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Autor: Verena Achenbach
FAUST, Goethe
Analyse: Faust-Wagner Szene, Nacht
Der Gelehrte Faust, der Protagonist des gleichnamigen Dramas von J. W. Goethe, hat
sich alles Wissen angeeignet, was die Welt bieten konnte und ihn erfüllt dennoch
Verzweiflung. Zurückgezogen in sein Studierzimmer, sucht er in der Szene "Nacht"
schließlich, seine innere Erfüllung durch das Hinwenden zur Magie, um den Sinn des
Lebens zu erkennen. Als er weder in der Natur noch in dem Zeichen des Makrokosmos
Hoffnung findet, beschwört er schließlich den Erdgeist, der ihm erscheint. Entgegen der
Hoffnung Fausts wird er jedoch zurückgewiesen, Faust muss erfahren, dass er nur ein
Mensch ist und keineswegs gottgleich. Der Geist ist verschwunden und der
zusammenbrechende Faust wurde zurückgelassen, als es klopft und sein Gehilfe und
Schüler Wagner, in Schlafrock und Nachtmütze, eintritt.
Die Erscheinung Wagners beinhaltet eine Komik, die nicht nur von der Kleidung, sondern
auch von dem Kontrast zu der Dramaturgie der vorhergehenden Szene herrührt und sein
plötzlicher Auftritt wirkt in hohem Maße ernüchternd. Die Klimax, die sich aufgebaut hat,
wird durch einen plötzlichen Abfall der Spannung zu einem Ende gebracht, die
Wirklichkeit ersetzt die Ekstase Fausts.
Das Erscheinen Wagners beruht auf einem Irrtum des Famulus. Wagner, im Glauben
Faust zitiere ein griechisches Trauerspiel, hofft darauf zu profitieren und hat den
unwilligen Faust schon bald in ein Gespräch verwickelt, in dem Rhetorik und die
Geschichtsschreibung die Hauptthemen bilden. Jedoch entstehen durch die
unterschiedlichen Auffassungen der Wissenschaft, die die beiden Charaktere vertreten,
eine Reihe von Missverständnissen. Wagner hofft darauf, Faust könne ihn etwas lehren
über die Kunst des Redens, worauf Faust entgegnet man könne diese nicht lernen, das
Gesagte müsse nur von Herzen kommen. Doch dies scheint Wagner nicht verstehen zu
können (oder zu wollen), er äußert seine Angst nie Perfektion erreichen zu können: "Wie
schwer sind nicht die Mittel zu erwerben, / Durch die man zu den Quellen steigt!" (Z.562563). Über die Geschichtsschreibung äußert sich Faust in negativer Weise, er beschreibt
sie als lückenhaft und unbefriedigend, während Wagner sie bewundert. Die beiden
Wissenschaftler reden also ununterbrochen aneinander vorbei. Faust kritisiert Wagner
heftig; zynisch und bisweilen sogar überheblich beurteilt er seine Einstellung, wie z.B. in
den Z.538-541: "Sitzt ihr nur immer! Leimt zusammen/ Braut ein Ragout von anderer
Schmaus,/ Und blast die kümmerlichen Flammen/ Aus eurem Aschenhäufchen ′raus!".
Doch diese Kritik und dieser Zynismus werden nicht wahrgenommen, bzw. verstanden,
im Gegenteil, Wagner verlässt Faust mit dem Gefühl eine fruchtbare wissenschaftliche
Besprechung geführt zu haben und glaubt sein Wissen vermehrt (vgl. Z.596-601),
wogegen ihn Faust für einen "trockenen" (Z.521) und "ärmlichen" (Z.601) Narren hält
und das Gespräch eher als Zurechtweisung auffasst.
Wagner spielt in dieser Szene eine besondere Rolle, er dient als Kontrast zu Faust, um
dessen Einstellung und Auffassungen der Wissenschaft deutlich zu machen. Im
Gegensatz zu Faust trennt Wagner seine Studien von seinem Privatleben. Er ist ein
Wissenschaftler aus Freude am Wissen und am Lernen, wie in Zeile 601 deutlich wird:
"Zwar weiß ich viel, doch möcht′ ich alles wissen." Dabei beschränkt er sich auf das
allgemeine akademische Wissen, im Gegensatz zu Fragen des Lebens, wie der
Philosophie und erfreut sich an Schriften anderer, weniger daran, selbst Ideen zu
entwickeln. Die Wissenschaft ist für ihn unpersönlich, er begibt sich nicht auf die höhere
Ebene des Analysierens, sondern glaubt, er müsse nur genügend Wissen erlangen um die
Welt zu verstehen. Im Gespräch zeigt sich seine "passive" Auffassung der Wissenschaft,
die sich auf das Studieren der Gedanken anderer beschränkt, in der Anwendung von
Allgemeinplätzen, wie "Allein die Welt! Des Menschen Herz und Geist" (Z.586) oder
"Allein der Vortrag macht des Redners Glück" (Z.546), die gedankenlos zitiert werden.
