Ludwig Maximilian Universität Institut für Romanische Philologie HS: Das spanische und portugiesische Verbalsystem. Dozent: Dr. Barbara Schäfer-Prieß Referentin: Marlene Jardín Datum: 09.11.2001 Grammatikalisierung ist ein Prozess, in dessen Verlauf eine sprachliche Einheit grammatische Funktionen hinzugewinnt und zugleich lexikalische Funktionen abbaut. Dieser Prozess ist undirektional und durch diesen geht die Autonomie eines Zeichens verloren. Aspekte der Grammatikalisierung • Es unterscheiden sich zwei Gruppen: lexikalische Zeichen und grammatikalische Zeichen, auch als „Lexem und Grammem“ (Begriff für alle grammatischen Zeichen ohne Rücksicht auf ihre morphologische Gestalt, ihre Freiheit oder Gebundenheit.) bezeichnet. Lexikalische Zeichen dienen der Benennung von außersprachlichen Inhalten. Grammatikalische Zeichen dienen zu Beziehungen zwischen Sprachzeichen und Sprachsituation. (Relationale Funktion) Bsp: Sabine muss zu Fuss gehen, weil sie den letzten Bus verpasst hat. • • > lexikalische Zeichen: „gehen“, „Bus“ und „verpasst“. > grammatische Zeichen: „weil“, „sie“ und „hat“. Durch diese funktionale Differenzierung unterscheiden sich freie und gebundene Morpheme, die sich wiederum in lexikalische und grammatische Morpheme aufspalten. Affixe gehören zu den gebundenen grammatischen Morphemen. Klitisierung • Übergang eines freies Wortes zu einem gebundenen Morphem ist die Klitisierung. • >Klitikon ist eine meist monosyllabische Form, welche mit einer anderen Form, seiner Basis, eine akzentuelle Einheit bildet. Diese unterteilt sich in Enklise (como-o) und Proklise (o bolo)= Artikel/Pronomen. Fusion Prozess: Klitikon wird zu Affix Frz. Futur „paler“ ‚sprechen‘ palerai parleras parlera parlerons parlerez parleront Präs. “avoir” ‘haben’ ai as a avons avez ont Ptg. Futur “falar” falarei falarás falará falaremos falareis falarão Grammatikalisierung des Verbs ‚haben‘ • > tengo cartas escritas; las cartas, las tengo escritas; tengo el cuchillo comprado, el cuchillo lo tengo comprado = die Bedeutung ‚Besitz‘ von habere bleibt erhalten. • > has invitado al obispo, lo he escuchado = habere verwandelt sich in einen Marker mit der grammatischen Funktion ‚Perfektivität‘. • > he entendido = habere verliert seine lexikalische Bedeutung und ist nur noch Perfektmarker und Träger des Numerus-Person und Tempusmorphem. Weitere Beispiele • Lat. MÊNTE war der Ablativ von MENS; MÊNTIS, wird in den rom. Sprachen zum adverbialen Suffix “-mente-”. • Die Konjuntion “-während-” ging aus dem Partizip Präsens “währen” hervor. • Die höfliche Anredeform “Vossa mercê > vossemecê > você. Da durch wird in Brasilien die 2.Ps. Sg ersetzt. “onde è que você vive” • Ptg. „gente“ als Ersatzform des Sprecherpronomina: „a gente sabe“ anstelle von „nós sabemos“. • Ptg. „parecer, ameaçar,und prometer” gehören zu zwei verschiedenen Klassen: Vollverben und Modalitätsverben. Bsp für Vollverben: Ela parece doente. Ele ameaçou-o como despedimento. Ele prometeu-lhe vir. Bsp. für Modalitätsverben: Ela parece conhecer o livro. A casa ameaça ruir. O trabalho promete tornar-se interessante. Die Grammatikalisierung von “ameaçar” und “prometer” ist noch umstritten, z. B. Das Verb ameaçar nimmt nicht an impersonalen Konstruktionen mit formalem Subjekt teil: -„*ameaça chover“- nicht klar, ob es akzeptabel ist. • • • • • Im portugiesischen Konditionalsatz wird das Verb „calhar“ zum Modaladverb: „Calhar“ mit der Bedeutung `(hinein)passen` aus dem Nomen „colha“ `Rille` entrar numa colha. Die Bedeutung `fallen auf` o natal calhou numa quinta feira. Die Bedeutung ′(jmd.) zufallen′, entsprechen in Portugiesisch: „alguma coisa calha alguém“ wie zum Beispiel: calhou-me a tarefa de screver o repertório. Die Bedeutung `(jmd.) passen`: segunda-feira calha-me maravilhosamente. So bekam se me calhar die Bedeutung `wenn es mir passt`. Kognitive Prozesse bei der Grammatikalisierung • • • Zentrale Rolle im semantischen Mechanismus der Grammatikalisierungsprozesse spielen die Metapher und Metonymie. Metapher: beruht auf der Ähnlichkeit zwischen A und B. Metonymie: basiert auf der Kontiguität, A und B müssen etwas miteinander zu tun haben. Beispiele für grammatikalisierungsfähige kategoriale Metaphern • • • • • Zeit mit Raumausdrücken. Abstraktes mit konkreten Bezeichnungen. Ursache mit temporalen Ausdrücken. Abstrakte Beziehungen mit Bezeichnungen für physische Prozesse oder räumliche Beziehungen. Räumliche Ausrichtung mit Gegenstandsbezeichnungen. Metaphorischer Gebrauch von Präpositionen • • • • Sp. „en“ „estar en el café“ (RAUM). „llegar en Pascua“ (ZEIT). „hablar en español” (ART UND WEISE). Metonymie Beispiele • Lat. TESTINONIU(M) `Zeugnis` > ptg. „testemunha“ `Zeuge`. • Lat. PASSER `Spatz` > ptg. „pássaro“ `kleiner Vogel`. • Lat. BÛCCA `Wange` > ptg. “boca” `Mund`. Sprachwandel und - Grammatikalisierung • • • Die Grammatikalisierung und der Sprachwandel haben einen Überschneidungsbereich: den morphologischen und syntaktischen Wandel. Es handelt sich um Reanalyse und Analogie. Reanalyse: Restrukturierung der Konstituentenstruktur. Analogie: ist die Ausbreitung eines Strukturmusters über seinen bisherigen Ort hinaus. Bsp. Umlaut des Nhd. durch Analogie: Singular Plural Alter Plural Tal Täler < tal Dach Dächer < dach Vater Väter <vater Aufgabe • Trennen sie nach lexikalischen und grammatischen Funktionen folgende Sätze: 1) Bei dem feuchten Wetter wird sie wieder Schnupfen bekommen. 2) Die Möbel werden nur mit Bienenwachs eingelassen. 3) Sie will Bühnenbildnerin werden. Bibliographie • Detges, Ulrich (1999): „Wie entsteht Grammatik? Kognitive und pragmatische Determinanten der Grammatikalisierung von Tempusmarkern. In: „Reanalyse und Grammatikalisierung in der romanischen Sprachen“ (Hrsg.) von Jürgen Lang und Ingrid Neumann-Holzschuh.Tübingen: Niemeyer. • Diewald, Gabriele (1997): „Grammatikalisierung. Eine Einführung in Sein und Werden grammatischer Formen, Tübingen: Niemeyer 1997. • Diewald, Gabriele (2008): „Grammatikalisierung, Grammatik und grammatische Kategorien: Überlegungen zur Entwicklung eines grammatikalisierungsaffinen Grammatikbegriffs“ In: Stolz Thomas „Grammatikalisierung und grammatischen Kategorie. Diversitas Linguarum Vol.21. • Merlan, Aurelia (2006): „Grammatikalisierungstendenzen im Portugiesischen und Rumänischen: von Nominalsyntagmen zu Pronomina“ In: „Portugiesisch kontrastiv gesehen und Anglizismen Wletweit. (Hrsg.) Jürgen Schmidt-Radefeldt. • Pinto, José de Lima (2006): „Zur Grammatikalisierung von dt. drohen und pg. ameaçar” In:„Portugiesisch kontrastiv gesehen und Anglizismen Weltweit. (Hrsg.) Jürgen SchmidtRadefeldt. • Pinto, José de Lima (2008): „Neue Modalausdrücke des Portugiesischen als Ergebnis von Lexikalisierung und Grammatikalisierung“ In: Stolz, Thomas „Grammatikalisierung und grammatischen Kategorie. Diversitas Linguarum Vol.21.