefinition eines Problems beschreiben sie am Beispiel des luftgefüllten Fahrradreifens folgendermaßen: Für die meisten IngenieurInnen war der Gummireifen eine theoretische und praktische Monstrosität. Für die Öffentlichkeit war es ein hässliches Accessoire. Für die Produzenten war es eine Lösung für das unruhige Fahrverhalten des Rads. Die Sportfahrer mit ihren „high-wheelern“ sahen das aber keineswegs als Problem an. Bis der Gummireifen bei einem Radrennen verwendet wurde. Zuerst nur belächelt, überzeugte der Reifen durch seine hohe Geschwindigkeit. So wurde der luftgefüllte Fahrradreifen akzeptiert, aber nicht wegen seiner eigentlichen Bestimmung, nämlich das Rütteln zu verringern, sondern wegen der hohen Geschwindigkeit, die mit ihm erreicht werden konnte. (Vgl. Bijker/Pinch/Hughes 1989: 44ff) Die dritte Phase stellt eine Verbindung von den Schließungsmechanismen zum weiteren sozialen Kontext her. Die technischen Artefakte werden durch Bedeutungen beschrieben, die ihnen relevante soziale Gruppen geben. Hier beeinflusst die soziokulturelle und politische Situation der sozialen Gruppen die Bedeutung des Artefakts. So haben unterschiedliche Bedeutungen Einfluss auf verschiedene Linien der Entwicklung. Das SCOT-Programm bietet somit eine Grundlage für die Beziehung zwischen dem weiteren Umfeld und dem aktuellen Inhalt von Technik, auf die im Text von Bijker und Pinch aber nicht explizit eingegangen wird. (Vgl. Ebenda: 46) 8 4. Beispiel: Die soziale Konstruktion des Fahrrads Bijker und Pinch demonstrierten ihre Theorie der Social Construction of Technology am Beispiel des Fahrrads. Zu Beginn einer Untersuchung schlagen Bijker und Pinch folgende Schritte vor. Zuerst müssen die sozialen Gruppen festgelegt bzw. identifiziert werden. Danach sollten sie im Detail beschrieben werden. Hier ist unter Anderem wichtig warum sie das Artefakt verwenden. In diesem Abschnitt kommt die interpretative Flexibilität zum Tragen. Anschließend gilt es die Probleme, die die einzelnen Gruppen mit der Erfindung haben herauszufinden. Und als letzten Schritt fordern sie den Beweis der Stabilisierung. (Vgl. Bijker/Pinch/Hughes 1989: 34-39) Die Ausgangssituation beim Fahrrad war folgende: es existierten am Anfang, ausgehend vom „Ordinary“ - später „Penny Farthing“-Modell genannt - viele, ziemlich unterschiedliche Abbildung 2: Multidirektionales Modell der Entwicklung des Fahrrads; Quelle: Bijker/Pinch/Hughes 1989: 29 Variationen des Fahrrads. Sie waren alle Rivalen. Die bisher vorherrschende lineare Betrachtungsweise von Technik vernachlässigt diesen Aspekt indem sie nur von einer „richtigen“ Entwicklung ausging. Wie oben bereits erwähnt ermöglicht die multidirektionale Sichtweise des SCOT-Programms (siehe Abb. 2) einen genaueren Blick auf die einzelnen technischen Artefakte zu einem bestimmten Zeitpunkt. So kann ihr Gelingen bzw. Versagen hinterfragt werden. (Vgl. Bijker/Pinch/Hughes 1989: 28f) Hierbei sind die sozialen Gruppen, die mit dem Artefakt zu tun haben bedeutend. Im Fall des Fahrrads sind die relevanten sozialen Gruppen die Frauen, die Alten, die Sportler, die Freizeitfahrer, die Produzenten und die Gegner. (Vgl. Ebenda: 36) Sie alle haben die Entwicklung des Fahrrads maßgeblich beeinflusst. 9 Die folgende genauere Beschreibung der bedeutenden sozialen Gruppen beinhaltet beispielsweise die Gruppe der sportlichen Radfahrer. Das waren meist junge, wagemutige Männer. Zu ihren Berufen zählten Angestellte oder Lehrer. Sie fuhren überwiegend das „high-wheeled Ordinary“. (Vgl. Ebenda: 34) Anschließend identifizieren Bijker und Pinch die Probleme, die die bedeutenden sozialen Gruppen mit dem Artefakt haben. Es existieren nur Probleme, wenn sie von den Benutzern auch als solche wahrgenommen werden. (Vgl. Ebenda: 30) Für jedes Problem gibt es einige Lösungsansätze. (Vgl. Ebenda: 35) Es spielen aber nicht nur die Benutzer und Befürworter eines Artefakts eine Rolle, sondern