Arbeitskampf vorm Kadi - Max-Planck

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WISSEN AUS ERSTER HAND
Nach monatelangen
Verhandlungen zwi-
ARBEITSRECHT
Arbeitskampf vorm Kadi
Mitte November legten
die Lokführer drei Tage
lang den Güterverkehr
lahm – unter anderem auf
Europas größtem Rangierbahnhof in Maschen.
schen der Deutschen Bahn AG
und der Gewerkschaft der
Lokführer steht endlich eine
Einigung in Aussicht. Der
Daraus resultiert eine zentrale Rolle von Gerichten und Anwälten für
den politischen Prozess. In dieser
Konstellation wird es schwierig, verbindliche Entscheidungen zu treffen
oder Konflikte zumindest vorübergehend zu befrieden, weil Interessengruppen immer wieder einen Anreiz
haben, die Arena zu wechseln – vom
politischen System ins Rechtssystem
und zurück –, um vielleicht doch
noch ein attraktiveres Ergebnis zu
bekommen. Politische Auseinandersetzungen können dadurch jahrelang
scheinbar ohne Lösungsmöglichkeit
auf der Stelle treten.
vorangegangene Konflikt
belegt, dass Tarifstreitigkeiten
auch in Deutschland immer
aggressiver und nach amerikanischem Vorbild auch
vor Arbeitsgerichten geführt
werden. Dieser Stil könnte
ungemütliche Folgen für die
ganze Gesellschaft haben,
wie BRITTA REHDER vom
MAX-PLANCK-INSTITUT
ZEHN JAHRE STREIT,
KLAGEN UND STREIK
FÜR
GESELLSCHAFTSFORSCHUNG
in einer Analyse feststellt.
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ORSCHUNG
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Gerichten ausgetragen werden, ist ein
Phänomen, das wir aus den USA gut
kennen. Dort hat es sogar einen eigenen Namen: adversarial legalism.
Politikwissenschaftler aus verschiedenen europäischen Ländern beschäftigen sich derzeit mit der Frage, in
welchem Umfang dieser justizialisierte Stil der Konfliktaustragung in
Europa Einzug hält und wie diese
Entwicklung zu erklären ist. Auch
DPA
henten Manfred Schell und Hartmut Mehdorn gar als „Nervensägen
des Jahres“. Diese Interpretation
unterschätzt jedoch die Bedeutung
des Konflikts. Er ist keine skurrile
Ausnahmeerscheinung, sondern signalisiert einen Trend in den deutschen Arbeitsbeziehungen, der vor
allem strukturelle Ursachen hat.
Dass politische Konflikte ganz
überwiegend feindselig und vor den
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aum ein anderer innenpolitischer Konflikt des Jahres
2007 hat die Gemüter so stark erhitzt wie die Tarifauseinandersetzung zwischen der Deutschen Bahn
AG und der Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL). Bemerkenswert an der tariflichen Auseinandersetzung war erstens die Feindseligkeit, mit der sich zwei Parteien,
die eigentlich miteinander verhandeln sollen, gegenüber stehen; bemerkenswert war aber auch das
hohe Maß an gerichtlicher Intervention. In der Öffentlichkeit wurde der Streit häufig auf ein Duell
der Dickköpfe reduziert, auf persönliche Animositäten zwischen
zwei eitlen Männern kurz vor ihrer
Pensionierung. Die FRANKFURTER
RUNDSCHAU bezeichnete die Kontra-
- P ICTURE A LLIANCE
K
am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung arbeiten wir zu diesem Thema. Einige Forschungsergebnisse sollen im Folgenden präsentiert
werden.
Der Begriff adversarial legalism bezeichnet in der Politikwissenschaft
einen spezifischen Politik- und Konfliktlösungsstil. Sein wichtigstes Kennzeichen ist, dass das Rechtssystem
systematisch als zweiter Kanal der In-
teressenvermittlung genutzt wird. Organisierte oder nicht organisierte gesellschaftliche Gruppen versuchen
dabei, ihre Belange nicht nur auf dem
politischen Weg durchzusetzen, indem sie zum Beispiel Lobbyarbeit
betreiben, parlamentarische Gesetzgebungsprozesse beeinflussen oder
direkt mit dem Staat verhandeln.
Vielmehr werden ergänzend oder alternativ die Gerichte angerufen.
