Zusammengassung der Vorlesung vom 13.01.2009 Gastvortrag: Der ferne Spiegel Geschichte der Familie, Kindheit und Jugend als Historische Sozialisationsforschung Prof. Dr. Ulrich Hermann Projekt „Privatbibliothek Hermann“ (seit 2003) Prof. Dr. Hermann stellte der Universität Graz seine Privatbibliothek zur Verfügung, die Bücher mit dem pädagogischen Wissen von über 300 Jahren umfasst. Kurzbiografie: Geboren 1939 in Verben Er studierte Germanistik, Geschichte, Pädagogik, Philosophie und Politikwissenschaften in Heidelberg und Pädagogik, Geschichte, Philosophie und Germanistik in Köln Promotion 1968 „Die Pädagogik Wilhelm Diltheys“ Habilitation 1975 Bis 2004 war er Professor für Pädagogik Seit 2004 ist er im Ruhestand und leitet das Forum „Kritische Pädagogik“ in Deutschland und Österreich Zusammenfassung des Vortrags: Bis Ende der 60er/Anfang der 70er sprach man nicht von Historischer Sozialisationsforschung, sondern von Geschichte der Pädagogik und behandelte Themen wie die Geschichte der Pädagogen, der Schule, der Traditionen und die Geschichte des Bildungswesens. Bacher Daniela, Lemmerer Julia Seite 1 Zusammengassung der Vorlesung vom 13.01.2009 In den 70er Jahren gab es dann einen Paradigmenwechsel hin zur Sozialisation. (ausgelöst durch die Kritische Theorie der Frankfurter Schule) Hier wurden zur Forschung 2 Quellen herangezogen: Erfahrungswelten der Heranwachsenden Rolle der Erziehung und Bildung in diesen Veränderungsprozessen (die Rolle des pädagogischen Personals) Wichtige Begriffe sind: Sozialisation, Erziehung und Bildung sowie Sozialer Wandel Diese Begriffe haben jeweils folgende Teilbereiche: Bereiche (politischer, ökonomischer, kultureller, gesellschaftlicher, pädagogischer Wandel) Akteure (Institutionen/Organe, Interessensgruppen, Verbände, Parteien, Personen, Autoren/ Medien/ öffentliche Meinungen) Faktoren (geänderte Funktionen/Aufgaben, neue Akteure, Interessen (-skonflikte), Problemwahrnehmungen u. – artikulationen, Legitimationsprobleme, Aufstiegswille, Abstiegsabwehr, Inklusions- u. Exklusionsprozesse) Dimensionen (Säkularisierung, Politisierung, Liberalisierung, Emanzipation, Individualisierung, Bürokratisierung, Verrechtlichung, Menschen- u. Bürgerrechte, Vergesellschaftungs-/Vergemeinschaftungs-/ Lebensformen) Goethe: „Dichtung und Wahrheit“ Bsp.: „Ich wäre anders geworden, wenn ich zehn Jahre früher oder später geboren wäre.“ diese Prozesse verändern/prägen den Menschen: Generationsprägung Wechselwirkungs- und Bedingungsverhältnisse (Kräfte der Bewegung/-der Beharrung; segmentiert/gesamtgesellschaftlich; ein-/ mehrdimensional; endogen/exogen/emergent; Dynamik/Wandel/Reform/Evolution/ Revolution) diese Verhältnisse sind Äderungen der Lebensverhältnisse Frage: Geht es um gesellschaftliche Evolution oder Revolution? (Schleiermacher) Wechselwirkungsschema: Der gesellschaftliche Wandel beeinflusst den Ökonomischen Wandel, den Politischen Wandel, den Kulturellen Wandel und den Pädagogischen Wandel. Diese 4 beeinflussen sich wiederum gegenseitig. Bacher Daniela, Lemmerer Julia Seite 2 Zusammengassung der Vorlesung vom 13.01.2009 Ss stabile - instabile Normen Hohe/geringe soziale Kontrolle Generationenve rtrag soziale Un-/ Sicherheit soziale Kontrolle gesellschaftl. In/ Stabilität Pädagog. Wandel Ökonom. Wandel Gesellschaftl. Wandel Subsistenz – Marktwirtschaft handwerkl. – industrielle Warenproduktion Stagnation/Wachstum Politischer Wandel Anpassung – Freisetzung Wertschätzung von Kindheit und Jugend Berufsausbildung - Persönlichkeit Kultureller Wandel ideologische – tolerante Systeme traditionelles – offenes Wertesystem konventionell – alternativ konfessionell – säkularisiert stationär – mobilitätsorientiert kollektive – individuelle Lebensentwürfe