Ohne Abstinenz stirbt die Psychoanalyse

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Anmerkungen zu Thea Bauriedl „Ohne Abstinenz stirbt die Psychoanalyse Über die Unvereinbarkeit von Psychoanalyse und Körpertherapie“ („Forum der
Psychoanalyse“ 1998, 14, S. 342–363)
Eine offensichtlich sehr späte Reaktion auf einen schon zu seiner
Erscheinungszeit überholten, d. h. einen schon damals überwältigende
empirische Erfahrung quasi verleugnenden Artikel wäre obsolet, wäre das in
ihm vernichtend vorgetragene (Vor-)Urteil zur sog. Körper-(psycho)therapie in
der psychoanalytischen Gemeinde nicht immer noch virulent – nicht zuletzt
auch in der Gefolgschaft der gerade dort Meinung-machenden
Psychoanalytikerin Bauriedl.
Eben diesen (ihren) Beitrag zu kommentieren, erscheint mir angezeigt, weil er
m. E. so paradigmatisch ein Missverstehen (Körper-)psychotherapeutischen
Verständnisses und Handelns deutlich macht, wie dieses andererseits u. a.
Tilmann Moser als ein wesentlicher Protagonist ergänzt, vertieft und eigentlich
nur auf seinen seit je angemessenen Platz in der Psychotherapie gerückt hat. An
seinen „diesbezüglichen Veröffentlichungen, insbesondere seinen Lehrfilmen
über Psychoanalyse und Körperarbeit“ (zwei Videos) macht die Autorin ihre
Kritik fest.
Im Weiteren werde ich – auch wegen der Nähe zum üblichen Sprachgebrauch –
die Schreibweise ‚KörperPsycho-Therapie’ verwenden: Ein unbeholfener
Versuch, der leidigen Dichotomisierung (wie sie etwa auch im Begriff
‚Psychosomatik’ deutlich wird) zumindest Schrift-symbolisch eine semantische
Absage zu erteilen. Die Untrennbarkeit von Körper und Seele dürfte
mittlerweile als Faktum diesseits (fast) jeder theoretischen, didaktischen,
philosophischen oder religiösen Tradition oder Konzeptualisierung anerkannt
sein. Der Körper ist die Seele und umgekehrt in eben der Weise, wie einer
meiner wichtigen Lehrer, Leonhard Schlegel, es mit dem Begriff ‚Leib’ im
Sinne von ‚erlebter Körper’ ausdrücken möchte. Wenn Bauriedl sich fragt, „ob
wir es als Aufgabe der Psychoanalyse verstehen, diese kulturelle Tradition (der
Leib-Seele-Spaltung) beim Einzelnen zu korrigieren“, und vermutet, dass „die
Idealisierung einer Einheit von Körper und Seele in bestimmten Ausprägungen
eine Wiederholung der Sehnsucht nach der Zulässigkeit und Ungefährlichkeit
körperlicher Übergriffe sein (könnte)“, hört man die ihr nahe liegende Tendenz
deutlicher heraus, als dass „Freuds berühmter Satz: ‚Das Ich ist v. a. ein
körperliches’ …eigentlich deutlich (zeigt), dass auch und gerade die
Psychoanalyse den Menschen in seiner psychosomatischen Einheit versteht.“
Ich kann hier v. a. Widersprüchlichkeit erkennen.
Die Beharrlichkeit der Weigerung, Konsequenzen aus (auch schon vor acht
Jahren) fortgeschrittenen Einsichten von ‚früher’ Entwicklungspsychologie und
Neurobiologie in die Behandlungs- Technik einfließen zu lassen, scheint mir im
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Grunde nur als Widerstands-Phänomen deutbar. Es wird besonders deutlich am
Festhalten (ja, geradezu Festklammern) an einem erstarrten Abstinenz-Begriff.
Dessen historisch gewachsene Bedeutung als Angst-Abwehr v. a. des genialen
Gründervaters der Psychoanalyse selbst hat nicht nur Sandor Ferenczi in die
(zumindest innere) Emigration getrieben bzw. bezüglich der Zugehörigkeit zur
orthodoxen ‚community’ sozusagen den Kopf gekostet. Es geht der Autorin m.
E. wesentlich um dies: Wer hat die Definitionshoheit über den Gehalt des
psychoanalytischen Abstinenz-Begriffs? Und wer den ihren nicht teilt, muss
fürchten, als un-abstinent, was bedeutet als sexuell übergriffig, also Patienten
(und –innen selbstverständlich) missbrauchend, disqualifiziert zu sein –
mindestens hinsichtlich einer psychoanalytischen Identität.
