Ursachen von Männergewalt gegen Frauen Zahlen und Fakten Um Gewalt von Männern gegen ihre Frauen / Lebenspartnerinnen zu verstehen, muss man sowohl die Opferseite als auch die Täterseite betrachten. Denn nur, wenn man jemanden versteht, kann man auch sein Verhalten einschätzen und beeinflussen. Das bedeutet jedoch nicht, dass die ausgeübte Gewalt akzeptiert oder gut geheißen wird. Körperliche und sexualisierte Gewalt wird in der Regel durch Männer verübt. Die BundesPKS von 2006 weist folgende gerundete Zahlen aus: Mord Totschlag und Tötung auf Verlangen Straftaten gegen die Sexuelle Selbstbestimmung Raub Körperverletzung Männer (in %) Frauen in (%) 85 15 93 7 96 91 84 4 9 16 Nur bei den Körperverletzungsdelikt „Misshandlung von Schutzbefohlenen“ erreichen die Frauen einen relativ hohen prozentualen Anteil von 41 % (Männer somit 59 %). Wenn man diese Zahlen zugrunde legt, erscheint es einleuchtend, Gewalt nicht nur als ein Phänomen zu betrachten, das in der individuellen Geschichte des jeweiligen Täters begründet ist, sondern die Aufmerksamkeit auch auf die überindividuelle Sozialisation von Jungen und Mädchen sowie Männern und Frauen zu lenken. In der Bevölkerung, aber auch gelegentlich bei der Polizei, gibt es weit verbreitete, pauschalisierende Erklärungsansätze für häusliche Gewalt. Grundlage dieser laienhaften Erklärungen sind häufig Vorurteile, reißerische Medienberichte und eigene Erfahrungen, die verallgemeinert und dann mit Tatsachen und gesicherten Erkenntnissen vermengt werden. Einige dieser Laienerklärungen werden im Folgenden aufgegriffen und hinterfragt: Laienerklärung 1: Durch das häufigere Zerbrechen familiärer Strukturen in den letzten Jahrzehnten kommt es zu mehr Gewalt. Dagegen spricht, dass die Entstehungsgeschichte der Frauenbewegung ihre Wurzeln gerade im Kampf gegen die Gewalt hat, der Frauen in der Familie ausgesetzt waren und sind, und zwar zu einer Zeit, als familiäre Strukturen noch relativ stabil waren. Das Züchtigungsrecht des Mannes, das Verbot an die Frau, sich gegen leichte Körperverletzung des Mannes zu wehren (BGH-Urteil von 1984) und dass Geschlechtsverkehr, wenn er vom Mann erzwungen wurde, lediglich als Nötigung oder Körperverletzung gewertet wurde, waren bis weit ins 20. Jahrhundert gesetzliche Realität. 1 Laienerklärung 2: Häusliche Gewalt ist ein Problem mangelnder Ausbildung, der Arbeitslosigkeit, des übermäßigen Alkoholkonsums oder beengter Wohnverhältnisse, also ein Problem der sozialen Unterschicht. Die vom Bundesministerium für Familie, Soziales, Frauen und Jugend 2004 in Auftrag gegebene Studie „Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland. Eine repräsentative Untersuchung zu Gewalt gegen Frauen in Deutschland" wies ein Vorkommen häuslicher Gewalt in allen Schichten nach1. Ein niedrigeres Bildungsniveau der gewaltausübenden Männer konnte in der Studie nicht nachgewiesen werden. Auch das Einkommen des Mannes und das Gesamt-Netto-Einkommen der Familie ist nicht niedriger als in Familien, in denen es nicht zu häuslicher Gewalt kommt. Allerdings waren die gewalttätigen Männer im Vergleich zu nicht Gewalt ausübenden Männern mehr als doppelt so häufig arbeitslos. Arbeitslosigkeit bedeutet in der Regel, dass mehr Zeit zu Hause verbracht wird, aber auch, dass der davon betroffene Mann die traditionelle Rolle als Ernährer nicht mehr ausfüllen kann. Viele Männer ziehen aus ihrer Erwerbstätigkeit viel Stabilität. Gewalttätige Männer haben oft keine stabile Persönlichkeit und aufgrund verinnerlichter traditioneller Geschlechterrollen den Anspruch an sich selbst, „stark“ und (zumindest) Frauen überlegen zu sein. Wenn sie das Gefühl haben, diesem überzogenen Anspruch nicht zu genügen, ergeben sich daraus Stress und Ohnmachtgefühle, die abgewehrt werden müssen, wenn man(n) sich wieder „männlich stark“ fühlen will. Das Zusammenspiel dieser Faktoren erklärt möglicherweise, warum Arbeitslosigkeit als häufiger Faktor im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt festgestellt wurde. Im Ergebnis wurde in der Studie des BMFSFJ zusammengefasst, „dass sich auch hier noch einmal bestätigt, dass Gewaltanwendung in Partnerschaften grundsätzlich kein Schichtphänomen zu sein scheint.