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Wolfgang Raible
Vorlesung Romanische Syntax – Sommersemester 2006
Vorlesung vom 25.4.2006
Ausgangspunkt der abendländischen Syntax-Analyse
Platon, Dialog Sophistes. Ein junger Mathematiker, Theaitet, ist im Dialog mit einem
eleatischen Fremdling über die Frage, wie man einen Sophisten definieren könne.
[261d] DER FREMDE: Also gut: Wie wir das von den Gattungen und Buchstaben erklärt
haben, so wollen wir nun auch die Wörter prüfen. Denn hier kommt das irgendwo zum
Vorschein, was wir suchen.
THEAITET: Wie soll denn nun unser Dialog über die Wörter vor sich gehen ?
DER FREMDE: Ob alle sich zueinander fügen oder keines, oder ob die einen dazu bereit
sind, die anderen dagegen nicht.
THEAITET: Das ist klar: die einen sind dazu bereit, die anderen aber nicht.
DER FREMDE: Vielleicht meinst du das so: Die Wörter, welche beim Sprechen
aneinandergereiht werden und so [261e] etwas aussagen, fügen sich zusammen; die anderen
aber, die durch ihre Aufeinanderfolge keinen Sinn ergeben, fügen sich nicht zusammen.
THEAITET : Wie meinst du das ?
DER FREMDE: Ich glaubte, du hättest das im Sinn, als du dich einverstanden erklärtest. Es
gibt doch zwei Arten, wie wir uns mit der Stimme über das Sein äußern können?
THEAITET : Wie das ?
[262a] DER FREMDE: Das eine nennt man Nomina, das andere Verben [Tò mèn onómata, to
dè rhêmata klêthén].
THEAITET: Erkläre mir beide.
DER FREMDE : Eine Äußerung über die Handlungen nennen wir doch ein Verb.
THEAITET: Ja.
DER FREMDE: Das Zeichen mit der Stimme, mit dem wir diejenigen bezeichnen, welche
jene Handlungen ausführen, ist ein Nomen.
THEAITET: Genau.
DER FREMDE: Und nicht wahr, wenn man Nomina allein nacheinander ausspricht, so ist das
noch keinesfalls eine Rede, und ebensowenig, wenn man nur Verben ohne Nomina
ausspricht.
THEAITET: Das habe ich nicht verstanden.
[262b] DER FREMDE: Dann hast du offenbar etwas anderes im Auge gehabt, als du mir
vorhin zustimmtest; gerade das wollte ich ja sagen: dass diese Wörter, wenn man sie
zusammenreiht, keine Rede ergeben.
THEAITET : Wieso ?
DER FREMDE: Zum Beispiel ‘geht’, ‘läuft’, ‘schläft’ und all die Verben, die Handlungen
bezeichnen - wenn man diese alle hintereinander sagt, so bringt man damit doch keine Rede
zustande.
THEAITET: Wie sollte man auch!
DER FREMDE: Und wenn man ein andermal sagt ‘Löwe’, ‘Hirsch’, ‘Pferd’ und alle die
Nomina, mit denen man die bezeichnet, welche die Handlungen vollziehen, so ist [262c] auch
mit dieser Aufzählung noch nie eine Rede entstanden. Denn weder so noch so sagt das, was
ausgesprochen wird, etwas aus, weder eine Handlung noch eine Nichthandlung, weder das
Wesen eines Seienden noch eines Nichtseienden, solange einer nicht mit den Nomina die
Verben verbindet. Dann erst fügen sie sich zusammen, und ihre erste Verbindung ergibt
sogleich eine Rede, wohl die erste und kürzeste von allen.
THEAITET: Wie meinst du das ?
DER FREMDE : Wenn jemand sagt ‘Der Mensch lernt’ [ánthrôpos manthánei], dann meinst
du doch auch, dass das die kürzeste und einfachste Rede [lógos eláchistos] ist.
[262d] THEAITET : Jawohl.
DER FREMDE: Denn sie sagt doch schon etwas aus über Seiendes oder Werdendes oder
Gewordenes oder Zukünftiges, und sie benennt nicht nur etwas, sondern indem sie Verb und
Nomen verbindet, bringt sie etwas zum Vollzug [ti peraínei]. Darum behaupteten wir, sie sage
etwas aus und benenne nicht nur, und eben diese Verbindung bezeichneten wir mit dem
Namen einer Rede [lógos - Satz].