Fast verführerisch irreführend eröffnet die Autorin ihren Gedankengang mit dem
Hinweis auf „sexuellen Missbrauch“ als „wichtiges Thema in der
Öffentlichkeit“ und die damit verbundene Aufforderung zu einer „eindeutigen
Definition der therapeutischen Beziehung in der Psychoanalyse“. Die damit
insinuierte Implikation im Zusammenhang mit der These von „Unvereinbarkeit
von Psychoanalyse und Körpertherapie“ wird unmittelbar peinlich klar und noch
verschärft durch die mir unzulässig erscheinende Behauptung von
„Gegensätzlichkeit psychotherapeutischen Selbstverständnisses, derzufolge
„Stellung dazu (zu) nehmen (sei), ob wir Grenzen zwischen den Menschen als
Schutz oder als Hindernis verstehen, ob wir meinen, dass Psychoanalyse
grundsätzlich von neurotischen Selbsteinschränkungen befreien soll, oder ob wir
Psychoanalyse so verstehen, dass sie einen Verständigungsprozess fördert, in
dem die Verantwortlichkeiten klar verteilt sind und der Analysand die
Verantwortung für sein Wohlergehen in seinen Beziehungen zunehmend selbst
übernehmen kann, weil der Analytiker seine eigene Verantwortung für seine
Beziehung zum Analysanden selbst trägt“. Ja, wer denn sonst?! Ich dachte, das
sei selbstverständlich für jedes psychotherapeutische Arbeitsbündnis. Oder will
Bauriedl solches speziell den KörperPsycho-Therapeuten ins Stammbuch
schreiben? Z. B. auch, wenn sie schreibt: „Die Definition körperlicher
Berührungen in einer ‚psychoanalytisch’ genannten Therapie als ‚therapeutisch
nötig’ erinnert allzu sehr an Begründungen, die missbrauchende Erwachsene
ihren kindlichen Opfern gegenüber anführen.“ Oder wenn sie „Kollegen und
Kolleginnen, die körperliche Berührungen oder gar sexuelle Beziehungen mit
ihren Patienten für die Methode der Wahl ansehen“, in einen Topf wirft und sie
meint aufklären zu müssen, „dass sie standesrechtliche und eventuell (wie bitte?
D.A.) strafrechtliche Konsequenzen zu befürchten haben“. Und ich dachte,
zumindest ersteres sei seit Hippokrates’ Zeiten klar!
Angesichts solcher Gegensatz-Konstruktionen, die Bauriedl als „eindeutige
Stellung“-nahme erklärt, geht sie eigener Einschätzung zufolge in der Tat „ein
nicht geringes Risiko ein, in Konflikte zu geraten, angegriffen und entwertet zu
werden“. Soweit meine Einlassungen diese Einschätzung bestätigen sollten,
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setzte ich mich dem gleichen Risiko aus. Und das umso mehr, als ich als
namensloser Kollege einer namhaften Expertin widerspreche, (offener)
polemisch, assoziativ ungeordnet, noch dazu ohne ‚wissenschaftliche’
Untermauerung durch bibliographische Hilfstruppen, gewissermaßen‚ aus dem
Bauch heraus’ (hoffend, dass das in professionellem Kontext nicht schlechter ist
als ‚Deutung’).
Fast wehleidig klingt die Autorin, wenn sie beklagt, dass es „zum
unausweichlichen Schicksal der ‚alten Tante Psychoanalyse’ zu gehören scheint,
dass sie zunehmend zerfleddert, ausgeraubt und gleichzeitig mit scheinbar neuen
Methoden ‚angereichert’ wird“, statt sich zu fragen, wie es möglich werden
konnte, dass „immer mehr Patienten in Vorgespräche (kommen) mit in der
Öffentlichkeit weitgehend unwidersprochenen Meinung, sie könnten besser
geheilt werden, wenn der Psychoanalytiker oder die Psychoanalytikerin auch
andere Verfahren beherrsche, oder nicht ganz so streng ‚orthodox’ sei“. Wenn
sie dann fragt, „ob wir uns dieser ‚Leichenfledderei’ resigniert überlassen, oder
ob wir uns selbstkritisch mit den neuen Formen der Psychotherapie auseinander
setzen (wollen)“ klingt diese Frage rhetorisch, denn im weiteren geht es weit
weniger um selbstkritische Auseinandersetzung mit einer immerhin möglichen
Bereicherung und Verjüngung der „alten Tante“ als um Kritik an der
KörperPsycho-Therapie im allgemeinen und T. Moser und einem seiner
Pilotprojekte im besonderen.
Wer, nebenbei, ist die „Öffentlichkeit“? Wahrscheinlich ja wohl Menschen, die
gute Erfahrungen mit um KörperPsycho-therapeutische Methoden
„angereicherte“ Psychotherapie oder gar –analyse gemacht haben (vielleicht
hinsichtlich „neurotischer Selbsteinschränkungen“ und Förderung von
„Verantwortung für sein Wohlergehen“. Und wer sind „wir“? Die
(strenggläubigen?) Psychoanalytiker (und –innen selbstverständlich)? Moser
jedenfalls erkennbar nicht, sonst würde ihm, der sich auch laut Bauriedl
wiederholt „explizit von sexuellen Beziehungen in der Therapie …distanziert“
hat, nicht eine gegenteilige Haltung unterstellt – kontextuell hintergründig, wenn
sie ihn zitiert, „seit er diese Form der Therapie ausübe, sei er selbst nach den
Therapiestunden zufriedener“, ganz offen, wenn sie anschließt: „Auffällig ist,
dass sich in beiden Filmen für meine Wahrnehmung eindeutig sexuelle Szenen
abspielen, die aber von Moser auch den Patienten gegenüber systematisch als
frühkindliche Szenen umgedeutet werden.“ Immerhin attestiert sie sich im ersten
Halbsatz fairerweise noch Subjektivität, währen der zweite bereits eine eigene
Deutung als Realität behauptet. (Also auch Deutungs-Hoheit!) Der nächste Satz
schwächt diese Haltung nur wenig ab: „Dies ermöglicht es ihm wahrscheinlich,
den Missbrauch der Patienten vor sich selbst und vor diesen zu verbergen.“
Zwar anerkennt sie noch, dass nur „nach meiner (also ihrer) Interpretation eine
‚Verabredung’ zwischen beiden, dass die Bedürfnisse der Patienten als präverbal
oder zumindest präödipal – jedenfalls nicht sexuell – zu interpretieren sind“, um
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dann aber, ihrer selbst wieder allzu sicher, zu behaupten: „So werden die
erwachsenen Patienten ständig auf ihren Kindheitszustand verwiesen, und zwar
genauso, wie Moser sich diesen Zustand vorstellt, nämlich durchwegs defizitär.“
Während ich von dieser Vorstellung bei Moser und in seinen Videos nichts
beobachten kann, scheint Bauriedl eher ihre eigene Bewertung von Regression
in frühstkindliche Zustände offenzulegen (die sie als vermutlich „orthodox“
arbeitende Analytikerin gar nicht zu Gesicht bekommt).