auch seine Gegner. Denn auch für sie hat das Artefakt eine Bedeutung. (Vgl. Ebenda: 32) Auf diese Art und Weise können alle bestehenden Konflikte der relevanten sozialen Gruppen herausgefunden werden. (Vgl. Ebenda: 35) Beispielsweise die Geschwindigkeits- und Abbildung 3: Abbildung der relevanten sozialen Gruppen, Probleme und Lösungen im Innovationsprozess des "Penny Farthing", Quelle: Bijker, Pinch, Hughes 1989: 37 die Sicherheitsanforderungen an das Fahrrad. Oder rivalisierende Lösungsvorschläge für ein und dasselbe Problem. Zum Beispiel die Erfindung der „safety low-wheeler“ und der „safety ordinaries“. Oder sogar moralische Konflikte, die mit dem Artefakt verbunden sind. Hier nennen Bijker und Pinch beispielsweise das Kleidungsproblem von Frauen auf „highwheelern“. (Vgl. Ebenda: 35) Für diese Kontroversen sehen die Autoren nicht nur technische, sondern auch juristische und moralische Lösungsansätze. So könnte sich zum Beispiel die allgemeine Haltungen der Öffentlichkeit zu Frauen, die beim Radfahren Hosen tragen, ändern. Diese Erkenntnisse stellten Bijker und Pinch wiederum in einem multidirektionalen Modell dar, dass alle sozialen Gruppen, ihre Probleme mit dem Artefakt Fahrrad und verschiedene Lösungsansätze abbildet (siehe Abb. 3). 10 Die Stabilisierung des Artefakts ist in allen sozialen Gruppen unterschiedlich stark ausgeprägt. (Vgl. Ebenda: 39) Am Beispiel des Fahrrads zeigen Bijker und Pinch, dass die Erfindung des „safety bicycle“ kein isoliertes Ereignis war, sondern ein, von 1879-98, 19 Jahre andauernder Prozess. Zu Beginn dieser Abbildung 4: Lawsons's Bicyclette Bijker/Pinch/Hughes 1989: 39 1879; Quelle: Zeit nahmen die bedeutenden Gruppen das „safety bicycle“ gar nicht wahr. Lediglich mehrere Zwei- und Dreiräder, darunter das Lawson’s Bicyclette. Es zeichnete sich durch ein relativ niedriges Vorderrad und einen kleinen Kettenantrieb aus (Abb. 4). Am Ende dieser Zeitspanne bezeichnete der Ausdruck „safety bicycle“ genau diese Art von Fahrrad. A „low-wheeled bicycle with rear chain drive, diamond frame, and air tires.“ (Bijker/Pinch/Hughes 1989: 39) Durch die Stabilisierung des Artefakts nach 1898 mussten diese Details nicht mehr speziell erwähnt werden, sie galten als erprobt und akzeptiert. (Vgl. Ebenda: 39) Die interpretative Flexibilität zeigt sich am Beispiel des „high-wheeler“. Er galt als männliches, schnelles Fahrrad. Aber die sozialen Gruppen der Frauen und alten Männer gaben ihm eine andere Bedeutung – nämlich die eines unsicheren Fortbewegungsmittels. So ging die Entwicklung in zwei Richtungen: einerseits entstanden sicherere Modellen wie das „Lawson’s Bicyclette“ und das „Xtraordinary“. Und andererseits wurden noch höhere „highwheeler“ gebaut, die als Macho-Maschinen verschrien waren. (Vgl. Ebenda: 42ff) Die rhetorische Schließung der Sicherheitsdebatte beim „high wheeler“ erfolgte dadurch, dass in der Werbung einfach behauptet wurde, das Artefakt sei sicher. (Vgl. Ebenda: 44) Der Text einer Werbeanzeige aus dem Jahr 1880 zeigt das: „Bicyclists! Why risk your limbs and lives on high Machines when for road work a 40 inch or 42 inch „Facile“ gives all the advantages of the other, together with almost absolute safety.“ (Illustrated London News, 1880; in: Bijker/Pinch/Hughes 1989: 44) Die Schließung durch Redefinition des Problems kann anhand der Erfindung des luftgefüllten Fahrradreifens verdeutlicht werden. Grundsätzlich war das Artefakt als Lösung für das Rütteln entwickelt worden. Für die meisten IngenieurInnen war es eine theoretische und praktische Monstrosität, für die Öffentlichkeit ein hässliches Accessoire und für die Produzenten die Antwort auf das unsichere Fahrverhalten. Das Rütteln war nur für die Fahrer 11 von niedrigen Rädern ein Problem, nicht für die sportlichen Hochradfahrer. Aber sobald der luftgefüllte Reifen an „low-wheelern“ auf der Rennstrecke verwendet wurde und viel schnellere Zeiten vorweisen