THEAITET: Richtig.
DER FREMDE: Und genau wie sich auch die einen Dinge miteinander zusammenfügen, die
anderen aber nicht, so ist es auch mit den Zeichen, die wir mit der Stimme geben: die einen
fügen sich nicht zusammen, die anderen dagegen, welche sich zusammenfügen, ergeben eine
Rede.
[262e] THEAITET: Ja, allerdings.
DER FREMDE: Aber nun noch eine kleine Frage.
THEAITET: Was denn ?
DER FREMDE: Wenn das wirklich eine Rede ist, so muss doch von irgend etwas die Rede
sein: es ist nicht möglich, dass von nichts die Rede ist.
THEAITET : Ja, so ist es.
DER FREMDE : Und sie muss doch auch von einer bestimmten Beschaffenheit sein ?
THEAITET: Ohne Zweifel.
DER FREMDE : Wir wollen einmal genau auf uns selber achten.
THEAITET : Ja, das wollen wir.
DER FREMDE: Ich will dir also eine Rede halten, wobei ich mit Hilfe eines Nomens und
eines Verbs eine Sache mit einer Handlung verbinde. Du sollst mir dann sagen, wovon dabei
die Rede ist.
[263a] THEAITET: Das soll geschehen, so gut ich das vermag.
DER FREMDE: ‘Theaitetos sitzt.’ [Theaitetos kathêtai] Das ist doch keine lange Rede?
THEAITET: Nein, nicht übermäßig.
DER FREMDE : Deine Aufgabe ist es nun also zu sagen, über wen und wovon sie handelt.
THEAITET: Offenbar über mich und von dem, was ich tue.
DER FREMDE : Und die folgende ?
THEAITET: Was für eine?
DER FREMDE : ‘Theaitetos, mit dem ich mich jetzt unterhalte, fliegt.’ [Theaitêtos … pétetai]
THEAITET: Auch diese handelt von dem, was ich tue, und über mich - so würde wohl jeder
sagen.
DER FREMDE: Aber jede von diesen Reden, meinen wir, hat doch notwendig eine
bestimmte Eigenschaft.
[263b] THEAITET: Ja.
DER FREMDE : Wie sollen wir nun also sagen, dass jede von ihnen beschaffen sei?
THEAITET: Dass die eine falsch, die andere dagegen wahr ist.
DER FREMDE: Und diejenige, die wahr ist, sagt über dich das Seiende, dass es ist.
THEAITET: Einverstanden.
DER FREMDE: Die falsche dagegen sagt etwas, das vom Seienden verschieden ist.
THEAITET: Ja.
DER FREMDE : Das Nichtseiende gibt sie also als seiend an ?
THEAITET: Ja, ungefähr.
DER FREMDE: Sie sagt zwar Seiendes - über dich aber etwas, das vom Seienden
verschieden ist. Wir sagten ja doch, dass es über jeden manches Seiende gibt, aber auch
manches Nichtseiende.
THEAITET: Ja, tatsächlich.
Im Folgenden geht es dann darum, Sophisten als solche Leute zu definieren, die sprachlich
etwas aussagen, was realiter gar nicht existiert oder wahr sein kann.
Aristoteles sagt statt ónoma
und
hypokéimenon
und
das darunter Liegende
lat. Grammatiker
subjectum
Vertreter des Substanz
Substantiv
kath`hautó ‘an und für sich’
per se
rhêma
katêgorúmenon
das (darüber) Ausgesagte
praedicatum
Verb
kat’állo (an Anderem)
katà symbebêkós
per accidens
Aussagelogik : erst muss der Vertreter der Substanz da sein, dann kann das dazu kommen,
was nur an etwas Anderem exstieren kann : Sokrates + ist weiß (Sor [damals gängige Abk. für
Sokrates] est albus).
Rivarol, Antoine de (1753-1801).
