Prof. Dr. Wolfgang Hiller Stichworte aus den gezeigten Folien zur Vorlesung Klinische Psychologie Thema: Posttraumatische Belastungsstörung (PTSD) AKUTE UND POSTTRAUMATISCHE BELASTUNGSSTÖRUNG (PTSD): SYMPTOME UND KLINISCHE KENNZEICHEN Flashbacks Albträume intrusive Gedanken Angsterleben Gedächtnislücken Schlafstörung Vermeidung von angsterregenden Erinnerungen Reizbarkeit Depersonalisation, Derealisation Gefühlsabstumpfung keine Zukunftsperspektive Unruhe und Übererregung Vermeiden von angstauslösenden Situationen Sprunghaftigkeit Bedrohungsgefühl BERICHT EINES 60JÄHRIGEN PATIENTEN, OPFER EINES KRIMINELLEN ÜBERFALLS « Seit dem Überfall bin ich ein völlig anderer Mensch geworden. Abends liege ich im Bett und dann kommen diese Gedanken und Gefühle und dann liege ich ewig wach. Ich habe jetzt einen Punkt erreicht, wo ich merke, es geht einfach nicht mehr weiter. Ich bin nervlich völlig am Ende … Meine Freunde versuchen immer wieder, mich aufzumuntern. Sie sagen, ich soll das jetzt vergessen und mir doch mal ein schönes Leben machen. Das tut unheimlich weh. Das schmerzt, weil ich mir das gar nicht mehr richtig vorstellen kann … Ich habe keine Hoffnung mehr. Meine Freunde wollen mir ja wirklich helfen, aber das geht ja nicht. Es kann mir ja niemand helfen. Ich muss das selber schaffen. Aber ich muss immer an diesen Sonnabend zurückdenken. Und dann denke ich immer, dass ich diese Belastung jetzt bis zu meinem Tod ertragen muss … Ich tue meinen Freunden ja so leid. Der Kontakt mit mir ist für sie deshalb sehr belastend. Ich ziehe mich deshalb von meinen Freunden zurück. Ich gehe lieber in den Wald und gehe dort für mich alleine spazieren. » BEISPIELE TRAUMATISCHER EREIGNISSE Direkt erlebte Erlebnisse: Kriegerische Auseinandersetzungen, gewaltsame Überfälle (Vergewaltigung, Angriff, Raub), Entführung, Geiselnahme, Terroranschlag, Folter, Kriegsgefangenschaft, Gefangenschaft in einem Konzentrationslager, natürliche oder durch Menschen verursachte Katastrophen, schwere Autounfälle, die Diagnose einer lebensbedrohlichen Krankheit (bei Kindern auch nicht dem Entwicklungsstand entsprechende sexuelle Erlebnisse ohne angedrohte oder tatsächliche Gewalt). Beobachtete Erlebnisse: Schwere Verletzung oder unnatürlicher Tod einer anderen Person durch gewalttätigen Angriff, Unfall, Krieg, Katastrophe; unerwartete Konfrontation mit einem toten Körper oder Körperteilen. Ereignisse, die bei anderen auftraten und von denen man erfahren hat: Gewaltsamer Überfall, schwerer Unfall oder schwere Verletzung eines Familienmitglieds oder einer nahestehenden Person; Nachricht über den plötzlichen unerwarteten Tod eines Familienmitglieds oder einer nahestehenden Person; Nachricht, dass das eigene Kind eine lebensbedrohliche Krankheit hat. 2 KRITERIEN DER POSTTRAUMATISCHEN BELASTUNGSSTÖRUNG (NACH DSM-IV) A. Die Person wurde mit einem traumatischen Ereignis konfrontiert, bei dem die beiden folgenden Kriterien vorhanden waren: (1) Die Person erlebte, beobachtete oder war mit einem oder mehreren Ereignissen konfrontiert, die tatsächlichen oder drohenden Tod oder ernsthafte Verletzung oder eine Gefahr der körperlichen Unversehrtheit der eigenen Person oder anderer Personen beinhalteten. (2) Die Reaktion der Person umfasste intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen. B. Das traumatische Ereignis wird beharrlich auf mind. eine der folgenden Weisen wiedererlebt: (1) Wiederkehrende und eindringliche belastende Erinnerungen an das Ereignis, die Bilder, Gedanken oder Wahrnehmungen umfassen können [bei kleinen Kindern können Spiele auftreten, in denen wiederholt Themen oder Aspekte des Traumas ausgedruckt werden]. (2) Wiederkehrende, belastende Träume von dem Ereignis [bei Kindern können stark beängstigende Träume ohne wiedererkennbaren Inhalt auftreten]. (3) Handeln oder Fühlen, als ob das traumatische Ereignis wiederkehrt (beinhaltet das Gefühl, das Ereignis wiederzuerleben, Illusionen, Halluzinationen und dissoziative Flashback-Episoden, einschließlich solcher, die beim Aufwachen oder bei Intoxikationen auftreten) [bei kleinen Kindern kann eine trauma-spezifische Neuinszenierung auftreten]. (4) Intensive psychische Belastung bei der Konfrontation mit internalen oder externalen Hinweisreizen, die einen Aspekt des traumatischen Ereignisses symbolisieren oder an Aspekte desselben erinnern. (5) Körperliche Reaktionen bei der Konfrontation mit internalen oder externalen Hinweisreizen, die einen Aspekt des traumatischen Ereignisses symbolisieren oder an Aspekte desselben erinnern. C. Anhaltende Vermeidung von Reizen, die mit dem Trauma verbunden sind, oder eine Abflachung der allgemeinen Reagibilität (vor dem Trauma nicht vorhanden). Mind. 3 der folgenden Symptome liegen vor: (1) Bewusstes Vermeiden von Gedanken, Gefühlen oder Gesprächen, die mit dem Trauma in Verbindung stehen. (2) Bewusstes Vermeiden von Aktivitäten, Orten oder Menschen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen. (3) Unfähigkeit, einen wichtigen Aspekt des Traumas zu erinnern. (4) Deutlich vermindertes Interesse oder verminderte Teilnahme an wichtigen Aktivitäten. (5) Gefühl der Losgelöstheit oder Entfremdung von anderen. (6) Eingeschränkte Bandbreite des Affekts (z.B. Unfähigkeit, zärtliche Gefühle zu empfinden). (7) Gefühl einer eingeschränkten Zukunft (z.B. erwartet nicht, Karriere, Ehe, Kinder oder normal langes Leben zu haben). D. Anhaltende Symptome erhöhten Arousals (vor dem Trauma nicht vorhanden). Mindestens 2 der folgenden Symptome liegen vor: (1) Schwierigkeiten, ein- oder durchzuschlafen. (2) Reizbarkeit oder Wutausbrüche. (3) Konzentrationsschwierigkeiten. (4) Übermäßige Wachsamkeit (Hypervigilanz). (5) Übertriebene Schreckreaktion. E. Das Störungsbild (Symptome unter Kriterium B, C und D) dauert länger als 1 Monat. F. Das Störungsbild verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen. Bestimme, ob: Akut: Wenn die Symptome weniger als 3 Monate andauern. Chronisch: Wenn die Symptome mehr als 3 Monate andauern. Bestimme, ob: Mit verzögertem Beginn: Wenn der Beginn der Symptome mindestens 6 Monate nach dem Belastungsfaktor liegt. 