Ursprung und Wesen des Hegelschen Geistbegriffs Michael N. Forster Der Begriff des Geistes spielt eine zentrale, oder gar dominierende Rolle in Hegels Philosophie. Dieser Begriff scheint mir aber sowohl seinem Urprung als auch seinem Wesen nach anders zu sein, als man gewöhnlich annimmt. Ich möchte hier deshalb versuchen, dessen Ursprung und Wesen etwas aufzuklären. * Fangen wir mit dessen Wesen an. Hegels Begriff des Geistes kommt mir in der Tat äußerst eigentümlich und radikal vor. Worin bestehen die betreffenden Eigentümlickeit und Radikalität? Vor allem in den folgenden sieben Charakteristiken: 1. Bekanntlich identifiziert Hegel Geistigkeit als die differentia des Menschen gegenüber dem bloß Materiellen, Pflanzen und Tieren. Aber er unterscheidet auch drei Arten von Geistern: den subjektiven Geist (d.h. das menschliche Individuum), den objektiven Geist (d.h. die Gesellschaft) bzw. den Volksgeist (d.h. ungefähr denselben aber geschichtlich 1 betrachtet), und den absoluten Geist (d.h. Gott). Nach Hegels Auffassung bilden diese eine Art Stufenleiter, worauf die jeweils niedrigere Stufe implizit der nächstliegenden höheren notwendig zugehört (was aber die umgekehrten Abhängigkeiten nicht ausschließt). 2. Weniger bekanntlich vertritt Hegel eine ganz eigentümliche allgemeine Theorie über die Natur des Geistes. Hegel ist bestimmt kein Dualist, wie sowohl die meisten Aufklärer als auch gewissermaßen Kant und Fichte es gewesen waren, und wofür ihn manche, z.B. Karl Marx, fälschlich gehalten haben. Er ist nicht einmal nur der etwas radikaleren Meinung, daß der Geist zwar den Körper und dessen Verhalten zum Teil transzendiere aber auch als wesentlichen Bestandteil mit einschliesse – eine Auffassung, die z.B. Charles Taylor ihm manchmal zuzuschreiben scheint (besonders im Hinblick auf den absoluten Geist).1 Nein, Hegel ist im Grunde genommen (d.h. abgesehen von gewissen eher bescheidenen Einschränkungen) der noch radikaleren Meinung, daß der Geist mitsamt seinen Zuständen aus körperlichem Verhalten bestehe.2 Mit anderen Worten: er 1 Siehe C. Taylor, Hegel (Cambridge: Cambridge University Press, 1975). Einige Stichwörter bei Taylor, die diese Interpretation verraten: "expressivism," "vehicle," "embodiment," "englobe." (Wie wir weiter unten sehen werden, träfe Taylors Charakterisierung besser auf Herder als auf Hegel zu.) 2 Die erwähnten Einschränkungen haben vor allem mit dem Folgenden zu tun: (a) dem vorhin besprochenen notwendigen Eingebettetsein vom einen Niveau des Geistes in das nächstliegende andere, z.B. vom subjektiven Geist (dem menschlichen Individuum) in den objektiven Geist (die Gesellschaft); (b) gewissen logischen Eigentümlichkeiten von Hegels Identitätsbegriff: für Hegel kann es sich hier nicht um eine schlichte Identität handeln, sondern nur um eine "Identität der Identität und Nicht-Identität" (s., z.B., G.W.F. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, in Werke, hrsgb. E. Moldenhauer und K.M. Michel [Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1986], Bd. 8-10, Par. 50, 573: vgl. zu diesem Thema M.N. Forster, Hegel's Idea of a "Phenomenology of Spirit" [Chicago: University of Chicago Press, 1998], 199-204); (c) einer scharfen Unterscheidung – aber auch Verträglichkeit – zwischen bloß kausaler bzw. konstitutiver 2 vertritt eine Art Behaviorismus avant la lettre. Darum behauptet er in dem Kapitel der Phänomenologie des Geistes (1807) zu "Physiognomik und Schädellehre" unter expliziter Ablehnung nicht nur von dualistischen Auffassungen des Geistigen, sondern auch von gröberen materialistischen Auffassungen, die den Geist und dessen Zustände mit einem bestimmten Körperteil (z.B. dem Gesicht, dem Schädel oder dem Gehirn) und dessen Zuständen identifizieren: "Das wahre Sein des Menschen ist vielmehr seine Tat; in ihr ist die Individualität wirklich, und sie ist es, welche das Gemeinte in seinen beiden Seiten [d.h. als etwas unaussprechlich Inneres und als ein leibliches ruhendes Sein – M.N.F.] aufhebt . . . Die Tat . . . ist Mord, Diebstahl oder Wohltat, tapfere Tat usf., und es kann von ihr gesagt werden, was sie ist. Sie ist dies, und der individuelle Mensch ist, was sie ist."3 Ähnlicherweise leugnet Hegel in der endgültigen Fassung der Enzyklopädie (1830), daß der Geist trennbar vom Körper oder überhaupt ein Ding sei,4 und er behauptet im Gegenteil: "Der Mensch, wie er äußerlich, d.i. in seinen Handlungen (freilich nicht in seiner nur leiblichen Äußerlichkeit [z.B. Gesicht, Schädel oder Gehirn – M.N.F.]) [ist], ist er innerlich";5 "Die Bestimmtheit des Geistes ist . . . die Manifestation. Er ist nicht irgendeine Bestimmtheit oder Inhalt, dessen Äußerung oder Äußerlichkeit nur davon unterschiedene Form wäre; so daß er nicht etwas offenbart, sondern seine Erklärung einerseits und höherer teleologischer Erklärung andererseits (s., z.B., Enzyklopädie, Par. 389); (d) dem wesentlichen Setzen eines gewissen Gegensatzes zwischen Subjekt und Objekt vom Standpunkt des Geistes selbst (s., z.B., ibid., Par. 381 Zusatz, 415). 3 G.W.F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, in Werke, 3:242-3 (gewisse Hervorhebungen hier und in manchen anderen Zitaten von mir weggelassen). Vgl. Grundlinien der Philosophie des Rechts, in Werke, Bd. 7, Par. 124, 343: "Was das Subjekt ist, ist die Reihe seiner Handlungen"; "Die Geschichte des Geistes ist seine Tat, denn er ist nur, was er tut." 4 Enzyklopädie, in Werke, Bd. 8-10, Par. 378, 389. 5 Ibid., Par. 140. 3 Bestimmtheit und Inhalt ist dieses Offenbaren selbst. Seine Möglichkeit ist daher unmittelbar . . . Wirklichkeit . . . Das Sichselbstoffenbaren ist . . . selbst der Inhalt des Geistes und nicht etwa nur eine äußerlich zum Inhalt desselben hinzukommende Form; durch seine Offenbarung offenbart folglich der Geist nicht einen von seiner Form verschiedenen Inhalt, sondern seine, den ganzen Inhalt des Geistes ausdrückende Form, nämlich seine Selbstoffenbarung. Form und Inhalt sind also im Geiste miteinander identisch. Gewöhnlich stellt man sich allerdings das Offenbaren als eine leere Form vor, zu welcher noch ein Inhalt von außen hinzukommen müsse, und versteht dabei unter Inhalt ein Insichseiendes, ein Sich-in-sich-Haltendes, unter der Form dagegen die äußerliche Weise der Beziehung des Inhalts auf Anderes. In der spekulativen Logik wird aber bewiesen, daß in Wahrheit der Inhalt nicht bloß ein Insichseiendes, sondern ein durch sich selbst mit Anderem in Beziehung Tretendes ist, wie umgekehrt in Wahrheit die Form nicht bloß als ein Unbeständiges, dem Inhalte Äußerliches, sondern vielmehr als dasjenige gefaßt werden muß, was den Inhalt zum Inhalt, zu einem Insichseienden, zu einem von Anderem Unterschiedenen macht. Der wahrhafte Inhalt enthält also in sich selbst die Form, und die wahrhafte Form ist ihr eigener Inhalt. Den Geist aber haben wir als diesen wahrhaften Inhalt und als diese wahrhafte Form zu erkennen."6 3. Noch weniger bekanntlich hält Hegel dafür, daß dieses Konstituieren vom Geist bzw. Geisteszustand durch des Subjekts Verhalten immer (mit einer einzigen bald zu identifizierenden Ausnahme) ein radikal revidierbares bleibe, daß auch ein angeblich "schon" konstituierter Geist bzw. Geisteszustand in der Tat immer durch weiteres 6 Ibid., Par. 383. 4 Verhalten im nachhinein umgestaltet werden könne. Es handelt sich hier wohlgemerkt nicht bloß um eine biedere, leicht zu verstehende ewige Revidierbarkeit von Urteilen über vergangenes Geistiges oder von vergangenem Geistigem für die Zukunft,7 sondern um eine weitaus radikalere, paradoxere Revidierbarkeit vom "vergangenen" Geistigen selbst als solchem. (Gerade so konzipiert es Hegel wenigstens. Aber wenn das zu paradox klingt, um überhaupt ernstgenommen zu werden, könnte man es vielleicht philosophisch salonfähiger machen, indem man es etwa folgendermaßen umschreiben würde: Urteile über Geister bzw. Geisteszustände haben zwar Behauptungsbedingungen [assertibilityconditions], die gänzlich aus körperlichem Verhalten bestehen, jedoch keine Wahrheitsbedingungen [truth-conditions].) Dementsprechend schreibt Hegel in dem Kapitel der Phänomenologie über "Physiognomik und Schädellehre": "Das Sein des Geistes kann . . . nicht als so etwas schlechthin Unverrücktes und Unverrückbares genommen werden. Der Mensch ist frei . . . die Freiheit des Individuums und die entwickelnden Umstände [sind] gleichgültig gegen das Sein überhaupt . . . das Individuum [kann] auch etwas anderes sein . . . , als es innerlich ursprünglich . . . ist."8 Diese Hegelsche These impliziert, daß der Geist bzw. Geisteszustand nur unter einer einzigen Bedingung einen fixen Charakter erhalte, nämlich nachdem das betreffende Subjekt gestorben ist und deshalb nicht mehr handeln kann. Demgemäß stimmt Hegel in demselben Kapitel der Phänomenologie im Hinblick auf den subjektiven Geist Solon zu, "der erst aus und nach dem Verlaufe des ganzen Lebens [die bestimmte Individualität] 7 A. MacIntyre, "Hegel on Faces and Skulls," in seinem Hegel: A Collection of Critical Essays (Notre Dame: University of Notre Dame Press, 1976), scheint Hegels Position im wesentlichen nur so zu verstehen. 