1950-05-a

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Gustav Pietsch
PORTRÄT EINER
AMERIKANISCHEN GEWERKSCHAFT
Wenn man weiß, dass Ford und General Motors der gewerkschaftlichen Organisation am
längsten Widerstand geleistet haben, dass sich der Aufstieg der AutomobilarbeiterGewerkschaft (UAW-CIO1) zur jetzigen Riesenorganisation mit über 1,2 Millionen Mitgliedern
erst in den letzten Jahren, seit etwa 1936, nach heftigen und blutigen Arbeitskämpfen und
hitzigen Auseinandersetzungen mit den Kommunisten vollzog, dass noch im Jahre 1943
Rassenkämpfe mit 34 Toten, über 700 Verletzten und 1300 Verhafteten stattfanden,
dass auf Walter P. Reuther, Präsident der UAW-CIO, im Jahre 1948 ein Attentat verübt wurde,
an dessen Folgen er heute noch leidet, und dass auf seinen Bruder Victor G. Reuther,
dem Bildungssekretär derselben Organisation, im Mai 1949 ebenfalls ein hinterlistiger
Mordanschlag versucht wurde, bei dem er neben anderen schweren Ge-
1
United Automobile Workers – Congress of Industrial Organisations.
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Gustav Pietsch
sichtsverletzungen ein Auge einbüßte -wer das alles weiß, ahnt etwas von der wirtschaftlichen
Dynamik und politischen Atmosphäre dieser Stadt. Es musste für einen deutschen
Gewerkschafter einen besonderen Reiz haben, gerade diese Stadt zu sehen, und ich gestehe,
dass Detroit einer der Höhepunkte dieser zweimonatigen Reise durch die Staaten war.
Freunde erzählten mir, dass sich die Verhältnisse in dieser Stadt in den letzten 15 oder
20 Jahren so grundlegend geändert haben, dass jeder Vergleich fehlt. Detroit ist heute die
Hochburg einer der mächtigsten und angesehensten Gewerkschaften der USA geworden, deren
Wirkungsbereich weit über die Mauern dieser Stadt reicht.
Der Aufstieg der amerikanischen Gewerkschaften in den letzten 15 Jahren ist nur im
Zusammenhang mit der Konzentrationsbewegung der amerikanischen Industrie zu verstehen.
In sieben Jahren - von 1940 bis 1947 - hat die Großindustrie mehr als 2450 selbstständige
Unternehmungen im Gesamtwerte von 5,2 Milliarden Dollar als Konkurrenz-Unternehmen
aufgesaugt. Die Zahl der amerikanischen Konzerne mit mehr als einer Milliarde Dollar
Gesamtkapital nimmt ständig zu: 1929 waren es zwanzig Gesellschaften, zehn Jahre später –
1939 - war die Zahl auf achtundzwanzig gestiegen, 1945 zählte man vierzig und jetzt
achtundvierzig Gesellschaften. Die Industrie-Herzogtümer beschäftigen zum Teil mehr
Menschen als einige Staaten der Union Einwohner haben.
Viele Amerikaner erblicken in der Zunahme „kollektivistischer" Lebensformen eine Gefahr für die
freie Wirtschaft und für die Freiheit der Menschen schlechthin. Sie verkennen nicht, dass diese
Freiheit in erster Linie von den Mammutgesellschaften bedroht ist, wie aus einem Bericht der
Föderal Trade Commission hervorgeht, dem ich folgenden Absatz entnehme: „Es bedarf keiner
großen Fantasie, um vorauszusehen, dass der Kollektivismus über das freie Unternehmertum
triumphiert und dass die Theorie des freien Wettbewerbs in die Mottenkiste wohl gemeinter,
aber unwirksamer Ideale verbannt wird, wenn nichts geschieht, um das weitere Anwachsen der
monopolistischen Konzerne zu verhindern. Entweder geht Amerika den Weg zum Kollektivismus
bergab, oder es muss aufstehen und für den freien Wettbewerb kämpfen, den Schutz all
dessen, was die freie Wirtschaft verkörpert."