3 EINIGE KLINISCHE MERKMALE DER PTSD Vorkommen: Lebenszeitprävalenz bei Erwachsenen 7,8% (NCS); in Risikopopulationen deutlich höher (z.B. 19-71% bei Kriminalitätsopfern; ~ 30% bei Vietnamveteranen, die in Kampfhandlungen verwickelt gewesen waren; auch bei Folteropfern, Überlebenden des Holocaust). Alter: Auftreten der Störung in jedem Alter möglich. Onset: Entwicklung der Symptome in den meisten Fällen sofort nach dem Trauma, in etwa 11% verzögert (d.h. nach Monaten bis Jahren). Verlauf: bei ~ 50% unbehandelt völlige Remission innerhalb eines ersten Jahres nach dem Trauma; bei etwa 1/3 chronischer Verlauf; Risiko für chronischen Verlauf umso höher, je schwerer die anfänglichen Symptome sind (Ehlers et al. 1998). Prädisponierende Faktoren: geringe soziale Unterstützung, Familienanamnese einer psychischen Störung, negative Kindheitserfahrungen, vorbestehende psychische Störungen, Persönlichkeitsvariablen. Komorbidität: am häufigsten depressive Störungen und Substanzmissbrauch; Angststörungen in ~ 50% erst nach der PTSD; nach Beginn der PTSD erhöhtes Risiko für somatoforme Symptome und Störungen (Andreski et al. 1998). TRAUMAERFAHRUNGEN, DIE IM NATIONAL COMORBIDITY SURVEY (NCS) 1990-1992 ZUR ERFASSUNG DER PTSD HERANGEZOGEN WURDEN (nach Kessler et al. 1995) Vergewaltigung sexuelle Belästigung körperlicher Angriff Beteiligung an einem Kampfgeschehen Schock, Zeuge eines der erwähnten Traumata zu sein Bedrohung mit einer Waffe Verwicklung in einen lebensbedrohlichen Unfall Vernachlässigung in der Kindheit körperlicher Missbrauch in der Kindheit andere Traumata EPIDEMIOLOGIE DER PTSD IN DEN USA - DIE WICHTIGSTEN ERGEBNISSE AUS DEM NATIONAL COMORBIDITY SURVEY (NCS) 1990-1992 (N = 5877) (nach Kessler et al. 1995) MERKMALE FRAUEN MÄNNER Lebenszeitprävalenz (7,8% gesamt) 10,4 % 5,0 % Entwicklung einer PTSD nach Konfrontation mit einem Trauma (je nach Art des Traumas) 20,4 % (21,3 % - 48,8 %) 8,2 % (22,3 % - 38,8 %) Häufigste Traumata • sexuelle Belästigung • körperlicher Angriff • Bedrohung mit einer Waffe • körperlicher Missbrauch in der Kindheit • Beteiligung an einem Kampfgeschehen • körperlicher Missbrauch in der Kindheit Komorbidität 79 % 83 % Art der Komorbidität Angststörungen, Substanzmissbrauch, affektive Störungen Dauer der PTSD mit Therapie 36 Monate, ohne Therapie 69 Monate Therapie (Remissionsraten) 1/3 remittierte nicht vollständig (unabhängig davon, ob behandelt wurde oder nicht) 50% derjenigen, die sich in Behandlung begeben hatten, remittierten nach 2jähriger Behandlung 4 RANGREIHE DER ARTEN VON TRAUMATISCHEN EREIGNISSEN IN DER KINDHEIT (RELATIVE ANZAHL DER KINDER, DIE SPÄTER EINE PTSD ENTWICKELTEN) (Literaturübersicht bei Butollo 1997) Art der Belastung PTSD-Fälle Quelle Zeuge bei Tötung eines Elternteils 16 (100%) Malmquist (1986) Zeuge sexueller Attacke gegen Mutter 10 (100%) Pynoos & Nader (1988) Schwerer sexueller Missbrauch 9 (90%) Kiser et al. (1988) Heckenschützenattacke 27 (77%) Pynoos et al. (1987) Schiffsunfall 3 (60%) Martini et al. (1990) KZ 19 (48%) Kinzie et al. (1986) Sexueller Missbrauch 14 (48%) McLeer et al. (1988) Kriegstraumatisierung 10 (33%) Arroyo & Eth (1985) Kindesentführung 6 (33%) Terr (1983) schwere Verletzungen 9 (30%) Stoddard et al. (1989) Schießereien in der Schule 17 (27%) Schwarz & Kowalski (1991) Kriegstraumatisierung 230 (27%) Saigh (1991) PTSD-FÄLLE IN VERSCHIEDENEN ZEITABSTÄNDEN NACH DEM TRAUMA (Angaben in %; nach Foa & Rothbaum, 1990) 5 AKTUELLE PTSD-SYMPTOME 14 JAHRE NACH DEM BUFFALO CREEK-DAMMBRUCH, GEORDNET NACH IHRER HÄUFIGKEIT (N = 96) (GREEN 1993) Symptome Vermeidung von Gedanken an das Trauma Stressreaktion bei erinnernden Reizen intrusive Gedanken Schlafstörung Sprunghaftigkeit Vermeidung von Aktivitäten Hypervigilanz Konzentrationsstörung Interesseverlust Dissoziiert (“weggetreten”) Albträume Amnesien Flashbacks Irritierbarkeit Gefühlsabstumpfung keine Zukunftsperspektive physiologische Erregungsreaktion bei Kontakt mit traumatischen Auslösern Prävalenz (%) mit diesem Symptom 52 50 48 45 44 40 37 35 31 26 23 22 19 17 15 0 0 PTSD: DIAGNOSTISCHE VERFAHREN Clinician Administered PTSD Scale (CAPS): Diagnose und Schweregradserfassung der PTSD (Blake et al. 1995) Impact of Event Scale: Fragebogenskalen zu ungewolltem Wiedererleben, Vermeidung und Übererregung (Horowitz et al. 1979; deutsche Version Maercker & Schützwohl 1998) Posttraumatic Stress Diagnostic Scale (PDS): Fragebogen am DSM-IV orientiert (Foa et al. 1997; deutsche Version von Steil & Ehlers) PTSD Symptom Scale - Self Report (PSS-SR): PTSD-Symptome nach DSM-IV, 17 Items (Foa et al. 1993; deutsche Version von Steil 1997) PTSD Symptom Scale - Interview (PSS-I): Diagnostik der PTSD nach DSM-IV (Foa et al. 1993) 6 ERKLÄRUNGSMODELLE DER PTSD 1. Informationsverarbeitungs-Modell (nach Horowitz 1973 - 1997) Durch das Trauma findet eine Informationsüberstimulation statt; die traumatische Erfahrung ist zu mächtig, um unmittelbar verarbeitet zu werden. Verleugnung und emotionales Abgestumpftsein schützen das Ich vor der traumatischen Information. Die Person schwankt zwischen Verleugnung und Überflutetwerden von Erinnerungen solange, bis die traumatische Erfahrung wirklich verarbeitet ist. 5 nacheinander folgende Phasen: Betäubung - Vermeidung (Verleugnung, emotionale Taubheit) schwankende Periode (Verleugnung vs. Überflutung) - Durcharbeiten - Integration. Normale und pathologische Phasen posttraumatischer Reaktionen (nach Horowitz 1986) 2. Modell der kognitiven Bewertung (nach Janoff-Bulman 1985, 1992) Das Trauma erschüttert und zerstört die psychologische Realität einer Person, seine lebenstragenden Vorannahmen und Erwartungen gegenüber der Welt; Betroffene berichten oft, dass sich ihr Lebensgefühl komplett geändert habe. Glaube an die eigene Unverwundbarkeit vorher: “mir passiert so etwas nicht” - nachher: “es kann mir jederzeit passieren” Auffassung, dass die Welt verstehbar ist vorher: “meine Welt ist kontrollierbar, vorhersagbar, gerecht” - nachher: “… unberechenbar, unlogisch” Überzeugung, das eigene Selbst sei wertvoll vorher: “ich bin ein anständiger Mensch, der es nicht verdient, traumatisiert zu werden” - nachher: Hilflosigkeit wegen der erlittenen Qualen und der eigenen Reaktionen darauf, vermindertes Selbstwertgefühl. Annahme, dass man anderen Menschen trauen kann vorher: Vertrauen in andere - nachher: “ich kann niemandem mehr trauen” 7 3. Kognitiv-lernpsychologisches Modell (nach Ehlers 1998; Ehlers & Clark 1999) • • Annahmen: Nicht das vergangene Trauma erklärt die Angst und PTSD-Symptome, sondern die Wahrnehmung einer schweren gegenwärtigen Bedrohung. Diese wahrgenommene Bedrohung wird durch problematische Kognitionen und Charakteristika des Trauma-Gedächtnisses ausgelöst; sie löst ihrerseits intrusive Erinnerungen, Symptome körperlicher Erregung, starke Emotionen und eine Reihe problematischer Verhaltensweisen aus. nach Ehlers, 1998; Ehlers & Clark, 1999 8 BEISPIELE FÜR NEGATIVE INTERPRETATIONEN, DIE ZUR WAHRNEHMUNG EINER GEGENWÄRTIGEN BEDROHUNG BEI PAT. MIT PTSD FÜHREN (NACH EHLERS 1998) Bereiche Negative Interpretationen Traumatisches Erleben Eintreten des traumatischen Ereignisses - Ich bin nirgends sicher - Das nächste Unglück wird bald eintreten Das Trauma passierte mir - Ich ziehe Unglück an - Andere sehen mir an, dass ich ein leichtes Opfer bin Eigenes Verhalten/Emotionen