“2 (Übermäßiger) Alkoholkonsum dient nicht wenigen Menschen als Kompensationsmittel bei Stress und Ärger und kann helfen, Probleme für eine gewisse Zeit zu verdrängen. Insbesondere für Menschen mit geringer Problemlösungskompetenz kann diese Wirkung verlockend sein. Alkohol mit seiner enthemmenden Wirkung ist eher Auslöser und Verstärker von Gewalt. Er ist als ein Umstand zu werten, der die Auslösung der Müller, Ursula / Schöttle, Monika (2004): „Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland. Eine repräsentative Untersuchung zu Gewalt gegen Frauen in Deutschland.“ Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.) URL: http://www.bmfsfj.de/Kategorien/Forschungsnetz/forschungsberichte,did=20560.html : S. 243ff (Stand: 06.08.2007) 2 ebd.: 246 1 2 Gewalttat begünstigt, vor allem aber den Tätern als nachträgliche Entschuldigung für ihr Verhalten dient. In der polizeilichen Praxis findet ein großer Teil der Einsätze anlässlich häuslicher Gewalt jedoch in sozial schwachen Familien statt, so dass sich bei vielen Polizeibeamtinnen und – beamten die Meinung ausbildet, dass es sich tatsächlich hauptsächlich um ein Unterschichtenproblem handelt. Zum einen ist es tatsächlich so, dass in den sozialen Unterschichten bei einer Auseinandersetzung eher die körperliche Gewalt im Mittelpunkt steht, während bei Männern der Mittelschicht das ausgeübte Gewaltspektrum seinen Schwerpunkt häufiger in erheblicher psychischer Gewaltausübung findet. Zum anderen haben Familien der Mittelschicht bessere Möglichkeiten (Wohnen in Ein-Familien-Häusern, so dass die Nachbarn nichts hören; kaschierende Kleidungsstücke und teure Kosmetik) und oft auch ein noch größeres Interesse (berufliche und soziale Position der Familie), körperliche Gewalt zu verstecken. Die der häuslichen Gewalt zugrunde liegenden Ursachen (s.u.) sind jedoch in allen sozialen Schichten sehr ähnlich. Laienerklärung 3: Häufig wird der Gewaltausbruch des Mannes durch die Frau provoziert. Es ist nicht bekannt, wie häufig in Partnerschaften Provokationen und psychisch verletzende „Machtspiele“ vorkommen. Der entscheidende Punkt dazu ist jedoch, dass körperliche Gewalt dadurch nicht gerechtfertigt werden kann. Außerdem muss folgendes bedacht werden: Männer, die zur Konfliktbeendigung zu (körperlicher) Gewalt greifen, haben häufig aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur und ihrer Sozialisation das Problem, in Disharmonie oder dem Umstand, dass ihre Partnerin ihrer Ansicht nicht zustimmt, einen Angriff auf ihr (männliches) Selbstbild zu sehen. Während sozialkompetente Menschen Meinungsverschiedenheiten argumentativ lösen und einen Konsens finden möchten, fürchten häusliche Gewalttäter mit traditionellen Rollenvorstellungen durch Kompromissbereitschaft ihr Selbstbild dominanter Männlichkeit preiszugeben. Dies bedeutet, dass sie sich schon bei kleinen Widerständen provoziert und gekränkt fühlen können, jedoch aus Sicht eines sozialkompetenten Menschen gar nicht provoziert wurden. 3 Die Täter-Opfer-Beziehung3 Befragt man Täter, warum sie geschlagen haben, so formuliert man damit nur die Frage, die sie sich selbst schon ungezählte Male gestellt haben. „Warum tue ich das? Ich wollte das doch gar nicht! Ich habe doch versprochen, das nie wieder zu tun.