Gewisse monopolistische Tendenzen sind auch bei den Gewerkschaften Amerikas
unverkennbar. Die Gewerkschaften sind Folgewirkung einer wirtschaftlichen Entwicklung, die zu
diesen wirtschaftlichen Machtkomplexen führte. Man wird eines Tages erkennen, dass die
entscheidenden Fragen, die das Zusammenleben in einer menschlichen Gesellschaft
bestimmen, mit Macht allein nicht gelöst werden können. Die Überwindung der antagonistischen
Strömungen in der modernen Industriewirtschaft durch Beseitigung der Klassengegensätze
kann nur erfolgen, wenn die Volksinteressen gegenüber allen Gruppeninteressen den Vorrang
erhalten.
Das geistige Klima, wie es in den Großbetrieben der amerikanischen Autoindustrie in der Zeit
vor dem zweiten Weltkriege herrschte, kann nur der verstehen, der weiß, dass die
General Motors Corporation nach Angabe der Gewerkschaften von 1934 bis zum Juli 1936
nahezu eine Million Dollar - genau 994.855,68 $ - für ihre Privatpolizei ausgegeben hat. Ich habe
mit zahlreichen Arbeitern gesprochen, die den völligen Umschwung bei General Motors und
Ford seit dem ersten Auftreten der Gewerkschaft miterlebt haben. „An dem Fließband
Porträt einer amerikanischen Gewerkschaft
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von Detroit, wo die Menschen vor der Zeit alt werden, werden die Herzen und Gedanken der
Arbeiter nicht mehr länger von Furcht verfolgt. Bevor die Gewerkschaft kam, wurde ein Arbeiter,
wenn er nicht mehr das tödliche Tempo des Fließbandes mithalten konnte, auf den
Schutthaufen geworfen, genau wie irgendein anderer Teil einer ausgedienten Maschine. Den
machtvollen Gesellschaften dienten die technischen Errungenschaften, solange die
ausgleichende Kraft der Gewerkschaften fehlte, lediglich dazu, um aus hunderttausenden von
Menschen mechanische Roboter zu machen." Ich zitiere aus gutem Grund eine amerikanische
Stimme, die die Verhältnisse in der Autoindustrie zutreffend wiedergeben wird.
Was hat den Umschwung nun eigentlich bewirkt?
Die ClO-Gewerkschaften sind seinerzeit nach der Trennung von der AF of L mit dem Ruf
„Erfasst die Unorganisierten!" in den Kampf gezogen. Es galt, die Betriebe der Massenfabrikation gewerkschaftlich zu erschließen. Man setzte in diesem Kampf die modernsten
Propagandamittel ein: Lautsprecherwagen, Radiosendungen, Massenversammlungen. Man
ging von Haus zu Haus und verbreitete die Botschaft mit Millionen von Flugblättern und
Druckschriften. Das war aber noch nicht alles. Die gewerkschaftsfreundliche Gesetzgebung
Roosevelts, insbesondere die National Labor Relations Act von 1935, ein Gesetz, das den
Arbeitern das Recht auf gewerkschaftliche Organisation gewährleistete, hat im Verein mit dem
kämpferischen Geist der Gewerkschaften die Anti-Labor-Betriebe niedergerungen.
1928 waren rund 435.000 Arbeiter in der Automobilindustrie beschäftigt. Nur eine kleine
Minderheit war organisiert. In der Depression ging die Zahl auf nahezu die Hälfte zurück. 1933
zählte man nur noch etwa 244.000 Arbeiter in diesem Industriezweig. Die wöchentliche
Arbeitszeit betrug 33 Stunden und der wöchentliche Durchschnittsarbeitsverdienst 20,10 Dollar,
gegenüber 33 Dollar bei einer 40-stündigen Arbeitswoche im Jahre 1928.
Zu diesem Zeitpunkt wurden die Gewerkschaften durch einen straff organisierten
innerbetrieblichen Spitzeldienst mit schwarzen Listen, Maßregelungen und anderen nur zu gut
bekannten Methoden wütend bekämpft. Der Ausnutzung der menschlichen Arbeitskraft
schienen keine Grenzen gesetzt. Die Produktionsprogramme der Autofirmen wurden
rücksichtslos durchgesetzt.
Durch einige außerordentlich geschickt geführte Streiks gewannen die Arbeiter zunehmend an
Selbstvertrauen. Das entscheidende Jahr für den Aufstieg der UAW-CIO war das Jahr 1937, als
der Streik bei General Motors in Flint (Mich.) und kurz darauf ein Sitz-Streik bei Chrysler
gewonnen wurden.
Ford aber hielt immer noch seine Position.