In der Tat, sie sieht, was sie verallgemeinernd sehen zu können behauptet:
„Sobald man… als Zuschauer sieht und erlebt, dass hier zwei erwachsene
Menschen miteinander umgehen, werden die körperlichen Berührungen in ihrer
sexuellen Bedeutung erkennbar.“ Statt wirklich das Gesehene „erleben“ zu
können, dürfte sich hinter dieser Sehweise die Abwehr verbergen, die sie im
tendenziösen Fortfahren Moser unterstellt: „Ich frage mich, welch ungeheuren
Abwehraufwand Moser aufbringen muss, um dies nicht selbst zu bemerken und
seine Patienten davon abzuhalten, dass sie es bemerken.“ Die eigentlich fällige
Frage lautet: Warum muss die herkömmliche ‚Schul-Psychoanalyse’ einen so
ungeheuren Abwehraufwand, betreiben, um ‚den Körper’ und sein präkognitiv
und präverbal (vielleicht sogar intrauterin) gesammeltes ‚Wissen’, an das die
‚Rede-Kur’ – wenn überhaupt – nur schwer herankommt, zumindest links liegen
lassen zu wollen, oder gar diejenigen, die diese unüberschätzbare Ressource in
der ‚Archäologie’ des (viel größeren) unbewussten Anteils an und in der
Geschichte der individuellen Mensch-Werdung nutzen wollen, zumindest als
nicht analytisch, oder gar – wie hier – als sexuell übergriffig zu diffamieren?
Der mit entscheidend erscheinende Einwand gegen die Definitionshoheit Frau
Bauriedl’s in Sachen Abstinenz muss schon hier eingeschoben werden, weil er
das Kriterium ist, das an ihre Einlassungen durchgängig anzulegen ist: Hier
spricht eine sprichwörtlich Blinde von der Farbe. Ich kann mir nicht vorstellen,
dass sie eine körperpsycho-therapeuthische Selbsterfahrung durchlaufen hat, da
ihr sonst weder dieser Artikel als ganzer, noch seine Tendenz im Einzelnen
möglich geworden wäre. (Hätte ich nicht selbst nach sechsjähriger
Psychoanalyse eine komplette körperpsycho-therapeutische Ausbildung
durchlaufen, deren Potenz nicht buchstäblich am eigenen Leib erlebt und in
mittlerweile 15-jähriger Erfahrungssammlung mit gerade der Vereinbarkeit von
Psychoanalyse und KörperPsycho-Therapie und der nur so erreichbaren tiefen
Regression mit unvergleichlich heilsamer Wirkung gerade für wenig ‚reife’
Neurotiker bestätigt gefunden - ich stünde vermutlich in gleicher Abwehrfront
wie Frau Bauriedl, die natürlich nur sehen kann, was sie kennt.)
Wie anders ist zu erklären, dass sie „eine Szene, die ähnlich auch im Film
dargestellt ist“ und in der „Moser (1992, S. 19) in schriftlicher Form“
beschreibt, wie ähnlich die körperlichen (Gegenübertragungs-)Empfindungen
des Therapeuten anlässlich tiefster Regression einer Patientin in die orale Gier
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des Säuglings denen „stillender Mütter“ in ihrem „unerwarteten Erschrecken
über ihre genitale Erregung“ sein können, und dass er „stolz (war) über die
immer klarer werdende Unterscheidung zwischen erotischem und erotisiertem
Begehren“, nur zu kommentieren weiß mit: „Hier wird Sexualität gespielt mit
der Vereinbarung, nicht zu merken, was es ist.“ Indem sie das mögliche Ausmaß
der Wucht frühster Affekte, denen auch noch der Erwachsene (!) quälend
unterliegen und die er befreiend (wieder-)erleben kann, wenn ihnen nur in
Angst-Freiheit des Therapeuten (= Begleiter) Platz und Raum für ihren AusDruck gegeben wird, verleugnet, wird sie just zu einer jener
„psychoanalytischen Altvorderen“, deren Moser nach eigener Aussage
anlässlich dieser wahrlich leibhaftigen Wahrnehmung „mit geradezu
gönnerhaftem Wohlwollen“ gedachte: Schließlich handelt es sich um
eindrucksvolles Erleben und Er-kennen von auf der klassischen Couch natürlich
nie beobachtbarem Material frühester „in Fleisch und Blut“ übergegangener
konflikthafter Erfahrung von Bedürftigkeit, Gier, Sehnsucht, Enttäuschung,
Wut, Verzweiflung usw.: Potenzial für den therapeutischen Prozess, wie es den
„Altvorderen“ tatsächlich noch nicht zur Verfügung stand/steht.
