Sozialwissenschaftliches Denken

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Sozialwissenschaftliches Denken
2. Vorlesung
( 22.10.2007)
Das Verständnis über Gesellschaft und der Grundstock von sozialer Theorie wird für
den Sozialwissenschaftler vorausgesetzt.
Gesellschaft – die Wichtigkeit der sozialen Theorien
Gesellschaft ist nichts Starres oder Museales , sondern mobil. Als Sozialwissenschaftler
hat man das zu berücksichtigen. Man schaut ebenso wo und ob es überhaupt Grenzen
gibt – und bezieht auch das Individuum mit ein.
 Wie hängen Individuum und Gesellschaft miteinander zusammen?
In Bezug auf all diese oben genannten Dinge gibt es unterschiedliche soziale Theorien
mit unterschiedlichen Gewichtungen. Ein wichtiges Beispiel sei hier der HABITUS (
Bordieu)
Beispiel : ein Individuum in einer sozial schwachen Position wird sich nicht darauf
konzentrieren die Welt zu verbessern , weil dazu gar nicht die Zeit übrig ist – im
Mittelpunkt steht das Überleben. Vorstellungen und Konzepte über eine bessere Welt
wird sich eher ein Individuum in einer sozial stärkeren Position machen – zum Beispiel
der Sohn eines Pfarrers.
 es reicht jedoch nicht von jenem auszugehen ohne dabei explizit auf die Theorie
hinzuweisen. Man kann sich dann auf die Position des idealistischen Tuns ( jeder
Mensch ist frei) oder marxistisches Tun ( kein Mensch ist frei) beziehen , jedoch
MUSS man die jeweilige Theorie die vertreten wird angeben. Ansonsten kann
man nur Ausschnitte beschreiben.
Sozialwissenschaftliches Denken
Der erste große Schritt zum sozialwissenschaftlichen Denken :
Sic h Fragen und schauen warum sich jemand so verhält wie er sich verhält und
analytisch explizitisch arbeiten ( Angaben dazu machen woher dieses Verhalten
kommt)
Die jeweiligen Positionen von Individuen hängen mit ihrem Verhalten zusammen.
3 Begriffe – HABITUS – PRAXIS – STRUKTUR
Praxis
Ist all jenes was man sehen kann , was ersichtlich ist.
Die Handlung ist strukturiert ( sonst würden nicht ( fast) alle gerade das selbe im
Hörsaal machen – mitschreiben obwohl sie nicht explizit dazu aufgefordert wurden
= strukturiertes Verhalten ) Aber wie kommen soziale Strukturen in Handlungen? (
wie kommt der Bleistift mit dem alle mitschreiben in die Hand der Studenten ) =>
HABITUS
Der Habitus ist ein Bündel von Deutungs/ Wahrnehmungs und Handlungsweisen.
Das ist jedoch keine endgültige Definition , es geht einzig darum zu verstehen was
dabei gemeint wird.
Die soziale Theorie zum Habitus meint folgendes
Über die Sozialisierung werden/ sind Strukturen im Körper eingeschrieben. Diese
Strukturen können nicht einfach so durch individuelle Entscheidungen überwunden
werden.
Beispiel: In der Kindheit wurde man dazu trainiert mit vollem Mund nicht zu
sprechen => daher wird man nie mit vollem Mund reden oder wenn dann wird es
einem fremd und unangenehm sein. Hierbei erkennt man das habitualisierte
Verhalten
Beispiel : Wenn man in dieser Weise sozialisiert wurde die Suppe nicht zu schlürfen
und man ist in Japan wo dieses Verhalten einfach als Akt der Höflichkeit gilt und
man tut jenes auch obwohl es nicht in den eigenen Habitus fällt , dann wird das
Suppeschlürfen einem selbst wiederum fremd und „ nicht geheuer“ vorkommen.
