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IP/04/705
Brüssel, den 2. Juni 2004
Endgültige Entscheidung im Fall Clearstream
In ihrer heutigen Entscheidung im Fall Clearstream stellt die Kommission
fest, dass die Clearstream Banking AG und ihre Muttergesellschaft
Clearstream International SA (“Clearstream”) durch ihre Weigerung, für die
Euroclear Bank SA (“Euroclear Bank”) bestimmte grenzübergreifende
Clearing- und Abrechnungsleistungen zu erbringen und durch ihre preisliche
Diskriminierung dieses Kunden gegen die Wettbewerbsregeln verstoßen
haben.
Dazu Wettbewerbskommissar Mario Monti: „Die heutige Entscheidung macht
deutlich, dass die Wettbewerbsregeln auch für die Finanzbranche gelten. Ich bin
davon überzeugt, dass ein wirklich fairer Wettbewerb die Leistungsfähigkeit der
europäischen Finanzmärkte erhöhen wird. Ein reibungsloser grenzübergreifender
Wertpapierhandel setzt eine funktionierende Zusammenarbeit bei Clearing und
Abrechnung voraus, die zur Schaffung eines wachstumsfördernden, integrierten
Kapitalmarkts beitragen wird.”
“Wir wissen, dass Regulierungsbehörden, Banken und Wertpapierverwahrer derzeit
intensiv über die künftige Regulierung von Clearing und Abrechnung von
Wertpapiertransaktionen und über konkurrierende Geschäftsmodelle diskutieren.
Die heutige Entscheidung begünstigt keines dieser Modelle, sie ist weder gegen das
Geschäftsmodell der Deutschen Börse noch gegen ein anderes gerichtet. Die
Kommission wacht lediglich darüber, dass alle wichtigen Dienstleistungsanbieter im
Bereich Wertpapierhandel, Clearing und Abrechnung die Wettbewerbsregeln
einhalten,” fuhr der Kommissar fort.
Den Nachforschungen der Kommission zufolge liegen zwei Arten von Missbrauch
vor, nämlich Leistungsverweigerung und preisliche Diskriminierung.
Leistungsverweigerung. Clearstream weigerte sich, für Geschäfte mit nach
deutschem Recht emittierten Namensaktien1 für die Euroclear Bank Clearing- und
Abrechnungsleistungen zu erbringen. Auch wenn das Wettbewerbsrecht
Unternehmen das Recht auf freie Wahl ihrer Handelspartner zuerkennt, tragen
Unternehmen mit beherrschender Stellung doch eine besondere Verantwortung.
Das Verhalten von Clearstream wurde in diesem Fall aus folgenden Gründen als
Leistungsverweigerung eingestuft:

Die Clearstream Banking AG ist der einzige Endverwahrer von
girosammelverwahrten deutschen Wertpapieren, der einzigen Form der
Verwahrung, die heutzutage für gehandelte Wertpapiere von Bedeutung ist. Da
Neuzugänge auf diesem Markt in absehbarer Zukunft unwahrscheinlich sind,
führt an der Clearstream Banking AG als Handelspartner kein Weg vorbei;
1
Die international auf breitester Basis gehandelten deutschen Aktien (Spitzenwerte wie
Daimler Chrysler, Siemens, Allianz, Deutsche Post, Deutsche Telekom, Deutsche Bank,
Lufthansa und andere ) sind Namens- und keine Inhaberaktien.


Die Euroclear Bank konnte die Leistungen nicht durch andere ersetzen, und
Das Verhalten von Clearstream schränkte die Fähigkeit der Euroclear Bank
ein, für ihre Kunden auf dem Binnenmarkt effiziente Clearing- und
Abrechnungsleistungen zu erbringen.
Im November 2001 – d.h. mehr als zwei Jahre nach ihrer ersten Anfrage - erhielt die
Euroclear Bank schließlich die von der Clearstream Banking AG gewünschten
Dienstleistungen. Während dieser Zeit verweigerte die Clearstream Banking AG der
Euroclear Bank Clearing- und Abrechnungsdienstleistungen für Namensaktien.
Diese Verzögerung steht im Gegensatz zum sonstigen Verhalten der Clearstream,
die vergleichbaren Kunden die genannten Clearing- und Abrechnungsleistungen
normalerweise innerhalb von vier Monaten zur Verfügung stellt.