De l'universalité de la langue française : discours qui a remporté le prix de l'Académie de
Berlin. [1784]
Ce qui distingue notre langue des anciennes et des modernes, c' est l' ordre et la construction
de la phrase. Cet ordre doit toujours être direct et nécessairement clair. Le français nomme d'
abord le sujet de la phrase, ensuite le verbe , qui est l' action, et enfin l' objet de cette action :
voilà la logique naturelle à tous les hommes ; voilà ce qui constitue le sens commun. Or, cet
ordre si favorable, si nécessaire au raisonnement, est presque toujours contraire aux
sensations, qui nomment le premier l' objet qui frappe le premier : c' est pourquoi tous les
peuples, abandonnant l' ordre direct, ont eu recours aux tournures plus ou moins hardies, selon
que leurs sensations ou l' harmonie des mots l' exigeoient ; et l' inversion a prévalu sur la
terre, parce que l' homme est plus impérieusement gouverné par les passions que par la raison.
Le français, par un privilége unique, est seul resté fidele à l' ordre direct, comme s' il étoit
toute raison ; et on a beau, par les mouvemens les plus variés et toutes les ressources du style,
déguiser cet ordre, il faut toujours qu' il existe : et c' est en vain que les passions
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nous bouleversent et nous sollicitent de suivre l' ordre des sensations ; la syntaxe française est
incorruptible. C' est de-là que résulte cette admirable clarté, base éternelle de notre langue : ce
qui n' est pas clair n' est pas français ; ce qui n' est pas clair est encore anglais, italien, grec ou
latin. Pour apprendre les langues à inversions, il suffit de connoître les mots et leurs régimes ;
pour apprendre la langue française, il faut encore retenir l' arrangement des mots.
Condillac, Etienne Bonnot de.
Oeuvres philosophiques de Condillac.
Texte établi et prés. par Georges LeRoy.
Paris : Presses univ. de France. 3 voll. 1947-195.
(Corpus général des philosophes français. 1, T. 33)
Der Cours d’études besteht aus:
"Grammaire",
"L'Art d'écrire",
"L'Art de raisonner",
"L'Art de penser",
"L'histoire générale des hommes et des empires",
1836 Index librorum prohibitorum der katholischen Kirche.
Zum Problem des “ordre direct”
A parler vrai, il n'y a dans l'esprit ni ordre direct, ni ordre renversé, puisqu'il aperçoit à la fois
toutes les idées dont il juge: ils les prononceroit toutes a la fois, s'il lui étoit possible de les
prononcer comme il les aperçoit [. . .] C'est par conséquent, dans le discours seul, que les
idées ont un ordre direct ou renversé, parce que c'est dans le discours seul qu'elles se
succèdent. Ces deux ordres sont également naturels. En effet les inversions sont usitées dans
toutes les langues, autant du moins que la syntaxe le permet.
(Cours d’Études, ed. Le Roy, 1947ff., S. 503)
Ce qu'on appelle ici naturel, varie nécessairement selon le génie des langues, et se trouve dans
quelques-unes plus étendu que dans d'autres. Le Latin en est la preuve; il allie des
constructions tout-à-fait contraires, et qui néanmoins paroissent également conformes à
l'arrangement des idées. Telles sont celles-ci:
Alexander vicit Darium, Darium vicit Alexander.
Si nous n'adaptons que la première, Alexandre a vaincu Darius, ce n'est pas qu'elle seule soit
naturelle, mais ce n'est que nos déclinaisons ne permettent pas de concilier la clarté avec un
ordre différent.
Essai sur les connaissances humanes, [1746], ed. Le Roy 1947ff., S. 92.
Besondere Rolle des Verbs:
Le nominatif est lié avec le verbe, le verbe avec son régime, l'adjectif avec son substantif, etc.
Mais la liaison n'est pas aussi étroite entre le régime du verbe et son nominatif, puisque ces
deux noms ne se modifient que par le moyen du verbe.
Essai sur les connaissances humanes, [1746], ed. Le Roy 1947ff., S. 92.
Prädikatenlogik 1. Ordnung
vincere {Alexander, Darius}
Prädikatenlogik 2. Ordnung fügt Rollen hinzu :
vincere {Alexanders,ag , Dariuso,pat}
Prädikat{Argumente A1, A2, A3…}
Raible, Wolfgang. 1976. Zum Objekt im Finnischen. Eine sprachwissenschaftliche Fallstudie.