Fraglos ist T. Moser nicht nur in der gerade zitierten Wortwahl angreifbar und
mag auch manche Intervention in den Videos, v. a. aber an seinen eigenen
lehrhaften Kommentaren darin (auch bei einschlägig erfahrenen Kollegen)
umstreibar sein. Zu seiner vielleicht auch als „narzisstisch“ deutbaren Eigen-Art,
die man gewiss nicht mögen muss, gehört aber vornehmlich auch ein unerhörter
Mut, sich mit seinen KörperPsycho-therapeutischen (Nach-) Entdeckungen zu
exponieren. Vielleicht ist es gerade das, was den kühlen ‚Chirurgen’ hinter der
Couch fehlt und dessen Mangel sie hinter möglichst unbewegter Miene,
berührungsfreiem Begegnungsritual und/also einer restriktiven AbstinenzDefinition zu verstecken versuchen: Mut. Solchen nämlich braucht es, um sich –
wenn nötig und sinnvoll – auf intensive, ‚hautnahe’ Begegnung mit dem
Leidenden einzulassen und gleichzeitig Zeuge zu bleiben und ihm/ihr zur
Zeugenschaft der aktuellen/alten Erfahrungen und ihrer Neubewertung zu
verhelfen. Dabei ist dem psychoanalytischen KörperPsycho-Therapeuten
selbstverständlich, dass mit bestimmten Patienten und zumindest phasen-weise
in Therapieverläufen ‚Berührungs-frei’ zu arbeiten ist, ja sogar (sonst auch
Körperarbeit vorbereitende) verbal induzierte Körper-Erfahrungen zu
unterbleiben haben – ganz abgesehen davon, dass es natürlich Therapieverläufe
gibt, in denen es keine Körperarbeit (im engeren sinne) braucht. Hilfreich ist
aber auch dort und dann, wenn der Patient spürt, dass sein Therapeut keine
Angst vor physischem Ausdruck und (auch körperlicher) Nähe hat. (Dies ist –
zumindest teilweise – sogar lernbar: Leider pflanzt sich gerade in
psychoanalytischen Instituten die ‚Leibfeindlichkeit’, paradoxerweise neben
dem Freiheits-Anspruch für die Seele, von Generation zu Generation fort. Aber
auch ‚Ex-kommunikation’ für Andersdenkende kommt nicht nur in dieser
‚community’ vor.)
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Bauriedl wirft Moser „Verfälschung“ der „Realität der therapeutischen
Beziehung“ und „seiner eignen Reaktionen“ durch „ständige Uminterpretation“
derselben vor, was sie als „Wiederholung der Szenen, in denen viele Patienten
(oder Moser selbst?) geschädigt wurden“ deutet, und postuliert schlussfolgernd:
„Das Erwachsen-Sein der Patienten und ihrer Sexualität werden verleugnet.“ Sie
scheint dabei ihre allzeit bereite eigene Uminterpretations-Neigung auf dem
Boden mangelnder Erfahrung beim Betrachten des unbekannten Terrains von
außen nachhaltig (verständlicherweise) nicht zu bemerken. Dass Moser mit
„erfahrenen Patienten“ Therapieszenen quasi nachstellt, mag deren Authentizität
angreifbar machen, und auch auf mich wirkte manches Detail ‚gestellt’, aber
dem erfahrenen Betrachter sind die tief regressiven Elemente soweit
nachvollziehbar, dass er sie mit Moser „durchaus als echte therapeutische
Szenen begreift“. (Wer vor Jahren seine Live-Demonstrationen an freiwilligen
Kollegen im Lindauer Stadttheater miterlebt hat, weiß, wie schnell sogar auf
einer künstlichen Plattform ein echter, elementar regressiver Prozess in Gang
kommen kann.)
Ich habe mich bisher v. a. den ersten vier Seiten von Bauriedl’s Argumentation
zugewandt und will diese Ausführlichkeit nicht fortsetzen: Der Grundtenor
möge paradigmatisch deutlich geworden sein, demzufolge die Autorin ihrer
Vorstellungswelt entsprechende „Körperphantasien“ bzw. Phantasien über das,
was körperpsycho-therapeutische Interventionen bedeuten und auslösen
könnten, entwickelt und diese Vor-Stellungen als Realität behauptet. Dabei
basieren sie auf einem Psychoanalyse-Konzept, in dem eine Hereinnahme des
realen Körpers als therapeutisch hoch effizient nicht sein kann, weil nicht sein
darf: Eine Heerschar von schizoiden Psychoanalytikern würde arbeitsunfähig.
Die wortreiche Argumentation bleibt System-immanent (was sich auch darin
widerspiegelt, dass sie in 20 % ihrer Literaturverweise sich selbst zitiert). Das
führt v. a. zu einer bemerkenswerten Undifferenziertheit bzw. Eingleisigkeit in
der Auseinandersetzung mit dem Abstinenz-Begriff. Unfähigkeit und Unwillen,
den Körper adäquat in die therapeutische Arbeit mit einzubeziehen, werden
rationalisiert, indem sie sogar – schwammig und selbstreferenziell – idealisiert
werden: „Die psychoanalytischen Abstinenzregeln sind wohlbegründet. Jeder
Analytiker, der ein Gefühl für die Unterschiedlichkeit der Beziehungen hat, der
zwischen analytischer Beziehung und konventioneller Beziehung zu
unterscheiden gelernt hat, spürt sofort eine innere Vorsichtshaltung, wenn es
darum geht, seinem Analysanden im ‚normalen Leben’ zu begegnen oder
‚normal’ mit ihnen umzugehen. Diese Vorsichtshaltung hat nichts mit
neurotischer Angst (sic!) zu tun, sie entsteht als Warnsignal (wovor?) und wird
immer deutlicher im Lauf einer guten analytischen Ausbildung (quod erat
demonstrandum; s. o.), wenn man spürt, dass man die besondere Art der
analytischen Beziehung schützen will und muss (wovor?), um in seiner Arbeit
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effektiv zu bleiben und den Patienten nicht zu schädigen (womit?)“. (Die
Einwürfe in Klammern in diesem Zitat stammen natürlich von mir.)