8 Phänomenologie, in Werke, 3:255. Die Richtigkeit meiner radikalen Lesart dieser Bemerkungen – gegenüber möglichen zähmeren Lesarten, wie z.B. MacIntyres – wird von Hegels unmittelbar unten zu besprechenden Folgerungen aus denselben bestätigt. 5 wissen zu können erachtete."9 Demgemäß erklärt Hegel auch in einer berühmten Passage der Vorrede zu Grundlinien der Philosophie des Rechts, daß der objektive bzw. Volksgeist erst am Abend seines Lebens von der Philosophie erkannt werden könne: "Als der Gedanke der Welt erscheint [die Philosophie] erst in der Zeit, nachdem die Wirklichkeit ihren Bildungsprozeß vollendet und sich fertig gemacht hat [man bemerke hier Hegels vielsagende Zweideutigkeit! – M.N.F.] . . . Wenn die Philosophie ihr Grau in Grau malt, dann ist eine Gestalt des Lebens alt geworden . . . ; die Eule der Minerva beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug."10 Demgemäß behauptet Hegel auch letztlich in der Phänomenologie bezüglich des absoluten Geistes: "Es ist von dem Absoluten zu sagen, daß es wesentlich Resultat, daß es erst am Ende das ist, was es in Wahrheit ist."11 4. Hegels Ansicht nach ist der Geist nicht nur vom Körper und dessen Verhalten untrennbar, sondern auch innerlich einheitlich: es gebe keine scharfen Grenzen zwischen verschiedenen Geistesvermögen bzw. -tätigkeiten, z.B. zwischen Denken und Empfinden oder zwischen Erkennen und Wollen. Hegel vertritt diese Doktrin schon in der Jenaer Philosophie des Geistes (1803/4, 1805/6), sie spielt eine zentrale Rolle in der Phänomenologie (1807)12 und sie bleibt immer noch gültig für die letzte Ausgabe Enzyklopädie (1830).13 9 Werke, 3:237. Solons Idee war natürlich in Wahrheit ziemlich anders und weniger radikal; Hegel übt hier ein bißchen dichterische Freiheit. 10 Werke, 7:28. 11 Werke, 3:24. 12 Siehe Forster, Hegel's Idea of a "Phenomenology of Spirit," bes. 89-91. 13 S. z.B. Enzyklopädie, Par. 8, 379. Vgl. T. Bodammer, Hegels Deutung der Sprache (Hamburg: Felix Meiner, 1969), 28-9. 6 5. Hegel behauptet, daß der Geist von Hause aus und durchgängig begrifflich-sprachlich artikuliert sei, und daß dies ein Hauptgrund für das wesentliche Eingebettetsein des subjektiven Geistes in den objektiven Geist (d.h. in die Gesellschaft) darstelle, da die Sprache ihrem Wesen nach eine gesellschaftliche Leistung sei. Diese These tritt schon in der Jenaer Philosophie des Geistes (vor allem 1803/4 aber auch 1805/6) klar an den Tag, sie spielt eine zentrale Rolle in der Phänomenologie (1807),14 und sie bleibt für die letzte Ausgabe der Enzyklopädie (1830) immer noch in Kraft.15 6. Hegel hält dafür, daß der Geist wesentlich die charakterische dreifältige Struktur des Bewußtseins habe: eine Struktur, die Bewußtsein von einem Objekt, Selbstbewußtsein und Bewußtsein der eigenen Vorstellung des Objekts sowohl einschließt als auch voneinander unterscheidet. Diese Hegelsche Ansicht spielt eine wichtige Rolle in der Phänomenologie in bezug auf den subjektiven und den absoluten Geist.16 Und sie kommt auch in der Enzyklopädie vor.17 14 Siehe Forster, Hegel's Idea of a "Phenomenology of Spirit," bes. 83-4, 205-6. Auch Bodammer, Hegels Deutung der Sprache, bes. 90-2. 15 S. z.B. Enzyklopädie, Par. 396, 411, 444. Vgl. für die erste Hälfte der These – die Befürwörtung einer wesentlichen Begrifflich- und Sprachlichkeit des Geistes – die Vorrede zur zweiten Ausgabe der Wissenschaft der Logik (1832). 16 S. bes. Werke, 3:28, 38-9, 76-7. Vgl. Forster, Hegel's Idea of a "Phenomenology of Spirit," 116-19, 194-5. 17 Enzyklopädie, Par. 381 Zusatz, 415. (Insofern die Enzyklopädie eine Anthropologie als Bestandteil der Philosophie des Geistes vor ihrer Behandlung des Bewußtseins in einer Phänomenologie des Geistes enthält, könnte sie in dieser Hinsicht zweideutiger zu sein scheinen. Aber es darf nicht vergessen werden, daß die früheren Kapitel des Werkes offiziell nur von Abstraktionen der in späteren Kapiteln dargestellten Strukturen handeln, nicht von selbständigen Phänomenen [s., z.B., Par. 408 Zusatz].) 7 7. Schließlich behauptet Hegel auch, daß der Geist wesentlich Freiheit besitze. Zum Beispiel, er definiert "Geist" schon in der Phänomenologie als die "absolute Substanz, welche in der vollkommenen Freiheit und Selbständigkeit ihres Gegensatzes, nämlich verschiedener für sich seiender Selbstbewußtsein[e], die Einheit derselben ist."18 Es heißt später in der Enzyklopädie, Paragraph 382: "Das Wesen des Geistes ist . . . die Freiheit . . . Die Substanz des Geistes ist die Freiheit." Und wir lesen in den Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte: "Wie die Substanz der Materie die Schwere ist, so müssen wir sagen, ist die Substanz, das Wesen des Geistes die Freiheit."19 * Woher stammt Hegels Geistbegriff? John Findlay hat in seiner Einleitung zur Philosophie des Geistes der Enzyklopädie eine selbstbewußte, unzweideutige Antwort auf diese Frage geliefert, der manche anderen Kommentatoren zustimmen würden: "The notion of Geist . . . is of course central in Hegel. It is the lineal descendant of the Kantian Transcendental Unity of Self-consciousness and of the Absolute Ego of Fichte and Schelling. It also claims a collateral source in the Aristotelian nous which, in knowing the form of an object, thereby knows itself, and which, in its highest phases, may be described as a pure thinking of thinking. The Greek influence upon Hegel's thought is all-important from the 18 19 Werke 3:145. Werke 12:30. 8 beginning of the Jena period, but the roots of that thought remain Kantian and Fichtean."20 Diese Antwort klingt beim ersten Anhören plausibel, besonders wenn man seinen Gesichtskreis auf die Philosophie des Geistes der Enzyklopädie beschränkt. Dort identifiziert and lobt Hegel Aristoteles als seinen Hauptvorgänger im Fach: "Die Bücher des Aristoteles über die Seele mit seinen Abhandlungen über besondere Seiten und Zustände derselben sind . . . noch immer das vorzüglichste oder einzige Werk von spekulativem Interesse über diesen Gegenstand. Der wesentliche Zweck einer Philosophie des Geistes kann nur der sein, den Begriff in die Erkenntnis des Geistes wieder einzuführen, damit auch den Sinn jener Aristotelischen Bücher wieder aufzuschließen" (Par. 378). Demgemäß beendet Hegel auch sein ganzes Buch mit einem Zitat aus Aristoteles Metaphysik über das Selbstwissen der göttlichen Vernunft (Par. 577). Ähnlicherweise scheint Hegel in der Enzyklopädie auch die andere Hälfte von Findlays Deutung im wesentlichen zu bestätigen, indem er in Paragraph 415 Kant, Reinhold und Fichte profiliert und ihnen das oben von mir erwähnte dreifältige Modell des Bewußtseins zuschreibt. Nichtsdestoweniger stellt sich Findlays Antwort auf unsere Frage bei näherem Ansehen als fragwürdig heraus. Hegel entwickelte seinen markierten, eigentümlichen Gebrauch des Wortes Geist schon recht früh: zum Teil schon in den Zusätzen zu Die 20 Hegel's Philosophy of Mind (Oxford: Clarendon Press, 1971), vii-viii. Vgl. C. Taylor, "Hegel's Philosophy of Mind," in seinem Human Agency and Language: Philosophical Papers I (Cambridge: Cambridge University Press, 1996), 79-80, 82-3. Auch (bezüglich Kants) R.C. Solomon, "Hegel's Concept of 'Geist,'" in Hegel: A Collection of Critical Essays. Auch (bezüglich Aristoteles) W.A. deVries, Hegel's Theory of Mental Activity (Ithaca: Cornell University Press, 1988). 9 Positivität der christlichen Religion (1795/6),21 sowie dann ein bißchen später und viel emphatischer-ausführlicher in Der Geist des Christentums und sein Schicksal (17981800), wo insbesondere alle drei für den reifen Hegel charakteristische Anwendungen des Wortes – auf menschliche Individuen, ganze Völker und Gott, und zwar in ihrem jeweiligen wesentlichen Eingebettetsein ineinander – schon vorkommen.22 Diese Periode ist zu früh, als daß Aristoteles als ein entscheidender Einfluß auf Hegel in Betracht käme. Die betreffende Entwicklung fällt auch zeitlich mit einer starken Abneigung Hegels gegen die Philosophie im allgemeinen und Kants und Fichtes Philosophie im besonderen (zugunsten der Religion) zusammen. (Der Geist des Christentums und sein Schicksal richtet sich zum großen Teil gegen Kants praktische Philosophie und das eng damit zusammenhängende Systemfragment von 1800 greift auch Fichtes Theorie des absoluten Ichs an.) Deshalb scheint auch ein wesentlicher Einfluß seitens Kants, Fichtes oder Schellings ausgeschlossen. Die Vorstellung, daß Aristoteles oder Kant, Fichte und Schelling einen entscheidenden Einfluß auf die Entstehung von Hegels Geistbegriff geübt hätten, zeigt sich auch in anderen Hinsichten als hinfälling. Aristoteles hat kein Wort, das Hegels Wort Geist auch nur von Ferne entspräche. Das neutestamentliche Wort pneuma, das schon vor Hegel ins Deutsche als "[heiliger] Geist" übersetzt wurde and von ihm weiterhin so übersetzt wird,23 spielt bei Aristoteles noch keine relevante Rolle. Stattdessen kommen bei Aristoteles im Grunde genommen nur die Wörter psychê (Seele) und nous (Vernunft) in Betracht. Aber auch hier ist sein Bild des Geistigen auffallend verschieden von Hegels. 