Beispiel : Umerziehungskampagnen in China bezüglich des Schlatzens ( grüner
Schleim wird von der Nase aufgezogen und in Napf geschlatzt) weil das Verhalten
den Touristen sauer aufstößt => das Schlatzen ist den Menschen in China extrem
schwer abzugewöhnen , weil das Schlatzen habitualisiert ist.
Beispiel Essensregeln
Sind in sozialen Schichten sehr unterschiedlich. Dadurch merkt man ( wenn zwei
Personen unterschiedliche Essensregeln verwenden) , dass soziale Differenzen
aufeinander stoßen. Es wird uns dann das Verhalten des anderen wiederum als
störend , unpassend , unangenehm , fremd etc ( was auch immer ) erscheinen.
Durch den Habitus ( unsere Einprägung) ist ein Ausbrechen aus unserer
Gesellschaft daher absolut nicht leicht und wenn dann nur zeitweilig. Beispiel :
Susanne Wenninger , schon 60 Jahre lang Yorubapriesterin ; sie sieht sich trotzdem
immer noch als Wienerin.
Oder : Ein junger Mann macht sich auf nach Goa und verbringt dort eine Zeit lang.
Das ist wiederum zeitweilig und nicht für immer , es wäre daher nicht verwunderlich
dass der junge Mann dann irgendwann Siemenschef wird. => Der Habitus ist und
bleibt hartnäckiger als man will.
 wenn einem diese Dinge bewusst werden , dann sieht man eine Person nicht
mehr nur als Individuum , sondern merkt welche Positionen er in der
Gesellschaft hat.
Beispiel : man sitzt in der Straßenbahn. Auch hier kann man Strukturen in den
Praktiken erkennen. Zb. Kinder reden sehr laut , eine alte Frau regt sich auf =>
sie wurde so habitualisiert ( Psst , sei leise , in der Straßenbahn redet man
nicht!“ daher scheint ihr dieses Verhalten der Kinder als unnormal , da ihr
Habitus anders ist als ihrer.
Eines der sozialwissenschaftlichen Basics : Das Fremdverstehen
-
eine Form wie man soziales Handeln verstehen kann – aufbauend auf die
Hermeneutik
Abhandlung in der Vorlesung : „ Das Fremde „ von Scheffter , erschienen
1996 , die enthaltenen Inhalte sind sehr gut und überaus aktuell
 Annäherung an das sozialwissenschaftliche Denken
 Scheffter geht auf die Grundstrukturen von Fremdverstehen ein
 für ihn liegen die Grundstrukturen immer zwischen Faszination und
Bedrohung!
 Er geht nicht von Idealtypen aus ( = Konzepte , eine Vorstellung im Sinne
der Erkenntnis , nicht in der Erfahrung liegend)
 Beziehungsgestaltung zwischen dem Eigenen und Fremdem ist aufgeladen
, vor allem zwischen Interkulturalität
 Doch die Beziehungen spielen sich nicht allein auf interkultureller Ebene
ab , sondern auf zwischenpersönlicher ( kann der Sitznachbar im Hörsaal
sein) , sozialer und intrapersonaler ( Traumwelt ) – In Bezug auf
Traumwelt : wenn wir etwas im Traum machen , dann wird es Dinge
geben die uns komisch vorkommen oder eben fremd. => Beziehung
zwischen Eigenem und Fremdem auf intrapersonaler Ebene
 Die Beziehung ist auf interkultureller Ebene am stärksten negativ
aufgeladen. Beispiel : Wahlkampf / Plakat wo weiße Schafe ein schwarzes
hinauskicken. => Wahlkampf der auf Fremdheit aufbaut
Allgemein gesehen haben sich die Grenzflächen zum Fremden stark
aufgeladen , unter anderem hat jenes mit Globalisierungsprozessen zu tun
=> viele Gebiete der Welt werden entgrenzter , der Raum der Personen
weitet sich aus , jedoch nicht für jeden! – der Raum entgrenzt sich für
privilegierte Leute ; Beispiel : Visum EU , für die europäischen Bürger ist
es extrem leicht ein Visum für Afrika zu bekommen , für einen Afrikaner
fast unmöglich. => Mobilität ist sehr selektiv.
