Referat : Anaphylaxie Aus „Notfallmedizin update“ 2006, 1, 101 – 112 Pathogenese : Für die allergische Anaphylaxie verantwortlich ist eine Mediatorenausschüttung aus Mastzellen und basophilen Granulozyten nach Brückenbildung zwische IgE- Antikörpern auf der Oberfläche dieser Zellen. Der am besten untersuchte Mediator ist das Histamin. Es können im Rahmen einer allergischen Reaktion aber ebenso Zytokine und Enzyme wie Leukotriene, Prostaglandine, platelet activating factor, Tryptasen u.ä. freigesetzt werden. Bei fehlendem Nachweis von Antigen-Antikörper-Komplexen spricht man von einer „nichtallergischen Anaphylaxie“. „Anaphylaktoid“ wird nicht mehr verwendet. Klinik : Die freigesetzten Mediatoren bewirken eine - periphere Vasodilatation - Erhöhung der Kapillarpermeabilität - Aktivierung der Schleimhautsekretion Klinische Symptome : - Bronchospasmus - Larynxödem - Hypotension und Tachykardie - Gastrointestinale Symptome - Hautsymptome Klinischer Verlauf - i.d.R. innerhalb 30 Minuten sukz. Entwicklung der klass. Symptome beginnend mit Juckreiz, Kratzen am Gaumen, Handflächen, Fußsohlen oder als lokale Urtikaria. - schnellere und langsamere Verläufe sind möglich - je früher der Beginn, desto fulminanter der Verlauf - sehr selten biphasischer Verlauf mit nach initialer Besserung noch bis zu 12 Stunden später wieder Zunahme der Symptomatik - Je nach Ausprägung der Symptomatik Einteilung in 4 Stadien ( siehe „Therapieempfehlung Anaphylaxie“ ) - Nicht jede der 4 reagierenden Organsysteme muss gleich stark reagieren. - Dementsprechend können auch monosymptomatische Verläufe auftreten - Entsprechende Vorerkrankungen disponieren zu einer Reaktion im erkrankten Organsystem Auslöser : - Am häufigsten Insektengifte, Nahrungsmittel und Arzneimittel. - Ursächlich meist Proteinmoleküle häufig mit Kohlenhydratseitenketten. - Häufig führt erst Kombination mehrerer Faktoren zur Manifestation z.B. im Zusammenhang mit psychischer oder auch physischer Anstrengung Insektengifte / Schlangengifte : - Kreuzreaktivität zwischen Bienengift und Hummelgift - Kreuzreaktivität zwischen Wespengift und Hornissengift - Insekten tragen auch große Mengen andere potentielle Giftmengen mit sich - Insektengiftallergie bei ca. 3 % der Bevölkerung 1 - Schlangengifte spielen in Mitteleuropa kaum eine Rolle. Kreuzotter einzig relevante Giftschlange Bei Biss nur verzögerte lokale Reaktion mit kräftiger Ödembildung Wahrscheinlichkeit einer anaphylakt. Reaktion auf Antiserum ist deutlich höher als durch das Schlangengift selbst. Nahrungsmittel : - Nüsse, Schalentiere, Soja, Weizenmehl und bei Kindern Kuhmilch und Hühnereiweiß häufigste Allergene - Tritt bei Kindern häufiger auf - Nahrungsmittelallergie bei 2 – 3 % der Bevölkerung Medikamente : - Häufigste Auslöser sind Antibiotika ( Penicilline und Cephalosporine ) - Innerhalb der Kliniken auch Röntgenkontrastmittel und Muskelrelaxantien - Häufig : ASS, nichtsteroidale Antirheumatika - CAVE : i.v. verabreichte Medikamente lösen deutlich schnellere Reaktionen aus Latex : - können auch inhalativ ausgelöst werden - selten IgE-Nachweis - Untersuchungen in England konnten keinen Latex-Allergie-assoziierten Todesfall in einem 10 Jahreszeitraum nachweisen Häufigkeit : - seltenes Krankheitsbild im Rettungsdienst - ca. 1 – 30 anaphylakt. Reaktionen pro 100 000 Einwohner und Jahr zu erwarten ( ab Stadium III ) - Schweizer Untersuchung : ca. 1 % tödliche Verläufe Therapie : - Evidenzgrad für einzelne Maßnahmen ist nicht sehr hoch - Keine prospektiven randomisiert-kontrollierte Studien wegen der zu kleinen Kollektive zur Verfügung - Bedeutsam neben ERC-Guidelines von 2005 die umfassende Behandlungsempfehlung einer AG der 3 nordamerikanischen AllergologieGesellschaften Therapie orientiert sich an der klinischen Symptomatik der jeweiligen Organsysteme und des jeweiligen Stadiums - Stadium I : Basistherapie mit Histamin-Antagonisten und Kortison - Stadium II u. III : Behandlung des intravasalen Volumenmangels und der bronchialen Obstruktion steht im Mittelpunkt; Volumengabe und teils Vasopressoren ( Adrenalin ) zur Behandlung der Hypotension einerseits und Beta2-Mimetika oder Adrenalin zunächst inhalativ, ggf. auch i.m. oder i.v. zur Behandlung der Bronchospastik andererseits - Zentrale Bedeutung hat das Adrenalin, da es positive Effekte in drei Bereichen hat : Kardiovaskulär, pulmonal und membranstabilisierende Wirkung auf die Mastzellen - Stadium IV : Nichtmedikamentöse Therapie : - Entfernung des Allergens ( Beendigung der Infusion, Entfernung des Insektenstachels, Entfernung aus allergener Umgebung ) 2 - - Cave : Noch in der Haut steckender Bienenstachel sollte nicht einfach herausgezogen werden, weil dies wegen der noch am Stachel befindlichen Giftdrüse zum weiteren Ausdrücken des Giftes führt; hier sollte der Stachel durch seitliches Wegkratzen mit dem Fingernagel beseitigt werden. Lagerung je nach Symptomatik (bei pulmonaler Symptomatik wird der Patient eine Kopftieflage schlecht tolerieren) Hochdosierte Sauerstofftherapie ( 10 l/min ) über Maske mit Reservoir, zusätzlich b.B. Vernebelung mit Adrenalin Frühzeitig an Intubation denken; Cave : IT-Probleme ! 1 – 2 großlumige Venenzugänge, ggf intraossärer Zugang Medikamentöse Therapie im einzelnen : Adrenalin : - Bei der Anaphylaxie ist die Effektivität im Gegensatz zur Reanimation gut belegt - Überlebenswahrscheinlichkeit hängt von der frühzeitigen Gabe von Adrenalin ab ( durch mehrere Untersuchungen retrospektiv belegt ) - Wirkungen des Adrenalin ergänzen sich beim anaphylaktischen Schock ideal α1- Rezeptor- Wirkung : ٠ Antagonisierung der peripheren Vasodilatation ٠ Verminderung der Ödembildung β2- Rezeptor- Wirkung : ٠ Verminderung der pulmonalen Bronchokonstriktion ٠ Verringerung der Histamin- und Leukotrienausschüttung β1- Rezeptor- Wirkung : ٠ Steigerung der myokardialen Kontraktilität ٠ CAVE KHK : koronare Ischämie möglich, aber koronare Minderperfusion durch Hypovolämie ist das schwerwiegendere Problem, daher keine Kontraindikation ! Applikationsformationen : Inhalative Applikation : ٠ bei bronchialen Manifestationen über Vernebler ٠ Dosierung : ٠,1mg/ml Lösung Subcutane oder intramuskuläre Applikation ٠ sehr sichere Applikationsform, wird auch bei der Autoinjektion durch den Patienten genützt ٠ vermindert Bronchokonstriktion und schützt wegen seiner Depotwirkung auch vor einer Hypovolämie ٠ Dosierung : ٠,3 – 0,5 mg i.m. oder s.c., wobei die i.m. Injektion zu schneller ansteigenden Plasma-Adrenalin-Spiegeln führt Intravenöse Applikation : ٠ Verdünnung 1:1٠ ٠,1mg-weise nur ab Stadium 3 ٠ Für den notfallmedizinisch Erfahrenen nach Richtlinien des ERC i.v.