während des Traumas - Ich verdiene es, dass mir schlimme Dinge passieren - Ich breche bei Stress zusammen Anfängliche PTSD-Symptome Reizbarkeit, Wutausbrüche - Ich habe mich als Person zum Schlechten verändert - Meine Ehe wird in die Brüche gehen - Ich kann mir nicht trauen, wenn ich mit meinen eigenen Kindern zusammen bin Emotionale Taubheit - Ich bin innerlich tot - Ich werde mich anderen nie wieder nahe fühlen Intrusives Wiedererleben, Albträume - Ich werde verrückt - Ich komme nie darüber hinweg Konzentrationsprobleme - Mein Hirn hat einen Schaden abbekommen - Ich werde meine Stelle verlieren Reaktionen anderer Menschen Positive Reaktionen - Sie denken, ich bin zu schwach, um selbst damit klarzukommen - Ich kann mich niemandem nahe fühle Negative Reaktionen - Niemand ist für mich da - Ich kann mich auf niemanden verlassen Andere Konsequenzen des Traumas Körperliche Folgen - Mein Körper ist ruiniert - Ich werde nie mehr ein normales Leben führen können Verlust der Arbeit, finanzielle Einbußen - Ich werde meine Kinder verlieren - Bald bin ich obdachlos BESONDERHEITEN DES TRAUMA-GEDÄCHTNISSES • • • • • • Intrusives Wiedererleben durch sensorische Eindrücke Wiedererleben wie im Hier-und-Jetzt (kein „Stempel des Vergangenen“) Erinnerungen bleiben unverändert, ohne nachträgliche „Korrekturen“ Auslöser sind oft unbewusst bzw. subtil Wiedererleben kann sehr rasch ausgelöst werden (starke Reiz-Reaktions-Verbindungen) ausgeprägtes Priming für Reize, die mit dem Trauma verbunden sind 9 BEISPIELE FÜR DEN ZUSAMMENHANG ZWISCHEN INTERPRETATIONEN UND DYSFUNKTIONALEN VERHALTENSWEISEN/KOGNITIVEN STRATEGIEN, DIE DIE PTSD AUFRECHTERHALTEN (nach Ehlers 1998) Interpretationen Dysfunktionale Verhaltensweisen / kognitive Strategien Wenn ich an das Trauma denke, … werde ich verrückt … breche ich zusammen … werde ich jemandem etwas antun … kriege ich einen Herzinfarkt. Mit aller Gewalt versuchen, nicht an das Trauma zu denken; mich ständig mit anderem beschäftigt halten; meine Gefühle unter Kontrolle halten; Alkohol/Medikamente/Drogen einnehmen. Wenn ich meine Gefühle nicht kontrolliere, … kann ich nicht arbeiten und verliere meine Stelle … werde ich die Beherrschung verlieren und Leute anbrüllen. Gefühle betäuben; alles vermeiden, was negative oder positive Gefühle auslösen könnte; Alkohol/Medikamente einnehmen. Wenn ich nicht darüber nachgrüble, wie ich das Trauma hätte verhindern können, … wird mir wieder so etwas passieren. Grübeln, wie das Trauma hätte verhindert werden können. Wenn ich nicht einen Weg finde, den Täter zu bestrafen, … hat er gewonnen und ich bin kein richtiger Mann mehr. Nachgrübeln, wie ich mich rächen kann. Wenn ich den Ort des Geschehens aufsuche, wenn ich die gleiche Kleidung trage, … habe ich wieder einen Unfall … kriege ich einen Nervenzusammenbruch. Ort des Geschehens vermeiden; ähnliche Kleidung vermeiden. Wenn ich nicht spezielle Vorsichtsmaßnahmen treffe, … werde ich wieder zusammengeschlagen. Waffe mitnehmen; auf der Hut vor gefährlichen Leuten sein; Menschenansammlungen vermeiden; immer nahe beim Ausgang bleiben. Wenn ich nicht ständig alles unter Kontrolle habe, … wird mir wieder jemand etwas antun. Genau aufpassen, ob jemand aggressiv aussieht; immer bereit sein, sofort die Flucht zu ergreifen. Wenn ich den Rückspiegel nicht ständig überprüfe, … wird wieder jemand auf mich drauffahren. Rückspiegel ständig im Auge behalten. Wenn ich Pläne schmiede (z.B. für einen Urlaub), … passiert das nächste Unglück. Keine Pläne machen, nichts Schönes vornehmen. Wenn ich meine Freunde besuche/anrufe, … werden sie mir Fragen zum Trauma stellen und denken, dass ich ein Schwächling bin, weil ich immer noch nicht darüber hinweg bin. Kontakte zu Freunden vermeiden/abbrechen. Wenn ich Dinge tue, die mir früher Spaß brachten, … werde ich bestraft, und es passiert etwas … merke ich, was für ein Wrack ich jetzt bin, und werde das nicht aushalten. Früher bedeutsame Aktivitäten aufgeben. Wenn ich mein Gesicht zeige, … werden Leute von meinen Narben angewidert sein. Anderen Menschen aus dem Weg gehen; Gesicht mit Händen bedecken; starkes Make-up; nach unten sehen. Wenn ich zeitig schlafen gehe, … kriege ich wieder Albträume … werde ich Einbrecher nicht bemerken. Bis spät in die Nacht wach bleiben. Wenn ich mehr Stress habe, … kriege ich einen Herzinfarkt … kriege ich einen Nervenzusammenbruch. Alles vermeiden, was belastend sein könnte; nicht zur Arbeit gehen; mich von der Familie zurückziehen. 10 PSYCHOBIOLOGISCHE BEFUNDE BEI PTSD Neuromorphologisch: Neuroendokrinologisch: Neurotransmitter: Psychophysiologisch: Veränderungen im Hippocampus und im medialen Präfrontalen Cortex HHN-Achse Noradrenalin Veränderungen des allgemeinen Anspannungs- und Erregungsniveaus NEUROMORPHOLOGISCHE VERÄNDERUNGEN Volumen des Hippocampus Indikator für gestörte Lern- und Gedächtnisprozesse, Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen => aufgrund neuerer Zwillingsstudien scheint dies jedoch eher ein Risikofaktor darzustellen als eine Traumatisierungsfolge (Gilbertson et al. 2002). STUDIE VON GILBERTSON ET AL. (2002) Stichprobe: 40 monozygote Zwillingspaare; je einer der Zwillinge war im Vietnamkrieg Kampfhandlungen ausgesetzt gewesen; 17 hatten eine PTSD entwickelt (ExP+), 23 nicht (ExP-); keiner der nicht am Vietnamkrieg beteiligten Zwillinge hatte eine PTSD (Ux) Untersuchung: MRI #1: bei ExP+ Korrelation zwischen Hippocampusvolumen und Stärke der PTSD-Symptomatik, r = - 0.64. #2: dagegen keine signifikanten Korrelationen der PTSD-Symptomatik mit der Amygdala oder dem gesamtem Hirnvolumen. 11 #3: aber auch erhebliche Korrelation zwischen Stärke der PTSD-Symptomatik von exponierten Personen und dem Hippocampusvolumen ihrer Zwillinge, r = - 0.70. NEUROENDOKRINE DYSFUNKTION DER HHN-ACHSE basaler Kortisolspiegel bei gleichzeitig CRH-Spiegel in der Zerebrospinalflüssigkeit. nach CRH-Stimulation => unterdrückte ACTH-Reaktion und unterdrückte Kortisolreaktion. Zahl von Glukokortikoidrezeptoren auf Lymphozyten => Profil qualitativ anders als bei gewöhnlicher Belastung (z.B. Dauerstress am Arbeitsplatz) oder Major Depression 12 REGULATION DER HHN-ACHSE BEI GESUNDEN, PATIENTEN MIT MAJOR DEPRESSION UND PATIENTEN MIT PTSD Kontrollpersonen Major Depression PTSD CRH normal Kortisol normal Feedback-Sensitivität normal PSYCHOPHYSIOLOGISCHE VERÄNDERUNGEN Hautwiderstand, Herzrate, Blutdruck, Schreckreaktion, verlangsamte Habituation an wiederholte Reize Indikator für erhöhtes Arousal 13 EMPIRISCHE STUDIEN ZUR PTSD 1. Studie zur Rolle der Gedankenunterdrückung bei PTSD-Patientinnen (Shipherd & Beck, 1999) • • • • • • • Fragestellung: Welche Effekte hat bewusste Gedankenunterdrückung bei Frauen nach erlebter Vergewaltigung (I) mit