Die Globalisierung führt dazu , dass jenes was früher als Fremdbereich
wahrgenommen wurde , jetzt im eigenen Raum liegt. => Die Grenzflächen
werden durch Nähe aufgeladen. Fremdheit bedeutete für uns Europäer
immer Entdecken und somit auch Erobern. Das Entdecken ist bei uns
stark habitualisiert. Fremdheit hatte immer mit räumlicher Expansion ,
geistiger Vereinnahmung , Unterordnung unter das eigene Weltbild ( die
Fremden waren immer so wie sie von unseren Vorfahren gesehen wurden)
und Unterordnung unter die Perspektivität der eigenen
Geschichtsschreibung verbunden.
Das Stichwort hierfür ist eingeübter und blinder Ethnozentrismus
Wir haben uns nie in Frage gestellt.
Beispiel : Zeitung , Titel : „ Der Dschihad ist in Österreich“ – erst
irgendwo in den untersten Absätzen wird ersichtlich dass dieses Foto von
der Sicherheitspolizei nachgestellt wurde und einer Übung galt => man
sieht hier die Mediatisierung , eine Inszenierung , dadurch werden
Konflikte aufgeladen.
Die von uns Sozialwissenschaftlern als künstlich erdachten Welten
von Fremdheit weisen eine Fläche von Temporalität auf.
Das Eigene nimmt sich als zeiteigen war => wir leben in einer eigenen Zeit
und die anderen im Mittelalter ( „ die sind halt noch nicht so weit wie wir ,
die leben ja noch im Mittelalter etc..)
Was ist Fremdheit?
Ein wechselseitiges Beziehungsverhältnis. Ich bin immer Teil der
Fremdheit , weil reziprok. Fremdheit ist ein relationaler Begriff. Die
eigene Identität ruft die Fremdartigkeit hervor. => diese Fremdartigkeit
kann verschiedene inhaltliche Ausformungen durchlaufen :
1) Das Fremde als Negation des Eigenen
2) Das Fremde als das Fremdartige ist Gegensatz zu dem Normalen des
eigenen Sinnbezirkes ( Beispiel : lautes Reden in der Straßenbahn) , 2
alte Frauen regen sich darüber auf => das laute Reden ist eine
Verletzung ihres öffentlichen Raums und somit Anomalität.
3) Das Fremde als das noch Unbekannte
Impliziert Lernen , Vertrautmachen
4) Das Fremde als das letztlich Unerkennbare
5) Das Fremde als das Unheimliche
= Idealtyp der sich verändern kann , Beispiel : das eigene Heim wird
unheimlich werden.
 diese Inhalte werden durch Ordnungsschemata geregelt.
 Nach diesen Schemata beurteile ich immer das Fremdhafte. Diese müssen nicht
immer repressiv sein , sondern werden es wenn sie als natürliche Ordnung
absolut gesetzt werden.
4 Idealtypen von Innen – Außenbeziehungen
1) Ordnung in transzendenter Ganzheit
Das Fremde ist Resonanzboden und Grundboden des Eigenen => das Fremde ist
das was man früher war ( irgendwann mal waren wir ja alle eine Menschheit. ,
doch eindeutig ist es nicht Ich sondern das Fremde) ,
2) Ordnung „ perfekter“ Vollkommenheit
Das Fremde als Negation des Eigenen
3) Ordnungskonzepte dynamischer Selbstveränderung
Das Fremde als Chance zur Ergänzung und Vervollständigung ( ambivalent)
4) Konzeptionen komplementärer ( wechselseitig ergänzender) Ordnung
Eigenheit und Fremdheit ist ein Zusammenspiel und nicht voneinander teilbar
 All diese Erfahrungsmöglichkeiten liegen zwischen Faszination und Bedrohung
Wir besprechen diese Ordnungsmuster jetzt näher
Ad 1) Fremdheit als Resonanzboden des Eigenen
 Ordnungsmuster abgetrennter Ursprünglichkeit ( ursprünglich waren wir eine
Menschheit , aber davon haben wir uns wegentwickelt)
Gegensatz zwischen Zivilisation und Wildnis : „ eine Wurzel , aber davon haben
wir uns wegentwickelt“
Paradebeispiel : Evolutionismus : „ Der Ursprung der Menschen ist noch in den
„ wildesten Rassen“ zu finden.