21 Werke, 1:211 ff. Werke, 1:274-418, passim. Vgl. T. Haering, Hegel: Sein Wollen und sein Werk (Leipzig/Berlin: B.G. Teubner, 1929), 1:520 ff. 23 S. z.B. schon Hegels Das Leben Jesu (1795). 22 10 Zum Beispiel, nach Aristoteles Auffassung unterscheidet die psychê Menschen von Tieren und Pflanzen nicht, sondern diese teilen sie mit jenen, und es gibt bestimmt keine "objektive bzw. Volkspsychê." Ähnlicherweise, was den Aristotelischen nous angeht, ist dieser Begriff erstens weitaus enger als Hegels Begriff von Geist und zweitens bildet gerade der nous bei Aristoteles die Ausnahme zu dessen (sonst Hegel schon antizipierender) Auffassung, daß die psychê mit dem Körper wesentlich verbunden sei. Gleiches gilt für Kant, Fichte und Schelling. Das Wort Geist kommt zwar natürlich als althergebrachter Bestandteil der deutschen Sprache schon bei ihnen vor.24 Aber das Wort ist noch nicht philosophisch markiert wie bei Hegel. Und vor allem wird es von ihnen in philosophischen Zusammenhängen nur in bezug auf den einzelnen Menschen, nicht in bezug auf die Gesellschaft oder Gott, noch weniger in einem jeweiligen wesentlichen Eingebettetsein ineinander gebraucht, sodaß bei ihnen der grundlegende 1. Teil von Hegels eigentümlichem Geistbegriff fehlt. Und dasselbe trifft auf dessen 2., 3., 4. und 5. Teile zu. Bei Kant, Fichte, und Schelling werden allenfalls nur die 6. und 7. Teile (das Bewußtseinsmodell und die Freiheit) antizipiert.25 24 Demgemäß verwenden Kant, Fichte und Schelling das Wort in verschiedenen herkömmlichen Bedeutungen – z.B. Geist als mind; als esprit; als Gespenst; als "heiliger Geist"; in dem Ausdruck "im Geiste von X"; im Gegensatz zu Buchstabe (wie bei Paulus), usw. 25 Einige weitere Details: Auf philosophischem Niveau wird das Wort von Kant, Fichte und Schelling normalerweise als ein sehr allgemeines Wort für das menschliche Denken, Wollen, Fühlen, usw., bzw. für deren Quelle im Menschen, verwendet – als individuelles Eigentum und in starkem Gegensatz zum Körperlichen konzipiert (vgl. im Englischen "mind"). Bei Kant bezeichnet es auch (vermutlich als eine naheliegende Entwicklung von Geist als esprit) in der Anthropologie ein besonderes Prinzip, das das ganze Gemüt animiere, und in der Kritik der Urteilskraft ähnlicherweise ein Prinzip, das Kunstwerke und Gespräche animiere, und insbesondere ästhetische Ideen erzeuge. Bei Fichte bezeichnet es auch häufig (als Anwendung oder Weiterentwicklung vom Paulinischen Kontrast zwischen Geist und Buchstabe) das Wesen einer Philosophie (insbesondere der 11 Es bleibt zwar trotzdem vermutlich ein bißchen Wahrheit in Findlays Auffassung. Was Aristoteles angeht, schreibt Hegel schon in Der Geist des Christentums und sein Schicksal den Griechen eine Auffassung zu, wonach "Leib und Seele in einer lebendigen Gestalt bleibt."26 Das hört sich wohl doch wie zum Teil ein frühes Echo von Aristoteles normaler Auffassung des Seele-Leib Verhältnisses in De Anima an.27 Und ich habe auch an anderem Ort dafür argumentiert, daß Hegels Kenntnis von und Einverständnis mit Aristoteles Begriff einer selbstwissenden göttlichen Vernunft mindestens bis ins Jahr 1802 zurückreichen.28 Ein gewisser früher Aristotelischer Einfluß auf die Entwicklung von den 2. und 6. Teilen des Hegelschen Geistbegriffs ist deshalb wohl zuzugeben. Ähnlicherweise, was Kant und Fichte angeht, hat ihr dreifältiges Bewußtseinsmodell schon ziemlich früh zur Entwicklung vom 6. Teil des Hegelschen Geistbegriffs beigetragen, nämlich als Hegel diesen Teil während der frühen Jenaer Jahre stark ausbaute (was mit seiner damaligen zunehmenden Distanzierung von Schellings Identitätsphilosophie nahe zusammenhing). Außerdem haben Kant und Fichte vermutlich schon damals eine beträchtliche Rolle bei der Entwicklung des 7. Teiles (Freiheit) gespielt. Aber diese sind letzten Endes nur ziemlich bescheidene Zugeständnisse und Einschränkungen, zumal ein viel wichtigerer Einfluß auf Hegels Geistbegriff hier in Betracht kommt . . . Kantischen Philosophie) im Gegensatz zu deren Form. Schelling wiederholt manchmal diese weiteren philosophischen Bedeutungen. 26 Werke, 1:415. 27 Vgl. Hegels frühe Besprechung von Aristoteles als Philosophen in Logica et Metaphysica (1801/2). 28 M.N. Forster, "Does Every Genuine Philosophy Have a Skeptical Side?" (Sammelband zur 2008 in Heidelberg veranstalteten Tagung "Metaphysics and Skepticism," hrsgb. M. Gabriel, im Erscheinen bei Surkamp). 12 * Dieser Einfluß heißt Herder. Wie schon vorhin erwähnt, entstand Hegels markierter und eigentümlicher Gebrauch des Wortes Geist zum ersten Male in den Zusätzen zu Die Positivität der christlichen Religion (1795/6) und dann erst recht in Der Geist des Christentums und sein Schicksal (1798-1800). Beide Werke behandeln Fragen über den Urprung und Charakter des Judentums und Christentums, die schon längst zu Herders Lieblingsfragen gehört hatten, und sie sind offensichtlich entsprechend stark von Herder beeinflußt worden (er wird dort sogar mit Namen genannt). Im Gegensatz zu Hegels anderen philosophischen Vorgängern, verleiht Herder dem Wort Geist doch schon eine markierte Rolle. Dies legt schon nahe zu vermuten, daß Herder die Hauptquelle von Hegels Geistbegriff gewesen ist. Diese Vermutung läßt sich aber auch im Detail bestätigen. Gehen wir zu diesem Zweck die sieben Teile von Hegels Geistbegriff der Reihe nach nochmals durch. (Ich werde hierbei die drei ersten Teile am ausführlichsten behandeln aber auf die übrigen Teile nur kürzer eingehen.) Der 1. Teil von Hegels Geistbegriff besagt, daß Geistigkeit Menschen von der weiteren Natur, insbesondere von den Tieren, unterscheide. Herder hatte schon gerade diese These in seinen Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit (1784-91) in prominenter Weise vertreten. Der 1. Teil besagt auch, daß es drei Arten von Geistern gebe: subjektive Geister, objektive bzw. Volksgeister und den absoluten Geist. Herder hatte schon das Wort Geist 13 in jeder dieser Anwendungen gebraucht.29 Zum Beispiel, die Anwendung des Wortes auf menschliche Individuen kommt schon in Über Thomas Abbts Schriften. Torso (1768), die Anwendung auf ganze Völker in Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit (1774) und in Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit (178491),30 und die Anwendung auf Gott (und zwar wie bei Hegel im Sinne des Christentums) in Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele (1778) und in Vom Geist des Christenthums (1798) vor.31 Der 1. Teil von Hegels Geistbegriff besagt schließlich auch, daß diese dreifältige Anwendung des Begriffs darin eine Begründung finde, daß das menschliche Individuum wesentlich in die Gesellschaft und beide wesentlich in Gott eingebettet seien. Auch diese Begründung ist schon bei Herder klar vorgebildet. Zum Beispiel, in Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele hält Herder dafür, daß die Sprache und der Geist des menschlichen Individuums nur in einer Gesellschaft entstehen können, und in Gott. Einige Gespräche (1787) argumentiert er (im Gefolge von Spinoza), daß das menschliche Individuum bzw. die Gesellschaft nur ein Aspekt von Gott ist. Kurzum, der grundlegende 1. Teil von Hegels Geistbegriff stammt durchweg von Herder. 29 Vgl. J. Schwarz, Hegels philosophische Entwicklung (Frankfurt a.M.: Vittorio Klostermann, 1938), 27-8. 30 Man bemerke hier nebenbei, daß Hegels charakteristisches Wort Volk auch typisch für Herder gewesen war. 31 Es ist hier auch bemerkenswert, daß Hegel in den Zusätzen zu Die Positivität der christlichen Religion, wo er seine charakteristische Verwendung des Wortes Geist zu entwickeln beginnt und Herder explizit erwähnt (Werke, 1:201), Herders eigentümliche Prägung "der Geist der Zeit" bzw. "Zeitgeist" gebraucht (212). Hegels charakterisches Wort "Weltgeist" ist eine weitere Entlehnung von Herder, bei dem es schon ziemlich häufig vorgekommen war. 14 * Wenden wir uns jetzt den 2. und 3. Teilen von Hegels Geistbegriff zu. Auch hier verdankt Hegel Herder sehr viel, aber die Lage ist etwas komplizierter, indem Hegel Herdersche Gedanken nicht bloß übernimmt, sondern auch an ihnen Kritik übt und sie demgemäß modifiziert. Dies ist meines Erachtens eigentlich typisch für Hegels ganzes Verhältnis zu Herder. Ich möchte deshalb sowohl wegen des sachlichen Interesses dieser bestimmten Fälle als auch wegen dieses Exemplarischen ihrer Behandlung auf sie etwas näher eingehen. Herder hatte schon in Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele (1778) eine eigentümliche Theorie über die Natur des menschlichen Geistes entwickelt, die er späterhin in Gott. Einige Gespräche (1787) auch auf Gott erweitert hatte. Diese Theorie leugnet, daß der Geist bzw. die Seele vom Leib trennbar sei: "Körper . . . [sind] vielleicht nicht in der Natur durch solche Bretterwände von der Seele (psychê) geschieden . . . , als sie die Kammern unsrer Metaphysik scheiden"; "Meines geringen Erachtens ist keine Psychologie, die nicht in jedem Schritte bestimmte Physiologie sei, möglich."32 Laut Herders Theorie bestehe der Geist bzw. Geisteszustand vielmehr aus Kraft – d.h. aus einer Ursache von bestimmten wahrnehmbaren körperlichen Verhaltensweisen, die diese zum Teil transzendiere (d.h. nicht auf sie reduzierbar sei).33 Außer den zwei hier implizierten Charakteristiken einer wesentlichen Selbstmanifestierung von Kräften in bestimmten wahrnehmbaren körperlichen Verhaltensweisen und der Nichtreduzierbarkeit 32 Herder Werke (Frankfurt am Main: Deutscher Klassiker Verlag, 1985-), 4:338, 340. Diese Theorie war nicht vollkommen neu, da die Rationalisten, z.B. Wolff und Süßmilch, schon mehrfach von geistigen "Kräften" geschrieben hatten. 