und (II) ohne PTSD? Sichprobe: 17 Frauen mit erfüllten PTSD-Kriterien (DSM-IV), 19 Frauen ohne das vollständige Bild der PTSD. Vorgehen: (1) Diagnostik; (2) Baseline: 9 min lang alle Gedanken aufschreiben, die durch den Kopf gehen; (3) Gedankensuppression: erneut 9 min lang alle Gedanken aufschreiben, dabei aber versuchen, nicht an das Trauma zu denken; (4) Gedankenexpression: wieder 9 min alle Gedanken aufschreiben (wie Baseline). Erhobene Variablen: Anteil der traumabezogenen an anderen Gedanken; Kontrollierbarkeit der traumabezogenen Gedanken (VAS); Belastung während der Untersuchung, Depressivität, Ängstlichkeit. Ergebnisse #1: Rebound-Effekt (Zunahme der traumabezogenen Gedanken nach Suppression) bei I, nicht bei II. Ergebnisse #2: bei I geringe subjektive Kontrolle in der Suppressionsphase, obwohl die Gedankenunterdrückung gut gelang; dagegen Anstieg der subjektiven Kontrolle in der Expressionsphase, obwohl ein Rebound-Effekt auftrat. Ergebnisse #3: bei I Reduktion von Belastung und Depression trotz Rebound-Effekt. 2. Studie zu kognitiven Variablen bei der Entwicklung und Aufrechterhaltung der PTSD (Dunmore, Clark & Ehlers, 1999) • • • • • • N = 92 Personen untersucht, die Opfer einer sexuellen oder körperlichen Gewalttat geworden waren; Trauma lag > 3 Monate zurück. Gruppenunterscheidung: PTSD vs. Non-PTSD; chronische vs. remittierte PTSD. Fragebögen und semi-strukturiertes Interview eingesetzt, um Kognitionen im Zusammenhang mit dem Trauma zu erfassen. Erfasste Kognitionsbereiche: Kognitionen während oder kurz nach dem Trauma; Bewertung von Emotionen, die während des Traumas erlebt wurden; Bewertung von Handlungen im Zusammenhang mit dem Trauma; Bewertung der Traumafolgen; Wahrnehmung der Reaktionen anderer; wahrgenommene dauerhafte Veränderungen; dysfunktionale kognitive/behaviorale Strategien; Überzeugungen infolge des Traumas. Ergebnisse PTSD vs. keine PTSD: Signifikant häufiger bei PTSD: mentales Aufgeben, mentales Planen, mentale Verwirrung; inneres Abwenden; negative Bewertung eigener Emotionen; negative Bewertung der PTSD-Symptome; negative Bewertung der Reaktionen anderer; eine ständige Veränderung an sich wahrnehmen; Vermeidungs-/Sicherheitsverhalten; „Undoing“; negative globale Überzeugungen. ••• Dagegen keine signifikanten Unterschiede: Negative Bewertung der eigenen Handlungen. Ergebnisse chronische PTSD vs. remittierte PTSD: Signifikant häufiger bei chronischer PTSD: mentales Aufgeben; mentale Verwirrung; negative Bewertung eigener Emotionen; negative Bewertung der PTSD-Symptome; eine ständige Veränderung an sich wahrnehmen; Vermeidungs/Sicherheitsverhalten; negative globale Überzeugungen nach dem Ereignis. ••• Dagegen keine signifikanten Unterschiede: Mentales Planen; inneres Abwenden; negative Bewertung der eigenen Handlungen; negative Bewertung der Reaktionen anderer; „Undoing“; negative globale Überzeugungen vor dem Ereignis. 14 FAKTOREN, DIE DIE ENTWICKLUNG EINER PTSD BEEINFLUSSEN • • • • • • • Dauer und Vorhersagbarkeit des Traumas Reaktionen wichtiger Bezugspersonen nach dem Trauma eigener Zustand vor dem Trauma (z.B. Erschöpfung, Alkoholkonsum, Grad der Angst und körperlichen Erregung) Intelligenz, Persönlichkeitsfaktoren frühere Erfahrungen (z.B. andere Traumata wie sexueller Kindheitsmissbrauch) diverse kognitive Schemata (z.B. zur Wahrscheinlichkeit, dass einem so ein Trauma passiert, Selbstwert, Bedeutung psychischer Probleme) vorbestehende psychische Störungen THERAPIE DER PTSD • • • Kognitive Verhaltenstherapie z.B. mit in-sensu- oder in-vivo-Expositionen, Angstmanagementtraining, Stressimpfungstraining, kognitive Restrukturierung (Ansätze z.B. von Foa & Rothbaum 1998, Ehlers 1999) EMDR = Eye-Movement Desensitization and Reprocessing mit in-sensu-Exposition des Traumas, bei der systematische sakkadische Augenbewegungen produziert sowie begleitende Aussagen zur Bewältigung gemacht werden Pharmakotherapie mit (a) trizyklischen Antidepressiva, (b) Substanzen mit antikonvulsiven und affektstabilisierenden Eigenschaften, (c) MAO-Hemmern, (d) Benzodiazepinen, (e) SSRI KOGNITIVE VERHALTENSTHERAPIE DER PTSD [NACH FOA & ROTHBAUM 1996, 1998] PTSD wird im Kern als Angststörung verstanden Ziel der Therapie ist es: (a) die Angsterfahrung erneut zu aktivieren und eine Habituation zu erreichen (Konfrontationstherapie) und (b) eine Neubewertung und Bewältigung zu ermöglichen (Angstmanagement). WIE WIRD DIE KONFRONTATIONSTHERAPIE DER PTSD DURCHGEFÜHRT? [NACH FOA & ROTHBAUM 1996, 1998] Die Konfrontationstherapie sollte eher massiert stattfinden, gleichzeitig die Patienten aber nicht überfordern. Typischerweise werden 2x wöchentlich Sitzungen von je 90 Minuten Dauer durchgeführt. In den Studien von Foa erhielten die Patientinnen insgesamt 9 solcher Sitzungen. Die Behandlung schließt wiederholte Konfrontation in sensu mit dem erlebten Trauma und konkrete Hausaufgaben ein. Die eigentliche Konfrontation in sensu beinhaltet: die Instruktion, sich die erlebte Szene so real wie möglich vorzustellen diese dann in der Zeitform der Gegenwart laut zu beschreiben das Ganze dann mehrmals für die Dauer von 60 min. pro Sitzung zu wiederholen Die Hausaufgaben bestehen aus: dem Anhören des Tonbands mit den Erzählungen aus den Sitzungen der praktischen Konfrontation in-vivo mit angstauslösenden Reizen (typischerweise Reize, die an das Trauma erinnern) 15 WIE WIRD DIE KONFRONTATIONSTHERAPIE DER PTSD DURCHGEFÜHRT? [NACH FOA & ROTHBAUM 1996, 1998] Repertoire unterschiedlicher Strategien, welche kombiniert werden können: Entspannungstraining Stressimpfungstraining kognitive Umstrukturierung Biofeedback Training sozialer Fertigkeiten Training von Ablenkungstechniken Komponenten des Stressimpfungstrainings: 2-stündige Lernphase (Erläuterung der Therapie) Bewältigungstraining mit tiefer Muskelentspannung, Atemkontrolle, Rollenspielen, verdecktem Modelllernen, Gedankenstoptechniken und Selbstverbalisationsmethoden KOGNITIVE VERHALTENSTHERAPIE DER PTSD [NACH EHLERS 1999] • • • • Ziel: Pat. soll lernen, das Trauma als einen vergangenen Teil des eigenen Lebens einzuordnen, nicht als Zeichen einer schweren gegenwärtigen Bedrohung. Folgende Veränderungen sind hierzu erforderlich: (a) das Traumagedächtnis wird elaboriert und adäquat in den Kontext des autobiografischen Gedächtnisses eingeordnet, um intrusives Wiedererinnern zu reduzieren. (b) problematische Interpretationen des Traumas und seiner Konsequenzen werden verändert. (c) dysfunktionale Verhaltensweisen und kognitive Strategien zur Kontrolle der Bedrohung und der PTSD-Symptome werden aufgegeben. Therapietechniken: Exposition und kognitive Verfahren in enger Verzahnung. Setting: ambulante Einzeltherapien; 8-12 wöchentliche Sitzungen (à 90 Min.) sowie 