Beim Tarifkonflikt der Deutschen
Bahn AG haben wir das genau so erlebt. Der Vorstand und die verschiedenen Gewerkschaften streiten seit
annähernd zehn Jahren um einen eigenständigen Tarifvertrag für die Lokführer. Und dabei waren die Gerichte
kontinuierlich involviert. Die GDL hat
die Tarifpolitik der größeren Eisenbahnergewerkschaft Transnet jahrelang hart kritisiert und wollte eigenständig verhandeln. Im Jahr 2004 hat
sie dann erstmalig für dieses Ziel gestreikt. Die Arbeitgeberseite und
Transnet haben versucht, dies gerichtlich zu verhindern. Die GDL hat daraufhin vor den Arbeitsgerichten für
ihre Anerkennung als tariffähige Gewerkschaft gekämpft und war damit
auch erfolgreich.
Trotzdem kamen keine positiven
Verhandlungen zustande. DB-Vorstand und Transnet zielten darauf ab,
die GDL politisch zu isolieren. Letztere
hat wiederum diverse der ohne ihre
Beteiligung abgeschlossenen Tarifverträge beklagt. Im Sommer 2007 klagte
nun die Arbeitgeberseite gegen ein
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Früher haben die Tarifparteien ihre Konflikte in nächtelangen Verhandlungen
beigelegt, heute treffen sie sich auch immer häufiger im Gerichtssaal.
tiz hineinverlagert (legalism), weil dies
für mindestens einen der beiden Kontrahenten attraktiver war, als eine politische Lösung anzustreben.
In den USA, wo das Phänomen
der justizialisierten Interessenvermittlung schon sehr lange existiert,
diskutieren Politikwissenschaftler seit
einigen Jahren viel über seine Ursachen. Die zentrale Erklärung lautet, dass adversarial legalism dort
entsteht, wo es die Strukturen des
politischen Systems erschweren, Interessen und verbindliche Normen
erfolgreich durchzusetzen und wo
das Rechtssystem einen alternativen
und attraktiven Kanal anbietet.
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dern ist der Federal Supreme Court,
also der oberste Gerichtshof der USA,
der einzige Akteur auf nationaler
Ebene, der eine Regelung treffen
kann, die für das gesamte Land verbindlich ist. Dies macht ihn als Adressaten für Interessengruppen so interessant.
Ein übersteigerter Pluralismus bei
Parteien und Interessengruppen erschwert es zudem, Interessen auf politischem Weg durchzusetzen. In den
USA spielen Parteien jenseits des
Wahlkampfes keine große Rolle; sie
weisen eher lockere Organisationsstrukturen sowie eine geringe Parteidisziplin auf. Dadurch ist die ideolo-
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Gruppen von Individuen, als Kollektiv zu klagen. Letzteres ist beispielsweise beim Thema Verbraucherschutz
von Nutzen. Ein weiterer Vorteil: Das
Risiko zu verlieren verteilt sich auf
mehrere Personen. Ein Arbeitnehmer
wird vor einem Prozess gegen seinen
Arbeitgeber zurückschrecken, wenn
er allein vor Gericht ziehen muss. Er
wird eher dann klagen, wenn er mit
Unterstützung seiner Gewerkschaft
oder im Kollektiv mit anderen Beschäftigten auftreten kann.
Und nicht zuletzt gibt es eine Gruppe von Akteuren, die ein sehr individuelles Interesse an den Gerichtsverfahren haben: die Anwälte. Wegen
des sehr lukrativen und erfolgsab-
gische Ausdifferenzierung recht groß
und die Parteispitze hat es schwer,
den Prozess der Politikformulierung
zu steuern. Das Gleiche gilt für das
System der Interessengruppen. Es
existiert eine Unzahl kleinster und
konkurrierender Verbände und kein
Korporatismus. Der Hyper-Pluralismus führt dazu, dass es keinen institutionalisierten Ort für die Vermittlung gesellschaftlicher Interessen
gibt. Irgendeine kleine Gruppe ist
immer unzufrieden und kann dann
versuchen, sich vor dem Gericht
durchzusetzen. Sie muss dabei nicht
mehrheits- oder konfliktfähig sein,
sie muss nur recht bekommen.
WENN GERICHTE
NEUES RECHT SCHAFFEN
Die Mängel des politischen Systems
lassen sich aber nur dort auf dem
Rechtsweg umgehen, wo das Rechtssystem eine attraktive Alternative
anbietet, politische Interessen durchzusetzen. Auch hier sind die USA
sozusagen mustergültig. Das amerikanische Rechtssystem ist ein Common-law-System, in dem die Gerichte
nicht nur Recht anwenden, sondern
durch ihre Urteile selbst neues Recht
schaffen. Die Gerichte sind faktisch
ein Zweig der Regierung, und aus diesem Grund wird das Richteramt als
ein politisches Amt betrachtet. Selbst
die Richter der unteren Instanzen
werden gewählt, die parteipolitische
Orientierung der Kandidaten ist im
Regelfall transparent.