33 15 von jenen auf diese leugnet Herder jedoch jede weitere Erkenntnis der Natur von Kraft zu haben. Späterhin in Gott. Einige Gespräche behält er diese Theorie des Geistes bei, indem er auch Gott als eine solche "Urkraft" erklärt. Heute pflegt man, diese Herdersche Theorie entweder gänzlich zu vernachlässigen oder kurzerhand abzulehnen – aber meines Erachtens zu Unrecht. Denn sie ist bei näherem Ansehen sehr attraktiv. Herders Kraftbegriff wird manchmal von Kritikern des Vitalismus bezichtigt (z.B. von H.B. Nisbet und F.C. Beiser).34 Aber seine Leugnung jedes weiteren Wissens um die Natur von Kraft absolviert ihn gleichsam auf offizieller Ebene dieser Anklage (auch wenn seine weniger offiziellen Äußerungen öfters doch zum Vitalismus tendieren). Und wenn das heute in der Philosophie des Geistes veraltet oder szientistisch klingende Wort "Kraft" den Kritiker stört, könnte es ohne wesentliche Veränderung des Inhalts von Herders Theorie durch das modernere und weniger belastete Wort "Disposition" ersetzt werden.35 Weitaus wichtiger noch, diese Theorie – so oder so ausgedrückt – hat erhebliche sachliche Vorteile vor ihren Hauptkonkurrenten in der Philosophie des Geistes: dem Dualismus, der Theorie einer Geist-Gehirn Identität und dem Behaviorismus. Vor dem Dualismus hat sie den Vorzug, daß sie naturalistisch ist, d.h. den Weg zu einer fundamentalen Einheit von Geistigem und Körperlichem wenigstens nicht verbaut. Vor dem Dualismus und der Theorie einer Geist-Gehirn Identität hat sie den Vorzug, daß sie eine wesentliche (d.h. begriffliche) Verbindung zwischen Geist bzw. Geisteszustand einerseits und entsprechendem körperlichem 34 H.B. Nisbet, Herder and the Philosophy and History of Science (Cambridge, MA: Modern Humanities Research Association, 1970); F.C. Beiser, The Fate of Reason (Cambridge, MA: Harvard University Press, 1987). 35 "Disposition" nämlich auf realistische Weise verstanden (wie normalerweise bei Wittgenstein), nicht auf antirealistische Weise (wie normalerweise bei Ryle). 16 Verhalten andererseits vindiziert – was sachlich richtig zu sein scheint, da z.B. das Verhältnis zwischen der Begierde einen Apfel zu essen und Verhaltensweisen, die zum Essen eines Apfels tendieren, kein bloß zufälliges sondern ein begriffliches zu sein scheint, was aber von jenen beiden alternativen Theorien verfehlt wird. Vor dem Behaviorismus hat sie den Vorzug, daß sie aber den Geist bzw. Geisteszustand nicht auf entsprechendes körperliches Verhalten reduziert – was nochmals richtig zu sein scheint, da sich Menschen z.B. manchmal in einzelnen Geisteszuständen befinden, die sich zufälligerweise in gar keinem entsprechenden körperlichen Verhalten verraten (auch wenn die Begriffe von deren Sorten ein normales Erscheinen in typischen Verhaltensweisen implizieren). Sogar Herders Leugnung jedwedes weiteren Wissens um die Natur von (den betreffenden) Kräften kann gewissermaßen als eine theoretische Tugend angesehen werden, indem sie das vermutliche Charakeristikum vom Begriff eines Geistes bzw. Geisteszustandes widerspiegelt, daß er zwar entsprechende körperliche Verhaltensweisen und die Existenz einer Ursache derselben begrifflich impliziert, aber die spezifischere Natur der betreffenden Ursache nicht impliziert – ein Charakteristikum, das wohl zum großen Teil die zähe Konkurrenz zwischen widersprechenden philosophischen Theorien über die Natur des Geistigen (z.B. zwischen dualistischen und materialistischen Theorien) erklärt. Kurzum, Herders Theorie ist bei näherem Ansehen sehr attraktiv. Meines Erachtens war der frühe Hegel derselben Meinung. Denn schon in Der Geist des Christentums und sein Schicksal hat er nicht nur Herders eigentümliche dreifältige Anwendung des Geistbegriffs, sondern auch Herders Theorie über die Natur des Geistes übernommen. Dementsprechend vertritt Hegel dort Herders Auffassung, daß der Geist 17 vom Körper untrennbar sei.36 Und er erklärt dort das Geistige mit Herder als Kraft: "Verschiedenheit der Geistesmacht, der Grade der Kraft . . ."37 Noch in der Jenaer Philosophie des Geistes von 1805/6 charakerisiert Hegel das Geistige als Kraft.38 Und dasselbe kommt sogar noch viel später in bestimmten Passagen der letzten Ausgabe der Enzyklopädie vor.39 Hegels frühe uneingeschränkt positive Übernahme von Herders Theorie war aber nur seine erste Einstellung dazu. Im Laufe der Jahre wurde seine Einstellung erheblich kritischer und seine Übernahme erheblich eingeschränkter. Die betreffenden Kritik und Einschränkung führten zu den radikalen 2. und 3. Teilen von Hegels eigenem Geistbegriff. Wie sieht diese Entwicklung im Detail aus? Der fundamentalste Schritt der Hegelschen Kritik besteht aus einer argumentativ begründeten allgemeinen Ablehnung von Herders realistischem Begriff von Kraft, d.h. Herders Auffassung, wonach Kraft nicht nur aus entsprechenden wahrnehmbaren Verhaltensweisen, sondern auch aus etwas Unerkanntem mehr bestehe, zugunsten eines antirealistischen Begriffs von Kraft, wonach Kraft vielmehr gänzlich in den entsprechenden wahrnehmbaren Verhaltensweisen selbst aufgehe und nichts Unerkanntes übrigbleibe. Hegel neigt sogar letztendlich dazu, wegen dieser notwendigen grundsätzlichen Revidierung des Kraftbegriffs und einer bestimmten damit verbundenen negativen Folge für Kraft-Erklärungen (nämlich, daß sie auf bloße 36 Werke, 1:414 ff. (eigentlich schreibt Hegel diese Auffassung den Griechen zu, aber er teilt sie offensichtlich auch selbst). 37 Ibid., 354. Vgl. Schwarz, Hegels philosophische Entwicklung, 11-12. 38 G.W.F. Hegel, Jenaer Realphilosophie (Hamburg: Felix Meiner Verlag, 1969): die Sprache sei "namengebende Kraft" (183), das Ich sei eine "Kraft" (186), der Geist sei eine "Kraft" (187), usw. 39 Enzyklopädie, Par. 445, 462. Vgl. Bodammer, Hegels Deutung der Sprache, 28, 248. 18 Tautologien hinauslaufen) das Wort Kraft als irreführend fallen zu lassen – obwohl das Wort weiterhin ab und zu Mal auftaucht (wie oben erwähnt) und dessen Begriff noch in Hegels Gedanken irgendwie geistert. Diese allgemeine Revidierung von Herders Kraftbegriff, angewandt auf Herders Theorie des Geistes bzw. Geisteszustandes als Kraft insbesondere, führt direkt zum 2. Teil von Hegels eigenem Geistbegriff, d.h. zu seiner mehr oder weniger schlichten Identifizierung von Geist bzw. Geisteszustand mit entsprechendem körperlichem Verhalten. Dieser Gedankengang kommt bei Hegel an drei Hauptstellen vor, die die ganze Periode 1804 bis 1830 umpannen: erstens in seiner Behandlung vom Begriff Kraft in der Logik, Metaphysik und Naturphilosophie von 1804/5; zweitens in den Kapiteln der Phänomenologie von 1807 über "Kraft und Verstand" und "Das geistige Tierreich"; und drittens in seiner Behandlung vom Begriff Kraft in Paragraph 136 der Enzyklopädie von 1830. Es sei mir erlaubt jede dieser Stellen kurz darzustellen. In der Logik, Metaphysik und Naturphilosophie von 1804/5 behauptet Hegel: "Es ist ein vollkommen leerer Unterschied, der Unterschied zwischen Kraft und ihrer Äußerung, oder Innerem und Äußerem überhaupt."40 Dementsprechend seien Erklärungen durch Kräfte implizit bloße Tautologien, die die zu erklärenden Phänomene nur wiederholten, und deshalb zu vermeiden, was insbesondere Erklärungen durch geistige Kräfte mit einschliesse: "Der Inhalt der Erscheinung und der Kraft ist dasselbe; das ganze der Äußerungen wird zusammengefaßt in der Kraft; so in sich getrennt das Verhältnis sei, so gilt es für ein Eins des Namens, . . . und die Trennung, die an ihm gesetzt wird, ist eine dem Verhältnisse selbst fremde, . . . wodurch die Tautologie der Erklärung dieselbe 40 G.W.F. Hegel, Jenaer Systementwürfe II: Logik, Metaphysik und Naturphilosophie (Hamburg: Felix Meiner, 1982), 46. 