Betriebsratsrealitäten - GPA-djp

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Betriebsratsrealitäten
-BetriebsrätInnen und ihre Praxis zwischen Selbst- und Fremdansprüchen im Postfordismus
Forschungsfrage: Wie gestallten sich die Rolle und Funktion der BetriebsrätInnen (BR) im postfordistischen gesellschaftlichen Kontext?
Design: Tiefeninterviews mit GewerkschaftssekretärInnen und BR im Einzelhandel, Re-Reading theoretischer und empirischer Studien.
Theoretische Zugänge: Hegemonietheorie, Regulationstheorie, Scale Debatte, Strategisch relationaler Ansatz, Habituskonzept, Subjektwissenschaftlicher Ansatz, Machtressourcenansatz
Der soziale Raum des Austrokorporatismus
Gewerkschaften sowie BR und damit auch ihre Praxis sind eingebunden in eine soziale Welt, die aus einem mehrdimensionalen Raum, aus einem Ensemble von objektiven Kräfteverhältnissen besteht
und dementsprechend strukturiert ist. Für unsere spezifische Forschungsfrage richten wir unser Hauptaugenmerk auf den sozialen Raum des Austrokorporatismus, als spezifisch österreichische Form
der Regulation von kapitalistischen Verhältnissen und mit der Sozialpartnerschaft als seine zentrale Praxisform. Die Praxis der Gewerkschaft und der BR wird von uns also analytisch in verschiedenen
Feldern/ Ebenen betrachtet, die gemeinsam den sozialen Raum des Austrokorporatismus ergeben.
Verhältnis Kapital-Arbeit: Machtpotentiale der ArbeiterInnen
Machtpotentiale können unterteilt werden in interne Verhältnisse und kontingente Momente. Interne Verhältnisse (strukturelle Machtpotentiale) entspringen aus dem, für den Kapitalismus konstitutiven
Verhältnis zwischen Kapital und Lohnarbeit und sind im Kapitalismus immer latent vorhanden. Kontingente Momente, wie zum Beispiel Organisationsmacht sind nicht abzuleiten aus dem
Kapitalverhältnis und sind Ergebnis strategischen Handelns innerhalb einer kapitalistischen Gesellschaftsformation. Es darf allerdings nicht der Fehler begangen werden, die strukturellen
Machtpotentiale, als dem Handeln der Akteure äußerlich existierend zu begreifen. Latente Potentiale unterliegen der bewussten oder unbewussten Aktivierung und Deaktivierung (intendierte und oder
(Neben-) Folge von Handeln). Im Bereich der industriellen Beziehungen, spielen handlungsprägende Momente in Form von kulturellen und monetären Potentialen eine große Rolle in der Aktivierung
und Deaktivierung von Machtpotentialen der ArbeiterInnenbewegung und der Gewerkschaften.
Verhältnis
Kapital- Arbeit
Strukturelle Macht
Produktionsmacht
Organisationsmacht
Marktmacht
Institutionelle Macht
Kulturelle Potentiale
Monetäre Potentiale
….der Akteure in einem Sozialen Raum
zB. Streikfond
Postfordismus
Globalisierung
makropoltische Ebene
 nationaler Raum
Wohlfahrtsstaat
stabile Vertrauensbasis
zwischen Eliten (Vertrauenszeit)
Verrechtlichung
Ebene der Branchen
flächendeckende KVs
ökonomischer Spielraum
ermöglichte langfristige Planung
Gew: paternalistisch,
hierarchisch und branchenweit,
funktional für Verhandlungen
lange Verhandlungszeiten
klar Arbeitsteilung zw. Gew.
und BR
betriebliche Ebene
stabile hierarchische COManagementformen
langfristige
Erwerbsbiographien bei
Management und ArbeiterInnen
Recht und Vertrauensbeziehungen als stabiler
Handlungsrahmen für alle
Akteure
klare räumliche und zeitliche
Strukturierung der Betriebe
zur Aufrechterhaltung der
institutionellen Macht wurden
andere Machtpotentiale auf
betrieblicher Ebene
untergeordnet
Sie
kann
verstanden
werden
als
die
Verschiebung Raum/Zeitlicher Maßstabsebenen.