konnte als die Hochräder, wurde er auch von der Öffentlichketi akzeptiert. Zwar nicht als Lösung für das Rüttelproblem, sondern um sich so schnell wie möglich fortzubewegen. So wurde das eigentliche Kernproblem einfach durch ein anderes ersetzt und so als gelöst betrachtet. (Vgl. Ebenda: 45f) 12 5. Kritik am SCOT-Ansatz Am Ansatz der Social Construction of Technology wurde auch Kritik geübt. So beispielsweise von Langdon Winner, der bereits 1993 einen Aufsatz über die Schwachstellen des SCOT-Ansatzes verfasste. Seine Kritik bestand aus vier Hauptpunkten. Erstens bemängelte er die fehlende Auseinandersetzung des SCOT-Ansatzes mit den Folgen der Entwicklung neuer Artefakte. Welche Auswirkungen hat eine neue Erfindung auf die Zusammensetzung menschlicher Gemeinschaften oder auf das tägliche Leben eines jeden Einzelnen? Grund für dieses Manquo war die Annahme, dass die Konsequenzen bereist genug untersucht wurden. Deshalb richteten die sozialen Konstruktivisten ihr Augenmerk Wurzeln und Dynamiken technischer Innovationen. (Vgl. Winner 1993: 368) Ein zweiter Kritikpunkt liegt für Winner im Elitarismus des sozialen Konstruktivismus. Zustande kommt dieses Phänomen durch die Auswahl von relevanten sozialen Gruppen. Als solche bezeichnen Bijker und Pinch Personen, die am Prozess der Definition technischer Probleme, der Suche nach deren Lösungen und der Übernahme der gefundenen Lösungen ins Alltagsleben beteiligt sind. Für Winner stellt sich hier aber die Frage wer bestimmen kann welche sozialen Gruppen relevant sind und welche nicht. Er denkt hier vor Allem an Gruppen, die unterdrückt oder ausgeschlossen werden, aber trotzdem von technischen Veränderungen beeinflusst werden. Seiner Meinung nach muss nicht nur beachtet werden, welche Entscheidungen gefällt werden, sondern auch welche Entscheidungen nicht in der Öffentlichkeit diskutiert werden. (Vgl. Ebenda: 369f) Winners dritter Kritikpunkt ist die Verbindung von sozialen Aktivitäten und technischen Veränderungen. Diese beiden Phänomene sind bei den sozialen Konstruktivisten unweigerlich miteinander verbunden. Winner besteht aber darauf, dass auch noch kulturelle, intellektuelle oder wirtschaftliche Interessen hinter sozialen Entscheidungen verbergen. Seiner Meinung nach wird diese Tatsache von den Vertretern des sozialen Konstruktivismus jedoch ausgeklammert. Die Auffassung einer autonomen Technik lehnen sie vehement ab und bestehen auf ihr Modell der sozialen Selektion. (Vgl. Ebenda: 370f.) Der vierte und letzte Kritikpunkt nach Winner wäre die interpretative Flexibilität. Er hält dieses Phänomen besonders leicht zu erreichen wenn sich alle, oder zumindest die meisten, sozialen Gruppen mit einem Ergebnis zufrieden geben können. Schwierig wird es aber wenn 13 keine Einigung über das Aussehen oder die Verwendung eines Artefakts erreicht werden kann. Wie werten Vertreter des sozialen Konstruktivismus diese Uneinigkeit? (Vgl. Ebenda: 371.) Weitere Kritiker, darunter beispielsweise Klein und Kleinmann, gehen auf die fehlenden Strukturen im SCOT-Ansatz ein. Sie fordern eine Ergänzung des SCOT-Ansatzes. Vor allem in den Bereichen der sozialen Gruppen, der Interpretation, der Schließung, dem technischen Rahmen und dem weiteren sozialen Kontext. Bezüglich der relevanten sozialen Gruppen werfen sie, ähnlich wie Winner, Fragen auf wie beispielsweise wie relevante soziale Gruppen überhaupt zustande kommen, wie Personen in so eine Gruppe kommen und wie eine relevante soziale Gruppe Einfluss auf den Entwicklungsprozess eines Artefakts hat. Das Problem des SCOT-Ansatzes ist aus ihrer Sicht, dass die Existenz dieser Gruppen als gegeben hingenommen wird. Sie fordern eine genauere Erklärung der einzelnen relevanten sozialen Gruppen. Weiters erachten auch sie, wie bereits Winner, eine Betrachtung der ausgeschlossenen Personen als aufschlussreich. (Vgl. Klein & Kleinmann: 36f) Mehr Struktur im Bereich Interpretation