Preisliche Diskriminierung. Zwischen Januar 1997 und Januar 2002 stellte
Clearstream Euroclear Bank für vergleichbare Clearing- und Abrechnungsleistungen
höhere Transaktionsentgelte in Rechnung als für vergleichbare Dienstleistungen an
andere ausländische Wertpapierverwahrer. Die Kommission hat den Umfang der
Dienstleistungen und die bei der Erbringung anfallenden Kosten eingehend
untersucht. Dabei gelangte sie zu dem Schluss, dass Preisunterschiede nicht
gerechtfertigt sind.
Einstellung der Zuwiderhandlungen
Auch wenn die Zuwiderhandlungen inzwischen abgestellt sind, will die Kommission
mit ihrer heutigen Entscheidung die Rechtslage klären. In Anbetracht des
zunehmenden grenzübergreifenden Wertpapierhandels in der EU dürfte die
Entscheidung Clearstream und anderen im Bereich Clearing und Abrechnung
tätigen Unternehmen die notwendige Klarheit verschaffen.
Die Kommission hat beschlossen, von der Verhängung einer Geldstrafe abzusehen.
Für diese Entscheidung ausschlaggebend war u.a. die Tatsache, dass sie bei ihrer
wettbewerbsrechtlichen Analyse von Clearing und Abrechnung nicht auf frühere
Fälle und damit die Sammlung der Rechtssprechung zurückgreifen konnte. Darüber
hinaus wird das Thema Clearing und Abrechnung seit geraumer Zeit von
verschiedenen Gremien erörtert, um die Rolle der einzelnen Akteure genauer zu
bestimmen.
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Hintergrund
Clearing und Abrechnung sind notwendig, um ein Wertpapiergeschäft zum
Abschluss zu bringen.
Als Clearing wird die Feststellung der vertraglichen Verpflichtungen von Käufer und
Verkäufer bezeichnet.
Abrechnung ist die Übertragung von Wertpapieren vom Verkäufer auf den Käufer
und die Übertragung von Mitteln vom Käufer auf den Verkäufer.
Ausgangspunkt für die heutige Entscheidung war eine Untersuchung der
Kommission, bei der geprüft werden sollte, ob das EU-Wettbewerbsrecht –
insbesondere in puncto Marktzugang und Preisgestaltung - bei Clearing und
Abrechnung ordnungsgemäß angewandt wird.
Die Clearstream Banking AG ist die einzige Wertpapiersammelbank
(Zentralverwahrstelle2) Deutschlands. Nach Auffassung der Kommission hielt
Clearstream zwischen 1997 und 2001 bei der Erbringung grenzübergreifender
Clearing- und Abrechnungsleistungen für Zwischenverwahrer aus anderen
Mitgliedstaaten eine beherrschende Stellung. Aus diesem Grund konzentrierte sich
die Untersuchung auf einen bestimmten grenzübergreifenden Markt, auf den auch
die Entscheidung beschränkt bleibt.
Hinweis für Redakteure
1. Die Europäische Kommission setzt die EU-Wettbewerbsregeln zu restriktiven
Geschäftspraktiken und zum Missbrauch einer beherrschenden Stellung durch,
wenn diese den grenzübergreifenden Handel innerhalb der Europäischen
Union und den Wettbewerb beeinträchtigen.
2. Die Kommission ist befugt, Unternehmen zur Änderung ihres Verhaltens zu
zwingen und bei einem Verstoß gegen das Kartellrecht Geldstrafen in Höhe
von maximal 10 % des weltweiten Jahresumsatzes dieser Unternehmen zu
verhängen.
3. Gegen Entscheidungen der Kommission kann beim Gerichtshof Erster Instanz
in Luxemburg Berufung eingelegt werden.
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Deren Aufgabe besteht darin, Wertpapiere zu verwahren und die buchmäßige
Abwicklung von Wertpapiergeschäften zu ermöglichen. Zentralverwahrer erbringen in
ihrem Land für die von ihnen endverwahrten Wertpapiere Abwicklungsdienste. Bei einer
grenzübergreifenden Abwicklung können sie diese Dienste auch als Zwischenverwahrer
von Wertpapieren erbringen, die zunächst in einem anderen Land in Verwahrung
gegeben wurden.
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