Begleitmaterial zur Weiterbildungsreihe für Bibliothekare, Seminar „Die Bedeutung und Rolle der Bibliotheken in der modernen Gesellschaft“ 28.-29.03. 2003 Goethe-Institut Riga Kleine Hausapotheke des Lobbying für Bibliothekare Autorin: Barbara Lison Quelle: Lobbyarbeit für Bibliotheken : politisch denken - strategisch handeln / Ehemaliges Deutsches Bibliotheksinstitut. Hrsg. von Ulla Wimmer. - Berlin : EDBI, 2000 (Dbi-Materialien ; 196) ISBN 3-87068-996-X Einleitung Erich Kästner verfasste seine "Lyrische Hausapotheke"1 als "Therapie des Privatlebens". Wie Kästner darin ausführt, gebe es zwar viele Hausmittelchen für die Behandlung körperlicher Gebrechen, an einer "Pharmazie der Seele" mangele es jedoch weiterhin. Kästners Hausapotheke will dem abhelfen. Ein fast genauso großes und wichtiges Manko soll die vorliegende Publikation beheben, zu der ich mein Scherflein beitragen soll und die sich einem bisher eher vernachlässigten Bereich des Bibliothekarslebens widmet: Dem Bibliothekslobbying! Mir ist durchaus bekannt, dass es inzwischen diverse Ratgeber für das erfolgreiche Bibliotheksmanagement gibt. Aber diese enthalten keine einschlägige, um mit Erich Kästner zu sprechen, "nutzbringende Gebrauchsanweisung" für die "Therapierung" des öffentlichen Agierens und Agitierens des bibliothekarischen Berufsstandes auf dem Felde der Interessenvertretung. Die Zusammensetzung meiner Lobby-Hausapotheke basiert im Wesentlichen auf den fundierten Ausführungen eines leibhaftigen Doktors der Staatswissenschaften der Universität St. Gallen. 2 Sie sind also zu verstehen als: "Man nehme nach Buholzer".3 René Paul Buholzer hat sich dem Thema "Lobbying" genähert aus der Perspektive von Interessengruppen, die in Luxemburg, Brüssel oder Straßburg versuchen, Einfluss auf die EuropaPolitik und Europa-Gesetzgebung zu nehmen. Wenn wir das oft sehr erfolgreiche Vorgehen dieser Lobbyisten - schließlich zeugen mitunter auch merkwürdige EU-Gesetze von deren Durchsetzungskraft - genauer betrachten und auf unser Metier anzuwenden versuchen, dann ergibt sich vielleicht wirklich eine gute Rezeptur für ein erfolgreiches Bibliothekslobbying. Also, "man nehme" 1.: Eine Lobby-Strategie mit klaren Zielen Wir haben uns entschlossen, auf die Entscheidungen von Politik und Verwaltung zugunsten unserer Bibliothek stärker Einfluss zu nehmen. Dann ist natürlich die erste Voraussetzung, dass alle dafür relevanten harten Fakten, Daten und Informationen aufgearbeitet werden. "Aufgearbeitet" kann in diesem Falle nicht heißen, dass die Zahlen aus der Deutschen Bibliotheksstatistik hintereinanderweg aufgereiht werden. Sondern: "aufgearbeitet" heißt in diesem Fall, dass zum einen die Leistungsdaten der Bibliothek durch allgemeinverständliche Indikatoren ausgedrückt präsentiert werden, dass zum anderen möglichst konkrete Angaben über die Ziele der Bibliothek und die daraus resultierenden Wirkungen auf das Umfeld dargestellt sind. Sie sind die Grundlage für die Entwicklung der LobbyStrategie, die quasi als "Credo" der Bibliothek als Basis des Agierens, Propagierens und Agitierens entworfen werden muss. Also, "man nehme" 2.: Die Übereinstimmung der Lobby-Strategie mit den Management-Entscheidungen Natürlich macht diese Lobby-Strategie nur dann einen Sinn, wenn sie mit der "Realpolitik" der Bibliothek im Einklang steht. Die beste Lobby-Strategie verliert ihre Überzeugungskraft, wenn sie aus dem Rahmen fällt und eher aus dem Reich der Fantasie als aus dem wirklichen Leben geboren zu sein scheint. Begleitmaterial zur Weiterbildungsreihe für Bibliothekare, Seminar „Die Bedeutung und Rolle der Bibliotheken in der modernen Gesellschaft“ 28.