könnte ihrer Meinung nach die Möglichkeit sein, die Rolle von Bedeutung in Bezug auf die Gestaltung von Artefakten näher zu betrachten, als SCOT das tut. Sie sind davon überzeugt, dass Bedeutungssysteme ausführlichere erklärungen verdienen und das wiederum Gruppen in ihrer Fähigkeit verändern könnte, Bedeutung zu benutzen, um die Entwicklung eines Artefakts zu beeinflussen. (Vgl. Ebenda: 38.) Ein weiterer Kritikpunkt wäre hier der Einfluss von mehr Struktur auf das Phänomen der Schließung. Sie fordern eine genauere Analyse der Schließung. Es reicht nicht zu wissen, dass eine stattgefunden hat, sondern auch wie sie zustande gekommen ist. Durch Macht und Abhängigkeit können Schließungen auch erzwungen werden. Aber auch verschiedene Regeln können zu einer Schließung führen. Beispielsweise die Entscheidungsregeln beim Militär. (Vgl. Ebenda: 39.) Dem technischen Rahmen des SCOT-Ansatzes fehlt ebenfalls Struktur. Der Aspekt, wie soziale Normen den technischen Rahmen beeinflussen können, fehlt völlig. (Vgl. Ebenda: 40.) 14 Der weitere soziale Kontext wurde in Pinch und Bijkers Text nur kurz erwähnt und gibt deshalb Anlass zu Kritik. Klein und Kleinmann sehen es als essentiell an, die Beziehungen zwischen einzelnen relevanten sozialen Gruppen zu betrachten und über ihre strukturellen Eigenheiten und ihre Ressourcen Bescheid zu wissen, mit denen sie Einfluss auf die Entwicklung von Technik haben. (Vgl. Ebenda.) 15 6. Resumée Nach dem Verfassen dieser Arbeit und somit der gezielten Auseinandersetzung mit dem von Bijker und Pinch entwickelten SCOT-Ansatz und auch der dazugehörigen Kritik, ist klar geworden, dass dies auf jeden Fall ein interessanter Ansatz in der Technikforschung ist, der aber bei weitem nicht ausgereift ist. Positiv ist vor allem, dass die Gedanken von Bijker und Pinch in der Beschreibung der Herausbildung des gängigen Fahrraddesigns auch für einen Laien gut verständlich und nachvollziehbar sind. Aber schon bei der Auseinandersetzung mit ihrem Text bleibt ein Gefühl der Unvollständigkeit zurück. Nach dem Lesen der unterschiedlichen Kritiken wird auch klar, warum das so ist. Es wird zu wenig auf die Details des Prozesses der sozialen Konstruktion von Technik eingegangen. Weiters fehlt eine ergänzende empirische Analyse in den case studies. Außerdem fällt auch sofort das Problem der Auswahl der relevanten sozialen Gruppen auf. Dieser Sachverhalt wurde auch von anderen Wissenschaftlern häufig kritisiert. Die Forderung von Klein und Kleinmann nach mehr Struktur im SCOT-Ansatz wurde auch von Bijker angenommen und bestätigt, indem sie ein „technological framework“ zu ihrer Theorie hinzufügte. Somit kann man sagen, dass die Social Construction of Technology ein guter Ansatz für weitere Forschung ist, jedoch in der Ausgangsform von Bijker und Pinch verwendet, nicht aussagekräftig genug ist. 16 III Literaturverzeichnis Bammé, Arno (2009): Science and Technology Studies. Ein Überblick. Marburg: Metropolis Bijker, Wiebke E./Pinch, Trevor J./Hughes, Thomas P. (Hrsg.) (1989): The Social Construction of Technological Systems. New Directions in the Sociology and History of Technology. Cambridge, MA: MIT Press, S. 17-50. Degele, Nina (2002): Einführung in die Techniksoziologie. München: Wilhelm Fink Verlag. Klein, Hans K./Kleinmann, Daniel Lee (2002): The Social Construction of Technology: Structural Considerations. Science, Technology & Human Values, Winter 2002, Vol. 27 No.1, S. 28-52. Rammert, Werner (1993): Technik aus soziologischer Perspektive. Forschungsstand – Theorieansätze – Fallbeispiele. Ein Überblick. Opladen: Westdeutscher Verlag. Weyer, Johannes (2008): Soziologische Theorien der Technikgenese. in: Techniksoziologie. Weinheim: Juventa. Winner, Langdon (1993): Upon Opening the Black Box and Finding It Empty: Social Constructivism and the Philosophy of Technology. Science, Technology & Human Values, Summer 1993, Vol. 18 No. 3, S. 362-378. 17