AUST 1911 - henschel SCHAUSPIEL

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Manfred Karge
FAUST 1911
Der Kundige wird bemerken, daß in diesem Text das kleine Faust-Fragment
von Georg Heym (1887 - 1912) zitiert wird. Dem Unkundigen sei es hiermit
freundlichst mitgeteilt.
© henschel
SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH 1995
Als unverkäufliches Manuskript vervielfältigt. Alle Rechte am Text, auch einzelner
Abschnitte, vorbehalten, insbesondere die der Aufführung durch Berufs- und
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Übertragung, Verfilmung oder Aufzeichnung durch Rundfunk, Fernsehen oder
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Das Vervielfältigen, Ausschreiben der Rollen sowie die Weitergabe der Bücher ist
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Die Werknutzungsrechte können vertraglich erworben werden von:
henschel SCHAUSPIEL
Marienburger Straße 28
10405 Berlin
Wird das Stück nicht zur Aufführung oder Sendung angenommen, so ist dieses
Ansichtsexemplar unverzüglich an den Verlag zurückzusenden.
F1
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Das gibts doch nicht. Einen Faust. Das muß ich mir anschaun. Ausverkauft.
Das gibts doch nicht. Gut, daß du kommst. Bei dir kann man ja durchs
Fenster aufs Dach des Theaters. Und, wie du mir sagtest, hat es einen
Spalt, durch den man hinunterschaun kann. Da mußt mich hinlassen.
Eine Uraufführung, verstehst, und keine Karten. Ein Faust von einem
jungen Dichter. Zweiundzwanzig ist er.
Das gibts doch nicht.
Aber ja. Kommst mit?
Ich geh lieber auf ein Bier. Da hast den Schlüssel.
Danke.
Keine Ursache. Beeil dich.
Meinst, es hat schon angefangen?
Sicher.
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Was machenS denn da auf dem Dach?
Ich?
Sie sind sicher nicht von hier.
VerratenS mich bitte nicht. Ich liebe das Theater.
Das mag sein. Aber was machenS denn da?
Ich erhielt keinen Einlaß. Und dadrüben hinter dem Fenster wohnt ein
Bekannter. Ich liebe das Theater. Es gibt da einen Spalt, durch den kann
man hinunterschaun.
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Das war. Der ist nicht mehr. Er hat mir auch Dienste getan.
Wahrhaftig? Darf ich fragen, was Sie da machen in dem seltsamen Aufzug?
SindS von da unten?
Freilich. Das ist mein Kostüm. Ich stelle in dem Stück ein leichtes Mädchen
dar. Ein paar Sätze am Anfang und ein paar am Schluß. Und so muß ich
warten.
Warten ist das halbe Leben.
Sie sagens.
Aber warum sind Sie denn da auf dem Dach?
Ich bin immer da, wenn ich nicht unten bin. So einfach ist das.
Das ist aber nicht schön, daß es diesen Spalt nicht mehr gibt. Ich hätte mir
alles allzu gern angeschaut.
Ich tät Ihnen ja gern helfen, wo Sie das Theater so lieben, wie Sie gesagt
haben, aber es ist voll bis zum Rand. Weil es heut was Besonderes ist. Es ist
ein Faust von einem jungen Dichter. Erst zweiundzwanzig Jahre.
Ich weiß. Darum bin ich ja auch da, weil es etwas ganz Besonderes ist. Ein
Kreuz, daß es den Spalt nicht mehr gibt.
Ja, ich muß jetzt immer höllisch achtgeben, daß ich meinen Auftritt nicht
versäum. Der Spalt gab mir Auskunft.
Wirklich, ein Kreuz.
Ja, was machenS denn da?
Ja, was mach ich da?
Ich könnt Ihnen ein wenig davon sagen, was da unten geschieht.
Würden Sie das tun? Das wäre sehr freundlich. Denn ich liebe das Theater,
wissen Sie.
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Ich könnte das gut tun, da ich eh zu warten hab.
Aber sind Sie denn nicht selber gespannt, wie es ausgeht?
Das weiß ich vornweg.
Wie das?
Ich kenne meine Pappenheimer. Eine Weile schaun sie zu, dann werden sie
ungehalten, weil es so neu ist, und dazu von einem ganz jungen Menschen,
und dann auch noch ein Faust. Das mögen sie nicht.
Ja, und?
Dann werden sie husten und brummen, dann lachen, dann werden sie
scharren und trommeln, und dann werden sie schließlich so einen Lärm
machen, daß nichts mehr geht.
Meinen Sie?
Da bin ich sicher.
Das versteh, wer will, ich nicht. Aber was ist denn so arg daran? Jetzt würd
ich allzu gern wissen, was da geschieht.
Ich hab es Ihnen ja gesagt.
Auf der Bühne, meine ich.