autoritär –demokratisch Bürgerbeteiligung Parteien/ Bewegungen repräsentativ/plebiszitär Dimensionen des Übergangs von Traditionalität zu Modernität: = Thema der modernen Sozialisationsforschung Wurde aber schon in der Geschichte durch mehrere Texte bearbeitet: Pestalozzi: Nachforschungen über den Gang der Natur in der Geschichte des Menschengeschlechts Welche objektiven Bedingungen haben zum Wandel beigetragen? Was macht der Gang des Lebens aus dem menschlichen Geschlecht? Welche materiellen Bedingungen beeinflussen das Tun/Lassen des Menschen? Antwort: Der Mensch macht die Umstände und die Umstände machen den Menschen. Rousseau: „Schöpfer und Geschöpf“ Der Mensch veränderte die Situation und schafft dadurch neue Bedürfnisse (Trends, Mode, Musik,..) natürliche Bedürfnisse kommen so in Gefahr kaum ist ein Bedürfnis gedeckt, erfindet man ein neues; dies ist eine Gefahr für die Kultur, da sich der Mensch durch seine Bedürfnisse selbst konstruiert. Bacher Daniela, Lemmerer Julia Seite 3 Zusammengassung der Vorlesung vom 13.01.2009 Beispiel aus dem Vortrag: Dimension Traditionalität Modernität Sozialstruktur homogen, stabil heterogen, mobil Soziale Kontrolle direkt indirekt Werte-, Normensystem konsistent, „einfach“ inkonsistent, komplex Positionsrekrutierung zugeschrieben erworben technische Innovationen gering hoch Arbeitsproduktivität gering hoch dominanter Wirtschaftssektor agrarisch industriell Siedlungsform ländlich städtisch Sozialform „Gemeinschaft“ „Gesellschaft“ Organisationsform Patrimonialismus Bürokratie Einheit der Interessensformierung politisch formierte „Stände“ ökonomisch formierte „Klassen“ Legitimität von Herrschaft Heiligkeit der Tradition Legalität der Satzungen Aggregation der Interessen niedrig, lokal hoch, zentral politische Partizipation gering, spontan hoch, institutionalisiert Konfliktaustragung gewaltsam, unterdrückt friedlich, formiert Kommunikation personal, direkt „medial“, vermittelt Sozialgeschichte der Familie Früher wurde der Begriff Familie als Verwandschaftsverband definiert. Dies führte jedoch bei Volkszählungen zu einem Problem, da es schwer war genau zu sagen wer alles zu diesem Verwandschaftsverband zählte. Deshalb führte man im Laufe der Zeit andere Definitionen ein: Nahrungszusammenhang („alle an einem Herd“ „ganze Haus“ dieser Begriff konnte bis zu 80 Personen umfassen und zählte auch nicht Blutsverwandte wie z. B. das Gesinde dazu. ein fälschlicher Ausdruck für diese Def. von Familie ist: Großfamilie Kernfamilie = Bürgerliche Familie = 2-Generationen-Familie dieser Begriff umfass nur noch die Eltern und Kinder, maximal noch die Großeltern; Arbeit und Privates wurden hier streng getrennt. neue Rolle der Mutter: Erziehung der Kinder Rousseau: „Emil oder über die Erziehung“ hier wird die Kindheit zum zentralen Begriff Rousseau erklärt den Müttern den Umgang mit den Kindern Bacher Daniela, Lemmerer Julia Seite 4 Zusammengassung der Vorlesung vom 13.01.2009 Anfangs wurde die Familien im intimen Verhältnis zwischen Vater, Mutter, Kind dargestellt. ( hl. Familie) Typisch für das 18. Jhd. war die Verhäuslichung der Frau. Der Frau wurden bestimmte Bereiche zugeteilt: Küche – Kirche – Kind Ebenfalls verhäuslicht wurden die Kinder. siehe dazu: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte der heranwachsende Mensch wird in einen Raum, indem die Reinheit der Natur steckt „gesperrt“; hier hat er nur Kontakt mit dem Erzieher; Damals ging man davon aus, dass die Natur göttliche Schöpfung, und somit gut ist, und dass der Optimalzustand erreicht ist, wenn sich jedes Geschöpf im moralischen Zustand befindet. Die Mutter gilt deshalb als Vermittlerin der Natur an das Kind. Hervorgehobene Position der Frau. Die Entdeckung der Mutterliebe (ebenfalls