Multiple Sklerose 1. Definition Multiple Sklerose (MS) ist eine chronische Erkrankung, die das Gehirn, Rückenmark und den Sehnerven betrifft. Der Begriff "multiple Sklerose" setzt sich aus den Wörtern "skleros" (= hart) und "multiplex" (= vielfach) zusammen. Bei der Multiplen Sklerose treten in der weißen Substanz von Gehirn und Rückenmark verstreut vielfache (multiple) entzündliche Entmarkungsherde auf, die vermutlich durch den Angriff körpereigener Abwehrzellen auf die Myelinscheiden der Nervenzellfortsätze verursacht werden. Da die Entmarkungsherde im gesamten ZNS auftreten können, kann die Multiple Sklerose fast jedes neurologische Symptom verursachen. 1 Multiple Sklerose MS ist eine Autoimmunerkrankung. Hierbei richten sich Abwehrzellen (Immunzellen) des Körpers, die normalerweise fremde Eindringlinge wie Viren, Bakterien oder andere Keime unschädlich machen, gegen körpereigene Strukturen. Das Immunsystem greift die Hüllen der Nervenfasern (Myelinhüllen) an. Es kommt zu einer Entzündung in bestimmten Bereichen des Gehirns, Sehnervs oder des Rückenmarks (= Zentralnervensystem, ZNS), die zu einer Zerstörung der Myelinscheiden führt. Diesen Prozess nennt man Demyelinisierung. Zusätzlich werden auch die Nervenfasern und Nervenzellen geschädigt. In der Folge können Nervensignale nicht mehr so weitergeleitet werden wie bei Gesunden und es kommt zu Nervenausfällen. Diese können sich auf alle möglichen Weisen äußern, weil die Entzündungen (Entzündungsherde) in allen Bereichen des ZNS vorkommen können. 2 Multiple Sklerose 2. Symptome Eine Multiple Sklerose tritt in den meisten Fällen völlig unerwartet auf. Den Patienten geht es in der Regel gut. Doch auf einmal bekommen sie innerhalb von Stunden oder Tagen aus völligem Wohlbefinden heraus Beschwerden. Nur bei wenigen äußert sich die Krankheit langsam mit mal weniger, mal stärkeren Beschwerden, so dass die Betroffenen kaum etwas davon merken. Die meisten Patienten sind zwischen 20 und 40 Jahren alt, wenn die Symptome zum ersten Mal auftreten. Bei mehr als einem Drittel der Patienten fängt die MS mit Gefühlsstörungen an. Erste Symptome 3 Multiple Sklerose Symptome im MS-Verlauf de 4 Multiple Sklerose Verlaufsformen Multiple Sklerose verläuft in Schüben Äußern sich Entzündungsherde bei MS-Kranken mit Beschwerden, sprechen Mediziner von einem Schub. Nach einem ersten Schub können die Beschwerden verschwinden und nach einer Weile wieder auftreten. Manchmal kommen andere Symptome hinzu, die ebenfalls wieder zurückgehen können. MS kann bei jedem Patienten einen unterschiedlichen Verlauf zeigen. Die Verlaufsformen der MS sind unterschiedlich. Meist bilden sich die Symptome wieder vollständig zurück, bis es zu einem neuen Schub kommt. Bei 90 bis 95 Prozent der Kranken verläuft die Krankheit schubweise. Bei 30 bis 40 Prozent wird die Krankheit nach einiger Zeit kontinuierlich schlimmer und es treten keine Schübe mehr auf. Bei wenigen Patienten verläuft die Krankheit von Anfang an ohne Schübe und verschlechtert sich zunehmend. MS beginnt meist im frühen Erwachsenenalter zwischen 20 und 40 Jahren. In Deutschland sind etwa 120.000 und 140.000 Menschen an einer MS erkrankt (1). Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Bislang ist die Multiple Sklerose noch nicht heilbar. Mit Medikamenten lässt sich der Verlauf der Erkrankung aber günstig beeinflussen. Auslöser für Schübe Bestimmte Faktoren können den Verlauf einer MS ungünstig beeinflussen und einen neuen Schub mit möglicherweise schlimmeren Beschwerden auslösenInfektionen, insbesondere Virusinfektionen (z.B. grippaler Infekt); Größere Operationen; Hormonelle Umstellungen (z.B. Wochenbett); Manche Impfungen, v.a. mit Lebendimpfstoffen; Extreme körperliche und psychische Belastungen; Desensibilisierungsmaßnahmen wegen einer Allergie; Immunstimulierende Medikamente (auch bei pflanzlichen Präparaten möglich!) 5 Multiple Sklerose Diagnostik Neben Anamnese und körperlichen Untersuchungen Kernspintomographie (Magnetresonanztomographie, MRT) des Schädels und Rückenmarks anfertigt. Entzündungsherde oder Plaques im Gehirn, die größer als zwei Millimeter sind, kann man schon im Anfangsstadium der Erkrankung erkennen. (Liquordiagnostik). Mit dieser so genannten Liquorpunktion kann man die Entzündung des Gehirns und Rückenmarks feststellen. Hat der Patient eine MS, ist die Zahl bestimmter Abwehrzellen (Lymphozyten, Plasmazellen) im Nervenwasser erhöht und es lassen sich Antikörper wie Immunglobulin G (IgG) nachweisen. 