3 monatliche Sitzungen zur Stabilisierung; Therapien werden auf Tonband aufgezeichnet und dem Pat. zum Anhören mitgegeben. WIE WIRD DIE KOGNITIVE VERHALTENSTHERAPIE DER PTSD DURCHGEFÜHRT [NACH EHLERS 1999] Information und Therapieplanung: Aufklärung über die Erscheinungsformen der PTSD, Normalisierung der Symptome, Erklärungsmodell, Behandlungskonzept, Therapieziele. Imaginatives Nacherleben des Traumas: Vorbereitung, Lebhaftigkeit und Belastung werden eingeschätzt, Nachbesprechung, Hausaufgabe zum Nacherleben, evtl. Nacherleben mit neuer Sichtweise. Identifikation und Diskrimination von Auslösern des intrusiven Wiedererlebens: Information und Selbstbeobachtung (Verhaltensanalyse). In-vivo-Exposition: Konfrontation mit vermiedenen Situationen und Reizen, die an das Trauma erinnern. Kognitive Umstrukturierung: Interpretation des Traumas und seiner Konsequenzen (z.B. Übergeneralisierung von Gefahr; Befürchtungen vor Verrücktwerden, Kontrolle verlieren und zusammenbrechen; Verantwortlichkeit für das Trauma sowie Schuld-/Schamgefühle, übermäßige Beschäftigung mit Ungerechtigkeit und Ärger), Imaginationstechniken zur Veränderung von Erinnerungsbildern, grundlegende Überzeugungen über das Selbst und die Welt. Rückfallprophylaxe: z.B. Vorbereitung auf kritische Ereignisse. 16 THERAPIE DER PTSD: INFORMATIONSPHASE ADÄQUATE EINSTELLUNGEN ALS THERAPIEZIELE • • • • • “Traumatische Erfahrungen werden immer Spuren hinterlassen. Heilung nach einer traumatischen Erfahrung kann nicht bedeuten, so zu werden wie früher”. “Man kann lernen, wieder ruhig zu werden, doch die Tendenz zu somatischer Übererregung bleibt sehr lange weiterbestehen”. “Überwältigende, mit Wiedererleben gekoppelte Erinnerungen können in speziellen Situationen immer wieder auftreten”. “Der Verlust des Vertrauens in Menschen führt immer wieder zu Ängsten und Unsicherheiten in bestehenden Beziehungen, d.h. die Fähigkeit zu vertrauen muss langfristig und geduldig wieder aufgebaut werden”. “Die Reaktionen auf Traumatisierung sind ein Zeichen dafür, dass die Betroffenen menschlich sind, ein Herz haben und leiden”. [nach Perren-Klingler 1995] THERAPIE DER PTSD: VERHALTENSANALYSE DES AUFTRETENS VON SYMPTOMEN Ermitteln typischer Auslöser: Bedingungen, unter denen die Symptome auftreten Bedingungen, unter denen die Symptome nicht auftreten Häufige Auslöser von Symptomen: - Anzeichen von Übererregung in angenehmen wie unangenehmen Situationen - Aspekte, die keine Verbindung zum Trauma aufweisen und evtl. durch einen Generalisierungseffekt Bedeutung gewonnen haben - Aspekte, die mit dem traumatischen Ereignis verknüpft sind Symptomfreie Phasen: - meist in Verbindung mit sozialen Kontakten und Tätigkeiten (“Ablenkung”) Beispiele: - Anschauen von Nachrichten aus der Heimat bei Flüchtlingen aus Kriegsgebieten - Geruch von Alkohol in der U-Bahn erinnert eine Frau an den betrunkenen Vergewaltiger - Klappern eines Schlüsselbundes vor dem Zimmer erinnert einen Mann an das Abgeholtwerden vor der Folter THERAPIE DER PTSD: UMGANG MIT FLASHBACKS “Fallen und nicht mehr hochkommen” - Ziel therapeutischer Interventionen: Zurückkommen in die Gegenwart • Maßnahmen, um sich in der Gegenwart zu orientieren (Ort, Zeit, Daten zur eigenen Person); evtl. Ablauf von Gedanken und Bewegungen festlegen, das wie ein Ritual bei einem Flashback automatisch ablaufen kann • Maßnahmen, die Sicherheit, Trost und Stärke vermitteln (z.B. Symbole, Zitate aus religiösen Schriften, bedeutsame Sätze oder Helden aus der Literatur, Metaphern, einfache Atemübungen) • “Ankerung” von eigenen Erfahrungen, in denen der Betroffene in der Vergangenheit ein Gefühl von Stärke erlebt hat (z.B. Situationen aus der Lebensgeschichte) • kurze Atemübungen 17 STUDIE VON FOA ET AL. (1991) ZUR KOGNITIVEN VERHALTENSTHERAPIE BEI PATIENTEN MIT PTSD Fragestellung: Unterscheidet sich die Wirksamkeit verschiedener Behandlungsformen bei der Therapie der PTSD? Methode: 45 Pat. mit PTSD (Opfer sexueller oder nicht-sexueller Angriffe) wurden behandelt mit (a) ausgedehnter Konfrontationstherapie, (b) Angstmanagementtraining, (c) stützende Beratung; ferner (d) Wartekontrollgruppe; Trauma lag mind. 3 Monate zurück. Erhobene Variablen: Symptome der PTSD. Ergebnisse: (a und b) > (c und d); katamnestische Daten belegen klare Vorteile der Konfrontationstherapie. THERAPIE DER PTSD DURCH EMDR [EYE-MOVEMENT DESENSITIZATION AND REPROCESSING] 1989 durch Francine Shapiro erstmals beschrieben; seither mehrere Arbeiten dazu sowie ein ausführliches Buch (1995). anfangs aufsehenerregende Behandlungserfolge mit PTSD-Patienten beschrieben in nur wenigen Sitzungen (meist zwischen 1 und 6 Std.). Zufallsbeobachtung von Shapiro: beim Ausführen schneller, ruckartiger (sakkadischer) Augenbewegungen schwächen sich negative Erinnerungsbilder und Gefühle ab. Grundprinzip: Pat. konzentriert sich auf eine traumatische Erinnerung und die damit verbundenen Gedanken und Gefühle, während gleichzeitig rhythmische Augenbewegungen induziert werden. nach Shapiro: etwa 50% aller PTSD-Patienten können mit EMDR erfolgreich behandelt werden; erforderlich ist ein gezieltes Training, da bei inkompletter Anwendung die Gefahr besteht, dass die Behandlung zu einer erneuten Traumatisierung führt. Die 8 Behandlungsphasen der EMDR (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) Anamnese und Behandlungsplanung (client history) Vorbereitung (preparation) Einschätzung (assessment) Desensibilisierung (desensitization) Einsetzen eines positiven Gedankens (installation phase) Überprüfung der Körperempfindungen (body scan) Abschluss (closure) Neubewertung (re-evaluation) EMDR: Theoretische Erklärungsansätze Ablenkung … durch die Augenbewegungen oder andere Tätigkeiten, so dass die Angstreaktion geschwächt wird Exposition … in dosierter Form Erwartung … durch Entscheidung, sich so behandeln zu lassen Spezifische Wirkung von Augenbewegungen … auf Funktionszustand des ZNS (z.B. auf synaptischer Ebene) Kontrollerleben … durch gewolltes Hervorrufen und Beenden der Erinnerungen Coping … durch positive Vorsätze Kognitive Faktoren … durch Identifikation von negativen Selbsteinschätzungen und Entwicklung positiver Erwiderungen Induzierter Trancezustand … in dem selbstformulierte Suggestionen akzeptiert werden Beachten von Körperempfindungen … und Differenzierung zu Gefühlen sowie Beachten von Veränderungen Unterbrechung eines stereotypen Musters … das durch die traumatische Erinnerung ausgelöst wird Entspannung … durch Augenbewegungen ausgelöst 18 Untersuchungen zu Wirkkomponenten der EMDR mehrere Komponenten spielen bei der EMDR eine Rolle, z.B.: (1) Konfrontation mit traumatischen Vorstellungsbildern; (2) Konfrontation mit negativen Gedanken; (3) Einüben adaptiver