-29.03. 2003 Goethe-Institut Riga Also, "man nehme" 3.: Langfristige Beziehungen zu potentiellen Lobby-Adressaten als sachkundiger, glaubwürdiger und zuverlässiger Gesprächspartner Um als Bibliothekslobbyist ernst genommen zu werden, müssen wir uns unseren Gesprächspartnern gegenüber sowohl sachkompetent als auch verbindlich zeigen. Wir dürfen allerdings nicht erwarten, dass gleich bei einem ersten "Annäherungsversuch" unser Vorhaben gelungen ist. Lobbyarbeit erfordert einen langen Atem. Sie ist vergleichbar mit dem steten Tropfen, der den Stein höhlt. Also, "man nehme" 4.: Glaubwürdige, den Bedürfnissen der Adressaten entsprechende "Tauschgüter", in erster Linie Information und Legitimität "Tauschgüter"! Dies klingt nach Handel oder Bestechung, hinterlässt vielleicht den Beigeschmack von Korruption und Korrumpierbarkeit. Gemeint ist allerdings etwas anderes: Wir müssen unseren LobbyPartnern einen Gegenwert für ihre Bemühungen geben, wir müssen ihnen zeigen, welchen Effekt es für sie persönlich hat, wenn sie unsere Interessen vertreten. Hier öffnet sich natürlich ein weites Feld, das davon abhängt, welche Interessen und Bedürfnisse unsere Partner haben. Hier gilt es anzusetzen. Ein gern akzeptiertes und universell einsetzbares "Tauschgut" ist die Möglichkeit, sich positiv zu profilieren, wenn man sich einer Sache annimmt, die zwar allgemein anerkannt ist, aber deren pragmatische Vertretung noch aussteht. Häufig gehen Politiker oder auch Verwaltungsmitarbeiter auf Distanz zur Kultur, weil ihnen die tieferen Kenntnisse fehlen und sie sogar Angst haben, sich auf diesem Feld zu blamieren. Wenn es den Bibliotheks-Lobbyisten gelingt, potenziellen Partnern die Angst vor der Kultur zu nehmen bzw. ihnen den "praktischen Sinn" von Kultur zu vermitteln, können sie wertvolle Partner im Lobby-Geschäft gewinnen. Auch die Sicherheit auf einem bislang unbekannten Parkett kann ein wichtiges Tauschgut sein. Ganz konkrete "Tauschgüter" sind z.B. der Ausbau bzw. der Aufbau bestimmter Literaturgebiete, die von wichtigen Politikern der Stadt besonders geschätzt werden oder die auf besondere Attraktionen oder Wirtschaftszweige der Stadt speziell eingehen. In Einzelfällen kann das Tauschgut sogar ganz konkret werden, wenn die Bibliothek als Forum für die Amateur-Literatengruppe, der ein wichtiges Ratsmitglied angehört, dient. Also, "man nehme" 5.: Das politische, wirtschaftliche, finanzielle, technische und soziale Umfeld des LobbyGegenstandes unter die Lupe Wir müssen die Leistungen unserer Einrichtung in den Kontext der Stadtpolitik stellen. Wird z.B. für die Stadt gerade ein neues Innenstadt-Entwicklungskonzept erarbeitet, muss die Bibliothek sich und ihre Interessen proaktiv einbringen. Meistens wird ihre Bedeutung in diesem Zusammenhang von den eigentlichen Akteuren nicht erkannt, so dass der Bibliotheks-Lobbyist sich hier ungefragt, aber klar und deutlich einmischen muss. Diese Einmischung ist aber nur dann glaubhaft, wenn sie vor dem Hintergrund der Detailkenntnisse erfolgt. Ebenso ist es selbstverständlich, dass die Verteidigung der Finanzen für die Bibliothek - auch dies kann in Form des Lobbying geschehen