Räumliche und zeitliche Maßstabsebenen sind
Sedimentierungen menschlichen Handelns.
Transnationalisierung von Produktionsketten,
lean production, management by stress,
internationaler Wettbewerbsstaat, just in time
production….Das alles sind Beschreibungen, die
auf einen tiefgreifenden Wandel räumlicher und
zeitlicher Strukturen hinweisen.
Diese
Veränderungen
sind
in
ihren
Auswirkungen
auf
allen
drei
von
uns
analysierten Ebenen erfassbar. Sie konstituieren
eine neue gesellschaftliche Realität, in der
bisherige Praxen von BRs und Gewerkschaften
vermehrt
in
Widerspruch
mit
den
gesellschaftlichen
Verhältnissen
der
Globalisierung geraten.
Sozialer Raum des Austrokorporatismus
Sozialer Raum des Austrokorporatismus
Austrokorporatismus (Fordismus)
makropoltische Ebene
Ebene der Branchen
betriebliche Ebene
Wettbewerbsstaat
Internationalisierung/
Europäisierung
Gewerkschaften als
subalterner Partner des
Wettbewerbskorporatismus
Rechtsruck der politischen
Kultur
Entwertung
Sozialpartnerschaft,
Aufwertung parlamentarischer
Mehrheit
Verschiebung der
Kräfteverhältnisse Richtung IV
Konzentrations- und
Professionalisierungsprozesse
Restrukturierung der
Branchenvertretung
ökonomischer Spielraum wird
enger / Wettbewerbsdruck
Neue Managementformen
Höhere Personalfluktuation
auf Ebene der AN und BL
(Vertrauensaufbauproblem)
Betriebsstruktur verändert
sich räumlich und zeitlich
ArbVG kommt in
Widerspruch mit neuen
Organisationsstrukuren der
Betriebe
Recht erodiert
Einsparungen vor allem bei
den Personalkosten
verlängerte Öffnungszeiten
Blick auf die veränderte Praxis auf betrieblicher Ebene:
Die BR werden in eine zunehmend defensivere Praxis gedrängt. Die Filialstrukturen entsprechen nicht mehr dem im ArbVG festgeschrieben Vertretungsstrukturen. Die BR sind dadurch räumlich und
zeitlich und von den Geschehnissen in den Filialen entfernt. Für die Zusammenarbeit im BR Kollegium behilft man sich oft mit dem Nachbilden der Konzernstruktur und passt sich dabei an die raumzeitlicher Logiken des Konzerns an. Freigestellte Betriebsratsvorsitzende bekommen gleichzeitig eine Schlüsselfunktion für die zentralisierte Problemlösung, die Verhandlungen mit der
Geschäftsleitung und die Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft. Mit Verschärfung des internationalen Wettbewerbs werden Sozialpläne und Betriebsvereinbarungen die zentrale Praxisform von BR
und Gewerkschaft. Strategisch geht es hierbei nicht mehr um offensiven Abwehrkampf sondern nur noch um das defensive Vermeiden und Mildern sozialen Härtefällen. Auch werden viele private
Sorgen und Probleme an die BR herangetragen. Sie übernehmen dabei nicht nur die SozialarbeiterInnen Rolle im Betrieb, sondern kompensieren zum Teil die, nicht mehr vorhandenen,
Sozialleistungen der Firma. Auch die Beziehung zw. BR und Gewerkschaft verändert sich. Eine, bisher als gegeben angenommene automatische Bindung der BR an die Gewerkschaft
(Identitätsstiftung) wird im Schwinden erlebt. Der geschäftsmäßige Charakter der Beziehung steht im Vordergrund, man konzentriert sich Zunehmens auf Rechtsberatung und Serviceleistungen.
Der politische Charakter wird dabei oftmals nur noch in Form von Vergangenheitsnostalgie von Seiten der GewerkschaftsfunktionärInnen erwähnt und hat in der Praxis immer weniger Bedeutung.