Kognitionen; (4) schnelle Augenbewegungen; (5) aktive, auf ein Objekt gerichtete visuelle Aufmerksamkeit; (6) Beenden von Gedanken und Vorstellungsbildern; (7) tiefes Durchatmen beim Ende jeder Serie. EMDR scheint etwas wirksamer zu sein als reine imaginative Konfrontation ohne Augenbewegungen (z.B. Boudewyns et al. 1993; Vaughan et al. 1994). Augenbewegungen scheinen gleich wirksam zu sein wie andere perzeptiv-motorische Aufgaben (z.B. Handbewegungen, Fixierung eines nahegelegenen Lichtpunkts, Verfolgen eines sich bewegenden Geräuschs, Blick auf die im Schoß ruhenden Hände, Tippen mit dem Zeigefinger auf eine Tischplatte; vgl. zusammenfassend Eschenröder 1995). durch Augenbewegungen wird offenbar die Lebendigkeit und Emotionalität von Vorstellungsbildern reduziert, mehr als durch Tippen mit den Fingern (Andrade et al. 1997). METAANALYSE ZUR BEHANDLUNG DER PTSD (VAN ETTEN & TAYLOR 1998) Fragestellung: Welche Therapien sind wie wirksam? Methode: 41 publizierte Arbeiten aus den Jahren 1984-96 ausgewählt mit 65 auswertbaren Therapien; darunter 39 Arbeiten mit 61 Therapien chronischer PTSD [2 Arbeiten mit 4 Therapien akuter PTSD nicht ausgewertet, da sehr große Effekte, die vermutlich zum Großteil den Spontanverlauf reflektieren] Einschlusskriterien: (1) PTSD nach DSM-III, DSM-III-R oder DSM-IV mit klinischen Interviews diagnostiziert; (2) ≥ 5 Patienten in jeder Therapieform; (3) Effektstärken zu berechnen; (4) Outcomemaße in ≥ einer der folgenden Variablen: Intrusionen, Vermeidung, PTSD-Schweregrad, Depression, Angst; (5) Outcomemaße ausreichend reliabel und valide Arten der durchgeführten Therapien: 19 Therapien mit Psychopharmaka: 6x trizyklische AD, 1x Carbamazepin, 7x MAO-Hemmer, 1x Benzodiazepine, 4x SSRI 13 Therapien mit VT/KVT: 11x Exposition, darunter 4x in-sensu-Exposition, 7x in-sensu- plus invivo-Exposition, 3x mit Angstimpfungstraining 11 Therapien mit EMDR 3 andere Therapien: 1x Biofeedback-unterstützte Entspannung; 1x Hypnotherapie, 1x psychodynamisch 15 Kontrollgruppen: 4x Tablettenplacebo, 5x Warteliste, 1x nicht-sakkadische Augenbewegungen, 5x supportive Psychotherapie Ergebnisse #1: Therapieeffekte [Tab. 2 und 3 der Originalarbeit] • Dropouts: PHARMA > [PSYCHO = KONTROLL] • Intrusionen (selbstbeurteilt): [PSYCHO = PHARMA] [PSYCHO > KONTROLL] [PHARMA = KONTROLL] • Intrusionen (fremdbeurteilt): [PSYCHO = PHARMA] > KONTROLL • Vermeidung (selbstbeurteilt): PSYCHO > PHARMA > KONTROLL • Vermeidung (fremdbeurteilt): [PSYCHO = PHARMA] > KONTROLL • PTSD-Symptome (selbstbeurteilt): PSYCHO > PHARMA > KONTROLL • PTSD-Symptome (fremdbeurteilt): PSYCHO > PHARMA > KONTROLL • Angst (selbstbeurteilt): PSYCHO > PHARMA > KONTROLL • Angst (fremdbeurteilt): PSYCHO > PHARMA > KONTROLL • Depression (selbstbeurteilt): [PSYCHO = PHARMA] > KONTROLL • Depression (fremdbeurteilt): PHARMA > KONTROLL • Generell: PSYCHO > PHARMA > KONTROLL 19 Ergebnisse #2: Follow-up [Tab. 4 und 5 der Originalarbeit] • nicht erhoben bei Pharmakotherapien und Kontrollgruppen • Effekte bei VT/KVT und EMDR blieben erhalten Therapie Zahl Dropouts Studien (%) Intrusionen (S) Intrusionen (F) Vermeidung (S) Vermeidung (F) PTSD-Sx. (S) PTSDSx. (F) TZA 6 26.4 0.64 0.46 0.35 0.55 0.54 0.86 Carbam. 1 9.0 1.53 - 0.52 - 0.93 1.45 MAOH 7 36.4 0.64 - 0.40 - 0.61 0.92 SSRI 4 36.0 1.71 1.28 0.92 1.37 1.38 1.43 Benzos 1 38.0 0.51 0.66 0.16 0.32 0.49 0.54 Med. insg. 19 31.9 0.86 1.01 0.45 1.00 0.69 1.05 VT 13 15.1 1.12 1.76 1.12 1.45 1.27 1.89 EMDR 11 14.4 1.12 1.39 1.27 2.01 1.24 0.69 Entsp. 1 8.0 0.54 - 0.46 - 0.45 - Hypnose 1 11.0 1.06 - 0.80 - 0.94 - Dynam. 1 11.0 0.70 - 0.64 - 0.90 - PT insg. 27 14.0 1.02 1.57 1.03 1.74 1.17 1.51 Tbl. Plac. 4 23.0 0.48 - 0.07 - 0.51 0.77 WLC 5 6.2 0.32 0.74 0.21 0.22 0.44 0.75 Supportiv 5 20.5 0.95 0.53 0.77 0.09 0.34 0.92 KG insg. 14 16.6 0.49 0.66 0.23 0.17 0.43 0.77 F = Fremdbeurteilt; S = Selbstbeurteilt 20 COCHRANE-REVIEW VON BISSON & ANDREW (2006): PSYCHOLOGICAL TREATMENT OF POST-TRAUMATIC STRESS DISORDER (PTSD) Auswahl der Studien: Alle RCTs zur psychologischen Behandlung von PTSD bis Oktober 2004 Interventionsformen: TFCBT = Trauma-focused cognitive behavioral therapy/exposure therapy SM = Stress management other = supportiv, non-direktiv, psychodynamisch, Hypnotherapie group CBT = group cognitive behavioral therapy EMDR Datenbasis: 33 Therapiestudien (23 USA, 2 Australien, 3 UK, 2 NL, 1 D, 2 CAN); 6 Studien mit Vietnamveteranen, 12 mit weiblichen Gewaltopfern, 2 mit Verkehrsunfallopfern, 1 mit Flüchtlingen, 1 mit Polizisten und 11 mit gemischter Patientengruppe Ergebnisse: 1. [TFCBT = SM] > [Warteliste, TAU, other] 3. [group CBT] > [other] 4. [other] = [Warteliste, TAU] 4. [EMDR = TFCBT/SM] > [Warteliste, TAU, other] 21 Authors' implications for practice: 1. Psychological treatment can reduce traumatic stress symptoms in individuals with PTSD. 2. Trauma focused cognitive behavioural therapy and EMDR have the best evidence for efficacy at present and should be made available to PTSD sufferers. 3. There is some limited evidence that stress management is effective. 4. There is more limited evidence that other non trauma focused psychological treatments are effective. 5. Drop-out from treatment is an issue with currently available psychological treatments. Authors' implications for research: 1. Further well-designed trials of psychological treatments are required. 2. Large EMDR trials are required. 3. There is a requirement for further comparison studies of one type of psychological treatment against another. 4. Future trials should consider adverse events and tolerability of treatment in more detail. 5. The role of psychological treatment in combination and as an alternative to medication is unclear. Further research in this area would be useful. 