Karl-Heinz Lambertz, Member of the EDUC Commission of the CoR

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Beitrag von Karl-Heinz Lambertz, Ministerpräsident der
Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens und Mitglied der
Fachkommission EDUC des Ausschusses der Regionen, zum Thema
„Förderung der Mehrsprachigkeit auf lokaler und regionaler Ebene“
anlässlich der Konferenz „Bedeutung einer mehrsprachigen
Gesellschaft für die Förderung der Mobilität
in den europäischen Regionen und Städten“
Bozen/Italien, 17. April 2007
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
in das Thema Mehrsprachigkeit kann man aus den unterschiedlichsten
Blickwinkeln einsteigen. (…) Ich komme aus einem Land mit den drei
Amtssprachen Französisch, Niederländisch und Deutsch und das von vielen
Nachbarn umgeben ist, die ebenfalls ihre eigene Sprache reden. Ihre Situation ist
in dreifacher Hinsicht eine besondere. Ich vertrete die deutschsprachige
Minderheit in Belgien. Wer 0,7% der Gesamtbevölkerung ausmacht, darf sich wohl
mit Fug und Recht als Minderheit betrachten. Ich vertrete auch eine ganz kleine
Region mit 73.708 Einwohnern. Eine kleine Region, die nichtsdestotrotz über die
Gesetzgebungshoheit verfügt, was ihr auf europäischer Ebene schon eine
besonders interessante Stellung verleiht. Und ich komme aus einem Grenzgebiet,
in dessen unmittelbarer Nachbarschaft vier Sprachen gesprochen werden:
Luxemburgisch, Französisch, Deutsch und Niederländisch.
Die gesamte Geschichte meiner Region ist auch und nicht zuletzt die Geschichte
des Umgangs mit der eigenen Sprache, und derjenigen der Nachbarn. Ein
Umgang, der im Laufe der Geschichte übrigens durchaus problematisch war. Als
der Versailler Vertrag 1920 beschloss, dass dieser Teil Deutschlands zu Belgien
kommt, wurden dahingehend große Debatten geführt, ob die deutsche Sprache
überhaupt erhalten bleiben sollte. Und als nach den Wirren der Zwischenkriegszeit
und des Zweiten Weltkrieges wieder allmählich Normalität eingekehrte, stellte sich
für viele Menschen in meiner Heimat auch die Frage: Können wir nach dem
Zweiten Weltkrieg überhaupt noch ruhigen Gewissens unsere Muttersprache
Deutsch reden oder müssen wir eine andere Sprache für unsere zukünftige
Entwicklung wählen?
Das waren alles sehr große Herausforderungen in der Vergangenheit, und sie
haben die Menschen in meiner Region dazu bewegt, zum Thema Sprache –
sowohl Mutter- als auch Fremdsprache und dabei ganz besonders die erste
Fremdsprache Französisch - eine ganz besonders komplexe Beziehung
aufzubauen. Als eigenständige Region bestehen wir vor allem und auch nur
deshalb, weil wir eine andere Sprache reden als die übrigen Mitbürger unseres
Landes. Wir haben begriffen, dass wir die Sprache unserer Nachbarn beherrschen
müssen, wenn wir unsere Zukunft gestalten möchten.
Und so lebe ich in einer Region, wo praktisch die gesamte Bevölkerung ziemlich
gut, zumindest zwei Sprachen spricht: Deutsch und Französisch. Darüber hinaus
sind viele Menschen bemüht, ebenfalls die niederländische Sprache zu erlernen,
die in Belgien ja die meistgesprochene Sprache ist. Selbstverständlich müssen
auch wir uns ganz klar mit der Situation abfinden, dass in der heutigen
globalisierten Welt ohne Englisch keine Alltagskommunikation mehr möglich ist.
Weil wir uns dessen bewusst sind, haben wir versucht, unsere
Gesetzgebungsmöglichkeiten, unsere Handlungsmöglichkeiten vor Ort in den
Dienst dieser Sprachenkompetenz zu stellen. Dazu möchte ich Ihnen die
wichtigsten Dinge hier als Beispiel zitieren, um Ihnen zu erläutern, wie wir es
machen - nicht weil wir es am besten machen, sondern weil wir es machen
müssen, wenn wir überleben wollen.
Wir haben in meiner Region das Erlernen der ersten Fremdsprache zur Pflicht
gemacht - und das schon im Kindergarten: Ab dem Alter von drei Jahren werden
die Kinder in meiner Heimat spielerisch mit der französischen Sprache konfrontiert
und mit zunehmender schulischer Entwicklung wird Französisch als Pflichtfach in
den Primar- und Sekundarschulen erteilt. Dies haben wir gesetzlich festgelegt und
im Großen und Ganzen sind wir mit unserer gesetzlichen Gestaltung zufrieden. Wir
sind
nach
Malta
in
Europa
das
Gebiet
mit
der
höchsten
Mindestgesamtstundenzahl an Fremdsprachenunterricht, und das über einen
Zeitraum von neun Jahren.