19 bleibt. Es folgt hieraus, daß es für das Erkennen . . . keine Kraft gibt, daß es nicht die bewegende, beschleunigende Kraft, sondern die Bewegung, Beschleunigung usw. . . . betrachtet, ebensowenig die Einbildungs-, Gedächtniskraft, oder das Vermögen der Einbildung, [des] Gedächtnisses, des Verstandes, der Vernunft usw., sondern die Einbildung, das Gedächtnis, den Verstand, die Vernunft selbst."41 Die Phänomenologie von 1807 wiederholt im Grunde genommen denselben Gedankengang, aber mit etwas verfeinerten Argumenten. Wie ich in meinem Buch Hegel's Idea of a "Phenomenology of Spirit" zu erläutern versucht habe, entwickelt das Kapitel über "Kraft und Verstand" ein etwas nuancierteres Argument gegen Erklärungen durch Kräfte, das hauptsächlich in den folgenden Punkten besteht: wenn man die betreffenden Kräfte auf eine realistische Weise verstehe, so blieben sowohl die angebliche Notwendigkeit ihrer Beziehung zu den betreffenden Phänomenen im wesentlichen unerklärlich als auch die Kräfte selbst mitsamt dieser Beziehung unerkennbar; wenn man sie dagegen auf eine antirealistische Weise verstehe, so vermeide man zwar jene beiden Probleme aber dafür liefen die angeblichen Erklärungen auf bloße Tautologien hinaus.42 In dem späteren Kapitel der Phänomenologie über "Das geistige Tierreich," das sich meiner Interpretation nach durchgängig mit Herders Standpunkt befaßt, zieht Hegel sodann die Konsequenzen dieses Arguments für Herders Theorie des Geistes insbesondere, indem er Herders realistischen Begriff von Kraft fallen läßt und demgemäß dessen Theorie zu einer mehr oder weniger schlichten Identifizierung von Geist bzw. Geisteszustand mit entsprechendem Verhalten revidiert. Die fast unmittelbar vorangehenden Kapiteln über "Logische und psychologische Gesetze" und 41 42 Ibid., 61. Hegel's Idea of a "Phenomenology of Spirit," 65-7. 20 "Physiognomik und Schädellehre" haben unter anderem Fassungen von Dualismus und von einer Geist-Gehirn Identitätstheorie dargestellt, kritisiert und abgelehnt. Jetzt im Kapitel über "Das geistige Tierreich" schreibt Hegel Herder implizit eine offensichtlich auch Hegel selbst viel erfreulichere Theorie zu, wonach Geisteszustände gänzlich aus entsprechenden körperlichen Handlungen (mitsamt ihrem Zusammenhang) bestünden: "Der Unterschied . . . eines solchen, das für das Bewußtsein nur innerhalb seiner [ist], und einer außer ihm an sich seienden Wirklichkeit ist hinweggefallen . . . Die ganze Handlung tritt . . . weder als die Umstände, noch als Zweck noch Mittel . . . aus sich heraus."43 Schließlich wiederholt Hegel im wesentlichen denselben Gedankengang in Paragraph 136 der Enzyklopädie von 1830, aber diesmal unter expliziter Erwähnung Herders, indem er Herders realistische Auffassung von Kraft als etwas die Erscheinungen Transzendierendem und deshalb Unerkennbarem, und insbesondere Herders Auffassung von Gott als einer solchen Urkraft kritisiert und ablehnt: "Die Kraft . . . ist endlich; denn der Inhalt, das Eine und Dasselbe der Kraft und der Äußerung, ist nur erst an sich diese Identität . . . Um dieser Mangelhaftigkeit der Form willen ist auch der Inhalt . . . zufällig. Er ist mit der Form noch nicht wahrhaft identisch." Werde diese Mangelhaftigkeit nicht eingesehen, "so führt dies in die Verwirrung, Gott als Kraft aufzufassen, eine Verwirrung, an der Herders Gott vornehmlich leidet. Man pflegt zu sagen, daß die Natur der Kraft selbst unbekannt sei und nur ihre Äußerung erkannt werde. Einesteils ist die ganze Inhaltsbestimmung der Kraft ebendieselbe als die der Äußerung; die Erklärung einer Erscheinung aus einer Kraft ist deswegen eine leere Tautologie. Was unbekannt 43 Werke, 3:296-8. Vgl. 242-3. 21 bleiben soll, ist also in der Tat nichts als die leere Form der Reflexion-in-sich, wodurch allein die Kraft von der Äußerung unterschieden ist . . . Diese Form tut zum Inhalte und zum Gesetze, welche nur aus der Erscheinung allein erkannt werden sollen, im geringsten nichts hinzu. Auch wird überall versichert, es solle damit über die Kraft nichts behauptet werden; es ist also nicht abzusehen, warum die Form von Kraft in die Wissenschaften eingeführt worden ist. – Andernteils ist aber die Natur der Kraft allerdings ein Unbekanntes, weil sowohl die Notwendigkeit des Zusammenhangs ihres Inhalts in sich selbst als [auch] desselben, insofern er . . . seine Bestimmtheit vermittels eines Anderen außer ihm hat, noch mangelt." "Die so oft wiederholte Behauptung, daß nur die Äußerung der Kräfte, nicht aber diese selbst zu erkennen seien, [muß] um deswillen als unbegründet von der Hand gewiesen werden . . . , weil die Kraft eben nur dies ist, sich zu äußern, und wir somit in der als Gesetz aufgefaßten Totalität der Äußerung zugleich die Kraft selbst erkennen . . . Man spricht . . . in der empirischen Psychologie von Erinnerungskraft, von Einbildungskraft, von Willenskraft und allerhand sonstigen Seelenkräften. Hierbei rekurriert dann das Bedürfnis, sich dieser verschiedenen Kräfte gleichfalls als eines einheitlichen Ganzen bewußt zu werden, und dieses Bedürfnis würde seine Befriedigung dadurch nicht erhalten, daß man die verschiedenen Kräfte etwa auf eine denselben gemeinsame Urkraft reduzierte. Wir hätten an solcher Urkraft in der Tat nur eine leere Abstraktion, ebenso inhaltslos als das abstrakte Ding an sich. Dazu kommt, daß das Verhältnis der Kraft und ihrer Äußerung wesentlich das vermittelte Verhältnis ist und daß es somit dem Begriff der Kraft widerspricht, wenn dieselbe als ursprünglich oder auf sich beruhend aufgefaßt wird. – Wir lassen es uns bei dieser Bewandtnis, die es mit der Natur der Kraft hat, zwar gefallen, wenn gesagt wird, die existierende Welt sei eine Äußerung 22 göttlicher Kräfte, allein wir werden Anstand nehmen, Gott selbst als bloße Kraft zu betrachten, weil die Kraft noch eine untergeordnete und endliche Bestimmung ist."44 Kurzum, Hegels frühe, vorläufige Annahme von Herders Theorie, daß der Geist bzw. Geisteszustand aus Kraft bestehe, abgewandelt jedoch durch Hegels Ablehnung von Herders realisticher Auffassung von Kraft zugunsten einer antirealistischen Auffassung derselben (unter Anerkennung gewisser negativer Folgen für deren Erklärungsanspruch und entsprechendem Fallenlassen des Wortes), führt zum 2. Teil von Hegels Geistbegriff: seiner mehr oder weniger schlichten Identifizierung von Geist bzw. Geisteszustand mit entsprechendem körperlichem Verhalten. * Hegel hat aber auch ein zweites, von vorangehenden philosophischen Theorien wie der Herderschen unabhängiges Argument für den 2. Teil seines Geistbegriffs, das jetzt kurz erörtert werden soll. Dieses weitere Argument besteht im wesentlichen darin, darzulegen, daß bei näherem Ansehen unsere alltäglichen Kriterien für die Zuschreibung von Geisteszuständen immer bestimmtes körperliches Verhalten als sowohl notwendig als auch ausreichend für entsprechende Geisteszustände gelten ließen – was alternative Theorien über die Natur des Geistigen (insbesondere den Dualismus und die GeistGehirn Identitätstheorie) ausschliesse und das Bestehen des Geistigen aus entsprechendem körperlichem Verhalten beweise. 44 Werke, 8:269-72. 23 Dieses Argument kommt hauptsächlich in zwei Werken Hegels vor, und zwar der Phänomenologie und der Enzyklopädie. Das relevante Kapitel der Phänomenologie ist dasjenige über "Physiognomik und Schädellehre." Hegel argumentiert dort erstens, daß die alternativen Theorien deswegen unhaltbar und seine eigene Theorie im Gegensatz richtig seien, weil nach alltäglichen Kriterien entsprechendes körperliches Verhalten immer für die Zuschreibung von Geisteszuständen notwendig sei: "Indem . . . [des Menschen] Werk und seine innere Möglichkeit, Fähigkeit oder Absicht, entgegengesetzt werden, ist jenes allein für seine wahre Wirklichkeit anzusehen, wenn auch er selbst sich darüber täuscht und, aus seiner Handlung in sich gekehrt, in diesem Inneren ein Anderes zu sein meint als er in der Tat [ist]."45 Ähnlicherweise argumentiert Hegel dort im Hinblick auf den besonderen (und besonders interessanten) Fall des Verstehens von Begriffen in dessen notwendiger Verbindung mit entsprechendem sprachlichem Verhalten: "Ob man gleich zu sagen pflegt, daß es vernünftigen Menschen nicht auf das Wort, sondern auf die Sache ankomme, so ist daraus doch nicht die Erlaubnis zu nehmen, eine Sache mit einem ihr nicht zugehörigen Worte zu bezeichnen; denn dies ist Ungeschicklichkeit zugleich und Betrug, der nur das rechte Wort nicht zu haben meint und vorgibt und [der] es sich verbirgt, daß ihm in der Tat die Sache, d.h. der Begriff fehlt; wenn dieser vorhanden wäre, würde er auch sein rechtes Wort haben."46 Zweitens argumentiert Hegel in demselben Kapitel, daß die alternativen Theorien deshalb unhaltbar und seine eigene Theorie im Gegensatz richtig seien, weil nach alltäglichen Kriterien entsprechendes körperliches Verhalten immer für die Zuschreibung von Geisteszuständen ausreichend sei: "Das wahre Sein des Menschen ist . . . seine Tat; 45 46 Werke, 3:243. Ibid., 247-8. 