 die Beziehung zum Fremden ist kein Bruch , es gibt gemeinsame Menschheit ,
doch Gleichklang von Unterschiedlichem ( Zivilisierte und weniger oder nicht
Zivilisierte ) Der Evolutionismus beinhaltet Postulat : „ Sieh , das Fremde ist wie
du“ – aber immer noch das Fremde. Einhergehen damit kann Empathie ,
Solidarität etc.
 Das Fremde ist Kontrastfläche für die eigene Identität – wir brauchen das
Fremde um uns davon abzuheben. Die europäische Geistesgeschichte ist von
dieser Struktur durchzogen. ( Rousseau )
- es besteht immer die Wahrnehmung dass wir in einer komplett anderen Zeit
leben.
Beispiel : Artikel , „ In einem Land vor unserer Zeit“ , über die Turkana ,
romantisierte Begriffe als Beschreibung , Bilder ,
 es zeigt sich dass wir in dieser Weise habitualisiert sind ; Zeitungen sind
Fundgrube dafür
ad 2) Fremdheit als Gegenbild
beruht auf innerer Kohärenz. ( Bei mir ist alles in Ordnung) = Perfektheit. => Das
Muster führt zur Ausgrenzung des „ Artfremden“
Negation der Eigenheit. Grundtenor ist dass das Fremde und Eigene unvereinbar sind.
Integrität des Eigenen muss geschützt werden => Diskurs des Schutzes im Vordergrund.
Integrität des Eigenen wird durch das Fremde bedroht. Beispiel : Politische Propaganda
trifft auf Vorverständnis unter den Menschen weil viele so habitualisiert sind ; das
Fremde fungiert hier als natürlicher Feind. Die sich damit verbindende Metaphorik :
Reinheit , Stärke ( der Schmiss auf der Wange als Zeichen der Stärke) und Gesundheit (
oft als Volksgesundheit – das Fremde ist das Kranke
Die innere Struktur des Musters wird durch die Gefahr der Überfremdung gefährdet.
Das Eigene stellt sich als perfekt und vollkommen dar , keine Reflexivität.
Beispiel : „ wir sind wir „ „ hier bestimmen wir „ => es handelt sich um eine
konfliktreiche Gegensätzlichkeit. Hierbei geht es um eine Vielzahl an Verhältnissen ,
nicht zwingend um das Verhältnis „ In - und - Ausländer“
Beispiel : damalige Frauenbewegung , Thematik Eigenes / Fremdes auf gender Ebene.
Die Ordnungsmuster sind nicht starr , sondern verändern sich. Sie können auch ins
Gegenteil umschlagen. => wenn die Reinheit zum Beispiel zur Stagnation wird ,
dann wird das Fremde plötzlich zu Faszination. Beispiel : Blues , Jazzwellen in
Europa ,
 übertrieben radikale Reinheit kann zu Öffnung führen – das Fremde wird als
positiv bewertet
 Doch dieses Umschlagen ist problematisch wegen der Dualität. Denn dieser kann
wiederum Abstoßung folgen.
 Ordnungsmuster können positiv gesetzt werden : „ der Edle Wilde „ Science
Fiction, Mangas. => Das Fremde als Zugang in eine andere Welt
 Das Fremde ist für jene Menschen immens wichtig , die es loswerden wollen =>
sie können am stärksten ohne dass Fremde nicht leben. Brauchen das Fremde
um zu überleben.
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