Infolge innerer Auseinandersetzungen, die sich im Jahre 1939 krisenhaft zuspitzten, war die
UAW-CIO in ihrer Kampfkraft entscheidend geschwächt. Bei diesen Auseinandersetzungen ging
es um den Führungsanspruch innerhalb der Organisation. Zu diesem Zeitpunkt dominierten die
Kommunisten noch in den Spitzen der Gewerkschaft. Eine andere Gruppe innerhalb der
Organisation suchte den Wiederanschluss an die AF of L. Die Autofirmen nutzten die Lage
sofort aus, um eine Gegenoffensive zu eröffnen. General Motors erklärten, sie würden die
Gewerkschaften nicht eher anerkennen, bis sich die Arbeiter selber für sie in einer Wahl
entschieden hätten.
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Gustav Pietsch
Die Wahl konnte erst im Herbst desselben Jahres durchgeführt werden, weil die Autofabriken im
Begriff waren, sich auf das neue Modell umzustellen und deshalb zum größten Teil ihre Tore
geschlossen hatten. Noch aber arbeiteten die Werkzeug- und Werkzeugmaschinenfabriken, die
die Vorrichtungen und Werkzeuge für die neuen Modelle zu liefern hatten.
Darauf gründete Walter P. Reuther seinen Plan. Er forderte einen „strategischen" Streik bei
diesen Firmen, um die Anerkennung seiner Organisation durchzusetzen. Der Streik begann bei
der Fisher Body Plant 23, dem bald weitere bei anderen Firmen folgten.
General
Motors
mussten
notgedrungen
verhandeln,
wenn
nicht
das
ganze
Produktionsprogramm für das neue Modell in Frage gestellt werden sollte. In diesem Kampf
ging es nicht um die Bewilligung einer kleinen Lohnerhöhung, die nur Vorwand für ein größeres
Ziel war, sondern um die Anerkennung der Gewerkschaften als Tarifpartner, um das
Vertretungsrecht der Organisation in der Automobilindustrie schlechthin.
Der Kampf endete mit einem vollen Erfolg der Arbeiter, obwohl die Organisation in ihren
Satzungen keine Streikunterstützung kennt. Zwar wird bei solchen Auseinandersetzungen mit
den Unternehmern Gemeinschaftsverpflegung ausgegeben, wofür in allen Verwaltungsstellen,
so weit ich gesehen habe, moderne Großküchen vorhanden sind. Auch andere
Hilfsmaßnahmen werden durchgeführt.
Im Jahre 1941 wurde vom National Labor Relations Board nach einem kurzen hitzigen Streik bei
Ford die Durchführung einer Wahl angeordnet, in der sich die Fordarbeiter mit überwältigender
Mehrheit für die UAW-CIO als ihre Interessenvertretung entschieden, und zwar mit einem
Stimmenverhältnis von 3:1. Ford hat daraus die Konsequenzen gezogen.
Ein lange währender Kampf, der von beiden Seiten mit aller Heftigkeit geführt worden war, hatte
damit sein Ende gefunden. Ford wurde der erste Großbetrieb in der Automobilindustrie, in dem
nur organisierte Arbeiter beschäftigt werden dürfen. Er bewahrte damit seinen Ruf, in jeder
Beziehung anders zu sein als die anderen.
Es bleibt noch ein Wort zu sagen über den Ausgang der Kämpfe um die Führung innerhalb der
UAW-CIO. Sie erinnern in vieler Hinsicht an die inneren Kämpfe, die die deutschen
Gewerkschaften in der Zeit zwischen 1919 und 1933 gegen die gewerkschaftsfeindliche
kommunistische Opposition zu führen hatten und noch mehr an den Kampf der UGO gegen den
kommunistischen FDGB in Berlin.
Geschichtlich bedeutsam ist der Gewerkschaftskongress in Atlantic City vom Jahre 1946. Auf
diesem Kongress erlitt der kommunistische Flügel in der UAW-CIO seine erste entscheidende
Niederlage. Der opportunistisch eingestellte, zu den Kommunisten neigende damalige
Präsident, R. J. Thomas, wurde nicht wieder gewählt, obwohl starke Kräfte, unter ihnen die
gewichtige Stimme des Präsidenten des CIO, Philip Murray, für seine Wiederwahl eintraten.
An seine Stelle wurde gegen eine starke Minderheit Walter P. Reuther gewählt.