Ist das die Begründung? (Auch für seminaristische Behandlung etwa der Fragen,
ob einem(r) Patienten(in) aus oder in den Mantel geholfen werden darf, oder mit
welchem Wortlaut Kunst-gerecht eine Sitzung zu beenden sei, wie sie mir in
anderem Zusammenhang psychoanalytischer Fachkunde begegnet sind? Zum
Glück war es für meinen verehrten Lehranalytiker sogar schon vor 25 Jahren
kein ernstliches Problem, dass ich anlässlich eines zufälligen Zusammentreffens
beim Abschlussball der jeweiligen Kinder auch mit seiner Frau ein Tänzchen
wagte. Welche Freiheit meiner Seele verdanke ich ihm, der sich sogar erlaubte –
präzise gezielt - eigene Lebenserfahrungs-Aspekte als tröstendes Solidaritätsoder auch (Gegen-)Modell-Angebot ins Spiel zu bringen! Und noch meine
Patienten bzw. deren ‚outcome’ danken es ihm indirekt! Und ich verbitte mir
dringend, ihn oder mich als ‚un-abstinent’ disqualifizieren zu wollen!
Fast tragisch ist es, wenn sie ein- und weitsichtige „Altvordere“(?) wie
Alexander und French, die schon 1946 „das ‚intellektualisierte’
psychoanalytische Verfahren kritisierten“ und die „korrigierende emotionale
Erfahrung“ für möglich und wünschenswert hielten, in die Schranken weist:
„Schon Ferenzci (1930, S. 263) hatte Freuds ‚Prinzip der Versagung’ sein
‚Prinzip der Gewährung’ entgegengestellt. Er wollte den psychoanalytischen
Prozess beschleunigen, indem er durch Gewährung die Widerstände lockerte,
um so, wie er glaubte, den Wiederholungszwang aufzuheben. Der Misserfolg
dieser ‚aktiven Technik’ und Freuds Kritik an ihr ließ diese Ideen für einige Zeit
aus den Veröffentlichungen der Psychoanalytiker verschwinden.“ Tragisch für
die Psychoanalyse, peinlich dazu wegen der zutage getretenen Inquisition und
schade für die Patienten, dass bahnbrechende Überlegungen zu Abstinenz,
(Gegen-)Übertragung, und Arzt-Patient-Beziehung (nicht umsonst war der
‚praktische Arzt’ M. Balint sein Schüler) in seinem ‚Klinischen Tagebuch von
1932’ erst 1985 erscheinen durften (unter dem Titel ‚Ohne Sympathie keine
Heilung’. Das wusste übrigens schon Paracelsus!): Nibelungentreue Epigonen
des aus tatsächlichem sexuellen Fehlverhaltens von Analytikern (über)vorsichtig gewordenen Gründervaters meinten, die reine Lehre durch
Selbstzensur über ein halbes Jahrhundert vor dem revolutionären Gedankengut
eines vermeintlichen Dissidenten schützen zu müssen. Höchst fraglich, ob dies
letztlich zu Freud’s Wissenschafts-Verständnis gepasst hätte. (Um es mit
Ludwig Marcuse zu sagen: „Freud war kein Freudianer; sie waren, von
ehrenvollen Ausnahmen abgesehen, nur das unvermeidliche Nebenprodukt.“)
Auch die Darstellung, dass „die Trias der psychoanalytischen Behandlung:
Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten verlassen“ und „die spontane
Wiederholung und darin die negative Übertragung vermieden“ würden, weil
„der Therapeut ja jetzt ‚besser’ als die früheren Bezugspersonen“ sei, ist eine
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Denunziation der Intentionen Mosers, o. g. Autoren und ernsthafter
KörperPsycho-Therapeuten.
Für ausgeschlossen hält Bauriedl offenbar eine Verkennung des
(Re-)Traumatisierungspotentials in einer zu artifiziellen Begegnungsweise. Den
„Veränderungswunsch“ entwickelt der Patient in der Tat „nur im Erleben des
Leidens“: Dem realen Leid, das auch in der KörperPsycho-Therapie und in der
auch hier allfälligen Übertragung nicht vermieden werden kann und soll, braucht
nicht das der vergeblichen Anstrengung, eine unerreichbare (Kunst-) Figur
(wieder) nicht zu erreichen, hinzugefügt werden. Und keinesfalls geht es mir in
meinem Therapie-Verständnis um die unterstellte „rückwirkende Veränderung
der Vergangenheit in der Gegenwart“ oder um Neigung zur Verwechslung der
„Rolle des Analytikers… mit der eines Ersatzpartners“. Und ob der
therapeutische Prozess nur die „Illusion einer Begegnung“ ist, dürfte eher von
der Persönlichkeit des Therapeuten und einem differentialdiagnostisch sauber
erarbeiteten Setting-Angebot als davon abhängen, ob dies ‚reine’ oder
„angereicherte“ Psychoanalyse repräsentiert. Und natürlich bedeutet, den Körper
in die Arbeit mit einzubeziehen, eine nicht minder große „Verantwortlichkeit
des Therapeuten“ für das, was im Prozess geschieht, sicher keinesfalls deren
„Vertuschen“ oder gar Überwälzen auf den Patienten.
Gänzlich unverständlich bleibt mir, wie Bauriedl meinen kann, „die Analyse
dieser Szenen (Kindheitsszenen) wird unmöglich, wenn sie agiert werden“, als
sei das (in analytischen Kreisen meist pejorativ konnotierte) Agieren nicht die
‚natürlichste’ und vielleicht dem Patienten einzig mögliche Weise, seine
konflikthafte Geschichte darzustellen. Und als sei es nicht möglich und
vielleicht sogar wesentlichster Bestandteil analytischer Arbeit, diese
Wiederholungen durch Agieren gerade im geschützten Rahmen der
therapeutischen Begegnung zu analysieren.