Wir haben aber auch noch ein anderen Weg beschritten: Wir haben den
bilingualen Unterricht - insbesondere bei der Sekundarschulausbildung - zu einem
Markenzeichen unserer Region gemacht, indem wir gesetzlich erlauben, dass
maximal die Hälfte aller Unterrichtsstunden im Sekundarschulwesen – mit
Ausnahme der Sprachunterrichtsstunden - in einer anderen Sprache als der
Muttersprache erteilt werden kann. Diese Möglichkeit wird in vielen Schulen
unserer Region genutzt. So haben wir auch ein sehr breit entwickeltes Netz an
bilingualen Ausbildungsangeboten in der Sekundarschule. Deshalb arbeiten wir
auch sehr intensiv bei der Europäischen Initiative „EMIL“ mit, was für
„Enseignement d’une matière intégrée à une langue étrangère“ steht. Mit
diesem System haben wir sehr gute Erfahrungen sammeln können.
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Dennoch sind wir mit der sprachlichen Kompetenz unserer jungen Menschen und
auch unserer Erwachsenen nicht zufrieden. Wir denken, dass diese noch besser
und noch mehr Sprachen erlernen müssen. Wir sind auf der Suche nach
Möglichkeiten, um auf dieser Ebene unsere Ausbildungsqualität zu steigern.
Gerade weil wir ständig auf der Suche sind, freuen wir uns, an Tagungen wie der
heutigen und an vielen anderen europäischen Austauschprojekten teilnehmen zu
können.
Bei der Suche nach den besten Möglichkeiten, Fremdsprachen zu erlernen,
kommt es selbstverständlich ganz entscheidend auf didaktische, auf
methodologische Aspekte an. Aber ich persönlich bin der Überzeugung, dass die
wesentliche Frage irgendwo anders liegt.
Wo liegt denn die wesentliche Problematik beim Erlernen von Fremdsprachen? Es
gibt Generationen von Menschen in ganz Europa, die eine Fremdsprache gelernt
haben und diese dann doch nicht richtig sprechen können. Das liegt nicht
ausschließlich an der Qualität des Unterrichts. Das kann zwar auch am Unterricht
liegen, liegt meines Erachtens aber vor allem an der Motivation. Ich lerne vor
allem dann eine Sprache gut und gerne, wenn ich sie erlernen will! Wenn ich
Gründe habe, wenn ich davon überzeugt bin, diese Sprache erlernen zu wollen.
Diese Gründe können sehr vielschichtig sein. Sie können in einer globalisierten
Welt zunehmend mit der Notwendigkeit der beruflichen Weiterentwicklung
verbunden sein. Sie können aber auch in der Sehnsucht nach den vielen Leben
begründet liegen, von denen eben gesprochen wurde, als richtigerweise zitiert
wurde, dass ja jede Sprache ein neues Leben mit sich bringt. Diese Chance,
andere Regionen, andere Erdteile und andere Partner zu entdecken, ist meines
Erachtens die wichtigste Motivationsgrundlage, die es für die Erlernung einer
Fremdsprache überhaupt geben kann. Deshalb müssen wir, denke ich, vor allem
auf
dieser
Motivationsebene
arbeiten,
wenn
wir
erfolgreich
Sprachenkompetenzverbesserung betreiben wollen.
Wen müssen wir motivieren? Wir müssen natürlich in erster Linie die jungen
Menschen selbst motivieren, aber selbstverständlich auch die älteren Menschen.
Wir müssen auch die Eltern dieser Kinder motivieren. Wir müssen vor allem - das ist
die zentrale Herausforderung - die Lehrerinnen und Lehrer motivieren, den
richtigen Weg bei der Vermittlung von Sprachenkompetenz zu finden. Das setzt
voraus, dass sie natürlich selbst eine sehr hohe Sprachenkompetenz besitzen und
dass sie in der Lage sind, zwischen der fremden Sprache und dem, was einen
jungen Menschen oder einen Erwachsenen motivieren kann, den richtigen
Zusammenhang herzustellen. Da liegt für mich die eigentliche Herausforderung
bei der Vermittlung von Sprachenkompetenz. Das hat nicht nur mit Sprache im
engeren Sinne zu tun.
Da geht es in Wirklichkeit um „interkulturelle
Kommunikationskompetenz“.
Von der interkulturellen Kommunikationskompetenz habe ich einmal eine
wunderbare Definition gelesen habe, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte auch wenn ich weiß, dass das, was ich jetzt sage, sehr schwer zu übersetzen ist.