Mit der Persönlichkeit Reuthers, der seither den Präsidentenposten bekleidet,
kam ein neuer Zug in die Gewerkschaft. Vorerst war allerdings ein halber Sieg
gegen
die
antidemokratischen
Kräfte
dieser
Organisation
erstritten.
Es
ist
bemerkenswert,
dass
außer
einigen
wichtigen
Lokalorganisationen
auch
die
Porträt einer amerikanischen Gewerkschaft
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Sozialisten und die Anhänger der Association of Catholic Trade Unionists für ihn stimmten. Die
Wahl erbrachte, abgesehen von der prinzipiellen Bedeutung der Präsidentenwahl, keine positive
demokratische Mehrheit im Executive Board. Das Stimmenverhältnis bei allen entscheidenden
Abstimmungen war 14:8 zu Gunsten der Kommunisten. Diese „mechanische Majorität" wirkte
wie Sand in einem Rädergetriebe, und es ist klar, dass dieser Zustand nicht von langer Dauer
sein konnte.
Der nächste Kongress sollte erst in achtzehn Monaten stattfinden. Diese Zeit wurde von der
demokratischen Richtung ausgenutzt, um mit den Kommunisten gründlich und ein für alle Mal
abzurechnen. Die Aufklärung der Mitglieder wurde planmäßig durchgeführt. Das „Reuther
program of democratic unionism" fand nicht nur ungeteilten Widerhall bei den antikommunistisch eingestellten Mitgliedern, sondern wurde auch Grundlage für einen bis ins kleinste
vorbereiteten Propagandafeldzug größten Stils. Die Wirkungen sollten nicht ausbleiben. Eine
Flut kommunistischer Verleumdungen ergoss sich über die geistigen Träger dieser Bewegung.
Die amerikanischen Kommunisten unterscheiden sich in nichts von den deutschen. Wenn das
Mittel der Überredung versagt, kommt die persönliche Verunglimpfung, die Diffamierung, die
Gewaltanwendung, die Lüge in jeder Gestalt, worin sie unübertreffliche Meister sind. Noch
während der Abstimmung auf dem Novemberkongress der UAW-CIO 1947 versuchten sie,
einige schwankende Delegierte durch Gewaltmaßnahmen umzustimmen, was ihnen im
Einzelfall auch gelang. Das Endergebnis, d. h. den Ausgang dieses Kampfes, konnten sie aber
nicht mehr beeinflussen. Sie erlitten diesmal eine vernichtende Niederlage. Walter P. Reuther
wurde als Präsident mit großer Mehrheit wieder gewählt. Zu seinen engsten Mitarbeitern im
Vorstand gehören nunmehr durchweg Persönlichkeiten, die in diesem Selbstreinigungsprozess
und Schicksalskampf der Organisation eine hervorragende Rolle gespielt haben und zu den
zuverlässigsten Stützen des neuen Kurses gehören.
Aus einer Entschließung der Executive Board vom März 1948 entnehme ich folgende Punkte,
die charakteristisch für den neuen Kurs der Gewerkschaft sind:
1.
„Die Gewerkschaft heißt in ihren Reihen Arbeiter, Angestellte, Farmer und kleine Geschäftsleute,
Beamte sowie jede Person und jede Gruppe willkommen, die aufrichtig nach wirtschaftlicher
Sicherheit und einem hohen Lebensstandard strebt, ohne die fundamentalen Freiheiten
preiszugeben.
2.
Sie will nicht als Vorspann für irgendeine politische Partei dienen und gegen alle Formen des
Totalitarismus kämpfen, handele es sich nun um die kommunistische oder faschistische Spielart.
3.
Sie setzt sich für Fairplay und die gleiche Behandlung aller Gruppen und Personen ein und kämpft
gegen alle Formen der Diskriminierung sowie für die vollen Bürgerrechte aller Menschen auf der
Welt.
4.
Sie stellt die Menschenrechte über die Besitzrechte und tritt für ein Programm der Vollbeschäftigung
auf demokratischer Grundlage in jedem Bereich unseres wirtschaftlichen Lebens ein, wo die
Allgemeininteressen auf dem Spiele stehen.
5.
Sie ist eine Volksbewegung, die von unten herauf wächst,, alle Mitglieder zu einem Höchstmaß von
Aktivität anspornt, wobei die entscheidenden Vollmachten bei den Mitgliedern selbst liegen."
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