„Die Moral der Psychoanalyse besteht nicht darin, dass man bestimmte
Handlungen oder Interpretationen vermeidet, sondern darin, dass man jeweils
genau hinsieht und hinfühlt, um die psychische Realität und auch die äußere
Realität der therapeutischen Beziehung nicht aus dem Auge zu verlieren.“
Stimmt genau, Frau Bauriedl! Es kommt eben einzig auf die ethisch klare innere
Haltung an! Und ich füge hinzu: Auch darauf ist zu achten, dass aus einer
möglichst natürlichen menschlichen Begegnung durch iatrogene Künstlichkeit
nicht eine verfälschte (Beziehungs-)Realität gemacht und dann ‚behandelt’ wird.
Das wäre ein Kunst-Fehler, der, so fürchte ich, noch allzu häufig in der
‚therapeutischen’ Realität vorkommt.
M. E. schädigt den Patienten nichts mehr als ‚unnormal’ mit ihm umzugehen,
anders scheinen zu wollen als man ist, z. B. unbewegt, wenn man bewegt ist,
unberührt, wenn traurig, gelassen, wenn ärgerlich, und auf eine normale Frage
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eines Menschen an den anderen – auch wenn der eine ‚Patient’ und der andere
‚Analytiker’ ist – unbegründet keine normale Antwort zu geben. (Es soll
vorkommen, dass der Patient der untrüglichere Analytiker ist, als sein
Gegenüber in dieser vereinbarten Rolle.) Eine zentrale Not vieler Patienten ist
gerade die fundamentale Unsicherheit hinsichtlich des affektiven bzw.
emotionalen Gehalts (eigener und anderer) Aktionen und Reaktionen, weil es
ihnen an ebenso wohlmeinendem wie aufrichtigem und verlässlich
authentischem Gegenüber gefehlt hat. (Und hier rede ich natürlich nicht
unkontrolliertem ‚Agieren’ des Analytikers das Wort.)
„Die Einsamkeit der abstinenten Haltung ist oft schwer auszuhalten. Aber wenn
ich mir vorstelle, wie sehr ich meiner Patientin oder meinem Patienten schade
und wie ich meine eigene Arbeit zerstöre, wenn ich die abstinente Haltung
verlasse, fällt es mir wieder leichter, an ihr festzuhalten. Vielleicht ist das in
manchen Situation auch für eine Frau leichter als für einen Mann.“ (Wer
sexualisiert hier? Oder wie ist das gemeint? Der/die sich seines/ihres Tuns
bewusste KörperPsycho-Therapeut/in fühlt sich hier jedenfalls nicht
angesprochen, versteht allenfalls erneut die ebenso fatale wie reduktionistische
Gleichsetzung von Abstinenz mit sexueller Abstinenz.) Vielleicht sollte einmal
erwogen werden, wie die eben beschriebene Schädigung ihrer
affektiven/emotionalen Eichkurve, mit der Menschen zu uns kommen, sich
vergrößern könnte, wenn die Chance einer „korrigierenden Erfahrung“ sogar
anlässlich einer selbstverständlich geschützten und ritualisierten
,Selbsterfahrung in der Begegnung’ mit einem Poker-gesichtigen Gegenüber
vertan wird. Hier, und nicht durch KörperPsycho-Therapie ist die Gefahr groß,
„Patienten Gefühle (zu) ‚machen’“. Gerade im Standardsetting kommen
Patienten leicht zu kurz, „die oft ihre Gefühle bis zur Unkenntlichkeit
zurückgenommen haben“.
Immerhin anerkennt Bauriedl zumindest hier die Möglichkeit, dies könne „auf
(früh-?)kindliche Situationen zurückzuführen sein, „in denen die
Bezugspersonen die Gefühle des Kindes und deren Ausdruck nicht haben
ertragen können“. Ob allerdings „das Kind (versuchte) …, v. a. keine sexuelle
Erregung bei Erwachsenen auszulösen“, ist ebenso bezweifelbar, wie die
Hoffnung, eine gelingendere Erfahrung machen zu können mit einem
„schafsgesichtigen Blechaffen“. Ansonsten hält die Autorin „den Begriff
‚Frühstörung’ grundsätzlich für problematisch, geht er doch von der Vorstellung
aus, dass dieser Patient schon sehr ‚früh’ in seiner Entwicklung gestört wurde,
während andere Patienten erst ‚später’ in traumatische Beziehungssituationen
gerieten“. Es mag mit der weit zurückliegenden analytischen Sozialisation
Bauriedls zusammenhängen, dass Sexualität überall gewittert, mittlerweile
bestens fundierte Daten von Säuglings- und Bindungsforschung aber scheinbar
nicht zur Kenntnis genommen werden.
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Wie sehr bei ihr die Furcht vor Sexualisierung Ausdruck einer (latenten)
Sexualisierung des althergebrachten Metiers ist, die projektiv abgewehrt wird,
zeigt sich nicht nur besonders deutlich, wenn die Autorin das ihr Ferne bzw.
Unbekannte u. a. explizit sogar mit dem Begriff „Vergewaltigung“ benennt,
sondern allein schon in der Selbstverständlichkeit, mit der sie „körperliche
Berührungen zwischen Analytiker und Analysand, die über die konventionelle
Begrüßung und Verabschiedung hinausgehen, mit einer psychoanalytischen
Haltung grundsätzlich unvereinbar“ findet , damit – wegen der „Bedeutung von
körperlichen Berührungen (in der spezifischen Situation der analytischen
Beziehung)“ – „der Analytiker… nicht zum Verführer wird, oder sich selbst
dazu verführen lässt, die Situation in grenzverletzender Weise auszunützen“.