Doch nicht nur die Macht der
Gerichte macht es attraktiver, interessenpolitisch den Rechtsweg zu
beschreiten. Viele Verfahrensregeln
ermuntern die Bürger sogar, vor Gericht zu gehen. Dazu zählt die Due
Process Clause in der amerikanischen
Verfassung. Sie garantiert, dass kein
Bürger seiner Freiheit, seines Lebens
und seines Eigentums beraubt werden darf, ohne dass ihm ein fairer
Prozess gemacht wurde. Diese Regel
hat im Verlauf der amerikanischen
Geschichte als Basis für Millionen
von Klagen gedient.
Zudem erlaubt die Sammelklage
organisierten Interessengruppen oder
tischen Entscheidungssystems und
mit einem zunehmenden Pluralismus zu tun. Generell gilt, dass der
Staat, genauer die Regierung, nicht
als zentraler nationaler Akteur in
der Tarifpolitik agiert, und zwar
aufgrund der verfassungsrechtlich
garantierten Tarifautonomie der
Verbände.
HOMOGENES LOHNNIVEAU –
WENIG KONFLIKTE
Dem aufmerksamen Beobachter und
leidgeprüften Fahrgast wurde dies jeden Abend in der Tagesschau vorgeführt – dort antwortete Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee auf die
Frage, wann denn die Regierung end-
chentarif gibt es nicht, stattdessen
existieren verschiedene Haustarifverträge nebeneinander.
In diesem Zusammenhang haben
die Pluralisierung der Gewerkschaftsszene und die Konkurrenz
zwischen Transnet und GDL stark
an Bedeutung gewonnen. Dies ist
auch in anderen Unternehmen der
Branche so, wie die Beispiele der
AKN Eisenbahn AG in SchleswigHolstein und der öffentliche Nahverkehr zeigen, wo die LokführerGewerkschaft mit ihrer aggressiven
Politik zahlreiche Straßenbahn- und
Busfahrer von der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di abgeworben hat.
Vor dem Hintergrund dieser Ent-
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Worin liegen die Defizite der amerikanischen Politik? Wir Europäer
nehmen die US-Regierung außenpolitisch als sehr handlungsfähig wahr,
und der amerikanische Präsident gilt
gemeinhin als der mächtigste Mann
der Welt. Innenpolitisch stellt sich die
Lage jedoch anders dar. Die Entscheidungsstrukturen des politischen Systems der USA sind stark fragmentiert
und dezentralisiert. Die Zuständigkeiten sind horizontal und vertikal geteilt, zwischen den verschiedenen Regierungsorganen sowie zwischen dem
Bund und den Einzelstaaten. Diese
Struktur produziert Verhandlungszwänge und einen hohen Koordinationsbedarf. Und in vielen Politikfel-
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Streikrecht der Gewerkschaft, allerdings erfolglos. Zudem fanden zahlreiche Kleinstklagen um Verfahrensfragen statt: Ob der Anwalt der GDL
sein Faxgerät ununterbrochen empfangsbereit halten muss, damit Mitteilungen fristgerecht zugestellt werden
können; oder in welchem Umfang
GDL-Mitglieder im Streikfall zu Notdiensten herangezogen werden dürfen. Der Konflikt wurde im Zeitverlauf
zunehmend antagonistisch (adversarial), da keine Situation entstand, in
der die Parteien wirklich dazu gezwungen waren, miteinander zu verhandeln, weil es keine Handlungsalternativen mehr gab. Zudem wurde
der Konflikt immer stärker in die Jus-
hängigen Honorarsystems lohnt es
sich für die Kanzleien, Auseinandersetzungen aktiv in das Rechtssystem hineinzuziehen und aggressive
Prozesstechniken zu praktizieren, um
zu gewinnen. Die Anwälte werden
auch als Grund dafür gesehen, warum diese Strategie nach Europa
schwappt. Multinationale Anwaltskanzleien amerikanischer Herkunft
etablieren zunehmend Niederlassungen in Europa und bringen ihre
heimatlichen Prozesstaktiken mit.
Was finden wir von diesen Merkmalen beim Konflikt in der Deutschen Bahn AG wieder? Eine ganze
Menge. Ähnlich wie im politischen
System der USA haben wir es mit
einer Fragmentierung des tarifpoli-
„Nervensägen des Jahres“ nannte die FRANKFURTER RUNDSCHAU Hartmut Mehdorn und Manfred Schell.
Dieser bereitet sich mit Rechtsanwalt Ulrich Fischer auf eine Gerichtsverhandlung vor (rechts).
lich mit der Faust auf den Tisch haue,
nämlich fast gebetsmühlenartig, dass
sie nichts machen könne.