Hamburg : Buske. (Schriften aus dem Finnland-Institut in Köln, Band 12).
Hopper, Paul J. & Thompson, Sandra A. 1980. “Transitivity in grammar and discourse”.
Language 56: 251–99.
Nordlinger, Rachel & Sadler, Louisa. 2000. “Tense as a nominal category”. In: Butt, Miriam
& King, Trancy Holloway (eds.) Proceedings of LFG 2000. Stanford: CSLI Publications.
Zitat zum Thema aus Raible, Wolfgang. 2001a. "Language universals and language
typology". In: Haspelmath, Martin & König, Ekkehard & Oesterreicher, Wulf & Raible,
Wolfgang (eds.), Language Typology and Language Universals - Sprachtypologie und
sprachliche Universalien - La Typologie des langues et les universaux linguistiques. An
International Handbook - Ein internationales Handbuch - Manuel international. Berlin & New
York: de Gruyter, Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft vol 20.1: 1-24
(article 1).
4. The bias of ‘traditional’ analysis. – If we start from socially ratified utterance types as
being one of the privileged goals of language production, and if language systems force us to
break down complex utterances into units called ‘propositions’ (see above § 1.1), the usual
“logically” inspired approach attributing reference to elements of the noun class, whereas
verbs would predicate (--> art. 39), will have its risks, too.
A holistic approach would give reference first and foremost to utterances and propositions
representing e.g. an event in its totality (--> art. 37, § 1). A well-known example of this kind
of approach was given by the way Paul J. Hopper and Sandra A. Thompson looked at the
concept of ‘transitivity’ (1980; cf. Rastier 1998: 447). The advantage of this kind of view
becomes evident when we analyse languages such as FINNISH or GUSIILAY, the latter a
language belonging to BAK-group of the NIGER-CONGO family.
While analyzing our Standard Average European languages, we became accustomed to
looking for the expression of ‘aspect’ – that is: of something undoubtedly characterizing an
entire situation or a state of affairs – in the verb, i.e. in the predication. FINNISH imparts this
task instead to the noun having the function of the direct object: in case the situation to be
expressed is thought of as perfective, the object appears as an accusative; if the situation is
seen as imperfective, the partitive has to be chosen instead. Hence, an element of a
proposition that traditionally has been seen as referring is responsible for part of what
normally would be conceived of as predicating. In GUSIILAY something similar happens
with the pronominal element expressing the agent of a proposition: in its reduced form it
marks the imperfectivity of the proposition, in its full form perfectivity (Tendeng 2000).
A similar behaviour of pronouns is reported for HAUSA (Kraft & Kirk-Greene 1990). As was
shown by Nicholas Evans (1985), in KAYARDILD all non-subject dependents of a verb carry
modal case marking (usually in addition to their regular case marking) which carries
tense/mood information for the clause. Andrej Kibrik mentions the case of XERENTE where
nominative pronouns mark evidentiality, aspect, and intensiveness of action (--> art. 84, end
of §6; Kibrik is drawing on Harold Popovich). Rachel Nordlinger mentions as further
candidates for such features PITTA, GURNU, BAAGANDJI, YAG DII and IAI (cf.
Nordlinger & Sadler 2000).
Interestingly enough, Paul J. Hopper and Sandra A. Thompson, while being ‘progressive’ in
taking into account discourse, go one step behind former achievements in a contribution
where they again link the noun/verb distinction to the discourse functions of referring and
predicating [1984]. This example is likely to show one more risk implied in looking in a
traditional way at phenomena which could be typologically relevant. Not only may verbal
systems (and nominal ones) differ from language to language as regards the extension and the
intension of their categories (see above § 3.3); there are even verbal systems doing seemingly
strange things, and the same thing holds for nominal ones (--> art. 40). Eventually both of
them can collaborate in fulfilling certain tasks, for instance in referring on the level of an
entire proposition.
Role and Reference Grammar (Van Valin) (Schema aus Wolfgang Raible, “Linking Clauses”,
aus demselben Handbuch, Artikel 45.
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