“ Sie können sich die Gewaltausübung selbst meist nicht erklären. Ihr Verhältnis zum Opfer, z. B. zu ihrer Partnerin, die sie schlagen, beschreiben die meisten Täter als sehr innig. Sie ist die nächste, vertrauteste, die geliebte Person in ihrem Leben. „Es gibt niemanden in meinem Leben, der mir so nahe steht wie meine Frau. Wenn ich Probleme habe, wende ich mich an sie. Es gibt niemanden, der mich so gut versteht wie sie. Auch meine Eltern, selbst meine Kinder, stehen mir nicht so nahe wie meine Frau, und gleichzeitig ist sie die einzige Person, die ich misshandele, die ich schlage.“ Und oft ist ihnen bewusst: „Das passt doch nicht zusammen!“ Jeder kleine Junge hat gelernt, dass man Mädchen nicht schlägt. Jeder erwachsene Mann weiß, Schlagen und Lieben sind Gegensätze. Jemanden, den man liebt, schlägt man nicht. Das weiß auch jeder Täter. Deshalb befindet sich der Täter in Erklärungsnot. Er hat seine Partnerschaft auch keineswegs schon fast aufgegeben. Ganz im Gegenteil: Mit dieser Frau möchte er zusammen alt werden. Mit ihr möchte er Kinder haben bzw. hat bereits welche. Mit ihr stellt er sich ein ganzes Leben vor — und zugleich ist sie häufig die einzige Person in seinem Leben, die er misshandelt. Das klingt seltsam, das klingt verrückt, das kann doch nicht wahr sein. Er überlegt, was vorgefallen ist, und stellt fest: „Das war ein ganz normaler Tag, und plötzlich bin ich ausgerastet. Plötzlich habe ich zugeschlagen! Es kam über mich, ich war nicht mehr Herr meiner selbst. Ich hatte einen Blackout . . .“ Seinen Gewaltausbruch erlebt er als unberechenbar, er hat vermeintlich keinen Einfluss darauf. Wie kam es zu der Gewalttat? Es scheint paradox, aber wenn man die Opfer fragt, wie es dazu kam, finden ausgerechnet sie oft die Ursache in sich selbst: „Ich glaube, an dem Tag war ich irgendwie seltsam, ich war leicht gereizt.“ Schon ist die Ursache gefunden: Der Grund für die Gewalt liegt beim Opfer! Die Frau war etwas gereizt, deshalb hat der Mann sie geschlagen. Diese „Erklärung“ für die Gewaltanwendung kommt dem Täter natürlich gelegen. Für ihn gibt es eigentlich gar keine Gewaltausübung, sondern nur berechtigte „Gegengewalt’“; er hat sich nur berechtigter Weise gegen einen Angriff „verteidigt“ und „gewehrt“. Dieses Muster kennen wir schon aus dem Sandkasten: Der andere hat angefangen, und deshalb musste ich ihn hauen. Wir kennen das Muster auch aus kriegerischen Konflikten zwischen Staaten oder Volksgruppen; die einen, z. B. die Weltmächte rüsten nur „nach“ (und nie „vor“), die anderen, z. B. in Ex-Jugoslawien, wehren sich nur gegen Jahrhunderte altes Unrecht. Alle verteidigen sich angeblich nur. Mit der tiefen Überzeugung von der angeblichen Notwehr lassen sich nahezu alle Gräueltaten begehen. Folglich kann ein Täter noch so oft versprechen, dass er nicht wieder schlagen wird: Es wird sich nicht bewahrheiten. Denn wenn er nichts dafür konnte, kann er auch nichts dagegen tun. Wenn sich der Mann einreden kann, dass die Ursache der Gewaltanwendung außerhalb Grundlage einiger Teile der nachfolgenden Erläuterungen ist Lempert, Joachim (2006): „Gewaltberatung und Tätertherapie“. In: Staemmler, Frank / Merten, Rolf (Hg.): „Aggression, Selbstbehauptung und Zivilcourage“. Bergisch-Gladbach: Edition Humanistische Psychologie. 192-213. Der Beitrag von J. Lempert wurde in Teilen zitiert. 