Deutschland verzeichnete im Rahmen von Flächentarifverträgen trotzdem lange ein erstaunlich homogenes
Lohniveau und gleichzeitig wenig
Konflikte, weil die Verbände sowohl
untereinander als auch jeweils in
ihren eigenen Reihen steuernd und
koordinierend gewirkt haben. Doch
diese Zeit geht rapide zu Ende. Die
Deutsche Bahn AG liefert dafür ein
besonders ausgeprägtes Beispiel.
Nach der Liberalisierung des Schienenverkehrs wurde die Lohnfindung
faktisch dezentralisiert. Einen Flä-
wicklung werden die Arbeitsgerichte
zu zentralen Akteuren verbindlicher
Normsetzung.
Auch im Rechtssystem gibt es Parallelen zu den USA, denn das deutsche kollektive Arbeitsrecht ähnelt
dem amerikanischen common law.
Der Korpus gesetzlicher Normen ist
klein und die Bedeutung des Richterrechts groß. Gerade in den Bereichen,
in denen bei der Deutschen Bahn AG
gestritten wird – nämlich in der Anerkennung eines Arbeitnehmerverbands als Gewerkschaft sowie beim
Arbeitskampfrecht –, gibt es kaum
Gesetze: Diese Bereiche werden fast
ausschließlich durch die Rechtspre-
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die Welt des Arbeitsrechts immer
komplexer und für einen gewerkschaftlichen Syndikus kaum mehr zu
überblicken ist.
Obwohl viele Kanzleien inzwischen
auch offensive Marktstrategien verfolgen, hätte man bis zum Lokführer-Streik geglaubt, dass die aggressiven Anwälte amerikanischer Art im
deutschen System fehlen. Erfolgsabhängige Honorare sind verboten, und
selbst wenn es sie gäbe, würde ein
Anwalt, der viel Geld verdienen will,
niemals Arbeitsrechtler werden. Dennoch konnten wir auch beim BahnKonflikt die prozessprägende und
aggressive Rolle der Anwälte erleben. Dies gilt insbesondere für den
adversarial legalism zu den Kerninstrumenten. In dem Maß, wie deutsche Gewerkschaften von ihren amerikanischen Kollegen lernen, wird
die gerichtliche Interessendurchsetzung also auch in Deutschland an
Bedeutung gewinnen. Dies kann man
bereits beobachten. So hat die IG
Metall eine Massenklage gegen die
sogenannte Zwangsverrentung mit
Rentenabschlägen von Hartz-IVEmpfängern angedroht. Dies dürfte
nicht unwesentlich dazu beigetragen
haben, dass die Bundesregierung das
Vorhaben wieder zurückzog.
aggressiv mit formalen Rechtstechniken gearbeitet, sodass sich die
Debatte weg von den inhaltlichen
Streitfragen hin zu Fragen des strategischen Umgangs mit Formalia
verlagerte. Letztlich entscheidet dann
der rechtstechnisch gewieftere Anwalt über das politische Ergebnis.
Nun habe ich eingangs behauptet,
dass wir es bei dem Konflikt in der
Deutschen Bahn AG nicht mit einer
skurrilen Ausnahmeerscheinung zu
tun haben, sondern mit einem sich
abzeichnenden Trend. Drei Gründe
sprechen dafür, dass hier kein Einzelfall vorliegt. Erstens verlieren die
Verbände in der tarifpolitischen Arena immer mehr Einfluss. Das wich-
VERDECKTE POLITISCHE
ENTSCHEIDUNGEN
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Drittens weist dieses Beispiel bereits
auf ähnliche Dynamiken in benachbarten Politikfeldern hin. So kann
man im Gefolge der Hartz-IV-Gesetzgebung eine immer stärker anschwellende Klagewelle bei den Sozialgerichten beobachten, die darauf basiert,
dass zahlreiche unzufriedene sozialdemokratische und gewerkschaftliche
Ortsverbände – und in Ostdeutschland
Über Anzeigen in Tageszeitungen versucht die Deutsche Bahn AG die GDL zum Einlenken zu bewegen.
Bereits im August hatte Manfred Schell eigenhändig Stimmzettel der Urabstimmung zusammengetragen.
klagerecht sogar noch ausgeweitet
worden, nicht nur im Tarifrecht, sondern auch in anderen Rechtsbereichen.