Zuerst geht der Teufel mit Faust in den Lunapark, und sie begegnen einem
Mädchen –
Ah, das sind Sie.
Das war ich. Einem jungen Mädchen, das auf einen Neger wartet.
Wahrhaftig?
Der Teufel poussiert sie aufs Schärfste. Sie will aber nicht und behandelt
ihn absprechend. Er: Du bist wohl verrückt. Dann nimmt er sie mit Gewalt.
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Aber?
Die Bühne wird dunkel. Die Bühne wird hell. Sie steht da und ordnet die
Kleider. Sie: Aber das wirst du doch niemandem erzählen, überhaupt hier
im Grunewald. Was ist das für eine Art.
Im Grunewald?
Ja, im Grunewald. Das ist in Berlin. Der Lunapark, der ist beim Grunewald
in Berlin. Sie: Was ist das für eine Art. Hast du denn keine eigene Bude?
Er: Ja. Er beschreibt ihr die Hölle. Die ist furchtbar groß. Innen rot
tapeziert. Ganzen Sommer über Feuer. Er, der Teufel: Übrigens, ich habe
jetzt keine Zeit mehr für dich. Du mußt jetzt an Faust sein langes Messer.
Sie will nicht. Er pfeift dem Faust. Der redet mit ihr überirdisch. Er sagt
aus Goethe auf. Sie: Der ist wohl dusselig. Rückt immer näher. Faust wird
immer überirdischer. Da geht sie den Teufel in der Hölle besuchen, der
gerade mit der Jungfrau Maria poussiert.
Das gibts doch nicht.
Der Teufel guckt aus dem Schlüsselloch. Um Gottes willen, sie kompromittiert mich. Er geht an das Schiebefenster und steckt seinen wilden Kopf
heraus. Das Weib läuft weg.
Und das sind Sie?
Das war ich.
Das tät ich allzu gern sehen. Wie schaut er aus, der Teufel?
Mit einem rotbeschmierten Gesicht und einem Dreizack. Zwei Hörner auf.
Im Lunapark ist eine Bretterbude. Hinten ein Park. Eine große Wiese.
Liebespärchen auf den Bänken. Und Schwarze als Ringkämpfer.
Richtige?
Angemalt.
Und nun.
Faust begegnet Johannes dem Täufer. Die beide allein in der Welt herumfahren. Szenen mit der Heilsarmee. Bei den Spiritisten. Und – und –
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Ja, und?
Ein Neger taucht auf mit einer Pastorsfrau. Faust mit einer – verzeihen Sie,
Nutte. Dann Dächer. Der Neger sitzt auf ihnen, er ist ausgerückt. Er klettert
auf einer Leiter herum. Kommt in eine gute Stube. Der Teufel und ein
Chinese. Der die Rolle des Wagner spielt.
Das gibts doch nicht.
Dann auf dem Mond. Dann eine spiritistische Sitzung. Die Geister des
ermordeten Winter in Konitz. Der mengt sich dazwischen. Napoleon.
Wildenbruch. Ein Bettlerkongreß in einem Keller. Ein Kneipe. Eine weite
Straße. Arbeiter gehen in die Fabriken. Zuletzt fahren sie alle mit dem
Fahrstuhl in die Hölle. Bloß der Neger rückt wieder aus. Der liebe Gott
zieht ihn an einem Regenschirm herauf. Und sitzt oben auf dem Dache.
Aber so weit kommen sie nicht.
Sind sie sicher?
Ganz sicher. Da können Sie Gift drauf nehmen. Dann gibt es noch Bettler,
die im Morgengrauen scharren. Bolle fährt vorüber. Richtiges Morgengrauen. Sehr graue Stimmung. Diebe leuchten, Mädchen gehen spazieren.
Oben hängen Gerippe.
Und wann gehen Sie hinunter?
Da gibt es kurz vor Schluß ein Dinner in Berlin W. Eingeladen sind ein
Scharfrichter, ein Mormone, ein Opernsänger, ein Neger, ein Chinese.
Der Teufel ist auch da. Der Scharfrichter erzählt ganz haargenau eine
Hinrichtung. Alle jungen Damen hören zu.
Auch Sie?
Ja, aber ich schwörs Ihnen, so weit kommen sie nicht. Eifersucht gibts um
den Scharfrichter. Schließlich behält der Teufel die Oberhand. Und ich fall
ihm um den Hals.
Es ist ein Jammer um den Spalt. Aber Sie haben mir ja alles so schön
erzählt, da dank ich Ihnen. Wissen Sie, ich liebe das Theater. Aber daß
Sie immer hier oben sind, das ist höchst seltsam.
Hier ist man allein. Man schaut über die Stadt. Man denkt sich dies und
das. Und hört nicht all den Unsinn an, den andere da sagen.
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