Die Zeilen 570-574: "es ist ein groß Ergetzen,/ [...] Zu schauen, wie vor uns ein weiser
Mann gedacht,/ Und wie wir′s dann zuletzt so herrlich weit gebracht." zeigen, wie er die
Fortschrittlichkeit der Wissenschaft bewundert und wie die Errungenschaften der
Wissenschaft und das Wissen, welches erworben wurde durch die Jahrhunderte, eine
Faszination ausüben auf Wagner. Er hofft darauf aufzubauen, strebt jedoch nicht danach
neues Wissen zu erlangen. Auch interessiert ihn das Wissen, die Erkenntnis, die jeder für
sich erlangen muss, um persönlich einen Sinn zu finden, nicht.
Im Gegensatz zu Wagners unpersönlicher Auffassung von der Wissenschaft, sucht Faust
ausschließlich den persönlichen Bezug. Er versucht für sich selbst Erfüllung zu finden, das
Allgemeinwissen, welches man in Büchern lesen kann, interessiert ihn nicht, sondern er
forscht nach den großen Zusammenhängen des Lebens. Er blickt hinter die Fassade und
gibt sich nicht mit auf den ersten Blick Offensichtlichem zufrieden, wie z.B. seine
Einstellung zur Geschichtsschreibung zeigt (vgl. Z.575-585). Zur Rhetorik meint er, dass
man sie nicht lernen kann, sondern dass ein gutes Thema, vorgetragen von einem
beherzten Redner, von allein überzeugend wirkt, was in den Zeilen 534-535 und 550-551
deutlich wird: "Wenn ihr′s nicht fühlt, ihr werdet′s nicht erjagen,/ Wenn es nicht aus der
Seele dringt/ [...] Es trägt Verstand und rechter Sinn/ Mit wenig Kunst sich selber vor"
Nicht nur ein Redner muss jedoch seiner Meinung nach aus ganzem Herzen Redner sein,
auch ein Wissenschaftler muss sich seiner Sache verschrieben haben. Für ihn ist die
Philosophie eine persönliche Frage, was er in den Zeilen 568-569 deutlich beschreibt:
"Erquickung kannst du nicht gewinnen,/ Wenn sie dir nicht aus eigner Seele quillt."
Doch nicht nur Fausts Einstellung und Auffassung von der Wissenschaft werden durch
seinen Dialog mit Wagner charakterisiert, sondern indirekt erfährt der Leser bzw.
Zuhörer auch etwas über Fausts Charakterzüge, wie seine Einstellung zu seinen
Mitmenschen. Fausts Reden sind gespickt mit teilweise auch berechtigter Kritik, aber
auch mit Zynismus. Sogar Überheblichkeit kristallisiert sich heraus von Zeit zu Zeit, wie
z.B. in den Zeilen 574-576: "O ja, bis an die Sterne weit!/ Mein Freund, die Zeiten der
Vergangenheit/ Sind und ein Buch mit sieben Siegeln." Hier benutzt er Ironie um eine
scharfe Belehrung einzuleiten. Ironie und Zynismus wird auch in den Zeilen 528-529
gebraucht: "Ja, wenn der Pfarrer ein Komödiant ist;/ Wie das denn wohl zu Zeiten
kommen mag." Er kritisiert die Kirche, bzw. die Pfarrer, die, gemäß Faust, häufig zu sehr
auf Effekthascherei aus sind und zu "Komödianten" werden. Sein Zynismus zeigt nicht
nur seine Einstellung zu anderen Menschen, sondern ist aus Ausdruck der schweren
Krise, in der er sich befindet.
Der Dialog zwischen Faust und Wagner in der Szene "Nacht" hat die Funktion einer
Charakterisierung Fausts, im Kontrast zu Wagner. Das Missverstehen dieser beiden
Partner zeigt die Unvereinbarkeit ihrer Auffassungen von den Wissenschaften. In dieser
Szene deutet sich auch schon eines der Hauptthemen des Stückes an, es wird plausibel,
wie eine Auffassung der Wissenschaft zu einer persönlichen Tragik führen kann, wenn
das akademische Wissen nicht mehr genügt und die Erforschung des Lebens zum
Lebensinhalt wird. Für Faust sind seine Studien zur Erforschung des Sinnes des Lebens
geworden, die mit "normalen" Mitteln nicht mehr erfüllbar ist. Er strebt nach immer mehr
Erkenntnis.
Dieses endlose, unerfüllte Streben kann zu einer persönlichen Tragik führen, die mit
Verzweiflung enden kann, wenn der Mensch an seine Grenzen stößt.
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