3 4 seiner Einflussmöglichkeiten liegt, kann er auch nicht schuldig sein. Dieser Illusion kann er sich teilweise hingeben, aber nicht ganz. Bei jedem Täter bleibt ein Rest von Schuldgefühlen. Wenn er überhaupt keine Schuldgefühle hätte, müsste er nicht ständig nach Gründen suchen, warum er nichts für seine Gewalttätigkeit kann. Dies ist ein Grund, warum die Rückfallquote bei gewalttätigen Männern so hoch ist. Gewalt als Abwehr von Ohnmacht Das Gefühl, das der Täter kurz vor der Misshandlung seiner Frau erlebt, ist von Ohnmacht geprägt. Er fühlt in dem Moment keine Macht. Er weiß nicht mehr weiter. Er erlebt etwas äußerst Bedrohliches, das er nicht einmal fassen kann. Der Mann erlebt, dass die Frau weint oder wütend die Türe knallt. Er selbst bemerkt nur die Bedrohlichkeit der Situation. Nichts ist ihm so wichtig wie diese Familie, diese Ehe. Diese zu verlieren, käme für ihn einer Katastrophe gleich. Das ist für ihn äußerst bedrohlich, obendrein erlebt er sich als handlungsunfähig. Würde man ihn fragen, was in ihm vorgeht, könnte er keine Auskunft geben. Er erlebt sich der Situation ausgeliefert. Diese Form von Ohnmacht ist für Männer kaum auszuhalten. Sie bedeutet, dass sie die Sicherheit der eigenen Persönlichkeit verlieren. Sie verlieren das Bewusstsein der Geschlechtsidentität. Das bedeutet, dass Männer aufgrund ihrer Geschlechtersozialisation sich nicht ängstlich oder ohnmächtig fühlen dürfen, sie die Macht und immer alles unter Kontrolle haben müssen. In diesem Moment gibt es eine Möglichkeit, diese Sicherheit wieder herzustellen: Indem der Mann zuschlägt, ist er schlagartig — im wörtlichen Sinn — wieder aktiv. Er erlebt seine körperliche Kraft, erlebt sich handlungsfähig und — das ist das Wichtigste — hat die Ohnmacht hinter sich gelassen. Er hat die Ohnmacht und Angst abgewehrt, die sich vorher so überaus bedrohlich ausweiteten. Gewaltausübung ist in der Vorstellung des Mannes der einzige Weg, wie er sein unerträgliches Ohnmachtgefühl vermeiden und sich, wenigstens kurzfristig, wieder mächtig fühlen kann. Da Opfer und Täter „Gegensätze“ bilden, wird nur zu leicht aus der Ohnmacht des Opfers auf Macht beim Täter geschlossen. Nicht nur für das Opfer, auch für die Beobachterin und den Beobachter liegt dieser Schluss so nah, dass er selten überprüft wird. Schon oberflächlich betrachtet wird der Mann meist aufgrund seiner größeren Körperkräfte schon als „mächtiger“ wahrgenommen, doch dem Erleben des Täters werden wir damit nicht gerecht. Damit soll der Täter jedoch keineswegs zum Opfer erklärt werden. Danach: Der Neueintritt in die Gewaltspirale Abwehr von Schuld Nach seiner Gewalttat begibt sich der Täter auf die Ursachensuche: Wie konnte es nur dazu kommen? Er hofft, wenn er den Grund kennt, kann er in Zukunft verhindern, wieder gewalttätig zu werden. Allerdings war diese Gewalt ja „irgendwie über ihn“ gekommen; er war unkontrolliert und wusste nicht, was er tat. Deshalb sucht er die Ursache nicht nur bei sich selbst, sondern zunehmend auch bei seiner Partnerin: „Was hat sie gemacht, dass ich so etwas tue? Sie hat mich gereizt. Sie hat böse Worte gesagt. Sie weiß genau, dass . . .“ 5 Abgabe der Verantwortung Der Täter kommt zu dem Ergebnis, dass das Opfer zumindest mitbeteiligt und nicht unschuldig war! So verschiebt er in dieser Phase die Schuld mehr und mehr nach außen, häufig genug auf das Opfer: Er ist „provoziert“ worden. Aber er findet oft auch noch andere „Begründungen“ für die Gewalttat; sie reichen von angeborenem Jähzorn, Drogen- / Alkoholeinfluss bis hin zu eigenen Opfererfahrungen. Auf diese Weise versucht er seine Schuldgefühle abzuwehren. Dadurch, dass er die Schuld bei seiner Frau sucht und findet, gibt er die Verantwortung für seine Tat ab. Hat der Täter die Phase der Verantwortungsabgabe erreicht, wird er mit großer Wahrscheinlichkeit wieder gewalttätig. Die nächste Gewalttat ist nur noch eine Frage der Zeit. Die Partnerin ist oft bereit, die Verantwortung auf sich zu nehmen. Sie war zwar in einer Situation, in der sie dem Gewaltausbruch ausgeliefert war. Sie hat zwar gelitten und keine Möglichkeit gesehen, das Geschehen abzuwenden. Aber die Vorstellung, den „Grund“ für die Gewalt geliefert zu haben und den Gewaltausbruch ihres Mannes „verursacht“ zu haben, beinhaltet auch eine