24 in ihr ist die Individualität wirklich, und sie ist es, welche das Gemeinte in seinen beiden Seiten [d.h. als etwas unaussprechlich Inneres und als ein leibliches ruhendes Sein – M.N.F.] aufhebt . . . Die Tat . . . ist Mord, Diebstahl oder Wohltat, tapfere Tat usf., und es kann von ihr gesagt werden, was sie ist. Sie ist dies, und der individuelle Mensch ist, was sie ist."47 Hegel wiederholt im Grunde genommen denselben Gedankengang in Paragraph 140 der Enzyklopädie, wobei er auch manche fragwürdigen Motive identifiziert, die seines Erachtens öfters gegensätzliche Urteile begünstigen, und auf diese Weise letztere als bloß verführerische Täuschung wegerklärt: "Der Mensch, wie er äußerlich, d.i. in seinen Handlungen (freilich nicht in seiner nur leiblichen Äußerlichkeit [z.B. Gesicht, Schädel oder Gehirn – M.N.F.]) [ist], ist er innerlich." Man wisse, "was davon zu halten ist, wenn jemand seinen dürftigen Leistungen, ja verwerflichen Taten gegenüber sich auf die davon zu unterscheidende Innerlichkeit seiner angeblich vortrefflichen Absichten und Gesinnungen beruft. Es mag immerhin im einzelnen der Fall sein, daß durch die Ungunst äußerer Umstände wohlgemeinte Absichten vereitelt, daß zweckmäßige Pläne in der Ausführung verkümmert werden; im allgemeinen gilt jedoch auch hier die wesentliche Einheit des Inneren und des Äußeren dergestalt, daß gesagt werden muß: was der Mensch tut, das ist er, und der lügnerischen Eitelkeit, welche sich an dem Bewußtsein innerlicher Vortrefflichkeit wärmt, ist jener Spruch des Evangeliums entgegenzuhalten: 'An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.' Dies große Wort gilt, wie zunächst in sittlicher und religiöser Hinsicht, so auch weiter in Beziehung auf wissenschaftliche und künstlerische Leistungen. Was hierbei die letzteren anbetrifft, so mag etwa ein scharfblickender Lehrer, 47 Ibid., 242-3. 25 indem er an einem Knaben entschiedene Anlagen gewahr wird, die Meinung äußern, daß in demselben ein Raffael oder ein Mozart stecke, und der Erfolg wird dann lehren, inwieweit solche Meinung begründet war. Wenn dann aber ein stümperhafter Maler und ein schlechter Poet sich damit trösteten, daß ihr Inneres voll hoher Ideale sei, so ist solches ein schlechter Trost, und wenn sie die Forderung machen, man wolle sie nicht nach ihren Leistungen beurteilen, sondern nach ihren Intentionen, so wird solche Prätention mit Recht als leer und unbegründet von der Hand gewiesen. Umgekehrt ist es dann auch häufig der Fall, daß man bei Beurteilung anderer, die Rechtes und Tüchtiges zustande gebracht, sich des unwahren Unterschiedes vom Inneren und Äußeren dazu bedient, um zu behaupten, solches sei nur ihr Äußeres, innerlich aber sei es ihnen um etwas ganz anderes, um die Befriedigung ihrer Eitelkeit oder sonstiger verwerflicher Leidenschaften zu tun gewesen. Dies ist die Gesinnung des Neides . . . Wenn dann weiter bei löblichen Leistungen anderer, um dieselben zu verkümmern, von Heuchelei gesprochen wird, so ist dawider zu bemerken, daß der Mensch sich zwar im einzelnen verstellen und manches verbergen kann, nicht aber sein Inneres überhaupt, welches im decursus vitae unfehlbar sich kundgibt, dergestalt daß auch in dieser Beziehung gesagt werden muß, daß der Mensch nichts anderes ist als die Reihe seiner Taten."48 Hegel wiederholt auch in der Enzyklopädie seine Anwendung dieses allgemeinen Gedankenganges auf den besonderen Fall des Verstehens von Begriffen (bzw. des Denkens) in dessen notwendiger Verbindung mit entsprechendem sprachlichem Verhalten. Demgemäß lesen wir in Paragraph 462: "Es ist in Namen, daß wir denken . . . Wir . . . haben nur dann bestimmte, wirkliche Gedanken, wenn wir ihnen die Form der 48 Werke, 8:275-8. 26 Gegenständlichkeit, . . . also die Gestalt der Äußerlichkeit geben, und zwar einer solchen Äußerlichkeit, die zugleich das Gepräge der höchsten Innerlichkeit trägt. Ein so innerliches Äußerliches ist allein der artikulierte Ton, das Wort. Ohne Worte denken zu wollen . . . erscheint daher als eine Unvernunft . . . Das Unaussprechliche [ist] in Wahrheit nur etwas Trübes, Gärendes . . . , das erst, wenn es zu Worte zu kommen vermag, Klarheit gewinnt."49 * So viel zu Hegels Argumenten für den 2. Teil seines Geistbegriffs. Wenden wir uns jetzt dem 3. Teil, der prinzipiellen Revidierbarkeit auch von sogenannten "vergangenen" geistigen Tatsachen (nicht nur von Urteilen darüber oder von ihnen für die Zukunft) solange das betreffende Subjekt noch lebt und webt, zu. Dieser Teil folgt fast zwangsläufig aus dem vorhin diskutierten 2. Teil, d.h. aus der Identifizierung von dem Geist bzw. Geisteszustand mit entsprechendem körperlichem Verhalten. Wieso? Aus zwei Gründen: Erstens, um überhaupt plausibel zu sein, darf sich eine solche Identifizierung nicht auf körperliches Verhalten beschränken, das den betreffenden geistigen Tatsachen vorangeht oder mit ihnen zeitlich zusammenfällt, sondern sie muß sich auch auf künftiges körperliches Verhalten beziehen, weil es öfters vorkommt, daß z.B. sich das einzige körperliche Verhalten, das für die Zuschreibung eines bestimmten Entschlusses spricht, erst nach dem Entschluss einstellt. Zweitens läßt sich diese Relevanz von künftigem körperlichem Verhalten kaum zeitlich begrenzen. 49 Werke, 10:278-80. 27 Solange das Subjekt noch lebt und webt, bleibt es immer möglich, daß es neues körperliches Verhalten produzieren wird, das zu einer Erweiterung oder Revidierung von bisher gefällten Urteilen über seine "vergangenen" Geisteszustände zwingt. Man kann diese Lage vielleicht am klarsten illustrieren, wenn man sich auf das begriffliche bzw. semantische Niveau konzentriert. Nach Hegels Ansicht (und vermutlich auch in der Tat) spielt das Begrifflich-semantische eine Grundlagenrolle im menschlichen Geist, indem alle (oder wenigstens fast alle) menschlichen Geisteszustände ihrem Wesen nach implizit begrifflich artikuliert sind. Deshalb trägt die etwaige Lage auf dem begrifflich-semantischen Niveau Folgen für Geisteszustände überhaupt. Nun, wie Nelson Goodman mit seinem berühmten "green"/"grue" und "blue"/"bleen" Beispiel und Saul Kripke mit seinem berühmten "plus"/"quus" Beispiel anschaulich dargetan haben:50 wenn wir Urteile über jemandes Begriffe bzw. Bedeutungen aufgrund unserer Erkenntnis seines bisherigen sprachlichen Verhaltens fällen, bleibt es immer möglich, wie einstimmig positiv und reichlich auch immer das betreffende bisherige Beweismaterial gewesen sein und wie lange auch immer es gedauert haben mag, daß sein künftiges sprachliches Verhalten eine von uns unerwartete Wende nehmen wird, die uns doch zu einer Revidierung unserer bisher gefällten Urteile zwingen wird. Und wegen der vorhin erwähnten grundlegenden Rolle des Begrifflich-semantischen im menschlichen Geist, impliziert diese Lage auch eine ähnliche Möglichkeit bezüglich aller unserer bisher gefällten Urteile über seine anderen, d.h. nicht (in erster Linie) begrifflich-semantischen Geisteszustände, insofern auch sie implizit durch Begriffe bzw. Bedeutungen artikuliert 50 N. Goodman, Fact, Fiction, and Forecast (Indianapolis: Bobbs-Merrill, 1965); S.A. Kripke, Wittgenstein on Rules and Private Language (Cambridge, MA: Harvard University Press, 1982). 28 sind. Zum Beispiel, wenn es sich nächstes Jahr aufgrund einer von uns ganz unerwarteten Wende in jemandes sprachlichem Verhalten herausstellen sollte, daß er entgegen unserer bisherigen Annahme immer schon mit dem Wort "blue"/"blau" nicht den Begriff blue/blau, sondern den Begriff bleen gemeint hat, so würde diese Revidierung unserer vergangenen Annahme über seine Begriffsauffassung zwangsläufig auch entsprechende Revidierungen unserer vergangenen Urteile, daß er den Himmel für blau gehalten habe, daß er vor einigen Jahren einen blauen Wagen habe kaufen wollen, usw. nach sich ziehen. * So viel über die drei ersten Teile von Hegels Geistbegriff. Ich wende mich jetzt kürzer den übrigen Teilen zu. Auch hier war Herder ein wichtiger Einfluß. Der 4. Teil, Hegels These der Einheitlichkeit vom Geist, und insbesondere von dessen Denken mit Empfinden und Erkennen mit Wollen, stammt nochmals hauptsächlich von Herder. Denn gerade diese Einheitlichkeit war die Kernthese von Herders Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele gewesen.51 Der 5. Teil, Hegels These von der wesentlichen Begrifflichkeit und Sprachlichkeit des menschlichen Geistes und von dessen darausfolgendem wesentlichem Eingebettetsein in die Gesellschaft, stammt auch von Herder.52 Denn Herder hatte schon beide Seiten dieser 51 52 Vgl. Schwarz, Hegels philosophische Entwicklung, 11-12. Vgl. Taylor, "Hegel's Philosophy of Mind," 92. 