und muss sich nicht nur bei den Haushaltsanmeldungen ausdrücken - erfolgen muss in genauer Kenntnis des gesamten städtischen Haushaltsplans. Es macht mitunter Sinn, die Ausgaben für die Bibliothek in Relation zu setzen zu Ausgaben für andere Maßnahmen, deren Sinn und Zweck mit der Bibliothek verglichen werden kann. Außerdem sind Kenntnisse über die Ausgaben vergleichbarer Städte für die Bibliothek ebenfalls von Nutzen, wenn es darum geht, die Position des eigenen Hauses zu vertreten. Also, "man nehme" 6.: Die Identifikation des Entscheidungsprozesses und der relevanten Akteure auf allen beteiligten Ebenen Wer spielt im Spiel des Lobbying mit? Und wo sind die "Spielplätze"? Wichtig ist die Erkenntnis, dass die Lobby-Arbeit eine mehrdimensionale Angelegenheit ist. Im kommunalen Bereich spielen natürlich Begleitmaterial zur Weiterbildungsreihe für Bibliothekare, Seminar „Die Bedeutung und Rolle der Bibliotheken in der modernen Gesellschaft“ 28.-29.03. 2003 Goethe-Institut Riga die Ratsmitglieder der regierenden Partei(en) eine wichtige Rolle, aber auch die Opposition sollte für die Interessen der Bibliothek gewonnen werden, denn je breiter die Zustimmung ist, desto einfacher kann das Ziel erreicht werden. Ohne die Einbeziehung der Verwaltungsspitze allerdings ist oft auch die Überzeugung des Rates fruchtlos. Es gilt aber auch, gerade in der zuständigen sonstigen Verwaltung Bundesgenossinnen und -genossen zu finden. Natürlich funktioniert all dies nur, wenn die Entscheidungswege sowohl auf dem Feld der Politik als auch im Bereich der Verwaltung bekannt sind. Darüberhinaus ist es aber auch unerlässlich, dass die Person des Bibliotheksleiters oder der Bibliotheksleiterin den jeweils Zuständigen bzw. Verantwortlichen auch direkt bekannt ist. Briefe schreiben, Vermerke schreiben und Telefonate allein reichen oft nicht aus, um sich und sein Anliegen erfolgversprechend in den Vordergrund zu stellen. Wir müssen Anlässe suchen für ein persönliches Zusammentreffen mit den Menschen, die für unsere Ziele wichtig sind. Da sollte es keinen Unterschied geben, ob es sich um einen "kleinen Sachbearbeiter" oder den Oberstadtdirektor handelt. Solche Anlässe, wie Feierstunden im Rathaus, Eröffnungen, Premieren u.ä. "Sektschalen-Veranstaltungen" sind ein unschätzbarer Schauplatz für die Teilnahme am Lobby-Karussell. Also, "man nehme" 7.: Allianzen mit Trägern verwandter Interessen Je breiter die Interessenvertretung, desto wirkungsvoller ist die Lobbyarbeit. Daher macht es Sinn, Bundesgenossen mit ähnlichen Interessen zu finden. Naturgemäß stammen diese Bundesgenossen aus dem Bereich der Kultur. Doch Vorsicht, manchmal handelt es sich hier auch um Konkurrenz! Bundesgenossen können aber auch aus völlig fremden Bereichen stammen; die Gewerbetreibenden eines Einkaufszentrums, in das die Bibliothek gesetzt werden soll, haben sicherlich ein großes Interesse an der höheren Besucherfrequenz durch die Bibliotheksnutzung. Immobilienmakler und Projektentwickler sind manchmal hilfreich bei der Entscheidung über Standortfragen, auch wenn die Bibliothek als solche sie überhaupt nicht interessiert. Also, "man nehme" 8.: Einen Handlungsplan mit klaren Zielen, konkreten Adressaten und eindeutigen Tauschgütern Ohne einen konkreten Handlungsplan nützt die beste Lobby-Arbeit nichts. Natürlich können wir auch erst einmal grundsätzlich vorgehen und die Bibliothek und uns als ihre