-Gabe auch in niederen Stadien erlaubt, allerdings 1:100 Verd. Interaktion mit anderen Medikamenten : Dauermedikation mit β-Blockern 3 ٠ Initial ist mit verminderter Wirksamkeit zu rechnen ٠ Im späteren Verlauf vermehrt arrhythmische Komplikationen ٠ Dann evtl. Ausweichen auf andere Substanzen Inhalative Bronchodilatatoren : - Vernebelung neben Adrenalin auch mit β2-Mimetika möglich - Bei Dauertherapie mit β-Blockern kann auch Ipratroprium wirksam sein Histaminantagonisten - In allen Stadien wird zur Blockade einer weiteren Histaminfreisetzung Die Gabe von H1- und H2-Blockern empfohlen - Latenzzeit von 5 – 10 Minuten bis zum Wirkeintritt - Tierexperimente sind widersprüchlich, möglicherweise weil Histamin nicht der einzig verantwortliche Mediator ist. - Kombinationsgabe von H1- und H2-Blockern ergab eine bessere Wirkung als die Gabe von H1-Blockern alleine - Dosierung : z.B. 2 Amp. Fenistil (1 Amp/40kg) und 1 Amp. Ranitidin in allen Stadien Glukokortikoide : - Placebokontrollierte Studien zur Wirksamkeit fehlen - Vorgestellte Wirkweise : Eine membranstabilisierende Wirkung soll Ödembildung und Bronchokonstriktion zurückdrängen. - Verzögerter Wirkentritt, spätere Verschlechterungen und biphasische Verläufe können gedämpft werden - Dosierung orientiert sich an den klinischen Phasen : Stadium I : 125 – 250 mg Prednisolon Stadium II : 250 – 500 mg Prednisolon Stadium III : 500 mg Prednisolon Stadium IV : 1000 mg Prednisolon Volumenersatzmittel : - Kristalloide Lösungen bis Stadium II - Kolloide im Stadium III/IV HAES wegen angeblich geringerer Allergisierungsrate - Hyper-HAES : keine Stellungnahme der Gesellschaften Als Therapieversuch in verzweifelten Fällen zu sehen. Weitere Medikamente : - Vasopressin bzw. auch Noradrenalin, wenn Hypotension nicht auf Adrenalin reagiert ( ggf. unter β-Blocker-Therapie ), oder wenn die Β-agonistischen Effekte von Adrenalin unerwünscht scheinen. - Auch Glukagon kann bei Versagen von Adrenalin ( wie oben ) sinnvoll sein; beachte aber kurze HWZ von 3 – 5 Minuten - Ketamin wirkt bronchodilatatorisch und blutdrucksteigernd, scheint zumindest bei der Reanimation zur Sedierung geeignet zu sein. Allerdings gibt es keine Empfehlungen in der Literatur. - Theophyllin : Allenfalls Empfehlungen, wenn andere Medikamente versagen. Keine evidenzbasierte Bewertung in der Literatur. Wenn es zur Anwendung in diesem Zusammenhang kommt, sollte hoch genug dosiert werden : 5 mg/kg KG i.v. 4 Weitere Vorgehensweise : Überwachung : - Nach Abklingen der Symptome 8 – 24 h in der Klinik - Ab Stadium III 24 h Intensivüberwachung - CAVE : Asthmatiker, biphasische Verläufe Weiterführende Diagnostik und Behandlung : - Innerhalb 60 Minuten ist erhöhter Serum-Histaminspiegel nachweisbar - Bis zu 6 Stunden nach Ereignis erhöhte Serum-Tryptase nachweisbar - Schulung des Patienten bzgl. Allergenvermeidung und Selbstmedikation - Ausstattung mit Ausweis - Austestung in die Wege leiten, ggf. in der Klinik durchführen (Asthma, KHK oder nach schweren Verläufen) - Jahrzehnte andauernde Reduktion schwerer Anaphylaxien durch Desensibilisierung möglich Differentialdiagnose : 1. Familiäres hereditäres Angioödem Zugrundeliegend ist ein Protein-C1-Esterase-Inhibitor-Mangel. Behandlung mit C1-Inhibitor ersatzweise mit Frischplasma 2. Angioödem der oberen Luftwege unter ACE-Hemmer-Therapie Häufigeres Auftreten bei afroamerikanischen Frauen gez. Niederberger 05/2007 5