22 PSYCHISCHE FOLGEN VON VERKEHRSUNFÄLLEN Malt (1988): Längerdauernde psychische Störungen bei 20-30% der verletzten Pat.; v.a. PTSD, Angststörungen, depressive Störungen, organisch bedingte psychische Störungen, phobische Reiseängste. Frommberger et al. (1997): Alkohol- und Drogenkonsum stellt häufige Ursache dar; ~ 25% aller Unfalltoten und ~ 10% aller Unfälle werden auf Substanzmissbrauch zurückgeführt; v. a. junge Männer und Problemtrinker; oft geringe Bereitschaft, das eigene Konsumverhalten nach dem Unfall zu ändern. Häufigkeit eines PTSD-Vollbilds als Unfallfolge (nur prospektive Studien berücksichtigt): Studie N Untersuchungszeitpunkt Volle PTSD Feinstein & Dolan (1991) 48 6 Monate 16% Mayou et al. (1998) 188 1 Jahr 11% Frommberger et al. (1998) 192 6 Monate 18% Häufigkeit einer subsyndromalen PTSD: N Untersuchungszeitpunkt Subsyndromale PTSD Mayou et al. (1998) 188 1 Jahr ~ 7% Frommberger et al. (1998) 192 6 Monate 33% Studie ÄNGSTE UND PHOBIEN ALS FOLGE VON VERKEHRSUNFÄLLEN • • Spezifische Phobie, deren Beginn und Inhalt auf einen Unfall bezogen sind; Angstsymptome und Vermeidungsverhalten beziehen sich auf die Befürchtung, erneut einen Unfall zu erleiden Typische Formen von Vermeidungsverhalten: [a] sehr vorsichtige Fahrweise (z.B fährt sehr langsam, bleibt vor grüner Ampel oder auf Kreuzung stehen auch bei Vorfahrt) [b] nur unbedingt notwendige Fahrten werden unternommen (z.B. verzichtet auf Freizeitaktivitäten) [c] keine Fahrten bei bestimmten Bedingungen (z.B. Nässe, Nacht, Schnee) [d] Versuche, sich während der Fahrt abzulenken (z.B. schließt die Augen, hört Musik) [e] ständiges Ermahnen und Warnen des Fahrers (als Beifahrer) Häufigkeit von Phobien und Ängsten (nur prospektive Studien berücksichtigt): Studie N Untersuchungszeitpunkt Phobien Mayou et al. (1998) 188 1 Jahr 15% Frommberger et al. (1998) 192 6 Monate sehr wenige manifeste Phobien, aber häufig einzelne phobische Symptome 23 PRÄDIKTOREN FÜR PTSD NACH VERKEHRSUNFÄLLEN [ leichter - mittlerer - starker Prädiktor für das Auftreten der PTSD und ihrer Chronifizierung] • Schwere des Traumas: Verletzungsgrad; nur einige der Insassen erlitten eine Verletzung; Bewusstlosigkeit durch den Unfall; andauernde körperliche Folgeschäden; andauernde finanzielle Probleme infolge des Unfalls • Vorbestehende Faktoren: Frauen; psychiatrische Vorgeschichte (insbesondere Persönlichkeits- und alkoholbezogene Störung) • Emotionale Reaktion während oder direkt nach dem Trauma: erlebte Lebensbedrohung; dissoziative Symptome • Kompensation (z.B. Versicherungsauszahlung): • Kognitive Variablen nach dem Trauma: negative Interpretationen von intrusiven Erinnerungen (z.B. “das zeigt, dass ich verrückt werde”); Versuch zur Unterdrückung der intrusiven Erinnerungen und Grübeln (z.B. “alles wäre anders gekommen wenn …” oder “warum ich”); Ärger [nach Ehlers et al. 1998] FRÜHE INTERVENTIONEN NACH TRAUMATISCHEN EREIGNISSEN Ziele von frühen Interventionen akute Symptomatik lindern Wahrscheinlichkeit einer späteren PTSD reduzieren gleichzeitig soll die Behandlung einer etwaigen spontanen Rückbildung der Symptomatik nicht im Wege stehen Behandlungsansätze Debriefing (z.B. CISM) KVT CRITICAL INCIDENT STRESS MANAGEMENT (CISM) NACH MITCHELL (1983), MITCHELL & EVERLY (1997) • • • Mehrstufiges System von Interventionsmöglichkeiten und -techniken Kombination von präventiven und nachsorgenden Maßnahmen Schulung und Ausbildung (präventiv) Individuelle Krisenintervention Defusing Debriefing Familien-/Organisationsunterstützung Nachsorge/Überweisung Es handelt sich nicht um therapeutische Maßnahmen Ziele des CISM • • • • • • • allen Betroffenen das häufig empfundene Gefühl der «Einzigartigkeit» (uniqueness) nehmen «Normalisierung» der als außergewöhnlich («nicht normal») empfundenen Erfahrung und Reaktion Herstellung des gleichen, möglichst vollständigen Informations- und Wissensstandes bei allen Beteiligten Reaktivierung der durch das Ereignis beeinträchtigten kognitiven Funktionen und Prozesse Informationsvermittlung über Maßnahmen zur Stressbewältigung und über evtl. noch zu erwartende Reaktionen und Symptome Einschätzung der Notwendigkeit weiterer Unterstützung/ Maßnahmen Herstellung persönlicher Kontakte zu geschultem Personal und der Bereitschaft zur Inanspruchnahme weiterer Hilfe 24 Individuelle Krisenintervention 1. Einzelintervention vor Ort nach dem sog. SAFER-Modell Stabilisierung/Stimulationsreduktion (Reduktion der unmittelbaren Sinneseindrücke) Akzeptieren der Krise (Ereignis, Empfindungen, Gefühle schildern lassen) Falsche Bewertung der Reaktionen korrigieren (als verständlich und normal bezeichnen) Ermutigen/Erklären von Stress und Stressreaktion Rückführung in Tätigkeit/Aufgabe oder Einleitung weiterer Maßnahmen 2. nach Ereignisende: je nach Zeitpunkt Intervention in Anlehnung an Defusing, Debriefing oder Therapie DEBRIEFING • • • • • • • • überwiegend kognitive Bewältigungsmechanismen müssen bereits greifen 72 Std. bis max. 4 Wochen nach dem Ereignis/Einsatzende (in der Regel 6-10 Tage danach) Gruppengröße 4-20 Teilnehmer Gruppen sollten möglichst homogen sein Leitung durch erfahrene, ausgebildete Person Mitwirkung von «Peers» ist obligatorisch Dauer 2,5-3 Std. (sollte nie unter Zeitdruck erfolgen!) anschließend informelles Beisammensein Debriefing: Die Phasen des Prozesses Faktenphase Gedankenphase Reaktionsphase Symptomphase Informationsphase Wiedereingliederungsphase Debriefing: Einführung Vorstellung des Teams Anlass und Zweck: (a) kompletter und einheitlicher Kenntnisstand, (b) Reden über Erlebtes, Gedanken und Gefühle erleichtert! individuell unterschiedliche Reaktionen Vergleich „seelische“ und „körperliche“ Verwundung „Abwehrkräfte“ und „Heilung“ individuell unterschiedlich erfahrungsgemäß bewältigen es etwa 2/3 alleine bei etwa 1/3 auch Tage, Wochen oder Monate später noch ungewohnte Reaktionen oder Veränderungen möglich dann psychische Störungen bzw. Erkrankungen möglich, evtl. Berufs- und Erwerbslosigkeit (PTSD) strukturiertes Gruppengespräch, keine Therapie und keine Untersuchung; gemeinsame gegenseitige Hilfe Debriefing: Regeln • • • • • • • • • strikte Vertraulichkeit - jeder spricht nur für sich niemand wird zum Reden gezwungen keine Aufzeichnungen niemand sollte den Raum verlassen Dienstgrade/Funktionen sind bedeutungslos keine Kritik an Personen oder operationellen Aspekten belastende (juristisch relevante) Aussagen vermeiden Fragen sind jederzeit möglich keine Pausen, Handies, kein Essen 25 Debriefing: Die Phasen Faktenphase (alle der Reihe nach) Name, Funktion und was haben Sie gesehen, gehört, gerochen und getan? • oder: • Wann, wo und wie haben Sie von dem Ereignis erfahren und was haben Sie dann getan? Gedankenphase (alle der Reihe nach) Welche Gedanken sind Ihnen während des Ereignisses/ Einsatzes und danach bis jetzt durch den Kopf gegangen/ lassen Sie nicht mehr los? Reaktionsphase (offen) Was war das Schlimmste für Sie? • oder: • Lassen Sie das ganze Ereignis wie einen Film vor Ihrem geistigen Auge ablaufen. Welche Sequenz würden Sie am liebsten herausschneiden und warum? Symptomphase (offen) Welche Reaktionen oder Veränderungen haben Sie während oder nach dem Ereignis/Einsatz bei sich (noch) festgestellt? Informationsphase (Team) Weitere Reaktionen auch nach Wochen oder Monaten noch möglich (Beispiele) • jeder ist nicht der einzige • normale Reaktionen normaler Menschen auf nicht normale Situation • Verhalten subjektiv richtig - keine Schuldgefühle • unterschiedliche Reaktionsverläufe • Verhaltensempfehlungen • weitere Hilfe anbieten Wiedereingliederungsphase (Team) Zusammenfassung (chronologisch oder inhaltlich strukturiert) • Ziele, Pläne, Perspektiven, Positives?! BUNDESVEREINIGUNG