Friedrich-Schiller-Universität Institut für Politikwissenschaft Seminar: „Alexis de Tocqueville“ Dozent: Dr. Sven Leunig Holger Schreiber 09.11.2010 Stellen Sie die politische Situation (z.B. Institutionen, Wahlrecht, politische Bedingungen) der USA im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts anhand selbst ausgewählter Quellen dar! Adams, Willi Paul, Die USA vor 1900 (=Oldenbourg Grundriss der Geschichte, Bd. 28), 2. Aufl., München 2009. Q 2 Heideking, Jürgen/Mauch, Christof, Geschichte der USA, 6., überarb. und erw. Aufl., Tübingen 2008. Q 3 Sautter, Udo, Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika, 4., erw. Aufl., Stuttgart 1991. Q1 A Institutionen: Präsident: Präsident selbst verfügt im 19. Jh. nur über begrenzte Ressourcen, beschränkte Bürokratie, kleiner Beraterstab Präsidenten vor A. Jackson agierten überwiegend als „Präsidenten über den Parteien“, die im Kongress oder der Öffentlichkeit nicht um Stimmen bzw. Unterstützung für ihre Politik warben deutliche Abkehr von diesem System mit „Jacksonian Democracy“ - Kennzeichen dieses historischen Abschnittes, Wandel in der politischen Kultur: - ablehnende, teilweise konfrontative Haltung gegenüber organisierten Interessen der „alten Eliten“ und der Wirtschaft - Idealisierung des Frontier Spirit und der lokalen Ebene (grassrots) Zentralstaat soll zugunsten der lokalen Ebene geschwächt werden, um den „einfachen Farmern und Handwerkern“ eine adäquate politische Beteiligung zu gewährleisten - Intensive Nutzung des präsidiellen Vetos durch Jackson (Q3, S. 114f) Kongress: bis zur Jahrhundertwende war der Kongress durch die „soziale Aristokratie“ (Geschäftsleute, Intellektuelle) der Ostküste dominiert die Gebiete westlich der Appalachen gewannen nach 1811 zunehmend an politischem Einfluss steigende Zahl an Abgeordneten aus „dem Westen“ und den Südstaaten, Eliten der Ostküste verlieren ihren exklusiven Einfluss im Kongress divergierenden Interessen und Ziele der Regionen kollidieren auf politischer Ebene mit dem allgemeinen gesellschaftlichen Wandel im ersten Drittel des 19. Jh. veränderte sich die soziale Zusammensetzung der Parteien und damit auch des Kongresse (s.u.) (Q1, S. 129) Supreme Court: Ernennung der Richter durch den Präsidenten nach Ausscheiden eines oder mehrerer aus dem SC prägende für die Rolle des SC im politischen System war Chief Justice J. Marshall (1801-1835) „Mitternachtsernannter“ von J. Adams; Federalist Grundsatzurteil zur Ausweitung der Befugnisse des SC 1803 (Marbury vs. Madison), judical review, gerichtliche Überprüfung der Bundesgesetze durch den SC wird dadurch grundsätzlich möglich (Q1, S. 137f) Parteien: Herausbildung der Ansätze eines Zweiparteiensystem bereits in der zweiten Amtszeit G. Washingtons - Federalists: u.a. A. Hamilton, befürworten Wirtschafts- und Finanzkompetenz einer starken Bundesregierung - Republicans: u.a. A. Madison, T. Jefferson, Interessenvertreter der Einzelstaatskompetenz 1801 endete eine knapp 10-jährige Dominanzphase der Federalists im Kongress, Republicans erreichten Mehrheit in beiden Häusern und siegten bei Präsidentenwahl (T. Jefferson) „Revolution von 1800“ (Q1, S. 119f) - Federalists verloren Sympathien in der Breite und bei den eigenen Anhängern aufgrund: - Konzept der Federalists einer Führung des Landes durch eine „aristokratische Elite“ - unpopulären Entscheidungen, die die Republicans für sich ausnutzen konnten - Skandale, Eigenbegünstigung und Korruptionsvorwürfe (Q1, S. 121f) Strukturen der Parteien verfestigen sich im ersten Drittel des 19. Jh.; der Organisationsgrad steigt (Republicans gelingt dies zuerst daraus resultierte auch die „Revolution von 1800“) - Parteiflügel formieren sich; Republicans spalten sich auf in Democrats und Whigs (1830er) Ausdifferenzierung der Parteien ist das Ergebnis eines gestiegenen politischen Interesses des breiteren Volkes Basis der Parteien verbreitert sich gesellschaftliche Eliten verlieren ihre dominante Stellung in den Parteien, vertikale Durchlässigkeit der Parteien steigt Beispiel Andrew Jackson Notwendigkeit der Beteiligung breiter Interessen bei der Willensbildung in den Parteien wird im Zuge der gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen in allen Parteien akzeptiert (Q1, S.176f) B Wahlen: Wahlrecht hatte nur weiße Männer, im ersten Drittel des 19. Jh. wurde das Zensuswahlrecht in den Bundesstaaten schrittweise abgeschafft; in Virginia und North Carolina erst 1850 Wahl wird „Massenereignis“, „Trend zur Teilnahme am politischen Entscheidungsprozess“ - Wahlbeteiligung steigt schnell 1824 (356 00); 1840 (1 155 000) (Q1, S. 178f) Präsident: indirekte Wahl über Wahlmänner bis zur Wahl Jacksons nominierten die Parteien ihre Kandidaten für das Präsidentenamt in geheimen Fraktionssitzungen; nach 1832 bildete sich das System der offenen Parteitage aus gleichzeitig wird die Wahl der Wahlmänner von den Parlamenten der Bundesstaaten auf die Wähler übertragen Staatsdiener werden seit der Wahl Jacksons vermehrt gewählt, statt ernannt (Q1, S. 180f) vor in Kraft treten des 12 Verfassungszusatzes gab das Wahlmännerkollegium ihre Stimmen für zwei Kandidaten ab, der Zweitplatzierte wurde Vizepräsident1 C Politische Bedingungen: innere und äußere Konflikte Kompetenzverteilung zwischen Bundesstaaten und Zentralgewalt blieb bis zum amerikanischen Bürgerkrieg eine permanente Streitfrage (Q1, S. 182) Konkurrenz rivalisierender Wirtschaftsformen in den Nord- und Südstaaten um die Gestaltung der politisch-sozialen Ordnung in den neuen Staaten im Westen jeder neue Staat schickt zwei Senatoren nach Washington (Sklavenhalter vs. liberale Marktorientierung) (Q2, S. 53) Konflikte und Verständigung mit den Nachbarn (England, Spanien, Frankreich) - 1812-1815 amerikanisch-englischer Krieg - Seeblockade wirkte sich besonders auf die Staaten im Süden und Nordosten aus (Abnehmer für Exporte brechen kriegsbedingt weg, Seeblockade) - militärisch endet der Krieg in einer Patt-Situation, keine Seite kann sich entscheidend durchsetzen Frieden von Ghent, England bleibt auf dem Kontinent (Q1, S. 134f) - Rückzug Frankreichs aus Nordamerika Louisiana Purchase 1803 - Spaniens wird aus Florida verdrängt Transcontinental Treaty 1819 (Q3, S. 80+89) 1 Bei der Wahl von 1801 führte dieses Wahlrecht zu der Situation, das T. Jefferson und A. Burr (beide R) jeweils 73 Wahlmännerstimmen erhielten. Die Entscheidung über die Präsidentschaft wurde im Repräsentantenhaus gefällt, wo Jefferson erst im 35. Wahlgang eine Mehrheit erreichte (Q1, S. 120+574) die ersten Jahrzehnte des 19. Jh. waren durch folgende gesellschaftliche Prozesse gekennzeichnet: - territoriale Erschließung des „Westens“ beschleunigt sich - Prozess der Industrialisierung setzt ein, Ausweitung der Landwirtschaft Transport- und Nachrichtenwesen, Verkehrswege und Infrastruktur werden ausgebaut etc. - rasantes Bevölkerungswachstum (Q3, S. 95-100) allgemeine Um- bzw. Aufbruchstimmung, getragen durch die o.g. Prozesse, in deren Folge die Institutionen und Strukturen der Revolutionsepoche den neuen Verhältnissen angepasst wurden Forderungen nach Umsetzung der in der Unabhängigkeitserklärung postulierten Freiheits- und Gleichheitsrechte in der Praxis Reformbewegung (beinhaltet auch religiöse Denkmuster bzw. Wertepräferenzen) (Q1, S. 142) Ineinandergreifen der o.g. Faktoren wird auch als „Marktrevolution“ beschrieben, die die tradierten Denk- und Handlungsmuster nachhaltig veränderte Ergebnis: Einbindung immer weiterer Kreise in die nationale Marktwirtschaft, bei gleichzeitiger Verschärfung der sozialen und regionalen Gegensätze (Nord-Süd) (Q3, S. 95) Sitzverteilung Kongress Präsident T. Jefferson Ebd. J. Madison Ebd. J. Monroe J.Q. Adams A. Jackson Ebd. Amtszeit R R R R D 1801-1805 1805-1809 1809-1813 1813-1817 1817-1825 1825.1829 1829-1833 1833-1837 Amtszeit Kongress Senat Mehrheit Minderheit Sonstige 1801-1803 R 18 F13 1803-1805 R 25 F9 1805-1807 R 27 F7 1807-1809 R 28 F6 1809-1811 R 28 F6 1811-1813 R 30 F6 1813-1815 R 27 F9 1815-1817 R 25 F 11 1817-1819 R 34 F 10 1819-1821 R 35 F7 1821-1823 R 44 F4 1823-1825 R 44 F4 1825-1827 Ad 26 J 20 1827-1829 J 28 Ad 20 1829-1831 D 26 NR 22 1831-1833 D 25 NR 21 2 1833-1835 D 20 NR 20 8 1835-1837 D 27 W 25 Repräsentantenhaus Mehrheit Minderheit Sonstige R 69 F 36 R102 F 39 R 116 F 25 R 118 F 24 R 94 F 48 R 108 F 36 R 112 F 68 R 117 F 65 R 141 F 42 R 156 F 27 R 158 F 25 R 187 F 26 Ad 105 J 97 J 119 Ad 94 D 139 NR 74 D 141 NR 58 14 D 147 AM 53 60 D 145 W 98 (in: Q 1, S. 574ff)