6 Multiple Sklerose 1. Therapie und Pflege Die Erkrankung ist nicht heilbar, der Verlauf kann durch verschiedene Maßnahmen jedoch günstig beeinflusst werden. Entgegen der landläufigen Meinung führt die Multiple Sklerose nicht zwangsläufig zu schweren Behinderungen. Auch viele Jahre nach Beginn der Erkrankung bleibt die Mehrzahl der Patienten noch gehfähig . Mit der MS-Therapie sollen folgende Ziele erreicht werden: Die Beschwerden eines Schubes sollen sich möglichst vollständig zurückbilden. Weitere Schübe sollen verhindert werden. Bleibende Behinderungen sollen vermieden werden. Bestehende, dauerhafte Behinderungen sollen sich nicht weiter verschlechtern Therapiebausteine Es gibt verschiedene Therapien für MS-Patienten, um diese Ziele zu erreichen. Dazu gehören unter anderem: Medikamente, Krankengymnastik (Physiotherapie), Aktivierungs- und Beschäftigungstherapie (Ergotherapie oder Psychotherapie; 7 Multiple Sklerose Bei der MS-Therapie mit Medikamenten unterscheidet man drei Therapieansätze: Therapie des akuten Schubs: Kortison über die Vene, bei einem schweren Schub Blutwäsche (Plasmapherese) oder Mitoxantron (zytotoxisches Antibiotikum, hemmt Zellteilung und -wachstum); Symptomatische Therapie: Behandlung unspezifischer Beschwerden, z.B. Spastik, Schmerzen, Depressionen, Blasen- oder Darmentleerungsstörungen; für die unterschiedlichen Symptome stehen verschiedene Präparate zur Verfügung; Langzeittherapie: Einsatz immunmodulatorischer oder immunsuppressiver Medikamente. Sie verändern bzw. unterdrücken das Immunsystem dauerhaft (z.B. Interferone beta 1-a und beta 1-b, Glatiramer-Azetat, Azathioprin, Mitoxantron, intravenöse Immunglobuline). Die Behandlung erfolgt stufenweise. Diese Therapie wird vor allem bei der schubförmigen Verlaufsform eingesetzt. Ein MS-Patient wird von vielen verschiedenen Therapeuten behandelt. Eingebunden sind Ärzte verschiedener Fachrichtungen (Neurologe, Nervenarzt, Hausarzt, Urologe, Augenarzt), aber auch Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopäden, Psychologen, Neuropsychologen, Sozialarbeiter und Pflegekräfte. Eine gute Betreuung ist für Patienten mit MS wichtig. Der niedergelassene Nervenarzt (Neurologe) kann die langfristige Betreuung übernehmen, doch mindestens einmal im Jahr sollte sich der Patient in einem so genannten MSKompetenzzentrum vorstellen. Diese Zentren kennen sich mit MS-Kranken bestens aus und wissen über die aktuelle Therapie gut Bescheid. Kliniken mit dem Zertifikat "Anerkanntes MS-Zentrum" bzw. "Regionales MSZentrum" nach den Richtlinien der Deutschen Mulitple Sklerose Gesellschaft (DMSG) gewährleisten eine qualitativ hochwertige Therapie. Hier arbeiten Ärzte, die auf MS spezialisiert sind, und andere MS-Fachkräfte. Informationen zum Zertifikat und die beteiligten Kliniken gibt es auf den Internetseiten der DMSG. 8 Multiple Sklerose Lebenserwartung Ob Menschen mit MS kürzer leben als vergleichbare gesunde Menschen, hängt von der jeweiligen Verlaufsform und dem Alter der Betroffenen ab. Jüngere MSKranken haben eine um etwa sechs bis sieben Jahre kürzere Lebenserwartung als gesunde Altersgenossen. Dieser Unterschied wird jedoch mit zunehmendem Lebensalter immer geringer. Jeder zweite MS-Kranke stirbt an Komplikationen der dann meist weit fortgeschrittenen Krankheit, zum Beispiel an einer schweren Nieren- oder Lungenentzündung (Nephritis bzw. Pneumonie), an einem schweren Nierenoder Lungenversagen (Niereninsuffizienz bzw. pulmonale Insuffizienz) oder an einer Blutvergiftung (Sepsis). Einige Patienten begehen aufgrund einer schweren Depression Suizid, manche sterben durch Unfälle, die durch ihre Behinderung entstanden sind. Etwa die Hälfte der MS-Patienten stirbt wie die normale Bevölkerung an weit vertreiteten anderen Todesursachen wie Herzinfarkt, Krebs oder einem Schlaganfall. Die Prognose eines MS-Patienten hängt von vielen Faktoren ab. Selbst ein noch so guter Experte kann keine genaue Auskunft darüber geben, wie die Krankheit bei einem Patienten verläuft und wie lange er lebt. 9