Hier verschwimmt mehr und mehr die Aufgaben- und Rollenteilung zwischen BR und GewerkschaftsfunktionärInnen. Insbesondere im Rahmen von Sozialplanverhandlungen werden BR zu bloßen
Türöffnern in den Betrieb; die Verhandlungen führen oder zumindest begleiten immer öfter die GewerkschaftsfunktionärInnen. Diese Lösung der kurzen Wege (bypass Strategie) ist eng gebunden
an einen ExpertInnen Statuts, der insbesondere in Rechtsfragen den GewerkschaftsfunktionärInnen zugesprochen wird. Beide erleben eine ungeheure Intensivierung ihrer Arbeit und berichten von
zunehmender Überforderung.
 Die Krise der kulturellen Praxis
Wir verstehen unter Krise der kulturellen Praxis, einen, alle betriebsrätlichen und gewerkschaftlichen Praxisfelder umfassenden, Erosionsprozess korporatistisch-, sozialpartnerschaftlicher Kultur.
Dieser Erosionsprozess zeigt sich nicht linear, sondern wird konkretisiert durch die Spezifikas der jeweiligen Felder und so in seinen Erscheinungsformen vermeintlich einen analytischen „stand
alone“ Status erlangt. Wird dieser Status nicht durch eine integrale Betrachtungsweise ersetzt, erscheint die Erosion gewerkschaftlicher und betriebsrätlicher Durchsetzungskraft als das individuelle
Versagen von Betriebsratskörperschaften oder von GewerkschaftsfunktionärInnen. Erst wenn in die Analyse der betriebsrätlichen Praxiskultur analytisch verbunden wird, mit den Erosionsprozessen
auf Branchen- und Makroebene, wird der allgemeine Entwertungs- und Umdeutungsprozess korporatistischer Kultur als ganzes sichtbar.
Machtpotentiale/ Ergebnisse
Die veränderten raum-zeitlichen Handlungsstrategien von ökonomischen, politischen, staatlichen Akteuren, die wir im Globalisierungsprozess beobachten können, sind strategische Einsatzpunkte,
welche die Handlungsfähigkeit von Gewerkschaften und BRs auf allen Ebenen untergräbt. Wir können also eine massive Verschiebung der Kräfteverhältnisse zugunsten der Kapitalseite beobachten.
Bisherige Antworten der Gewerkschaften und der BRs in Österreich, laufen in erster Linie auf eine subalterne Anpassung an die neuen Muster hinaus. Diese neu gelagerte Subalternität, die sich hier
herausbildet, ist Ausdruck eines strategischen Mankos, das entsteht durch die Überbetonung institutioneller Machtpotentiale und dem Kampf um die immer prekärer werdende Aktivierung dieses
Machtpotentials. Ein Ergebnis des Erosionsprozesses der Durchsetzungskraft korporatistischer, institutioneller Machtressourcen ist, dass die betriebliche Ebene im Feld der industriellen Konflikte
wieder vermehrt an Bedeutung gewinnt. Die strategische Orientierung auf die institutionellen Machtressourcen, mit der Dominanz von Verrechtlichung und der Praxis in Richtung persönlicher
Beziehungen, greift auf betrieblicher Ebene immer weniger. Vielmehr ist diese Praxis Teil eines Erosionsprozesses identitärer Verbindung von BRs, Angestellten und Gewerkschaften. Um eine
notwendige Erneuerung betriebsnaher Gewerkschaftspraxis zu ermöglichen ist es unumgänglich das Paradigma institutioneller Praxisformen in Frage zu stellen und eine verstärkte Zuwendung in
Richtung anderer Machtpotentiale und deren aktivierende Praxen zu vollziehen. Dies stellt ohne Zweifel eine große Herausforderung dar, bedeutet es doch nicht weniger, als die Konstitution einer
neuen gewerkschaftlichen Identität, die sich nicht nur um eine kurzfristige „problem solving“ Strategie entwickeln kann, sondern ein neues historisches und aktuelles Narrative der
Gewerkschaftsbewegung zur Voraussetzung hat. Dies beinhaltet eine massive Aufwertung der Mitbestimmungsrechte der gewerkschaftlichen Basis in der Gewerkschaft und den Betrieben, sowie
eine Neustrukturierung gewerkschaftlicher Verankerung auf Betriebsebene.
StudienautorInnen: Mag. Mario Becksteiner, Mag.a Elisabeth Steinklammer (Uni Wien)
Unter wissenschaftlicher Mitarbeit von Florian Reiter
Eine Auftragsstudie der GPA-djp Bildungsabteilung
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