Ich entschuldige mich bei den Dolmetscherinnen und Dolmetschern dafür.
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Was
ist
interkulturelle
Kommunikationskompetenz?
Interkulturelle
Kommunikationskompetenz ist bedeutend mehr als ein Fremdsprachenunterricht
oder
eine
Fettnäpfchenlehre
für
Fortgeschrittene.
Interkulturelle
Kommunikationskompetenz setzt die Fähigkeit voraus, sich in die Situation des
Partners, in seine besondere Lage, in seinen kulturellen, gesellschaftlichen und
wirtschaftlichen Hintergrund hineinzudenken und auf dieser Ebene mit ihm zu
kommunizieren. Das ist gerade in Zeiten der Globalisierung eine große
Herausforderung. Das ist natürlich auch eine besonders große Herausforderung für
Europa, wenn wir wirklich wollen, dass die kulturelle Vielfalt das entscheidende
Alleinstellungsmerkmal einer gelungenen europäischen Integration sein soll.
Da können, so denke ich, Grenzregionen eine ganz besondere Rolle spielen. Da
scheint mir auch die Notwendigkeit beim Fremdsprachenerlernen zuerst einmal
die Sprache des Nachbarn zu kennen, von ganz entscheidender Bedeutung.
Dass jeder heute Englisch beherrschen muss, ist ganz klar. Dies steht außer Frage
und bedarf keiner Diskussion. Aber wenn ich mich bewusst dafür entscheide, die
Sprache des Nachbarn, der anderen Landesteile in einem Mehrsprachenstaat
oder die Sprache des Nachbarn jenseits der Staatsgrenze zu erlernen, dann
mache ich weit mehr als nur eine Erfahrung in Sachen Mehrsprachigkeit. Dann
versetze ich mich in die Lage, tagtäglich mit den Menschen auf einer ganz neuen
Ebene zu kommunizieren, die meine unmittelbaren Nachbarn sind und die in
Zeiten der Mobilität natürlich sehr schnell und vielfältig erreichbar sind.
Deshalb denke ich auch, dass gerade in den Grenzregionen in Europa dieses
Thema des Erlernens der Sprache des Nachbarn - etwa auch im Rahmen eines
Konzeptes der rezeptiven Mehrsprachigkeit, von dem eben die Rede war - eine
ganz wichtige Priorität ist und bleiben muss. Das ist viel leichter gesagt als getan!
Ich selbst arbeite in zwei grenzüberschreitenden Verbünden mit - in der
Großregion Saar-Lor-Lux und in der Euregio Maas-Rhein - und erlebe dort, wie
schwierig es ist, von den Sonntagsreden über die Notwendigkeit des Erlernens der
Sprache des Nachbarn zu der wirklich verbreiteten Realität dieses
Sprachenerlernens zu kommen. Das gilt auch für Länder, wie mein Heimatland
Belgien mit seinen drei Landessprachen, die man doch als ein besonderes
Markenzeichen bezeichnen kann. Aber leider ist es so, dass nur sehr wenige
Belgier diese drei Sprachen und selbst nicht einmal zwei dieser drei Sprachen
kennen. Das ist eine negative Situation. Denn das Kennen der Sprache des
Nachbars ist eine fundamentale Notwendigkeit, wenn ich mich wirklich öffnen
will, wenn ich meine Entwicklung in Zusammenarbeit mit meinen Nachbarn
gestalten möchte.
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Deshalb denke ich, dass wir die Mehrsprachigkeit in Europa weiterhin systematisch
fördern müssen. Wir müssen sie immer wieder einklagen. Wir müssen all das
unterstützen, was dazu beiträgt, die Sprachenkompetenz zu verbessern. Wir sollten
gerade auch als Europäische Union immer wieder neue Ansätze suchen, um
Begegnungen, konkrete Immersionserfahrungen möglich zu machen. Denn die
beste Methode, um schnell und zügig eine Sprache zu lernen, ist es, in eine
andere Sprache einzutauchen und sich dort dann zu bewähren.
Diese
Möglichkeiten haben sich in den letzten Jahren unter anderem dank
europäischer Initiativen wie dem Erasmus-Programm entscheidend verbessert.
Aber da kann noch sehr viel mehr geschehen, als das, was heute geschieht.
Deshalb möchte ich meine Ausführungen auch mit der Aufforderung beenden,
die Möglichkeiten der Mehrsprachigkeit in Europa voll auszunutzen, alle
methodologischen Erfahrungen immer wieder vernetzt in den Dienst der
gesamten europäischen Bevölkerung zu stellen, um auf diese Art und Weise diese
europäische Mehrsprachigkeit zu einem Trumpf für Europa, und zu einem Trumpf
für Europa in einer globalisierten Welt zu machen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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