Aber: „Bei Kindern sind solche Berührungen üblich und selbstverständlich.
Deshalb kann es ja auch so leicht geschehen, dass Kinder sich nicht mehr
auskennen, wenn die Berührungen plötzlich missbräuchlichen Charakter
annehmen. Dies geschieht, sobald der Erwachsene dabei die Phantasie hat, nicht
ein zu schützendes Kind zu berühren, sondern einen Sexualpartner… Zwischen
Fremden haben sie (die Berührungen) im Allgemeinen die Bedeutung der
sexuellen Annäherung.“ Ja, wo kommen wir denn da hin?! So klein ist in
Bauriedls Phantasie (und Realität?) das Spektrum von Berührungen zwischen
Erwachsenen? Immerhin beschreibt sie genau die ‚Phantasie’ von
KörperPsycho-Therapeuten, die hinsichtlich Erfahrung tiefer Regression eben
doch weiter sind, als offenbar mancher herkömmlicher Analytiker: Sie wissen,
wann sie im erwachsenen Patienten ein „zu schützendes Kind“ berühren. Wenn
das Ungeheuerliche wirklich stimmt, dass etwa 10 % der Psychotherapeuten ihre
Schutzbefohlenen sexuell missbrauchen, behaupte ich, dass der kleinere Teil
von ihnen aus dem Lager der ‚angereichert’ ausgebildeten und ‚anreichernd’
Arbeitenden kommt: Sie haben nämlich besser gelernt, wie „man jeweils genau
hinsieht und hinfühlt“, schon ‚Setting-bedingt’, - neben aller Denk-Arbeit.
Ich beklage hier gerade, dass erst „seit einiger Zeit in der psychoanalytischen
Literatur die Gegenseitigkeit der analytischen Beziehung deutlicher“ wird, und
fordere damit, „dass die analytische Beziehung als ein Ineinandergreifen von
Übertragung und Gegenübertragung von beiden Beteiligten zu verstehen ist“. V.
a. aber beklage ich, dass aus dieser Erkenntnis – auch der Autorin –
ausreichende Konsequenzen zu ziehen als so mühsam erscheint. Stattdessen
werden Gegenpositionen aufgebaut, die den ‚gegnerischen’ Positionen gar nicht
entsprechen. Besonders unglücklich geschieht dies, wenn sie Tilman Moser und
Günther Bittner in den gleichen Zusammenhang stellt, weil sie „trotz ihres
langjährigen Konflikts fast unisono die ’Versteinerung des Abstinenzkonzeptes’
verurteilen“, nachdem sie allen Ernstes zuvor die „Frage“ (aus dem gleichen
Forum-Heft) aufgreift, „ob Liebe in der Analyse ein Fall für den Staatsanwalt
ist“. Nicht nur wird damit zumindest fahrlässig „Liebe“ mit “Sexualität in der
analytischen Beziehung (Bittner 1998)“ gleichgesetzt, sondern (auch hier) die
üble Unterstellung eingebracht, der analytische KörperPsycho-Therapeut Moser
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und der kriminelle Psychoanalytiker Bittner könnten von gleichem Schlag sein.
Auch, dass „die Entscheidung für eine therapeutische Beziehung bedeutet, dass
sie keine ‚normale’ Beziehung ist, aus der eventuell eine Liebesbeziehung
entstehen könnte“, bedeutet nicht, dass eine körperpsycho-therapeutische
Beziehung ‚nicht normal’, oder eine sexuelle Beziehung in einer Analyse
„normal“ sei. (Warum nebenbei, fällt in einem Artikel zur Abstinenz in der
Psychoanalyse – auch wenn sexuelle Abstinenz offensichtlich den Hauptakzent
erhält – kein Wort etwa zum Macht-Missbrauch, in dem der Analytiker
narzisstisch ein ohnehin unvermeidliches Machtgefälle aus Angst vor eigener
Angreifbarkeit und Verletzlichkeit zum Eigenschutz noch ausbaut?)
Das Konzept der „korrigierenden Erfahrung“ ist nicht deshalb falsch, weil es
auch im falschen Kontext eingesetzt (bzw. zitiert) werden kann, etwa in dem des
Mythos vom „Gegengift“ der Berührung des Körpers, der sich ‚unberührt’ und
missachtet fühlt“: Als sei dies Sinn und Zweck von Berührung in der
Körperarbeit, oder als ginge es ernstlich darum, „zuviel oder zu wenig
Berührung durch quantitativen Ausgleich korrigieren zu wollen“. Es gibt, wie
gesagt, auch Körperarbeit ohne Berührung, aber ebenso kann ihr Ausbleiben
grobe Unterlassung sein, ihr indizierter Einsatz viele Rede-Stunden einsparen.