im 18. Jhd.) Die Mütter nähren ihre Kinder selbst, somit bekommen die Kinder ihre guten Eigenschaften schon mit der Muttermilch. Heute gibt es eine Rollendiffusion Väter bekommen eine neue Rolle auch sie kümmern sich um die Kinder; Kindheit im engeren Sinn = die Geschichte der Kindheit Man muss immer den sozialen Ort anschauen, an dem die Kinder aufwachsen und die Sozialisationsprozesse, wie z.B. gemeinsames Musizieren, betrachten um Aussagen über die Kindheit machen zu können. Wir sehen meistens nur die „Sonnenseiten“ der Kindheit und verdrängen die Missstände. Weitere Stichworte sind: Vereinsamung des Kindes; Fixierung auf einen Elternteil Jugendalter = 2. große Phase der Entwicklung Traditioneller Weise wurden junge Leute in einen bestimmten Stand (z.B.: Bauern, Bürger, Adelige) hineingeboren und konnten diesem nicht entfliehen. Passung = anpassen an die Situation Dies änderte sich jedoch im 19./20. Jhd. Ende 19. Jhd.: Sezession Bacher Daniela, Lemmerer Julia das Verhältnis der Generationen verschiebt sich Seite 5 Zusammengassung der Vorlesung vom 13.01.2009 Jugendbewegung: die Jugendlichen wollten einen eigenen Lebensbereich um Freizeitbeschäftigungen nach zu gehen; Die Jugendbewegung war jedoch keine Protestbewegung, da die Jugendlichen die Unterstützung ihrer Eltern hatten. Es war der Versuch einer Verselbstständigung der Jugend dies führte jedoch zu einer Politisierung/Instrumentalisierung für z.B. Politik Darauf folgte eine soziale Protestbewegung, die Oppositionsbewegung oder Halbstarkenbewegung in den 60er Jahren. Diese Bewegung forderte die Auflösung der Anbindung der jungen Erwachsenen an die Gesellschaft. Generationenvertrag: Jungen kümmern sich um die Alten Familien-Übergabe-Vertrag: Vater gibt den Jungen Sprache, Nahrung,… Die gezeigten Bilder zeigten verschiedene Jugendgruppierungen wie z. B. Studentenverbindungen, „Wandervögel“ (eine Gruppe Jugendlicher der übers Land zogen), Pfandfinder (die im Gegensatz zu den „Wandervögeln“ paramilitärisch organisiert waren) sowie Bilder der Hitlerjugend die letzten Bilder machen deutlich, dass totalitäre Regime immer wieder die Jugend für ihre Zwecke instrumentalisierten indem sie für etwas warben, dass den Wünschen der Jugendlichen am Herzen lag. (z.B. für Freiheit) Sozialisationsprozesse in Institutionen am Beispiel Schule In der Nachkriegszeit: Räumliche Ausrichtung nach vorne auf den Lehrer Bänke waren fest verschraubt und nach vorne hin offen(Einerseits um für gerade Haltung zu sorgen, andererseits um zu kontrollieren was die Schüler unter der Bank anstellten.) Kein Platz zum Arbeiten Immer ein christliches Symbol vorhanden Heute: Räumliche Ausrichtung anders Ander Aufstellung der Tische,.. Schlüsselqualifikationen werden erlernt mehr Platz zum Arbeiten Kinder arbeiten selbstständig, Gruppenarbeiten; Schleiermacher: lernen = sozialer Prozess Studium ist erfolgreich, wenn soziale Kontakte geknüpft werden. Bacher Daniela, Lemmerer Julia Seite 6 Zusammengassung der Vorlesung vom 13.01.2009 Zusammenfassung: mit welchen Themen befasst sich die Sozialisationsforschung die lange Evolutionsbiologie = kooperieren und zusammenleben mit anderen die Kulturgeschichte „auf langer Welle“ = hl. Familie und deren Veränderung im Lauf der Zeit die kurze Geschichte der Moderne Konstituierung und „Territorialisierung“ von Orientierungs- u. Deutungsmustern „die feinen Unterschiede“ von sozial-kultureller Inklusion und Exklusion „Grammatik des Alltagslebens“ Kollektivität vs. Autonomie Generationen und Generationseinheiten Bürgerliche Subjektivität als Chance und Last „Autonomie-Zwang“ Der Mensch als Schöpfer und Geschöpf der Kultur Sozialisations- und Bildungsgeschichte als Kulturgeschichte Bacher Daniela, Lemmerer Julia Seite 7