Hoffnung: Vielleicht kann sie, wenn sie es in Zukunft „richtig“ macht, die Gewaltausbrüche ihres Partners verhindern. So versucht sie, die Ohnmacht zu bannen, die sie als Opfer erlebte und immer wieder erlebt. So verständlich die Übernahme von Verantwortung durch das Opfer sein mag, sie hat Konsequenzen: Der Mann sieht sich für seine Tat nicht verantwortlich. Eine Auseinandersetzung über die Gewalt und deren Auswirkungen wird vermieden — allein schon aus Angst, dass das zu einem Streit und damit zu neuer Gewalt führen könnte. Vielleicht werden Entschuldigungen, Rechtfertigungen und Wiedergutmachungen „verhandelt“, allerdings findet kein Gespräch über die Gewalt statt, über die Verletzung der Frau oder darüber, was in dem Täter vorgegangen ist. Erneute Ohnmacht Durch die Abgabe der Verantwortung gibt der Täter das Bewusstsein von jeglichem Einfluss auf die Situation auf. Er war und ist nun kein Mitgestalter des Geschehens mehr. Das schützt ihn zwar vor seinen Schuldgefühlen, die er als Mitgestalter hätte, aber er manövriert sich damit auch in die Falle einer einflusslosen Position. Auf diesem Weg hat der Täter genau das Gefühl wiederhergestellt, das er als so schrecklich unmännlich empfindet und das er eigentlich um jeden Preis vermeiden wollte: Ohnmacht! Dieses Gefühl gilt es für den Mann erneut abzuwehren. Er wehrt das Erleben der eigenen Ohnmacht ab, indem er Größe demonstriert. Dazu muss er sie vor und für sich selbst produzieren. Er agiert zunehmend anhand seines inneren Bildes von Männlichkeit und Männlich-Sein, ohne sein Gegenüber noch wahrzunehmen. Dabei löst er auch die Verbindung, den inneren Kontakt zum Opfer und ist von seinem Gegenüber häufig nicht mehr erreichbar. Spätestens ab jetzt befindet sich das Gegenüber in höchster Gefahr. Depersonalisierung des Opfers und erneute Gewaltausübung Bis jetzt war sein Gegenüber noch eine Person. Im Kontakt würde er daran immer wieder erinnert, aber er hat ihn in der vorherigen Phase bereits abgebrochen. Jetzt vergegenständlicht er sein Gegenüber. Solange der Täter sein Gegenüber noch als einen Menschen mit Gefühlen, Sehnsüchten, Wünschen oder Hoffnungen erlebt, ist es vielen nicht möglich, ihr Gegenüber gravierend zu verletzten. 6 Erst durch die Entmenschlichung des Gegenübers kann der Mann ihm Gewalt antun. Mithilfe der Depersonalisierung schlägt er nicht eine Frau, gar seine Frau. Für ihn ist es eher, als würde er einen Gegenstand zerstören und nicht einen Menschen. Die Frau hat keinen Einfluss auf diese Gewaltspirale. Ausstiegsmöglichkeiten für gewalttätige Männer In den leider noch nicht flächendeckenden Beratungs- und Trainingsangeboten für gewalttätige Männer geht es im ersten Schritt darum, dass die Täter erkennen, was sie mit ihrem Verhalten nicht nur ihrer Frau und ggf. den Kindern Schaden zufügen, sondern auch, was sie sich selber damit antun. Daraus kann eine größere Motivation entstehen, sich einem Trainingsangebot zu unterziehen. In dem Training ist es von elementarer Bedeutung, dass die Männer die Verantwortung für die Gewalttat übernehmen und damit ihre Handlungsfähigkeit zurück gewinnen. Um in Konfliktsituationen adäquat handeln zu können, müssen gewalttätige Männer eine bessere Wahrnehmung ihrer eigenen Gefühle im Wechselspiel mit ihren Gedankenmustern einüben. Dadurch lernt der Mann, zukünftig frühzeitig zu erkennen, wann er in einer Verfassung ist, die in eine Gewalteskalation ausarten könnte. Er lernt, rechtzeitig „auszusteigen“ und sich ggf. Unterstützung außerhalb der Partnerbeziehung zu organisieren. Dieser Trainingsansatz lässt sich durch eine herkömmliche Therapie meist nicht ersetzen. Eine Therapie, in der u.a. die Ursachen für eine instabile Persönlichkeit bearbeitet werden, könnte sich jedoch an ein Training anschließen. 7