Und vielleicht fühlt der Patient so sogar besser, dass er nicht „grenzenlos“ ist,
und fühlt sich der Therapeut dann (gerade als solcher) nicht nur „besser“ (weil
erkennbar hilfreicher und damit tatsächlich zufriedener), sondern ist es sogar –
wenn auch nicht im Sinne des „idealen Vaters“. Eine selbstverständliche
Implementierung von Körperarbeit in den analytischen Prozess nimmt
unmittelbar Druck aus der Beziehung, den ängstliche Verkrampfung des
Therapeuten m.E. – wie sinngemäß auch schon gesagt – als Artefakt überhaupt
erst in den Prozess hineinträgt. (Dabei sei auch noch einmal gefragt, ob diese
Ängstlichkeit nicht selbst ein Artefakt traditioneller Instituts-abhängiger
Ausbildung – mit übrigens allzu oft entsprechend ‚inzestuöser’ Lehrer-SchülerBeziehung, die gelegentlich auch sogar (leider erst nach ihrer ,Emeritierung’)
von prominenten Institutsvorständen beklagt wird - sein könnte, oder ob
vielleicht die einschlägige Tradition entsprechende Kandidaten mit ‚gehaltener’
Konstitution und Begabung zu aseptischer intellektueller Logelei besonders
anzieht.) Während Bauriedl den Vorwurf von „Funktionalisierung“,
„Instrumentalisierung“ und „Manipulation“ des Patienten durch KörperPsychoTherapeuten (und umgekehrt) gegen letztere erhebt, wäre er also im Rahmen des
artefiziell ‚abstinenten’ Settings herkömmlicher Psychoanalyse wahrscheinlich
eher angebracht – nur wird dies und seine Auswirkungen verständlicherweise
von seinen Vertretern nicht so kritisch hinterfragt. (Besser denn je wissen wir,
dass Freud ursprünglich selbst eine weit natürlichere Begegnungsweise mit
seinen Patienten gepflegt hat: Ich sähe ihn im Umfeld seiner jüngsten
Geburtstags-Gedenkfeiern gerne geehrt, indem man dem großen Pionier die
Erweiterung seines therapeutischen Repertoires um die Körper-Dimension (im
engeren Sinn) zutraute, hätte er die in den letzten Jahrzehnten glücklich
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geminderte Befangenheit des 19. Jahrhunderts hinsichtlich der Leiblichkeit und
die Erkenntnis der von ihm so hochgeschätzten wissenschaftlichen Forschung
im gleichen Zeitraum noch erlebt.)
Natürlich können meine Einwände gegen den herkömmlichen Abstinenzbegriff
abgetan werden mit dem Hinweis, ich arbeitete schlicht psychotherapeutisch,
hätte längst die Psychoanalyse verlassen. Gerade, weil ich deren
tiefenpsychologische Modellbildung unübertroffen finde, will ich mich nicht so
leicht ‚ausbürgern’ (lassen), sondern versuche unbeirrt, die mir an ihr
entscheidenden Ideen im Diskurs mit ‚modernen’ Therapie-Richtungen und
ihren oft allzu zeit,geistigen’ Instant-Heilsversprechen zu vertreten. (Auch
deshalb dies Verlassen meiner sonstigen Schreib-Abstinenz, ehrlicher gesagt
Schreib-Faulheit.) Entscheidend für Freud war u.a., wie gesagt, der
Wissenschafts-Anspruch. Und die Mindestvoraussetzung für einen solchen ist
der einer Weiterentwicklung von Erfahrung, Erkenntnis und Einsicht. Der
Anspruch, eine hilfreiche ‚Kur’ anzubieten, ist mir noch wichtiger, weil
ärztliche Verpflichtung. In meiner zwanzigjährigen Praxis ist noch kein Patient
zu mir gekommen mit dem Wunsch, eine Psychoanalyse ‚an sich’ zu machen,
sondern jeder hatte ein explizites Hilfeersuchen. Der Anspruch auf Linderung
von Not und möglichst weitreichende ‚Heilung’ steht nach meinem Verständnis
gleichberechtigt neben dem auf ‚nil nocere’, und ärztliche Ethik verlangt beider
Einlösung nach allen Regeln der Kunst. Gestritten werden darf und muss um die
Frage, was zu diesen gehört und was nicht. Bornierte Abschottung gegen
nutzbringende Ausweitung derselben jedenfalls ist nicht kunstgerecht.
Die Aufforderung Bauriedls in ihrer „Schlussbemerkung“, „jetzt die öffentliche
Diskussion zum Anlass (zu) nehmen, um uns über die ethischen Prinzipien und
Grenzen klar zu werden“, klingt rhetorisch, um nicht zu sagen unredlich, wenn
sie schon (längst) weiß, wie „die psychoanalytische Abstinenz immer wieder
neu und eindeutig zu definieren“ sei. (Und bezüglich der Definition der
„ethischen Prinzipien und Grenzen unserer Arbeit“ weiß sie das sicher auch
schon vor jeder Diskussion. Die hat man mit der ‚psychoanalytischen
Gesellschafts-Muttermilch’ eingesogen. Siehe Definitionshoheit). Auch die
Psychoanalyse steht nicht außerhalb des (v.a. ideellen) Wettbewerbs der HeilMethoden, und innerhalb dessen gilt auch für sie: Wer heilt, hat recht. Sie
schadet sich, wenn das Rechtbehalten in der Auslegung eines zu eng gefassten
Abstinenz-Begriffes zur Ausgrenzung derer führt, die in der kunstgerechten
Einbeziehung der psychoanalytisch fundierten Körperarbeit eine wertvolle
Erweiterung des therapeutischen Repertoires befürworten – zum Wohle der
Patienten. Die gehen dorthin, wo sie am ehesten effektive Hilfe erwarten dürfen.
Wo das ist, spricht sich herum (s.o.). Nur, wenn sich die Psychoanalyse aus
akademischer (?) Tradition und institutionalisierter Angst einer angemessenen
Aufgeschlossenheit (und „öffentlichen Diskussion“) verweigert, wird sie –
jedenfalls als anerkannte Heilmethode – tatsächlich sterben.
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Aber selbst dann muss die ‚Leiche’ der „alten Tante Psychoanalyse“ ja nicht
‚gefleddert’ werden: Die Nachkommen erben dankbar die besten Stücke!
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