Und was ist mit den Anwälten? Im
deutschen Arbeitsrecht hat sich ein
Markt für Fachanwälte entwickelt,
die sich vorrangig als unabhängige
und freie Unternehmer sehen. Das
kommt daher, dass die Zahl der nicht
gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer stark gestiegen ist, die im
Konfliktfall auf kommerzielle Anbieter von Rechtsdienstleistungen zurückgreifen. Außerdem engagieren
auch die Gewerkschaften selbst immer häufiger externe Juristen, weil
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Anwalt der GDL, der zwar nicht einer multinationalen Kanzlei angehört, aber eine kleine Kanzlei in
Frankfurt betreibt, die die amerikanischen Taktiken perfekt beherrscht.
IMMER
NEUE AKTEURE
AUF DER BÜHNE
Allein das Verfahren vor dem Arbeitsgericht in Chemnitz hat zwölf
Stunden gedauert, weil der Anwalt
das Gericht mit stundenlangen Plädoyers, der Unterstellung einer Befangenheit des Berufsrichters und
dem Reklamieren kleinster Versäumnisse als Verfahrensfehler angriff.
Von beiden Seiten wurde hier sehr
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tigste Steuerungsinstrument, der Flächentarif, erodiert und gleichzeitig
gibt es immer mehr Akteure, insbesondere auf Gewerkschaftsseite. Die
GDL ist nicht die erste Berufsgewerkschaft, die auf eigene Rechnung
agiert – auch Piloten, Ärzte und
Fluglotsen sind in eigenen Gewerkschaften organisiert –, und sie wird
vermutlich auch nicht die letzte sein.
Zweitens führen die Gewerkschaften eine lebhafte Debatte, wie
die Arbeitnehmerbewegung zu revitalisieren sei und wie Gewerkschaften
wieder mobilisierungs- und konfliktfähiger werden können. Dabei orientieren sie sich strategisch an den
Vorbildern der amerikanischen Gewerkschaften. Und für diese gehört
wohl auch die NPD – Rechtsberatungen für Hartz-IV-Empfänger anbieten.
Der Korporatismus, also die Beteiligung verschiedener gesellschaftlicher Gruppen an politischen Entscheidungen, und die Selbstregelung
der Verbände sind hierzulande in den
vergangenen Jahren hart kritisiert
worden, auch und vor allem in Bezug auf die Tarifparteien. Doch die
Debatte über adversarial legalism
in den USA und Europa hat gezeigt:
Die korporatistische Interessenvermittlung einzuschränken hat Folgen,
die demokratietheoretisch ebenfalls
problematisch sind. In den USA wird
die politische Entscheidungsfindung
durch Gerichte als gegeben hingenommen. Richter sind politische
Akteure und durch Wahlen demokratisch legitimiert. Gerichtliche Entscheidungsprozesse verlaufen relativ
transparent und sind sehr gut öffentlich dokumentiert.
In Deutschland hingegen laufen
politische Konflikte im Zuge ihrer
Verlagerung in die Justiz ins Unge-
wisse: Dass Gerichte hier immer noch
Gesetze lediglich implementieren, indem sie diese auslegen, ist ein Irrglaube. Auch hier treffen Gerichte
politische Entscheidungen, aber die
politischen Interessen dahinter sind
nicht offenkundig. Die Vergabe von
Richterposten ist weitgehend intransparent und seit Jahrzehnten der
Kritik ausgesetzt. Richterliche Entscheidungen werden geheim und
außerhalb jeder parlamentarischen
Kontrolle getroffen. Ob dieser Politik- und Konfliktlösungsmodus demokratieverträglicher ist als der Korporatismus, ist fraglich.
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chung geregelt. Die Arbeitsgerichte
rücken dadurch ins Zentrum der Interessenvermittlung.
Auch die prozessrechtlichen Instrumente zeigen einige Parallelen zu
den USA. Zwar existiert in Deutschland die Möglichkeit der Sammelklage nicht – und die meisten politischen Parteien lehnen diese Option
auch aus Angst vor „amerikanischen
Verhältnissen“ ab. Dennoch kennt
auch das deutsche Recht kollektiv
handelnde Subjekte. Dies gilt insbesondere im Arbeitsrecht, weshalb das
Rechtssystem von organisierten Interessen strategisch genutzt werden
kann. Die kollektiven Klagerechte
sind durch das sogenannte Verbands-
DR. BRITTA REHDER, 37, promovierte an der Humboldt-Universität zu Berlin über den
Einfluss der Internationalisierung auf das deutsche System
industrieller Beziehungen,
nachdem sie an der Universität Hamburg Politikwissenschaft und Pädagogik studiert
hatte. Seit 2002 arbeitet sie als wissenschaftliche
Mitarbeiterin am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln und hat sich dort auf
den Wandel der Arbeitsbeziehungen spezialisiert.
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