29 These in seiner Abhandlung über den Ursprung der Sprache (1772) und in Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele stark vertreten.53 Wie steht es um die 6. und 7. Teile von Hegels Geistbegriff: das dreifältige Bewußtseinsmodell und die Freiheit? Man könnte versucht sein, diese zwei Teile als Ausnahmen zur Regel, d.h. als ausschließlich von anderen Quellen, insbesondere von Kant und Fichte übernommene Propfreiser am Herderschen Stamm des Hegelschen Geistbegriffs anzusehen (was übrigens meine allgemeine Interpretationslinie kaum beeinträchtigen würde). Aber auch hier war Hegel vermutlich doch wenigstens bis zu einem gewissen Grade von Herder beeinflußt. Denn, was den 6. Teil (das Bewußtseinsmodell) angeht, hatte auch Herders Abhandlung über den Ursprung der Sprache bekanntlich die These vertreten, daß eine gewisse Objektivierung zum Wesen des menschlichen Geistes gehöre, und auch Herders Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele hatte behauptet, daß Selbstbewußtsein zum Wesen des menschlichen Geistes gehöre und alle weiteren Geistesfunktionen begleiten müsse.54 53 Es gibt in der Tat eine ganze Reihe von tiefgreifenden Kontinuitäten zwischen Herders Philosophie der Sprache und Hegels. Siehe dazu M.N. Forster, "Hegel on Language," in seinem German Philosophy of Language from Schlegel to Hegel and Beyond (Oxford: Oxford University Press, 2011). 54 Herder Werke, 4:356: "Viele Erfahrungen [zeigen, daß] was in [den Unterkräften der Seele] nicht Apperzeption, Bewußtsein des Selbstgefühls und der Selbsttätigkeit sei, nur zu dem Meer zuströmender Sinnlichkeit, das sie regt, . . . nicht aber zu ihr selbst gehöre . . . Auch in der Einbildung und dem Gedächtnis, der Erinnerung und Voraussicht muß sich die Eine Gotteskraft unserer Seele, 'innere in sich blickende Tätigkeit, Bewußtsein, Apperzeption' zeigen." 30 Ähnlicherweise, was den 7. Teil (die Freiheit) angeht, hatte auch Herders Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele die Freiheit als eine wesentliche Eigenschaft des Geistes dargestellt.55 Kurzum, alle sieben Bestandteile von Hegels Geistbegriff stammen entweder hauptsächlich oder zum Teil von Herder. * Hat Hegel sich irgendwo zu Herders entscheidendem Einfluß auf seinen eigenen Geistbegriff bekannt? Wenn die Interpretation von der Phänomenologie und insbesondere von deren Kapitel über "Das geistige Tierreich," die ich in meinem Buch Hegel's Idea of a "Phenomenology of Spirit" und meinem Artikel "Das geistige Tierreich" entwickelt habe, richtig ist, dann lautet die Antwort: Ja. Nach meiner dortigen Interpretation ist die schon von der Einleitung der Phänomenologie vorgesehene "ausführliche Geschichte der Bildung des Bewußtseins selbst zur Wissenschaft," die am Ende des "Vernunft" Kapitels kulminiert, unter anderem eine Art Hegelscher intellektueller Selbstbiographie, innerhalb deren das Kapitel "Das geistige Tierreich" eine Schlüsselposition nahe der Kulmination einnimmt, und dieses Kapitel bezieht sich durchweg auf Herders Standpunkt. Wie schon der Titel "Das geistige Tierreich" verrät (das Wort "Geist" kommt hier zum ersten Male in der Phänomenologie als Bestandteil eines Kapiteltitels vor), ist Hegel der Auffassung, daß dieser Standpunkt zum ersten Male in der Geschichte einen echten 55 Ibid., 362-3. 31 Begriff vom Geist erreicht habe (nachdem frühere Standpunkte, z.B. diejenigen in den vorangehenden Kapiteln über "Logische und psychologische Gesetze" und "Physiognomik und Schädellehre," ihn noch verfehlt hätten).56 Und Hegels nähere Darstellung des betreffenden Standpunkts vindiziert diese Auffassung auch im Detail: Was den 1. Teil von seinem eigenen Geistbegriff betrifft, schreibt schon der Titel des Kapitels diesem Standpunkt eine Ansicht des Geistigen als der differentiae des Menschen gegenüber den bloßen Tieren zu (eine Ansicht, die Herder tatsächlich in seinen Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit vertreten hatte),57 während der weitere Verlauf des Kapitels geflissentlich vom einzelnen Menschen über die Gesellschaft bis hin zum Absoluten fortschreitet und somit auch dem betreffenden Standpunkt die drei Formen des Geistes in ihrem Eingebettetsein ineinander zuschreibt (wie Herder sie tatsächlich schon konzipiert hatte). Was den 2. Teil von 56 Hegel hatte dieses Explizitwerden des Geistbegriffs für das Bewußtsein selbst schon im Selbstbewußtseins-Kapitel anvisiert und vorausgesagt: "Indem ein Selbstbewußtsein der Gegenstand ist, ist er ebensowohl Ich wie Gegenstand. – Hiermit ist schon der Begriff des Geistes für uns vorhanden. Was für das Bewußtsein weiter wird, ist die Erfahrung, was der Geist ist, diese absolute Substanz, welche in der vollkommenen Freiheit und Selbständigkeit ihres Gegensatzes, nämlich verschiedener für sich seiender Bewußtsein[e], die Einheit derselben ist: Ich, das Wir, und Wir, das Ich ist" (Werke, 3:145). Gerade dies geschieht im Abschnitt "Das geistige Tierreich," wie nicht nur dessen Titel sondern auch die folgende einleitende Passage verrät: "Das Selbstbewußtsein hat jetzt den Begriff von sich erfaßt, . . . in der Gewißheit seiner selbst alle Realität zu sein, und Zweck und Wesen ist ihm nunmehr die sich bewegende Durchdringung des Allgemeinen . . . und der Individualität" (292). 57 Hegels Titel impliziert aber auch eine gewisse Kritik an Herders Ansicht wegen ihrer nach Hegels Meinung übertriebenen Engführung des Menschlichen mit dem Tierischen (der Titel ist in diesem Sinne etwas ironisch gemeint). Vgl. G.W.F. Hegel, Die Vernunft in der Geschichte, hrsgb. J. Hoffmeister (Hamburg: Felix Meiner, 1955), 161 ff., wo Hegel der Implikation von Theorien eines ursprünglichen Zustandes der menschlichen Vollkommenheit, daß der Mensch nicht mit tierischer Dumpfheit begonnen haben könne, zustimmt: "Dies ist richtig, aus tierischer Dumpfheit konnte er nicht entstehen, wohl aber aus menschlicher Dumpfheit . . . Tierische Menschlichkeit ist ganz etwas anderes als Tierheit. Den Anfang macht der Geist; dieser aber ist erst an sich, er ist natürlicher Geist, dem jedoch der Charakter der Menschlichkeit durchaus aufgeprägt ist." 32 Hegels Geistbegriff angeht, schreibt das Kapitel gerade diese Ansicht, daß das Geistige aus körperlichem Verhalten bestehe, dem betreffenden Standpunkt zu: "Der Unterschied . . . eines solchen, das für das Bewußtsein nur innerhalb seiner [ist], und einer außer ihm an sich seienden Wirklichkeit ist hinweggefallen . . . Die ganze Handlung tritt . . . weder als die Umstände, noch als Zweck noch Mittel . . . aus sich heraus."58 (Und wir haben schon gesehen, daß Herder tatsächlich eine solche Ansicht in seinem Begriff des Geistigen als Kraft wenigstens angedeutet hatte.) Was den 4. Teil von Hegels Geistbegriff betrifft, schreibt das Kapitel dem betreffenden Standpunkt ein einheitliches Modell des Geistes zu, wonach insbesondere Erkennen und Wollen voneinander untrennbar seien, sodaß z.B. zentrale im Kapitel vorkommende Begriffe wie "Tun," "Wirklichkeit" und "die Sache Selbst" die herkömmliche Kluft zwischen Erkennen und Wollen geflissentlich überbrücken. (Und wir haben schon gesehen, daß Herder in Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele tatsächlich ein solches einheitliche Modell des Geistes vertreten hatte.) Und so weiter. Kurzum, Hegel schreibt in diesem Kapitel der Phänomenologie dem Herderschen Standpunkt implizit nicht nur die erste Erfindung eines echten Geistbegriffs, sondern auch fast alle wesentlichen Bestandteile seines eigenen Geistbegriffs zu. Späterhin in der Enzyklopädie hat Hegel zwar Herders Einfluß auf seinen eigenen Geistbegriff einigermaßen unterschlagen, um an dessen Stelle den philosophisch salonfähigeren Aristoteles zu profilieren.59 Aber Hegels (oben erörtete) ausführliche 58 Werke, 3:296-8. Dies lag vermutlich zum großen Teil an Hegels wachsendem Eindruck von Herders philosophischem Außenseitertum, insbesondere wegen seines schon von Hegel in Glauben und Wissen beklagten Mangels an "Wissenschaftlichkeit" und seiner späterhin 59 33 kritische Besprechung von Herders Geistbegriff in Paragraph 136 stellt immerhin eine Art widerwilligen Zeugnisses von dessen entscheidendem Einfluß auf seinen eigenen dar.60 * So viel zum Ursprung und Wesen von Hegels Geistbegriff. Es ist aber immer wichtig, die Interpretation einer Position mit deren sachlicher Wertung nicht zu verwechseln.61 Darum bleibt hier noch die Frage zu stellen, Hat Hegel aber recht mit diesem Geistbegriff? Eine vollständige Antwort auf diese Frage würde eine längere Unternehmung sein. Ich werde mich deshalb hier auf die 2. und 3. Teile von Hegels Geistbegriff beschränken. Ich habe schon darzulegen versucht, daß und wie Hegel diese beiden Thesen zum großen Teil über eine argumentativ begründete Revidierung von Herders Theorie erreicht hat. Dabei habe ich auch betont, daß Herders ursprüngliche Theorie sehr attraktiv war. Jetzt möchte ich noch etwas weiter gehen: Es scheint mir wahrscheinlich, daß Herders Theorie trotz der unbestreitbaren Tiefe von Hegels Kritik daran und des Interesses von Hegels daraus entspringenden radikaleren Thesen Hegels eigener Theorie in der Tat überlegen bleibt. Denn erstens stimmt Herders Theorie mit wichtigen alltäglichen von Hegel in einer Rezension über Hamanns Schriften beklagten unverantwortlichen Attacke gegen Kant in der Metakritik. 60 Es sei mir erlaubt, hier nebenbei kurz hinzuzufügen, daß nicht nur Hegel sondern auch manche seiner Zeitgenossen in ihrem Geistbegriff stark von Herder beeinflußt worden sind, z.B. Ast, Friedrich Schlegel (bes. in seinen Kölner Vorlesungen) und Schleiermacher. 