STRESSBEARBEITUNG NACH BELASTENDEN EREIGNISSEN E.V. • • • Einzel- und Gruppengesprächstechniken für Einsatzkräfte (u.a. Rettungsdienste, Feuerwehren, Katastrophenschutz, Polizei), die beruflich bedingt einer potentiell traumatisierenden Situation ausgesetzt waren. SbE soll den Teilnehmern die Möglichkeit geben, das Erlebte zu verarbeiten und die Entwicklung einer PTSD zu verhindern. Mehrphasiges Vorgehen: Einsatzabschluss (Demobilization) => Kurzbesprechung (einige Stunden nach dem Einsatz) => Debriefing (nach einigen Tagen in geordnetem Setting). DEBRIEFING: ÜBERBLICK ÜBER KONTROLLIERTE THERAPIESTUDIEN • • • Debriefing wird von den meisten Betroffenen als hilfreich wahrgenommen (Carlier et al., 2000; Hytten & Hasle, 1989) Literaturüberblick von Michael et al. (2005): Kurzfristig positives Behandlungsergebnis bei nur 3 von 11 Studien; langfristig jedoch eher schädliche Effekte, da erhöhte Raten für eine spätere PTSD (auch Rose & Bisson, 1998; Rose et al., 2002; van Emmerik et al., 2002) Metaanalyse von Mitte et al. (2005): Effektstärke für Debriefing nahe Null sowohl für die PTSDSymptomatik als auch für Angst- und depressive Symptomatik 26 COCHRANE-REVIEW VON ROSE ET AL. (2006): PSYCHOLOGICAL DEBRIEFUNG FOR PREVENTING POST-TRAUMATIC STRESS DISORDER (PTSD) Ergebnisse des Cochrane-Reviews von Rose et al. (2006) Auswahl der Studien: Alle RCTs zum Debriefing Interventionsform: 1 Session Debriefing bei Personen im Alter von 16 oder mehr ≤ 4 Wochen nach einem traumatischen Erlebnis Datenbasis: 15 Therapiestudien (7 UK, 1 Irland, 1 NL, 5 Australien, 1 USA) Outcomemaße: PTSD-Symptomatik, allgemeine Psychopathologie, Depression, Ängstlichkeit, psychische Störungen, Abbruch der Behandlung, allgemeines Funktionsniveau Ergebnisse: 1. D. (im Vergleich zu Kontrollgruppen) verhinderte nicht den Beginn einer PTSD und verminderte auch nicht die psychische Belastung. 2. In einer Studie bestand 1 Jahr später ein signifikant erhöhtes Risiko für PTSD bei D.Behandelten (OR 2,51). 3. Keine Hinweise, dass D. die allgemeine psychische Morbidität, Depressivität und Ängstlichkeit reduzierte. 4. D. war nicht besser als Edukation. Authors' conclusions: "There is no evidence that single session individual psychological debriefing is a useful treatment for the prevention of post traumatic stress disorder after traumatic incidents. Compulsory debriefing of victims of trauma should cease. A more appropriate response could involve a ’screen and treat’ model (NICE 2005)." Authors' implications for research: 1. Nichts ist bekannt über die Wirkung von D. auf Personen, die vor dem Trauma bereits an einer psychischen Störung gelitten hatten, da diese Personen aus allen Studien ausgeschlossen wurden. 2. Weitere Studien sind dringend nötig, v.a.: (a) D. bei Einsatzkräften; (b) Wirkung von Gruppen- vs. Einzel-D.; (c) D. bei Massenkatastrophen/-traumata. 3. Es sollte die Wirksamkeit von D. auf Populationen mit erhöhtem PTSD-Risiko untersucht werden. 4. Es gibt erste Hinweise, dass stärker formalisierte Interventionen über einen längeren Zeitraum und für Personen mit erkennbarer Belastung hilfreich sind. 27 FRÜHE INTERVENTIONEN MIT METHODEN DER KVT • • • mehrere Studien mit guten Behandlungsergebnissen Behandlungsbeginn in den Studien 24 Std. bis einige Monate nach dem Trauma Ziele: Linderung akuter Symptomatik, Prävention einer PTSD, z. T. auch frühzeitige Behandlung der PTSD BRYANT RA, MOULDS ML, NIXON RV: COGNITIVE-BEHAVIOR THERAPY OF ACUTE STRESS DISORDER: A FOUR YEAR FOLLOW-UP. BEHAVIOUR RESEARCH AND THERAPY, 2003, 41, 489-494. Therapieelemente des Behandlungsprogramms: Aufklärung über normale Trauerreaktionen Atmungs- und progressives Muskelentspannungstraining Üben von positiven Selbstgesprächen, um angsterregende Situationen zu meistern 50-minütiges Widererleben des traumatischen Erlebnisses in sensu Kognitive Umstrukturierung der angstbezogenen Gedanken Graduierte Konfrontation mit vermiedenen Situationen in vivo Graduierte Konfrontation in vivo bei Vermeidung trauma-relevanter Reize Stichprobe N = 80 Opfer von Verkehrsunfällen und nicht-sexuellen Überfällen mit ASD Design RCT; I = KVT, II = unterstützende Beratung Instrumente IES, STAI, BDI Zeit seit Trauma 2 Wochen Intervention 5 wöchentliche Sitzungen à 90 min. PTSD-Fälle beim Follow-up I: Completer 8%, ITT 30% II: Completer 25%, ITT 33% Weitere Ergebnisse Unter I Intensität und Häufigkeit von Vermeidungsverhalten, Intensität physiologischer Erregung ITT: Intention-to-treat-Analyse 28 EHLERS A, CLARK DM, HACKMANN A, MCMANUS F, FENNELL M, HERBERT C, MAYOU R: A RANDOMIZED CONTROLLED TRIAL OF COGNITIVE THERAPY, A SELF-HELP BOOKLET, AND REPEATED ASSESSMENTS AS EARLY INTERVENTIONS FOR POSTTRAUMATIC STRESS DISORDER. ARCHIVES OF GENERAL PSYCHIATRY, 2003, 60, 1024-1032. Therapieelemente des Behandlungsprogramms: Aktivierung der traumatischen Situation in sensu Modulierung übermäßig negativer Bewertung trauma-relevanter Reize Aufhebung autobiographischer Gedächtnisstörungen Behebung ineffektiver Verhaltensweisen und Kognitionen Stichprobe N = 85 Verkehrsopfer auf Notfallstationen mit PTSD nach DSM-IV und PDS-Wert ≥ 20 Design RCT; I = KVT, II = Selbsthilfeheft , III = wiederholte Diagnostik Instrumente PDS, SDS, BDI, BAI Zeit seit Trauma < 6 Monate Intervention 12 wöchentliche Sitzungen und ≤ 3 Booster-S. PTSD-Fälle PostTreatment I: Completer 21%, ITT 21% II: Completer 76%, ITT 79% III: Completer 70%, ITT 72% PTSD-Fälle beim 6-Monats-Follow-up I: Completer 11%, ITT 11% II: Completer 56%, ITT 61% III: Completer 54%, ITT 55% WEITERE STUDIEN SIND IN BESCHRIEBEN BEI: Michael, T., Munsch, S., Lajtman, M. (2006). Kognitiv-verhaltenstherapeutische Frühinterventionsverfahren nach Traumatisierung: Übersicht und Evaluation. Verhaltenstherapie, 16, 283-292. OFFENE FRAGEN ZUR KVT Effekte auf Depressivität noch inkonsistent Optimaler Zeitpunkt für Behandlungsbeginn noch unklar Müssen Opfergruppen unterschieden werden mit unterschiedlichem Behandlungsschwerpunkt? 29 EINIGE LITERATURHINWEISE ZUR PTSD Boos, A. (2005). Kognitive Verhaltenstherapie nach chronischer Traumatisierung. Ein Therapiemanual. Göttingen, Hogrefe Ehlers, A. (1999). Posttraumatische Belastungsstörung. Göttingen: Hogrefe Everly, G.S., Mitchell, J.T. (2002). CISM - Stressmanagement nach kritischen Ereignissen. Wien: Facultas Foa, E.B., Rothbaum, B.O. (1998). Treating the Trauma of Rape. Cognitive - Behavior Therapy for PTSD. New York: Guilford Horowitz, M.J. (1997). Stress Response Syndromes. PTSD, Grief, and Adjustment Disorders. Northvale NJ: Jason Aronson Janoff-Bulman, R. (1992). Shattered Assumptions: Toward a new Psychology of Trauma. New York: Free Press Reemtsma, J.P. (1997). Im Keller. Hamburg: Hamburger Edition [STAND: SS 2011]