Vertreter(in) generell ins Licht bringen (in etwa nach dem Motto: "La bibliothèque, c'est moi!"). Aber dieses Vorgehen sollte vor allem als Grundlage dienen für Aktionen mit konkretem Anliegen. Zum konkreten Plan gehört eine Liste der Lobby-Partner mit entsprechenden Funktionen und den möglichen dazugehörigen Tauschgütern (s. oben). Also, "man nehme" 9.: Bestmöglich aufbereitete Tauschgüter für den richtigen Adressaten zur richtigen Zeit Ein bisschen politisches Fingerspitzengefühl ist schon nötig, um die "Tauschgüter", die eine Bibliothek überhaupt anbieten kann, an den passenden Mann oder die passende Frau zu bringen 4. Dieses "Spiel von Angebot und Nachfrage" darf nicht zu platt geraten und darf auch nicht den Charakter von Anbiederungsversuchen haben. Wir können - bei einigem gezielten Nachdenken - aber durchaus etwas bieten, das uns als "Player" in diesem Lobby-Gesschehen akzeptabel werden lässt. Also, "man nehme" 10.: Beobachtung und Analyse des Feedback von den Entscheidungsträgern Nach getaner Lobby-Arbeit wollen wir natürlich wissen, ob unsere Bemühungen Früchte getragen haben. Die Überprüfung des Erfolges unseres Vorgehens darf daher nicht ausbleiben. Und wenn uns ein Misserfolg beschieden ist - was selbst den professionellsten Lobby-Experten passieren kann dann heißt es eben: Analysieren, Fazit ziehen und den Lobbykreis- bzw. -hürdenlauf von neuem beginnen. Begleitmaterial zur Weiterbildungsreihe für Bibliothekare, Seminar „Die Bedeutung und Rolle der Bibliotheken in der modernen Gesellschaft“ 28.-29.03. 2003 Goethe-Institut Riga Sollten trotz dieser homöopathischen Lobbying-Gaben einige unserer Kolleginnen und Kollegen den Mut verloren haben, so möchte ich mit einem originalen Trostpflaster von Erich Kästner schließen, das die Moral wieder aufbauen soll: "Man lese, wenn die BESSERWISSER ausgeredet haben: NUR GEDULD! Das Leben, das die Meisten führen, zeigt ihnen, bis sie's klar erkennen: Man kann sich auch an offenen Türen den Kopf einrennen!"5 Fußnoten 1 Kästner, Erich: Dr. Erich Kästners Lyrische Hausapotheke. Ein Taschenbuch. Enthält alte und neue Gedichte des Verfassers für den Hausbedarf der Leser. Nebst einem Vorwort und einer nutzbringenden Gebrauchsanweisung samt Register. Zürich, 1979. Alle von Erich Kästner verwendeten Zitate entstammen dem Vorwort: S. 5 - S. 7. 2 St. Gallen beherbergt die weltbekannte Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften, die als Elite-Hochschule renommiert ist und als Kaderschmiede für die großen Global Players der Unternehmensberatungen gilt. 3 Buholzer, René Paul: Legislatives Lobbying in der Europäischen Union: ein Konzept für Interessengruppen. Bern, Stuttgart, Wien: Haupt, 1998. (=Dissertation der Universität St. Gallen, Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften (HSG), 1997. 4 Natürlich können wir Bibliothekare nicht mit gut gefüllten Aktenkoffern oder Briefumschlägen wedeln, aber manchmal machen auch die kleineren Dinge des Lebens eine Freude oder führen zu Akzeptanz. 5 Kästner, a. a. O., S. 9 u. 77. ------------------------------------------------------------ Barbara Lison, 2003 Begleitmaterial zur Weiterbildungsreihe für Bibliothekare, Seminar „Die Bedeutung und Rolle der Bibliotheken in der modernen Gesellschaft“ 28.-29.03. 2003 Kontakt: [email protected], Homepage: www.goethe.de/riga Autorin: Frau Barbara Lison, Direktorin der Stadtbibliothek Bremen