61 Entgegen heute ziemlich weitverbreiteten Ansichten sowohl in der deutschen Hermeneutik (man denke z.B. an Gadamers Verwischung des Unterschiedes zwischen subtilitas intelligendi bzw. explicandi und applicatio) als auch in der angelsächischen (man denke z.B. an Davidsons "principle of charity"). 34 Erfahrungen und Annahmen bezüglich des Geistigen überein, denen Hegels Theorie widerspricht, zweitens kann Herders Theorie wohl Hegels Kritik an ihr und seiner daraus entnommenen Folgerung auf seine eigenen Thesen widerstehen, und drittens ist auch Hegels unabhängiges Argument für seine Gegenthesen brüchig, indem es die alltäglichen Kriterien, die es anführt, entstellt und entstellen muß, während Herders Theorie ihnen gerecht werden kann. Im Folgenden werde ich auf jeden dieser drei Punkte etwas näher eingehen. Zum ersten Punkt: Es gibt eine Reihe von wichtigen alltäglichen Erfahrungen und Annahmen bezüglich des Geistes und dessen Zustände, denen Herders Theorie gerecht wird, während Hegels Theorie ihnen widerspricht. Prima facie stellt das einen erheblichen Vorzug der Herderschen Theorie vor der Hegelschen dar, auch wenn es kein schlechtweg entscheidender ist (was Hegel besonders stark betonen würde, da er dem gemeinen Menschenverstand die Rolle einer Instanz abspricht). Drei Beispiele: (a) Herders Theorie wird der alltäglichen Erfahrung gerecht, daß sich Menschen öfters in einzelnen Geisteszuständen befinden, die zufälligerweise gar nicht in entsprechendem körperlichem Verhalten ausgedrückt werden (z.B., es fällt einem während eines flüchtigen Gesprächs auf einer Cocktailparty ein, daß der Gesprächspartner ein Dummkopf sei, aber man unterschlägt diesen Gedanken aus Höflichkeit und vergißt ihn nachher fast sofort, sodaß er auch später nie zum Ausdruck kommt). Dagegen widerspricht Hegels Theorie dieser alltäglichen Erfahrung. (b) Herders Theorie wird der alltäglichen Annahme gerecht, daß wenn wir jemandem einen Geisteszustand zu einem bestimmten Zeitpunkt oder während einer bestimmten Periode richtig zuschreiben, die betreffende geistige Tatsache gänzlich in etwas bestehe, das zu diesem Zeitpunkt bzw. 35 dieser Periode gehöre, sodaß Künftiges dabei keine wesentliche Rolle spiele (obwohl es natürlich als bloßes Beweismaterial relevant sein möge). Dagegen widerspricht Hegels Theorie dieser Annahme. (c) Herders Theorie wird der alltäglichen Annahme gerecht, daß Geisteszustände öfters effiziente Ursachen von entsprechendem körperlichem Verhalten seien, sodaß sie nicht bloß daraus konstituiert sein könnten. Dagegen widerspricht Hegels Theorie dieser Annahme.62 Zum zweiten Punkt: Hegels Kritik an Herders realistischer Auffassung von Kraft, woraus er auf seine eigenen Gegenthesen folgert, scheint fragwürdig. In ihrer endgültigen Form läuft sie auf die folgenden Gedanken hinaus: Eine realistische Auffassung von Kraft könne, indem sie Kräfte (oder einen wesentlichen Aspekt davon) von deren Erscheinungen ontologisch scharf unterscheidet, den in dem Begriff einer Kraft als Ursache implizit liegenden Begriff der Notwendigkeit der Verbindung einer Kraft (oder des betreffenden Aspekts davon) mit deren Erscheinungen nicht vindizieren. Sie habe auch das zweite Unbefriedigende, daß sie die nähere Natur der Kraft zu Unerkennbarkeit verdamme. Diesen beiden Problemen könne nur dann abgeholfen werden, wenn Kraft im Gegenteil auf eine antirealistische Weise (d.h. als schlechtweg identisch mit den betreffenden Erscheinungen) verstanden werde, wobei sich jedoch Erklärungen durch Kräfte als implizit bloße Tautologien und deshalb als keine echten Erklärungen entpuppten. Diese Kritik hat aber meines Erachtens manche Blößen. Zum einen scheint 62 Vgl. Taylor, "Hegel's Philosophy of Mind," 78-80, 89-90, der Hegel im Grunde genommen denselben Widerspruch zuschreibt. Michael Quante hat bemerkt, daß Hegel es in der Regel vermeidet, das Verhältnis zwischen dem Willen und dessen Taten als ein kausales zu charakterisieren, aber Quante behauptet, daß Hegels Position ein solches Verhältnis trotzdem zulassen würde (Hegel's Concept of Action [Cambridge: Cambridge University Press, 2004], 178-81). Quantes Bemerkung zur Textlage scheint mir richtig und ein bemerkenswerter Beleg für meine und Taylors Interpretation zu sein, aber Quantes weitere Behauptung scheint mir falsch. 36 sie bloß dogmatisch vorauszusetzen, daß realistische (oder wenigstens realistischere) Ehrenrettungen von der Kraft- oder überhaupt Kausalverhältnissen zugehörigen Notwendigkeit, wie z.B. Kants, fehlschlagen müssen. Zum anderen braucht das von Herder zugegebene allgemeine Unerkanntsein der näheren Natur von realistischen Kräften nicht unbedingt zu einem (wohl allerdings problematischen) Eingeständnis ihrer allgemeinen Unerkennbarkeit zu führen, wie Hegel anzunehmen scheint. Es könnte wohl sein, daß weitere Forschung es doch erlauben würde, die Natur von bestimmten realistischen Kräften näher zu bestimmen (z.B., um ein prägnantes Exempel zu wählen, daß es sich bei weiterer Forschung herausstellen würde, daß die Kräfte, die einen Geist bzw. Geisteszustand konstituieren, schließlich körperlicher Natur sind). Kurzum, Hegels Kritik an Herders realistischer Auffassung von Kraft ist kaum bündig, und seine Folgerung auf seine eigene alternative Theorie des Geistigen deshalb nicht schlüssig. 63 Zum dritten Punkt: Auch Hegels unabhängiges Argument für den 2. Teil seines Geistbegriffs, das sich auf die angebliche Tatsache beruft, daß nach unseren alltäglichen Kriterien entsprechendes körperliches Verhalten für Geisteszustände sowohl notwendig als auch ausreichend sei, ist bei näherem Ansehen fragwürdig. Zum einen erkennen unsere alltäglichen Kriterien eigentlich keine solche Notwendigkeit oder Zulänglichkeit an, da sie es im Gegenteil zulassen, daß in einzelnen Fällen Geisteszustände sehr wohl ohne entsprechendes Verhalten vorkommen können (wie das obige Beispiel des 63 Es soll hinzugefügt werden, daß die Tatsache, daß antirealistische Krafterklärungen von Regelmäßigkeiten im Grunde genommen tautologischer Natur und deshalb keine echten Erklärungen sein würden, nicht impliziert, daß solche Erklärungen von bestimmten Fällen bloß tautologischer Natur und deshalb keine echten Erklärungen sein würden. Die Zuordnung von dem bestimmten Fall zu einer übergreifenden Regelmäßigkeit könnte doch zu dessen Erklärung hinreichen (wie z.B. bei Bertrand Russells Modell wissenschaftlicher Erklärung anhand von lauter nichtkausalen Gesetzen). 37 Cocktailpartygesprächs illustrierte), und umgekehrt daß, wie einstimmig positiv, reichlich und dauerhaft auch immer das von einem Subjekt schon geleistete Verhalten zugunsten eines bestimmten Urteils über seinen Geisteszustand gewesen sein mag, es immer noch sehr wohl möglich bleibt, daß sein künftiges Verhalten zu einer Revidierung des betreffenden Urteils zwingen wird (wie die von Goodman und Kripke entlehnten Beispiele illustrierten). Zum anderen versucht zwar der 3. Teil von Hegels Geistbegriff solchen Tatsachen gerechter zu werden, indem dieser Teil wenigstens die Möglichkeiten eines vorläufigen Ausbleibens von entsprechendem Verhalten und einer künftigen Revidierungsbedürftigkeit von noch so wohl begründeten bisherigen Urteilen anerkennt. Aber erstens leistet er dies nur auf Kosten eines gewissen Widerspruchs mit dem betreffenden Argument, denn er impliziert, daß schon erzeugtes entsprechendes Verhalten in der Tat weder notwendig noch ausreichend für Geisteszustände sei (es sei denn, daß des Subjekts Leben schon zu Ende ist). Und zweitens bleibt er an und für sich unzulänglich, da er den von unseren alltäglichen Kriterien anerkannten radikaleren Möglichkeiten eines überhaupt nie in körperlichem Verhalten verratenen Geisteszustandes (wie im Beispiel des Cocktailpartygesprächs) und eines nie entsprechend verratenen Geisteszustandes (man stelle sich z.B. vor, daß Goodmans grue/bleen Mensch kurz vor dem kritischen Datum stirbt) immer noch nicht gerecht wird. Herders Theorie stellt sich auch hier als Hegels Theorie überlegen heraus, indem sie im Gegensatz ganz konsequent unseren alltäglichen Kriterien vollkommen gerecht werden kann (eine realistische Kraft bzw. Disposition, die in einem einzelnen Fall nie zum Ausdruck kommt oder nie entsprechend zum Ausdruck kommt, ist kein Widerspruch). 38 Kurzum, wenigstens im Hinblick auf die 2. und 3. Teile von Hegels Geistbegriff kommt Herders Theorie nicht nur als entscheidender Einfluß, sondern auch als imponierender Konkurrent in Betracht. * Zum Schluß, ich hoffe, daß dieser Artikel ein paar überraschende Thesen geliefert und plausibel gemacht hat: erstens, daß Hegels Geistbegriff weitaus radikaler ist, als man gewöhnlich angenommen hat; zweitens, daß der wichtigste Einfluß auf dessen Entwicklung weder Aristoteles noch Kant, Fichte und Schelling, sondern Herder war; und drittens, daß Herders ursprüngliche Theorie des Geistes nicht nur sehr attraktiv war, sondern auch imstande ist, Hegels abgewandelte Form derselben in wichtigen Hinsichten zu übertreffen. 39